Wolf, Inger – Spätsommermord

Nachdem Kurt Wallander sich zur Ruhe gesetzt hat, muss ein neuer, knorriger Ermittler aus Skandinavien her, der diese Lücke ausfüllen kann. Die Dänin Inger Wolf hatte dies sicherlich nicht im Hinterkopf, als sie ihren Krimi „Spätsommermord“ schrieb. Dennoch wirkt ihr Kommissar Daniel Trokic in gewisser Weise wie ein Nachfolger des deprimierten Mannes aus Ystadt.

Doch Daniel Trokic ist nicht alleine. Ihm zur Seite steht die junge, unkonventionelle Lisa Kornelius, die eigentlich Computerexpertin bei der Polizei ist, sich aber wünscht, endlich mehr in die wirklichen Ermittlungen eingebunden zu werden. Dazu hat sie die Möglichkeit, als man im Herbst eine nackte Frauenleiche in einem abgelegenen Waldstück findet, auf deren Torso eine Schierlingsblüte platziert wurde. Ihre Kehle wurde durchgeschnitten, aber anfangs ist nicht klar, wieso ausgerechnet sie Opfer eines Verbrechens wurde.

Anna Kiehl war Studentin und alleinerziehende Mutter eines kleinen Sohnes. Weil sie ihre Meinung gerne offen kundgetan hat, hat nicht jeder sie gemocht, aber keiner hatte Grund, sie umzubringen. Erst als sich nach der Obduktion herausstellt, dass sie erneut schwanger war, ergibt sich eine erste Spur. Wer war der Vater des Kindes, wo doch alle Zeugen aussagten, dass sie keinen Freund hatte? Auf bloßen Verdacht hin lässt Trokic den Tümpel untersuchen, in dessen Nähe Anna Kiehls Leiche gefunden wurde. Tatsächlich finden Taucher einen weiteren Toten: Christoffer Holm, einen erfolgreichen und leidenschaftlichen Chemiker. Es stellt sich heraus, dass er der Vater von Annas Kind war und auch ihr Freund. Doch das Motiv bleibt unklar. Die Ermittler stochern im Nebel herum und merken nicht, dass sie dem Mörder dabei sehr nahe kommen. Gefährlich nahe …

Kriminalromane aus Skandinavien sind beileibe nichts Neues mehr, und so verwundert es nicht, dass die Erwartungshaltungen an „Spätsommermord“ nicht unbedingt hoch waren. Tatsächlich wirkt das Buch anfangs so, als ob es zwar gehaltvoll geschrieben und spannend wäre, mehr aber auch nicht – typisch skandinavisch eben. Allerdings entwickelt die Geschichte mit der Zeit doch etwas Eigenes. Sie wird zunehmend spannend und die anfängliche Distanziertheit lässt nach. Ihr größter Pluspunkt ist die interessante und authentische Umsetzung der trockenen Polizeiarbeit. Gerade was Lisas Arbeit am Computer angeht, gewährt Wolf immer wieder interessante und lehrreiche Einblicke. Gleichzeitig serviert die Autorin ihren Charakteren die Lösung des Falls nicht auf dem Silbertablett. Sie hangeln sich mehr oder weniger an Zufällen und blinden Verdachtsmomenten entlang, was das Ganze sehr realistisch wirken lässt. Wolf stellt keine Superhirne in den Mittelpunkt ihres Buches, sondern normale und bodenständige Charaktere.

Allen voran natürlich Daniel Tropkic, der, wie die anderen Figuren auch, eine interessante Vergangenheit aufweist. Dank dieser ist er ein vielschichtiger Mensch, der nicht bloß seine Funktion als Ermittler erfüllt. Er weist zwar nicht die Intensität eines Kurt Wallanders auf – dafür fehlt es ihm an tiefgründigen Gedankengängen und gesundheitlichen Problemen -, hat aber durchaus Entwicklungspotenzial. Gleiches gilt für Lisa, die ebenfalls einige interessante Züge aufweist. Sie ist frei von Klischees und gefällt durch ihre manchmal forsche Art. Jedoch hat man bei ihr ebenfalls das Gefühl, dass ihre Möglichkeiten noch nicht völlig ausgeschöpft sind. Das gilt auch für die Nebenfiguren, vor allem bezüglich der Mordfälle. Sowohl von der Intensität als auch von der Atmosphäre eines Henning Mankell ist Inger Wolf noch ein Stück entfernt.

Der Schreibstil wirkt kühl und distanziert, wie es das Cover des Buchs bereits erahnen lässt. Das wird Inger Wolf an einigen Stellen zum Verhängnis, denn obwohl sie flüssig und abwechslungsreich schreibt, springt der Funke zu selten über, um echte Begeisterung beim Leser hervorzurufen. Wie auch bei den Charakteren fehlt es an einem entsprechenden Vibe, der „Spätsommermord“ zu einem Pageturner machen würde.

Im direkten Vergleich mit Henning Mankell, dem Großmeister des skandinavischen Krimis, zieht Inger Wolf den Kürzeren. Dafür ist ihre Geschichte ein wenig zu eindimensional, zu distanziert und zu kühl. Dennoch ist „Spätsommermord“ spannend, handwerklich gut und weiß mit dem einen oder anderen Detail zu punkten. In Anbetracht der Tatsache, dass Inger Wolfs Schrifstellerkarriere gerade erst begonnen hat – das vorliegende Buch ist ihr zweites -, dürfte von ihr aber sicherlich noch einiges zu erwarten sein.

|Originaltitel: Sort sensommer
Übersetzt von Cathrin Frischer
Taschenbuch, 316 Seiten|
http://www.ullstein-taschenbuch.de

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