Antonia Hodgson – Der Galgenvogel

Aus dem Inhalt:

London anno 1728: Der schwefelgelb flackernde Schein rußiger Öllampen, Übelkeit erregender Gestank frisch geleerter Nachttöpfe im Rinnstein, und in den schmalen Gassen das Zischen und Fauchen schwarzer Ratten … Durch diese Straßen wird ein gut gekleideter junger Mann zum Galgen nach Tyburn geschleppt. Die Menge am Straßenrand nennt ihn einen Mörder. Er versucht ruhig zu bleiben. Sein Name ist Thomas Hawkins, und er ist unschuldig. Irgendwie muss er es schaffen, das zu beweisen, bevor der Strick sich um seinen Hals legt. Natürlich ist alles seine eigene Schuld. Das Leben war gut, nachdem er dem Schuldgefängnis „The Marshalsea“ entronnen war. Er hätte dem gefährlichsten Kriminellen Londons ja nicht erzählen müssen, dass er wieder „auf Abenteuer aus“ sei. Er hätte niemals der Mätresse von King George Hilfe anbieten dürfen. Und vor allem hätte er nie der scharfsinnigen und berechnenden Queen Caroline trauen sollen. Sie versprach ihm für sein Schweigen einen königlichen Straferlass – doch letztlich schweigt niemand besser als ein Toter …

Mein Eindruck:

Tom Hawkins ist zurück. Fragt sich nur, für wie lange, denn impulsiv, wie er ist, lässt das nächste Unheil nach seinem langen Aufenthalt im Marshalsea nicht lange auf sich warten. Leider soll er diesmal am Galgen baumeln. Kann er seinen Kopf im wahrsten Sinne des Wortes retten?

Aber von vorn. Warum ist Tom überhaupt auf den Weg zum Galgen in Tyborn? Nun ja, die Anklage lautet: Schuldig des Mordes an seinem Nachbarn, dem er dummerweise am Abend zuvor gedroht hatte. Doch ist Hawkins wirklich ein Mörder? Tom Hawskins ist vieles – neugierig, sehr neugierig, beschützend (vor allem wenn es um seine Angebetete geht), ein wenig gutgläubig, kleineren Raufereien nicht abgeneigt, ein Spieler – aber ein Mörder? Nein, ein Mörder ist er nicht. Nur wer dann?

Ich-Erzähler Tom nimmt den Leser dafür mit auf eine schier unerträgliche Reise durch die Straßen Londons. Denn für den vermeintlichen Delinquenten auf einem klapprigen Holzwagen durch eine wütende und mit allerlei unschönen Sachen bewaffnete Menschenmenge transportiert zu werden ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Tom hofft und betet, dass ihm ein Straferlass von keiner geringeren als der Königin von England noch rechtzeitig das Leben rettet.

Um die Zusammenhänge besser verstehen zu können, gibt es kapitelweise Rückblenden, die bis zur Fahrt nach Tyborn reichen. Diese fangen recht beschaulich an und erzählen, welches Leben sich Tom und seine Lebensgefährtin Kitty Sparks (kennen wir bereits aus dem ersten Band) mit der geerbten Buchhandlung „Cocked Pistol“ aufgebaut haben. Während Kitty für den Verkauf zuständig ist, widmet sich Tom der Übersetzung von meist erotischer Literatur. Nun werden Sie bestimmt stutzen. Erotische Literatur, welche im London des 18. Jahrhunderts einfach so über die Buchladentheke verkauft wird? Die Wahrheit ist, dass die Bücher unter der Ladentheke verkauft werden. Ganz ungefährlich und legal ist es also nicht, was Kitty und Tom da tun. Ganz zu schweigen davon, dass die beiden in wilder Ehe das Haus und Bett miteinander teilen. Doch auch dieser Reiz in den Grauzonen des Verbotenen ist Tom bald nicht mehr genug und er fängt an sich zu langweilen. Und da er ein Talent dafür hat, sich in Schwierigkeiten zu bringen, lassen diese auch nicht lange auf sich warten. Und prompt wurde dann mal in einer Nacht sein recht sittenstrenger und gottesfürchtiger Nachbar ermordet. Ich schrieb bereits, dass Tom diesem Mann quasi unmittelbar zuvor gedroht hatte und das hatten leider ziemlich viele weitere Nachbarn mitbekommen. Der Verdacht gegen Tom ergibt sich dementsprechend ziemlich schnell. Aber Tom wäre nicht er, wenn er sich nur mit dem läppischen Problem einer Anklage wegen Mordes konfrontiert sehen müsste. Nein, er hat es auch durch eine Intrige geschafft in die „Fänge“ der englischen Königin zu geraten, die ihm keine Wahl lässt und Tom auch noch um delikate Informationen über den Ehemann ihrer Zofe Henrietta besorgen soll, um diese damit vor ihrem sehr gewalttätigen Gatten beschützen zu können.

Ob Tom seinen Kopf aus der Schlinge herausziehen kann und wer und warum der wahre Mörder des Nachbarn ist und ob Tom als Spion der Königin erfolgreich ist, das müssen Sie natürlich selbst herausfinden. Versprechen kann ich Ihnen allerdings die eine oder andere Überraschung.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen. Ein flüssiger Schreibstil mit welchem uns die Autorin Antonia Hodgson in ein historisches London im Jahre 1728 entführt. Und zwar so detailliert beschrieben, dass man als Leser froh sein kann das geschriebene Wort nicht riechen zu können. Was können wir uns doch glücklich schätzen, ein gut funktionierendes Sanitärsystem zu haben.

Etwas habe ich allerdings zu bemängeln. Leider fügen sich die Handlungsstränge zum Mord am Nachbarn und Toms Nachforschungen für die Königin nicht so gut ineinander ein. Vor allem deshalb, wenn man beim Nachwort angelangt ist, aus welchem hervorgeht, dass die Autorin die Intrige rund um Tom-Henrietta-englische Königin im Fokus des Romans sieht. Das hat mich irritiert, denn für mich war das fast das ganze Buch über eher eine Randgeschichte mit dem Kriminalfall im Vordergrund. Erst ganz zum Schluss wird deutlich, dass da noch mehr dahintersteckt.

Dem Lesevergnügen tut dies dennoch keinen Abbruch, denn spannend von vorne bis hinten ist die Geschichte in jedem Fall. Und obwohl es sich doch um einen Kriminalroman handelt, so verzichtet Hodgson auf überflüssige Brutalität ohne dabei an Nervenkitzel einzubüßen. Zur Auflockerung trägt Toms humorvolle Art und Weise bei. Denn auch wenn er bis zum Hals im größten Schlamassel steckt, ist er doch nicht hoffnungslos und kann sich auf treue Freunde berufen.

Fazit:

Wer noch ein Last-Minute-Geschenk für Weihnachten benötigt, der liegt mit „Der Galgenvogel“ ziemlich richtig. Auch wenn es sich quasi um Teil 2 aus den „Abenteuern“ von Tom Hawkins handelt, so muss man nicht unbedingt den Vorgänger „Das Teufelsloch“ (ebenfalls zu empfehlen) zuerst gelesen haben. „Der Galgenvogel“ stellt einen für sich abgeschlossenen historischen Kriminalroman dar, der auf mehr hoffen lässt.


Gebundene Ausgabe: 464 Seiten
Verlag: Knaur HC
Originaltitel: The Last Confession of Thomas Hawkins
ISBN: 978-3426653463

www.droemer-knaur.de

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