Alle Beiträge von Christopher Bunte

Palmiotti, Jimmy / Gray, Justin / Higgins, John / Hurst, S. J. – The Hills Have Eyes – Der Anfang

Wes Craven wird gerne als einer der noch lebenden Altmeister des US-Horror-Kinos gehandelt. Das Remake seines Films „The Hills Have Eyes“ darf sich auf jeden Fall sehen lassen. Das Original kam 1977 in die Kinos, das Remake 2006. Die Geschichte über eine amerikanische Familie, die während einer Reise durch die Wüste von New Mexiko in die Fänge von Mutanten gerät, war hart, blutig und ungeheuer spannend. Endlich einmal wieder ein Horror-Film, bei dem man die Fingernägel ins Sitzpolster graben konnte! Im März dieses Jahres folgte dann die Fortsetzung des Remakes, „The Hills Have Eyes 2“. Wer Spaß an den Mutanten-Szenarios hatte, bekommt jetzt das passende Lesefutter dazu. Der kürzlich bei |Cross Cult| erschienene Comic-Band erzählt die Vorgeschichte und füllt die Lücke zwischen dem ersten Film und der Fortsetzung aus.

Die Hauptfigur ist ein großer, kräftiger Mutant namens Hades, der sich zum Anführer der schlagkräftigen Truppe entwickelt, die sich in den verlassenen Bergwerken versteckt. Erzählt wird aus seiner Perspektive, der Leser blickt dem Monster sozusagen direkt über die Schulter. Viel Neues hat die Geschichte nicht zu bieten. Wer die Filme kennt, wird sich schnell in dem Comic-Szenario zurechtfinden und wissen, wohin der Hase läuft. Spaß macht das Lesen trotzdem. Die beiden streitenden Parteien, die Mutanten und das Militär, begegnen sich nämlich nicht als jeweils homogene Gruppe, sondern sie sind auch untereinander zerstritten. Eine gewisse Orientierungslosigkeit ist die Folge, die Schuld bleibt an der Atombombe hängen. Die Story ist durchdrungen von Grausamkeiten auf beiden Seiten der Kriegslinie. Die Dialoge sind akzeptabel und das Artwork und die Aufmachung des Comics sehen prima aus. Sicherlich eines der hochwertigeren Fan-Produkte, dem man nicht nur die Begeisterung für den Film, sondern auch für Comics – und das ist hier wichtiger – anmerkt.

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Ennis, Garth / Robertson, Darick – The Boys 1 – Spielverderber

»Achtung! Nur für harte Jungs!« Der rote Button auf dem Umschlag von „The Boys“ spricht wahr. Garth ‚The Preacher‘ Ennis ist wieder da! Und mit ihm eine neue Bande von Kneipenschlägern, die der Welt mit abgefuckten Armeestiefeln in den Arsch treten will. Derbe Sprüche, Sex und Gewalt – davor soll der rote Button jeden potenziell uninformierten Leser warnen.

Mit gutem Grund. „The Boys“ ist eine Gruppe von fünf Radaubrüdern der übelsten Sorte. Okay, eine Schwester – genannt: »Das Weibchen« – ist auch dabei, sie spricht aber nicht, sondern beschränkt sich darauf, Anlass für mehr oder minder bescheuerte Sprüche zu sein. Oder sie zieht Machos die Haut vom Gesicht, kann auch vorkommen. Kopf und Anführer der Terrorbrigade ist Billy Butcher, der deklariert wird als »der vielleicht gefährlichste Mann, dem die C.I.A. je begegnet ist«. Gefährlich macht ihn in erster Linie seine Rücksichtslosigkeit, mehr nicht.

Superkräfte haben andere. Und zwar die Gegner von The Boys. Das sind Superhelden wie der Homelander oder A-Train, glänzende Übermenschen, Reminiszenzen an Superman und The Flash, die sich um das Schicksal und das Leben gewöhnlicher Leute einen feuchten Dreck kümmern. Stattdessen pflegen sie ihre Eitelkeiten und, im Verborgenen, ihre perversen Obsessionen. Die Superhelden sind degenerierte, arrogante Arschlöcher. Und ihre Widersacher, The Boys, sind plumpe, derbe Kneipenschläger.

Zu einer optimistischen Weltsicht geben beide Gruppen nicht den geringsten Anlass. Hoffnung geben höchstens Hughie und Starlight, beides Neueinsteiger, aber auf unterschiedlichen Seiten der Front. Sie finden das Verhalten beider Gruppen nicht in Ordnung, laufen aber trotzdem mit. Vielleicht kommen sie irgendwann dahin und gehen ihren eigenen Weg. Bis es so weit ist, darf Garth Ennis es aber gerne noch ein bisschen krachen lassen. Wer seinen „Preacher“ oder „Die Schlampe“ mochte, wird an „The Boys“ nicht vorbeikommen.

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Gaiman, Neil – Anansi Boys

Neil Gaiman wird gemeinhin als Fantasy-Autor bezeichnet. Dieser Begriff weckt vage Assoziationen an Elfen und Drachen, an Zwerge, verzauberte Schwerter und tausend andere Dinge, die dem Klischee entsprechen. Wer den Begriff Fantasy jedoch nur in den engen Bahnen von „Harry Potter“, „Lord of the Rings“ und „Narnia“ denkt, wird überrascht sein, mit welch erfrischendem Geschick Gaiman dem Genre neues Leben einhaucht.

In seinem kürzlich auf Deutsch erschienenen Roman „Anansi Boys“ kommen weder Elfen oder Drachen noch Zwerge oder Zauberschwerter vor. Das muss nicht sein, das haben andere schon vor ihm gemacht. Die Geschichte spielt im Hier und Jetzt, wobei Hier zu gleichen Teilen London und Florida meint, einen kurzen Abstecher auf eine Pazifik-Insel ausgenommen. Der phantastische Teil von „Anansi Boys“ ist eng mit der Realität verwoben. Der Leser bemerkt zunächst gar nicht unbedingt, dass er sich in einem Fantasy-Szenario befindet. Wenn Gaiman im ersten Kapitel seine Hauptfigur Charles Nancy vorstellt (den alle nur Fat Charlie nennen, obwohl er gar nicht dick ist) und ihn berichten lässt, wie und auf welche Weise sein Vater in einer Karaoke-Bar starb, erscheint alles zunächst nur etwas merkwürdig und eigenartig, vielleicht nur eine lange Reihe von Zufällen. Dennoch enthält der Text verborgene Hinweise, Bruchstücke eines großen Ganzen, das die Geschichte überwölbt.

Fat Charlies Vater starb singend, angetrunken, auf einer Bühne in einer Bar. Er brach plötzlich zusammen, fiel vornüber und landete mit der Nase in dem ausladenden Ausschnitt einer blonden Touristin, mit der er kurz zuvor noch geflirtet hatte. Das ist ein Abgang, der für ein ganzes Leben stehen kann. Als Fat Charlie auf der Beerdigung seines Vaters erfährt, dass er einen Bruder hat, beginnt für den Leser das Spiel mit der Wirklichkeit. Charlie, dessen psychische Konstitution hart auf die Probe gestellt wurde und dessen Leben wahrlich kein Zuckerschlecken ist, könnte in seiner Not einen Bruder erfunden haben, der genau so ist, wie er selbst schon immer sein wollte. Während Fat Charlie träge, geduldig und gutmütig ist, benimmt sich sein Bruder wie das genaue Gegenteil: Er ist frech, unruhig und clever. Irgendwie ähnelt er dem jungen Frank Sinatra. Dieser Bruder heißt Spider, und der Leser darf sich fragen, ob ihm da nur ein äußerst skurril-witziges Familientreffen vorgesetzt wird oder ob er Einblick in die schizophrene Innenwelt der Hauptfigur erhält.

Durch Spider gewinnt Fat Charlie Einblick in eine völlig neue Welt. Er lernt, dass die Dinge nicht statisch sind, was ihm neue Perspektiven auf seine Beziehung zu der gutherzig-langweiligen Rosie Noah eröffnet als auch auf seinen Job in dem Künstler-Büro des verschlagenen Grahame Coats. Lange hält Fat Charlie es jedoch mit Spider nicht aus. Er bringt Charlies Leben völlig durcheinander. Und Spider will nicht wieder von selbst verschwinden, sondern es sich im Leben seines Bruders richtig gemütlich machen. Ob es Charlie hilft, den Teufel mit Belzebub auszutreiben?

Hier und da wird behauptet, „Anansi Boys“ sei der Nachfolger von Gaimans Roman „American Gods“. Abgesehen von der Idee, dass einige alte Götter unerkannt unter den Menschen leben, haben beide Romane jedoch keinerlei Berührungspunkte. Hinzu kommt, dass die Geschichte von „Anansi Boys“ kompakter ist, irgendwie runder als „American Gods“, das größtenteils eine lockere Aneinanderreihung von Ereignissen war. Gaiman, der ein großartiger Erzähler von Kurzgeschichten ist, wie die Anthologie „Die Messerkönigin“ und die Comic-Serie „Sandman“ zeigen, wird geübter mit Romanen. Und er wird freundlicher, sanfter. „Anansi Boys“ ist hauptsächlich eine lustige Geschichte, bunt geschmückt mit originellen Details und witzigen Figuren. Mancher Leser, der beispielsweise „Niemalsland“ mochte, wird die dunklen, ekelhaften und gewalttätigen Nuancen vermissen, die Gaiman ebenso beherrscht wie das Humorvolle. Was Romane angeht, ist Gaiman also noch längst nicht am Ende seines Könnens angelangt. Sein nächster Roman möge bitte genau so geschlossen und rund sein wie „Anansi Boys“, aber bitte einen Schuss bösartiger, mit mehr Action und Gänsehaut. Und – hier eine Bitte an den deutschen Verleger – mit einer besseren Übersetzung. Die holpert nämlich leider viel zu oft bei der deutschen Fassung von „Anansi Boys“.

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Willingham, Bill / Buckingham, Mark – Fables 3 – Märchenhafte Liebschaften

Band 1: [„Legenden im Exil“ 3175
Band 2: [„Farm der Tiere“ 3506

Dass sich Rezensenten in ihrem Urteil zurücknehmen, kommt eigentlich nicht vor. Entweder bleiben sie trotz besseren Wissens und Gewissens bei dem Gesagten oder sie haben sowieso nur banales, unanfechtbares Zeug geschrieben, das niemand Lust hat zu bestreiten. Oder es hat niemand ihren Text gelesen – kommt schließlich auch vor. Für die amerikanische Serie „Fables“ hatte der Rezensent im November 2006 nur wohlwollende Worte übrig. Solide, ja, aber keineswegs revolutionär sei die Serie, die in den Staaten mit Eisner-Awards überhäuft worden war. Kein Must-have also, sondern eher eine Enttäuschung angesichts des Wirbels, der im Vorfeld von den Machern und Verlegern provoziert worden war. Dieses Urteil muss ein wenig korrigiert werden.

