Ace Atkins – Robert B. Parker’s Wonderland. A Spenser Novel

Stilechter Spenser-Krimi: Casino-Krieg in Boston

Henry Cimoli und Spenser sind seit Jahrzehnten Freunde, doch der alte Boxtrainer hat den Privatdetektiv noch nie um einen Gefallen gebeten – bis jetzt. Eine Immobilienfirma will das Mietshaus, in dem Henry seit zehn Jahren wohnt, kaufen und alle Bewohner rauswerfen – wer nicht will, wie Henry, der wird von lokalen Schlägern bedroht.

Spenser nimmt sich mit seinem Lehrling Zebulon Sixkill, einem waschechten Cree-Indianer, der Sache an. Eine skrupelose Britin hat offenbar die Schläger geschickt. Sie arbeitet für einen Casiono-Tycoon aus Las Vegas, der neben Henrys Mietshaus auf der alten Hunderennbahn „Wonderland“ einen Casino-Komplex errichten will. Alle seine Freunde warnen Spenser davor, sich mit der dunklen Seite des Tycoons einzulassen, aber das spornt ihn nur noch mehr an …

Der Autor

1) Ace Atkins ist der Autor von elf Romanen, darunter „White Shadow“, „Wicked City“, „Devil’s Garden“ und „Infamous“, die auf wahren Fällen basieren. Er ist auch der Schöpfer der Quinn-Colson-Serie. Michael Connelly hat Atkins „einen der besten Krimischriftsteller“ genannt, „die heute arbeiten“. Atkins lebt auf einer Farm außerhalb von Oxford, Mississippi. Mehr Info: www.aceatkins.com.

2) Robert B. Parker

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zu seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 70 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der beliebten Spenser-Reihe (knapp 40 Bände) wohl seine etwa acht Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird immer wieder vom ZDF gezeigt. Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur Robert B. Parker lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis.

Die Spenser-Reihe (deutsch bei Pendragon)

1) Trügerisches Bild
2) Die blonde Witwe
3) Der stille Schüler
4) Bitteres Ende
5) Hundert Dollar Baby
6) Der gute Terrorist
7) Alte Wunden

Handlung

So ein Lehrling ist schon was Feines, findet Spenser, während er durch Cambridge joggt. Zebulon Sixkill, der Cree-Indianer aus Montana (vgl. „Sixkill“, Spenser Nr. 39), kann für ihn nachts die Beschattung übernehmen, und er macht dann tagsüber weiter. Und Beschattung ist leider nötig: Henry Cimoli, Spenser langjähriger Freund und Boxtrainer, wurde von lokalen Schlägern aus dem Ghetto bedroht. Er soll seine preisgünstige Wohnung in einem Mietshaus an eine obskure Firma verkaufen, deren Namen er nicht mal kennt.

Spenser und Z, wie sich zebulon kurz nennen lässt, drehen den Spieß um und mischen die Schläger auf. Sie wurden von einer Britin namens Jemma Fraser angeheuert. Spenser trifft sich mit ihr, doch die ist knallhart. Erst Z bekommt ihren Namen und ihr Hotelzimmer heraus. Die Internetrecherche – eine wunderbare Sache! Fraser arbeitet für den Casino-Tycoon Weinberg, dem halb Las Vegas gehört. Und diese Stadt kennt Spenser weiß Gott gut (aus „Chance“, 1996, Nr. 23).

Aber was wollen Weinberg und Fraser hier in Boston? Spenser erfährt, dass in Massachusetts soeben das Glücksspiel legalisiert worden ist. Die Wampanoag-Indianer freut’s, denn in einem Reservat haben sie keine Steuern zu zahlen. Aber für Grund und Boden in Downtown Boston sind astronomische Summen fällig, von der Lizenzgebühr mal ganz abgesehen.

Weinberg hat es auf Cimolis Viertel Revere Beach, ein Arbeiterviertel, abgesehen und sich bereits die pleite gegangene Hunderennbahn „Wonderland“ unter den Nagel gerissen, erfährt Spenser in intimen Gesprächen mit alten Connections. Er braucht keine Kristallkugel, um sich auszurechnen, dass sich aus Hunderennbahn plus Mietshaus wunderbar ein Casino-Komplex plus Hotel direkt am Strand zaubern lässt.

Als Z, sein Lehrling, erneut an die Schläger gerät und zusammen mit Henry zusammengeschlagen wird, nimmt die Angelegenheit für Spenser persönlichen Charakter an. Aber selbst er ist sprachlos, als man Weinberg tot in einem Auto findet – allerdings nur seinen Kopf …

Mein Eindruck

Dies ist ein (stil)echter Spenser-Krimi von Robert R. Parker. Endlich hat Ace Atkins, sein literarischer Vermächtnisverwalter, den perfekten Ton gefunden, um Spenser wirklich zum Leben zu erwecken. In „Lullaby“ war das noch nicht hundertprozentig der Fall. Aber in „Wonderland“ lernen wir Spenser von seiner harten Seite kennen. Er ist ein Boxer und Henry hat ihn ausgebildet; nun lernt er Zebulon in diese Disziplin ein. Zs Bewährungsprobe steht aber noch aus – dieser Spannungsbogen wird bis zum Schluss aufrechterhalten und hält den Leser bei der Stange.

