Die „Polis“ nennt man jenen Teil der Galaxis, der von den Menschen und ihren Abkömmlingen, Verbündeten und Feinden besiedelt wird. Das Sagen haben die KIs, künstliche Intelligenzen, deren Einheiten über die gesamte Polis verteilt sind und mit der Zentrale in Verbindung stehen. In dieser gewaltigen Sphäre begehren immer wieder feindliche Mächte auf. Vor gar nicht langer Zeit machte sich über dem Planeten Samarkand der „Drache“ bemerkbar – ein außerirdisches Biokonstrukt der legendären, längst ausgestorbenen „Erschaffer“, das unter hohen Verlusten nur scheinbar besiegt werden und fliehen konnte. Deshalb fragt sich Earth Central Security, die Sicherheitseinheit der Polis, ob der Drache hinter den mysteriösen Ereignissen steckt, die zur Zerstörung der Raumstation „Miranda“ geführt haben.
Das Schlachtschiff „Occam Razor“ wird in Gang gesetzt. An Bord befinden sich die Agenten Cormac und Gant sowie „Narbengesicht“, eine Kreatur Draches, deren Loyalität höchst ungewiss ist. Zunächst an anderer Stelle der Galaxis jagt Cormacs alter Kampfgefährte Thorn den kriminellen Naturwissenschaftler Skellar. Dieser ist durch einen Zufall in den Besitz von Hightech der der ausgestorbenen Dschaina gelangt. Sie lassen den skrupellosen Skellar zu einem Gegner werden, dem kaum beizukommen ist. Da sich der Forscher an Cormac rächen und außerdem ein Kampfschiff an sich bringen will, überfällt er die „Occam Razor“. Ein Segment Draches rettet die wieder vereinten Kampfgefährten.
Freund und Feind trifft sich auf Masada, einem Planeten im Aufruhr. Die Bevölkerung wird von der herrschenden Kaste der „Theokraten“ unterdrückt. Im Untergrund brodelt es, was von der Polis eifrig geschürt wird, denn diese will sich Masada einverleiben. Gejagt von Skellar, den Theokraten und diversem hungrigen Planeten-Viehzeug, machen sich die schiffbrüchigen Agenten auf, ihren Feinden das Fürchten zu lehren, wobei spektakuläre Rückschläge nicht ausbleiben …
Spektakel vor ganz großer Bühne
Die „Space Opera“, das universale Weltraum-Abenteuer, mit dem die moderne Science Fiction einst ihren Anfang nahm, ist so lebendig wie nie. Wieso sollte die Lust am (scheinbar) naiven High-Tech/Low-Level-Getümmel auch verflogen sein? Höchstens eine Aktualisierung der alten Formen und ihre Ergänzung um einige SF-Genre-Errungenschaften der Gegenwart wie Sex und offene Gewalt, aber auch das Aufgreifen politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Aspekte, waren erforderlich, um den alten Zauber neu aufleben zu lassen.
Die neuen Repräsentanten der Space Opera gehen zudem raffinierter vor als ihre Vorgänger. Oder kommt uns das als Zeitgenossen nur so vor? Sollte Neal Asher alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen, dann ist er sehr geschickt darin. Die Handlung seines Garns ist ungeachtet seiner Seitenstärke in der Tat nicht gerade komplex; das kann er uns nicht lange verbergen. Er gleicht es mit einer nie versiegenden Flut bizarrer Einfälle aus. Schon der Titel ist eine Anspielung: Das historische Masada ist eine Festung in Israel; hier leisteten jüdische Freiheitskämpfer einem vielfach überlegenen römischen Heer während des 1. Jüdischen Krieges (66-74 n. Chr.) erbitterten Widerstand
Natürlich lehnt sich die Polis nicht nur an das historische Rom, sondern auch an die modernen USA an. Mal offen, mal latent imperialistisch sucht sie sich das Universum „zu dessen Besten“ untertan zu machen. Gegen Protest – notfalls geschürt von der Polis – wird nicht offen vorgegangen: Man schickt Agenten nach Masada geschickt, die dort heimlich und gegen das örtlich geltende Gesetz die bestehende Ordnung unterminieren; dies nur sekundär zum Wohle der unterdrückten Bevölkerung, sondern vor allem zum eigenen politischen und wirtschaftlichen Nutzen der Polis, die schließlich mit Truppen zur ‚Rettung‘ auf der Szene erscheint.