In „Fables“ geht es um eine kleine Gemeinschaft von Märchenfiguren, die vor vielen hundert Jahren aus Europa fliehen musste und nun im Exil lebt. Unerkannt leben die Fables unter den Menschen – so genannten Normalos – und versuchen angestrengt, ihre Tarnung sowie die Ordnung in ihrer Gemeinschaft aufrechtzuerhalten. Die kleine Gemeinde von Märchenfiguren versteckt sich mitten in New York. Außerdem lebt ein Teil der Fables auf einer abgelegenen Farm fern der Großstadt, weil sich nicht jede Märchenfigur gut in einer Großstadt verstecken kann. Dazu gehören zum Beispiel Riesen, sprechende Schweine und Drachen. Im Großen und Ganzen geht es also um eine Verschmelzung von Realität und Märchen, eine Idee, die man guten Gewissens unter dem Schlagwort Urban Fantasy einordnen kann. Vergleiche mit anderen erfolgreichen Serien wie Gaimans [„The Sandman“ 3852 oder Naifehs „Courtney Crumrin“ lägen nahe.

Dennoch hinken solche Vergleiche und verzerren das Bild. Fables fühlt sich merkwürdig bodenständig an. Die Erzeugung eines traumähnlichen Gefühls beim Lesen, vielleicht sogar eines Schwebezustandes, ist im Gegensatz zu Naifeh und Gaiman überhaupt nicht das Anliegen des Autors Bill Willingham. Während Gaiman während seiner Arbeit wahrscheinlich Shakespeare und mythologische Lexika rezipiert hat, warf Willingham eher einen Blick in Tageszeitungen, um Anregungen für sein Werk zu sammeln. Die ersten beiden Fables-Bände enthielten eine Kriminalgeschichte ohne viel Zauberei und eine Revolutionsgeschichte, die durchdrungen war von den persönlichen Beziehungen einiger Figuren zueinander.

Die vier Episoden, die im dritten Band „Märchenhafte Liebschaften“ zu finden sind, führen diesen Anfang recht konsequent weiter. In den beiden längsten Episoden geht es um einen Journalisten, der die geheime Märchen-Enklave an die Öffentlichkeit verraten will, und um Bluebeard, der Bürgermeister an Stelle des Bürgermeisters werden will. Es bleibt also bodenständig. Und knallhart. Die Seiten, auf denen Bigby Wolf und Snow White auf der Flucht vor Goldilocks sind, erinnern ein wenig an die Filme „Auf der Flucht“ oder „The Contract“. Natürlich mit einem märchenhaften Anstrich, aber der Leser darf sich sicher sein, dass es zur Sache geht und kein |Deus ex Machina| auftaucht und die Szene komplett umkrempelt.

Trotz dieser erzählerischen Sicherheit, in der sich der Leser befindet, bleibt es spannend. Man fiebert mit, ohne nur einen Augenblick lang zu vergessen, dass man lediglich Figuren in einem Comic beobachtet, noch dazu Märchengestalten, die ohnehin nicht richtig sterben können, solange sich die Menschen an sie erinnern. Es ist ernst, es geht um Leben und Tod, aber es darf gelacht werden. Garniert wird die Geschichte mit witzigen Details, die erahnen lassen, welche Feinarbeit bei Fables geleistet wurde. Da sind zum Beispiel die Comic-Hefte von Flycatcher und seinen Freunden, deren Cover Märchen-Reminiszenzen an populäre Comic-Titel sind (The Uncanny Oz-Men, Fairytale Four etc.). Oder die Diskussion einiger Liliputaner, dass sie ihre Stadt lieber Smalltown statt Smallville nennen wollen – eine Anspielung auf die aktuelle Superman-TV-Serie.

Natürlich sind einige Episoden von „Fables“ schwächer als andere. Aber es ist doch erstaunlich, wie gut die Mixtur funktioniert, die Willingham den Lesern da vorsetzt. Nach und nach verdichtet sich das Fables-Universum, formt hier mal einen Krimi und da mal einen Thriller aus, ohne dem Leser vorgaukeln zu wollen: „Hey, Magie gibt es wirklich!“ Mit der Zeit werden die Figuren vertrauter und die Welt von Fables erscheint wie ein unendlich großes Puppenhaus, das zwar mit Gebrüder-Grimm-Tapeten geschmückt ist, aber weitgehend irdisch-physikalischen Gesetzen folgt. Willingham hält von Traumtänzerei wahrscheinlich nicht viel. Als möchte er sagen: „Weißt du eigentlich, was mit einer Märchenfigur passiert, die von einem Sattelschlepper gerammt wird? Sie ist Matsch, ganz einfach.“

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Wood, Brian / Burchielli, Riccardo – DMZ 1: Abgestürzt

Die ersten Seiten von „DMZ – Abgestürzt“ wecken große Erwartungen. Amerika befindet sich im Bürgerkrieg, das Land ist geteilt. Den Vereinigten Staaten stehen die so genannten Freien Staaten gegenüber. Zentrum des Konflikts ist die Insel Manhattan. Hier liefern sich die beiden Kriegsparteien seit Jahren einen erbitterten Kampf, ohne dass eine Seite den definitiven Sieg davontragen würde. Die Fronten sind verhärtet, im Moment herrscht ein brüchiger Waffenstillstand.

Manhattan ist die DMZ, die Demilitarisierte Zone, in der keine Streitkräfte stationiert sind, sondern in die nur nach Bedarf ein- und wieder ausgerückt wird. Noch immer leben Zivilisten in Manhattan, die versuchen, im Kriegsgebiet möglichst gut über die Runden zu kommen. Mitten in dieses Treiben stürzt der Praktikant Matthew Roth. Er sitzt in einem Hubschrauber, der über der DMZ abstürzt. Als einziger Überlebender bahnt er sich einen Weg durch die von paramilitärischen Einheiten besetzten Hochhäuser, findet schneller Freunde, als der Leser glauben mag, und berichtet hier und da via Internet an die Außenwelt. So begegnet er Zee, einer Medizinstudentin, die als Ärztin unterwegs ist, The King, einem ehemaligen Marine, der mit einem überdimensionierten Sniper-Gewehr Aussicht hält, und Soames, dem Anführer einer Öko-Guerilla-Truppe.

Leider halten die ersten Seiten von „DMZ – Abgestürzt“ nicht, was sie versprechen. Die Grundidee umwölkt eine beinahe beißende Aktualität, nämlich ein inneramerikanischer Konflikt, der nicht nur eine politische, sondern auch eine soziale Dimension hat. Leider findet sich davon in „DMZ“ wenig wieder. Der intellektuelle Anspruch, welcher der Grundidee eines amerikanischen Bürgerkriegs anhaftet, löst sich nach wenigen Seiten in Wohlgefallen auf. Was bleibt, ist ein mittelmäßiger Kriegs-Comic, actionreich und nur selten spannend. Die große Vision bleibt aus.

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Busiek, Kurt / Anderson, Brent Eric – Astro City 1: Der gefallene Engel

Eine goldene Regel aus dem Universum der Superhelden lautet: Keine Superhelden ohne Superschurken. Diese Regel gilt auch für „Astro City“, Kurt Busieks Comic-Spielwiese bei |Wildstorm/DC|. Die gefeierte Serie, früher bei |Speed|, wird heute bei |Panini| fortgesetzt. Im Mai erschien „Der gefallene Engel“, eine Geschichte über einen Superschurken der etwas anderen Sorte.

Alles beginnt damit, dass der Häftling Carl Donewicz aus dem Gefängnis entlassen wird. Nach Jahren des Eingesperrtseins tauscht er seine orangefarbene Sträflingskluft gegen einen Anzug und ist wieder ein freier Mann. Allerdings ist Donewicz kein gewöhnlicher Knacki, sondern ein Superschurke. Seine Haut glänzt, sie ist aus kugelsicherem Stahl und macht ihn nahezu unverwundbar. Früher nannte man ihn Steel-Jacketed Man, oder nur kurz: Steeljack. Nun macht er sich auf den Weg zum Kiefer Square, einem heruntergekommenen Viertel von Astro City, wohin sich redliche Bürger in der Nacht besser nicht verirren.

Donewicz ist hier aufgewachsen. Man kennt ihn, ein kleiner Verbrecher, der bis ganz nach oben wollte und doch irgendwo auf dem Weg dorthin abgestürzt ist. Solche wie Donewicz gibt es in Kiefer Square viele. Aber der entlassene Häftling, der früher Steeljack war, hat etwas gelernt. Er möchte um jeden Preis gut sein, so wie die Superhelden, die engelsgleich am Himmel ihre Kreise ziehen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Legale Arbeit zu finden als Ex-Knacki, ist schwierig, die Vergangenheit lastet schwer auf Donewicz, Selbstzweifel und Schuldgefühle plagen ihn.

Im Kern ist „Der gefallene Engel“ weniger Handlung als Portrait. Sicher, einen Plot gibt es auch, er ist solide und macht Spaß, doch wirklich stark machen diese Geschichte die herzlichen Momentaufnahmen eines Gefallenen, der wieder auf die Beine kommen möchte. Wer hätte gedacht, dass man auf einer Superhelden-Story auch solch sensible Töne spielen kann?

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Trillo, Carlos / Risso, Eduardo – Vampire Boy 3 – Die Erlösung

Herzlichen Glückwunsch, |Cross Cult|! Eure erste abgeschlossene Serie liegt jetzt vor! Kürzlich ist der dritte und letzte Band der Reihe „Vampire Boy“ erschienen, eine deutsche Erstveröffentlichung aus den Händen des erfolgreichen Comic-Teams Carlos Trillo und Eduardo Risso. Ihr habt euch Zeit genommen, um die Sache ordentlich zu machen, das kann man sehen. Die Ausgaben sind Sammlerstücke, keine Kiosk-Heftchen: solider Einband, festes Papier, gute Bindung – das sitzt!

Das Szenario ist turbulent, eine ewige Verfolgungsjagd zweier Vampire durch das Gestern und das Heute. Irgendwo angesiedelt zwischen Sex, Action und Fantasy, entwickelt „Vampire Boy“ seinen höchst eigenen Stil. In einem Wort lässt sich die Serie kaum beschreiben. Auch Vergleiche bieten sich nicht an. Manchmal beschleicht den Leser das Gefühl, die Serie sei weder Fisch noch Fleisch. Wer so urteilt, übersieht jedoch schnell die Qualitäten, die ihr innewohnen.

