Eine Versuchsanordnung der Lust
Ombre („Schatten“), eine 15-jährige Klosterschülerin, eine Vollwaise, wird zur Villa des reichen Paares Vassilios und Ephkaroula geschickt, damit sie dort als Magd dient.
„Unter der Lava-Sonne eines Sommer in Griechenland tritt ein junges, von Nonnen erzogenes Waisenmädchen in den Dienst eines reichen und verdorbenen Paares. Davon ausgehend, freut sich der Autor, die Regeln des schlüpfrigen Romans durchzuspielen: Initiationsriten, Herren und Diener, Henker und Opfer, eine Monster-Galerie und einen Katalog von Perversionen.
Zur Hölle mit der Debatte, wenn sie getrunken haben. In diesem Sinne werden die Fans des Genres erschreckt, die Kenner befriedigt, Neophyten werden sich jedoch aufregen. Und Ombres Geschichte wird in einer wunderbaren Sprache zu ihnen gebracht werden, poetisch und lebendig, magisch und grausam.“ (gekürzte Verlagsinfo der Originalausgabe)
Der Autor
„Antoine Mantegna“ ist das Pseudonym eines „großen französischen Schriftstellers“. Er sah seinen Roman zuerst im Jahr 1970 veröffentlicht, doch der Vertrieb wurde untersagt. Der Wandel der Sitten erlaubte später den Vertrieb des Buches. Als es in den siebziger Jahren erschien, wurde 7 als „Meisterwerk von hohem Rang“ bewertet, ähnlich wie de Sades „Juliette“, Réages „Geschichte der O“ oder Georges Batailles „Madame Edwarda“. Wie diese Werke ist „7“ zweifellos ein erotischer und pornografischer Roman von hypnotisierender Lektüre. (erweiterte Verlagsinfo)
Handlung
Eine 15-jährige Klosterschülerin, eine Vollwaise, wird zur Villa des reichen Paares Vassilios und Ephkaroula geschickt, damit sie dort als Magd dient.
Es ist der 21. Juni, Sommeranfang, es ist heiß, aber das Mädchen ist dick eingepackt in ihre Nonnentracht. Nachdem der stumme Diener Stavros sie in den Hof der Villa, das einst ein Kloster gewesen war, gebracht hat, bleibt sie wie erstarrt stehen: ein nackter erigierter Mann und eine schöne Frau stehen sich offensichtlich erregt gegenüber. Er ist Vassilios, der Reeder, und sie ist Ephkaroula, seine Frau. Vassilios tauft das neue Mädchen auf den Namen Ombre (= Schatten), denn es soll keine andere Identität haben als die eines Schattens – und sich genauso unauffällig verhalten.
Zwei weitere Dienerinnen, Antigone und Medea, die blind sind, geleiten Ombre in ihre Wohnzelle in der klosterartigen Villa. Ihre Finger lernen das Gesicht des Mädchens kennen, doch ihre Liebkosungen gelten offenbar nur einander, nicht der Neuen. Ombre züchtigt sie, um sie an ihre Pflicht zu erinnern – und um sie für die Vernachlässigung ihres Begehrens zu bestrafen.
Bisher hat sie nur den Heiligen Johannes Chrysostomos (Goldmund) begehrt, und einmal war auch eine Nonne so offenherzig, ihre Begierde für Ombre zu zeigen, doch da alle Fleischeslust bei den römisch-katholischen Franziskanern des Teufels ist, lernte Ombre nicht allzu viel davon kennen. Doch das alte Kloster, nun zur Villa ausgebaut, war der griechisch-orthodoxen Kirche geweiht und atmet einen ganz anderen Geist: den Geist der sinnenfrohen Antike. Der einzige Mann, in den sich Ombre nun verliebt, ist Stavros‘ stummer Bruder Antinous. Er heißt genauso wie der geliebte Sklave von Kaiser Hadrian.
Initiation
Nach drei Tagen wird Ombre in einer Initiationszeremonie von der Jungfrau zur Frau. Ihre Herrschaften sorgen dafür, dass sie der Gottheit des Phallus, Priapos, geweiht wird. Nun ist Ombre eine Dienerin des Eros und tut alles, was ihr ihre Herrschaften befehlen. Doch da sie ein Mensch ist, will sie beweisen, dass sie mehr ist als nur ein Name und ein Schatten. Sie will von Vassilios penetriert werden, was ihn seiner Herrin untreu machen würde. Ein subtiles Machtspiel mit ihren Herrschaften beginnt und findet seine erste Krise, als Ombre es wagt, an den vollen Brüsten ihrer Herrin zu saugen.
Sogleich geht der eifersüchtige Gatte dazwischen und lässt beide Frauen von Stavros auspeitschen. Damit nicht genug, gibt es etliche schmerzhafte Penetrationen. Beim nächsten Erwachen schaut Ombre in den Spiegel und entdeckt in sich Hass und Aufbegehren. Ihr neues renitentes Benehmen bleibt nicht lange unentdeckt. Deshalb versucht ihr Herr es auf Umwegen, sie gnädig zu stimmen.
Der Ziegenbock
Er erzählt ihr eine (erfundene?) Geschichte, dass er und Ephkaroula, die aus Paris stammen, von einem griechischen Hirten für dessen Zwecke missbraucht wurden. Es mag sich um Pan gehandelt haben oder auch nicht. Jedenfalls ließ er die stets willige Ephkaroula von einem großen Ziegenbock besteigen, bevor er Vassilios missbrauchte. Vassilios revanchierte sich, indem er mit seinem Jagdmesser den Ziegenbock erstach. Und dessen Ziegen gleich mit. Eine ziemliche blutige Angelegenheit also. Was wird wohl Ombre davon halten?
Lebensfreude als Tabu
Nun weiß Ombre, dass es eine ganze Reihe von Tabus gibt, deren Bruch bestraft wird. Doch welche sind das genau? Als die beiden Herrschaften auf einen Tagesausflug verschwinden, wagt sie es, ihre Liebe zu Antinous voll auszuleben. Erstmals erlebt sie unbegrenzte Lebensfreude. Doch die Strafe folgt auf dem Fuße…
Mein Eindruck
Das erste, was dem Leser auffällt, sind die feinfühlige Darstellung jeder Regung in dem Mädchen, das Ombre genannt wird, und die poetische Sprache, in der dies dem Autor gelingt. Diese Poesie vermischt die sachliche, realistische Aussage eines Satzes häufig mit einer ganz anderen Bedeutungsebene, so dass aus dem Banalen etwas Bedeutungsvolleres, Hintergründiges wird.
Ich hatte beim Lesen oft das Gefühl, als ob die Gedanken der Figuren sich in der flirrenden Hitze eines Ägäis-Nachmittags entweder auflösen oder auf eine feinstofflichere, sozusagen ätherische Ebene begeben. Man gibt sich häufig Erinnerungen und Phantasien hin, so dass die Innenwelt wichtiger wird als die Außenwelt.
Die Welt da draußen ist lichtdurchflutet, als wäre sie der Olymp. Wie in einer Sekte der Antike werden vielfach Rituale und sogar zweitägige Zeremonien abgehalten. Sie haben das Element der Feierlichkeit ebenso an sich wie eine Art zwangsläufiger Ablauf, der nicht gestört werden darf. Die Aussage eines Rituals kann lebensbejahend und positiv sein, aber auch verhöhnend und negativ.
Es ist eine kleine Gruppe von SIEBEN Personen, die nur von zwei Menschen beherrscht wird, dem Herrscherpaar. Ihm haben die Diener wie etwa Ombre nichts entgegenzusetzen, und so kann es vorkommen, dass es zu relativ drastischen Szenen kommt, in denen dem Leser, der an die ausgefalleneren Spielarten des Sexus wie etwa der mit Tieren nicht gewöhnt ist, fast die Spucke wegbleibt. Das kann für viele Leser herausfordernd sein.
Die Versuchsanordnung des Herrscherpaares lautet: Kann eine unschuldige Seele wie die von Ombre zum Bösen verderbt werden, wenn sie Perversionen ausgesetzt wird? Ist sie eine Art Joker im Spiel? Wie sich zeigt, vermag Ombre sehr wohl zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Als ihr Geliebter getötet wird, kennt ihre Rache ebenso wenig Grenzen wie ihre Liebe…
Die Übersetzung
Der Erzählstil der französischen Originals aus dem Jahr 1970 war sicherlich eine Herausforderung für die beiden Übersetzer Erika und Werner Gebühr, denn sie mussten zwischen verschiedenen Optionen, den Tonfall des Originals zu vermitteln, wählen. Der deutsche Ton steht dem des Originals wahrscheinlich in nichts nach. Die primären und sekundären Geschlechtsteile werden völlig neutral benannt: Glied, Brüste, Scheide. Also nichts Besonderes, aber auch nicht modern.
S. 138: „Wie Stavros sich gefreut hätte, wenn man ihm statt der Peitsche, die er für zu gelinge (!) gehalten haben musste, ein weißglühendes Eisen zugestanden hätte.“ Statt „gelinge“ muss es wohl „gelinde“ heißen, damit der Satz einen Sinn ergibt.
Der Satz ist ein gutes Beispiel für den geschraubten, verschachtelten Stil, in dem erzählt wird. Ich habe einen Satz entdeckt, der sich über einen ganzen Absatz hinzog. Da zöge sogar Heinrich Kleist, Meister der ellenlangen Bandwurmsätze, seinen Hut.
Unterm Strich
In diesem Roman werden alle Liebesspielarten beschrieben und alle Perversionen umgesetzt, doch wo ist die Grenze erreicht, fragt ich mich. Die schönen Seiten des Sexus, die das Leben feiern, sind hier ebenso vertreten wie jene, die das Leben und seine Würde verneinen. Die Versuchsanordnung aus sieben Personen, davon vier stumm oder blind, wird in Ritualen und Zeremonien vorangetrieben. Der Amoralität stellt die moralische Reife des Lesers auf die Probe.
Der Erzählstil des Autors ist musikalisch und poetisch, selbst wenn der damit behandelte Gegenstand gerade von abgrundtiefer Amoralität ist. Das führt zu einer Relativität aller moralischen Werte und ästhetischen Mittel, die den Leser schon nach wenigen Kapiteln gleichgültig werden lässt. Besonders dann, wenn er bereits eine völlig entgegengesetzte Moralität – etwa die der Menschenrechte – übernommen hat. Darin zeigt sich, dass die anno 1970, dem Jahr der Veröffentlichung, angestrebte Befreiung aller Lust inzwischen von höchst zweifelhaftem Wert geworden ist.
Taschenbuch: 254 Seiten
O-Titel: Sept, 1970 (c) Pierre Belfond
Aus dem Französischen von Erika und Werner Gebühr
ISBN-13: 9783453012578.
www.heyne.de
Der Autor vergibt: