A. E. van Vogt – Die Expedition der Space Beagle

SF-Klassiker mit zahlreichen Schönheitsfehlern

Mit einer tausendköpfigen Besatzung fliegt die „Space Beagle“ erstmals zu einer benachbarten Galaxie – M33 im Sternbild Andromeda. Bei der Durchquerung der Milchstraße, Lichtjahrtausende von der Erde entfernt, treffen die Forscher auf Coeurl, das Katzenwesen mit den wichtigen Tentakeln; auf die vogelähnlichen Riim; auf Ixtl, ein überlebendes Geschöpf einer kosmischen Katastrophe.
An ihrem Ziel aber erwartet sie eine noch schicksalhaftere Konfrontation – mit der Anabis, einer gasförmigen Intelligenz von der Ausdehnung eines galaktischen Nebels. Dabei fällt Elliott Grosvenor, der die Integrationswissenschaft des Nexialismus vertritt, eine entscheidende Rolle zu… (Verlagsinfo)

Die vorliegenden vier klassischen SF-Erzählungen, die den Roman bilden, liegen mitunter erstmals in der Originalfassung vor und werden vom Van-Vogt-Experten Rainer Eisfeld kommentiert.

Der Autor

Der 1912 im Winnipeg geborene und im Januar 2000 verstorbene Kanadier Alfred Elton van Vogt war einer der wichtigsten Autoren des Goldenen Zeitalters der Science Fiction, das nur fünf bis sechs Jahre, von 1939 bis 1944/45, währte. Er ist ein typischer Pulp-Magazin-Autor: Seine Kapitel sind serienkompatibel und kurz, seine Charaktere schematisch und sein Plot das reinste Zickzack bis zur Widersprüchlichkeit.

Durch den frühen Tod seines Vaters musste van Vogt schon früh von der Schule angehen und sich als Gelegenheitsarbeiter verdingen, bis er dann 1931 mit 19 Jahren sein erstes Produkt veröffentlichte, ein Prostituierten-Melodram. Seine erste Science-Fiction-Story war die an John W. Campbell geschulte Erzählung „Vault of the Beast“, aber seine erste veröffentlichte Science-Fiction-Story erschien erst im Juli 1939 in Campbells „Astounding Science Fiction“: „The Black Destroyer“ ist die erste und beste Story des bekanntesten Episoden-Romans van Vogts: „Die Expedition der Space Beagle“ (1950; „Beagle“ hieß das Schiff, auf dem Charles Darwin mitsegelte) – eine phantasiereiche Erforschung der gefährlichen Wunder, die das Universum für uns bereithält.

Aus dem Zusammenhang der Genre-Entwicklung und seiner wirtschaftlichen Zwänge (Groschenhefte, Papiermangel während des Krieges, miese Bezahlung) wird klar, dass van Vogt nur so gut oder schlecht schrieb, wie es der Markt zuließ. Asimov und Heinlein, seine größten Konkurrenten wussten sich a) besser zu verkaufen und hatten b) (vielleicht) die besseren Ideen. Asimov hat dies immer bestritten. Anno 1939, als Van Vogt und heinlein bereits als Stars am SF-Himmel strahlten, war er gerade mal ein aufstrebender Jungspund von 19 Jahren.

Im 2. Weltkrieg erschienen die zwei ersten Null-A-Bände in Magazinen, wurden aber heftig ob ihrer Unlogik kritisiert, besonders von Damon Knight. 1970 endlich überarbeitete van Vogt die Bücher gründlich, doch kam er erst kurz vor seinem Tod dazu, den dritten Band zu schreiben. Als Trilogie bilden die Null-A-Bücher eines der wegweisenden, aber keineswegs unumstrittenen Werke der Science Fiction. Einen weiteren, wesentlich lesbareren Zyklus bilden die Ischer-Publikationen, nämlich zwei Romane und zwei Erzählungen: „Die Wippe“ (1941), „Der Waffenladen“ (1942) sowie die Romane „Die Waffenläden von Ischer“ (1941-42/51) und „Die Waffenschmiede“ (1943/46).

Van Vogt zeigt sich in den meisten seiner Geschichten als literarisch ziemlich unbedarfter Autor, mit einem schlechten Stil und kaum in der Lage, glaubwürdige Charaktere zu entwickeln (seltene Ausnahme: der Mutantenroman „Slan“, 1946). Seine Vorliebe für Größenwahn, Supermänner und feudalistische Gesellschaftsformen machten ihn bereits früh zu einem umstrittenen Autor, der von Herausgeber Damon Knight mit dem vernichtenden Urteil „kosmischer Bauspekulant“ (in „In Search of Wonder“) belegt wurde.

Immerhin: Knight bedauerte später sein einseitiges Urteil. Und Arthur Jean Cox kommt in seinem Autorenporträt in „Welten der Wahrscheinlichkeit“, 1983 herausgegeben von Ronald M. Hahn (Ullstein-Taschenbuch) zu einem ausgewogenen Urteil, kritisiert van Vogt aber wegen seines Engagement für die Dianetik (heute: Scientology). Van Vogt teilte sein Interesse allerdings mit seinem Herausgeber John W. Campbell.

DIE ERZÄHLUNGEN

1) Schwarzer Verheerer (Black Destroyer, 07/1939)

Coeurl ist ein intelligentes tigerartiges Raubtier, das auf seiner Welt bereits sämtliche Beutetiere ausgerottet hat – Beutetiere, die Coeurl das kostbare „Id“ liefern. Wie sich später herausstellt, handelt es bei Id um Phosphor. Coeurl lebt auf einer abgelegenen Welt, wo vor Äonen ein Krieg sämtliche Städte zerstört und die Bevölkerung getötet hat.

Deshalb ist die Landung eines Forschungsschiffes von der Erde gleichsam ein Geschenk des Himmels für den Räuber: hundert ahnungslose Wesen mit ungeheuren Mengen an Id! Es sind zumeist harmlose Wissenschaftler und unter ihnen ist nur der misstrauische Chemiker Kent bewaffnet. Die Biologen sind hingerissen von der fremdartigen Anatomie – ein Tiger mit Tentakeln – und Körperchemie Coeurls und bringen ihn an Bord ihres Schiffes.

Doch als in den Ruinen der Stadt ein Besatzungsmitglied tot aufgefunden wird, kommt ein böser Verdacht auf. Der Kollege wurde regelrecht zerfetzt, sein Fleisch jedoch nicht angerührt. Alles, was fehlt, ist Phosphor. Es kommt zu einem heftigen Streit, wie man sich gegenüber einer solchen Bedrohung zu verhalten hat. Der Archäologe Korita hat eine seltsame Theorie, auf welcher Zivilisationsstufe sich Coeurl befinden könnte.

Commander Morton lässt den schwarzen Tiger mit den erstaunlichen Fähigkeiten nun doch lieber in einen Käfig einsperren und verlässt den Planeten. Doch die Gefahr durch Coeurl ist keineswegs gebannt. Ganz im Gegenteil…

Mein Eindruck

„Diese Story traf die Leser von Astounding wie ein Hammerschlag“, meint Asimov. Recht hat er. Sie ist einfach unvergesslich.

Die Story funktioniert auf mehreren Ebenen und ist deshalb immer noch interessant. Obwohl die Erdenmenschen über fortschrittliche Atomtechnik verfügen, gelingt es ihnen nicht, Coeurl zu besiegen. Denn der schwarze Tiger beherrscht etwas, was sie nicht können: Energiemanipulation. Er ist ein lebender Energieumwandler, der auf diese Weise auch die Kräfte zerstören kann, die härtesten Stahl zusammenhalten. Natürlich ist er auch rasend schnell. Hinzukommt, dass Coeurl Frequenzen wahrnimmt, zu denen Menschen nicht fähig sind, wohl aber Maschinen. Daher kann er auch Maschinen manipulieren. Zum Glück gibt es wenigstens eine Technik, die Coeurl nicht kennt: Antibeschleunigung…

Wie erwähnt, hat der Archäologe eine Theorie, auf welcher Zivilisationsstufe sich Coeurl befinden könnte. Es ist die des Barbaren, der eine hochentwickelte Zivilisation wie Rom, Ägypten oder China angreift und dabei unweigerlich scheitert – es sei denn, diese Zivilisation wäre wie das alte Rom des 5. Jahrhunderts bereits so dekadent und marode, dass es nur noch eines kleinen Stupsers bedarf, um sie zu Fall zu bringen. Als Verkörperung der Hochkultur müssen die Forscher nun zeigen, dass sie dieser Stellung würdig sind. Gelingt ihnen dies nicht, so wird Coeurl seine Artgenossen zusammenrufen und sie gegen die Erde führen, deren Position er nun kennt.

Die dritte Frage ist natürlich: Lässt sich ein Coeurl mit H.R. Gigers Alien-Kreatur vergleichen? Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass es nur sehr geringe Gemeinsamkeiten gib: die Eroberung eines fremden Menschenschiffes, die Auslöschung fast aller seiner Insassen, ein unersättlicher Hunger, ein ebenso tiefer Hass und eine gewisse Intelligenz, die das Wesen so gefährlich macht. Der wichtigste Unterschied ist der, dass Gigers Aliens eine staatenbildende Quasi-Insektenrasse sind, die von einer Königin geführt und verbreitet wird. Demgegenüber ist Coeurl ein Einzelgänger, der von Staaten – zumindest in seiner aktuellen Entwicklungsstufe – keine Ahnung hat. Die Ähnlichkeit mit dem Giger-„Alien“ wird allerdings in „Misston in Scharlach“ noch größer…

In der vorliegenden textkritischen Romanfassung tritt Elliott Grosvenor als Nexialist auf und fügt der Handlung einen ganz speziellen Aspekt hinzu. Er wird in „M33“ eine entscheidende Rolle spielen. Neben Direktor Morton tritt in der Romanfassung ein Militärkommandant namens Captain Leeth auf, der öfters die Initiative ergreift.

Außerdem verblüfft schon in dieser Geschichte der Autor seinen Leser mit dem Prinzip der Anti-Akzeleration: Diese Technologie erlaubt die Aufhebung des von Isaac Newton eingeführten Prinzip des Impulserhalts – alle Objekte verhalten sich ihrer Trägheit gemäß und können nicht einfach von jetzt auf gleich gestoppt werden. Hier geht das ! Die Folgen sind verblüffend.

2) Nervenkrieg (War of Nerves, 1950)

Elliott Grosvenor, der Nexialist bzw. interdisziplinäre Forscher, hat zusammen mit dem Archäologen Korita Coeurl besiegt. Das verhilft ihm aber keineswegs zu erhöhter Anerkennung, höchstens bei Direktor Morton. Als er seine Ablehnung bekundet, den Chemiker Kent zum nächsten Direktor zu wählen, bekommt er die Folgen des ewigen Krieges zwischen Wissenschaftsabteilungen zu spüren: Die Chemiker übernehmen kurzerhand alle seine Räume an Bord. Direktor Morton erklärt sich für neutral und lässt ihn hängen.

Doch ein Nexialist ist nie mittel- und wehrlos. Seine verlässlichste Waffe ist die Hypnose, und so macht er sich daran, einen der Eindringlinge nach dem anderen unter seinen Willen zu zwingen – vorgeblich, um sie besser in ihrem eigenen Fach unterrichten zu können. Natürlich kommt ihm Kent auf die Schliche und Morton stellt ihn zur Rede. Er verspricht, brav zu sein.

Da trifft ein fernhypnotischer Angriff das Schiff unvorbereitet. Jeder, der zum Bullauge hinausschaut, bekommt eine hypnotische Botschaft vermittelt, die ihn unter einen fremden Willen zwingt. Nur unser wackerer Nexialist ist gegen Hypnose gefeit. Grosvenor meint, das doppelte Gesicht einer Frau (von denen keine einzige an Bord ist) zu erblicken, doch bei genauerem Hinsehen scheint es sich vielmehr um ein Vogelwesen zu handeln.

Grosvenor rettet Korita vor dem fremden Willen, während überall an Bord unterdrückte Aggressionen in Gewalt umschlägt. Eine Kursänderung bringt die „Space Beagle“ auf Kollisionskurs mit einer Sonne – in höchstens elf Stunden ist das Raumschiff nur noch Geschichte.