Übertreibung als Stilmittel
Ashers Polis-Imperium ist aus längst bekannten SF-Elementen zusammengeklaubt. Man meint (viel zu) viele Filme und Romane wiederzuerkennen, aus denen Asher sich bedient hat. Doch setzt er das Entliehene famos neu zusammen und formt eine anspruchslose aber rasante, kunterbunte und spannende Geschichte, die nicht unbedingt mehr als 700 Seiten trägt, aber trotz diverser Längen immer wieder die Kurve kriegt.
Zimperlich geht Asher dabei nie zur Sache. Politisch doppelt unkorrekt serviert er seine ins Absurde übersteigerten Morde, Folterungen und Schlachten mit viel schwarzem Humor. Dahinter schimmert ironisch die ursprüngliche Naivität der Space Opera durch, wenn der Autor beispielsweise keinerlei Mitleid mit den bigotten Theokraten an den Tag legt: Sie schildert er als fundamentalistische Heuchler, die unter dem Deckmantel der Religion ihre eigenen spießbürgerlich-schmutzigen Spielchen treiben und jede Gemeinheit verdienen, die ihnen von Cormac, Drache & Co. voller Wonne angetan wird. In diesem Punkt ist Asher ganz aktuell: Der Tod kommt schnell und blutig, wird aber begleitet von zynischem Witz.
Auf die Details sollte man ohnehin achten. Asher malt seine utopischen Welten mit breiten Strichen, tupft aber immer wieder erstaunliche Details ein, die im Gedächtnis haften und das Geschilderte Gestalt annehmen lassen. Asher lässt seinen Hang zu bizarren Lebensformen mit entsprechenden Verhaltensformen freien Lauf. Die Ergebnisse sind ebenso erstaunlich wie unterhaltsam.
Helden mit Tat- aber ohne Strahlkraft
Ian Cormac ist ein Agent im All – eine Klischeefigur der Science Fiction, unterwegs im Dienst einer ‚guten‘ Macht, um die Bösen zu strafen. Dieses Konzept funktioniert schon im realen 21. Jahrhundert nicht mehr. Der Agent ist eine zwielichtige Figur geworden, die dort eingesetzt wird, wo eine Regierung aus dem Untergrund ihre Interessen durchzusetzen gedenkt; die Moral spielt dabei keine Rolle.
Dem alten Vorbild widerspricht Cormac insofern, als er sich nicht bzw. nicht mehr problemlos mit seiner Aufrag- und Arbeitgeberin, der Earth Central Security, aber auch nicht mit den Zielen der Polis selbst identifizieren kann. Cormac begeht den schlimmsten Fehler, den er in seinem Job begehen kann: Er denkt nach.
Ganz so weit ist sein Kollege Thorn noch nicht, aber auch bei ihm weist das alte Weltbild bereits Risse auf. Sein alter Freund und Kampfgefährte Gant ist gestoben – und als Kunstmensch wieder ‚auferstanden‘. Es dauert lange, bis Thorn mit dieser Situation klarkommt. Bis es so weit ist, stürzt sich Thorn mit jenem Elan ins Gefecht, den Cormac durch Bedacht ersetzt hat.
Gant ist sich selbst nicht über seinen momentanen Status sicher. Während der Kämpfe um Samarkand wurde sein Körper zerstört. Per Memotransplantation versetzte man eine Kopie seines Geistes in einen neuen Androidenkörper, der zwar schier unverwüstlich aber ganz sicher nicht menschlich ist. Gant versucht sich in seinem neuen Dasein einzurichten, was mit einigen Schwierigkeiten und Überraschungen verbunden ist, die der Figur Profil verleihen.
