Andreas Brandhorst – Das Schiff

Ausgezeichnet mit dem Kurd-Laßwitz-Preis 2016!
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Science Fiction Preis 2016!

Seit tausend Jahren schicken die intelligenten Maschinen der Erde lichtschnelle Sonden zu den Sternen. Sie sind auf der Suche nach den Hinterlassenschaften der Muriah, der einzigen bekannten und längst untergangenen Hochkultur in der Milchstraße. Bei der Suche helfen die Mindtalker, die letzten sterblichen Menschen auf der Erde – nur sie können ihre Gedanken über lichtjahrweite Entfernungen schicken und die Sonden lenken. Doch sie finden nicht nur das technologische Vermächtnis der Muriah, sondern auch einen alten Feind, der seit einer Million Jahren schlief und jetzt wieder erwacht.
(Verlagsinfo)

Der zweite große Roman in diesem Jahr, einer von wenigen im Startaufgebot bei Piper-SF. Da waren die Erwartungen ambivalent, einerseits schlich sich die Befürchtung ein, den Hochkaräter »Ikarus« könne Brandhorst unmöglich toppen, andererseits nährte die Situation des Reihenstarts die Hoffnung, der Verlag würde zu diesem Zweck schlagkräftige Argumente bringen.


Das Schicksal verweigerte dem Menschen Adam die erfolgreiche Unsterblichkeitsbehandlung. Im Zuge seiner folgenden Depression eröffneten ihm die künstlichen Intelligenzen des »Clusters« die Möglichkeit, sich zu einem »Mindtalker« ausbilden zu lassen und als Kreativitäts- und Intuitionsaspekt für den Cluster auf Sternenmissionen zu gehen. Dankbar ergreift er diese Möglichkeit, seinem Leben doch noch einen sinnvollen Zweck zu geben – und wird unversehens in einen Krieg mit einer unbekannten Macht verwickelt ….

Andreas Brandhorst (*1956) schreibt die ambitionierten Space-Operas deutscher Sprache, in ihrer Komplexität und ihrem Weltentwurf in einer Reihe mit den Größen des Genres wie Iain Banks oder Alastair Reynolds. Nebenbei arbeitet er als Übersetzer zahlloser Romane von Terry Pratchett, der Star-Wars-Franchise oder vieler Einzelromane. Seit kurzem unterhält er auch eine Autorenwebseite, auf der er auch eine Kolumne zum Thema »Wie man schreibt« pflegt. »Das Schiff« ist sein zweiter Roman im Jahr 2015, erschienen in der frischen SF-Reihe bei Piper. (Und wie man hört, kündigt sich dort für 2016 ein weiterer Roman mit dem Titel »Omni« an!)

Die Ausgangssituation ist eine, wie sie im Zuge der technischen Weiterentwicklung immer wieder thematisiert wird: Die Erde wird von künstlichen Intelligenzen regiert, die Weiterentwicklung findet quasi nur noch durch sie statt, der Mensch lebt in einer wohlgeordneten, alle Annehmlichkeiten bietenden Welt. Speziell entwirft Brandhorst nur wenige technische Konstrukte, die nicht explizit vorstellbar sind: Die Raumfahrt des Romans findet STL statt, einzig die Kommunikation ist über Quantenverschränkung FTL möglich. Utopisch sind Konstrukte wie Antigravitation und Brüter, die aus sogenannter Basismasse alle benötigten Geräte, Utensilien und Nahrungsmittel herstellen können. Und natürlich gibt es außerirdische Hinterlassenschaften, die wurmloch-ähnliches Reisen über galaktische Entfernungen ermöglichen würden – wenn die Mindtalker doch endlich den Zugang für die KI des Cluster erringen könnten!

Konfliktpotential organisiert Brandhorst reichlich: Aus der Fähigkeit zur Intuition behält der Mensch für die KI eine Existenznotwendigkeit, und die unsterblichen Restmenschen ihrerseits sind in Abhängigkeit zum Cluster gefallen. Sie schützen ängstlich ihr langes Leben und versinken ansonsten in dekadenten Beschäftigungstherapien, während einzig die Mindtalker, die letzten sterblichen Menschen, für den Cluster intuitiv arbeiten. Diese gegenseitige Abhängigkeit ist ein Grundbaustein des Settings, der von Brandhorst in umfangreichen Manipulations- und Ausnutzungsszenarien diskutiert wird.

Die große Bedrohung, sukszessive über die sich schließenden Erinnerungslücken des Protagonisten Adam eingeführt, existiert schon länger, als es anfangs den Anschein hat. Die Konfrontation, die primär den Cluster betrifft, fördert auf erschreckende Weise einen Zirkulus vitiosus, einen Teufelskreis in der Evolution zu Tage, dem zu stellen im KI-Cluster nur wenige Entitäten die Erkenntnis und den Mut erlangen, während es schlussendlich dem gebrechlichen Mensch mit seinem unzulänglich arbeitenden Geist obliegt, die richtungsweisenden Entscheidungen zu treffen.

Doch bis dahin ist es ein langer Weg voller Intrigen, Manipulationen, Uneinsichtigkeiten, Abenteuern, galaktischen Wundern und nur allzu menschlichen Eroberungsstrategien durch die KI. Und es schwingt lange Zeit ein Hauch von Tragödie über der Erzählung, die beim Leser Mitleid mit dem Protagonisten erzeugt und seinen Widerspruch anregt, die leichtfertige Unvoreingenommenheit der Mindtalker zu kritisieren oder sich über die offensichtlichen Manipulationen zu ärgern. Es ist kein Ärger über die Geschichte, sondern einer innerhalb, der die emotionale Bindung des Lesers zum Erzählten erzeugt, die Hoffnung auf ein gutes Ende. Und das wiederum ist fulminant und komplex in den Möglichkeiten für die Zukunft.

Dem Thema über allem, der Auseinandersetzung mit übermächtiger, entscheidungsbefähigter KI, merkt man die Ambivalenten Gefühle des Autors an. Deutlich sichtbar sind die Möglichkeiten, die einer solchen Entwicklung anhaften, aber auch die potenziellen Gefahren. Hier liegt ein theoretischer, philosophischer Knackpunkt der Diskussion über die Evolution von Bewusstsein und die grundlegenden Probleme mit KI, die einst Asimov mit Hilfe der Robotik-Gesetze löste, die aus heutiger Sicht aber viel substanzieller und diskutierbarer sind. Allem übergeordnet empfindet man den Drang zur Menschlichkeit und zum Leben, die Sorge vor der Dekadenz, Gefühllosigkeit, Geistlosigkeit, die schon in unserer heutigen Zeit durch Aspekte der Technisierung deutlich sichtbar liegen. Ich verstehe diese Ebene des Romans als Aufschrei, bei aller Gewohnheit und Bequemlichkeit durch die heute verfügbaren Medien menschliche Wärme zu behalten, den Respekt vor dem Leben.

Dies ist bis heute Brandhorsts Meisterwerk, denn obwohl man seine Auseinandersetzung mit ähnlichen Themen aus den letzten Romanen und gerade auch aus dem diesjährigen »Ikarus« kennt, erreicht er mit diesem Roman eine andere Ebene. Und das Beste: Unreflektiert ist es einfach eine spannende, ungemein unterhaltsam eskapistische Geschichte!

Klappenbroschur, 544 Seiten
ISBN-13: 9783492703581
ORIGINALAUSGABE Oktober 2015

Piper-Verlag – hier bietet der Verlag auch eine Leseprobe an!
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