Allison Pearson – Working Mum (gekürzte Lesung)

Karrieremütter managen das Chaos

Kate Reddy dreht in aller Herrgottsfrühe auf und geht erst um Mitternach, möglichst nach einem Vollbad, ins Heiabettchen. Dort wartet schon der Göttergatte mit seinen sexuellen Ansprüchen. Denen weicht sie gekonnt durch ausgedehntes Zähneputzen aus, so dass sie am Morgen danach mehr Zeit für die Zeit unter der Dusche und am PC (Mails!) hat. Ansonsten hat die fleißige Biene Kate fast alles im Griff – bis ein weiterer Mann ihren Weg kreuzt.

Die Romanvorlage, die sich in USA und UK 4 Mio. Mal verkaufte, wurde 2011 relativ erfolgreich mit Sarah Jessica Parker und Pierce Brosnan verfilmt.

Die Autorin

Allison Pearson, geboren 1960, zählt laut Verlag zu den besten Journalistinnen Großbritanniens, nur habe ich noch nie von ihr gehört – wahrscheinlich allein meine Schuld! Die Figur der Kate Reddy erfand sie für ihre Kolumne (worüber?) in der Tageszeitung „Daily Telegraph“, die ja nicht gerade für soziallistische oder liberale Tendenzen bekannt ist. Der Erfolg war laut Verlag so groß, dass sie aus den Kolumnen einen Roman machte. Mit „Working Mum“ gibt sie ihr Debüt als Schriftstellerin. Sie lebt mit Mann und zwei Kindern in Nord-London, also genau wie Kate Reddy.

Die Sprecherin

Nina Petri, geboren 1963 in Hamburg, machte 1988 mit der TV-Serie „Rote Erde“ erstmals auf sich aufmerksam. Seitdem war die Schauspielerin in zahlreichen Erfolgsfilmen zu sehen, so etwa auch in Tom Tykwers „Lola rennt“, wo sie die schwangere Geliebte von Lolas Papi spielte. Sie wurde mit dem Bayerischen und dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Für HörbucHHamburg hat sie bereits Texte von Anna Gavalda und „Katzenzungen“ von Borger & Straub gelesen.

Handlung

Morgens um halb drei steht Kate Reddy in der Küche, um für das Krippenspiel ihrer Tochter Emily, 5, gefälschte Mince Pies (Hackfleischtörtchen) zu backen. Da kommt ihr Mann Richard Shattuck die Treppe runter und erklärt sie angesichts ihres Treibens für verrückt.

Ist Kate wirklich verrückt? Wahrscheinlich genauso sehr wie alle berufstätigen Mütter. Sie ist die einzige weibliche Fondsmanagerin in einer Londoner Investment-Bank, zweifache Mutter und einfache Gattin – kurzum: rund um die Uhr gestresst. Ihr Tagebuch, ihr Terminkalender und ihre Mailbox beweisen es. Auf schier endlosen Listen macht sie sich Notizen, was sie nicht vergessen darf („SEX?“).

Chaos hoch drei

Das Chaos kann sie natürlich nie verhindern: zwischen Meetings und Teachings im Büro, besagtem Krippenspiel, dem ersten Geburtstag ihres Sohnes, Terminen in New York City, Stockholm & sonstwo, meldet ihr Mann zu allem Überfluss auch noch Ansprüche an: Er will mit ihr reden, wenn sie schon nicht mehr mit ihm schlafen will.

Ihre Schwiegereltern schütteln über dieses Unikum von Geschäftsfrau plus Ehefrau plus Mutter sowieso den Kopf: Schwiegermutter Barbara und ihre andere Schwiegertochter Cheryl gehören der Vereinigung der „Muffias“ an, der Mafia daheim bleibender Mütter, die sich über einen für Kate unverständlichen Geheimcode miteinander verständigen und die Männer wie kleine Jungs behandeln, die frau nachsichtig zu behandeln hat.

Wofür Supermom Kate Reddy am wenigsten Zeit hat, ist ein zweiter Mann in ihrem Leben. Aber genau dem muss sie begegnen: Jack Abelhammer, genannt der „Hammer-Mann“. Na denn!

