Uwe Anton – A. E. van Vogt – Der Autor mit dem dritten Auge

Der kosmische Bauspekulant?

Mit dem vorliegenden Werkführer zu Alfred Elton van Vogt soll eine Lücke gefüllt werden: Die kritische Auseinandersetzung mit dem Werk des kanadischen SF-Autors befindet sich laut Verlag noch in den Anfängen – die beiden von Rainer Eisfeld bei Heyne kritisch editierten Sammelbände „Ischer“ und „Null-A“ lieferten Ansätze, aber immerhin auch vollständige Textfassungen.

Uwe Anton, eigentlich ein Experte für Philip K. Dick, setzt sich detailliert und kenntnisreich mit Leben und Werk van Vogts auseinander, liefert Inhaltsangaben sowie kritische Kommentare und zeigt Zusammenhänge auf, damit der Leser van Vogt besser einordnen kann. Eine umfangreiche Bibliographie von Uwe Anton und Hans-Peter Neumann rundet den Band ab.

Der Autor

Uwe Anton, einer der renommiertesten Übersetzer, Autoren und Kritiker der deutschsprachigen Phantastik, hat zahlreiche Jugendbücher für diverse Reihen und Verlage geschrieben. Zusammen mit Wolfgang Jeschke, Franz Rottensteiner, Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs, Horst Pukallus, Ronald M. Hahn und anderen gehört er zu den Pionieren der deutschsprachigen Science-Fiction. In guter Erinnerung geblieben ist mir sein satirischer Roman „Socialdemokraten auf dem Monde“, erschienen bei Heyne. Anton ist ein ausgewiesener Experte für Philip K. Dick.

Porträt: Alfred Elton van Vogt

Der 1912 im Winnipeg geborene und im Januar 2000 verstorbene Kanadier Alfred Elton van Vogt war einer der wichtigsten Autoren des Goldenen Zeitalters der Science-Fiction, das nur fünf bis sechs Jahre, von 1939 bis 1944/45, währte. Er ist ein typischer Pulp-Magazin-Autor: Seine Kapitel sind serienkompatibel und kurz, seine Charaktere schematisch und sein Plot das reinste Zickzack – bis zur Widersprüchlichkeit.

Durch den frühen Tod seines Vaters musste van Vogt schon früh von der Schule gehen und sich als Gelegenheitsarbeiter verdingen, bis er dann 1931 mit 19 Jahren sein erstes Produkt veröffentlichte, ein Prostituierten-Melodram. Seine erste Science-Fiction-Story war die an John W. Campbell geschulte Erzählung „Vault of the Beast“, aber seine erste veröffentlichte Science-Fiction-Story erschien erst im Juli 1939 in Campbells „Astounding Science Fiction“: „The Black Destroyer“ ist die erste und beste Story des bekanntesten Episoden-Romans van Vogts: „Die Expedition der Space Beagle“ (1950; „Beagle“ hieß das Schiff, auf dem Charles Darwin mitsegelte) – eine phantasiereiche Erforschung der gefährlichen Wunder, die das Universum für uns bereithält.

Aus dem Zusammenhang der Genre-Entwicklung und seiner wirtschaftlichen Zwänge (Groschenhefte, Papiermangel während des Krieges, miese Bezahlung) wird klar, dass van Vogt nur so gut oder schlecht schrieb, wie es der Markt zuließ. Asimov und Heinlein, seine größten Konkurrenten, wussten sich a) besser zu verkaufen und hatten b) (vielleicht) die besseren Ideen.

Im 2. Weltkrieg erschienen die zwei ersten Null-A-Bände in Magazinen, wurden aber heftig ob ihrer Unlogik kritisiert, besonders von Damon Knight. 1970 endlich überarbeitete van Vogt die Bücher gründlich, doch kam er erst kurz vor seinem Tod dazu, den dritten Band zu schreiben. Als Trilogie bilden die Null-A-Bücher eines der wegweisenden, aber keineswegs unumstrittenen Werke der Science-Fiction. Einen weiteren, wesentlich lesbareren Zyklus bilden die Ischer-Publikationen, nämlich zwei Romane und zwei Erzählungen: „Die Wippe“ (1941), „Der Waffenladen“ (1942) sowie die Romane „Die Waffenläden von Ischer“ (1941-42/51) und „Die Waffenschmiede“ (1943/46).

