Wooding, Chris – Welt aus Stein

_Orna ist Angehörige des Kaders_ vom Clan Caracassa. Aber selbst mit ihren überragenden Fähigkeiten im Kampf konnte sie nicht verhindern, dass sie vom Feind gefangen genommen wurde. Nun sitzt sie im Kerker einer Festung, leistet Zwangsarbeit und schwebt ständig in Gefahr, auf dem Seziertisch eines Chirurgen zu landen. Doch Orna wäre kein Kader, wenn sie nicht vorhätte, diesen Zustand zu ändern …

_Wie es sich für eine gelernte Killerin gehört_, ist Orna kaltblütig, schnell und gründlich. Das heißt aber nicht, dass sie keine Gefühle besäße. Tatsächlich hat sie – ungewöhnlich für einen Kader – nicht nur einen Ehemann, sondern auch einen Sohn, und sie hängt sehr an beiden. Würde ihr Beruf sie nicht so oft von Zuhause fortführen, könnte sie sich fast glücklich nennen. Doch wenn ihr Herr sie ruft, muss sie gehorchen, denn sie ist eine Gebundene.

Ledo, das Oberhaupt des Clans Caracassa, ist Ornas Herr. Und bisher kann er sich nicht über Ornas Dienste beklagen. Trotzdem betrachtet er ihre Mutterschaft mit Skepsis. Denn der Mann ist Politiker, in jeder Beziehung. Er nimmt nicht nur massiv Einfluss auf die Entscheidungen der Regierung, er betreibt auch im Interesse des Konzerns, den er leitet, regelrecht Heiratspolitik, und natürlich stellt sein Clan auch Soldaten für den Krieg. Ledo ist ein kühler Pragmatiker, dem das Konfliktpotenzial von Ornas Leben als Kader auf der einen und Ehefrau und Mutter auf der anderen Seite durchaus nicht entgangen ist. Aber wenn er sich auch sonst von niemandem dreinreden lässt, auf die Bitten seiner Schwestern hört er gelegentlich.

Liss und Casta sind Zwillinge und aufgrund ihrer adligen Herkunft verwöhnt, egozentrisch und ziemlich überdreht. Das gilt vor allem für Liss mit ihrem ausgeprägten Faible für Melodramatik und Kitsch. Die Schwestern hängen wie Kletten aneinander, und aus irgendeinem Grund mögen sie Orna, sodass Orna sie gelegentlich um Fürsprache bei Ledo bittet.

Mir hat die Charakterzeichnung ausgesprochen gut gefallen. Ledo gibt nicht ganz so viel her, da er nicht so oft persönlich auftaucht. Aber Ornas Entwicklung von der kühl berechnenden und planenden Assassine hin zu einer gefühlsbeherrschten, verzweifelten Mutter ist sehr gut gelungen, und auch Liss und Casta sind nicht nur lebendig und glaubwürdig geraten, sondern regelrecht hintergründig.

_Dasselbe lässt sich auch über die Handlung sagen._ Chris Wooding erzählt in zwei Handlungssträngen. Einer spielt in der Vergangenheit und wird in Rückblenden erzählt. Er befasst sich hauptsächlich mit dem Teil von Ornas Leben, der sich außerhalb ihres Berufes abspielt: ihrer Ehe, ihrer Familie, später auch mit ihrer Ausbildung – wobei hier das Augenmerk weniger auf dem schulischen Teil liegt als auf der Tatsache, dass sie dort ihren Mann kennengelernt hat – und mit ihrer Kindheit. Nur zwei dieser vergangenen Szenen befassen sich mit Aufträgen, die sie für ihren Herrn ausgeführt hat.

Der andere Strang wird in der Zeitform der Gegenwart erzählt und trägt die eigentliche Handlung, die zunächst hauptsächlich im Kerker der feindlichen Festung spielt. Der Autor lässt sich hier durchaus Zeit, baut zunächst einmal die Situation und die Figuren im Kerker auf, ehe er die Protagonistin aktiv werden lässt. Die Vorbereitungen zum Ausbruch drehen bereits ein spürbares Stück an der Spannungsschraube, sodass der Leser überrascht feststellt, dass er zum Zeitpunkt von Ornas Flucht bereits das halbe Buch gelesen hat.