Mein Eindruck

„‚Working Mum liest sich, als hätte Bridget Jones jetzt eine Familie“, schreibt die deutsche Frauenzeitschrift „Brigitte“. Will heißen: eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, eine wahre Heldin des britischen Alltags, die ihrem Kindermädchen (die Perle Paula) ein fürstliches Managergehalt zahlt, weil sie genau weiß, was sie von ihr hat. Es sind Geschichten aus dem Überlebenskampf in den Konflikten, die sich zwischen den familiären, privaten und beruflichen Prioritäten ergeben, jeden Tag, und zu jeder Tages- oder Nachtzeit (Anruf aus Japan!).

Umgekehrt proportional

Nun könnte man den Eindruck erhalten, dieses Buch hätte keine Handlung und keinen Verlauf, weil das meiste in Tagebuchform chronologisch abgehandelt wird. Das Gegenteil ist richtig, und wenn man die Story ein wenig Revue passieren lässt, fällt einem Folgendes auf: Der unaufhaltsame berufliche Aufstieg Kates hat sein negatives Spiegelbild in dem ebenso unaufhaltsamen Abstieg in ihren menschlichen Beziehungen zu ihrer eigenen Familie. Sie trifft ihren Traummann, Jack Abelhammer, verliert aber dafür ihren eigen Gatten, Richard. Da klafft eine Schere auf.

Dieser Einschnitt hat natürlich zur Folge, dass sie sich noch mehr um ihre Kids kümmern muss, da ein Elternteil ausfällt. Mit Jack mailt sie nur noch, doch um wirklich wieder zu sich selbst zu finden, muss sie zurück zu ihrer Familie: zu ihrer Mutter, die stets die Bedürfnisse der anderen über ihre eigenen gestellt hat, und zu ihrer jüngeren Schwester Julie, mit der sie endlich wieder lachen kann – sogar über ihren eigenen Vater.

Krisen

Die erste Krise: Die Mutter Kate kommt ganz unten an, als sie vom Kindermädchen erfährt, dass ihr kleiner Sohn Ben gestürzt ist. Sie kann dem behandelnden Arzt keine Angaben über Ben machen. Sie weiß gerade mal sein Geburtsdatum. So eine Blamage! Nur der philosophische Taxifahrer Winston scheint manchmal ihr bester Freund zu sein, er begleitet sie mit Ben ins Hospital.

Die zweite Krise, im Job, kommt mit einer eklatanten Verletzung der Intimsphäre ihrer netten Kollegin Momo durch ein paar gefühllose Männer daher. Da Kate nun – ohne ihr Zutun! – zur Beauftragten für die geschlechtliche Gleichstellung befördert worden ist, nimmt sie sich des Falles an und löst das Problem auf ihre Weise.

Am Schluss wird der Übeltäter entlassen – solch einen Schmutzfleck duldet die „City“ (das Bankenviertel) nicht auf ihrer weißen Weste. Dieses Finale ist spannend herbeigeführt und köstlich erzählt. Das Beste: Ihr Vater, der Erfinder ohne Geschäftssinn, hat auch etwas davon und kann seine Gläubiger auszahlen.

Gleichnis

Zeit für etwas Abstand: Winston erzählt ihr das Gleichnis von Scipios Traum: Ein Mann wandert und kommt in ein Dorf, das neben einem ohrenbetäubend lauten Wasserfall liegt. Er fragt den Bürgermeister, ob ihn der Lärm nicht stört. Der fragt zurück: Welcher Lärm? (ursprünglich erzählt von Cicero). Kate kapiert: Sie lernt, sich für ihre Nächsten zu engagieren. Gerade noch rechtzeitig, denn soeben ist ihre Schwester Julie arbeitslos geworden.

Kritischer Ansatz

Wie man sieht, schildert die Autorin nicht nur minutiös Aufstieg und Fall einer in Vollzeit arbeitenden Mutter und vergleicht deren Werdegang mit Vollzeitmüttern und in teilzeit arbeitenden Müttern. Sie bietet auch eine Alternative an: Man muss sich nicht in Männerberufen aufreiben, um anerkannt zu werden, sondern auch eigenständig eine gleichzeitig erfolgreiche Mutter, Ehefrau und Berufstätige sein. Frau darf sich nur nicht nach den benachteiligenden Gesetzen richten, die samt und sonders von Männern zwecks Benachteiligung der Frauen gemacht worden sind.