Die Jungen, die Schönen & der Finsterling
Für die jüngeren Leser gibt es als Identifikationsfiguren den Weltraum-Teenager Apis Coolant sowie auf Masada als weibliches Gegenstück die schöne Eldene. Wo ansonsten ultracoole Agenten- und Söldnerprofis ihrem Job nachgehen, repräsentieren sie die Sicht von Unbeteiligten, die unschuldig ins Geschehen verwickelt werden und auf die harte Tour die Regeln dieses Spiels lernen müssen. Wie es sich gehört, kommen sich Junge & Mädchen dabei allmählich näher, was aber für Asher kein Grund ist, darüber eine Metzelei zu überspringen.
Der böse Skellor ist eine sehr gelungene Figur. Asher zeichnet ihn zwar schier übermächtig, doch gleichzeitig bleibt der Kern des finalen Untergangs immer erkennbar: Skellor ist einem Gott an Kraft gleichgeworden. Psychisch ist er jedoch nicht gereift, sondern der alte rachsüchtige, grausame, von Minderwertigkeitskomplexen geplagte Wicht geblieben. Vor allem verwechselt Skellor Macht mit Wissen – diesen blinden Winkel seines Geistes nutzt der eigentlich hilflose Cormac auf, um seinen Gegner in eine Falle zu locken, die dieser mit ein bisschen mehr Fachkenntnis erkannt hätte: Skellor fällt nicht nur seinem Größenwahn, sondern auch seiner Fachidiotie zum Opfer: ein hübscher und vor allem plausibel umgesetzter Einfall krönt diesen Lektüre-Happen.
Autor
Neal Asher wurde 1961 in Billericay in der englischen Grafschaft Essex geboren. Seine Kindheit und Jugend verlief nach eigener Auskunft unspektakulär. Die Liebe zum Phantastischen erwachte früh; Auch Ashers Eltern schätzten das Genre, in dem ihr hoffnungsvoller Spross bereits im Alter von 16 Jahren recht unbekümmert erste Schritte sprich Schreibversuche unternahm.
Doch erst einmal holte die Realität den jungen Neal ein verfrachtete ihn u. a. in eine Firma für Stahlmöbel und andere obskure, in der Regel erfolglos ausgeübte Jobs, die offensichtlich in die Biografie jedes später erfolgreich gewordenen Schriftstellers gehören. In der zweiten Hälfte der 1980er fasste Asher beruflich Fuß in der IT-Branche. Nebenbei begann er ernsthaft zu schreiben bzw. zu üben und verfasste schon einen ersten (bis heute unveröffentlichten) Fantasy-Roman.
Nach einer längeren Episode als Gärtner (!) konzentrierte sich Asher auf seine Schriftstellerei. Er verfasste mit „Creatures of the Staff“ den ersten Band der Fantasy-Trilogie „The Infinite Willows“, schrieb Kurzgeschichten, Drehbücher und wurde langsam aber sicher eine feste Größe in der britischen Phantastik.
Der Durchbruch ließ bis 2000 auf sich warten. Asher wurde vom Verlag Pan Macmillan für gleich drei Romane unter Vertrag genommen. „Gridlinked“ (2000, dt. „Der Drache von Samarkand“) war der erste, gefolgt von „The Skinner“ (dt. „Skinner, der blaue Tod“) und „The Line of Polity“ (2002). Weitere seitenstarke, meist in der „Polis“ angesiedelte Romane folgten.
Informationen über Leben und Werk gibt Neal Asher auf seiner Website. Diese ist halbwegs aktuell, altmodisch layoutet und prall gefüllt mit bio- und bibliografischen Angaben, die aber nicht gerade erschöpfend sind – Asher ist eine Plaudertasche, die sich gern in Anekdoten verliert, und sieht außerdem keinen Grund, nicht kräftig für sich die Werbetrommel zu rühren.
Taschenbuch: 704 Seiten
Originaltitel: The Line of Polity (London : Macmillan/Tor 2003)
Übersetzung: Thomas Fichtel
http://www.luebbe.de
Der Autor vergibt: