Alistair MacLean – Nevada Pass

Im Wilden Westen des Winters 1873 soll Militär ein durch Krankheit entvölkertes Grenzfort entsetzen. Indianer, Desperados und Saboteure versuchen alles, um den Zug, mit dem die Soldaten fahren, vor der Überquerung des Nevada-Passes in ihre Gewalt zu bringen … – Seltene Mischung aus Western und Thriller: eine Art actionbetonte Version von Agatha Christies „Mord im Orientexpress“, die dem Konflikt zwischen Gut und Böse noch den Kampf gegen eine lebensfeindliche Natur hinzufügt; handwerklich solide, spannend und immer noch lesenswert.

Das geschieht:

Nevada im Winter des Jahres 1873. Durch die trostlose Eis- und Schneewüste kämpft sich ein Eisenbahnzug gen Westen. An Bord: Colonel Claremont und 80 Soldaten, die im Fort Humboldt ihre an der Cholera erkrankten Kameraden verstärken sollen. Sie werden begleitet von Fairchild, dem Gouverneur von Nevada, und Marica, seiner Nichte, die zu ihrem Vater, dem Kommandanten des Forts, unterwegs ist.

Ein letztes Hindernis tut sich vor diesem Ziel auf: der Nevada-Pass – hoch, eisig, stürmisch. Kommt es hier zu einem Zwischenfall, wird niemand den Reisenden helfen können. Im Drecksnest Reese City am Fuß der Berge hält der Zug ein letztes Mal, um Holz und Verpflegung aufzunehmen. Hier kommt noch ein Passagier an Bord. US-Marshal Nathan Pearce soll den in Fort Humboldt festgesetzten Schmuggler, Aufrührer und Mörder Sepp Calhoun der Justiz überstellen. Ausgerechnet in Reese City läuft Pearce der steckbrieflich gesuchte Spieler, Revolverheld und Mörder Jack Deakon in die Arme. Er nimmt ihn fest und mit in den Zug.

Die Fahrt zum Pass wird zu einer Kette von Katastrophen. Mindestens ein Saboteur ist an Bord, der mit allen Mitteln verhindern will, dass die Soldaten ihr Ziel erreichen. Die Telegrafenleitung ist gekappt, Fort Humboldt längst von Calhouns Schurken und den mit ihnen im Bunde stehenden Paiute-Indianern unter ihrem kriegerischen Häuptling White Hand erobert und besetzt. Selbst wenn der Zug den Pass erreicht, werden ihn dort die Indianer und Calhouns Bande erwarten.

Der undurchsichtige Deakon schürt das stetig wachsende Misstrauen. Er ist nicht der, als welcher er sich ausgibt. Heimlich und unter großen Schwierigkeiten überprüft er den Zug und seine interessante Ladung und kommt einem Komplott auf die Spur. Auf dem schmalen Gleis entbrennt im und auf dem Zug ein mörderischer Kampf, in dem Freund und Feind nicht voneinander zu unterscheiden sind …

Rätsel-Krimi im Thriller-Gewand

In der ersten Hälfte Kriminal-, zum Finale hin Action-Thriller, beide beheimatet im Wilden Westen des 19. Jahrhunderts: eine ungewöhnliche Kombination, die indes reizvoll aufgeht. „Nevada Pass“ ist zudem ein Unterhaltungsroman aus der guten, alten Zeit, verfasst von einem Profi des Genres, d. h. sauber geplottet, gut besetzt und ‚altmodisch‘ entwickelt, was bedeutet, es gibt einen Auftakt, einen Mittelteil mit sich steigernder Spannung und ein rasantes Finale.

Autor MacLean scheut sogar die Nähe zum klassischen Kriminalroman nicht. „Nevada Pass“ präsentiert eine Skizze des Zuges, auf den sich der Hauptteil der Handlung konzentriert, sowie einen Lageplan von Fort Humboldt und Umgebung. So raffiniert wie der „Mord im Orientexpress“ ist „Nevada Pass“ natürlich nicht, aber es beeindruckt doch die Akkuratesse, mit der MacLean seine turbulente Story in das historische Umfeld eingepasst hat.

Der Plot ist ohnehin komplexer als dies viele Kritiker zugeben mochten. MacLean kann und mag seine Nähe zum Agententhriller nicht leugnen. Gleich mehrere Parteien treiben im Zug zum Nevada-Pass ihr undurchsichtiges Spiel. Niemandem darf getraut werden, Profis leisten erfolgreich schmutzige Arbeit. MacLean nimmt seine Geschichte und seine Leser sehr ernst. Entschärfend-zynische Witzeleien gibt es nicht.

Ein Mann mit rätselhaften Zielen

Jack Deakon = James Bond? Der Vergleich ist schlüssig: Man nehme einen professionellen Troubleshooter in Regierungsdiensten, dem es nichts ausmacht mörderische Drecksarbeit ohne Ruhm und Ehre zu verrichten, weil er solches Handeln für ‚richtig‘ hält. Bei Bedarf kann ihn sein geistiger Vater mit einigen seelischen Macken schlagen; das macht ihn menschlicher, und die Kritiker lieben es.