Komik

Pearson ist keine verbissene Suffragette. Die würde bei Männern sofort Abwehrreaktionen hervorrufen. Deshalb schickt sie ihre Heldin Kate zur Auflockerung schon auch mal in komische Situationen. Auffallend ist, dass diese Situationen meist nur vor Männern stattfinden. Kate geht in eine wichtige Finanzberatung völlig bekifft, nachdem Winston ihr einen Joint angeboten hat. Kate geht unausgeschlafen ins Büro, wird auf den Fleck auf ihrem Jackett, den Ben draufgesabbert hat, aufmerksam gemacht, das sie sofort auszieht.

Immer noch völlig im Tran hält sie ihre erste Präsentation des Tages vor 17 Männern. Nach einer Weile fällt ihr auf, dass heute alle ungewöhnlich aufmerksam sind. Kein Wunder, denn unter der nicht vorhandenen Jacke trägt sie lediglich ihren Halbkörbchen-BH mit dem schönen Namen „Agent Provocateur“. So gelangt auch dieses Weihnachtsgeschenk mal zu einem sinnvollen Einsatz.

Die Sprecherin

Nina Petri hat eine tiefe und zum Verwechseln ähnliche Stimme wie Franziska Pigulla. Ihre gelingt eine nuancierte Lesung, in der die Sätze genau zu verstehen sind. Allerdings entschlüpfen ihr kaum jemals solche winzigen Seufzer wie Pigulla. Dafür ist Kate Reddy denn doch zu sehr Geschäftsfrau. Petri hat die Lesung hörbar Vergnügen bereitet.

Leider ist auch bei Petri ein Phänomen zu beobachten, das bei vielen deutschen Schauspielern anzutreffen ist, die synchronisieren oder vorlesen: Sie kennt die korrekte Aussprache so mancher englischer Wörter nicht. Beispiele: ‚bewildered‘, ‚Butch Cassidy‘ usw. Zugegeben, diese Wörter gehorchen nicht der Regel. Leider scheint Englisch manchmal nur aus Ausnahmen zu bestehen. Und die muss man/frau eben auch kennen.

Das lässt bei mir Zweifel aufkommen, ob der Name des Momo-Belästigers nun ‚Chris Bunce‘ oder ‚Chris Barnes‘ lautet. Hier hilft nur ein Blick ins Buch. (‚Bunce‘ wäre ein sehr ungewöhnlicher englischer Nachname, ‚Barnes‘ ein sehr gebräuchlicher.) Ein Erklärung des festen Begriffs „The City“, der das Londoner Bankenviertel bezeichnet, müsste dort auch zu finden sein.

Unterm Strich

Allison Pearson ist – selbst in der gekürzten Hörbuchfassung – ein beachtliches Stück Sozialliteratur gelungen. Man darf natürlich zunächst Unterhaltung erwarten, doch diese Oberfläche dient bei genauerer Betrachtung der Demonstration der Zwänge und Benachteiligungen, die frau am Arbeitsplatz von Männern zu erdulden hat. Der erhobene Zeigefinger ist jedoch zum Glück nur selten zu bemerken. Sie bietet auch eine Alternative an.

Dafür weiß Pearson auch schöne Selbstironie einzusetzen. Die beiden oben genannten komischen Situationen belegen dies. Chaos kann also auch lustig sein. Wenn es nicht zum Weinen ist. Am Schluss zieht Pearsons Heldin ein schönes Fazit.

Nina Petri erweist sich als eine sehr gut qualifizierte Sprecherin, die ähnliche Qualitäten wie Franziska Pigulla vorweisen kann. Sie sollte noch besser Englisch lernen. Ihr Kollege Charles Brauer musste das schließlich auch tun, bis er so gut wurde wie heute.

Hörbuch: 326 Minuten auf 4 CDs
Originaltitel: I Don’t Know How She Does It , 2001
ISBN-13: 978-3899031409

www.hoerbuch-hamburg.de

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