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Miller, Frank – Sin City 2: Eine Braut, für die man mordet

_Millers dunkler Traum_

|Frank Miller gilt als Garant für knallharte Action. Daredevil bricht dem Kingpin die Nase, Batman prügelt den Joker durch ein Schaufenster – immer geht es handfest zur Sache. Die Werke aus der Feder des amerikanischen Autoren und Zeichners haben inzwischen Comic-Geschichte geschrieben. Nicht wegen ihrer Brutalität, sondern wegen ihrer Kohärenz und Tiefe. Jetzt legt Cross Cult nach und präsentiert Frank Millers Klassiker Sin City neu, in einer Luxus-Edition.|

Eigentlich ist Dwight McCarthy gerade dabei, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Er hat ein kleines Appartement, arbeitet als Privatdetektiv und ist seit geraumer Zeit trocken. Seine Vermieterin weiß, dass er Probleme mit Alkohol hatte und hofft für ihn das Beste. Dwights Chef Agamemnon kann mehr dazu sagen. Zwei Dinge haben Dwight immer die sichere Bahn verlassen und durchdrehen lassen: Alkohol und Frauen. Und im Augenblick sieht es so aus, als hätte er sein Leben einmal wieder gegen die Wand gefahren. Besoffen war er dabei nicht.

Der Grund für sein Unglück hat die Traummaße 90-60-90 und heißt Ava. Ihr Körper wirkt wie ein Vorgeschmack auf das Paradies und verwandelt Männer in winselnde Hündchen. Obwohl Dwight ihretwegen schwere Zeiten durchgemacht und sich gerade wieder gefangen hat, kommt er nicht von ihr los. Als eines Abends das Telefon läutet und Ava am Apparat ist, klingt ihre Stimme aufgewühlt, hilflos und verzweifelt. Der Grund ihres Anrufs lässt das Blut des Privatdetektivs aufwallen. Avas Mann, ein reicher Snob aus der Nachbarschaft, foltere und martere sie. Die Ehe mit ihm sei die Hölle, Ava fürchtet um ihr Leben. Noch wehrt sich Dwight und versucht, der einfühlsamen Schönheit nicht auf den Leim zu gehen. Nach einer exzessiven Liebesnacht ist es jedoch um seinen Verstand geschehen. Er muss Ava helfen und sie vor ihrem Ehemann beschützen – koste es, was es wolle.

Der Leser ahnt, dass die Sache nicht ganz koscher ist. Aber tragische Geschichten nehmen ihren Lauf, ob das Publikum nun will oder nicht. Vielleicht entwickelt man deswegen von Anfang an Mitleid mit Dwight McCarthy, der eigentlich nichts weiter als ein einfacher Kerl mit einem großen Herzen ist. Bald muss er erkennen, dass sich hinter Avas hilfesuchender Miene finstere Absichten verbergen. Doch da ist es bereits zu spät. Dwight liegt am Boden, blutet wie ein Schwein und ist sich sicher, dass sein letztes Stündlein geschlagen hat …

Frank Millers Geschichte über den liebeskranken Dwight McCarthy und die Femme fatal Ava ist schlicht und gradlinig. Eigentlich handelt es sich um eine gewöhnliche hard-boiled Kriminalgeschichte, ohne große Schnörkel oder Rafinessen. Die Handlung rückt nach mehreren Seiten in den Hintergründ, und der Leser beginnt zu ahnen, dass stattdessen für etwas anderes Platz gemacht wird. Ein Trip durch die dunkle Hölle von Sin City.

Millers schneller, harter, punktgenauer Erzählstil verwebt sich mit den klaren Linien seiner Zeichenkunst. Rasant wechselnde Perspektiven in Schwarzweiß und dynamische, fließende Bilderfolgen leisten genau das, wozu Comics in der Lage sind: zu überzeichnen und zu stilisieren, um das Wesentliche herauszuarbeiten. Heraus kommt ein Werk, das genau auf der Grenze zwischen Comic und Graphic Novel liegt. Millers Geschichte heizt das Adrenalin an und ist spannend bis zur letzten Seite. „Eine Braut, für die man mordet“ ist absehbar, gradlinig und arbeitet mit Stereotypen. Dennoch zieht die Geschichte den Leser in ihren Bann. Man driftet von Detail zu Detail und versinkt in Millers dunklem Traum. Kohärenz und Tiefe beweisen sich auch hier als das Markenzeichen der amerikanischen Comic-Legende.

Zu guter Letzt sei den Herausgebern der deutschen Luxus-Edition von Sin City gedankt. Die Reihe besticht durch eine hohe Qualität. Darüber hinaus wurde die Gelegenheit wahrgenommen, Hintergrundmaterial zu Frank Miller und seiner Stadt der Sünde zu veröffentlichen. Im Anschluss an „Eine Braut, für die man mordet“ findet der Leser ein Interview zur Serie, das Miller im März 1993 gab. So sollten Comics sein. Da kann man nur viel Spaß beim Lesen wünschen.

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Gaiman, Neil / McKean, Dave – Wölfe in den Wänden, Die

_|Die kleine Lucy presst fest das Ohr gegen die Wand. Unter der Oberfläche knackt etwas. Und es klackt und huscht. Es knabbert und knistert, kratzt und knurrt. Lucy macht sich Sorgen. „Wir haben Wölfe in den Wänden“, sagt sie zu ihrer Mutter. „Das sind wahrscheinlich nur Mäuse“, winkt diese ab.| In seinem neuen Kinderbuch erzählt Comic-Legende Neil Gaiman die gruselige Geschichte von dem Mädchen Lucy, den Wölfen in den Wänden und Dingen, die anders sind, als man dachte._

Lucy lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einem großen, alten Haus. Eines Tages – alles ist still – hört sie merkwürdige Geräusche. Hinter den Hauswänden kratzt und knurrt es. Gelbe Augen beobachten Lucy durch Risse und Löcher. Besorgt geht sie zu ihrer Familie. „Wir haben Wölfe in den Wänden“, sagt sie, doch niemand glaubt ihr. Stattdessen gibt man ihr eine allseits bekannte Weisheit mit auf den Weg, um ihre Phantasie im Zaum zu halten: „Wenn die Wölfe aus den Wänden kommen, ist alles vorbei. Jeder weiß das.“

Neil Gaiman macht es sich nicht leicht mit der Phantasie. Er weiß, was für ein schweres Los sie in einer Welt hat, die durch Vernunft, Rationalität und Nüchternheit geprägt ist. Für Kinder haben sachliche Erklärungen zum Glück keine absolute Gültigkeit. Es gibt noch etwas hinter dem Erklärbaren: das Vorstellbare. Lucys Angst vor den Wölfen perlt an ihren Eltern ab wie Wassertropfen von einer Glasscheibe. Aber sie kämpft, lässt sich nicht beirren und glaubt an das, was sie gehört und gesehen hat.

Neil Gaiman gilt als einer der prägenden amerikanischen Comic-Autoren der Neunzigerjahre. Berühmt wurde er durch die Comic-Serie „Sandman“. Während seiner Entwicklung tauchte immer wieder ein Name in seiner Nähe auf: Dave McKean, seines Zeichens Illustrator und Zeichner. Die beiden sind seit Jahren ein sicheres Erfolgsgespann in Sachen Fantasy. Phantastisch geht es auch in ihrem neuen Werk zu.