Die in der Geschichte berührten Themengebiete verschmelzen zu einem kunterbunten Amalgam, das den Charme der Serie ausmacht. Pyramiden und Pharaos treffen hier auf Voodoo-Hexen, Indianer und Mafia-Gangster. Und das alles überwölbt von einem Vampir-Plot! Die Mischung ist höchst abwechslungsreich und unterhaltsam. Hinzu kommt, dass eine Verfolgungsjagd – wie hier zwischen dem namenlosen Königssohn und seiner untoten Nemesis Ahmasi – immer für die nötige Spannung sorgt. (Harrison Ford lässt grüßen.) So wird Vampire Boy zu einem Leckerbissen für Comic-Leser, die den Horror-Einheitsbrei satt und Lust auf etwas Neues haben.

Rissos Artwork ist zu genießen. Mutig arbeitet er mit großen schwarzen und weißen Flächen, oft unberührt von Text, weil sich die Bilder von selbst erklären. Ob Babes, Knarren, Autos oder dreckige Hinterhöfe – sein Strich trifft einfach den Ton und schmeichelt dem Auge.

Der Jahrtausende alte Zweikampf der beiden Vampire findet im letzten Band natürlichen seinen Abschluss. Das Ende ist gut vorbereitet und bewegt sich im Rahmen des Szenarios und der beiden Hauptcharaktere, ohne unnötig zu überhöhen oder in Unwahrscheinlichkeiten abzudriften. So bleibt „Vampire Boy“ bis zum Schluss ein solides Stück Comic-Kunst, was sowohl den Inhalt als auch die Aufmachung betrifft. Weiter so, |Cross Cult|, wir danken euch!

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Azzarello, Brian / Risso, Eduardo – Jonny Double

Kurze, knackige Krimis sind immer eine knifflige Angelegenheit: Sobald man anfängt, etwas über die Handlung zu erzählen, entsteht daraus ziemlich schnell eine Rutschpartie, auf welcher der Leser Spannung verliert. Man läuft schlicht und einfach Gefahr, beim Erzählen zu viel zu verraten. Der Leser reagiert verärgert, vollkommen zu Recht, weil er die Geschichte selber lesen, weil er selber gerne überrascht werden möchte.

Mit dem neuen Einzelband aus der Lizenzschmiede |Cross Cult| verhält es sich eben genau so. „Jonny Double“ ist ein spannender Krimi mit überraschenden Wendungen, über dessen Inhalt nicht zu viel verraten werden sollte. Das durch die Thriller-Serie „100 Bullets“ bekannte Duo Azzarello und Risso legte mit dieser Geschichte sein Debüt vor. Erschienen ist sie zum ersten Mal 1998, in vier Heftchen bei |DC Comics|.

Vielleicht ist es ja eine gute Lösung, über etwas anderes als die Handlung zu sprechen. Vielleicht lohnt es sich, eine interessante Nebensächlichkeit näher zu betrachten, die das ganze Szenario durchzieht, aber vielmehr zum Stil, zur Atmosphäre als zur Handlung beiträgt. Bei Jonny Double gibt es zum Glück solche Nebensächlichkeiten, die letzten Endes auch der Grund dafür sein dürften, warum man die Geschichte mehrmals liest.

Beim groben Blick über die Handlung fallen zwei verschiedene Gruppen auf, um die das ganze Geschehen kreist. Eine Gruppe vertritt dabei das Heute, die andere das Gestern. Jonny Double gehört zur letzteren. Um ihn herum gruppieren sich seine Kumpanen, Nebenfiguren, verkorkst, arm und kurz vor dem Ende. Zu nennen wären da Henry der Säufer oder Koo der Kiffer. Auch Larry der Barkeeper oder Otis der Hotelbesitzer gehören dazu. Jonny passt gut in diesen Kreis, vom Leben hat er nicht mehr viel zu erwarten. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Die Mitglieder der zweiten Gruppe sind beträchtlich jünger, noch fern der Dreißig, selbstbewusst und frech. Dexter, der freundliche Kiffer von nebenan, sitzt da am Tisch, gemeinsam mit dem Hacker Angel, der Sexbombe Faith und noch einigen anderen.

Damit die Geschichte ins Rollen kommt, beginnt natürlich eine Annäherung zwischen den beiden Gruppen. Der Fokus liegt dabei auf der Hauptfigur, auf Jonny. Zunächst sieht er sich bei der jüngeren Gruppe nur um, zieht sich wieder zurück und überschreitet schließlich aber eine Grenze. Er erinnert sich an die Zeit, als er noch jung war. Er sinniert, möchte vielleicht vergessen, dass er auf dem Abstellgleis des Lebens gelandet ist. Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger, da gab es noch Gemeinschaftssinn. Man wollte damals sein Bewusstsein erweitern und die Welt zu einem besseren Ort machen. Zu langsam realisiert Jonny, dass seine Zeit vorbei ist. Auf einer illegalen Party wird er Zeuge, wie junge Leute sich heutzutage amüsieren. Man nimmt Reißaus vor einer untergehenden Welt, in der nichts zählt und nichts mehr Bestand hat. Gemeinschaftssinn goodbye.

Jonny Double kämpft darum, etwas zurückbekommen, was es längst nicht mehr gibt. Als Leser wittert man intuitiv von Anfang an die Fallstricke, über die er am Ende stürzen wird. Die Sache kann einfach nicht gut gehen. Aber die Hauptfigur ist in ihrer Idee gefangen, und man kann sie nicht warnen. Bleibt nur Zugucken bis zum bitteren Ende. Und da steht bei solch einer Geschichte immer eine Entscheidung: Entweder stirbt die Hoffnung oder man stirbt selbst. Pointierter kann eine Crime-Noir-Story nicht sein.

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Kakalios, James – Physik der Superhelden

Neulich an der Universität von Minnesota. Das neue Semester hat begonnen. Die Studenten strömen in den Hörsaal zu einer Einführungsveranstaltung. Es ist ein unübersichtliches Durcheinander, man drängelt, quetscht sich. Die Stuhlreihen sind bis auf den letzten Platz besetzt, einige Studenten müssen auf den Treppenstufen Platz nehmen. Professor James Kakalios räuspert sich und ordnet seine Papiere.

Eigentlich braucht er sie nicht. Was er sagen will, könnte er inzwischen auch im Schlaf von sich geben. Angefangen hatte alles mit einer einfachen Idee. Als Professor für Physik und Astronomie war es Kakalios wichtig, dass Studenten Spaß an seinem Fach haben. Zur Auflockerung, damit seine Zuhörer am Ball blieben, hatte er früher seine Vorlesungen immer wieder unterbrochen und physikalische Quiz-Fragen eingebaut. Und manchmal präsentierte er dabei auch ein physikalisches Beispiel aus der Welt der Comics, nur so, zum Spaß. Welche Voraussetzungen müssten erfüllt sein, damit Superman über ein Hochhaus springen kann? Wie viel Energie kostet es Flash, um so schnell wie der Schall zu rennen? Irgendwann wurde daraus eine Vorlesung. Er nannte sie „Alles, was ich über Naturwissenschaften weiß, habe ich aus Comics gelernt“. Und irgendwann wurde aus der Vorlesung ein Buch: „Physik der Superhelden“.

Für Kakalios hat Wissenschaft viel damit zu tun, Fragen zu stellen. Anstatt seine Studenten jedoch mit Flaschenzügen und schiefen Ebenen zu langweilen, nahm er sich die Welt der Superhelden vor. Auch hier ließen sich einfache physikalische Fragen formulieren und beantworten. Es geht dabei um die Vermittlung einfacher Grundregeln der Physik. So nähert sich Kakalios mit Hilfe von Spidey & Co Themenbereichen wie Kraft, Bewegung, Thermodynamik und Elektrizität.

Doch „Physik der Superhelden“ ist nicht nur ein schmackhafter Lesehappen für Jungphysiker. Auch Comic-Leser haben Freude an Kakalios‘ Werk. Inzwischen war der Physikprofessor schon auf vielen Comic-Conventions, um über sein Thema zu sprechen. Danach gab er manchmal Signierstunden. Wenn man ihn bat, etwas zu zeichnen, malte er den schematischen Aufbau eines Atoms und schrieb an den Rand: „Nicht die wirkliche Größe.“

James Kakalios ist selbst noch immer überrascht von dem Erfolg, den sein Buch hat. Es vermittelt nicht nur Einblicke in die Grundzüge der Physik und unterhält mit Hilfe von Superhelden, sondern kommt auch noch mit einer leichten, fröhlichen und lebendigen Sprache daher, dass das Schmökern eine wahre Freude ist.

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Nelson, Arvid / Johnson, Eric (EricJ) – Rex Mundi 2 – Der unterirdische Fluss

Band 1: [„Der Wächter des Tempels“ 3657

Wenn man bei |Dark Horse| stöbert, fällt einem schnell auf, dass sich dort vieles um Horror dreht. Hellboy, Buffy und andere geben sich bei dem US-Verlag ein Stelldichein. Seit August 2006 veröffentlicht |Dark Horse| auch die Serie |Rex Mundi|. Das ist zwar weniger Horror und mehr Verschwörungsthriller, aber wer weiß diese Grenze im Angesicht von Dämonen und fanatischen Klerikern schon genau zu bestimmen?

|Rex Mundi| ist in diesem Jahr auch auf Deutsch erschienen, und zwar in der |Ehapa Comic Collection|. Die ersten beiden Bände „Der Wächter des Tempels“ und „Der unterirdische Fluss“ sind nun erhältlich, Band 3 ist für den Winter angekündigt. Es handelt sich dabei um Übersetzungen der ersten beiden US-Paperbacks. Jenseits des Atlantiks gibt es bereits zwei weitere, und zwei sollen noch folgen. Mit insgesamt also sechs Paperbacks soll die Serie in naher Zukunft abgeschlossen werden.

|Rex Mundi| ist ein Verschwörungsthriller mit christlich-religiösem Hintergrund, der in einem alternativen Frankreich des Jahres 1933 spielt. Hauptfiguren sind die zwei jungen Ärzte Dr. Julien Saunière und Dr. Genevieve Tournon. Sowohl Julien als auch Genevieve versuchen, in dem von der katholischen Kirche beherrschten Staat über die Runden zu kommen. So ergeben sich zwei Handlungslinien, die das grobe Erzählgerüst von |Rex Mundi| bilden. Julien und Genevieve kennen sich von früher. Offensichtlich verbindet sie eine einstige Liebesbeziehung, die beide nicht wieder aufflammen lassen möchten. Sie geben sich Mühe, bloß noch Freunde zu sein.

Julien und Genevieve bewegen sich auf unterschiedliche Art und Weise in König Ludwigs Frankreich. Genevieve pflegt ein gutes Verhältnis zu dem ehrgeizigen Herzog von Lorraine, der sich in offenem Streit mit dem König befindet und Herrschaftsansprüche auf das Heilige Land geltend machen will. Ob sie Lorraine wirklich gern hat, ist ungewiss. Sicher jedoch wäre ihr ein gesellschaftlicher Aufstieg, den eine Heirat nach sich zöge. Während Genevieve also eher auf eine Annäherung an die herrschende Klasse baut, setzt Julien auf Konfrontation. Der Auslöser dafür ist der Mord an seinem langjährigen Freund Pater Gérard Marin. Auf der Suche nach seinem Mörder stößt Julien auf allerlei Rätsel und Geheimnisse, die seit Jahrhunderten unter der Oberfläche der Macht schlummern. Anscheinend treiben die Tempelritter seit dem Mittelalter in Europa ein verborgenes Ränkespiel.

Was im ersten Band sehr verheißungsvoll begann, verliert im zweiten Band etwas an Fahrt. Das Gefühl einer unmittelbaren Bedrohung wurde in Band 1 vor allen Dingen vorangetrieben durch einen mysteriösen Killer, der Julien auf den Fersen war. In Band 2 fällt diese Figur weg. Stattdessen dominieren in „Der unterirdische Fluss“ Rätsel, Beziehungen und Machtverhältnisse. Die Geschichte verdichtet sich. Am Ende sind alle Klarheiten beseitigt, zum Glück, denn ein allzu absehbares Ende wäre dem zweiten von sechs Bänden schließlich auch nicht zu wünschen gewesen.

Drei Dinge sollen zum Abschluss hervorgehoben werden, die bei |Rex Mundi| außerordentlich positiv hervorstechen. Zum einen ist da die Handlung. Obwohl man gelegentlich spürt, dass der Autor noch kein Veteran ist und verschiedene Stellen etwas unübersichtlich, inhaltsschwer und trocken ausfallen, steht man doch beeindruckt vor seiner Leistung, was das Universum von |Rex Mundi| betrifft. In welchem anderen Comic findet man solch eine detaillierte und glaubwürdige Alternativ-Wirklichkeit?

Zum anderen sind da die Zeichnungen. Die Bildwelten des EricJ fallen weder besonders glatt noch dynamisch aus. Recht so, schließlich ist Rex Mundi kein Superhelden-Comic. Mit einer deutlichen Vorliebe für Einzelheiten und Schatten trifft er den Grundton der Geschichte außerordentlich gut. Manchmal wirken seine Figuren leider etwas hölzern, aber darüber lässt sich hinweglesen.

Dritter und letzter Punkt ist die hervorragende Aufmachung, die |Ehapa| |Rex Mundi| hat angedeihen lassen. Während herkömmliche Paperbacks gerne schnell aus dem Leim gehen, stimmt hier alles: Hardcover, ordentliche Bindung, dickes Papier. Keine Sorge, dass man bald einzelne Blätter in den Händen hält. So lässt sich |Rex Mundi| getrost mehrmals lesen. Wer Thriller mag, sollte sich diesen Spaß gönnen.

Deutsche Leseprobe Band 1
http://www.ehapa-comic-collection.de/media/RexMundi__LP.pdf

Offizielle US-Website von Rex Mundi
http://www.rexmundi.net/main/index.html

Dark Horse Comics
http://www.darkhorse.com

Ehapa Comic Collection
http://www.ehapa-comic-collection.de

Nelson, Arvid / Johnson, Eric (EricJ) – Rex Mundi 1 – Der Wächter des Tempels

Im März 2007 wurde »Rex Mundi 1 – Der Wächter des Tempels« auf Deutsch in der |Ehapa Comic Collection| veröffentlicht. Es handelt sich dabei um die Übersetzung des ersten US-Paperbacks »The Guardian of the Temple«. In den USA gibt es bereits insgesamt vier Paperbacks. Zwei sollen noch in naher Zukunft folgen. Mit dem sechsten Paperback also wird die Serie in absehbarer Zeit abgeschlossen sein.

Rex Mundi ist ein Verschwörungsthriller in der Tradition von Dan Browns [»The Da Vinci Code«. 1897 Die Geschichte spielt in einer alternativen Welt des Jahres 1933, in der die Reformation nie stattgefunden hat und die Kirche noch immer über große Macht verfügt. Die Hauptfiguren sind die Ärzte Dr. Julien Saunière und Dr. Genevieve Tournon. Der Leser folgt abwechselnd einem der beiden durch die Hinterhöfe und Salons von Paris. So bilden diese Figuren das grundlegende Erzählgerüst von Rex Mundi.

Die Geschichte beginnt mit einem Klopfen in der Nacht. Es ist der Priester Gérard Marin, der an die Tür seines alten Schützlings und Freundes Dr. Julien Saunière pocht. Saunière öffnet verschlafen die Tür und späht hinaus in die Dunkelheit. Was der Pater ihm zu erzählen hat, vertreibt in Windeseile alle Müdigkeit aus seinen Gliedern. Marin behauptet, er sei der Hüter einer geheimen Bibliothek, die sich unter der Kirche La Madeleine befindet. Ein magiebegabter Einbrecher habe von dort letzte Nacht eine wertvolle Schriftrolle gestohlen. Der Pater bittet Saunière, ihm bei der Suche nach dem Dieb zu helfen. Der Erzbischof darf nichts von dem Diebstahl erfahren.

Marin führt Saunière auf dessen Wunsch hin nach La Madeleine. Der Doktor möchte sich den Schauplatz des Verbrechens genauer ansehen. Unter dem Altar der Kirche führt eine geheime Wendeltreppe tief unter die Erde. Es liegt ein starker Geruch von Sandelholz und Schwefel in der Luft, ein untrügliches Zeichen, dass ein dämonisches Wesen vor Ort war. In der unterirdischen Bibliothek gesteht Pater Marin, dass noch jemand von diesem geheimen Ort wusste, und zwar die junge Prostituierte Marie-Christine. Mit süßen Einflüsterungen entlockte sie dem alten Priester sein wertvolles Geheimnis. Die Prostituierte könnte eine erste Spur zu dem Dieb sein. Als der Doktor sie aufsuchen will, findet er das Mädchen tot in seinem Zimmer. Sie wurde in einem Ritual hingerichtet, ihr Blut bedeckt die Wände. Nun schwebt auch Pater Marin in Gefahr, denn der Wächter des Tempels hat die Jagd eröffnet.

Obgleich man hin und wieder merkt, dass Arvid Nelson noch kein eingefleischter Veteran im Erzählen ist, beeindruckt doch seine Arbeit am Universum von |Rex Mundi|. In kaum einem anderen Comic findet man solch eine detaillierte und zugleich glaubwürdige alternative Realität. Die Bildwelten des EricJ fallen weder besonders glatt noch dynamisch aus, recht so, denn schließlich ist Rex Mundi nicht Batman oder Spider-Man. Mit einer Vorliebe für Einzelheiten und Schatten trifft er den Grundton der Geschichte bemerkenswert gut. Manchmal wirken seine Figuren leider etwas hölzern, aber darüber lässt sich hinweglesen. Zu erwähnen ist außerdem die hervorragende Aufmachung, die |Ehapa| der Serie hat zukommen lassen. Hier stimmt alles: Hardcover, ordentliche Bindung, dickes Papier. Man muss keine Sorge haben, dass bald einzelne Blätter aus dem Leim gehen. |Rex Mundi| lässt sich getrost mehrmals lesen. Wer Thriller mag, sollte lieber keinen Bogen um diese Serie machen.

Deutsche Leseprobe Band 1
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Offizielle US-Website von Rex Mundi
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Dark Horse Comics
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Ehapa Comic Collection
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Willingham, Bill / Buckingham, Mark – Fables 2 – Farm der Tiere

Band 1: [„Legenden im Exil“ 3175

Comics sind angeblich Geschmackssache. Kein Werk darf als „gut“ oder „schlecht“ bezeichnet werden, höchstens als „anders“. So grenzt man sich ab, bewertet aber nicht. Vielleicht handelt es sich ja bei dem betrachteten Objekt um das Lieblingsstück meines Gegenübers … Was da so resistent durch die Chatrooms und Foren geistert, behauptet gerne, eine Meinung oder ein Standpunkt zu sein. Tatsächlich ist es aber nicht mehr und nicht weniger als ein respektvoller und höflicher Umgangston, der sich verkleidet hat und das Urteilen scheut. Sicher, das ist politisch korrekt und enorm wichtig für die Kommunikation. Schließlich sind viele empfindliche Gemüter unterwegs. Aber es ist nur ein Teil der Wahrheit.

Wenn man einen Augenblick lang nachdenkt, fällt einem sicherlich das eine oder andere Kriterium ein, mit dem man einen Comic bewerten könnte. Zeichnungen, Plot, Cover, Kolorierung – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wenn bald wieder in San Diego die alljährlichen |Eisner Awards| verliehen werden, hat sich die Jury im Vorfeld lange über solche Dinge Gedanken gemacht. Und es hat dann nichts mit einem Mangel an Höflichkeit oder Respekt zu tun, wenn die Frage des persönlichen Geschmacks außen vor bleiben muss.

In diesem Jahr unterhält man sich in San Diego auch wieder über „Fables“. Die Fantasy-Serie des Autors Bill Willingham gehört zu den Senkrechtstartern der letzten Jahre und hat schon in früheren Preisverleihungen den einen oder anderen |Eisner| mit nach Hause nehmen dürfen. In Deutschland erscheint die Serie bei |Panini|. Der zweite Band wurde im März veröffentlicht und trägt den Titel „Farm der Tiere“. Es handelte sich dabei um die US-Hefte 6-10, die erstmals bei |DC/Vertigo| erschienen sind (12/2002 – 04/2003).

Hierzulande wird auf dem Cover damit geworben, dass „Fables“ bereits mit fünf |Eisner Awards| ausgezeichnet wurde. Die Trophäen gab es unter anderem in der Kategorie Best New Series, allerdings hat die sechsteilige Storyline „Animal Farm“ keine davon abbekommen. Das sollte aber nicht davon abhalten, hineinzublättern und sich über die Qualität der Geschichte zu unterhalten.

„Farm der Tiere“ setzt sich im Wesentlichen aus zwei Handlungssträngen zusammen. Eine Linie handelt von der schwierigen Beziehung zwischen den Schwestern Snow White und Rose Red. Beide sind sich im Laufe der Jahrhunderte fremd geworden und können einander nicht besonders gut leiden. Die Unterschiedlichkeit ihrer Wesensarten macht es ihnen dabei nicht gerade leichter. Snow White ist eine kühle, selbstbehrrschte Führungspersönlichkeit, Rose Red hingegen ist ein Punk, sexy und mit frechem Mundwerk.