Diese Mühe hat sich MacLean erspart. Deakon ist vielleicht ein Profi, aber einer hart an der Grenze zum Psychopathen. Er wirkt nicht nur hart und emotionsarm, er ist es auch. Fällt einmal die Maske, kommt dahinter ein unangenehmer Zeitgenosse mit ausgeprägten Killerinstinkten zum Vorschein. MacLean begründet dies damit, dass der Westen von 1873 in der Tat wild und folglich von emotional recht abgestumpften Menschen bewohnt war. Harte Winter, heiße Sommer, Seuchen, wilde Tiere, dazu Indianer, Galgenvögel, Unruhestifter: Da braucht es nach MacLean schon Männer wie Deakon, um dem Recht Geltung zu verschaffen.

Eingleisige Action mit austauschbaren Figuren

Jack Deakon wurde als Figur geschaffen, die man als Leser bei ihren Aktivitäten begleiten soll. Was Deakon denkt und fühlt, ist für MacLean Nebensache. Die Story steht für ihn im Vordergrund. Deshalb fallen die übrigen Charaktere sogar noch flacher aus. Der Gouverneur, der Marshal, der Colonel, der Häuptling, der Bandit: Sie benötigen im Grunde nicht einfach Namen. Auf der anderen Seite passt diese Austauschbarkeit durchaus zur Story, die ja vor doppelten Identitäten förmlich überquillt.

Die Leserin sei gewarnt, dass die energische Marica nur deshalb mit im Zug sitzt, weil sogar Alistair MacLean in den 1970er Jahren gelernt hatte, dass ein Roman (auch als Vorlage eines zukünftigen Films) mindestens eine weibliche Hauptrolle aufweisen muss. Ihre bloße Existenz ist aber auch alles, was MacLean ihr zugestehen möchte. Für den Fortgang der Handlung ist Marica absolut entbehrlich.

„Nevada Pass“ – der Film

„Nevada Pass“ wurde zum Bestseller und erregte umgehend das Interesse Hollywoods. MacLean kannte dort seine Pappenheimer und sorgte dafür, dass er selbst das Drehbuch schrieb, um allzu grobe Verfälschungen zu verhindern. Tatsächlich ist „Breakheart Pass“, den Tom Gries 1975 inszenierte, ein schnörkelloses B-Movie der 1970er Jahre geworden. In der Rolle des mysteriösen Deakon sehen wir den oft unterschätzten Charles Bronson. Auch die übrigen Rollen wurden mit guten Schauspielern der zweiten Hollywood-Garnitur (Ben Johnson, Richard Crenna, Jill Ireland, Charles Durning, Ed Lauter) besetzt.

Autor

Alistair Stuart MacLean wurde am 21. April 1922 im schottischen Glasgow geboren. Er wuchs in den Highlands nahe Inverness auf und besuchte die Hillhead High School in Glasgow. Der II. Weltkrieg prägte das Leben des jungen Alistair. 1941 meldete er sich zur Royal Navy. Zweieinhalb Jahre diente er auf einem Kreuzer und geriet u. a. in japanische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg studierte er an der Glasgow University Englisch. Ab 1953 arbeitete er als Schullehrer für Englisch und Geschichte an der Gallowflat Secondary School in Glasgow.

In dieser Zeit begann MacLean zu schreiben .Seine Kurzgeschichte „The Dileas“ gewann 1954 einen Preis, was ihm die Aufmerksamkeit des Verlegers William Collins sicherte. Dieser riet MacLean, ein Buch zu schreiben. „HMS Ulysses“ (dt. „Die Männer der Ulysses“) erschien 1955. Es basiert auf MacLeans Kriegserlebnissen auf See und wurde umgehend ein Bestseller.

In den nächsten drei Jahrzehnten reihte der Verfasser Erfolg an Erfolg. Der typische MacLean-Roman schildert die gefährlichen Abenteuer eines stoischen Einzelgängers oder einer isolierten Gruppe, die gegen eine feindliche Übermacht und mindestens einen Verräter in den eigenen Reihen kämpfen muss. Platziert wurde dieser Plot im II. Weltkrieg, im Geheimdienst-Milieu, später auch im internationalen Terrorismus. Ihre recht simple, aber höchst effiziente Konstruktion ließ diese Geschichten für den Film interessant werden. Zahlreiche MacLean-Werke wurden erfolgreich und vor allem in den 1960er Jahren mit großem Staraufgebot verfilmt; der Autor schrieb nicht selten selbst die Drehbücher.

Bestseller-Ruhm, Reichtum, Anerkennung: In den 1980er Jahren gehörte MacLean zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Welt. 1983 ehrte ihn die Glasgow University mit einem Ehrendoktorhut. Aber MacLean war zu diesem Zeitpunkt bereits ein durch Alkoholismus zerstörter Mann. Am 2. Februar 1987 starb er nach einer Serie von Schlaganfällen in München; begraben wurde er in Celigny in der Schweiz, wo er als Steuerflüchtling residierte und seit den späten 1950er Jahren auch als Hotelier tätig war. Er hinterließ eine Anzahl von Exposés, die zum Teil in Filmdrehbücher verwandelt wurden. Da Geschäft außerdem Geschäft ist, arbeiteten Lohnautoren (John Denis, Simon Gandolfi, Alastair MacNeill, Hugh Miller) diese Fragmente in „Romane nach Alistair MacLean“ um, dessen Name selbstverständlich in besonderer Größe auf den Titelbildern prangte.

Taschenbuch: 201 Seiten
Originaltitel: Breakheart Pass (London : Collins 1974)
Übersetzung: Georgette Skalecki u. Erika Nosbüsch
www.randomhouse.de/heyne

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