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Englisch, Andreas – Habemus Papam – Von Johannes Paul II. zu Benedikt XVI

„Habemus Papam“ heißt es am 13. April 2005 um 17.43 Uhr auf dem Petersplatz. Die Welt hält den Atem an – und aus Kardinal Joseph Ratzinger wird Benedikt XVI., Nachfolger des am 2. April verstorbenen Johannes Paul II.

Für den Journalisten Andreas Englisch ist diese Wahl von besonderer Bedeutung. Mehr als fünfzehn Jahre lang war er regelmäßiger Begleiter von Johannes Paul II. und kam ihm so nah wie kaum ein anderer Reporter zuvor. So wie er stellen sich Millionen anderer Menschen gleichermaßen die Frage: Was wird sich unter dem neuen Papst alles ändern? Welchen Kurs wird Benedikt XVI einschlagen, was bedeutet seine Wahl für die Kirche und die Gläubigen?

In 39 Kapiteln zeichnet Englisch einen kurzen, übersichtlichen Abriss über die letzten Tage im Leben des alten Papstes, über seinen Tod und die Zeit des Konklave bis hin zur Erwählung Benedikt XVI. und einem Ausblick auf die neue Ära.

Andreas Englisch erinnert sich an seine ersten Begegnungen mit Johannes Paul II. und an die ersten gemeinsamen Reisen und Interviews. Er zieht Vergleiche zwischen dem robusten Karol Wojtyla und dem kranken, alten Mann, der die letzten Jahre vor seinem Tod nur mit Mühe sein Amt ausfüllen konnte. Der Leser erfährt Hintergründe über das System der katholischen Kirche im Allgemeinen und die Arbeit der Päpste im Besonderen. Es werden sowohl herausragende Erfolge von Johannes Paul II. als auch Schattenseiten des Vatikans (Opus Dei) angesprochen.

Dazwischen kommen immer wieder Querverweise zum neuen Papst Benedikt XVI. Andreas Englisch berichtet von seinen Eindrücken zu Kardinal Ratzinger, zu dessen Verhältnis zu Johannes Paul II. und spekuliert darüber, was er von seinem Vorgänger übernehmen und was er eventuell ändern wird. Ergänzend hinzu kommen noch Informationen zu anderen wichtigen Gestalten der katholischen Kirche, etwa andere deutsche Kardinäle, Favoriten für das Papstamt, markante Persönlichkeiten aus früheren Zeiten und das engste Umfeld des Papstes. Im Anhang befindet sich eine Zeittafel, auf der parallel zueinander die wichtigsten Daten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. aufgelistet werden.

Neben allen fachlichen Informationen nehmen auch viele persönliche Anekdoten ihren Raum ein. Andreas Englisch gewährt dem Leser Einblick in das Leben eines Vatikan-Reporters und berichtet von den schönen und traurigen, den frustrierenden und aufregenden Momenten im Leben eines Journalisten, der dem Oberhaupt der katholischen Kirche so nah kam wie kaum ein anderer Mensch.

Schnell musste es gehen, nach dem 19. April. Schließlich durfte man die Öffentlichkeit nicht lange warten lassen auf Informationen über den neuen Papst. „Wir sind Papst“ titelte BILD, die Hauszeitschrift des Autors Andreas Englisch, voller Begeisterung. Aber wenn wir Papst sind, wer sind wir dann? – Kein Wunder also, dass die Bücher über Joseph Ratzinger bzw Benedikt XVI. so rasch wie möglich in die Auslagen der Buchhandlungen gelangen mussten.

Leider kommt man nicht umhin, diesen Zeitdruck auch inhaltlich zu bemerken. „Habemus Papam“ bietet einen kurzen Einblick in das Leben im Vatikan und einen übersichtlichen Abriss des Wirkens von Johannes Paul II. Als Einstieg in Hintergrundlektüre über die katholische Kirche und zur groben Beurteilung ist das Werk gut geeignet. Wer sich jedoch detallierte Informationen erhofft, wird vermutlich eher enttäuscht sein. Ebenso wenig bildet es ein Ersatz für richtige Biographien über die beiden Päpste. Stattdessen ist es als Reaktion auf ein Zeitgeschehen zu verstehen, das viele Menschen auf der ganzen Welt interessiert und bewegt hat, als komprimierte Reflektion einer vergangenen und einer anbrechenen Epoche.

|Päpstlicher Humor|

Ein Buch über den Papst und die Kirche muss nicht zwangsläufig in feierlichem Ernst gehalten sein. Stattdessen lässt Andreas Englisch immer wieder amüsante Anekdoten einfließen, die ihm in seiner Karriere als Vatikankorrespondent unterliefen.

