Gerhard Augustin – Der Pate des Krautrock

In den späten Sechzigern, in einer Zeit, in der die Jugend vom Schlager und der immer noch grassierenden Beatmusik langsam aber sicher die Nase gstrichen voll hatte, kam in Deutschland eine vollkommen neue Musikbewegung in Gange, deren Einflüsse bis zum heutigen Tage anhalten sollten. Mit Gruppen wie AMON DÜÜL, CAN, POPOL VUH, TANGERINE DREAM und den immer noch aktiven SCORPIONS entstand eine Szene, die unter amderem aufgrund der damit einhergehenden Vorliebe für bewusstseinserweiternde, rauchbare Substanzen den Namen Krautrock erhielt und den deutschen Underground prägte wie wohl keine zweite Bewegung seither. Eine ihrer wichtigsten Figuren war zweifelsohne Gerhard Augustin, der die Szene nicht nur mitverfolgte, sondern auch einen großen Teil dazu beitrug, eine Basis für Rockmusik außerhalb des Mainstreams zu schaffen. Augustin war in vielerlei Hinsicht der Denker und Lenker, der im Hintergrund die Fäden zog, während die oben genannten Bands plötzlich überregional bekannt, geschätzt und schließlich auch berühmt wurden. Daher wurde ihm auch eines Tages der Name „Der Pate des Krautrock“ verliehen.


Mehr als zwei Jahrzehnte widmete sich Augustin dem Krautrock, erlebte den frühen Aufschwung genauso wie den rasanten aber erwarteten Sturz mit dem Beginn der Punk-Ära in den späten Siebzigern, kann aber für sich verbuchen, stets im Sinne des Idealismus gehandelt zu haben und sich selbst treu geblieben zu sein.

Dementsprechend viel hat Gerhard Augustin auch zu erzählen, wobei seine Berichte aus der Sicht eines Augenzeugen und direkt Beteiligten natürlich einen weitaus höheren Stellenwert haben als die eines Journalisten. Wie man sich somit vorstellen kann, enthält Augustins Buch über die Entstehung und den Werdegang der Krautrock-Szene eine Menge an bisher unveröffentlichtem Infomaterial, viele detaillierte Berichte, aber auch Wertungen und Kritik bezüglich so mancher Partner, die Augustin im Laufe der Jahre übers Ohr gehauen haben.
Alleine aufgrund der Tatsache, dass der hier als Autor tätige Berichterstatter in den Sechzigern stets zwischen den Staaten und Norddeutschland hin- und hergependelt ist, bieten sich bereits so viele Geschichten an, die mehr als nur diesen 400-seitigen Wälzer füllen würden.
Doch Augustin hat sich darauf beschränkt, die wesentlichen Fakten zu benennen, sie aus seiner Sicht zu schildern und schlussendlich auch in die Zeitgeschichte der heutigen Rockmusik einzuordnen. Leider geht aus dem Buch nicht genau hervor, wie lange er insgesamt gebraucht hat, um diese Geschichte zu erzählen, aber wegen der Fülle an aufgebrachtem Material ist zu vermuten, dass hier über Jahre daran gearbeitet wurde, das Lebenswerk eines bemerkenswerten Menschen darzustellen.

Augustin beginnt bei seinen Ausführungen zunächst mit seiner Beziehung zu dieser besonderen Musik und beschreibt die Menschen, die dazu beigetragen und ihn auf seinem langen Weg begleitet haben. Zugleich gibt er einen kurzen Überblick über die Musikszene der frühen Sechziger in den Staaten sowie in Deutschland, um auch deutlich herauszustellen, welche revolutionäre Entwicklung sich mit dem Aufkommen des Krautrocks vollzogen hat. Hierbei beschreibt er anhand von Songtexten, Lexikoneinträgen, Zeitungsberichten und Fotos seine besondere Beziehung zu einzelnen Musikern wie zum Beispiel Bob Dylan, charakterisiert aber im gleichen Zuge auch die wichtigsten Wesenszüge der damaligen Jugendbewegung, endend mit dem Summer of Love und den Erfolgen der stetig wachsenden BEATLES. Infolgedessen erklärt er, wie er selber mitgeholfen hat, innerhalb des deutschen Nordens ein Netzwerk aufzubauen, in dem die Szene hierzulande wachsen und gedeihen konnte.
Im nächsten und deutlich längsten Kapitel erzählt Augustin dann von seiner Zusammenarbeit mit den wichtigsten deutschen Bands dieser Zeit und kann dabei auch einige weniger schöne Anekdoten preisgeben. Dieser Part geht schließlich über in die kommerziell wohl erfolgreichste Phase, in der Gerhard Augustin mit Marius Müller-Westernhagen, der SPIDER MURPHY GANG und Udo Lindenberg arbeitete. Auch hier wird nicht nur mit Freuden auf eine schöne Zeit zurückgeschaut, sondern immer wieder auch auf eher ärgerliche, Unmut bereitende Zeiten eingegangen.
Im vierten und letzten Kapitel zieht Gerhard Augustin schließlich ein Resümee über vier Jahrzehnte Krautrock, die daraus gewonnene Einstellung zum Musikbusiness und seinen gesamten Lebensweg, der sich seit früher Jugend der Musik gewidmet hat. Hier wird es dann etwas persönlicher und die Sache verliert ein wenig ihren Erzählcharakter, was aber durch die inhaltliche Basis auch kaum anders ermöglicht wird.

Vier Kapitel voller Fakten, Erzählungen, Berichte und Anekdoten, und schließlich eine einzigartige Biografie, wie sie wohl nur wenige vorweisen können. Das findet man in „Der Pate des Krautrock“ wieder. Doch ist das lange noch nicht alles. Augustin hat massig Fotos und Zeitungsauschnitte gesammelt, alte Verträge und Briefe aufbewahrt und selbst Magazincover ans Tageslicht gebracht, eigens um sie in diesem dicken Schmöker noch einmal aufzuarbeiten. Das verleiht dem Anliegen nicht nur das letzte Fünkchen Authenzität, sondern erleichtert einem die Vorstellung so mancher vergangener Szenerie.
Diese Lektüre ist letztendlich natürlich in erster Linie das Dokument eines äußerst lebendigen Zeitzeugen, aber auch die Geschichte einer Bewegung, der man sich selbst in der heutigen Popkultur nicht entziehen kann. Lediglich der etwas eigensinnige Schreibstil – Augustin stellt schon klar heraus, dass er eine wichtige Figur für die Szene gewesen war bzw. noch immer ist – könnte einem anfangs einige Schwierigkeiten bereiten, hat aber am Spaß beim Lesen in meinem ganz persönlichen Fall rein gar nichts geändert. Ich bin jetzt nicht nur um einiges schlauer, was diese Musik betrifft, ich respektiere auch das Lebenswerk des Gerhard Augustin, das hier mehr als ausführlich dargestellt wird.

Gebundene Ausgabe: 397 Seiten