„Die Wölfe in den Wänden“ ist ein Kinderbuch, das durch sein ungewöhnliches Format und seine Aufmachung auffällt. McKean, der für seine Cover der „Sandman“-Serie von Kritikern hoch gelobt wurde, beschreitet mit seinem grafischen Können gerne ungewöhnliche Wege. Das große, quadratische Buch enthält eine Unzahl von surrealen Kollagen, bei denen sich der Leser nie sicher sein kann, ob es sich um eine Zeichnung oder um eine Fotographie handelt.

Im Grunde entspricht diese Doppeldeutigkeit dem Kern der Geschichte. Ist es eine Zeichnung oder eine Fotographie? Krabbeln in den Wänden Mäuse oder Wölfe herum? Hat Lucy eine blühende Phantasie oder besteht wirklich Gefahr? Die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie sind, ist eine Fähigkeit, die Erwachsene manchmal verlieren. Kinder hingegen stellen alles in Frage, weil alles neu, unbekannt und phantastisch ist. Wenn die Phantasie in die Wirklichkeit einbricht, ist alles vorbei. Jeder weiß das. Sie haben doch nicht etwa Angst, oder?

Blair, Jason L. – Kleine Ängste

Am Anfang dieses Textes steht eine ungewohnte Schwierigkeit. Fingerspitzengefühl über das normale Maß hinaus ist gefragt, um eine Rezension für das Rollenspiel „Kleine Ängste“ zu verfassen. Um das zu verstehen, bedarf es einiger Erklärungen.

Das Grundbuch löste unmittelbar nach dem Erscheinen eine Kontroverse aus, wie man sie nur selten unter Rollenspielern erlebt hat. Man stritt über Inhalte und Grenzen des Rollenspiels. Der hier vorliegende Text soll einen kleinen Beitrag zur Diskussion leisten. Die Heftigkeit, mit der für oder wider „Kleine Ängste“ gefochten wurde, ist nur zu erklären durch das Thema, welches das neue Spielsystem aufgriff. Erstmals thematisierte ein Rollenspiel auf dem deutschen Markt die Misshandlung von Kindern.

Nur selten sprachen Spieler, Autoren und Verleger so aufgeregt über ihr Hobby. Schnell polarisierten sich die Meinungen im Zuge der Debatte, wurden scharf und unsachlich. Für einige Spieler war |Kleine Ängste| „schlicht und ergreifend das gruseligste Rollenspiel“ überhaupt, andere hielten es für krank und abartig. Die üblicherweise recht liberale Rollenspielszene geriet in Bewegung. Bald war klar: Entweder mochte man „Kleine Ängste“, oder man verdammte es. Wie kam es zu solch einer heftigen Auseinandersetzung? Man stellte sich der Frage, ob ein Rollenspiel den Missbrauch von Kindern thematisieren darf.

_Worum geht es eigentlich? – Ein paar Fakten_

„Kleine Ängste“ ist ein Horror-Rollenspiel, in dem die Spieler in die Rollen von Kindern schlüpfen. Die Figuren stellen im Laufe des Spiels voller Entsetzen fest, dass die Monster ihrer Phantasie Wirklichkeit sind. Sie entstammen dem so genannten Land unter dem Bett, einer Hölle für Kinder. Die Herrscher dieser Hölle nehmen Einfluss auf das Diesseits und sind in der Lage, Menschen zu beeinflussen und sie zu schändlichen Taten zu bewegen. Die spieltechnischen Regeln sind simpel. Das ganze System basiert auf sechsseitigen Würfeln, Proben sind jedoch selten. Der Schwerpunkt liegt auf der Handlung und dem Erzählen. Wer sich für technische Einzelheiten wie Regelwerk oder Layout interessiert, kann dies an anderer Stelle leicht nachlesen (siehe Links).

„Kleine Ängste“ stammt aus dem Amerikanischen und wurde von Jason L. Blair geschrieben und entwickelt. Der Originaltitel lautet „Little Fears – The Roleplaying Game of Childhood Terror“ und erschien bei |Key 20 Publishing|. Der deutsche Herausgeber ist der Mannheimer Verlag |Feder und Schwert| (F&S), der das 122 Seite starke Büchlein im Oktober 2003 veröffentlichte. Die deutsche Ausgabe wurde von Oliver Graute (F&S) übersetzt und bearbeitet.

|Feder und Schwert| ist in der Rollenspielszene bekannt und gehört zu den größten deutschen Rollenspielverlagen überhaupt. Die Produkte des Verlages beschäftigen sich mit dunkler Fantasy und Horror. Spielsysteme wie „Vampire“, „Engel“ oder „Werwolf“ gehören zum Repertoire von F&S und blicken in Deutschland auf eine solide Fangemeinde. Im Gegensatz zu diesen verbreiteten Systemen war „Kleine Ängste“ nie von den deutschen Herausgebern als Großprojekt geplant. Es sollte ein Kleinod im Verlagsprogramm sein, nur interessant für eine spezielle Leserschaft. Die Auflage beschränkte sich auf 1000 Exemplare. Inzwischen ist „Kleine Ängste“ nur noch schwer zu bekommen. Bei eBay ging es schon für 50 Euro über den Tresen und erzielte damit mehr als das Doppelte des ursprünglichen Ladenpreises (22,95 Euro).

_Über Geschmack streiten – Standpunkte_

Spätestens nach dieser Einleitung wird deutlich, dass eine herkömmliche Besprechung für „Kleine Ängste“ nicht in Frage kommt. Genug Ansätze existieren, die im Rahmen der ausgelösten Kontroverse entweder auf die eine oder die andere Art und Weise Stellung beziehen. Über Geschmack kann man bekanntlich nicht streiten – oder doch? Hier ein kurzer Überblick der geleisteten Arbeit.

Die Gegner von „Kleine Ängste“ versuchen sich oftmals gegenseitig mit spitzen Formulierungen zu übertrumpfen. Es wird dabei maßlos übertrieben. Im Namen des Anstandes und des guten Geschmacks wird da so manches schwere Geschütz aufgefahren. Man hat Angst vor den Medien, fürchtet eine allgemeine Verrohung der Sitten und zieht gedankliche Linien zwischen Kindesmisshandlungen und LARP-Veranstaltungen. Die selbsternannten Apostel meinen es ernst und schwingen blind das Flammenschwert. Was dabei so an Gedankenmüll ins Internet geblasen wird, ist oft geschmackloser als das kritisierte Werk selbst.

Die Fans und Befürworter von „Kleine Ängste“ wettern nicht zurück, sondern bleiben eher ruhig. Es wird abgewiegelt. Sicherlich, Kindesmisshandlung sei ein Thema in „Kleine Ängste“, aber eben nicht das einzige Thema. Es ist ohne Schwierigkeiten möglich, „Kleine Ängste“ zu spielen, ohne dass Kindesmisshandlungen angesprochen werden. Das Argument, auf dem sich die Befürworter ausruhen, ist so alt wie AD&D: Wer sich an etwas stört, soll es einfach weglassen. Du spielst einen blutdurstigen Vampir, einen gnadenlosen Killer oder einen wahnsinnigen Wissenschaftler? Ich spiele ein traumatisiertes Kind – na und? Ein verbales Achselzucken.