Van Vogt zeigt sich in den meisten seiner Geschichten als literarisch ziemlich unbedarfter Autor, mit einem schlechten Stil und kaum in der Lage, glaubwürdige Charaktere zu entwickeln (seltene Ausnahme: der Mutantenroman „Slan“, 1946). Seine Vorliebe für Größenwahn, Supermänner und feudalistische Gesellschaftsformen machten ihn bereits früh zu einem umstrittenen Autor, der von Herausgeber Damon Knight mit dem vernichtenden Urteil „kosmischer Bauspekulant“ (in „In Search of Wonder“) belegt wurde. Immerhin: Knight bedauerte später sein einseitiges Urteil. Und Arthur Jean Cox kommt in seinem Autorenporträt in „Welten der Wahrscheinlichkeit“, 1983 herausgegeben von Ronald M. Hahn (Ullstein-Taschenbuch), zu einem ausgewogenen Urteil, kritisiert van Vogt aber wegen seines Engagements für die Dianetik (heute: Scientology).

Inhalte

Van Vogts Leben und Werk lässt sich leicht in vier Abschnitte einteilen, und dementsprechend ist auch Antons Buch aufgebaut. Nach einer raffenden Biografie folgt das Kapitel über die erste Schaffensphase 1939-1952: „Das frühe Kurzgeschichtenwerk“. In dieser Zeit entstanden die oben genannten, herausragenden Werke und Zyklen. Natürlich erwartet der Leser nun, dass jede Erzählung einzeln gewürdigt wird. Das ist jedoch, wie der Autor Uwe Autor warnt, schlechterdings kaum möglich. Denn van Vogt hat, aus ökonomischen Gründen wohl, viele seiner Erzählungen zu so genannten „Fix-up-Novels“ zusammengeklammert. Als Beispiel seien „Die Expedition der Space Beagle“, „Ischer“ und „Null-A“ genannt.

Dies hat mehrere Konsequenzen für Antons Darstellung. Erstens muss er die Story-Besprechung in die Besprechung des Romans verlegen – das finde ich sinnvoll. Das wiederum hat zur Folge, dass der Eindruck entsteht, die Storys von van Vogt seien von minderer Qualität, weil die erstklassigen Storys ja in der Romanrubrik verschwinden. Uwe Anton waren diese Gefahren wohl bewusst und er warnt den Leser vor voreiligen Schlüssen. Es gibt noch eine dritte Konsequenz, und diese betrifft die Bibliographie: Ein Roman wie „Der Krieg gegen die Rull“ erscheint nun mit nicht weniger als sechs Auflistungen, wegen der sechs Erzählungen, aus denen er ursprünglich bestand.

Gleich auf das Story-Kapitel folgt logischerweise das Kapitel „Die frühen Romane“. Hier finden sich neben den genannten Fix-up-Novels auch „Slan“, van Vogts klassischer und sehr einflussreicher Mutantenroman, der sogar heute noch recht lesbar ist.

Nachdem das Ende der ersten Schaffensphase auf das Jahr 1952 gelegt wurde, sollte man erwarten, dass die folgende, dritte Lebensphase „Die Jahre des Wandels“ zumindest mit dem Jahr 1953 beginnen würde. Das ist bei Antons Darstellung aber nicht der Fall. Der Grund ist einfach: Van Vogts schrieb nichts bis zum Jahr 1957, als „The Mind Cage“ („Die Denkmaschine“) veröffentlicht wurde. Dann erschienen wieder zwei aufgewärmte Werke: „Der Krieg gegen die Rull“ (Fix-up) und „Siege of the Unseen“ (1946 als „The Chronicler“).

Mit dem Roman „The Violent Man“ trat 1962 ein neuer van Vogt mit einem Non-SF-Thriller vor ein erwartungsvolles Publikum – und fiel durch. Er predigte statt zu zeigen. Und das zudem in einer Sprache, die meilenweit von dem mysteriösen Raunen und faszinierenden Spekulieren entfernt war, das er in seiner glorreichen Anfangsphase so erfolgreich einsetzte. Jetzt schrieb van Vogt in Umgangssprache. Ab 1963 verkaufte er wieder Kurzgeschichten, und das ist der Beginn eines neuen Buchkapitels: „Das späte Kurzgeschichtenwerk“ (1963-1986).

Es konnte nicht ausbleiben, dass van Vogt früher oder später wieder Fix-up-Novels publizieren würde, und dieser Fall trat auch schon 1969 ein: „Die späten Romane“ umfasst die Jahre von 1969 bis 1987. In einem gesonderten Kapitel werden die Sachbücher vorgestellt. Es ist verblüffend, dass van Vogt ein Buch über Hypnose schrieb, das sich ab 1956 rund 40 Jahre lang verkaufte. Seine Autobiografie erschien in der niedrigen Auflage von 1500 Exemplaren. Wenigstens schrieb er kein Buch über Dianetik – das hätte sich deren Erfinder, der SF-Kollege L. Ron Hubbard, auch verbeten, denn der veröffentlichte mit „Dianetics“ einen Bestseller – das „Alte Testament“ der Scientology-Kirche.

Den Abschluss bildet wie immer in der Reihe „SF Personality“ eine für den Shayol-Verlag typische, eindrucksvolle Bibliografie, die Uwe Anton zusammen mit dem entsprechenden Spezialisten Hans-Peter Neumann zusammengestellt hat. Sie umfasst nicht weniger als 40 Seiten und bestreitet damit über ein Viertel des Buchumfangs. Der Index am Schluss des Buchs ist eine willkommene Suchhilfe.

Mein Eindruck

Inhaltsangaben

Jedes Werk, ob nun Kurzgeschichte, Roman oder Sachbuch, wird mit einer – soweit lohnend erscheinenden – Inhaltsangabe vorgestellt, die mitunter von einer Entstehungsgeschichte ergänzt wird (besonders bei Fix-ups nötig). Das ist natürlich der Pflicht-Anteil einer Würdigung. Die Kür folgt mit einem Meinungsteil, der bei einem SF-Kenner wie Uwe Anton profund argumentiert, und zwar nicht nur auf der handwerklichen Ebene (Anton ist ja selbst Erzähler), sondern auch auf der ideologischen.

Kritische Anmerkungen

So erweisen sich angeblich wegweisenden Werke wie die des Null-A-Zyklus unter Antons kritischem Blick als Märchen, die auf banalen, aber als scharfsinnig präsentierten Binsenweisheiten (als „non-aristotelische Semantik“) Annahmen beruhen. Spätwerke wie „Das unheimliche Raumschiff“ (Rogue Ship) entpuppen sich zudem als sowohl hanebüchener Unsinn (telepathische Roboter) als auch frauenfeindliche Machwerke (Frauen werden verschachert wie Eigentümer).

Kontext? Fehlanzeige.

Dennoch sieht auch Anton die kritische Auseinandersetzung mit van Vogt erst am Anfang stehen. Und seine hier vorliegende Arbeit erscheint auf den ersten Blick als Ansammlung von Rezensionen, die mal mehr, mal weniger tiefschürfend sind. (Das ist ja auch bei dem Buch über [Kurt Vonnegut jr.]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?idbook=3222 aus der gleiche Reihe so.) Aber Rezensionen ergeben noch keinen zusammenhängenden Diskurs, der die innere Entwicklung und das Werk van Vogts in einen stringenten Kausalzusammenhang setzen würde. Warum unterscheidet sich das Spätwerk so stark vom Frühwerk? Die Antwort liefert nicht Uwe Anton (allenfalls andeutungsweise in der Kurzbiografie und der Einleitung), sondern oben genannten Arthur Jean Cox.

Ausgabenhinweise

Die für den Sammler wertvollsten Informationen liefert Anton sowohl in den Rezensionen wie auch in der Bibliografie. Wenn wir beispielsweise ganz nebenbei erfahren, dass die deutsche Ausgabe von „Slan“ erheblich gekürzt wurde, so kann das einen Seemann durchaus mal erschüttern.

Auch die deutschen Ausgaben von „Die Waffenschmiede von Ischer“ unterscheiden sich erheblich vom Original. Wie bei Cox (s. o.) nachzulesen ist, ersetzten die ersten deutschen Übersetzer den Begriff „Sevagramm“, den van Vogt wie eine Bombe in den letzten Satz einbaute, um einen Cliffhanger zu erzeugen, durch den unverfänglichen Begriff „Universum“. Wie langweilig! Erst die 1989 veröffentlichte Neuübersetzung von Rainer Eisfeld, die auf die Urfassungen der Magazinversionen zurückgriff, zitiert wieder dieses unheimliche „Sevagramm“ (was auch immer das sein mag). Eisfeld Essays in seinen Heyne-Ausgaben von „Ischer“ und „Null-A“ seien jedem Van-Vogt-Interessenten ans Herz gelegt. (In „Ischer“ ist auch die Korrespondenz mit van Vogts Gönner John W. Campbell nachzulesen.)

Die Bibliografie

Der etwas verwirrende Teil der Bibliografie beginnt mit dem Teil „Deutsche Ausgaben“. Jede Story wird mit ihren deutschen Verwertungen aufgeführt, und das können bei guten Erzählungen wie „Black Destroyer“ eine ganze Menge sein. So weit, so schön. Kritisch wird es erst, wenn es um Fix-up-Novels geht, hier ironischerweise FUN abgekürzt. Wurde so ein Verwurstungsroman veröffentlicht, so erscheinen nun auch seine sämtlichen Bestandteile als Einzelstorys mit entsprechenden Nachweisen. Bei „Der Krieg der Rull“, der im Heyne SF Jahresband 1980 abgedruckt ist, erscheinen daher sehr seltsame Seitenzahlen. Statt 311 bis 464 für den Gesamtroman tauchen nun Seitenumfänge für die Teilerzählungen auf, so etwa 311-348. Der Unvorbereitete wird erst einmal in Verwirrung gestürzt, doch spätestens mit dem dritten solchen Phänomen dürfte sich der richtige logische Schluss als Erleuchtung einstellen.

Unterm Strich

Für knapp zwölf Euro erhält der SF-Interessierte einen informativ und kritisch geschriebenen Einstieg in das Werk dieses einflussreichen Autors der amerikanischen SF-Klassik. Viele Titelbilder schmücken die Einzelrezensionen, häufig von den schwierig zu beschaffenden Originalausgaben. Die umfangreiche Bibliografie ist derartig detailliert, dass sie für den Sammler allein schon einen Grund darstellt, sich das Buch anzuschaffen (das ist gutes „Database Marketing“ seitens Shayols).

Die Van-Vogt-Kritik steht zwar, im Gegensatz etwa zu Autoren wie Frank Herbert, noch am Anfang, aber tut sie das nicht schon seit langen Jahren? Verlegerische Höchleistungen wie die kritischen Heyne-Ausgaben von „Ischer“ und „Null-A“ scheinen heute einfach nicht mehr möglich zu sein. Doch vielleicht schaffen es Kleinverlage wie Edition Phantasia (sie geben Lucius Shepard, Ursula K. Le Guin und Fritz Leiber heraus), Fantasy Productions (Jack Vance und andere) oder Shayol (Theodore Sturgeon usw.) eines Tages, eine kritische Ausgabe von „Slan“ herauszubringen. Denn die Großverlage geben sich mit Klassikern schon gar nicht mehr ab. Die erfordern nämlich „viel zu viel Aufwand“ im Lektorat.

Taschenbuch: 160 Seiten
www.shayol-verlag.de