Der eigentliche Plot kommt aber erst in die Gänge, als Orna wieder in ihre Stadt Veya zurückgekehrt ist. Hier vermischen sich die Handlungsstränge allmählich, wirkt sich die Vergangenheit spürbar auf die Gegenwart aus. Und erst hier nimmt der Name Belek Aspa, der im Kerker so beiläufig fiel, eine konkrete Bedeutung an. Nun strafft sich der Spannungsbogen kontinuierlich immer weiter bis zum Showdown, der dann eine ziemlich dramatische Wendung nimmt.

_Die Welt_, in der die Geschichte spielt, wirkt ausgesprochen extravagant. Die meisten Menschen bewohnen ein ausgedehntes Höhlensystem voller Tropfsteine, Lava, phosphoreszierender Algen und Scharen von Pilzen, bevölkert mit Fledermäusen, Echsen, Insekten und noch weit seltsameren Kreaturen. Nur wenige Menschen leben als Nomaden an der lebensfeindlichen Oberfläche, wo nur wenige Täler und Spalten genug Schutz vor den beiden gnadenlosen Sonnen bieten, um Leben zu ermöglichen. Sie als Einzige befinden sich so weit am Rand, dass sie nicht von den Lebensumständen im Innern betroffen sind. Denn dort herrscht seit Jahren Krieg zwischen den Gurta und den Eskaranern.

Für die Eskaraner sind die Gurta religiöse Fanatiker, die ihre Frauen unterdrücken und kleine Kinder stehlen, um sie zu versklaven. Die Gurta hingegen verachten die Eskaraner als gierig und käuflich, bar jeder Moral und jedes sittlichen Empfindens. Nirgendwo wird erwähnt, wann und aus welchem Anlass dieser Konflikt begann. Doch da ein Teil der Eskaranischen Clans gut am Krieg verdient, und da die Gurta die Eskaraner als wilde Tiere betrachten, die es auszurotten gilt, scheint vorerst kein Ende in Sicht.

Chris Wooding geht nicht im Detail auf die Aspekte dieser Welt ein. Dennoch gelingt es ihm, nicht nur die ungewöhnliche Umgebung recht stimmungsvoll in Szene zu setzen, sondern auch die beiden unterschiedlichen Kulturen auf interessante Weise einander gegenüberzustellen. Denn stehen zunächst die Grausamkeiten der Gurta im Vordergrund – Zwangsarbeit, Menschenversuche, Diskriminierung der Frauen -, so zeigen sich im weiteren Verlauf auch immer deutlicher die Unmenschlichkeiten im System der Eskaraner – Geld- und Machtgier, mafiöse Strukturen, Verrat -, und das Bezahlen von Schulden oder geleisteten Gefälligkeiten durch Leisten eines Bindungseids entpuppt sich nur zu bald als nichts weiter als eine andere Form der Sklaverei.

Den eigentlichen Kontrast hierzu bildet letztlich die Kultur der Nomaden an der Erdoberfläche, wo ein Überleben nur möglich ist durch Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung.

_Ich muss sagen_, ich fand das Buch schlicht klasse! Hier passt wirklich alles, von der Charakterzeichnung über den Aufbau bis hin zur Ausstattung. Selbst das Cover gibt die Beschreibung der Höhlenwelt treffend wieder, sehr gelungen. Allein das Lektorat war nicht ganz so perfekt und hat zu Beginn ein paar kleine Tippfehler übersehen. Trotzdem: sehr lesenwert!

_Chris Wooding_, Jahrgang 1977, gehört zu denjenigen, die schon als Kinder wussten, dass sie einmal Schriftsteller werden wollen. Mit neunzehn wurde sein erstes Buch „Crashing“ veröffentlicht. Während seines Literaturstudiums schrieb er weiter, und als er von der Uni kam, konnte er bereits von seiner Tätigkeit leben. Unter seinen Büchern finden sich Fantasy und Horror ebenso wie Jugendbücher und politische Themen. Auf Deutsch sind unter anderem die Trilogie |Der verschlungene Pfad| sowie „Poison“ und „Alaizabel Cray“ erhältlich.

|Originaltitel: The Fade
Ins Deutsche übertragen von Dietmar Schmidt
443 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-404-20599-8|

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[„Die Weber von Saramyr“ 1546 (Der verschlungene Pfad 1)
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