Alexis Gilliland – Unabhängigkeit für Rosinante (Rosinante 2)

SF-Thriller: Ein langer Schuss auf Rosinante

Anno 2039 wurde Mundito Rosinante als künstliche Welt, die im Asteroidengürtel ihre Kreise zieht, gebaut, um Eisenerz abzubauen. Charles C. Cantrell, der ehemalige Projektleiter, ist anno 2041 Gouverneur der Mini-Welt. Da wird ein Anschlag auf die Kinderklinik verübt, und wenige Monate später saust eine ferngesteuerte Rakete nochmal auf die Kinderklinik zu. Doch wer steckt hinter diesen unerklärlichen Angriffen?

Für seine Romantrilogie wurde der Autor mit dem John W. Campbell Award 1982 als bester neuer SF-Autor ausgezeichnet.

Der Autor

Alexis Arnaldus Gilliland wurde am 10.8.1931 in Bangor, Maine, geboren, wo auch Stephen King lebt. Er ist ein US-amerikanischer SF-Autor und Cartoonist, der heute in Arlington, Virginia, nahe der Hauptstadt Washington, D.C. lebt. Er errang vier HUGO Awards als bester Fan-Künstler (1980, 1983, 1984, 1985), den Rotsler Award für sein Cartoon-Lebenswerk (2006) und den Tucker Award 1988.

In seinem Haus traf sich vier Jahrzehnte lang (1967-2006) die Washingtoner Science Fiction Association, was vielleicht erklärt, dass er über die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe seines Mundito Rosinante so gut Bescheid wusste.

Die Rosinante-Trilogie

1) Neuanfang auf Rosinante (The Revolution from Rosinante, 1981, dt. 1983)
2) Unabhängigkeit für Rosinante (Long Shot for Rosinante, 1981, dt. 1984)
3) Machtkampf auf Rosinante (The Pirates of Rosinante, 1982, dt. 1984)

Weitere Werke:

1) The End of the Empire (1983)

Wizenbeak (eine Fantasy-Trilogie):

2) Wizenbeak (1986)
3) The Shadow Shaia (1990)
4) The Lord of the Troll-Bats (1992)

Handlung

Charles C. Cantrell, Gouverneur von Mundito Rosinante, hat über einen Mittelsmann einen Gen-Analysator besorgt, den irgendjemand entbehren konnte. Doch damit warf er, ohne es zu ahnen, ein Streichholz in ein Pulverfass. Die anti-darwinistischen Kreationisten der „Contra-Darwin“-Aktionsgruppe, die den Geheimdienst von NAU-Regierung (Nord-Amerikanische Union) und Kriegsmarine unterwandert haben, machen nun Jagd auf den Mann, der sich auf ungeklärte Weise besagten Gen-Analysator und die zugehörige Corporate Susan Brown, einen intelligenten Supercomputer, beschafft hat.

Der Angriff des Kriegsschiffs „Ciudad Juárez“, vollgepackt mit Agenten und Marinesoldaten, ist, wie wir aus dem ersten Band wissen, vereitelt worden. Bei einer ferngesteuerten Sprengung kam ein Mann ums Leben, der sowohl ein gewisser Joe Bob Baroody als auch ein Lt. Holt war. Er arbeitete, wie Cantrell nicht weiß, für den Geheimdienst, aber auch für „Contra Darwin“, eine fundamentalistische Gruppe, die unter William Hulvey weiterhin ihr Unwesen treibt. Der zweite Mann, der den Tod findet, ist der Politische Offizier Terry. Er hatte den Angriff der Marinesoldaten befohlen.

Doch Hulvey gibt nicht auf. Erstens hat Holt alias Baroody sein Ziel nicht erreicht, zweitens gibt es in Corporate Susan Browns Besitz ein Dokument, das er unbedingt haben muss. Es ist das Tagebuch jenes Wissenschaftlers, der in einem inzwischen zerstörten Labor Menschen mit Schimpansengenen kreuzte. Es war Hulvey, der das Labor zerstörte und die Mutanten ermordete. Seitdem hat er Alpträume. Niemand darf vom Inhalt jenes kompromittierenden Tagebuchs erfahren, denn es belegt die Verwicklung von „Contra Darwin“ an dieser frevlerischen Forschungsarbeit. Da Corp. Susan Brown auf Rosinante ist, wäre es am einfachsten, Rosinante zu zerstören.