Am witzigsten ist ein missverständlicher Ausdruck, der zu regelmäßigen Zwistigkeiten zwischen ihm und Redaktionskollegen führte: Die auserwählten Journalisten, die bei päpstlichen Veranstaltungen anwesend sein dürfen, werden als „Pool“ bezeichnet. Da währenddessen die Handys abgeschaltet sein müssen, meldete Englisch sich zuvor bei der Redaktion mit den Worten „Ich hab keine Zeit, ich muss gleich zum Pool“ ab – mit verheerenden Folgen: „Zum Pool?“ entgegnete manch ein entgeisterter Kollege und schimpfte wutentbrannt darüber, dass sich Englisch offenbar in die Sonne legt, während in der Redaktion schwitzend seine Layouts vorbereitet werden.

Aber auch in den direkten Begegnungen mit Johannes Paul II. gibt es Erlebnisse, die im Nachhinein ein Lächeln auf die Lippen zaubern: An einem Abend im Jahr 1999 stand ein Rückflug mit dem Helikopter von Zamosc nach Warschau auf dem Programm. Für den Papst stand ein weißer, für Englisch und einen befreundeten Fotographen-Kollegen ein dunkler Helikopter bereit. Am Himmel tobte jedoch ein so starkes Unwetter, dass der Pilot sich zunächst weigerte, zu fliegen. Der eilige Papst lässt aber keine Widerrede gelten. Während des abenteuerlichen Fluges klammern sich die beiden Journalisten aneinander, beten ein Ave Maria nach dem anderen und fürchten, ihr letztes Stündlein habe geschlagen, ehe sie endlich wider Erwarten wohlbehalten in Warschau landen. Mit wackligen Knien entsteigen sie dem Helikopter und ein fröhlich lachender Johannes Paul II. fährt aufmunternd winkend an ihnen vorbei – ganz im Sinne eines Gottesmannes, der weder Tod noch Teufel fürchtet.

|Der Marathon-Papst|

Die soeben erwähnte Szene ist eine von vielen, die verdeutlicht, wie Johannes Paul II. zu seinem internen Spitznamen kam. Wer nur die letzten Jahre seines Lebens verfolgt hat, kennt vermutlich nur das Bild eines schwerkranken Mannes, den nur sein eiserner Wille am Leben gehalten zu haben schien. Als Karol Wojtyla jedoch 1978 zum Papst gewählt wurde, war er erst 58 Jahre alt, ein vor Kraft strotzender Mann, dem es nie schnell genug gehen konnte und der schon mal im Spaß die leicht angetrunkenen Reporter, die auf einem Rückflug übermütig „Take off the cross, boss“ sagen, mit einem Augenzwinkern zurechtwies. Wenn man Englischs Erlebnisse mit diesem agilen Papst liest, dämmert es einem, was für eine zusätzlich psychische Qual die letzten Jahre im Leben Johannes Paul II. gewesen sein mussten.

|Licht und Schatten im Vatikan|

Kaum jemand ist so naiv zu glauben, im Vatikan seien die heiligsten und frommsten aller Menschen versammelt. Und so erzählt Andreas Englisch auch kaum etwas Neues, wenn er sagt, dass es selbst im engsten Gefolge eines Papstes stets von Intriganten und Missgünstlingen wimmelt. Trotzdem ist es immer wieder interessant, aus versierter Quelle Details zu den Macht- und Ränkespielen hinter den heiligen Mauern zu erhalten. Unter anderem erfährt man, wer unter den Vatikanleuten zu den engsten Freunden des verstorbenen Papstes gehörte und wer sich schon lange zuvor nach einem Nachfolger sehnte.

