Ein Mädchen zwischen vielen Vaterfiguren
Blutjung ist das Mädchen, das aufgefordert wird: „Tu es, Martina“ Und sie tut es, mit wachsendem Vergnügen, denn raffiniert sind die Spiele, zu denen sie ermuntert wird. Und schließlich tut sie es so oft, dass sie es nicht mehr lassen kann… (Verlagsinfo) Ein Bekenntnisroman in 14 Briefen.
Die Autorin
„Aurelia Bosch“ ist eine echte Vielschreiberin und lässt sich auch bei Facebook finden.
Von ihr stammen folgende Titel:
1) Null Ouvert
2) Tu es, Martina
3) Der süße Schmerz
4) Pendelverkehr
5) Flammende Nächte
6) Die Flötenstunde
Handlung
Die sechzehnjährige Österreicherin Monika radelt in der Nähe der Grenze zu Italien rasch nach Hause. Sie hat ihre Freundin besucht und sucht nun vor einem nahenden Gewitter Unterschlupf. Da stößt sie in der Nähe ihres Dorfes auf das verlassene, zerfallende Haus am Wegesrand. Kaum hat sie es sich auf der alten Couch und den Kissen bequem gemacht, beginnt sie die vielen Briefe zu lesen, die sie in einer Schublade gefunden hat. Briefe an ein Frauengefängnis, in dem eine gewisse Maria Ricordi einsitzt. Sie wurden offenkundig nie abgeschickt. Die Verfasserin ist eine gewisse Martina, die hier in Monikas Dorf lebte.
Martinas Bekenntnisse
Martina will ihr Herz erleichtern und ihrer besten Freundin, eben Maria Ricordi, beichten, wie sie zu der berechnenden Frau geworden ist, als die sie heute erscheinen muss. Alles begann mit der zweiten Heirat ihrer Mutter zwei Jahre zuvor. Der Stiefvater, der gerne mit ihr ins Hallenbad geht, beginnt sich erst nach etwa einem halben Jahr für Martina zu interessieren, die im Dezember ihren 16. Geburtstag feiert. Als die Mutter bereits schläft, macht er Martina betrunken und ermuntert sie, die neuen Nylonstrümpfe, Strumpfhalter und das durchsichtige Negligé anzuziehen. Sie bemerkt kaum, wie er die Fotos schießt, auf denen sie alles zeigt. Später findet sie die Fotos in einem Umschlag, der unter ihrer Zimmertür durchgeschoben wurde. Sie ist schockiert.
Das erste Mal
Die Verführung Martinas mit aktiver Einwilligung ihrer Mutter (siehe Titel) setzt sich schrittweise fort, bis es an Silvester zum ersten Beischlaf kommt. Erst streichelt ihre Mutter sie zwischen den Beinen, dann tritt der Stiefvater ein. Er will Martina haben, doch die Mutter besteht darauf, dass er es auf die sanfte Tour tun soll. So wird Martina in dieser Nacht entjungfert. Doch im nächsten Schritt soll sie nett zu fremden Männern sein – am Telefon. Sie ahnt nicht, dass ihr Stiefvater ein Aufzeichnungsgerät angeschlossen hat, das sich automatisch einschaltet, wenn an diesem Apparat ein Gespräch geführt wird. Dieses Arrangement soll sich später als verhängnisvoll erweisen.
Telefon-Sex
Der erste Anrufer geht zum Glück sanft mit Martinas Gefühlen um, so dass sie nach einer Weile selbstsicherer wird. Sie hat sehr viele Anrufer und es kommt ihr so vor, als kenne sie die meisten Stimmen aus ihrem Dorf. Als der Stiefvater dann von ihr verlangt, sich mit dem ersten Kunden einzulassen, ist es wieder der erste Anrufer. Er lässt sich Walter nennen und besteht beim Stiefvater darauf, dass Martina nicht wie ein Stück Fleisch angeboten werde. Walter, der auch ihr erster Anrufer war, kennt natürlich die Fotos, aber sein Vorgehen besteht in einem Spiel: Er ist der Doktor, sie die Patientin. Da der Stundenlohn für die Arbeit auf dem Rücken vergleichsweise gut ist in diesen harten Zeiten, macht Martina weiter. Zumal ihr ihre Mutter eröffnet, dass sie in der Stadt selbst einen gewissen Kundenstamm „betreut“. Sie bringt ihr einige Kniffe des Gewerbes bei.
Ausgegrenzt
Doch in ihrem Dorf wird Martina geschnitten, nicht bloß von den Frauen, sondern von ihren eigenen, männlichen Kunden. Es hat sich herumgesprochen, was passiert ist. Und der Herr Pfarrer? Der hat die schlüpfrigen Fotos bei der Beichte gleich einbehalten. Sein Telefongespräch wurde aufgezeichnet, und jetzt weiß der Stiefvater, was das Töchterlein hinter seinem Rücken treibt – und sie weiß, dass er alles mitgeschnitten hat. (Daher kann sie sich beim Briefeschreiben auch ganz genau erinnern, wer was wann gesagt hat.)
Nun weiß Martina, dass sie hier nicht noch lange bleiben kann. Sie hat inzwischen ein Fahrrad – einen Luxus – bekommen und nutzt die Gelegenheit, wann immer sie kann in den Wald zum Aussichtsturm zu fahren. Auf dem Weg dorthin stößt sie eines Tages auf Albert, den Vater ihrer Freundin Veronika. Die beneidet die beiden um ihre Vertrautheit und Zuneigung. Sie hat inzwischen von ihrer Mutter erfahren, dass ihr leiblicher Vater noch lebt und zwar gar nicht weit weg. Albert ist zwar scharf auf die attraktive Teenager, die bald achtzehn wird, doch die lässt sich nicht von ihren Gelüsten und Gefühlen übermannen, sondern bietet ihm Paroli. Ein Sieg auf ganzer Linie.
Daddy
Die große Stadt, in der Martina ihren Vater mit ihrem Auftauchen überraschen will, ist ganz anders als das Dorf. Alle sind anonym, wenn auch einsam. Hat auch ihr Vater eine Freundin, fragt sich Martina. Vater ist der Druckleiter einer großen Druckerei und viel beschäftigt, erfährt sie vom Hausmeisterehepaar – das sie auch prompt in Daddys Wohnung einlässt, um sich mal richtig auszuschlafen…
Mein Eindruck
Martina ist eine sechzehnjährige Frau, die sich aufgrund der physischen und seelischen Schwäche ihrer Mutter gleich mit mehreren Vaterfiguren auseinandersetzen muss. Da der leibliche Vater abwesend ist, wird er von einem recht eigennützig handelnden Stiefvater ersetzt, der Martina schließlich nicht nur – mit Einwilligung der Mutter – zum Sex verführt, sondern auch zur Prostitution. Statt sich die Kugel zu geben, macht Martina das böse Spiel mit, das sie zugleich hasst, als auch fasziniert.
Nutznießer des sexuellen Angebots sind natürlich die Männer des Dorfes. Von Photo-Sex über Telefon-Sex geht es hin zu körperlichem Geschlechtsverkehr. Seine Merkwürden, der Herr Pfarrer, lässt Martina scheinheilig die Beichte ablegen – und schnappt sich auch gleich ihre Erotikfotos. Heute würde man solche Fotos eventuell auf Instagram finden, missbraucht für Zwecke des Cybermobbings und der Erpressung oder Nötigung. Auf Martinas Dorf geht noch alles handfest und völlig analog vonstatten.
Eine weitere Vaterfigur ist Albert, der Vater ihrer Freundin Veronika. Er ist das Inbild des liebenden Elternteils, dem sich ein Mädchen mit seinen Sorgen und Nöten anvertrauen kann. Auch hier fehlt eine starke Mutterfigur. Und in Martina scheint sich wohl die Einstellung zu bilden, dass nur sie selbst für sich einstehen kann, dass aber wahre Stärke von einem liebenden Vater kommen muss. Deshalb setzt sie alle weiblichen Schliche ein, um ihren Vater in der Stadt zu verführen. Dabei kommt es zu einigen grotesken Situationen und Dialogen, die die Autoren wahrscheinlich besonders witzig fand. Dass der Inzest und das anschließende Zusammenleben der „krönende Abschluss“ dieser Initiative ist, fand ich dann keineswegs akzeptabel.
Unterm Strich
Ich habe das Buch in wenigen Stunden gelesen; es reicht gerademal für eine Nachmittagslektüre. Die Sätze sind superkurz, manchmal sogar unvollständig. Hier wurde nicht am Stil gedrechselt, sondern ein Groschenroman abgeliefert. Immerhin weiß die Geschichte gerade den männlichen Leser – an den sich ja die PLAYBOY-Buchreihe richtet – zu unterhalten.
Auch wenn der Leser das Thema Inzest komplett ablehnt, so erhält er doch einige Einblicke in ländliche Strukturen und Machtverhältnisse, die der Unterdrückung aller Frauen, auch der jüngsten, dienten: vom einfachen Tagelöhner wie Martinas Stiefvater bis hin zum Dorfpfarrer. Der Autorin ist zumindest eine folgerichtige Entwicklung der Hauptfigur in diesem repressiven Milieu gelungen, die in ihren Bekennerbriefen ihre sexuelle und seelische Entwicklung hin zu einer selbstbewussten Frau schildert.
Offene Frage
Am Schluss fragt sich der Leser allerdings verwundert, wer denn nun diese „Maria Ricordi“ sein soll, die im Frauengefängnis sitzt, wohin die Briefe bestimmt waren. In den Berichten kommt diese Maria nämlich nicht vor, und auch die Mutter kann es nicht gewesen sein, denn es handelt sich ausdrücklich um eine „Freundin“. Monika kann sich ebenfalls nichts unter Maria vorstellen, fragt aber ihre Mutter, die Frau des Bäckers, wer diese Martina war. Sie erhält eine Antwort, die sie bereits kennt, die aber die Briefangaben bestätigt. Nie kommt ihr der Gedanke, dass ihr Vater mal etwas mit Martina gehabt haben könnte…
Taschenbuch: 128 Seiten
ISBN-13: 978-3811865457
Der Verlag VPM wurde inzwischen aufgelöst.
Der Autor vergibt: