Alan Garner – The Owl Service / Eulenzauber

Walisischer Eulenzauber

Auf einem einsamen Gehöft in einem walisischen Tal ereignen sich unerklärliche Dinge. Alison, ihr Stiefbruder Roger und ihr walisischer Freund Gwyn haben sich mit Rogers Eltern für ein paar Ferientage in dieses abgelegene Tal von Wales zurückgezogen.

Da ergreift die Magie des Ortes von ihnen Besitz. Scharrend, klopfend, unabweisbar fordert vom Dachboden des Landhauses her eine unheimliche Macht Einlass in ihr Dasein. Und mit dem Augenblick, als sie die alten Teller mit dem Eulenmuster entdecken, brechen Emotionen und Konflikte zwischen ihnen auf, die ihnen selbst fremd sind. Ein tragischer Mythos lebt zwischen ihnen auf, dem an diesem Ort anscheinend keiner entrinnen kann – wenn nicht der Eulenzauber gebrochen wird… (erweiterte Verlagsinfo)

Alan Garner wurde für diesen Roman mit dem Guardian Award und der Carnegie Medal, dem renommiertesten Preis der englischen Jugendliteratur, ausgezeichnet.

Der Autor

Alan Garner (* 1934 in Congleton, Cheshire) ist ein britischer Fantasyautor. Er wuchs in Alderley (wo auch sein erster Roman „Weirdstone“ spielt) bei Manchester auf und besuchte dort die Manchester Grammar School, in der eine Bibliothek nach ihm benannt wurde. Anschließend studierte er am Magdalen College der Universität Oxford. Dort lernte J R R Tolkien und C S Lewis kennen, las aber nicht deren Fantasyromane. Er weigert sich, Dichtung zu lesen und besteht darauf, den eigenen Cheshire-Dialekt zu sprechen: „Sir Gawain and the Green Knight“ (eine der wichtigsten Artus-Legenden) wurde im Cheshire-Dialekt geschrieben.“

Er ist Träger der Carnegie Medal, Gewinner des Guardian Award (beide für „The Owl Service“), des Phoenix Award (für „The Stone Book Quartet“) und wurde 2001 zum Officer of the British Empire (OBE) ernannt: Sir Alan. Er hat fünf Kinder aus zwei Ehen sowie mindestens drei Ehrendoktorhüte.

Nach Brisingamen war im Internet zeitweilig eine Marke von Schmuckstücken benannt. Das kann nur erfolgen, wenn der Namen allgemein bekannt ist. Das Buch “ The Weirdstone of Brisingamen“ gehört mittlerweile zum britischen Grundstock der Fantasy-Literatur, ist hierzulande aber kaum bekannt.
Seine Werke sind in zahlreiche Sprachen übersetzt worden (Auszug):

1) The Weirdstone of Brisingamen (1960, geändert 1963) spielt in Alderley bei Manchester.
2) The Moon of Gomrath (1963, Brisingamen #2), die in dem bronzezeitlichen Bergwerk von Alderley Edge in England spielen und Motive aus der Artus-Legende verwenden.
3) Elidor (1965), mit Motiven aus dem Lebor Gabala, dem Buch der Eroberungen, das über die Besiedlung von Irland berichtet.=> http://en.wikipedia.org/wiki/Lebor_Gabala
4) Holly from the Bongs: A Nativity Play (1966)
5) The Old Man of Mow (1967)
6) Owl Service (1967), basiert auf dem walisischen Epos Mabinogion; verfilmt 1970
7) Red shift (1973, geänderte US-Ausgabe, Korrekturen 1975)
8) Holly from the Bongs: A Nativity Opera (1974)
9) The Breadhorse (1975)
10) The Guizer (1976)
11) The Stone Book Quartet (1976-1978)
12) The Lad of the Gad (1980)
13) Potter Thompson (1985)
14) A Bag of Moonshine (1986)
15) Once Upon a Time (1993)
16) Jack and the Beanstalk (1993)
17) Strandloper (1996)
18) The Voice That Thunders (London, 1997), gesammelte Essays
19) Grey Wolf, Prince Jack and the Firebird (1998)
20) The Well of the Wind (1998)
21) Thursbitch (2003)
22) Freedom (2009)
23) Collected Folk Tales (2011)
24) Boneland (2012, Brisingamen #3))
Mehr Info: http://alangarner.atspace.org/works.html