Schimären

Die Handlung ist so verschlungen und trickreich aufgebaut, dass selbst ein Spenser-Kenner und ausgebuffter Krimileser nicht auf die im Grunde naheliegende Lösung kommen dürfte. Es geht um zwei grundverschiedene Casino-Tycoons – Weinberg und Rose – und zwei Frauen, deren Loyalität zwar vordergründig klar ist, sich aber im Nachhinein als höchst zweifelhaft erweist. Der Autor erklärt uns nicht, was wir von dieser Wechselhaftigkeit zu halten haben, sondern das muss der Leser schon selbst herausfinden. Merke: Dies ist ein Buch für Erwachsene.

Sex & Crime

Dafür spricht auch der Auftritt von Jemma Fraser. Offiziell arbeitet sie für Weinberg, ist sogar seine Geliebte, dann aber heißt es, Howard Rose, Weinbergs Konkurrent, sei ihr Mentor und Liebhaber gewesen. Auf welcher Seite steht sie denn nun? Auf einmal taucht sie unter und sucht Schutz vor unbekannten Verfolgern. Spenser rettet sie in einer grotesk erzählten Actionszene vor diesen Gangstern.

Unversehens sieht er sich ihren nahezu unwiderstehlichen Annäherungsversuchen ausgesetzt. Wäre er nicht seiner Susan Silverman in ewiger Treue verbunden (aber unverheiratet, bitteschön) und könnte nicht die gesamte Mannschaftsliste der Bostoner Red Sox Baseballmannschaft herunterbeten – wir wissen nicht, ob er nicht doch schwach geworden wäre. Hinterher erzählt sie Zebulon, Spenser habe ihre Notlage ausgenutzt. Es sieht ganz so aus, als wäre Z darauf hereingefallen, denn auf einmal ist er mit Jemma verschwunden.

Politik & Crime

Sowohl Rick Weinberg als auch Howard Rose buhlen um die Casino-Lizenz für Boston. Diese Lizenz ist teuer zu bezahlen, aber sehr lukrativ, quasi die Erlaubnis zum Gelddrucken. Folglich ist das Parlamentskomitee, das diese Lizenz gewähren kann, eine sehr begehrte Gruppe von Männern. Diese Politiker spielen eine höchst unrühmliche Rolle, als sie ins Zwielicht geraten. Als Spenser den Komiteevorsitzenden zur Rede stellt, wird er mit handfesten Argumenten hinausgeworfen. Herrlich ist sein irreführender Ausruf: „Save the Sacred Cod!“ (Rettet den heiligen Kabeljau!) Der stempelt ihn zum Irren ab. Aber wie leicht kann man „cod“ und „god“ velwechsern?

Dass der Unterwelt das Eindringen fremder Unternehmer in ihre angestammte Glücksspielbranche nicht recht sein kann, dürfte auf der Hand liegen. Deshalb feiern wir mit Spenser ein zweifelhaftes Wiedersehen mit einem alten Bekannten namens Gino Fish. Diesen homosexuellen Heimlichtuer kennen wir allerdings besser aus den Jesse-Stone-Krimis „Death in Paradise“ (2001) und „Killing the Blues“ (2011). Das Vergnügen an dieser Begegnung ist offenbar ganz auf der Seite Spensers. Und Vinnie Morris, Fishs Knochenbrecher und Henker, macht dies auch gleich klar. Vinnie ist der einzige Revolvermann in Boston, der es mit Spenser und Hawk aufnehmen kann.

Gesellschaftsporträt

Wie immer ist ein Spenser-Krimi auch ei Porträt der aktuellen amerikanischen Gesellschaft, die sich ja fortwährend in rasantem Wandel befindet. Deshalb sollte sich der Leser, der einen Spenser-Krimi zum ersten mal liest, nicht wundern, wenn ständig irgendwelche Outfits beschrieben werden. Kleider machen Leute, wie der Detektiv nur zu gut weiß, und er kann sich sowohl tarnen als auch anecken, wenn er sich entsprechend ausstaffiert. Susan Silverman, die leider die meiste Zeit in North Carolina doziert, ist ein Ausbund an Elegnaz, aber ihre Sexualität ist handfest.