Für den Verlag F&S war |Kleine Ängste| „von Anfang an ein Liebhaberstück“, so Oliver Graute. Man wollte nicht nur ein gutes Horror-Rollenspiel auf den Markt bringen, sondern gleichzeitig etwas Gesellschaftskritik üben. Man brüstet sich damit, dass sich die Kinderfiguren in „Kleine Ängste“ erfolgreich gegen ihre Peiniger wehren. Es sei keine Misshandlungs-, sondern eine Rettungsphantasie, die dem System zugrunde liege. Die Einführung des Bandes, das Nachwort sowie zahlreiche Einschübe im laufenden Text künden von diesem hehren Vorhaben.

_Fiktion und Realität_

Die Art und Weise, wie über „Kleine Ängste“ diskutiert wurde, erreichte qualitative Höhen und Tiefen. Die Herausgeber wollten vermitteln, wie man sich als Kind gegen Ängste erfolgreich zur Wehr setzt. Spieler, die sich im Internet zu „Kleine Ängste“ bekennen und es mögen, sagen damit nicht aus, dass sie die Misshandlung von Kindern gutheißen. Im Gegenteil: Viele Spieler wettern leidenschaftlich gegen solche Verbrechen.

Die durch „Kleine Ängste“ ausgelöste Kontroverse wurde so heftig, weil alle Beteiligten die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion verwischten. An erster Stelle ist da der Verlag |Feder und Schwert| zu nennen, dem die Hauptverantwortung anzulasten ist. In diesem Zusammenhang sind allen voran Autor Jason L. Blair und Redakteur Oliver Graute zu erwähnen. Mit der Veröffentlichung von „Kleine Ängste“ brachte man ein Spielsystem auf den Markt, das danach trachtet, die Grenze zwischen Phantasie und Realität aufzulösen. Die Abenteuer von „Kleine Ängste“ spielen nicht in einer imaginären Welt voller Drachen, Ritter und Magier, sondern in einem dunklen Abbild unserer Welt. Der Alltag wird mit phantastischen Elementen verbunden. Diese verzerrte Wirklichkeit ist Markenzeichen der meisten Produkte von |Feder und Schwert| („Wir veredeln die Wirklichkeit!“).

Sprach man im Rahmen der Kontroverse über die Realität, waren sich alle Beteiligten einig. Kindesmissbrauch ist ein furchtbares Thema, dem es mit aller Kraft entgegenzuwirken gilt. Kinder müssen um jeden Preis geschützt werden. Sprach man jedoch über Rollenspiele, schieden sich die Geister. Plötzlich stand die Frage im Raum, was ein Rollenspiel überhaupt zu leisten imstande ist.

_Was darf ein Rollenspiel?_

Zunächst ist ein Rollenspiel eine Form von Unterhaltung. Man trifft sich in kleiner Runde, unterhält sich, isst Chips und würfelt dabei. Rollenspielsysteme sind Produkte aus der Unterhaltungsbranche, und sie sollen in erster Linie Spaß machen. Auch Horror gehört dazu. Ob in der Geisterbahn, im Kino oder bei einem Rollenspielabend – sich zu gruseln, bereitet vielen Menschen einfach Freude.

Hauptelement der Unterhaltung im Rollenspiel ist ohne Frage die Entwicklung von Illusionen. Am Spieltisch entstehen in Zusammenarbeit von Autoren, Verlagen, Spielern und Spielleitern phantastische Welten. Man versetzt sich in eine fiktive Wirklichkeit. Über allem schwebt die Frage: Was wäre, wenn …? (… wenn ich ein Ork wäre? … wenn es einen Atomkrieg gegeben hätte? … wenn interstellares Reisen möglich wäre?) Die gestellten Fragen bestimmen maßgeblich das Setting und orientieren sich am Geschmack der einzelnen Spielgruppe. Spekulationen und das Spiel mit Illusionen sind einige der Hauptelemente des Rollenspiels allgemein.

Graute und Blair wollten aber nicht bloß ein gutes Horror-Rollenspiel machen. Das Potenzial dazu hat „Kleine Ängste“ gewiss. Gewissermaßen nebenher wollten sie auch Gesellschaftskritik betreiben. Um wirklich konstruktive Kritik an gesellschaftlichen Missständen zu üben, bedarf es jedoch einer außerordentlich tiefgründigen und differenzierten Sichtweise. Illusionen sind da völlig fehl am Platz. Die Macher von „Kleine Ängste“ verbinden Dinge, die schon in der Struktur nicht zusammengehören. Sie banalisieren so den Missbrauch an Kindern und gehen verantwortungslos mit dem Thema um. Obendrein besitzen sie die Arroganz, sich selbst als außerordentliche Kritiker darzustellen, was sie ganz eindeutig nicht sind.

Ihr wahrscheinlich größer Irrtum liegt in der Annahme, dass der Missbrauch von Kindern ein allgemein bekanntes Thema ist. Das genaue Gegenteil ist jedoch der Fall. Den tatsächlich aufgeklärten Fällen von Kindermissbrauch steht eine hohe Dunkelziffer gegenüber. Engagement für Kinder in solchen furchtbaren Lebenssituationen bedeutet, die Verbrechen ans Tageslicht zu holen und Illusionen zu zerstören. Blair und Graute verstehen sich selbst als Aufklärer, sind jedoch das genaue Gegenteil: Illusionisten. Rollenspieler eben.

_Fazit_

Oliver Graute und Jason L. Blair arbeiten in der Unterhaltungsbranche und sollten wissen, was sie dem Medium Rollenspiel zutrauen können und was nicht. „Kleine Ängste“ war kein großer Wurf. Es war ein idiotischer Ausrutscher. Von der F&S-Redaktion hätte man zumindest eine kritischere Überarbeitung des Originaltextes für den deutschen Markt erwartet. Ein Rollenspiel darf den Missbrauch von Kindern nicht thematisieren. Weder den betroffenen Kindern noch dem Hobby Rollenspiel wird man damit gerecht.

_LINKS_

[Verlag Feder und Schwert]http://www.feder-und-schwert.de

Interview mit Oliver Graute (F&S) im Fanzine SONO
Download unter: http://www.link.avalon-projekt.com/action/gotolink.php?AML__linkid=14

[Forumsdiskussion zu Kleine Ängste – Palaver – Rollenspielverein Biberach e. V.]http://www.glyphen.de/projects/hosted/rollenspielverein/forum/viewtopic.php?t=609

[Kleine-Ängste-Fanpage]http://kleineaengste.de/

[Forum für Kleine Ängste]http://www.travar.de/koops/fantasyguide/index.php?board=806

Feldhoff, Robert / Schulz, Dirk – Berlin 2323

In einer fernen Zukunft. Berlin ist am Boden. DJs heizen der Menge auf den Straßen ein. 24 Stunden täglich Dauerberieselung. Der Rest besteht aus Hinterhöfen, Müll und Hundekacke. Über allem schwebt ein Tyrann, der den Stadtstaat an außerirdische Eroberer verschachern will. Autor Robert Feldhoff will in seinem Comic „Berlin 2323“ richtig loslegen und ausflippen. Leider kommt er nicht einmal vom Start weg.

In Berlin ist die Hölle los. Die Zukunft hat der Hauptstadt übel mitgespielt. Im Jahre 2323 ist die Metropole zu einem überdimensionalen Karnevalsverein verkommen. Die halbe Galaxis feiert hier ein munteres Stelldichein. Nach der Party wird unter der Siegessäule gebumst, wenn sich kein anderes Plätzchen findet. Und der amtierende Bürgermeister – ein fetter Despot namens Quentin – schwebt in einer Sänfte über den Dingen. Er trägt zum allgemeinen Unwohlsein bei, indem er die Invasion der gefürchteten Schwarzen Magier vorbereitet. Von den Feiernden kümmert das allerdings niemanden so richtig.