Eine andere Linie handelt von umstürzlerischen Schweinen und Bären. Die Bewohner der Farm fühlen sich von den Städtern eingesperrt. Sie dürfen nicht in die Welt der Menschen, damit die geheime Märchengemeinde nicht auffliegt und in Gefahr gebracht wird. Beide Erzählstränge sind miteinander verwoben, wechseln einander gleichmäßig ab und beeinflussen sich gegenseitig. Persönliches verschmilzt hier mit Politischem zu einem interessanten Amalgam. Anspielungen auf literarische Vorlagen wie „Animal Farm“ von George Orwell oder „Lord of the Flies“ von William Golding sind absolut beabsichtigt. Dankenswerterweise behält der Leser dabei allzeit den Überblick. Man könnte also sagen, Willingham versteht sein Handwerk als Autor.

Auch Zeichner Mark Buckingham versteht sein Handwerk. Die vielen unterschiedlichen Menschen und Tiere wirken plastisch und haben Substanz. Diffuse Schatten und andere offene Formen gehören nicht zu seinem Repertoire. Buckinghams Strich ist ruhig und klar. Die sehr aufgeräumten, sauberen Panels erinnern ein wenig an „Tim und Struppi“ und andere Werke der französischen |Ligne claire|. Die Figuren allerdings sind amerikanisch und könnten auch jedes beliebige Superhelden-Szenario bevölkern. Ausbaufähig ist sicherlich die Kolorierung. Der Umgang mit Licht und Schatten ist toll, was aber zu kurz kommt, ist die Stofflichkeit der Objekte. Alles ist irgendwie glatt. Ein Türrahmen sieht aus wie eine Motorhaube sieht aus wie das Fell eines Bären…

Als letztes Bewertungskriterium stand das Cover auf unserer Liste. Der von James Jean gestaltete Umschlag ist voll, aber nicht überfüllt. Die Formen fließen ineinader, ohne jedoch an Schärfe zu verlieren oder das gesamte Gleichgewicht zu stören. Ein Mittelpunkt oder eindeutiger Blickfang ist nur schwer zu bestimmen. Der Blick wandert hin und her, geht tief hinein in die Ebenen des Covers und wieder zurück.

Ob nun der zweite Band von „Fables“ an dieser Stelle gut beobachtet wurde, sei dahingestellt. Ebenso ließe sich darüber streiten, ob dieser Text hier klar und deutlich genug formuliert wurde. Lässt man sich jedoch einmal darauf ein und folgt dem eingeschlagenen Pfad, wird erkennbar, dass es sich bei „Farm der Tiere“ um einen extrem gut gemachten Comic handelt – persönlicher Geschmack hin oder her. Der bleibt an dieser Stelle nämlich draußen.

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Carey, Mike / Manco, Leonardo – John Constantine: Hellblazer 1 – Hölle auf Erden

Trenchcoat, schlechte Rasur, Zigarette: John Constantine ist eine Ikone des amerikanischen Horror-Comics. Dabei ist der ironische Einzelgänger eigentlich Engländer durch und durch. Kaum ein anderer kennt sich mit schwarzer Magie besser aus als er. In seinem neuesten |Hellblazer|-Abenteuer „Hölle auf Erden“ erkundet er altbekanntes Terrain zwischen dem Inferno und dem Diesseits.

Autor Mike Carey und Zeichner Leonardo Manco erzählen die Geschichte einer eigentümlichen Seuche, die überall auf der Welt um sich greift. Die Krankheit lässt Menschen ins Koma fallen und ist offensichtlich dämonischer Natur. Wo die Ärzte vor einem unlösbaren Rätsel stehen, fängt die Arbeit von Constantine an. Die Nichte seines alten (und vielleicht einzigen) Freundes Chas ist ebenfalls betroffen. Die Angelegenheit ist also persönlich, und Constantines Motivation entsprechend hoch. Dennoch lässt er sich davon nichts anmerken. Die Nerven zu verlieren – das passt nicht zu einem Kerl wie John. Coolness ist Teil des Geschäfts.

Nach einem kurzen Vorgeplänkel in London begibt sich der Straßenmagier schließlich auf die Suche nach dem Ursprung der Seuche. Die Reise führt ihn nach Los Angeles, in die Stadt der Engel. Chas begleitet ihn, macht den Chauffeur und sorgt für so manchen Fehltritt, wenn Johns Gebahren einmal allzu glatt abläuft. Constantine findet heraus, dass die Hölle expandieren und in L. A. Filialen aufmachen will. Der Dämon Beroul, der es sich in einer verfallenen Villa in den Hügel bequem gemacht hat, benötigt dafür Johns Hilfe. Denn die Hölle ist vielgestaltig, und mehr als ein Seelenknechter möchte in Kalifornien Fuß fassen. Beroul hätte das Revier gerne für sich alleine und die Konkurrenten aus dem Weg. Die Seuche benutzt er als Druckmittel, um John für sich arbeiten zu lassen. Beim Poker um die Hölle von Los Angeles sitzt jedoch noch ein anderer Spieler am Tisch. John bringt den aztekischen Totengott Mictlantecuhtli mit in die Runde. Und der hat nicht vor, Berouls infernalischen Vormarschplänen tatenlos zusehen.

Obwohl es Spaß macht, Constantine dabei zu begleiten, wie er wieder einmal eine Partei gegen die andere ausspielt, bleibt „Hölle auf Erden“ leider nur ein durchschnittliches Horror-Szenario. Irgendwie hat man stets das Gefühl, dass Constantine alles im Griff hat. Dabei gehört er eigentlich auf das zitternde Drahtseil, das die Hölle und die Welt der Menschen überspannt. Frühere Geschichten über den britischen Straßenmagier ließen ihn mehr wanken, das Szenario erschien insgesamt bedrohlicher. Kurz vor dem Abgrund, wo Dämonen sich die Lippen nach seiner Seele lecken, dort sollte Constantines Stammplatz eigentlich sein. In „Hölle auf Erden“ ist er schnippisch, cool und lässig wie immer, aber so richtig nah am Abgrund steht er nicht.

„Hölle auf Erden“ ist im März bei |Panini Comics| erschienen. Zum ersten Mal wurde die Geschichte in englischer Sprache unter dem Titel „All His Engines“ veröffentlicht (Juli 2006, bei |DC/Vertigo|).

[Leseprobe bei DC]http://www.dccomics.com/media/excerpts/5390__x.pdf

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[Verlagsseite zur Reihe]http://www.paninicomics.de/?s=gruppen&gs__gruppe=10457

Ellis, Warren / Williams III, J. H. – Desolation Jones 1 – Made in England

Wenn man sagt, dass Warren Ellis gut darin ist, eine Menge abgefahrener, kranker Ideen auf engstem Raum zu versammeln, dann ist das in etwa so, als würde man die Bemerkung fallen lassen, dass es im Sommer in der Sahara ganz schön heiß werden kann. Warren „Transmetropolitan“ Ellis ist als Schöpfer abgefahrener, kranker Ideen hinlänglich bekannt. Sie sind gewissermaßen sein Aushängeschild.

Gemeinsam mit dem Zeichner J. H. Williams III holt er jetzt eine neue Serie aus der Kiste. „Desolation Jones“, so der Titel, erscheint seit März 2007 auf Deutsch bei |Panini|. Band 1 heißt „Made in England“ und enthält die ersten sechs Hefte der Serie, die seit Juli 2005 bei |DC Wildstorm| erschienen sind.

Hauptfigur und Namensgeber der Serie ist Michael Jones, ein ehemaliger MI6-Agent, der aus dem regulären Dienst entlassen wurde und nun ein Schattendasein in Los Angeles führt. In der Stadt der Engel existiert eine verborgene Enklave ehemaliger Geheimagenten, die weder ihren Dienst tun noch ins normale Leben zurückkehren können. Die Behörden haben sie auf das Abstellgleis geschoben. Nun hängen die Ex-Agenten fest in einem Zwischenraum und sammeln die verbliebenen Stücke ihres menschlichen Wesens ein. Jeder schleppt seine eigene, sehr spezielle und verhängnisvolle Vergangenheit mit sich herum.

Die Community der Ex-Agenten ist zugleich eine Community der Freaks. Jones selbst ist der einzige Überlebende eines biochemischen Versuchs mit dem Namen „Desolation-Test“. Durch den Test ist sein Körper ausgezehrt und bleich. Er verträgt kein Sonnenlicht mehr und schläft höchstens noch eine Stunde am Tag. Emotional ist Jones ausgebrannt und total am Ende. Hinzu gesellen sich eine Handvoll ausgeflippter Nebenfiguren. Da ist beispielsweise Jeronimus, Jones‘ Auftraggeber, der nur einmal im Jahr essen muss, dann aber jede Menge und am besten rohes Fleisch. Mit einem Gebiss aus Stahl jagt er Kühe. Oder Colonel Nigh, Jones‘ anderer Auftraggeber, ein sexabhängiger Militär, mit siebzig Krankheiten gestraft, der seinen Penis in Bombay sicher weiß.

So abgefahren die Protagonisten, so krank ist auch der Plot. Jeronimus bittet Jones, unter den Mitgliedern der Enklave zu ermitteln. Colonel Nigh hat die Vermutung, dass drei junge Ex-Soldaten der US-Army aus seiner Privatsammlung einen Porno-Film mit Adolf Hitler gestohlen haben. Er möchte ihn um jeden Preis wieder zurückbekommen. So zieht Jones los und klopft an die Türen des örtlichen Porno-Business. Während seiner Ermittlungen handelt er sich nicht nur einen Haufen Ärger ein, sondern entdeckt zugleich, dass der Hitler-Porno nicht mehr als eine Finte ist. Um den Fall zu lösen, muss er in anderen Gefilden herumschnüffeln. Zum Beispiel in den Familienverhältnissen von Colonel Nigh. Oder in dem Projekt |Temple Farm|, das der Colonel zu seinen aktiven Zeiten geleitet hat.

Im Vergleich mit Warren Ellis‘ bekannter Serie „Transmetropolitan“ fällt „Desolation Jones“ ruhiger und gesetzter aus. Die Welt ist nicht so bunt und quietschig wie zu Spider Jerusalems Zeiten, sondern eher dunkel und melancholisch. Wer die abgefahrenen, kranken Ideen einmal beiseite lässt, bemerkt, dass es bei „Desolation Jones“ im Kern um die Themen Manipulation und Abhängigkeit geht. Als hätte der Autor zu oft |Eurythmics|‘ „Sweet Dreams“ gehört: „Some of them want to use you, some of them wanna get used by you …“ Wer nutzt letzten Endes wen aus? Wer wird wie benutzt? Das ist die Triebfeder, die hinter „Made in England“ steckt. Das Porno-Business als Metapher bietet sich dafür ganz gut an.