Nicht nur Kleider machen Leute, sondern auch ihre Sprache. Das hat Atkins endlich kapiert. Er setzt dieses Prinzip konsequent um. Jede Figur spricht, wie es ihrer Herkunft, gesellschaftlichen Stellung (objektiv oder subjektiv) und ihrem Geschlecht angemessen ist. In einer ausgedehnten Dinnerszene, an der Spenser mit Susan teilnimmt, reden Rick Weinberg und seine Frau Rachel völlig unterschiedlich, obwohl sie über die gleiche Sache, das geplante Casino, reden. Weinberg erscheint als Visionär, wohingegen Rachel eine Rede voller Schimpfwörter vom Stapel lässt; sie ist gespickt mit dem F-Wort. Wo er abgehoben erscheint, wirkt sie bodenständig. Kein Wunder, dass Spenser ihr gerne zuhört.

Wonderland

Auch Architektur gehört zur Gesellschaft beziehungsweise deren Zweck. „Wonderland“ war ursprünglich ein Vergnügungspark für die Arbeiterklasse Bostons. Dann verkam es zur Hunderennbahn, während seine Requisiten wie etwa die Achterbahn und das Riesenrad eingemottet wurden. Die Familien glotzten lieber Fernsehen, während die Väter ihren Lohn auf der Rennbahn verzockten. Schließlich machte auf die Rennbahn dicht, denn spielen konnte man besser im Casino und im Internet.

Das absolute Ende seiner Laufbahn erreicht Wonderland am Schluss des Romans: Hier enden die Gladiatoren wie in den Katakomben einer Arena: in Blut und Finsternis. Hier darf nicht verraten werden, wer daraus wieder lebend herauskommt. Wonderland, das als Wunderland bekann, endet in einem Albtraum und ist somit das perfekte Dingsymbol für den Amerikanischen Traum.

Spezieller Humor

Sprache ist eine Waffe, kann aber auch entwaffnen, und das tut Spenser ständig. Alle seine Dialoge sind gespickt mit Anspielungen, witzigen Einfällen und Bemerkung, und fast jede seiner Szenen endet mit einem Bonmot. Das ist endlich der authentische Spenser-Stil. Die Ironie dabei ist natürlich, dass es eine tiefe Kluft gibt zwischen dem, was Spenser für witzig hält – am meisten er selbst -, und dem, was seine bedauernswerten Gesprächspartner für Humor halten und von ihm erwarten. Das wird am deutlichsten in jener Szene nach der Schlägerei vor seinem Apartment, als ihn zwei Cops verhören (Belson und Farell sind Spenser-Fans bestens bekannt) wollen, aber nur witzigen Bullshit serviert bekommen.

Schwächen

Es gibt eigentlich keine Schwächen, sondern höchstens Fehlgriffe. Einer dieser Fehlgriffe findet sich auf Seite 261: Spenser sagt „in a matter of speaking“, was wohl „im übertragenen Sinn“ bedeuten soll. Korrekt wäre jedoch der Ausdruck “ in a MANNER of speaking“. So kann’s gehen, wenn weder Autor noch Lektor hundertprozentig fit ist in der englischen Sprache. Diese Eigenschaft hatte ihnen Professor Parker, der 1971 promovierte, eben voraus.

Unterm Strich

Endlich hat sich Ace Atkins, Parkers literarischer Nachlassverwalter, mit diesem Roman als würdiger Nachfolger des „Grand Masters“ (Auszeichnung 2004) erwiesen. Sein Krimi hat Spannung, Action, Witz, Sex und soviel bissige, hintergründige Kritik an den bestehenden Verhältnissen, dass kaum ein Wunsch offenbleibt. Da blickt man wie gewohnt in moralische und andere Abgründe.

Und wer denkt, er kenne den Mörder von Rick Weinberg bereits nach der ersten Seite, der sollte noch zweimal darüber nachdenken. Die Lösung sieht dann doch ganz anders aus – nicht zuletzt dank geflissentlicher Irreführung des Lesers. Zebulon spielt eine andere Rolle, als ich erwartet hatte: Der riesige Cree-Indianer mit dem Alkoholproblem ist kein gewissenhafter Lehrling, der jede Weisheit von den Lippen des Meisters saugt. Er wird ver- und irregeführt – und muss den Preis dafür zahlen.

Spenser-Universum

Z ist eine der vielen Figuren aus dem Spenser-Universum, die der Fan hier wiedersieht – mit stilechtem Genuss. Offensichtlich hat Atkins mittlerweile sämtliche Fälle des Detektivs gelesen und nicht bloß die letzten zehn. Wie immer gefiel mir der Auftritt von Susan Silverman und ihrem unnachahmlichen Hund Pearl am besten. Und ja, wer eines von Spensers genialen gerichten nachkochen will, kann dies anhand der Beschreibung durchaus zustandebringen.

Ausblick

Ich habe diesen umfangreichen Krimi in nur wenigen Tagen gelesen und keine Seite davon als Zeitverschwendung betrachtet. In dieser Taschenbuchausgabe findet sich eine Leseprobe aus dem nächsten Spenser-Roman „Cheap Shot“. Wieder mal bekommt es der Detektiv mit dem Profisport zu tun.

Taschenbuch: 352 Seiten
Sprache: Englisch
ISBN-13: 978-0425270660

www.penguin.com/meet/publishers/berkley

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