Als einer von mehreren Belegen für die Scheinheiligkeit vieler hoher Kirchenleute dient das Beispiel eines anonymen Schreibens, das im August 2003 bei der Redaktion der Jesuitenzeitschrift „Jesus“ eintraf. In dem Brief steckte ein kircheninternes Diskussionspapier, das nahezu alle Errungenschaften Johannes Pauls II. in Frage stellte und reformieren wollte. Aus dem Schreiben ging hervor, dass die Verfasser engste Vatikanvertraute sein mussten. Doch trotz aller Nachforschungen konnten die Urheber nie eindeutig identifiziert werden – was bleibt, ist einer von vielen Beweisen, dass Missgunst und Machtspiele auch oder gerade vor Kirchenmauern keinen Halt machen.

|Der Nachfolger|

Insgesamt nehmen die Kapitel zum Leben und Wirken von Johannes Paul II. einen deutlich größeren Rahmen ein als der Text über Benedikt XVI. bzw Kardinal Ratzinger. Englisch schildert eine kurze Zusammenfassung seiner biographischen Daten und stellt ihn als einen der getreuesten Freunde des verstorbenen Papstes vor. Gleichzeitig geht er auf die Unterschiede ein. War Johannes Paul II. ein Mann der Gesten, so erscheint Benedikt XVI. als Mann der Worte. Während sein Vorgänger sich medial zu zelebrieren wusste, gilt er als zurückhaltend. Seine ersten Auftritte sind für seine Verhältnisse überraschend volksnah und gespannt warten Gläubige und Medienleute in aller Welt, ob sein Pontifikat auch zukünftig an diesen Stil anknüpfen kann. Englisch ist davon überzeugt, dass kein anderer Papst jemals zuvor so viel geleistet hat wie Johannes Paul II. Er hinterlässt zahlreiche Anknüpfungspunkte in Themenfragen wie Verhütung, Armut und Ökumene, mit denen sich sein Nachfolger auseinander setzen muss. Interessant ist dabei vor allem, dass trotz der jahrelangen engsten Zusammenarbeit von Kardinal Ratzinger und Johannes Paul II. diese beiden großen Kirchenmänner längst nicht auf allen Gebieten einer Meinung waren. Davon zeugt unter anderem eine Zugfahrt mit dem Papst und Vertretern anderer Religionen, die im Zeichen der Aussöhnung der verschiedenen Glaubensrichtungen stand. Als Englisch Ratzinger nach seiner Meinung dazu befragte, erhielt er die symbolträchtige Antwort: „Sie sehen ja: Ich fahre mit. Aber ich sitze entgegen der Fahrtrichtung.“

|Einführung – ja, tiefgehende Analyse – nein|

Zum Abschluss stellt sich die Frage, an wen sich das Buch vorwiegend wendet: Überzeugte Katholiken, Heiden, Agnostiker, Atheisten? Ich selber bin einerseits zwar katholisch, hatte ein Jahr lang Privat-Unterricht bei einem mit Kardinal Ratzinger gut bekannten Monsignore und habe Katholische Religion als viertes Abiturfach mit Bestnote abgeschlossen. Auf der anderen Seite stehe ich der Insititution Kirche bereits seit fast zehn Jahren kritisch gegenüber und besuche keine Messe mehr, wiewohl mein Glaube mir über all die Zeit wichtig war und ist – heute vielleicht noch mehr als früher. Für mich als distanzierter Christin bietet die Lektüre einen interessanten, manchmal desillusionerenden und manchmal überraschenden Blick hinter die Kulissen des Vatikans. Je weiter ich gelesen habe, desto größer wurde aber meine Überzeugung, dass ein Kirchengegner in dem Werk wenig ansprechende Worte findet. Zwar scheut sich Englisch nicht, einzelne Personen und Taten der katholischen Kirche negativ zu beurteilen, doch unterm Strich ist es in erster Linie ein massentaugliches Werk und die Kritik bleibt verhalten. Delikate Themen wie die radikale Vereinigung Opus Dei werden nur oberflächlich behandelt. Sehr schade ist außerdem, dass das Buch kein einziges Foto enthält.

Eine Stärke des Buches, die persönliche Beziehung des Autors zu Johannes Paul II., ist gleichzeitig auch eine Schwäche. Andreas Englisch macht keinen Hehl daraus, dass er – nach anfänglicher Skepsis bis hin zur Ablehnung – ein Bewunderer des verstorbenen Papstes ist und seine Reisen mit ihm mehr als nur seinen Lebensverdienst bedeuteten. Bereits mit seiner 2003 erschienenen Biographie setzte er Johannes Paul II. ein Denkmal und entschuldigte sich gleichsam für seine frühere Kritik, als er, nach eigener Ansicht, den Papst noch falsch einschätzte. Wie nah er sich dem Verstorbenen fühlt, wird deutlich, als er unmittelbar nach der Todesnachricht einem israelischen Kollegen in die Arme fällt mit den Worten: „Wir beide wussten vielleicht besser als irgendwer sonst, was dieser Papst geleistet hatte“. An anderer Stelle bekennt Englisch, dass er das Medienspektakel kurz vor und nach dem Ableben von Johannes Paul II. verabscheut: „… und ich würde lügen, wenn ich von mir behauptete, dieses Spiel nicht selbst manchmal mitzuspielen, aber an diesem Abend kotzte es mich an.“

Überhaupt finden sich zusätzlich viele persönliche Anekdoten, die nicht konkret mit dem Vatikan zu tun haben. Das bringt dem Leser den Autoren Andreas Englisch näher, macht ihn sympathisch und zu einer greifbaren Gestalt. Auf der anderen Seite aber bestätigt es das Gefühl, einen alten Vertrauten von Johannes Paul II. vor sich zu haben, der, erst Recht nach dessen Tod, mit seinem Buch keine Wunden aufreißen, sondern eine versöhnliche Basis schaffen will. Für Kirchenkritiker ist dieses Anliegen vielleicht nicht genug und wird dieses Buch daher nicht recht befriedigen. Andererseits ist eine „versöhnliche Basis“ ein guter und solider Ausgangspunkt. Der katholischen Kirche und dem Pontifikat von Benedikt XVI. ist zu wünschen, dass sie genau daran anknüpfen.

_Unterm Strich_ bietet „Habemus Papam“ eine kompakte Zusammenfassung über das Pontifikat von Johannes Paul II., zu seinem Tod und der Wahl des Nachfolgers Benedikt XVI. Der Autor legt eine besondere Gewichtung auf persönliche Anekdoten aus seiner fast zwanzig Jahre lang währenden Zusammenarbeit mit dem verstorbenen Papst. Nicht zuletzt wegen dieser engen Bindung fällt das Werk insgesamt unkritisch aus und bietet keine tiefer gehende Analyse. Daher ist es vor allem als grober Einstieg für Vatikan-Interessierte zu empfehlen.

_Der Autor_ Andreas Englisch wurde 1963 geboren. Er studierte Literaturwissenschaften und Journalistik und arbeitet seit 1987 in Rom, wo er unter anderem das italienische Korrespondenzbüro des Axel-Springer-Verlages leitete. Seit 1995 begleitete er Papst Johannes Paul II. auf allen Auslandsreisen. Bis heute gilt er als einer der Journalisten, die dem vorherigen Papst am nächsten kamen. Weitere Werke sind „Johannes Paul II.“, „Der stille Gott der Wölfe“ und „Die Petrus-Akte“.

Preußler, Otfried – Krabat

Die Geschichte spielt in der Gegend um Hoyerswerda in Schlesien, Ende des 17. Jahrunderts: Der vierzehnjährige Krabat ist ein Waisenknabe. Gemeinsam mit zwei anderen Jungen zieht er nach Neujahr als Dreikönig durch die Gegend. Sie kehren auf Höfen ein, singen ihre Lieder und verdienen sich damit ihr Essen. Eines Nachts hat Krabat einen seltsamen Traum von elf Raben und einer heiseren Stimme, die ihn beschwört, zur Mühle in Schwarzkolm zu kommen. Krabat ignoriert den Traum zunächst, doch nachdem er sich in den folgenden Nächten wiederholt, folgt er dem Ruf. Obwohl ihm unterwegs geraten wird, die Mühle zu meiden, lässt er sich von seinem Vorhaben nicht abbringen.

In der abgeschiedenen Mühle empfängt ihn der Meister, ein schwarz gekleideter Mann mit Augenklappe und unheimlicher Ausstrahlung. Krabat wird als Lehrjunge aufgenommen. Außer ihm leben und arbeiten noch elf andere Jungen dort. Zum ernsten und vernünftigen Altgesell Tonda fasst Krabat rasch Vertrauen. Umso misstrauischer steht er dagegen dem dürren Lyschko gegenüber, der jede Heimlichkeit dem Meister zuträgt. Außerdem gibt es da noch die beiden starken und gutmütigen Vettern Michal und Merten, den Spaßvogel Andrusch, den kräftigen Hanzo, den handwerklich geschickten Petar, den wieselflinken Staschko, den ewig mies gelaunten Kito, den schweigsamen Kubo und den scheinbar dummen Juro.

Nach dem Ende seiner Probezeit wird Krabat vom Lehrjungen zum Schüler befördert. Nun darf auch er am Unterricht der Schwarzen Künste teilnehmen. Krabat ist stolz auf sein neues Können – doch er spürt auch, dass über der Mühle und dem Meister ein bedrohlicher Schatten liegt. Was hat es mit den Knochensplittern auf sich, die er eines Morgens in einem Mühlgang findet? Wer ist die schwarze Gestalt mit der Kutsche, die in Neumondnächten vorfährt und die selbst der Meister fürchtet? Krabat ahnt, dass sein Lehrherr einen dunklen Pakt abgeschlossen hat, der ihrer aller Leben in Gefahr bringt. Nur die Liebe einer Frau kann Krabat aus seiner Not erlösen …

Die Macht der Liebe gegen dunkle Mächte, der Kampf zwischen Gut und Böse – das sind die bewährten Grundthemen dieses Romans, die in einen unheimlichen und märchenhaften Rahmen eingebettet werden, der für Jugendliche wie für Erwachsene reizvoll ist.

|Sorbischer Sagenschatz|

Die Grundlage des Krabat-Stoffes reicht in seinen Wurzeln über Jahrhunderte hinweg bis ins alte Indien zurück. Es ist die uralte Geschichte vom Kampf eines Zauberlehrlings gegen seinen Meister. Aber nicht nur das Grundthema, sondern auch die Gestalt des Lehrjungen und Zauberschülers Krabat besitzt eine lange Tradition. Der Autor Otfried Preußler begegnete Krabat das erste Mal in einem Sagenbuch mit sorbischen Volkserzählungen. Krabat ist in dieser Gegend als guter und hilfreicher Zaubermeister bekannt, um den sich viele Erzählungen ranken. Der historische Kern dieser Figur liegt in einem kroatischen Oberst, der dem Kurfürst Friedrich August I. – auch bekannt als „August der Starke“ – treue Dienste leistete und wegen seiner fremden Herkunft und seiner Eigenheiten als Zauberer angesehen wurde.

|Tradition statt Innovation|

Die Themen sind nicht wirklich neu, aber wie so oft bei Sagen- und Märchenstoffen ist es nicht Innovation, sondern Tradition, die den Reiz ausmacht. Statt ausgefeilter Handlungsstränge beschränkt sich die Erzählung auf das Wesentliche, auf die großen alten Themen wie Liebe, das Böse, der Wert der Freundschaft und der mutige Versuch eines Jungen, sich und seine Freunde aus Fängen der dunklen Mächten zu befreien. Dabei verzichtet der Autor bewusst auf blumige Ausschmückungen, sowohl was den Stil als auch was die Handlung betrifft. „Krabat“ ist kein Harry Potter, dessen Stärken im Phantasiereichtum liegen und dadurch allerdings auch stärker polarisieren. Preußlers Roman greift auf alte Sagen zurück und bewahrt ihren einfachen, für jeden zugänglichen Stil. Diese Reduziertheit überträgt sich auch auf die Geschichte, die in sehr konzentrierter Form dargeboten wird. Es erfolgen keine ausführlichen Beschreibungen, weder der Orte noch der Figuren. Die eher auf Knappheit beschränkten Informationen lassen viel Raum für eigene Phantasie. Die Figuren und die Umgebung werden in der Vorstellung des Lesers lebendig. Bereits nach wenigen Seiten ist man gefangen in der rauhen Welt und der dichten Atmosphäre der Mühle und dem Leben ihrer Bewohner. Voller Spannung begleitet man Krabat über die Jahre hinweg auf seinem Weg vom einfachen Bettelknaben zu einem respektablen Zauberlehrling, der sich auf einen Kampf auf Leben und Tod einlässt, um sich aus den Klauen des Bösen zu befreien.