Die beiden Wissenschaftler schließen sich ein. Mit Hilfe einer telepathischen Vorrichtung nimmt Grosvenor eine geistige Verbindung mit den Aliens auf, die sich Riim nennen. Er muss ihnen klarmachen, was ihre „freundliche Begrüßung“ an Bord bewirkt hat…

Mein Eindruck

Dies ist eine der ersten ernstzunehmenden Schilderungen von telepathischem Kontakt zwischen Fremdwesen im intergalaktischen Raum. Ernstzunehmend deshalb, weil hierfür eine technische Apparatur unter den Vorgaben einer fiktiven Wissenschaft eingesetzt wird, dem interdisziplinären Nexialismus.

Wieder einmal jedoch muss Oswald Spenglers zyklisches Geschichtsbild, das er in „Der Untergang des Abendlandes“ formulierte, dafür herhalten, den Entwicklungsstand der Aliens zu bestimmen. Eine Kultur, die sich nur per Telepathie verständigt, ist gleichmacherisch und stagniert in ihrer Entwicklung. Sie ist sich ihrer Gewissheiten sicher, denn alle denken ja quasi dasselbe. Doch nun muss ein Außenstehender ihnen klarmachen, dass diese vermeintlichen Gewissheiten nur für sie gelten, aber nicht im Rest des Universums. Was für die Riim gilt, dürfte die Menschen des Jahres 1950 umso mehr gelten.

Der Kontaktversuch gelingt, die Riim brechen den hypnotischen Bann ab und Grosvenor kann den Kurs ändern. Doch dann beginnt die traurige Arbeit, die Opfer der eigenen, menschlichen Aggression zu bestatten. Eine Warnung vor der Atom- und der Wasserstoffbombe?

3) Misston in Scharlach (Discord in Scarlet, 12/1939)

Ixtl ist der letzte seiner Rasse und schwebt seit Äonen im leeren Raum zwischen den Galaxien. Da treffen seine vier Arme und vier Beine auf feste Materie: hartes Metall, unter dem sich Energie und Leben verbergen. Es ist das Raumschiff „Space Beagle“. Als ein kleiner Trupp Astronauten eine Reparatur an der Außenhülle vornimmt, wird Ixtl entdeckt und eingefangen. Doch vor den Augen der entsetzten Astronauten sinkt das Wesen durch den Boden und verschwindet im Schiffsinneren. Was tun?

Nun beginnt eine merkwürdige Diskussion unter den Forschern, was das scharlachrote Wesen, das der Hölle entsprungen zu sein scheint, vorhaben könnte. Als ein Mann nach dem anderen verschwindet, tippt der Archäologe Korita richtig: Es versucht sich, auf ungewöhnliche Weise fortzupflanzen. Wie ungewöhnlich, schildert uns der Autor: Ixtl die in seinem Körper mitgebrachten Eier in jeden gelähmten Körper, damit aus den Eiern Larven schlüpfen und sich vom umgebenden Fleisch des Wirts ernähren können. So machen es die Schlupfwespen auf der Erde.

Doch wie soll man diesen Horror bekämpfen, lautet die nächste Frage. Grosvenor schlägt Strom vor, unter den man verschiedene Decks setzen soll, denn davor schreckt das Monster zurück. Der Plan klappt, doch fordert er weitere Opfer, als die Besatzungsmitglieder angesichts Ixtls Höllengestalt in Panik geraten und aufeinander feuern…

Mein Eindruck

Diese Novelle vom Dezember 1939 bildete zweifellos die Vorlage für Dan O‘Bannons Drehbuch zu „Alien“ (1979). Im Plagiatsprozess bekam der Autor denn auch in einem Vergleich 50.000 Dollar zugesprochen. Das Vorwort geht auf diesen Vorgang detailliert ein, u.a. indem es die Textpassagen vergleicht. Vor allem geht es um den Vorgang des Eierlegens nach Schlupfwespenart und um den „Chestburster“, eines der vier Entwicklungsstadien des Film-Alien. Nur im Film ist auch der Legestachel zu sehen; im Buch macht Ixtl das Legen noch manuell – wohl ein Zugeständnis an die Zensur.