Und hier liegt der Hund begraben. Denn die Nordamerikanischen Union (NAU) sieht sich einer Sezession des mexikanischen Südens gegenüber, der von Chicano-Politikern der Panoblanco-Sippe beherrscht wird. Die Sezession führt wie schon 1861 zu einem Bürgerkrieg, der auf Tellus, der Erde, aber auch im Weltraum ausgetragen wird. Kriegsschiffe greifen einander an. Auf dem Schlachtschiff NAUSS Vancouver dient Hulveys Sohn Riordan. Auf Wunsch seines Vaters feuert er eine Rakete mit Kurs auf Rosinante ab, bevor die gegnerischen Raketen ihn töten.

Die Rakete, die auf den schönen Namen FNR 1848 hört und jederzeit zu höflicher Kommunikation bereit, wird laut Berechnungen in knapp drei Wochen Rosinante treffen. Die Schäden werden immens sein, sagten die drei Computer, auf die sich Cantrell stützt. Aber es gibt auch zwei technische Mittel, um sich zu verteidigen.

Das erste, schwache Mittel besteht in der neuen Anordnung aller Skalenspiegel, die Rosinante Sonnenlicht spenden, um sozusagen einen Brennstrahl zu bündeln und das Objekt zum vorzeitiges Explodieren zu bringen. Das zweite Mittel besteht in einer Erweiterung des gläsernen Schilds, der die Miniwelt schützt, um etliche hundert Meter, so dass man das Ausweichmanöver der Rakete stoppen kann. Aber dazu müsste die Gewerkschaft unter Leitung der Computer in drei Schichten wochenlang rund um die Uhr schuften. Das wird verdammt knapp werden…

Als sich von der rebellierenden Flotte in Erdnähe mehrere Schiffe nach Mundito Rosinante absetzen, um dort um Asyl zu bitten, stellt ihnen ein japanisches Kriegsschiff auf Bitten William Hulveys, der mittlerweile Leiter des Geheimdienstes der Navy ist, nach, um sie zu plündern. Das kann Cantrell nicht zulassen. Somit ist der ideale Anlass für den ersten Einsatz des Brennspiegels gegeben, um dessen Wirksamkeit zu testen. Feststeht, dass es für jemanden ein heißer Tag im All wird…

Mein Eindruck

Abscheulichkeit

Erst ab Seite 80 begegnen wir wieder Charlie Cantrell, dem Gouverneur von Rosinante. Was zunächst wie eine lange Durststrecke erscheint, dient jedoch dazu, den Blickwinkel des Lesers zu ändern. Cantrell soll ja nicht wie ein Superman und weißer Ritter erscheinen, sondern vielmehr wie ein ganz normaler Typ, der nur das tut, was die Notsituation von ihm verlangt. Und das ist nicht wenig. Ohne es zu ahnen, hütet er ein explosives Staatsgeheimnis: Mutantenzüchtung!

Was vielleicht harmlos anmutet, würde selbst heute in der realen Welt einen Aufschrei der Entrüstung und Morddrohungen erzeugen, die mit einem Anschlag ähnlich wie auf „Charlie Hebdo“ enden könnten. Ich kann mir allerlei christliche und muslimische Fundamentalisten vorstellen, die dagegen Sturm laufen würden, dass jemand am Erbgut des Menschen herumpfuscht – noch dazu mit Affen-Genen.

Chaos

Nun, das erstes Todeskommando, das der christliche Fundamentalist Hulvey losgeschickt hat, ist am Ende von Band 1 unschädlich gemacht worden. Nun fällt er die Stufenleiter der Verantwortung hinauf, weil der Sezessionskrieg immer wieder seine Vorgesetzten dahinrafft – so oder so. Politische Morde sind an der Tagesordnung. Folglich hat er Zugriff auf immer schlimmere Vernichtungswaffen und höhere Befehlshierarchien. Er lässt seinen Sohn die ultimative Rakete zur Vernichtung von Rosinante und ihrem Geheimnis abfeuern.

Wie schon der erste Roman enthält auch die Handlung des zweiten eine Menge Durcheinander, denn die Welt ist im Umbruch. Und bis eine neue Ordnung geschaffen ist – vielleicht im 3. Band – dauert es noch eine Weile. Es kommt zu einer Menge sonderbarer und sehr ironischer Zwischenfälle wie etwa zu einer posthumen Pressekonferenz, die nach (!) der Ermordung eines unliebsamen Chicano-Politikers stattfindet – mit seinen vorab aufgezeichneten Statements.

Das Innenleben der Macht

Raumschlachten sind nicht das Ding des Autors, das überlässt er Heinlein, Pournelle, Niven und Konsorten. Gillilands Stärke sind die inneren Mechanismen einer politischen Klasse, die a) Regierung, b) Verwaltungsapparat und c) Militär/Geheimdienst stellt. Es scheint zunächst alles ein Filz zu sein, doch der Autor führt den Leser wie in einem FBI-Thriller ins Innere der Machtpyramide und erweckt die schrägen Typen dort zum Leben. Hulvey, der Psychopath, ist so ein Typ, und mit Typen wie ihm kannte sich der in Washington, D.C. lebende Autor offenbar aus.

So kommt es, dass der Plot immer mit Abwechslung aufzuwarten weiß. Dabei beginnt der Autor damit, die „Schurken“ um Hulvey herum mit der gebührenden Ernsthaftigkeit und Detailgenauigkeit zu skizzieren und ihre Taten zu skizzieren. Sie sind nicht bloß die „Typen mit den schwarzen Hüten“, die in einem Klischee-Western automatisch als die Bösen zu erkennen sind. Sie haben ein Programm, ein Ziel und die Mittel, es durchzusetzen.

Dabei kann es durchaus vorkommen, dass sie allzu menschliche Fehler begehen. Greene etwa gibt seinem inneren Drang nach, sich auch mal die maßgeschneiderte Bluse seiner Geliebten anzuziehen. Sein großes Vorbild ist wahrscheinlich FBI-Direktor J. Edgar Hoover, der ja auch Frauenkleider in seinem Schrank versteckte. Leider erweist sich die Bluse als viel zu eng, um ihn atmen zu lassen, und als sie sich auch noch zusammenzieht, erstickt er. Dumm gelaufen.

Friede, Freude?

OK, wir wissen ja schon, dass es einen dritten Band gibt, also ist klar, dass Mundito Rosinante mit dem Schrecken davonkommt. Spannung wird aber dennoch ordentlich erzeugt, als die intelligente Rakete FNR 1848 ihren Kurs den Abwehrmaßnahmen anpasst. Ich musste sofort an die philosophisch veranlagte und intelligent argumentierende Bombe in John Carpenters Sci-Fi-Persiflage „Dark Star“ denken.

Wie auch immer: Es kommt zu Banketten, Nationalfeiern und Feuerwerken. Alles scheint in Butter zu sein. Bis William Hulvey selbst auf Rosinante eintrifft…

Die Übersetzung

Dr. Eva Malsch hatte wohl mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, um die technischen und betriebswirtschaftlichen Fachausdrücke richtig zu übertragen. Hinzukamen noch Ausdrücke aus der US-Umgangssprache der frühen achtziger Jahre wie etwa „klicks“ statt „Kilometer“. Siehe auch meine Anmerkungen zur Übersetzung des 1. Bandes „Neuanfang auf Rosinante“.

Ich habe mir nur bis S. 54 Notizen gemacht, denn danach wurden die Fehler so spärlich, dass sich das Notieren nicht mehr lohnte. Meist traten Buchstabendreher auf, aber auch peinliche Datumsfehler. Sie lassen darauf schließen, dass hier nicht korrekturgelesen wurde.

S. 18: „Modell IBM GR/W-41“. Es ist sonst immer nur von einem Modell IBM GR/W-42 die Rede.

S. 34: „Drachenskalenspiegel“: Dieses Wort ergibt erst dann einen Sinn, wenn man „Skalen“ (scales) durch „Schuppen“ (auch scales) ersetzt. Es geht also um bewegliche Spiegel, die wie die Schuppen eines Drachen angeordnet werden können. Das ist wichtig, um die Spiegel zu einer Art Brennglas bzw. Laserkanone anordnen zu können.

S. 51: „Es schlenderte zur Schleu[s]e hinab…“ Das S fehlt.

S. 54: „Ciudas Juarez“ statt „Ciudad Juarez“. Die Übersetzerin hat eine Vorliebe dafür, Schiffsnamen falsch zu schreiben. Auf S. 49 schreibt sie sogar „Juarez Ciudad“…

S. 137: „Am Nachmittag des 20. Dezember 2040…“: Mittlerweile schreibt man schon 2041.

S. 172: „1. Februar 204“: Da fehlt doch eine Zahl, oder? Es ist die 2.

Unterm Strich

Ich habe nur eine lange Zugfahrt Stuttgart – München und zurück für die knapp 190 Seiten benötigt, also etwa einen halben Tag. Die Handlung ist ab Seite 80 abwechslungreich und wird zunehmend spannend. Vor Seite 80 fühlte ich mich in die Vorgeschichte der Geschehnisse von Band 1 versetzt, denn hier werden die Verschwörer geschildert, Rosinante bereits angegriffen haben.

Dieser Rückgriff ist jedoch notwendig, um zu erkennen, dass die Gefahr aus der gleichen Ecke, nämlich die Aktivisten/Terroristen/Geheimdienstler „Contra Darwin“ solange nicht gebannt ist, wie William Hulvey am Leben ist. Dieser Spannungsbogen bleibt bis zum Schluss aufrechterhalten. Und er wird umso spannungsvoller, je höher Hulvey im Rang aufsteigt. Er versucht sogar, dem neuen Präsidenten zu widersprechen. Dass der neue präsi auf den Namen Oysterman hört, fand ich auch einen recht witzigen Einfall. Diese „Auster“ kann durchaus zuschnappen.

Ein weiterer schräger Vogel ist Cantrells politischer Gegner W. Guthrie Moore, ein Student aus Texas, der schon mit den Alamo-Demonstranten heraufgekommen war. Sein Obegott ist der gute alte Karl Marx und auf seinem T-Shirt steht VIVA LA REVOLUCION! Corporate Skaskash, die KI von Rosinante, nimmt Moores Gedankegebäude und Glaubensgewirr nach Strich und Faden auseinander. Dabei erfahren wir eine ganze Menge über einen der bekanntesten, aber am wenigsten verstandenen Philosophen, die Deutschland hervorgebracht hat.

Aber wenn Marxismus, Sozialismus und Kapitalismus abgewirtschaftet haben, was bleibt dann noch als Ethik übrig? Der Autor zeigt, dass der deutsche Begriff „Realpolitik“, den es auch im Englischen gibt, nicht genügt. Man kann sich zwar durchwursteln, um zu überleben, doch immer wird einer kommen, der sich mächtiger wähnt und angreift, besonders wenn er was zu verlieren hat.

Dies passiert immer wieder, und so bleibt der ehemaligen „Kolonie“ Rosinante nicht anderes übrig, als sich zu bewaffnen, die Verteidigungsfähigkeit unter Beweis zu stellen und sich schließlich für unabhängig zu erklären. Das klingt sehr amerikanisch, und das große Vorbild dürfte wohl Heinleins Roman „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ aus dem Jahr 1966 gewesen sein.

Ob der Mundito auch unabhängig bleiben kann, steht wieder auf einem anderen Blatt. Mehr erfahren wir darüber wohl in Band 3. Dass diesmal jede Romantik fehlt, fand ich schade. Bankette und Feiern sind zwar nett, aber sie übertünchen bloß die Spannungen unter der Oberfläche. Dass die Übersetzerin viele Druckfehler gemacht hat, kennen wir ja schon aus Band 1. Das macht die Sache nicht angenehmer.

Taschenbuch: 189
Info: Long Shot for Rosinante, 1981
Aus dem US-Englischen von Dr. Eva Malsch
ISBN-13: 978-3442234493

www.randomhouse.de/goldmann

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