Zum Glück gibt es Scilla und ihre Freunde. Die Blondine mit der großen Oberweite gehört zu einer Untergrundorganisation, die das fiese Stadtoberhaupt ausschalten will. Mit dabei sind Ratte, ein tätowierter Revolverheld, und Indigo, ein Pavian-Alien, der verflucht große Ähnlichkeit mit Klaus Meine von den |Scorpions| hat. Angeführt wird die Möchtegern-Guerilla-Truppe von dem rechtmäßigen Bürgermeister, der in den Untergrund fliehen musste und sein Amt zurückhaben will.

Die Fronten sind so weit geklärt. Was folgt, ist eine Hetzjagd vorbei an den Touristenmagneten der Stadt. Vom Brandenburger Tor geht es nach Schloss Sanssouci und weiter in den japanischen Garten. Weil wir aber einen Comic und keinen Reiseführer lesen wollen, wurden die Sehenswürdigkeiten für das Jahr 2323 billig aufgepeppt. Der Plenarsaal des Reichstages hat sich in ein Pornokino verwandelt, im Funkturm befindet sich ein Bordell, und das Stadion des Hertha BSC schwebt – getragen von mehreren Ballons – über dem Erdboden.

|Carlsen|s neues Produkt macht optisch einiges her. Wie schon zuvor der französische Comic-Roman „Jenseits der Zeit“ erscheint auch Berlin 2323 in einem neuartigen Format. Hardcover, dickes Papier, einhundert Prozent Farbe und eine handliche Größe (17,5 cm x 24,5 cm) lenken den Blick im Laden auf sich. Der Zeichner Dirk Schulz – Designer, Grafiker und Schöpfer von „Indigo“, „Chiq und Chloe“ und „Parasiten“ – beschert dem Leser abwechslungsreiche Seitenaufteilungen. Volle, runde Bildwelten und eine tolle Kolorierung zeichnen den Band aus.

Die optischen Qualitäten alleine machen Berlin 2323 leider noch zu keinem Lesevergnügen. Autor Robert Feldhoff, hauptberuflich Chef der SF-Romanreihe |Perry Rhodan|, hätte sich ein bisschen mehr ins Zeug legen sollen. Zusammenhanglos stehen die Elemente der Geschichte nebeneinander, nur verbunden durch einen harmlosen Plot, der nicht gerade vor Einfallsreichtum sprüht. Wie der Welt, so fehlt auch den Figuren ein ausgearbeiteter Hintergrund, der ihren Charakter formen und der Geschichte mehr Tiefe verleihen könnte. Stattdessen werden sie zu Stichwortgebern und Handlungstreibern degradiert. Eine Identifizierung seitens des Lesers bleib da selbstverständlich aus.

Offensichtlich sind auch Feldhoff diese Mängel aufgefallen. Statt einer gründlichen Überholung hat er jedoch einen schnellen Anstrich vorgezogen. Damit der Leser nicht ins Grübeln gerät und seiner eigenen Langeweile gewahr wird, wechseln sich die schnöden Themen des Bandes kontinuierlich miteinander ab: Sehenswürdigkeiten, Sex, Gewalt und Party. Herausgekommen ist ein geistloses Hochglanzprodukt von der Stange. Wem das reicht, der kann bei „Berlin 2323“ guten Gewissens zugreifen. Allen anderen sei geraten: Finger weg!

http://www.berlin2323.de

Azzarello, Brian / Risso, Eduardo – 100 Bullets Bd. 8 – Der unsichtbare Detektiv

Als Milo Garret in den Spiegel blickt, muss er zugeben, dass er schon besser ausgesehen hat: Bandagen verdecken sein Gesicht, er gleicht einem überdimensionalen Pflaster mit Augen, Ohren und Mund. „Solch eine Visage würde nicht einmal eine blinde Mutter lieben“, stöhnt er. Die Hauptfigur in Brian Azzarellos „Der unsichtbare Detektiv“ hat einen schweren Autounfall hinter sich. Als ein mysteriöser Agent ihm offenbart, dass er das Opfer eines Anschlags geworden ist, macht Garret sich auf die Suche nach den Tätern. Bald wird er seine Entscheidung bereuen. Denn er findet mehr heraus, als ihm lieb ist.

Frustriert setzt sich Milo auf den Klodeckel und zündet sich eine Zigarette an. Nebenan auf dem Bürotisch liegt ein Stapel Akten. Bis vor wenigen Tagen war Milos Leben noch in Ordnung. Bis zu dem Unfall. Ein Schlagloch und ein Augenblick der Unaufmerksamkeit entpuppten sich als ein zu starker Cocktail für den Privatdetektiv. Die Motorhaube ging hoch und verdeckte die Sicht. Als Letztes erinnert sich Milo an berstendes Metall und Glassplitter. Dann erwachte er im Krankenhaus.

Autounfälle passieren. Milo hatte Glück im Unglück. Abgesehen von seinem Gesicht ist er in bester Verfassung. Man kann versuchen, die Sache so zu betrachten. Akzeptieren, was geschehen ist. Zurück zum alten Leben, weitermachen wie bisher. Als ein Mann das Krankenzimmer betritt, dessen Antlitz aussieht wie eine Luftaufnahme der Wüste von Nevada, erfährt Milo jedoch, dass die Sache nicht so einfach ist. Agent Graves stellt sich kurz vor und legt einen Aktenkoffer auf den Tisch. In dem Koffer befinden sich Beweise, die belegen, dass der Unfall kein Unfall war, sondern ein abgekartetes Spiel.

Milo war an einem heißen Job dran, heißer, als er ursprünglich angenommen hatte. Der Kunsthändler Karl Reynolds wurde von einem seiner Handlanger gelinkt, der Privatdetektiv sollte ihn suchen. In Graves Koffer liegen nicht nur Beweise dafür, dass Reynolds für Milos Autounfall verantwortlich ist, sondern auch eine nicht registrierte 9mm-Pistole, inklusive einhundert Kugeln Munition. Alles ist clean. Nichts kann zurückverfolgt werden. Das perfekte Werkzeug für einen Mord.

So schnell, wie Agent Graves kam, verschwindet er wieder. Die Sache bleibt nebulös. Milo ist kein Killer, sondern Privatdetektiv, also von Beruf aus neugierig. Bevor er schießt, will er die Wahrheit wissen. Er legt die Pistole beiseite und geht zu Reynolds, um ihm ein paar Fragen zu stellen. Der wird jedoch nicht mehr viel beantworten können. Als Milo ihn findet, ist seine Leiche noch warm. Der Kunsthändler hat ein Loch mitten in der Stirn. Worin auch immer er verwickelt war – es hat ihn zur Strecke gebracht.

Milo Garret wird in ein Katz-und-Maus-Spiel verstrickt, in dem jeder mit verdeckten Karten spielt. Und mit einer Kanone unter dem Tisch. Aber wer spielt mit? Was ist der Einsatz, was der Gewinn? Wer spielt mit wem? Milo selber ist ein gnadenloser Hund, ein Schläger, Säufer und schlauer Kopf. Die Antworten, die er sucht, muss er sich erkämpfen. Oberflächlich betrachtet, geht es in „Der unsichtbare Detektiv“ um eine klassische Detektivgeschichte, sozusagen Humphrey Bogart in den 90ern mit einem Schuss Brutalität. Der Bissen, um den sich die Figuren prügeln, ist ein altes Gemälde aus Frankreich. Mit von der Partie sind der erbarmungslose Schläger Lono, der schmierige Kunstdieb Monroe Tannenbaum und die arrogante Managerin Megan Dietrich.

Obwohl sich der Weg des gestohlenen Gemäldes bis zum Ende des Bandes entschlüsselt und die Motive der Beteiligten größtenteils klar werden, bleiben für den Leser viele Fragen offen. Es lohnt sich, „Der unsichtbare Detektiv“ zweimal zu lesen. Zwischen den Zeilen, hinter der vordergründigen Story, finden sich Hinweise, dass Milo Garret unter einem Trauma leidet. Er hat keine genaue Erinnerung an seine Vergangenheit. In seinem Kopf herrscht ein Tohuwabohu. Ist er der, der er zu sein glaubt?

Die Personen um ihn herum wissen mehr über seine wahre Identität, hüllen sich jedoch in Schweigen. Nicht zuletzt wegen dieser persönlichen Misere begibt sich Milo auf die Suche nach den Hintermännern seines Unfalls. Wie immer ist dabei am interessantesten, was nicht gesagt wird. Anspielungen deuten darauf hin, dass Milo einst zu einem Killerkommando namens »Minuteman« gehörte – was seine beachtliche Kondition und seine Nahkampf-Fähigkeiten erklären würden. Was Agent Graves und das Schlüsselwort »Croatoa« damit zu tun haben, bleibt ein Geheimnis.

Der Zeichner von „100 Bullets“, Eduardo Risso, setzt den Band über Milo Garret und seine Widersacher mit harten Linien und viel Schatten in Szene. Häufige Perspektivwechsel und eine dynamische Anordnung der Panels machen „Der unsichtbare Detektiv“ zu einer Augenfreude. Eigenartig, wie es Risso gelingt, Stimmungen einzufangen, die für das Verstehen der Geschichte essenziell sind. Als Milo und die Diebin Echo Memoria durch ein Fenster gestoßen werden, ist in seinem Gesicht nicht ein Hauch von Misstrauen zu erkennen? Als würde er ihr falsches Spiel ahnen? Bild und Text verschmelzen hier wie nur selten zu einer Einheit.

Brian Azzarello und Eduardo Risso verstehen ihr Handwerk. Der unsichtbare Detektiv macht Lust darauf, mehr von 100 Bullets zu lesen. Nicht grundlos gewannen Autor und Zeichner 2002 den |Harvey and Eisner Award| für die beste fortlaufende Serie. Wer auf eine rundum abgeschlossene Geschichte warten kann und Lust an Handlungen voller Gewalt, Sex und doppelten Böden hat, dem ist „Der unsichtbare Detektiv“ nur zu empfehlen. Wann das Geheimnis um die Minuteman und Agent Graves gelüftet wird, steht noch aus. Ungeduldigen sei die Recherche im Internet empfohlen, denn während man in Deutschland noch bei Ausgabe 36 der Originalserie steht, wartet man in den USA bereits auf Ausgabe 63.

Adamczak, Bini – Kommunismus – Kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird

Während die Buchhändlerin auf die Kasse eintippt, weiß ich nicht so recht, was ich mit dem kostenlosen Lesezeichen anfangen soll. Neugierig wende ich den kleinen Streifen Papier hin und her. Auf einer Seite springt mir eine Karikatur ins Auge: eine Frauenfigur in einem Arbeitskittel. Sie hebt die rechte Hand zur Faust und stützt die linke in die Hüfte. Darunter steht das Wort »Kommunismus«. Arbeiter aller Länder, vereinigt euch! Es lebe die Revolution!

Das Lesezeichen mit der Figur ist ein Werbemittel aus dem |Unrast|-Verlag. In dem sozial motivierten und gesellschaftskritischen Verlagsprogramm findet sich schnell das entsprechende Buch. Auf dem Cover des Bändchens erkenne ich die trotzige Frauenfigur wieder. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen und blättere los.

Die ersten zwei Drittel lesen sich wie im Flug. In kurzen Abschnitten führt Adamczak in die Kritik der politischen Ökonomie ein, erklärt dabei, was Arbeit ist, was der Markt und was eine Krise. Marx für Anfänger. Dabei klingen die Worte so, als wären sie für ein neugieriges Kind bestimmt. Ganz klar, ganz einfach, ohne Schnörkel. Ich fühle mich wie bei der »Sendung mit der Maus« und stelle fest, dass mich diese Textform amüsiert. Schriften über den Kommunismus gelten doch gemeinhin als staubtrocken oder ideologisch verseucht. Das letzte Drittel liefert dann den notwendigen ernsthaften Ansatz, in dem sich Adamczaks eigentliches Anliegen verbirgt. Ein bisschen Ideologie muss dann doch sein. Sie stellt fest, dass die Zeiten, in denen der Kommunismus als alternatives Gesellschaftssystem diskutiert wurde, vorbei sind. Die Intellektuellen sind frustriert, der Kapitalismus hat gewonnen. Und nun?

Neben dem Anspruch des Kommunismus, ein zum Kapitalismus alternatives Gesellschaftssystem zu entwerfen, wird leicht vergessen, dass der Kommunismus dem Kapitalismus entspringt – und zwar als dessen kritischer Gegenentwurf. Diese Kritik verändert sich gemeinsam mit dem Kapitalismus und darf nicht einschlafen. Kommunist zu sein, ist anachronistisch. Stattdessen gilt es, sich kritisch mit dem Kapitalismus auseinanderzusetzen. Das kapitalistische System ist schließlich noch immer nicht gerecht und daher kritikwürdig. Ungerechtigkeiten aufzeigen, erklären und über alternative Lösungen nachdenken – das ist ein hehrer Weg in die Zukunft. Adamczaks Buch appelliert an den Leser, nicht wegzuschauen und zu schweigen, wenn durch eine allzu freie Marktwirtschaft Not und Elend entstehen. Adamczak wünscht sich mehr Diskussion und Offenheit im Umgang mit gesellschaftskritischen Fragen.

Adamczaks Anspruch in allen Ehren, aber im Grunde führt sie den Begriff des Kommunismus ad absurdum. Ihr Bemühen, das politisch vorbelastete Wort auf eine neue Bahn zu lenken, schlägt fehlt. Ihr Text entspringt dem so genannten »Trauma 89«, das intellektuelle Bücherstuben heimgesucht hat. Sie wünscht sich eine regere Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus, keine Stagnation und kein sehnsüchtiges Revolutionsgehabe. So weit, so gut. Doch die Autorin scheitert an einem Spagat. Auf der einen Seite beerdigt sie den Kommunismus von gestern, auf der anderen Seite spielt sie Geburtshelfer des Kommunismus von morgen. So verfängt sie sich manchmal in der einen, manchmal in der anderen Argumentationslinie. Warum macht sie es sich eigentlich so schwer und schleppt das politisch vorbelastete Wort »Kommunismus« mit sich herum? Eigentlich geht es ihr doch um etwas anderes.

Ich lege das Buch zur Seite und wende wieder das Lesezeichen zwischen meinen Fingern. Die Frauenfigur darauf blickt mir jetzt mit anderen Augen entgegen. Die kleine Arbeiterin erscheint nun eher verträumt und hoffnungsvoll, weniger kämpferisch und revolutionär. Wahrscheinlich wünscht sie sich eine gerechtere Welt für alle. Um solch eine Welt möglich zu machen, beginnt sie zu erklären, was genau ungerecht ist und welche Ursachen es dafür gibt. Sie argumentiert auf der Grundlage von Marx. Sie möchte die Welt verbessern. Aber eine Kommunistin – das ist sie nicht.

Tome / Janry – Spirou & Fantasio: Abenteuer in Moskau (Band 40)

Lucky Luke und Asterix sind Klassiker der frankobelgischen Comickultur und hierzulande allseits bekannt. Aber wie sieht es mit ihren Kollegen Spirou und Fantasio aus? Wer die zwei Weltenbummler noch nicht kennen lernen konnte, hat jetzt die Gelegenheit dazu. Denn seit einigen Jahren legt der |Carlsen|-Verlag die Abenteuer der zwei Freunde neu auf. Jüngst erschien Band 40 der Reihe: „Abenteuer in Moskau“.

Eigentlich wollten Spirou und Fantasio Reportagen über Kokospalmen machen. Stattdessen sitzen sie auf der Rückbank einer muffigen Limousine, auf dem Vordersitz die beiden KGB-Agenten Wapatrowitsch und Schmonzejew. Letzterer dreht sich lässig um, blickt die beiden Abenteurer aus Frankreich trübe an und verdeutlicht ihnen mit wenigen Worten ihre Situation: „Jetzt ihrr arrbeitet fürr KGB!“

Nachdem der Page mit der roten Kappe und der rasende Reporter am Flughafen entführt und in ein Flugzeug nach Moskau verfrachtet wurden, nimmt die Geschichte schnell ihren Lauf. Spirou und Fantasio sind beim KGB für ihr Können bekannt und sollen dem russischen Geheimdienst dabei helfen, den Mafia-Boss Tanaziof aus dem Verkehr zu ziehen. Für die groben Methoden, mit denen die beiden Abenteurer nach Russland geholt wurden, entschuldigt man sich mit knappen Worten.

Obwohl Spirou und Fantasio lieber in den Süden möchten, anstatt sich in Moskau bei Minus 35 Grad die Ohren abzufrieren, interessiert sie die Angelegenheit. Spätestens als ein Attentäter auf sie schießt, die Limousine ins Schleudern gerät und auf der zugefrorenen Moskwa aufschlägt, nehmen sich die beiden Abenteurer des Falles an. Bald stellt sich heraus, dass der ominöse Prinz Tanaziof in Wirklichkeit Fantasios Vetter Zantafio ist. Dieser Erzrivale sollte regelmäßigen Spirou-und-Fantasio-Lesern ein Begriff sein, denn nicht nur einmal machte er den beiden Titelhelden in der Vergangenheit das Leben schwer (s. Bände 2, 5, 6, 14, 21). Nun gilt es, Zantafios Umtriebe wieder einmal zu stoppen und ihn und seinen Kumpanen Nikita Nikolajew aufzuhalten. Die beiden Bösewichter haben nicht weniger im Sinn, als ein nationales Desaster herbeizuführen. Sie wollen ein Relikt der russischen Revolutions-Ära stehlen, den Leichnam von Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als Lenin.

Zur Vorbereitung der „Abenteuer in Moskau“ waren die beiden Autoren Tome und Janry selbst einige Wochen in der russischen Metropole unterwegs, um sich ein realistisches Bild von der Stadt zu machen. Die Handlung jagt die beiden Titelhelden kreuz und quer durch Moskaus Straßen und entpuppt sich bald als eine Art gezeichnete Action-Sight-Seeing-Tour. Der Rote Platz, das Moskauer Schwimmbad, das Lenin-Mausoleum, der Winterpalast des Zaren und das Bolschoi-Theater dürfen da nicht fehlen. Gewürzt ist die Geschichte mit Ausschnitten russischer Lebensart: Neben Wodka, Zobelmützen und Babuschkas begegnet der Leser Russischem Roulette, Eisbaden und dem heißblütigen männlichen Begrüßungskuss.

Wer Tim und Struppi, Lucky Luke und Asterix kennt, wird sich beim Durchblättern eines Spirou-und-Fantasio-Abenteuers an den Zeichenstil dieser Serien erinnert fühlen. Obwohl Spirou und Fantasio alles andere als ein Geheimtipp sind, stehen die frankobelgischen Comic-Helden hierzulande in Sachen Popularität weit hinter ihren Kollegen zurück. Spirou und Fantasio sind Galeonsfiguren der Comic-Stilrichtung école Marcinelle, benannt nach dem Sitz des Verlages Dupuis, der die Geschichten der beiden Weltenbummler seit ihrer Erfindung in den 1930er und 1940er Jahren herausbringt. Kräftige Farben und viel Liebe zum Detail zeichnen auch dieses Spirou-und-Fantasio-Abenteuer aus dem Jahr 1990 aus, dessen Helden sich in den letzten fünfzig Jahren kaum verändert haben. Geordnete Zeilen à drei, vier oder fünf Panels prägen den Gesamteindruck des Bandes. Interessant sind die Soundwords, die sich der russischen Schreibweise angepasst haben und ein umgekehrtes N und ein umgekehrtes R verwenden.

„Abenteuer in Moskau“ ist ein weiterer charmanter Band der Spirou-und-Fantasio-Reihe, die seit einigen Jahren vom |Carlsen|-Verlag als Neuauflage herausgegeben wird. Die bunte Mischung aus Abenteuer und Sight-Seeing wird verfeinert durch einen bissigen Unterton. Im Gegensatz zu diesem Plus an Realitätsnähe und guter Recherche steht ein Minus an Humor und Slapstick, die in diesem Band für meinen Geschmack etwas zu kurz kommen. Toll hingegen: Die Seite mit editorischen Anmerkungen am Ende des Bandes. Hier erfährt man Hintergründiges über die Autoren, das Werk und seine Entstehung.

Abolin, Georges / Pont, Olivier – Jenseits der Zeit

Gute Freunde tun manchmal etwas merkwürdige Dinge: Mutproben, Doktorspielchen, den Nachbarn ärgern … Vielleicht haben auch Georges Abolin und Oliver Pont solche Sachen gemacht. Seit ihrer Kindheit in Südfrankreich hat sich einiges verändert, doch die gemeinsame Leidenschaft für Comics ist geblieben. Im vergangenen Jahr erschien im Verlag |Dargaud| die jüngste Produktion der beiden, der Comic-Roman „Jenseits der Zeit“, in Deutschland seit kurzem bei |Carlsen| erhältlich. Darin geht es – Wen wundert’s? – um Freundschaft.

William fühlt sich noch nicht so richtig wohl in seinem neuen Zuhause. Die Leute aus dem kleinen Dorf Barellito sind eigenartig und nicht besonders freundlich. Noch kennt er hier niemanden. Zwar ist das Wetter in Italien besser als in London, aber ihm fehlen seine alten Freunde. Das Anwesen, das seine Eltern geerbt haben, ist alt und baufällig, überall liegt Staub, und es riecht komisch. Allerdings ist die Aussicht gut und man kann jederzeit im Meer schwimmen gehen. Zu dem Haus gehört ein Landungssteg. Dort soll bald ein prächtiges Dampfschiff anlegen, mit dem sein Vater losfahren und viele Fische fangen will.

