Clifton Adams – Satans Silberdollar

Eine gemeinsame Kutschfahrt gescheiterter Existenzen durch das öde Texas des Jahres 1888 endet in sinnloser Gewalt und Mehrfach-Mord … – Bis im Finale wenigstens ein Hauch von Hoffnung aufkommt, verbeißt sich dieser ‚Western‘ geradezu existenzialistisch in Themen wie Lebensangst, Tod oder Verantwortung: eine seltsame aber spannende Lektüre.

Das geschieht:

Mit Geld aus dem Verkauf einer Viehherde reitet Rancher Hank Barstow im Sommer des Jahres 1888 zurück auf seine Farm in Texas, wo eine junge Ehefrau auf ihn wartet. Doch er hat Pech, stürzt vom Pferd und bricht sich das Bein. Allein in der Wildnis, wartet Barstow auf den Tod, als Frank Morrasey ihn findet. Die unverhoffte Rettung bleibt aus: Als Morrasey, ein Kleinsiedler in finanziellen Nöten, entdeckt, dass Barstow Geld in der Tasche hat, lässt er den hilflosen Mann sterben und raubt die Leiche anschließend aus.

Nun muss er sich nicht mehr als Tagelöhner verdingen. Morrasey beschließt, auf seine Farm zurückzukehren. Da er es leisten kann, löst er ein Ticket für die Postkutsche. Das Schicksal meint es allerdings nicht wirklich gut mit ihm. Mit in der Kutsche sitzt Ernie Nash, ein junger Cowboy, der just für Barstow gearbeitet hat. Außerdem an Bord sind: Owen Tragg, ein ehemaliger Marshal, der nun auf der Theaterbühne den heldenhaften Revolverhelden mimt, Jessie Ross, eine junge Frau und Ex-Geliebte des Räubers und Mörders Coly Brown, den sie verraten will, um die auf seinen Kopf ausgesetzte Prämie zu kassieren, sowie Bruce Callahan, der dies weiß und sich an Jessies Fersen geheftet hat, weil er die Hälfte des Kopfgeldes für sich beansprucht.

Als die Kutsche irgendwo in der Öde ein Rad verliert, machen sich Morrasey, Nash und der Fahrer auf den Weg zur nächsten Station, um Hilfe zu organisieren. Dabei bemerkt der aufmerksame Nash, dass Morrasey verschiedene Dinge bei sich trägt, die er bei seinem Boss Barstow gesehen hat. Misstrauisch geworden, stellt er den Siedler zur Rede. In Panik geraten, erschießt Morrasey sowohl den Cowboy als auch den Fahrer. Als er, endlich heimgekehrt, auch noch feststellen muss, dass seine Frau elend gestorben ist, dreht Morrasey durch und tötet weiter.

Tragg muss eine Entscheidung treffen: Ignoriert er weiterhin, was um ihn und mit ihm geschieht, oder besinnt er sich seiner alten, halb verschütteten Erfahrungen als Marshal und mischt sich ein, um weiteres Unrecht zu verhindern …?

Stetiger Kampf ohne Garantie auf Erfolg

Der „Wilde Westen“ ist in den Romanen von Clifton Adams ein Ort, der denkbar weit entfernt ist von jenen Filmen, in denen ehrenhafte Männer gut rasiert, sauber gekleidet und stets höflich zu den Frauen für Gerechtigkeit sorgen, sobald dies erforderlich ist. Ihre Gegner bevorzugen dunkle Kleidung, tragen struppige Bärte, sind schlecht zu Pferden und Mexikanern und scheuen auch sonst vor jeder redlichen Handlung zurück. Selbstverständlich landen sie letztlich im Gefängnis oder auf dem Friedhof, denn Verbrechen lohnt in diesem irgendwo zwischen romantischer Wildnis und moralisch fragwürdiger Zivilisation changierenden Westen nicht.

Erst der „Spätwestern“ räumte mit solcher Romantik auf. Der US-Westen war nun kein vom Rest der Welt isoliertes Traumland für Pioniere und Glücksritter mehr, der Alltag wurde zum reinen Überlebenskampf in einem Land, das auch in seinen ‚zivilisierten‘ Regionen kein soziales Netz kannte. Jeder und jede war seines und ihres Glückes Schmied. Wer da nicht mithalten konnte, fiel durch die Maschen und wurde untergepflügt.

In der Kutsche zum Colorado River sitzt eine gemischte Gruppe mehr oder weniger gescheiterter Existenzen. Adams nimmt sich Zeit, uns seine Figuren vorzustellen und ihnen Profil zu verleihen. So macht er deutlich, dass Begriffe wie „gut“ und „böse“ für eine Charakterisierung nicht taugen. Alle haben sie gegen Gesetz oder Moral verstoßen, doch es wird dem Leser schwerfallen, selbst den Mörder Morrasey zu verurteilen: Adams‘ Figuren sind die Summe einer langen Folge keineswegs immer selbst verschuldeter Niederlagen.

Die Helden sind ebenso müde wie die Gauner

Gefühle sind Luxus. Niemand scheint ihrer in dieser Geschichte mächtig zu sein; sie werden den Menschen des Westens buchstäblich ausgebrannt. Höchstens Niedertracht ist geblieben, ansonsten herrscht eine bleierne Gleichgültigkeit vor. „Lebensfreude“ ist ein Begriff, der einem bei der Lektüre dieses Romans nie in den Kopf kommen wird.

Besonders tief gefallen ist Owen Tragg, der einst einen berüchtigten Revolvermann niederstreckte. Gerade hat er das zwar verhasste, aber seinen Unterhalt kümmerlich sichernde Bühnenengagement verloren; niemand will ihn mehr von einer fast vergessenen Schießerei erzählen hören, die zudem alles andere als eine Heldentat war. Wie um daran zu erinnern, trägt Tragg weiterhin sein Theater-Kostüm, was ihm dem Spott aller Menschen einträgt, die er trifft.

Jessie Ross hat es als Frau im Westen doppelt schwer. Hier nimmt man sie noch mehr als an der Ostküste nur über einen Mann wahr. Bleibt dieser Platz leer, wird eine Frau leicht zum Freiwild. Jessie bleibt nur verschont, weil sie der Ruf ihres Liebhabers, eines Banditen, schützt. Den will oder besser: muss sie nun verraten, weil dies ihre einzige Möglichkeit ist, an Geld zu kommen, das allein ihr eine gewisse Freiheit geben und sie vor dem Schicksal bewahren kann, eine typische „Prärie-Frau“ zu werden; |“hager, farblos und die Lebensenergie vorzeitig verbraucht“| (S. 101).

Bruce Callahan belegt Jessies Lage. Dreist heftet er sich an ihre Fersen, denn auch er ist auf das Kopfgeld scharf. Ehrgefühl kennt Callahan nicht, ihm ist Jessie auch als Frau gleichgültig. Er will die Hälfte des Geldes als Anteil. Was sonst um ihn herum vorgeht, interessiert ihn nicht. Callahan und nicht Tragg ist der richtige Mann für diese Welt.

Ernie Nash ist noch zu jung und unbekümmert, um zu begreifen, dass es auch für ihn keine Zukunft gibt. Als Cowboy wird er von einem Viehtreck zum nächsten leben und nie genug Geld für eine eigene Ranch oder das Alter zurücklegen. Dass ihm dieses Schicksal erspart bleibt, weil er erschossen wird, ist eine Ironie, die zum depressiven Tenor dieser Geschichte passt.

Frank Morrasey hat die unterste Stufe der sozialen Hierarchie erreicht. Armut und Hoffnungslosigkeit haben ihn verbittert und verhärtet. Er hat kein Problem damit, einen Mann sterben zu lassen, um gefahrlos dessen Leiche ausrauben zu können. Morrasey denkt nicht, er handelt, weshalb er zum Doppelmörder wird, als seine Tat entdeckt wird. Auf seine verquere Weise hat er eine menschliche Seite: Morrasey raubt und tötet, um seiner Frau endlich ein besseres Leben zu ermöglichen. Als er heimkehrt, ist sie vor Erschöpfung gestorben und längst begraben. Erst jetzt, als er den letzten Halt verloren hat, wird Morrasey gemeingefährlich.

Das weite, gleichgültige Land

Adams führt seine Protagonisten durch eine Landschaft, die man auch als Spiegel deuten kann: Die endlosen Wüsten und zerfurchten Steppen des mittleren Westens sind öde und von der ewigen Sonnenhitze verbrannt. Das Land haben die großen Rancher unter sich aufgeteilt, die mit Waffengewalt dafür sorgen, dass sich keine Konkurrenten oder Farmer ansiedeln können. Die indianischen Ureinwohner sind längst vertrieben und in Reservate gezwungen worden. Der ‚freie‘ Westen ist 1888 ein Mythos, falls es ihn überhaupt je gegeben hat.

Hoffnungslosigkeit liegt über dem Land und den Reisenden. Als seien sie nicht schon genug geschlagen, treibt sie das Schicksal zueinander. Adams personifiziert es nicht, sondern konstruiert geschickt eine Kette durchaus glaubhafter Zufälle, die dafür sorgt, dass sich die anfängliche Leichenfledderei zu einer Lawine der Gewalt auftürmt. Sie wird die meisten Protagonisten unter sich begraben.

Wieso sollte sich ein Leser diese Studie geradezu nihilistischer Verzweiflung antun? Die Antwort lautet: Weil diese Geschichte erstaunlich spannend ist. Clifton Adams, der jährlich drei oder mehr Romane veröffentlicht hat, ist – durch einen ihm ebenbürtigen Übersetzer unterstützt – ein erstaunlicher Erzähler. Trügerisch einfach setzt er Wort an Wort zu kurzen, aber prägnanten Sätzen, die dem Leser in den Ohren zu dröhnen scheinen. Landschaften, Städte, Figuren: Alles wird knapp beschrieben, oft eher skizziert, und nimmt trotzdem Gestalt und Persönlichkeit an. Sparsam oder besser: ökonomisch wird die Handlung vorangetrieben.

Am Ende gibt es so etwas wie ein Happy End. Es passt nicht recht zum Geschehen und wird von Adams auch nicht ungesalzen serviert, gibt aber wenigstens einen kleinen Hoffnungsschimmer, in den sich neue Ungewissheiten mischen. „Satans Silberdollar“ – der deutsche Titel soll einen ‚richtigen‘ Western andeuten und liegt wie so oft völlig falsch – wirkt wie die absurde Western-Version eines Stückes von Samuel Beckett. Ohne die spannende Handlung zu vernachlässigen, beschäftigen sich die Figuren immer wieder mit existenziellen Fragen: Wieso lebe ich? Wie geht es mit mir weiter? Was ist das Richtige? In diesem angeblich dem Trivialen vorbehaltenen Genre erwartet man eine solche Geschichte nicht. Die Überraschung gelingt, und die Erwartungen des Lesers werden angenehm gegen den Strich gebürstet.

Autor

Clifton Adams wurde 1919 in Comanche, Oklahoma, geboren. Einem Studienversuch an der University of Oklahoma Business School in Norman folgte bald die Erkenntnis, dass sich Adams lieber als professioneller Schriftsteller versuchen wollte. Der II. Weltkrieg, eine Ehe und die Gründung einer Familie ließen ihn jedoch davon Abstand nehmen, bis er es ab 1950 erneut und ernsthaft mit dem Schreiben versuchte.

Adams verfasste Western, die bei Kritik und Publikum gut ankamen. Außerdem schrieb er als „Jonathan Gant“ in den 1950er Jahren einige Kriminalromane. Ein weiteres Pseudonym – wieder für Western – war „Clay Randall“. Adams verfasste außerdem 125 Artikel für die „Saturday Evening Post“, das „American Legion Magazine“, „Argosy“ und andere Publikationen.

Gleich in zwei aufeinander folgenden Jahren (1969 und 1970) wurde Adams der „Spur Award“ der „Western Writers of America“ verliehen. Am 7. Oktober 1971 erlitt der Schriftsteller in San Francisco einen Herzanfall und starb im Alter von nur 52 Jahren.

Taschenbuch: 173 Seiten
Originaltitel: Tragg’s Choice (Garden City/New York : Doubleday 1969)
Übersetzung: Hans-Ulrich Nichau
http://www.randomhouse.de/goldmann

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