Die Ähnlichkeit des Plots zu „Black Destroyer“ ist auffallend, und der Autor tat gut daran, in der vorliegenden Romanfassung eine viel später (1950) entstandene Story zwischenzuschalten, damit das nicht so auffällt. Auch hier kommt die vermaledeite, zyklische Geschichtstheorie Oswald Spenglers wieder zum Tragen. Korita ordnet Ixtl in die „bäuerliche“ Phase eines Geschichtszyklus ein, also ganz am Anfang. Das erklärt den Fortpflanzungsdrang des Wesens: Es will sich vermehren. Sollte ihm dies gelingen, so sieht es für die Zukunft der Menschheit im Weltraum schlecht aus: Sie würde nur als eine Menge von Wirtskörpern dienen.

4) M33 im Sternbild Andromeda (M33 in Andromeda, 1943)

Hinweis: Im Sternbild Andromeda gibt es den wohlbekannten Andromeda-Nebel, aber der heißt M31. M33 hingegen befindet sich im Südlichen Dreieck (Triangulum). Der Irrtum geht auf den Autor zurück.

Grosvenor hört Stimmen. Tritt er aber vor die Tür seiner Kabine, sieht er auch noch Visionen. Schon wieder ein Angriff der Riim? Nein, es ist viel schlimmer. Während einer ersten Lagebesprechung erscheint aus dem Nichts große Reptilien, die unsereins besser als Dinosaurier bekannt sind. Sie richten beträchtlichen Schaden, bevor die Besatzung sie erledigen kann. Grosvenor ergreift ungebeten die Initiative und drückt den Knopf, der den Schutzschirm aus Energie um das Schiff legt.

Das verschafft der Besatzung eine Verschnaufpause, doch nun trifft den Nexialisten der geballte Zorn des Stellvertretenden Direktors, seines ewigen Widersachers Kent von der chemischen Abteilung. Der hindert Grosvenor, unter Wahrung der Formen, daran, seinen Job zu machen. Während die anderen Abteilungen Proben von den Welten des nächsten Sternsystems nehmen, muss Grosvenor heimlich daran gehen, die Ergebnisse zu einem Bild zusammenzufügen. Dieses verheißt nichts Gutes: Eine unbekannte Kraft hat ganze Welten mit Dschungel bedeckt und dabei ganze Zivilisationen mit Erde bedeckt. Aber zu welchem Zweck?

Mein Eindruck

Nun übernimmt Grosvenor das Kommando. Der Nexialismus, der, so der Anspruch, die Wissenschaften vereint, soll seine Anwender angeblich befreien. Doch Grosvenor tut in „M33“ genau das Gegenteil: Er beansprucht die alleinige Wahrheit für sich, entmündigt seine Kollegen und übernimmt die totale Herrschaft über das Schiff. Natürlich nicht sofort, sondern erst längerem Ringen des Willens – er gegen Kent und Captain Leeth. Aber was lässt sich mit Hypnose-Maschinen nicht alles ausrichten! Nacheinander bringt er die Besatzung dazu, weitere Jahre damit zu verbringen, eine Gegenmaßnahme gegen den unsichtbaren Gegner zu realisieren.

Grosvenor sagt nie, um was es sich dabei handelt. Nur der Erzähler verrät, dass die Energiewolke „Anabasis“ (ein Begriff aus der antiken griechischen Tragödie) ein Sternsystem nach dem anderen verschlingt und sich anschickt, die nächste Galaxie anzugreifen. Damit nicht ausgerechnet die Milchstraße der Menschen zum Ziel wird, muss die Anabasis davon abgebracht werden – mit Hilfe von massiven Verabreichungen von Radioaktivität. Na, was für die Japaner gut genug war…

An keiner Stelle vermochte ich der Argumentation des Erzählers und seiner Hauptfigur Grosvenor zu folgen, was auf Dauer doch recht frustrierend war. Korita, der Japaner, der in „Black Destroyer“ so hilfreiche Vorschläge und Einschätzungen abgab, muss in dieser Geschichte, die nur zwei Jahre nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor veröffentlicht wurde, leider zurücktreten – ein Zugeständnis des Autors an seine Leser bzw. Herausgeber.

Vor- und Nachwörter, Bilder usw.

