Wilson, F. Paul – Gruft, Die (Handyman Jack 1)

Wenn dir Unrecht geschah und weder die Polizei noch ein Privatdektektiv oder sonst jemand dir mehr helfen kann, holst du dir „Handyman Jack“, den Handwerker für alle Fälle. Er regelt die Sache, ohne sich um die Einschränkungen zu kümmern, die das Gesetz dem Normalbürger auferlegt – körperliche Beeinträchtigungen deines Widersachers eingeschlossen.

Zur Zeit bearbeitet Jack zwei ‚Fälle‘. Nummer eins scheint schnell gelöst: Der Inder Kusum Bakhti beauftragt ihn mit der Wiederbeschaffung einer Halskette, die seiner ‚Großmutter‘ gestohlen wurde. Jack hat Glück, erwischt den Täter und händigt Bakhti die erstaunlich wertlos wirkende Kette aus. Leider ist er abgelenkt, sonst hätte er sich ein wenig intensiver um einige Ungereimtheiten gekümmert.

Doch Jack hat sich vor zwei Monaten von Gia DiLauro, der Liebe seines Lebens, getrennt, die nun wieder Kontakt zu ihm sucht: Grace Westphalen, eine Tante ihres untergetauchten Ex-Gatten, ist vor einige Tagen spurlos verschwunden. Jack sucht zwar normalerweise nicht nach vermissten Personen, will Gia aber nicht abweisen.

Unter Graces persönlicher Habe findet er ein Fläschchen mit verdächtigem Inhalt. Es enthält eine Art Lockstoff, mit dem der uns bereits bekannte Kusum Bakhti Personen markiert, um die sich seine ‚Diener‘, die dämonischen Rakoshi, kümmern sollen. Als Priester des „Tempels-in-den-Bergen“ dient Bakhti der indischen Todesgöttin Kali. Im Jahre 1857 hatte der skrupellose Sir Albert Westphalen, Captain der Königlich Bengalischen Füsiliere, den besagten Tempel beraubt und geschändet, wofür Kalis Priester ihm und seinen Nachfahren ewige Rache schworen. Bakhti und seine Rakoshi sollen sie nun erfüllen.

Kusum wird von seiner jüngeren Schwester Kolabati begleitet. Nachdem Jack die Kette ihrer Großmutter beschaffen konnte, hat sie mit ihm angebändelt. Sie fragt sich, ob Jack ihr helfen kann. Längst empfindet sie den Racheauftrag als Fluch. Kolabati will frei sein, doch für Kusum ist dies Verrat, der mit dem Tod zu ahnden ist. Er setzt Kolabati auf seine Liste, an deren Ende die Letzte der Westphalens vermerkt ist: Vicky, Gia DiLauros kleine Tochter, für die Jack wie ein Vater empfindet. Keinesfalls wird er ihren Tod dulden, doch zwischen ihm und dem bald entführten Kind stehen Bakhti und geifernde Rakoshi in unerwartet großer Zahl …

Das Unheimliche sucht die Vereinigten Staaten wieder einmal aus der Fremde heim, die der US-Bürger bekanntlich gern mit dem „Reich des Bösen“ gleichsetzt. Dabei trifft es dieses Mal Unschuldige; die eigentlichen Schurken stammen aus dem alten Europa. Sie sind aber längst tot bzw. ihre Nachfahren in die Neue Welt aufgebrochen. Also muss sich Kusum Bakhti mit seinen Rakoshi auf den weiten Weg dorthin machen.

Der Gedanke daran, wie er dabei logistisch vorgeht und welche Motive ihn treiben, bringt den Leser auf gefährlich dünnes Eis: „Logik“ ist ein Wort, das in der „Gruft“ lieber nicht fallen sollte. Die ungewöhnlich sorgfältige Charakterisierung, die Wilson seinen Figuren angedeihen lässt, weckt falsche Erwartungen: Dies ist kein ‚literarischer‘ Roman, sondern ein triviales, handwerklich sauber gesponnenes Gruselgarn, dem sein Verfasser ein wenig zu aufdringlich Bedeutsamkeit einblasen will.

Schade, denn die Story kann sich lesen lassen. Indischer Teufelspriester mit Cäsarenwahn und der Möglichkeit, diesem mit dämonischer Nachhilfe Taten folgen zu lassen, begibt sich auf eine mörderische Rachemission. Sein wackerer Gegenspieler gerät zufällig in den Strudel der Ereignisse, die er nur langsam, aber angenehm überzeugend zum erschreckenden Gesamtbild zusammensetzen kann. Wie Jack Bakhti auf die Schliche kommt, ist spannend und überraschend, ohne dass Wilson den Zufall bemühen muss. Hier ist ein Verfasser am Werk, der seinen Job versteht. Als Leser erkennt man das sogleich, fühlt sich wohl und verzeiht gewisse Längen, die womöglich auf die komplexe Genese dieses Romans zurückgehen.

Denn dieser erste Auftritt von Handyman Jack ist eine verwirrende Angelegenheit. Als F. Paul Wilson ihn 1984 schuf, geschah dies im Rahmen einer ganz anderen Serie, und es sollte bei diesem einen Auftritt bleiben. Die Serie trägt den Titel „Adversary“ und schildert das Wirken einer bösen Macht, die es in diversen Masken danach drängt, die Menschheit zu unterjochen sowie die ihr vor Urzeiten streitig gemachte Weltherrschaft zurückzuerobern. „The Tomb“ war der zweite Teil der insgesamt sechsbändigen Serie und erschien sechs Jahre später als „Die Gruft“ auch in Deutschland.

Schon damals gab der Titel Rätsel auf, da eine Gruft sich zwar während eines kurzen Flashbacks auftut, für die eigentliche Handlung jedoch unerheblich bleibt. Problematischer wurden für Wilson allerdings seine Leser, die energisch eine Rückkehr des ihnen lieb gewordenen Jack forderten. Das geschah freilich erst 1998, und dieses Mal plante Wilson eine eigene „Handyman Jack“-Serie, in die sich „Die Gruft“ jedoch nicht so einfach einpassen ließ, zumal Wilson keine 14 Jahre zwischen Jacks erstem und zweiten Auftreten ‚aufarbeiten‘ wollte. Also nahm er sich „Die Gruft“ noch einmal vor und verlegte das Geschehen in die Gegenwart der 1990er Jahre, wobei er gleichzeitig diverse Fehler und Anachronismen des Originals tilgte.

„Handyman Jack“ wurde berühmt und erfolgreich und „The Tomb“ mehrfach neu aufgelegt. Zum 20-jährigen Jubiläum bearbeitete Wilson den Roman ein weiteres Mal und gab ihm einen neuen Titel: „Rakoshi“. Um die Verwirrung komplett zu machen, erscheinen aktuelle Neuauflagen wieder als „The Tomb“.

„Handyman Jack“ trägt nur in Deutschland diesen ‚Namen‘, auf den man ihn einst im |Goldmann|-Verlag getauft hat, obwohl ihn F. Paul Wilson als „Repairman Jack“ in die populärliterarische Welt brachte. Bei |Festa| behielt man dies wohl bei, um Jacks deutsche Fans nicht zu verwirren.

Ungeachtet der Irritation um seinen ohnehin gefälschten Namen zählt Jack zu den faszinierenden Gestalten der Phantastik. Er, der so große Sorgfalt darin investiert, keinerlei Alltagsspuren zu hinterlassen, gehört zu den Helden des Genres, die mit einem reichen Innenleben gesegnet – oder geschlagen – sind. Für einen Mann, der so viel Wert auf seine staatsbürgerliche Unsichtbarkeit legt, ist Jack sozial erstaunlich stark eingebunden. Dieser Zwiespalt macht ihn sympathisch und interessant, denn Jack erwachsen aus seiner Treue zu Familie und Freunden ständig Probleme. Sein geheimes Leben lässt sich – Spiderman würde da zustimmen – schwer mit dem Privaten in Einklang bringen. Die Regeln des ’normalen‘ Lebens hat Jack gegen die eines selbst geschaffenen Kodex getauscht. Paradoxerweise ist dieser in vielen Punkten sogar strenger formuliert. Das muss so sein, denn nur so kann Jack die Kontrolle behalten.

Denn es gibt da eine andere, dunkle Seite in Jacks Wesen. Das Lösen heikler Aufgaben ist ihm genauso Job wie Sucht, denn sein ‚Handwerk‘ dient als Ventil für die ihm innewohnende Brutalität. Jack schlägt gern zu, auch wenn er sorgfältig darauf achtet, dass es nur diejenigen trifft, die es ‚verdienen‘. Das zu entscheiden, obliegt jedoch ihm, und in Momenten der Muße – die Jack nicht grundlos schwer erträglich findet – weiß er durchaus, dass er sich etwas vormacht. Das hat ihm zuletzt Gia sehr deutlich gesagt, nachdem sie hinter sein Doppelleben gekommen war.

Für einen Horrorroman erstaunlich ausführlich und ernsthaft beschäftigt sich „Die Gruft“ mit Jack und Gia, den beiden Königskindern, die einander nicht finden können, obwohl sie es doch so sehr wollen. In der Tat übertreibt es Wilson mit diesem beinahe seifenoperlichen Konflikt, dem sogar ein zweites Problemverhältnis – das von Jack und seinem Vater – folgt. Diese Passagen lassen sich überspringen, ohne dass die eigentliche Handlung davon beeinträchtigt wird – kein gutes Zeichen und ein Indiz dafür, dass ihr hier etwas übergestülpt werden soll, das nicht mit ihr harmoniert.

Wenn’s in diesem Bereich sogar faulig süßelt, so liegt es daran, dass Gias Töchterlein Victoria des Dreiecks letzte Seite bildet, deren offensiv kulleräugige Unschuld fürchterlich nervt. „Kleinkind in Gefahr“ – da schrillen bei jedem echten Gruselfreund die Alarmglocken, denn Kinder und Hunde, so lautet eine alte und kluge Hollywood-Weisheit, reißen die Aufmerksamkeit stets an sich. Das ist im Buch so wie im Film und wird als mechanisch zuverlässiges Handlungselement gern von faulen Autoren eingesetzt. Wilson möchte man solches Kalkül nicht unterstellen, weil er sich mit der Figurenzeichnung sonst große Mühe gibt. Dennoch würde niemand Vicky vermissen, wenn zwischen den Zeilen ein Rakosh sie sich greifen würde …

Gia DiLauro ist als „love interest“ ein Objekt der Begierde, das nicht wechselhaft umworben und gerettet werden will bzw. muss, sondern eine erwachsene Frau mit dem Problem, dass der Mann ihres Herzens alles andere als eine ’sichere Partie‘ ist. Mit den daraus resultierenden Fragen plagt sich Gia viele Seiten, was sie aber keineswegs daran hindert, sich aktiv in die finale Rauferei mit den Rakoshi einzumischen. Ohne Gia wäre Jack besser dran, so mag mancher Leser insgeheim denken, doch ihre Existenz prägt diesen Jack entscheidend.

Das ist auch deshalb wichtig, weil es Jacks Beziehung zu Kolabati bestimmt. Diese ist – damit verrate ich sicherlich kein Geheimnis – nicht diejenige, die zu sein sie Jack vorgibt. Er vermag sich trotz des ehrlichen Versuches nie vollständig auf sie einlassen und ahnt nicht, dass ihm das letztlich sein Leben als Individuum rettet.

Als wir Jack verlassen, sitzt er verlassen und schwer verletzt in seiner Wohnung. Er braucht dringend Hilfe, und 1984 blieb offen, ob er sie erhalten wird. Dieses offene Ende behielt Verfasser Wilson trotz zweimaliger Bearbeitung des Romans bei, weil es dramatisch und wirkungsvoll ist. Es verliert allerdings erheblich an Wirkung, wenn man um die lange Reihe der „Handyman-Jack“-Abenteuer weiß, die der „Gruft“ inzwischen gefolgt sind und noch folgen werden …

http://www.festa-verlag.de

_F. Paul Wilson auf |Buchwurm.info|:_
[„Das Kastell“ 795
[„Tollwütig“ 2375

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