Zum Glück gibt es Lisa. Sie ist auch nicht von hier. Seit einigen Jahren lebt das schwarzhaarige Mädchen gemeinsam mit ihrem Vater nebenan, auf dem Nachbargrundstück. Sie ist ein wenig verrückt, aber freundlich und humorvoll. Zusammen erkunden William und Lisa die Steilküste, gehen schwimmen und beobachten heimlich die Dorfbewohner. Ein bisschen ist William in sie verliebt, das muss er zugegeben. Neben dem schüchternen Rotschopf gibt es in Lisas Leben noch zwei weitere Freunde, den pummeligen Nino und den halbstarken Paolo. Die Vier bilden bald eine feste Clique, albern herum und genießen den Sommer. Es scheint so, als hätte sie das Schicksal zusammengeführt.

So idyllisch das Leben an der Küste von Barellito auf den ersten Blick erscheint, so gefährlich sind auch seine Untiefen. Die alteingesessenen Fischer sehen die Pläne von Williams enthusiastischem Vater gar nicht gerne. Sie befürchten, dass er mit seinem Dampfschiff ihre Fischbestände plündert. Das Verhältnis zwischen den Fremden und den Dorfbewohnern ist gespannt. Lisas Vater warnt Williams Vater, doch der ist gut gelaunt und glaubt, alles werde sich mit der Zeit einrenken. Jedoch lassen Rüpeleien, ein Überfall auf einen Fischtransporter und ein Anschlag auf das neue Schiff das Leben von Williams Familie immer mehr zur Qual werden. Als Paolo entdeckt, dass seine Schwester ein heimliches Verhältnis mit Lisas Vater hat, spitzt sich die Situation zu. Die Fremden wissen, dass sie in Barellito nicht willkommen sind.

„Jenseits der Zeit“ gliedert sich in zwei große Abschnitte: Der erste Teil der Geschichte schildert das Kennenlernen der vier Freunde während ihrer Kindheit, der zweite Teil beschreibt ihr Wiedersehen als Erwachsene. In Frankreich erschien „Jenseits der Zeit“ in zwei separaten Bänden unter dem Titel „Où le regard ne porte pas“. Bei der deutschen Veröffentlichung wurden die beiden Teile des Comic-Romans, „Italien“ und „Costa Rica“, in einem Band zusammengefasst. |Carlsen| beschreitet mit dem hiesigen Produkt neue Wege, indem sich der Verlag von dem frankobelgischen Alben-Format verabschiedet. Das Album wird durch ein kleineres Format abgelöst, das an die Größe amerikanischer Hefte erinnert, allerdings nicht so hoch ist. Der Band liegt gut in der Hand. Schweres Papier, ein solider Einband, einhundert Prozent Farbe – da schlägt das Herz des Bücherfreunds höher.

Die Aufmachung wird den Zeichnungen von Olivier Pont und Jean-Jacques Chagnaud nur gerecht. Detailverliebte Bilder bei ruhiger Seitenaufteilung, ohne jedoch aufdringlich oder konform zu wirken, machen die eindrucksvolle Optik von „Jenseits der Zeit“ aus.

Die Geschichte erzählt von Freundschaft, von der Magie der Kindheit und von den Wundern eines Sommers. Erstaunlich ist, dass die Handlung nie ins Kitschige oder Klischeehafte abdriftet. Immer gibt es harte, schwere Untertöne. Trotz aller Leichtigkeit vergisst der Leser nicht die Sorgen, Probleme und Spannungen, die ungelöst im Raum stehen. Manchem mag die Geschichte von William, Lisa, Nino und Paolo ein wenig zu ruhig und verträumt sein. Wer auf der Suche nach einem Adrenalin-Schub ist, sollte von „Jenseits der Zeit“ besser die Finger lassen. Wer hingegen eine kleine, zauberhafte Erzählung sucht, die am Ende ein wenig ins Unwirkliche abhebt, ist gut beraten.

Delano, Jamie / Ridgway, John / Alcala, Alfredo – Erbsünde (John Constantine – Hellblazer: Original Sins)

„Der Kampf zwischen Himmel und Hölle wird auf der Erde entschieden.“ Mit diesem Slogan möchte Warner Bros. das Publikum in den Horror-Streifen „Constantine“ locken beziehungsweise zum Griff zur DVD-Fassung bewegen. Gar nicht übel. Kampf, Himmel, Hölle – das sind Schlagwörter, die das Adrenalin ankurbeln. Als Grundlage für den Film diente die okkulte Comic-Serie „Hellblazer“. Die Filmfigur hat mit dem zwielichtigen Comic-Helden John Constantine nur wenig gemeinsam.

John Constantine ist Brite und trägt einen schmutzigen Trenchcoat. Er ist Kettenraucher, ein notorischer Einzelgänger und ein Spieler. Arroganz und Sarkasmus zeichnen ihn aus. Unzählige Male spazierte er auf den Pfaden zwischen Himmel und Hölle, tanzte am Rande des Vulkans. Seine Gegenspieler sind manchmal Dämonen, manchmal Erzengel. Öfter hat er es jedoch mit Seinesgleichen zu tun, mit Menschen.

Die Welt von Hellblazer ist wie ein Blick hinter die Kulissen der Wirklichkeit. Seit er in seiner Jugend begann, sich mit Magie zu beschäftigen, wandelt die Hauptfigur John Constantine auf Wegen fernab der normalen Welt. Lust am Risiko und der Wunsch nach Macht haben ihn dazu getrieben, in jungen Jahren die dunkle Kunst der Magie zu erlernen. Inzwischen ist er ein reumütiger Sünder, ein Magier, der am eigenen Leib erfahren hat, was überirdische Macht anrichten kann. Auf seinem Weg ist er einsam geworden. Regelmäßig tauchen die Geister von toten Freunden auf und verfluchen ihn. John versucht sich einzureden, nichts mit ihrem Unglück zu tun zu haben und streitet jede Schuld ab. Inzwischen ist sein einziger zuverlässiger Wegbegleiter ein schlechtes Gewissen.

In Deutschland erscheinen John Constantines Abenteuer im Verlag |Schreiber & Leser|. In der Gesamtausgabe „Erbsünde“ sind die ersten neun Hefte der Hellblazer-Reihe zusammengefasst. Obwohl es sich um eine Reihe von Einzelgeschichten handelt, lassen sich die Episoden einander zuordnen und in Zusammenhang bringen.

Die ersten beiden Hefte drehen sich um Freundschaft, Gier und falsche Entscheidungen. Gary Lester, ein alter Freund von Constantine, taucht plötzlich in der Londoner Wohnung des Magiers auf. Als John ihn findet, ist Gary über und über mit Insekten bedeckt. Ein summender Albtraum, dem der Magier pragmatisch entgegen tritt. Er läuft ins nächste Geschäft und kauft sechs Dosen Insektenspray. Nachdem die zuckenden Tierchen zu Tausenden den Boden von Johns Badezimmer bedecken, will er wissen, was los ist.

Gary ist verzweifelt und braucht dringend Hilfe. Er hat sich mit finsteren Mächten eingelassen. Wie es scheint, zog er bei einem Aufenthalt in Tanger die Aufmerksamkeit des Hungerdämons Mnemoth auf sich. Johns Nachforschungen führen ihn zunächst nach Afrika, dem Ursprung allen Übels, dann nach Amerika. In New York angekommen, erschöpft vom Jetlag und mit Gary im Schlepptau, bittet er den berühmten Voodoo-Meister Papa Midnite um Rat und Hilfe.

Schnell zeigt sich, dass Mnemoth bereits angefangen hat, seine Fühler auszustrecken. Von Lester beschworen, feiert der Dämon in der Metropole seine Ankunft. Einzelpersonen kommen in die Schlagzeilen, weil sie unersättlichen Hunger verspüren und daran zugrunde gehen. Ein Postbeamter stopft wie ein Besessener Essen in sich hinein, ein Juwelier frisst Edelsteine, ein Passant durchbricht das Schaufenster einer Fleischerei. Um das drohende Unheil aufzuhalten, hecken Midnite und Constantine einen teuflischen Plan aus, für den Gary Lester den Preis zu zahlen hat. (1: Hunger, 2: Festessen mit Freunden)

Heft 3 schildert, wie der Dämon Blathoxi versucht, mit einer Armee von dämonischen Juppies Seelen für die Hölle zu gewinnen. Die Geschichte spielt zur Zeit Thatchers und ist eine Parodie auf junge Finanzleute, die rücksichtslos das schnelle Geld machen wollen. (3: Going for it)

Im Mittelpunkt der Hefte 4 bis 9 steht die Auseinandersetzung zwischen der Damnation Army und den Erweckungskreuzrittern. Erstgenannte Gruppe wird von dem Dämonen Nergal angeführt und lebt unter der Erde in der Kanalisation. Letztgenannte ist eine Sekte von christlichen Fanatikern, die im Fernsehen Bibeln verkaufen und Seelenheil versprechen. Nur langsam wird Constantine auf den Zwist zwischen den Gruppen des Himmels und der Hölle aufmerksam. Spätestens, als seine Nichte Gemma entführt wird und er miterleben muss, wie ein kleines Dorf von Geistersoldaten heimgesucht wird, kann er sich der Sache nicht mehr entziehen. (4: Warte auf den Richtigen, 5: Wenn Johnny in die Heimat marschiert, 6: Extreme Vorurteile, 7: Der Geist in der Maschine, 8: Intensivbehandlung, 9: Auf dem Weg zur Hölle)

John Ridgway und Alfredo Alcala zeichnen die Welt von John Constantine recht grob, hauptsächlich mit dunklen Farben. Die Darstellungen entsprechen oft einer halbnahen oder einer nahen Einstellung, was nur wenig Abwechslung bringt. Ein paar mehr Details und Totalen hätten sicherlich nicht geschadet. Vielfältiger kommt die Seitenaufteilung daher. Keine geordneten Panels, sondern zerrissene, gestückelte oder zerbrochene Bilderfolgen durchziehen das Heft.

Die Geschichten von Jamie Delano sind von recht unterschiedlicher Qualität. Die Teile über den Hungerdämon Mnemoth, Papa Midnite, Gemmas Entführung und die Geistersoldaten gehören sicherlich zum Lesenswertesten, was die Hellblazer-Reihe zu bieten hat. Fesseln diese Episoden den Leser von Anfang bis Ende, so sind andere Passagen leider scheußlich langatmig geraten. Man spürt, dass die Macher noch auf der Suche nach dem Stil und der Sprache der neu entstandenen Reihe waren. Ausflüge in Computerwelten und Verweise auf Superhelden wirken aus heutiger Sicht in der Hellblazer-Reihe merkwürdig und beinahe lächerlich. Trotz holpernder Spannung und gelegentlicher Fehltritte war „Erbsünde“ ein solider Start. Inzwischen ist John Constantine angekommen bei den Autoren, den Zeichnern und den Lesern. Der Verlag |DC Vertigo| hat mit „Hellblazer“ eine Horror-Reihe erster Güte geschaffen, die zum Glück bis heute weitergeführt wird.

Trondheim, Lewis – Wie das Leben so spielt (Herrn Hases haarsträubende Abenteuer, Band 10)

Comics aus Fernost sind angesagt. Asterix und Konsorten hingegen gelten als schnarchlangweilig. Das muss verwundern, ganz besonders, wenn Lewis Trondheim zu Stift und Papier greift. Seit Jahren bringt der Zeichner aus Montpellier mit solch witzig-poetischen Figuren wie Herrn Hase, Kaput & Zösky oder Der Fliege Leben in die frankobelgische Comicbude. Im Juni zog Trondheims Herr Hase zum zehnten Mal auf Abenteuer aus.

Lewis Trondheim liebt die Abwechslung. Jedes Mal ein anderer Schauplatz, eine andere Epoche, ein anderes Genre – die Grenzen seiner Serie „Herrn Hases haarsträubende Abenteuer“ sind klar und weit gesteckt. Dabei bleiben die Figuren immer gleich. Die Hauptfigur Herr Hase kommt mit den Wechseln gut zurecht und macht gelassen alles mit. So war der schüchterne Hoppler schon im Wilden Westen, im viktorianischen England und im Skiurlaub unterwegs. Blaue Bohnen, fiese Monster und Schneeballschlachten gibt es dieses Mal allerdings nicht.

Stattdessen veranstalten Herr Hase und seine Freundin Nadia in ihrem Appartement eine Party. Eingeladen sind diverse Pärchen und Singles, für Wein und Salat ist gesorgt, der Spaß kann beginnen. Unter den Gästen ist auch Marion, eine einsame und mollige Endzwanzigerin, die ein Auge auf den introvertierten Serge geworfen hat. Doch leider bahnt sich zwischen den beiden Singles so leicht keine nähere Bekanntschaft an. Serge ist zugeknöpft bis obenhin, Marion hat wegen ihres dicken Hinterns Angst, vom Stuhl aufzustehen. Nicht gerade eine glückliche Ausgangssituation.

Schon als sie auf die Party kam, war Marion nervös. Nicht wegen Serge, sondern wegen ihres slavonischen Tarot-Spiels. Das mollige Mauerblümchen schwört auf esoterischen Hokuspokus und hat in den Karten gelesen, dass einer der Partygäste in naher Zukunft sterben wird. Zum Glück ist Richard da, ein Freund von Herrn Hase und ein notorischer Spaßmacher. Mit ein paar frechen Sprüchen versucht er, die Stimmung wieder zu heben. Die ist allerdings im Eimer, als sich herausstellt, dass etliche Damen in der Runde die Party als günstige Gelegenheit wahrnehmen, sich von ihren jeweiligen Partnern zu trennen. Viktoria gibt dem kindischen Patrick den Laufpass, Céline dem Frauenheld Thierry, Alice dem ängstlichen Vincent. Die Herren sind von der »Sitzenlass«-Party völlig überrumpelt. Besorgt blickt Herr Hase zu Nadia. Ob sie auch mit ihm Schluss macht?

Trondheims Stil kommt leicht und lebendig daher. Von seinen sanften Zeichnungen geht ein kindlicher Charme aus, der das Naturell seiner Figuren und Geschichten wiedergibt. Die Linien sind klar, die Farben kräftig. Jede Seite gliedert sich ordentlich in vier Zeilen mit ein bis vier Panels, ganz so, wie man es von frankobelgischen Alben gewöhnt ist.

Das neue Abenteuer von Herrn Hase bildet einen erfrischenden Gegenpol zu vielen actiongeladenen und sinnleeren Comic-Neuerscheinungen. Der Band besticht durch eine Mischung aus Unterhaltung, Spaß und Tiefsinn. Eine Geschichte über verärgerte Untermieter, düstere Prophezeiungen und das Glück der Liebe. Glaubt sich der Leser zunächst in einer Soap-Opera mit gelegentlichen philosophischen Entgleisungen, so steht er letzten Endes einer einfachen Frage gegenüber: Was ist im Leben eigentlich wichtig?