A) Vorwort

Im Vorwort zieht der Herausgeber und Übersetzer Rainer Eisfeld die Parallele zu Charles Darwins epochaler Forschungsreise mit der HMS Beagle ca. 1830, die zur Formulierung seiner Evolutionstheorie (Mutation, Anpassung, Selektion usw.) beitrug. Die „Space Beagle“ soll Ähnliches leisten. Sie untersucht die Fauna, nicht die Flora des Kosmos. In der Romanfassung spielt bei der Verbindung der Erkenntnisse die Integrationswissenschaft des Nexialismus eine wesentliche Rolle.

Welche POSITIVEN Folgen das Werk in der Kultur hatte, listet der Herausgeber akribisch auf. So gab es etwa schon bald Plagiate.

B) Nachwort

Welche NEGATIVEN Aspekte das vorliegende Buch aufweist, listet der Herausgeber in seinem Nachwort auf. Die massive Kritik von SF-Autor James Blish ist hinlänglich bekannt. Aber auch an Oswald Spenglers Geschichtstheorie lässt der Herausgeber, sekundiert durch Experten, kaum ein gutes Haar. Und so geht es fort.

Das Nachwort relativiert also die Vorzüge, die im Vorwort aufgelistet wurden, und schlussfolgert, dass van Vogt durch die Adaption der Spenglerschen Ideen ein Eigentor geschossen hat: Der Nexialismus, der die Wissenschaften vereint, soll seine Anwender angeblich befreien. Doch Grosvenor tut in „M33“ genau das Gegenteil: Er beansprucht die alleinige Wahrheit für sich, entmündigt seine Kollegen und übernimmt die totale Herrschaft über das Schiff.

Für Spengler wäre das ein folgerichtiger „Triumph des Willens“, aber für uns Demokraten ist solcher Totalitarismus abzulehnen. Kein wurde beschäftigte sich van Vogt mit L. Ron Hubbards Pseudo-Philosophie Dianetik, aus der schließlich die Scientology-Kirche hervorging.

C) Erinnerung von van Vogt an „Black Destroyer“ (veröffentlicht 1981, zwei Jahre nach seinem Tod)

Van Vogt schrieb für Geld, und zwar schon sehr früh, denn der Kanadier wollte mit seiner ersten Frau Edna, die fast 40 Jahre an seiner Seite blieb, in L.A. eine Familie gründen. Als ihm Herausgeber John W. Campbell für seine ZWEITE Story „Black Destroyer“ die fürstliche Summe von 125 Dollar zahlte, war dies der Startschuss zum privaten wie beruflichen Erfolg. Die ERSTE Story „Vault of the Beast“ und erschien ein halbes Jahr später im Dezember 1939.

Van Vogt ist m.W. der einzige Autor, der erwähnt, dass es an der Seite des zum Kult-Herausgeber erhobenen John W. Campbell jr. eine Frau gab. Sie hieß Dona Stuart und befasste sich offenbar mit Manuskripten. So verwundert es nicht, dass Campbells Autoren-Pseudonym „Don A. Stuart“ lautete.

D) Bilder

a) Schwarzweißillustrationen

Alle Erzählungen sind mit S/W-Zeichnungen von allererster Güte versehen. Sie bringen ein hohes Maß von Dynamik und Spannung in die Bleiwüste ein. Das erste Bild von Coeurl ist deutlich an das erste Magazin-Cover-Motiv aus dem Juli 1939 angelehnt.

b) Farbreproduktionen auf Glanzpapier

Diese hochwertigen Vierfarbreproduktionen vermitteln einen Eindruck von den Titelmotiven zu den Stories, die van Vogt veröffentlichte. Eine Autorenfoto und eine Tafel mit Bildunterschriften runden diesen schönen Buchteil ab.

Die textkritische Übersetzung

Nach Angaben wurde der Text erstmals nach der Urfassung übersetzt. Folglich setzt er sich aus mehreren Texten zusammen. Da ist einmal die vertraute Urfassung der einzelnen Erzählungen. Deren Stil ist merkwürdig altertümlich, so dass sie an die fünfziger Jahre erinnern. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich um die Erstübersetzung aus den fünfziger Jahren handelt.

Diese Urfassung ist jeweils um die Passagen der ROMAN-Fassung ergänzt worden, die nun erstmals NEU übersetzt vorliegen. Der sprachliche Stil ist modern, aber ans original angeglichen. Drittens finden sich mehrere Kommentare in Fußnoten, aber auch zusätzlich vergleichende Textfassungen in Fußnoten.

Man kann also sagen, dass hier eine Textform vorliegt, die nur für Literaturwissenschaftler und Sammler aufschlussreich ist. Dieser Annahme widerspricht allerdings der Befund, dass immer noch zahlreiche Fehler im text zu finden sind. Die hätte Eisfeld korrigieren müssen. Im Folgenden liste ein paar der gröbsten Fehler auf.

S. 110: „Radio“ – gemeint ist mit diesem veralteten Ausdruck ein Funkempfänger und -sender.

S. 114: „…dass jeder Abteilungsleiter auf diesem Schiff [über] einen Freibrief verfügt…“ Das Wort „über“ fehlt.

S. 149: „wie mochte der Schatten erst aussehen, …anzurichten vermochten?“ Statt „Schatten“ muss es wohl „Schaden“ heißen.

S. 154: „Kents Offensive hatte ein[en] unbefriedigenden Abschluss gefunden.“ Die Endung „en“ fehlt.

S. 171: „Jetzt bin in bei allem zu argwöhnisch.“ Statt „in“ muss es „ich“ heißen.

S. 214: „…wonach das Wesen aus einer >bäu[er]lichen< Epoche stammte“. Statt „bäulich“ sollte es besser „bäuerlich“ heißen. Es handelt sich um einen von Spenglers Begriffen.

S. 218: „Jahrbillionen“: Gemeint sind europäische Jahrmilliarden. Ein Anfängerfehler.

S. 259: „Einer der drei Planeten beschrieb seine Bahn in einem Abstand von hundertdreißig Kilometern.“ In diesem Abstand von seinem Zentralgestirn bleibt von einem Planeten nichts mehr übrig. Es fehlt also das Wörtchen „Millionen“.

S. 328: „Analaogie“ sollte korrekt „Analogie“ heißen.

Wer mehr über die Anti-Akzeleration erfahren will, wird auf den Seiten 81, 226ff, 260 und 294 fündig.

Unterm Strich

Ich habe überraschend viele Wochen für dieses Buch gebraucht. Die Gründe sind vielfältig. Zum einen ist jede mir vertraute Urfassung einer Story durch Ergänzungen aus der Romanfassung aufgebläht und verlängert worden, so dass die Action verwässert erscheint.

Zum zweiten erfordert der literaturwissenschaftliche Apparat, den Eisfeld, dieser textkritischen Ausgabe hinzugefügt hat, viel Geduld. Vorwort und Nachwort scheinen einander zu widersprechen. Doch bei genauerem Hinsehen handelt es sich um Argumente pro und kontra van Vogts Leistung. Er hätte einfach von Oswald Spenglers Ideen aus „Der Untergang des Abendlandes“ die Finger lassen sollen.

Der beste Teil ist wohl der Bildteil – zahlreiche schwarzweiße Illustrationen von Johann Peterka machen die Story dynamisch, und die Vierfarb-Reproduktionen vermitteln dem Sammler einen Eindruck von den Originalausgaben. Sehr schön und erhellend fand ich van Vogts Erinnerung und Kommentar zu „Black Destroyer“.

Für wen eignet sich das Buch?

Der Gesamteindruck ist also sehr gemischt. Für das schnelle Zwischendurch-Lesen ist diese Ausgabe absolut ungeeignet. Für Wissenschaftler und Sammler ist die textkritische Edition ein Schmuckstück, und solche Leser sollte naturwissenschaftliche Kenntnisse mitbringen. Einen Wermutstropfen bilden die zahlreichen Fehler im Text – siehe oben, für die es Punktabzug gibt. Das Buch hätte noch sorgfältiger ediert werden sollen. Aber dafür hätte man einen ja einen Korrektor bezahlen müssen.

Taschenbuch: 332 Seiten
Info: The Expedition of the Space Beagle, 1950
Aus dem US-Englischen von Rainer Eisfeld
ISBN-13: 978-3453050259
www.heyne.de

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