Wilson, Robert Charles – Quarantäne

Spätestens seit sein Roman „Spin“ im Jahr 2006 den |Hugo Award| gewann, ist der 1953 in Kalifornien geborene Robert Charles Wilson auch in Deutschland in aller Munde; der direkte Nachfolger „Axis“ erscheint im April 2008 in deutscher Übersetzung. Als „Das neue phantastische Abenteuer vom Autor des Bestsellers ‚Spin'“ wird „Quarantäne“ etwas zu vollmundig auf dem Buchrücken angepriesen, auch in der Gestaltung des Umschlagbildes zeigt man sich sichtlich von diesem inspiriert. Hingegen handelt es sich nur um die Übersetzung des bereits 2003 erschienen Romans „Blind Lake“, der immerhin für den |Hugo| 2004 nominiert war, sich aber nicht gegen Lois McMaster Bujolds [„Paladin der Seelen“ 973 durchsetzen konnte.

Die Handlung von „Blind Lake“ / „Quarantäne“ lässt sich schnell zusammenfassen; sie teilt sich in einen eher geringen Science-Fiction-Anteil und ein weitaus größeres Beziehungsdrama, das durch die Quarantäne der im Norden Minnesotas am namensgebenden Blind Lake gelegenen Forschungsstation verschärft wird. Dort beobachtet die Xenobiologin Marguerite Hauser eine fremde (als „das Subjekt“ bezeichnete) Lebensform auf UMa47/e. Das „Auge“ genannte Gerät besteht aus drei heliumgekühlten Zylindern, in denen sich Einstein-Bose-Kondensate befinden. Diese Quantencomputer wurde ursprünglich eingesetzt, um Rauschen und Verzerrungen des Galileo-Arrays (ein Riesenteleskop im Orbit um den Jupiter) auszugleichen, was sie mit unheimlicher Brillanz zu leisten vermochten. Eines Tages schaltete man das Array ab – und die um eine organische Komponente angereicherten O/BEK genannten Quantencomputer lieferten trotzdem noch perfekte Bilder ferner Welten. Wie das funktioniert, bleibt ein Rätsel, niemand versteht die O/BEKs wirklich, dennoch nutzt man sie, um ferne Welten zu beobachten. Man hat es sogar geschafft, das „Auge“ darauf zu trainieren, dem von Marguerite beobachteten Subjekt zu folgen.

Urplötzlich wird Blind Lake unter Quarantäne gestellt, niemand erfährt wieso. So wird der aufgrund eines kritischen Artikels zu Unrecht in Verruf geratene und verbitterte Journalist Chris Carmody mit Marguerite Hauser, ihrer Tochter Tess und ihrem tyrannischen, fiesen und paranoiden (ja, ein Unsympath, wie er im Buche steht …) Ex-Mann Ray Scutter, der ebenfalls an dem Projekt beteiligt ist, eingeschlossen. Ray ist jedes Mittel recht, Marguerite zu verunglimpfen, um Punkte im schwelenden Sorgerechtstreit um Tess zu sammeln. Diese bereitet ihrer Mutter Sorgen, denn sie sieht wieder „Mirror Girl“, ein Spiegelbild ihrer selbst, das mit ihr redet und sie seltsame Dinge tun lässt. Deswegen war sie schon einmal in psychologischer Behandlung – für Ray der Beweis, dass Marguerite sich mehr um das außerirdische „Subjekt“ kümmert als um ihre Tochter. Mit zunehmender Dauer der Quarantäne entwickelt sich Chris zum Ersatzvater für Tess, es knistert zwischen ihm und Marguerite, was den überreizten Ray zur Weißglut bringt.

_Zu viel Quarantäne-Thriller, viel zu wenig Science-Fiction_

Von Wilson bin ich ein Übermaß an Ideen und scharfsinnigen Beobachtungen gewohnt, wie in den [„Chronolithen“ 1816 oder in „Spin“, bei denen das persönliche Schicksal der Helden eng mit der Handlung verbunden ist. Doch „Quarantäne“ bricht mit diesem Schema und setzt andere Schwerpunkte. Der Science-Fiction-Anteil ist geradezu erbärmlich, die auch von Wilson verständlicherweise kaum erklärten, O/BEKs genannten „Quantencomputerteleskope“, mit denen man Aliens sogar auf der Toilette beobachten kann, werden bei weitem nicht so sehr genutzt, wie der Klappentext reißerisch mit „Lebewesen, die eines Tages bemerken, dass sie beobachtet werden – und sich erheblich gestört fühlen …“ suggerieren möchte. Das „Subjekt“ hat einen festen und sehr langweiligen Alltagsrhythmus, zudem beobachtet Wilson nicht die Aliens oder kümmert sich darum, wie diese Beobachtung funktionieren könnte. Er zielt darauf ab, dass Menschen mit Geräten herumspielen, die sie nicht im Geringsten verstehen, und beobachtet stattdessen das Verhalten verschiedener Charaktere in Extremsituationen, wie eben einer unbegründeten Quarantäne; etwas Ähnliches hat er in größerem Maßstab bereits in den „Chronolithen“ getan.

Der Roman ist eher aufgebaut wie ein Thriller – wie und was beobachtet wird, worum es überhaupt geht und warum Chris Carmody von vielen Wissenschaftlern wie ein Aussätziger behandelt wird, das wird alles erst nach und enthüllt. Vielleicht etwas zu langwierig, denn ich konnte dem Beziehungsdrama um Marguerite, Ray, Chris und Tess wenig abgewinnen und wartete vergeblich auf einen Schwenk in Richtung Science-Fiction. Obwohl die Charaktere relativ glaubwürdig gezeichnet werden, wirken sie schablonenhaft; insbesondere Ray wird von vorneherein als unsympathischer Mensch mit Hang zur Paranoia dargestellt. Tess und „Mirror Girl“ stellen das Element des Unheimlichen in dieser Dreiecksbeziehung dar, denn Letztere ist, wie unschwer zu vermuten, mehr als nur das Phantasieprodukt eines Kindes.

Die Übersetzung ist Karsten Singelmann insgesamt sehr gut gelungen; Wilsons recht schlichter und umgangssprachlicher Stil wurde perfekt in sein deutsches Äquivalent übertragen. Eine „muskrat“ wörtlich mit „Moschusratte“ anstelle von „Bisamratte“ zu übersetzen, sollte dennoch nicht passieren, hier hätte er ruhig einmal zum Wörterbuch greifen sollen.

_Fazit:_

„Quarantäne“ ist ein gut gelungener Thriller mit nur sehr wenigen SciFi-Elementen. Für Wilson untypisch, können die Charaktere in der Regel überzeugen und erregen Anteilnahme, mit Ausnahme des überzeichneten Ray Scutter. Leider geht in dem Beziehungsdrama der ohnehin geringe und sehr magere Science-Fiction-Anteil der Geschichte völlig unter. Ein klarer Fall von Etikettenschwindel – wer einen Nachfolger von [„Spin“ 2703 oder ganz allgemein Science-Fiction erwartete, wird mit diesem Beziehungsthriller wenig Freude haben.

http://www.heyne.de

_Robert Charles Wilson auf |Buchwurm.info|:_
[„Spin“ 2703
[„Die Chronolithen“ 1816
[„Darwinia“ 92
[„Bios“ 89

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