Kranke, abgefahrene Ideen sind natürlich nicht jedermanns Geschmack. Was gibt es sonst noch? Leider kommt der Humor in „Desolation Jones“ etwas zu kurz. Gerade die völlig maßlosen Übertreibungen von Spider Jerusalem haben mir bei „Transmetropolitan“ immer am meisten Spaß gemacht. Die Zeichnungen sind toll, realistischer Stil, dynamisch und abwechslungsreich. Insgesamt ist „Made in England“ ein gutes Stück Comic, eine dunkle Mischung aus Thriller-, Agenten- und Action-Comic, bei der die Satire leider ein bisschen zu kurz geraten ist. Wenn man abgefahrene, dreckige Szenarios gern hat, dürfte man auf dem deutschen Comic-Markt derzeit kaum etwas Vergleichbares finden.

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Lloyd, David – Kickback

David Lloyd ist Brite und ein alter Hase im Comic Business. Seit den späten Siebzigern zeichnet er. Am bekanntesten ist sicherlich sein Artwork für [„V wie Vendetta“. 2428 Nun erscheint bei |Ehapa| der Titel „Kickback“, eine düstere Kriminalgeschichte über einen korrupten Polizisten. Es ist Lloyds erste Arbeit als Zeichner und Szenarist.

Die Hauptfigur in „Kickback“ ist Joe Canelli. Er ist das Zentrum der Handlung, Lloyds Fixpunkt, um den er Ereignisse und Nebencharaktere anordnet. Die Geschichte spielt in Franklin City, einer fiktiven Stadt, die jede beliebige Großstadt sein könnte. Korruption hat an diesem Ort Fuß gefasst. Die örtlichen Ordnungshüter haben sich mit den Verbrechern arrangiert und kassieren dabei nebenher selber. Durch eine Kette von Ereignissen jedoch kommt das empfindliche Gleichgewicht zwischen Cops und Gangstern ins Schwanken. Plötzlich liegen jede Menge Leichen auf den Straßen; zuerst sind es Verbrecher, dann auch Polizisten.

Detective Canelli sollte eigentlich besser über die Hintergründe schweigen. Sein Chief rät ihm, den Mund zu halten und wichtige Fragen nicht weiter verfolgen. Die Öffentlichkeit muss nichts davon erfahren. Wie immer. So einfach ist die Sache für Canelli jedoch nicht. Sein Gewissen hat einen Stoß bekommen, er entscheidet sich zu handeln und etwas zu ändern. Er hat über die Jahre vergessen, woran er glaubt und was ihm wichtig ist. Sein Kampf gegen die korrupten Kollegen wird schließlich auch zu einem Kampf um seine Identität.

Die Geschichte um und über Joe Canelli ist ein Crime noir, eine düstere Kriminalhandlung ohne viel Hoffnung und Humor. Wer jetzt sofort an „Sin City“ denkt, liegt falsch. Die Erzählweise wird so manchen Leser an „V wie Vendetta“ erinnern. In Kickback wird noch zurückhaltender mit Sprache umgegangen. Textboxen, die die Handlung erläutern oder zusammenfassen, kommen nicht vor. So fühlt sich Kickback stellenweise an wie ein Film, und die Bilder sprechen für sich selbst.

Bemerkenswert ist Lloyds außerordentlich dichte Erzählweise. Obwohl die ablaufende Handlung simpel ist, gelingt es ihm, Tiefe zu erzeugen und mehrere unterschiedliche Erzählstränge gleichzeitig voranzutreiben. Ein toller Comic, handwerklich außerordentlich anspruchsvoll, intelligent und vielschichtig.

„Kickback“ erschien bereits 2003 als französisches Album bei |Edition Carabas|. Im August 2006 veröffentlichte |Dark Horse| die Geschichte. Auf Deutsch gibt es Kickback seit Februar 2007 bei |Egmont Ehapa| zu lesen.

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Gaiman, Neil – Sandman: Ewige Nächte

Neil Gaiman ist wieder da. Genauer gesagt: Der Sandman ist es, alias Morpheus, Lord Dream oder der Herr der Träume. So genau trennen kann man das nicht. Obwohl der Sandman seinen Ursprung im Superhelden-Kosmos des Golden Age hat und obwohl Gaiman noch diverse andere Veröffentlichungen vorweisen kann, sind er und seine Figur nahezu untrennbar miteinander verbunden. Verwunderlich ist das nicht. Die |Sandman|-Serie sticht aus Gaimans Gesamtwerk allein wegen ihres bloßen Umfangs heraus. Hinzu kommt, dass Gaiman mit seiner eigenwilligen Neuinterpretation des Sandman mal eben einen Meilenstein der Comic-Literatur hingeworfen hat. Titel wie „Die Bücher der Magie“ und „Fables“ profitieren noch heute davon.

Nun bereitet |Panini| hierzulande den Neustart der Serie vor. In insgesamt vierzehn Bänden soll sie in den nächsten Jahren veröffentlicht werden. Der erste Band „Ewige Nächte“ ist im Januar 2007 erschienen. Er enthält sieben Kurzgeschichten, die paradoxerweise Gaimans letzte Arbeiten am |Sandman|-Universum darstellen. In den USA sind sie 2003 erschienen, lange nachdem die Serie bereits abgeschlossen war. So ergibt es Sinn, wenn Gaiman im Vorwort wissen lässt: „Diese Geschichten zu schreiben, war wie nach Hause zu kommen.“

Taktisch ist es kein dummer Schachzug, mit „Ewige Nächte“ die Reihe der Veröffentlichungen zu beginnen. Das hat mehrere Gründe. Zunächst sind da die alten Leser, die die Serie bereits kennen. Sie freuen sich über brandneues Material, das bisher noch nicht auf Deutsch veröffentlicht wurde. Dann sind da die neuen Leser, denen ein guter Einstieg in die Serie geboten wird. Die sieben Kurzgeschichten präsentieren die sieben Ewigen, von denen der Namensgeber der Serie einer und eben der wichtigste ist. So lernen neue Leser auf unkomplizierte Weise das |Sandman|-Universum kennen, ohne Fragmente sammeln zu müssen, wie es stellenweise bei den älteren Geschichten der Fall war.

Hinzu kommt aber noch ein anderer Punkt. Als Neil Gaiman mit dem |Sandman| Anfang der Neunziger loslegte, war er zwar schon ein begnadeter Geschichtenerzähler, aber er wollte noch viel Neues ausprobieren. Manchmal ging das schief. Mittlerweile dürfte er routinierter sein, sicher im Umgang mit Werkzeugen und Techniken. Das bekommt auch „Ewige Nächte“ zu spüren. Neil Gaiman ist voll da. Unterstützt wird er von sieben Zeichnern, die auf eindrucksvolle Weise die Persönlichkeiten der sieben Ewigen in Bildern umsetzen.

Wie bei einer Sammlung von Kurzgeschichten nicht anders zu erwarten, gefallen einige mehr und andere weniger. Zu den Höhepunkten von „Ewige Nächte“ gehört sicherlich die erste Geschichte, „Tod in Venedig“, umgesetzt von P. Craig Russell. Auch die anderen Episoden sind großartig erzählt, wenngleich vielleicht mit etwas weniger Eleganz und Eindringlichkeit. Bewundernswert ist das ausgeglichene Verhältnis zwischen künstlerischem Anspruch und Mainstream-Comic, was ebenso die grafische wie die inhaltliche Arbeit betrifft. Davon könnten sich zahlreiche neuere Fantasy-Publikationen eine Scheibe abschneiden.

Wenn die Arbeit an „Ewige Nächte“ für Neil Gaiman war, wie nach Hause zu kommen, so bleibt zu hoffen, dass er sich mal wieder öfter beim alten |Sandman| blicken lässt. Gaiman werden Ambitionen nach Hollywood unterstellt, weil sich als Drehbuchautor mehr Geld verdienen lässt. Wünschen wir ihm dabei viel Glück. Den |Sandman| wird er eh nicht mehr los.

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_Neil Gaiman bei |Buchwurm.info|:_
[„Sternwanderer“ 3495
[„American Gods“ 1396
[„Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel“ 1581
[„Die Wölfe in den Wänden“ 1756
[„Die Messerkönigin“ 1146
[„Keine Panik! – Mit Douglas Adams per Anhalter durch die Galaxis“ 1363
[Verlassene Stätten 2522 (Die Bücher der Magie, Band 5)
[Abrechnungen 2607 (Die Bücher der Magie, Band 6)

Dabb, Andrew / Kurth, Steven / Raffaele, Stefano / Weis, Margaret / Hickmann, Tracy – Drachenzwielicht I (Die Chronik der Drachenlanze)

Krynn geht es gerade nicht so gut. Die wahren Götter sind fort, Dunkelheit hat sich über das Land gesenkt. Doch zum Glück gibt es da diese tapfere Heldengruppe, die auszieht, um das Böse zu bekämpfen. Alle sind da: der Krieger, der Magier, der Elf, der Zwerg, undsoweiterundsoweiter … Die Finsterlinge bekommen mächtig auf die Mütze: Echsenmenschen, Drachen und was sonst noch so durch die Gegend kreucht. Sicher, in Comics wird seit jeher gerne mit Stereotypen gespielt. Aber muss es so offensichtlich sein?

Nach einer kurzen Vorstellung der Charaktere geht die Reise los. Die folgenden Ereignisse reihen sich aneinander wie Perlen auf einer Kette. Übergreifend und sinnstiftend ist die Aufgabe, die alten Götter wiederzufinden. Ein blauer Stab mit magischen Heilkräften soll dabei helfen. Das Ganze liest sich wie die illustrierte Version eines alten D&D-Abenteuers. Obwohl die Heldengruppe von einer Gefahr in die nächste stolpert, ist man als Leser nie wirklich besorgt um ihr Wohlergehen. Und die Spannung kommt dabei natürlich zu kurz.

Wenn schon nicht Spannung, so könnte ein Fantasy-Comic doch wenigstens Atmosphäre bieten. Aber auch das wird bei „Drachenzwielicht 1“ nichts. Der Text und die Dialoge sind leer und weisen selten über sich hinaus. Die Zeichnungen sind ganz okay, die Kolorierung gut, und die Handlung bekommt ein dickes Minus. Ein Comic, den man schneller wieder vergisst, als man ihn gelesen hat.

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|Siehe auch unsere Rezensionen zu:
[„Die Legende von Huma“ 2417 (DragonLance 1)
[„Heimatland“ 2498 (Forgotten Realms – Die Saga vom Dunkelelf 1)|

Aronofsky, Darren / Williams, Kent – Fountain, The

Auf den ersten Blick sieht »The Fountain« ein bisschen aus wie Dave McKeans »Cages«. Offene Formen, unruhige Panels, eine unübersichtliche Erzählstruktur. Wie bei »Cages« weiß man als Leser zunächst nicht, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Aber das ist noch kein Minuspunkt, im Gegenteil. Erst auf den letzten Seiten von »The Fountain« begreift man die Komplexität des Werks. Plötzlich fügen sich die Teile zusammen.

»The Fountain« gliedert sich in drei Erzählstränge, die man aufgrund der drei männlichen Hauptprotagonisten als Tomas, Tom und Tommy überschreiben könnte. Im ersten Erzählstrang ist Tomas ein spanischer Conquistador in der Neuen Welt, der einen Maya-Tempel sucht. Im zweiten Erzählstrang ist er ein nackter Mann, der mit einem Baum und einer Frau durch das Weltall treibt. Im letzten Erzählstrang ist Tommy ein Arzt, der nach einem Mittel gegen Krebs forscht. Die drei Erzählstränge sind zeitlich festzumachen: Tomas spielt 1535, Tom spielt 2463 und Tommy spielt 2005. So teilen sie sich auf in Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Alle Erzählstränge hängen irgendwie zusammen. Wenn man den Schwerpunkt auf Tommy 2005 setzt, kann man ungefähr folgende Geschichte erkennen:

Der Arzt Dr. Tommy Creo und seine Frau Isabel sind ein Traumpaar, verliebt und wie füreinander geschaffen. Doch plötzlich erschüttert ein furchtbares Unglück ihr Leben. Izzi hat Krebs. Trotz etlicher Therapien will die Krankheit nicht von ihr lassen. Inzwischen hat sie keine Haare mehr. Temperaturunterschiede fühlt sie kaum noch. Das Ende ist absehbar. Ihr Ehemann Tommy stürzt sich wie ein Besessener in seine Arbeit, um nach einem Heilmittel zu suchen. Er will sie nicht einfach dem Tod überlassen. Izzi ist Schriftstellerin und schreibt währenddessen an ihrem letzten Buch. Sie würde gerne mehr Zeit mit Tommy verbringen, kann ihn aber nicht halten. Jede freie Minute verbringt er im Labor. Also schreibt sie. Von einem Conquistador und seiner glücklosen Liebe zu Isabella von Spanien. Von seiner Suche nach dem ewigen Leben. Sie möchte ihrem Ehemann auf diese Weise helfen, Abschied zu nehmen. An die Ewigkeit zu glauben.

»The Fountain« handelt von einer tödlichen Krankheit und von einer unglücklichen Liebe. Diese kleine, außerordentlich gefühlvolle Geschichte steht jedoch außerdem in einem größeren Zusammenhang. Darren Aronofsky verwendet sowohl die Mythologie des Christentums und der Mayas als auch seine eigene Phantasie, um all das zu einem interessanten Amalgam zu verschmelzen: Sternennebel, Maya-Priester, der Baum des Lebens … Dem Ganzen gewinnt er eine kraftvolle Geschichte über die Ewigkeit, den Tod und die Liebe ab. Was am Anfang nach einem Wirrwarr aussah, entpuppt sich am Ende als reine Poesie. Eine sensible Geschichte, bemerkenswert klar und vielfältig.

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http://thefountainmovie.warnerbros.com/
http://www.thefountain.kinowelt.de/

|Siehe ergänzend auch Björn Backes‘ [Rezension 3284 zu diesem Titel.|

Gossett, Christian u. a. – The Red Star 1 – Die Schlacht vor Kar Dathras Tor

Wie man weiß, ist der Kalte Krieg vorbei. Mit dem Ende der UdSSR zerfiel ein Großreich, das über ein halbes Jahrhundert lang die Geschicke der Welt mitbestimmte. Solch ein Zusammenbruch kann nicht ohne Folgen bleiben. Auf künstlerischer Ebene darf man »The Red Star« als eine dieser Folgen betrachten, als ästhetische Auseinandersetzung mit der UdSSR und ihrem Untergang. Ein historischer Comic ist »The Red Star« jedoch nicht. Vielmehr spielen die Autoren mit Historie und Phantasie. Es bleibt dem Leser überlassen, wie er die Einzelteile deutet und zusammensetzt.

Statt der UdSSR begegnet man in »The Red Star« den VRRS, den Vereinigten Republiken des Roten Sterns. Das Großreich liegt in seinen letzten Zügen. Die Provinz Al’Istaan hat die Gunst der Stunde genutzt und sich für unabhängig erklärt. Doch noch hat die VRRS genug Kraft, um zurückzuschlagen. Der Ausreißer soll zurück ins Glied geprügelt werden. So macht sich eine gigantische Armada von futuristischen Luftschiffen (so genannten Wolkenbrütern) auf, um dem aufsässigen Bergvolk klarzumachen, wer in der Republik das Sagen hat. In einem engen Tal kommt es schließlich zur entscheidenden Schlacht.

Beschrieben wird das Kriegsspektakel von der Magierin Maya Antares. Sie sitzt in einer Schwebebahn und unterhält sich mit dem Veteranen Vanya über die Schlacht vor Kar Dathras Tor, die inzwischen neun Jahre zurückliegt. In einem Rückblick erfährt der Leser von dem Angriff des Flagschiffs RSS Konstantinov, zu dessen Besatzung Maya damals gehörte. Die Isolatoren-Kammern feuerten Energiestrahlen, danach schoss aus den Kielbrütern ein Inferno auf den Feind. Zu diesem Zeitpunkt sah es so aus, als wären die Separatisten besiegt und als hätten die Vereinigten Republiken noch einmal ihren Herrschaftsanspruch durchgesetzt. Doch es sollte anders kommen. Der Hohepriester Kar Dathra der Ewige erhob sich und holte zu einem vernichtenden Gegenschlag aus.

Während Maya in einem Wolkenbrüter das Spektakel erlebte, kämpfte ihr Ehemann Markus als Kapitän einer Infanterie-Einheit am Boden. Er gilt seitdem als tot, gefallen in der Schlacht. Seine Leiche wurde jedoch niemals gefunden. Möglich, dass ihm etwas anderes widerfahren ist, etwas Übernatürliches. Mit der Schwebebahn fährt Maya am Jahrestag der Schlacht zu einem Soldatenfriedhof, um ihrem Ehemann zu gedenken.

Die Geschichte, die Christian Gossett und sein Team dem Leser erzählen, präsentiert sich in einer fabelhaften Mischung aus 2D-Zeichnungen und 3D-Computerkunst. Nicht nur die bildgewaltigen Wolkenbrüter, auch Panzer, Flammen und das Innere der Schwebebahn fügen sich wunderbar mit den Zeichnungen zusammen, ohne dass ein Bruch entsteht. Mit ein Grund dafür sind sicherlich die Ausgewogenheit der beiden Techniken und die gelungene Gesamtkolorierung. |Cross Cult| veröffentlicht den ersten Teil von »The Red Star« in einem dicken Band, im Format irgendwo zwischen amerikanischem Heft und franko-belgischem Album angesiedelt. Zu den ersten vier Kapiteln der Geschichte gesellen sich der One-Shot |A Worker’s Tale| sowie eine Menge Zusatzmaterial (Lexikon, Skizzengalerie, Interviews).

Pompös in der Form, pompös im Inhalt. »The Red Star« ist als Saga geplant, als opulente Geschichte, die Größe will und Größe sucht. In den Bildern, in der Sprache und in der Thematik schlägt sich dieses Vorhaben nieder. Im Prinzip lässt sich der Inhalt von »The Red Star« reduzieren auf das schwierige Verhältnis zwischen Mensch und System. Maya Antares steht als einzelne Person einem Staats- und Gesellschaftssystem gegenüber, dem sie nur noch bedingt loyal gesonnen ist. Sie ist tief im Inneren zerrissen. Auf der einen Seite ist sie von Herzen Patriotin, auf der anderen Seite hat das System ihrem Mann den Tod gebracht. Hätte man Al’Istaan nicht auch einfach friedlich aus dem Staatenbund entlassen können? Ihr Ehemann würde dann sicherlich noch leben.

Noch ist »The Red Star« nicht abgeschlossen. Mayas Entscheidung steht noch aus, ebenso das Schicksal der Vereinigten Republiken. Im August 2007 kommt der zweite Band »Nokgorka« heraus. Dann erst lässt sich wirklich sagen, worauf die Geschichte mit ihren großen Gesten abhebt. So viel ist jedoch jetzt schon klar: Die Autoren haben neben künstlerischen Ambitionen ein politisches Sendebewusstsein, mit dem sie westliches Lesepublikum erreichen wollen. Insofern ist »The Red Star« nicht nur eine Auseinandersetzung mit der untergegangenen UdSSR, sondern auch mit der danach allein zurückgebliebenen USA. Und ein Kommentar zur Weltordnung nach dem Kalten Krieg. Christian Gossett formuliert seine These so: „Die größte Ironie des 20. Jahrhunderts ist, dass sich die USA durch das Überdauern der Sowjetunion nicht etwa von irgendeinem Kampf befreit hätten, sondern nur ihre eigene tyrannische Natur offenbart haben.“ Es scheint fast so, als hätte da ein amerikanischer Comic-Zeichner starke Gefühle für die untergegangene Sowjetunion entwickelt, was ihn dazu bringt, Kritik am eigenen Land zu üben. Diese politische Intention ist momentan natürlich in bestimmten Kreisen schwer angesagt. Aber nicht vergessen: Abseits dieser großen, ausufernden Themen kann »The Red Star« auch einfach nur als Action-Comic gelesen werden.