Handlung

Idyllisch wirkt das grüne Tal in Wales, das das alte Gehöft, das Alison von ihrer Mutter geerbt hat, umgibt. Ringsum erheben sich bewaldete Hügel, durch die ein fischreicher Bach fließt. Hierher hat sich Alison für ein paar Tage zurückgezogen, denn sie hat Sommerferien. Ihr Vater Clive, die Stiefmutter Margaret und der Stiefbruder Roger wohnen auch hier, bedient vom einheimischen Dienstmädchen Nancy. Draußen mäht Huw das Gras oder sieht nach den Gänsen, aber er hat nicht alle Sinne beisammen, heißt es (aber das stimmt nicht: Huw hat erweiterte Sinne.)

Eine Entdeckung

Gwyn ist der Sohn der walisischen Haushälterin Nancy und hört das Geräusch als erster. Es kommt vom Dachboden. Mäuse? Lauter als Mäuse – Ratten? Gwyn klopft an die Bretter, die den Dachboden von Alisons Zimmer trennen. Was immer da oben ist, es klopft und kratzt zurück. Ratten, die bis drei zählen können? Das muss untersucht werden. Im Kleiderschrank findet er eine Falltür, die nach oben führt. Nur mir Hammer und Hebel ist das Schloss zu öffnen. Der Dachboden ist verdreckt, doch deutlich sind noch Teller und Schüsseln zu erkennen. Er soll einen herunterbringen.

Ein Verschwinden

Gesagt, getan. Als er einen Teller anfasst, wird ihm kurz schwummrig, doch dann fasst er sich wieder und bringt das Ding herunter. Blumenartige Muster wirbeln unter der Glasur, doch Alison erkennt sofort, was sie bedeuten: Eulen. Nachdem sie den Teller gewaschen und getrocknet hat, beginnt sie, das Muster auf Papier nachzuzeichnen, das sie daraufhält. Roger ist verblüfft, dass nur sie das Muster sehen kann. Sofort beginnt Alison, aus der Zeichnung eine Figur auszuschneiden und zu einer hockenden Eule zu formen. Die auf den Bettpfosten gesteckte Papiereule starrt Roger zornig an.

Kaum hat er der alten Nancy davon erzählt, flippt diese völlig aus, rast zu Alison hinauf und verlangt die Herausgabe des Tellers. Aber Alison ist die Besitzerin dieses Hauses, das sie von ihrer verstorbenen Mutter geerbt hat, und muss überhaupt nichts. Nur um des lieben Hausfriedens willen händigt sie den Teller aus. Das Muster ist verschwunden. Nancy zieht zufrieden ab, kündigt aber dreimal bei Alisons Stiefvater, der stets ablehnt. Ohne Nancy müsste seine Frau Margaret ja arbeiten, und das kommt überhaupt nicht in Frage.

Aber trotzig lässt Alison ihren Stiefbruder Roger und den gemeinsamen Freund Gwyn, Nancys Sohn, die restlichen Teller und Schüsseln vom Dachboden holen und säubern. Schon bald ist das Zimmer voller Papiereulen, staunt Roger. Am nächsten Morgen sind sie ebenso verschwunden wie die Muster auf den Tellern.

Ein Erscheinen

Alison stapelt das Service auf Dads Billardtisch. Der Billardtisch steht im ehemaligen Hauptraum des ehemaligen Bauernhofes, und hier übt sich Clive, nach dem Angeln am Bach, des Öfteren im Snooker-Spiel. Durch Oberlichter fällt Sonnenlicht herein. Mit einem ungeheuren Krach fallen die Porzellanstücke wenig später auf den Boden.

Gwyn, der die Scherben wegräumen will, hat sich schon mehrfach gewundert, warum eine der Innenwände mit Kieselsteinen verputzt worden ist, die man nur für Außenwände verwendet. Seit dem Tag, an dem die Papiereulen erschienen sind, hat diese Stelle Risse bekommen. Zusammen mit den Tellern sind heute auch Stücke aus der falsch verputzten Stelle herausgebrochen. Zum ersten Mal sieht Gwyn die zwei Augen, die ihn aus der Dunkelheit hinter den offenen Rissen anstarren…

Mein Eindruck

Die Magie ist los, das spürt Gwyn, der Waliser, ganz deutlich. Den Engländern hingegen wird der Ort nicht ganz geheuer, und schon bald wollen sie nur noch weg. Das erweist sich allerdings als unmöglich. Denn alle Bewohner und bediensteten des Gehöfts sind nun in einer uralten Geschichte gefangen, die seit tausend Jahren hier stattfindet: die Geschichte von der aus Blüten erschaffenen Blodeuwedd, ihrem Mann Llew Llaw Gyffes und ihrem Galan Gronw Pebyr. Immer wieder muss Llew ihre Untreue erleben, Gronw ertappen und mit einem Speer töten.

Wie Gwyn im Laufe einer dramatischen Handlung herausfindet, gibt es in seiner eigenen Familie ein Geheimnis, das eben diese Dreiecksgeschichte zum Leben erweckt. Er kann von Glück sagen, wenn er kein Opfer wird. Seine Mutter hatte sich mit einem der Sommergäste eingelassen und gehofft, mit ihm wegziehen zu können. Daraus wurde nichts, denn er starb bei einem Autounglück. An diesem war jedoch jemand ganz in Gwyns Nähe schuld. Der alte Huw ist der Schutzgeist des Tales und seines Berges. Er lässt niemanden entkommen und niemanden ungestraft, ja, er scheint sogar über das Wetter zu gebieten.

Unter den Engländern ist die Konstellation ähnlich. Roger will nie verraten, warum seine Mutter ihn und seinen Vater Clive verlassen hat. jeder Versuch Alisons, darüber zu sprechen, blockt Roger wütend ab. Alison ist ihrerseits als Halbwaise mit einer halbfremden Familie gestraft und will im Grunde eigene Wege gehen. Doch Blodeuwedds Geist ergreift von ihr Besitz und sie interessiert sich auf einmal für den Waliser Gwyn, der für Roger nur ein minderwertiger Dorftrottel ist.

Als Roger herausfindet, mit wem Alison da gerade anbandelt, verspottet er ihren vermeintlichen Lover Gwyn mit einem Geheimnis, das dieser Alison anvertraut hatte. Der Vertrauensbruch führt zu einer schweren Krise und verhängnisvollen Entschlüssen. Erst im dramatischen Finale gelingt es Huw, Gwyn und Roger den Bann zu brechen, der über Alison hängt. Aus dem Zauber der zornig dreinblickenden Eulen wird ein Blütenmeer. Jetzt wird klar, warum Alison als einzige in den Tellermalereien Eulen sah und nicht Blüten, wie es alle anderen Betrachter taten.

Vorwort von Philip Pullman

Der weltbekannte Autor von „Der goldene Kompass“ und seiner zwei Fortsetzungen erzählt, wie erstmals dieses Buch las. Es bedeutete einen Einschnitt in der Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur, denn Kinder werden hier wie Erwachsene behandelt und mit einer großen Macht konfrontiert – die sich in ihnen selbst befindet. Das bedeutete eine klare Überwindung des alten Schemas, das noch Tolkien benutzte: alles zu verniedlichen, bis es „kindgerecht“ erschien, und alle Mächte als Metaphern darzustellen: Dämonen, Trolle, Drachen, wandernde Bäume und vieles mehr. Die Magie ist bei Garner innerlich, aber nicht weniger wirkungsvoll.

Pullman setzte seine KOMPASS-Saga mit dem Prequel „The Book of Dust“ fort.

Nachwort von Alan Garner

Der Autor erklärt, wie er darauf kam, die alte Legende aus dem „Mabinogion“ in die Gegenwart und in dieses bestimmte Tal in Wales zu übertragen. Er bedankt sich artig bei den Übersetzern der alten Legenden, die ja erst einmal in modernes Englisch übersetzt werden mussten. Dafür revanchiert sich mit der Verwendung ihrer Nachnamen im Text. Das Nachwort sollte man auf keinen Fall vor dem Roman lesen, denn es verrät zuviel.

Unterm Strich

Der bereits 1970 mit Garner als Drehbuchautor verfilmte Roman nimmt Jugendliche als Erwachsene ernst, die einem jeweils eigenen Schicksal unterliegen. Indem sie den bann des alten Blodeuwedd-Fluches brechen, gelangen sie zu der Einsicht, worin ihre inneren Stärken liegen. Mit dieser Einsicht können sie sich wiederum aus dem Bann der Erwartungen ihrer jeweiligen Eltern befreien. Beispielsweise wird Roger jetzt wohl Fotograf werden, statt im Krämerladen seines Vaters zu schuften. Und Alison wird nicht mehr nach der Pfeife ihr Stiefmutter – die nie persönlich auftritt – tanzen.

Ein ganz besonderes Schicksal erwartet indes Gwyn, den jungen Waliser, der gerne richtiges Englisch lernen und Lehrer werden möchte. Er will nach Alisons „Verrat“ über die Berge aus dem verfluchten Tal fliehen, doch er entkommt dem Schutzgeist Huw nicht, der sich als sein wahrer Vater offenbart. Gwyn hat einen schwierigen Weg vor sich, doch am Ende übernimmt er Huws Aufgabe, über das Wohl der Talbewohner zu wachen.

Geister und Naturmagie scheinen sich gegen die Bewohner des Hofes zu verbünden, damit sie nicht entkommen können. Der psychische Druck steigt an, bis es zu einer doppelten Krise unter den Bewohnern kommt. Am beeindruckendsten fand ich Alisons Heilung: Sie muss vom Geist der rachsüchtigen Blodeuwedd erlöst werden, doch wie soll das gehen? Dass sowohl Roger als auch Gwyn über ihren Schatten springen können, ist ebenso unerwartet wie erfreulich.

Die englische Ausgabe

Die mir vorliegende Ausgabe ist zum 50-jährigen Jubiläum dieses Jugendbuchklassikers anno 2017 erschienen. Sie enthält hilfreiche und erhellende Vor- und Nachwörter – siehe oben. Das Englischniveau, das der Leser mitbringen sollte, ist durchaus gehoben. Alle Erscheinungen werden genau mit den zutreffenden Ausdrücken beschrieben, so dass sich ein breites Vokabular ergibt. Es gibt ein paar walisische Ausdrücke, aber es wird kaum Dialekt gesprochen, anders als etwa in schottischen Romanen.

Der Titel

Der Titel „The Owl Service“ ist doppeldeutig und enthält ein Wortspiel, das in der deutschen Übersetzung fehlt. „Service“ ist sowohl das Geschirr-Service als auch Alisons Dienst an den Eulen, die Blodeuwedd als Rachegeist verkörpern. Diesen Dienst gilt es zu beenden, so wie das Geschirr-Service zu zerbrechen ist. Leichter gesagt als getan.

Hinweis

Ich habe das Buch an nur einem Sonntag verschlungen. Wer jedoch hier reine Fantasy sucht, wird besser woanders fündig. Wer mehr vom „Mabinogion“ lesen möchte, sei auf die preisgünstige Taschenbuchausgabe des Penguin-Verlags verwiesen – oder auf die Romantetralogie, die Evangeline Walton verfasste und die im Klett-Cotta-Verlag erschienen ist:

The Prince of Annwn
The Children of Llyr
The Song of Rhiannon
The Island of the Mighty.

Taschenbuch: 219 Seiten
Sprache: Englisch
Info: The Owl Service, 1967

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