Arthur Machen – Die leuchtende Pyramide und andere Geschichten des Schreckens

Machen Pyramide Cover kleinInhalt

In den schattigen Winkeln der Realität überleben uralten Kreaturen, die denen auflauern, die sich neugierig aber unvorsichtig in ihre Refugien wagen. Die Folgen weiß Arthur Machen in vier Erzählungen und einem Kurzroman meisterhaft und erschreckend zu erläutern:

– Die leuchtende Pyramide (The Shining Pyramid, 1895), S. 7-37: Seltsame Symbole auf einer Mauer verstören einen britischen Landadligen. Gemeinsam mit seinem Freund, einem Schriftsteller, kann er den Code knacken – es ist eine Einladung zum Hexensabbat, der heimlich Folge zu leisten die beiden Hobby-Detektive dummerweise nicht widerstehen können.

– Die Geschichte vom weißen Pulver (The Novel of the White Powder, 1895), S. 39-60: Der Student ist überarbeitet und lässt sich ein Stärkungsmittel verschreiben. Eine Kette unglücklicher Zufälle führt dazu, dass sich das Medikament in ein wahres Teufelsgebräu verwandelt, dessen Einnahme das Opfer in den Urschleim allen Lebens zurücksinken lässt.

– Die Geschichte vom Schwarzen Siegel (The Novel of the Black Seal, 1895), S. 61-114: In den Höhlen und Wäldern von Wales lebt noch heute das zauberische (aber keineswegs zauberhafte) „kleine Volk“, davon ist der ansonsten gestandene Professor Gregg fest überzeugt. Nach vielen Jahren der Forschung gelingt es ihm endlich, dessen Spur aufzunehmen – er ward seither nicht mehr gesehen.

– Die weißen Gestalten (The White People, 1904), S. 115-167: Schon an der Wiege standen sie an der Seite der namenlosen Erzählerin – Feen oder Kobolde, die allerdings nichts mit den possierlichen Puppenwesen des Kindermärchens zu tun haben, sondern Vertreter eines uralten, verderbten Volkes sind, die ihr Opfer immer tiefer in den Sog des Bösen treiben.

– Der große Gott Pan (The Great God Pan, 1894), S. 168-242: Eine schöne aber mysteriöse Frau zieht die Männerwelt Londons in ihrem Bann. Der Klatsch über ihre geradezu magische Anziehungskraft lenkt ab von der beunruhigenden Selbstmord-Seuche, die ihre Schneise durch die High Society der Stadt zieht. Ein misstrauischer Privatgelehrter entdeckt, dass diese Dame nicht nur an anderen Orten der Welt schon zahlreiche Leichen hinterlassen hat, sondern auch mit den Mächten des Bösen im Bunde steht.

Welten jenseits des Tellerrandes

Die Welt, die in der wir leben, kennen wir Menschen eigentlich nicht wirklich. Selbst wenn wir den letzten Berg bestiegen, die letzte Meerestiefe ertaucht & den letzten Urwald durchquert haben, werden uns gewisse Refugien verborgen bleiben, deren Bewohner ihre ganz speziellen Methoden haben, die Privatsphäre zu sichern – oder sollte man besser von einer ‚Privat-Dimension‘ sprechen? Mitten im Leben sind wir jedenfalls nach Ansicht Arthur Machens von seltsamen Wesen umfangen. Man könnte sie als Seitentriebe der Evolution bezeichnen, die einen gänzlich anderen Pfad als die Menschen eingeschlagen und sich dabei wahrlich übernatürliche Fähigkeiten erworben haben.

Unsere Vorfahren kannten sie noch gut, nannten sie je nach Durchschlagskraft „Götter“ oder „Geister“, später – den Schrecken verniedlichend – „Feen“, „Kobolde“ oder „das kleine Volk“. Sie meinten aber stets dieselben uralten Kreaturen, deren Wege man besser nicht kreuzen sollte. Böse sind sie zwar, dies jedoch nicht mit Vorsatz, sondern weil es ihrem Wesen entspricht. Das Böse ist für sie alltägliche Lebensart, so dass man sie besser „fremd“ nennen sollte.

Freilich ist das Ergebnis dasselbe, wenn sie dich erwischen: ein Schicksal, das schlimmer ist als der Tod, erwartet ihre Opfer, denn diese Wesen beherrschen die elementaren Kräfte und rütteln an den Grundfesten des Lebens, an dessen vorzeitlichem Beginn der sprichwörtliche Urschlamm steht.

Alte aber präsente Schrecken

Diese Wesen bevölkern die hier gesammelten vier Kurzgeschichten sowie eine Novelle, die man als Mosaiksteinchen eines sehr viel größeren Werkes sehen sollte. Arthur Machen hat zahlreiche Storys verfasst, die sich in ihrer Gesamtheit zu einem Mythen-Kosmos fügen, der sich mit H. P. Lovecrafts „Cthulhu“-Saga durchaus messen kann. Dieser Vergleich erfolgt hier nicht von ungefähr, denn dem Meister aus Providence waren die Parallelen selbst aufgefallen. In seinem langen Essay „Supernatural Horror in Literature“ (1927, dt. „Die Literatur der Angst“/„Das übernatürliche Grauen in der Literatur“) widmete Lovecraft Machens Werk lange, freundliche Passagen, die deutlich machen, dass ihn die Idee uralter, im Schatten der Menschheit bis in die Gegenwart überlebender, düster brütender Un-Wesen faszinierte.

Dem Vorgänger (der ihn paradoxerweise um viele Jahre überlebte) erwies Lovecraft auch literarisch mehrfach seine Referenz, reihte dessen Gott Nodens aus „Der große Gott Pan“ dem eigenen Grusel-Multiversum ein („Das merkwürdig hochgelegene Haus im Nebel“) oder zitierte Machen direkt wie in der Einleitung zu „Grauen in Red Hook“.

Arthur Machens Status als einer der ganz Großen der phantastischen Literatur (aber nicht nur dieser) kommt nicht von ungefähr. Geboren wurde er als Arthur Llewellyn Jones am 3. März 1863 im kleinen Städtchen Caerleon on Usk, gelegen in Süd-Wales, als Sohn eines anglikanischen Pfarrers. Mit großem Interesse verfolgte der Knabe Arthur die archäologischen Ausgrabungen in der Grafschaft Monmountshire, die zweitausend Jahre zuvor Teil des Römischen Imperiums gewesen war. Auch Hinterlassenschaften der keltischen Ureinwohner kamen dabei zu Tage. Zusammen mit dem reichen Folkloreschatz dieser Region bot diese Vergangenheit den idealen Humus für den Geist eines jungen, fantasiebegabten Mannes, der schon früh eine Laufbahn als Schriftsteller anstrebte.

Ruhm kann gefährlich werden

Später siedelte Machen nach London um. Es folgten einige Hungerjahre, bevor er sich ab 1885 als Übersetzer und Verfasser abenteuerlicher Geschichten im Stil Robert Louis Stevensons einen Namen zu machen begann. Schlagartig berühmt wurde Machen 1891 durch „The Great God Pan“. Für die sittenstrengen Viktorianer war diese (aus heutiger Sicht recht dezente) Geschichte um heidnisch-dekadente (= zügellose, freie) Sexualität, die auch noch mit plakativem Horror aufgeladen wurde, starker Tobak.

In den folgenden Jahren hieb Machen noch mehrfach in diese Kerbe. Leider aus dem Zusammenhang gerissen erscheinen in der hier vorgestellten Sammlung „Die Geschichte vom weißen Pulver“ und „Die Geschichte vom Schwarzen Siegel“. Sie sind Teile des Episodenromans „The Three Imposters“ (1895, dt. „Botschafter des Bösen“). Zwar können sie auch für sich stehen, doch sie wirken im Zusammenhang deutlich stärker.

Als 1895 der Skandal um Oscar Wilde (der als ‚überführter‘ Homosexueller zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde) deutlich machte, dass die Toleranz des Establishments ihre Grenzen hatte, ging Machen gewissermaßen in Deckung. Mehrere Jahre schrieb er nur mehr, veröffentlichte aber nicht. In dieser Phase entstand u. a. „Die weißen Gestalten“. Erst 1904 wurde diese Geschichte erstmals in „Horlick’s Magazine“ veröffentlicht.

1899 trat Machen der ritualmagischen Rosenkreuzer-Gesellschaft „Hermetic Order of the Golden Dawn“ bei, die zu ihren Mitgliedern so illustre (oder berüchtigte) Persönlichkeiten wie William Butler Yeats, Aleister Crowley oder Grusel-Kollege Algernon Blackwood zählte. Die Verbindung blieb locker, da Machen, der ohnehin eher am ästhetischen Konzept der Magie als an ihrer praktischen Umsetzung interessiert war, sich bald vom unorthodoxen Heidentum ab- und der keltisch-christlichen Mystik zuzuwenden begann.

Zurück aus der Deckung

Ab 1902 trat Machen wieder als Schriftsteller hervor. Seine Werke wurden ‚zahmer‘, dafür aber politischer und tagesaktueller. Den wohl größten Erfolg seiner Karriere feierte er 1914 mit der phantastischen Kriegslegende um die geisterhaften Bogenschützen von Mons, die – vom heiligen Georg persönlich angeführt – in dieser Schlacht des I. Weltkriegs angeblich den bedrängten britischen Truppen zur Seite eilten und den deutschen Gegner in die Flucht schlugen. Schon bald wurde diese Geschichte nicht nur unglaublich populär, sondern auch für bare Münze genommen; noch heute findet sie sich als ‚wahre Begebenheit‘ in jener Sorte ‚Sachbuch‘, die ihre Leser mit dem Ungeheuer von Loch Ness oder den Aliens für dumm verkaufen will.

Mit seiner zweiten Ehefrau zog sich Machen 1929 nach Amersham in der Grafschaft Buckinghamshire, zurück, blieb aber schriftstellerisch weiter aktiv – notgedrungen, da sich der Wohlstand der früheren Jahre längst in Luft aufgelöst hatte. Arthur Machen starb am 30. März 1947 im hohen Alter von 84 Jahren.

Literarischer Schrecken mit Getriebeproblemen

Auf seine frühen phantastischen Geschichten, die in den vielen Jahren seit ihrem Erscheinen gleich mehrfach vergessen, wiederentdeckt und gefeiert wurden, war er mit Recht stolz aber gleichzeitig Realist genug, ihre Schwächen zu erkennen. Machens aus heutiger Sicht sehr modern wirkende Technik, die den bis dato üblichen stringenten Erzählfluss auflöste und es dem Leser überließ, ihn durch die Montage mehr oder weniger separater Handlungselemente quasi selbst zusammenzufügen, war zu einem guten Teil aus der Not geboren: Der Verfasser wusste sich oft keinen anderen Rat, wenn er seine Handlung wieder einmal in eine Sackgasse geführt hatte.

Diese Schwierigkeiten prägen auch die oft überbordenden Nebenplots und Einleitungen, die in der eigentlichen Geschichte wenig oder gar nichts verloren haben, aber Machen die Gelegenheit zu philosophischen (und sehr trockenen) Exkursen über die Natur des Bösen und ähnliche Themen boten, was den Lektürefluss manchmal etwas zäh geraten lässt. Aber dem stehen mehr als genug Passagen gegenüber, in denen Horror pur auf hohem Niveau geboten wird!

(Die Informationen zu Leben und Werk entnahm dieser Rezensent Joachim Kalkas Nachwort zu „Furcht und Schrecken“, dem ersten Band der nicht vom Glück begleiteten Machen-Edition des Piper-Verlags aus den frühen 1990er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, sowie der vorbildlichen Website der „Friends of Arthur Machen“)

Taschenbuch: 242 Seiten

Übersetzung: Herbert Preissler

www.suhrkamp.de

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