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Miller, Frank / Varley, Lynn – 300

|Dreihundert Männer folgen König Leonidas in die Schlacht. Ihr Zuhause werden sie nie wiedersehen. Im dreckigen Staub der Thermopylen werden sie ihr Leben lassen. Frank Millers »300« zeigt die schrecklichen Mechanismen, die hinter Heldentod und Kriegsenthusiasmus stecken. Leider sind viele Leser zu sehr an einfache Unterhaltung à la Superman gewöhnt.|

Spartas König Leonidas ist bei seinem Volk schon zu Lebzeiten eine Legende. Besonders bei seinen Soldaten genießt er hohes Ansehen. Immer wieder erzählen sie von früher, als der junge König, bloß mit einem spitzen Stock bewaffnet, einen Wolf zur Strecke brachte. Eines Tages kommt ein persischer Bote nach Sparta. Er wurde von dem Gottkönig Xerxes entsandt, der sich mit seiner gewaltigen Armee Griechenland nähert. Im Namen seines Herrn fordert der Bote Leonidas auf, sich zu unterwerfen. Der König weigert sich, stößt den Boten in ein tiefes Loch und rüstet sich für den Krieg. Da ihm aber die Priester verbieten, in den Krieg zu ziehen, bricht Leonidas nur mit seiner kleinen Truppe von 300 Leibwächtern auf. Sein Ziel sind die Thermopylen, eine Landenge im Norden des Landes. Leonidas hofft, dort den Persern trotz ihrer Übermacht große Verluste beibringen zu können. An einen Sieg glaubt er jedoch nicht. Er plant, mit seinen Männern als Märtyrer in die Geschichte Griechenlands einzugehen, als Verteidiger der richtigen Lebensweise, als Opfer für Vernunft und Freiheit.

Die Geschichte von der Schlacht bei den Thermopylen findet sich zum ersten Mal im siebten Buch der »Historien« von Herodot. Ob sie wahr ist, weiß niemand. Möglich, dass Herodot sie nur erfunden hat. Inzwischen ist die Schlacht bei den Thermopylen eingegangen in den abendländischen Kulturkreis. Ihr Wahrheitsgehalt interessiert höchstens noch Althistoriker, vielen anderen geht es um den Symbolwert der Geschichte. Barbarei und Zivilisation treffen dort hart aufeinander, und – wie könnte es anders sein? – die Zivilisation triumphiert. Denn trotz der Niederlage Spartas siegen letzten Endes Freiheit und Gerechtigkeit. Unter der Knechtschaft Persiens erheben sich die griechischen Völker, eingedenk jener heroischen Schlacht vergangener Zeiten. Der Mut und die Entschlossenheit der toten Spartaner werden beschworen. Ihr Märtyrertod soll nicht umsonst gewesen sein.

Auch die amerikanische Comic-Legende Frank Miller hat sich der Schlacht bei den Thermopylen angenommen. Seine fünfteilige Serie »300« erschien 1998-1999 bei |Dark Horse|. Auf Deutsch wurde sie erstmals von |Schreiber & Leser| veröffentlicht. Längst ist der Band vergriffen. Zum Glück erschien bei |Cross Cult| im Juni 2006 eine Neuauflage. Die Geschichte präsentiert sich in einem großformatigen Hardcover (22,5 × 28,5 cm), wie es für die zahlreichen Splash Pages (Bilddoppelseiten) angemessen ist. So entfaltet »300« eine beeindruckende optische Wirkung und liest sich wie ein Comic im Breitwandformat.

Nicht nur durch die üppige Verwendung von Splash Pages sticht »300« im Gesamtwerk von Frank Miller hervor. Offensichtlich scheint ihn die Schlacht bei den Thermopylen schon länger beschäftigt zu haben. So findet sich in »Sin City 3: The Big Fat Kill« (1994-1996) bereits ein Verweis auf dieses Motiv (Kapitel 5). Wahrscheinlich ließ Miller die Geschichte von Leonidas und seinen Soldaten einfach nicht mehr los. Aber wer will so eine Geschichte lesen? Da gibt es keine Superhelden wie Batman, Daredevil oder Wolverine, die ihre treue Fangemeinde im Schlepptau haben. Da sind keine Zaubersprüche, keine Raumschiffe, keine Verfolgungsjagden. Da ist nur die Schlacht zweier antiker Heere. Dass |Dark Horse| schließlich ein solch ungewöhnliches Thema akzeptierte, hängt wahrscheinlich mit der Reputation von Frank Miller zusammen. Wenn schon nicht das Thema, so sollte doch wenigstens sein Name für eine gewisse Abnahmezahl sorgen.

Es ist anzunehmen, dass Miller von der Schlacht bei den Thermopylen fasziniert war. Sie ist offensichtlich eine Metapher, die ihn reizt und herausfordert. Dass er bereit war, bei den Verlegern für sein ungewöhnliches Thema Überzeugungsarbeit zu leisten, lässt vermuten, dass er mit »300« etwas Wichtiges mitteilen wollte. Dieses Detail wird leider von vielen Lesern übersehen, die ihre Meinung über »300« im Internet kundtun. Als würde es sich nur um harmlose Unterhaltungsliteratur handeln. Viele interessante Fragen, die man an »300« richten könnte, bleiben auf der Strecke (wenn sie überhaupt gestellt werden). Was man da liest, ist oft keine Rezension, sondern kaum mehr als eine Kaufempfehlung. Das klingt dann etwa so: „480 v. Chr. fand die Schlacht bei den Thermopylen statt. König Leonidas verteidigt Griechenland gegen die übermächtigen Perser. Bildgewaltig und ziemlich brutal. Geile Heldenstory. Ist ein teurer Comic, macht sich aber extrem gut im Regal.“ Da wird über historical correctness geredet, über den Keim zum Sieg des Ganzen, über eine Ode an die Hoffnungslosigkeit, über Kanonenfutter und den Galgenhumor der Spartaner.

Zunächst einmal mag folgende Erkenntnis manchen überraschen: Frank Miller ist kein Historiker, sondern Comic-Zeichner. Unwahrscheinlich also, dass er mit »300« eine Lehrstunde in Geschichte erteilen wollte. Warum auch? Was interessieren ihn ein paar antike Gestalten, die sich vor über zweitausend Jahren in einer griechischen Landenge geprügelt haben? Höchstens interessiert ihn das Symbol. Miller ist schließlich ein Künstler und kein Wissenschaftler. Sicherlich kennt er einige Fakten der Schlacht bei den Thermopylen. Er wird Herodot gelesen und die Hintergründe recherchiert haben. Was aber letztendlich seiner Arbeit entspringt, ist eine kreative Darstellung der Ereignisse. Sein Werk ist ein Kunstwerk – und kein Sachtext. Was für eine Kurzsichtigkeit offenbart sich, wenn einer nach der Lektüre immer wieder mit der historischen Überlieferung wedelt. Man fühlt sich, als würden da Birnen mit Äpfeln verglichen.

Hinzukommt, dass es kaum einem Rezensenten gelingt, König Leonidas kritisch zu reflektieren. Es erfordert nicht viel Gehirnschmalz, um auf seiner Schulter Platz zu nehmen und es sich bequem zu machen. Kurzerhand erklärt man ihn zum charismatischen Helden, der bloß das Gute im Sinn hat. Dabei schlüpfen einem wichtige Nuancen durch die Finger, die Millers »300« in ein ganz anderes Licht rücken, fort von den Superhelden. Leonidas ist nicht Superman. Trotz des Unterhaltungswerts von »300« handelt es sich um einen hochgradig politischen Comic. Miller erzählt keine Geschichte über Helden, sondern eine über Krieg. Leonidas und Xerxes führen Krieg und dienen als Symbole für zwei unterschiedliche Ideen, die miteinander konkurrieren. Das erkennt man am besten daran, dass die beiden Anführer dem Leser nie als lebendige, vertraute, persönliche Charaktere entgegentreten. Es sind Kopfgeburten, Figuren, die auf das Wesentliche reduziert sind. Beide sind Kriegstreiber und stehen für unterschiedliche totalitäre Systeme. Das Ziel ist die Unterwerfung bzw. die Vernichtung des anderen.

Trotz der Ähnlichkeit der Kontrahenten ist es wichtig, dass Leonidas auf eine gewisse Art und Weise moderner ist als Xerxes. Nicht ohne Grund ist er der Erfolgreichere. Hier schlummert der Kern der Geschichte: Er verwendet statt einer Peitsche eine Ideologie. Leonidas braucht keine Gewalt, um seine Soldaten in die Schlacht zu treiben. Stattdessen verführt er seine Männern mit der Vorstellung, sie seien frei und aufgrund ihrer Wertevorstellungen überlegen. So schöpft er ihre maximale Kampfkraft aus. Gewissermaßen wirtschaftet Leonidas effektiver mit seinen Soldaten als Xerxes. Sie sind entschlossener, todesmutiger. Dabei bleibt zu beachten, dass er sie, ohne mit der Wimper zu zucken, in den Tod führt. Millers Leonidas ist kein charismatischer Held, sondern ein gnadenloser, zu allem entschlossener Feldherr. Folgendes Gespräch zwischen dem jungen Soldaten Stelios und dem König macht seinen Standpunkt deutlich: „Wir begleiten euch, Herr, bis in den Tod.“ – „Das war keine Bitte. Die Demokratie überlassen wir den Athenern.“ Eine dritte Partei, die den Krieg ablehnt, taucht nicht auf. Die Option, sich den Persern zu ergeben, wird nicht diskutiert.

Die hier beschriebenen Techniken der Reduktion und der Gegenüberstellung von Figuren sind bei Frank Miller nicht selten. Er verwendet sie gerne. Schon in »The Dark Knight Returns« treten Batman und Superman als die Streiter zweier unterschiedlicher Systeme auf. Ebenso wären Hartigan und der junge Roark (»Sin City 4: That Yellow Bastard«) oder Miho und Vito (»Sin City 5: Family Values«) zu nennen, obwohl es dort nicht um Politisches geht.

»300« ist ein gutes Beispiel für einen Comic, der intelligenter ist als viele seiner Leser. Das Thema Krieg ist hier zentral. Insbesondere beschäftigt Frank Miller die Frage, mit welchen Mechanismen man freie Männer dazu bewegt, ihr Leben auf dem Schlachtfeld zu lassen. In seiner Aktualität ist »300« beinahe unheimlich. Denn ob Krieg nun mit Speeren oder mit Panzern ausgetragen wird – es bleibt Krieg. Wer von diesem Comic als Millers Heldenepos schwärmt, hat den Autor und Zeichner nur äußerlich begriffen. Die recht einfache Auflösung in Gut und Böse funktioniert hier nicht. Man muss vorsichtig sein und aufpassen, um die brilliante Nüchternheit und Kritik wahrzunehmen, die unter der Oberfläche von »300« schlummert. Dann erst entfaltet sich die ganze Kraft dieses beeindruckenden Bildwerkes.

Am 5. April 2007 kommt die [Verfilmung]http://www.powermetal.de/video/review-1048.html von »300« in die deutschen Kinos. Es bleibt abzuwarten, wie Regisseur Zack Snyder (Remake »Dawn of the Dead«) mit der tiefgründigen Vorlage zu Werke geht. Erste Eindrücke gibt’s schon unter http://300themovie.warnerbros.com zu sehen.

http://www.crosscult.de/