Trotz vieler märchenhafter Elemente wie dem sich wiederholenden Jahresablauf, die Alltagszaubereien, die magischen Gegenstände und die Erlösung durch die Liebe ist der Roman insgesamt weitaus differenzierter als ein gewöhnliches Märchen. Krabat ist kein austauschbarer Held, sondern eine Entwicklungsfigur, die im Verlauf dazulernt. Vor allem aber herrscht hier kein simples Schwarz-Weiß-Schema vor, das eine exakte Einteilung ermöglicht.

|Keine Schwarz-Weiß-Charaktere|

Mit Krabat ist dem Autor eine Titelfigur gelungen, die sich jedem Leser sofort als Identifikationsfigur anbietet. Preußler verliert nicht viele Worte, um seinen jungen Protagonisten vorzustellen. Es ist ein Junge wie jeder andere, vorbehaltlos, neugierig und gerne bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Jeder Leser kann nachvollziehen, warum der mittellose Betteljunge dem Ruf zur Schwarzen Mühle folgt. Ebenso verständlich ist seine Neugierde, als er herausfindet, dass an diesem Ort nicht nur das Müllern, sondern auch mysteriöse andere Künste gelehrt werden. An keiner Stelle des Buches gerät man in Gefahr, den Bezug zu Krabat zu verlieren. Stattdessen hofft, fürchtet, leidet und freut man sich mit dem Jungen, der nie einen unrealistischen Helden abgibt. Krabat vereint dankenswerterweise nicht nur positive Eigenschaften in sich, sondern tritt zuweilen auch naiv oder unvernünftig auf. Die anderen Lehrjungen sind ein bunt zusammengewürfelter Burschen aller möglichen Charaktere. Dabei stechen vor allem der ruhige Tonda, sein Altgesell-Nachfolger Michal und der dumme Juro hervor, der letztlich gar nicht so dumm ist, wie es scheint. Eine weitere positive Figur ist der Pumphutt, ein freier Müllersbursche, der den Meister in einem Zauberduell besiegt und dafür Sorge trägt, dass die Burschen gut behandelt werden. Er steht im direkten Gegensatz zum Meister, der seine Macht in der Mühle auslebt, während der Pumphutt umherzieht und seine Kräfte dafür einsetzt, um den Bedürftigen zu helfen.

Mindestens ebenso interessant wie die „guten“ Charaktere sind die „bösen“ unter ihnen, allen voran der Müllermeister und der Herr Gevatter. Preußler vermeidet eine reine Schwarz-Weiß-Malerei und trägt dadurch erheblich zum Spannungscharakter der Erzählung bei. Der Meister ist ohne Frage ein finsterer Mensch, der den Jungen Unheil bringt. Doch er kennt auch menschliche Züge wie Lob, Großzügigkeit und sogar Angst. So herrisch er in seiner Mühle gegenüber den Schülern auftritt, so duckmäuserisch verhält er sich wiederum gegenüber dem Herrn Gevatter, vor dem er echte Furcht empfindet. Der Herr Gevatter, auch „der mit der Hahnenfeder“ genannt, wird durch die Unaussprechlichkeit seines wahren Namens zu einer noch mysteriöseren Gestalt stilisiert. Ist es der Teufel, ist es der Tod? In jedem Fall geht von ihm eine unheimliche Macht aus, der sich selbst der Meister nicht zu widersetzen vermag. Auch er ist nicht einfach das personifizierte Böse, wie sich zeigt, als er den Meister für die Misshandlung eines der Lehrjungen tüchtig bestraft. Gerade diese Undurchsichtigkeit ist es, die bei seinem Auftauchen für den wohligen Grusel sorgt.

|Finstere Handlung|

Am Ende dieses spannenden Leseabenteuers warten der märchenhaft gute Ausgang und die ersehnte Erlösung durch die Allmacht der Liebe, der der böse Zauber des Meisters hoffnungslos unterlegen ist. Doch bis dahin geschehen allerleih finstere Dinge, die in einem Kinderbuch keine Berechtigung haben. Spätestens mit Tondas Tod wird offensichtlich, dass „Krabat“ tatsächlich ein Jugend- und Erwachsenenroman ist. Tonda ist eine melancholische, verlässliche und kluge Gestalt, zu der sowohl der Leser als auch Krabat rasch Vertrauen fassen. Sein gewaltsames Ableben hinterlässt Spuren bei Krabat, der sich ohne seinen bewunderten Freund einsamer denn je fühlt. Tonda ist nicht der letzte Tote in der Mühle, Krabat wird im späteren Verlauf noch einen weiteren Freund verlieren. Der Teufelspakt des Meisters und die jährlichen Opferungen der Jungen sind erschreckende Elemente, die allzu junge Leser überfordern und ängstigen.

Unterm Strich ist „Krabat“ ein düsterer und über weite Strecken trauriger Roman. Der einfache Stil mag zwar bereits für Grundschulkinder zu bewältigen sein, doch die Thematik ist erst für Jugendliche ab etwa zwölf Jahren zu empfehlen. Durch die vielen interpretatorischen Ansätze und Diskussionspunkte über die Charaktere, über die Symbolik und den sagenhaft-historischen Hintergrund eignet sich der Roman hervorragend als Schullektüre und wird als solche auch gerne verwendet.

_Fazit:_ „Krabat“ ein leicht geschrieber märchenhafter Roman über den alten Kampf zwischen Gut und Böse und die Erlösung durch die wunderbare Macht der Liebe. Trotz des einfachen Stils ist das Werk aufgrund der düsteren Thematik nicht für Kinder unter zwölf Jahren geeignet. Auf Jugendliche und Erwachsene dagegen wartet ein wunderbares Leseabenteuer, das besonders in die kalte Jahreszeit passt und zu Recht bereits zu Lebzeiten des Autos ein Klassiker geworden ist.

_Otfried Preußler_ zählt zu den bekanntesten Kinderbuchautoren Deutschlands. Er wurde 1923 in Böhmen geboren. Später zog er nach Oberbayern, wo er noch heute zuhause ist. Bis 1970 arbeitete er als Volkschullehrer, ehe er sich dem Schreiben widmete. „Der kleine Wassermann“ war sein erstes Kinderbuch. Es folgten zahlreiche weitere Werke, die allesamt erfolgreich wurden, u.a.: „Die kleine Hexe“, „Das kleine Gespenst“, „Der Räuber Hotzenplotz“, „Hörbe mit dem großen Hut“ und „Die Abenteuer des starken Wanja“.
Für den „kleinen Wassermann“ erhielt Preussler den Deutschen Kinderbuchpreis. Es folgten zahlreiche weitere Auszeichnungen, u.a. der Deutsche sowie der Europäische Jugendbuchpreis („Krabat“), Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, Eichendorff-Literaturpreis, Konrad-Adenauer-Preis für Literatur der Deutschland-Stiftung e.V.
Viele seiner Werke wurden erfolgreich vertont bzw verfilmt.

Mehr über den Autoren erfährt man auf seiner Homepage: http://www.preussler.de.

French, Nicci – falsche Freund, Der

Miranda Cotten ist Ende zwanzig, lebt in London und führt ein lockeres, ungebundenes Leben. Ehe oder feste Partnerschaft gibt es bei ihr nicht, doch sie trifft sich ein paar Mal mit Brendan Block. Aber bevor sich die Sache zu einer ernsthaften Beziehung entwickeln kann, ertappt sie ihn dabei, wie er heimlich in ihre Wohnung eindringt und ihr altes Tagebuch liest. Ohne Zögern macht Miranda Schluss und hofft, ihn nie wiederzusehen.

Bald darauf taucht Brendan jedoch wieder in ihrem Leben auf – als neuer Freund von ihrer Schwester Kerry. Miranda fühlt sich in dieser Konstellation sehr unwohl. Aber es kommt noch schlimmer, denn Brendan erzählt jedem, dass er es war, der Miranda verlassen hat, anstatt umgekehrt. Innerhalb kurzer Zeit integriert sich Brendan in Mirandas Familie und ihrem Bekanntenkreis. Kerry schwebt im siebten Himmel, die Eltern sind von dem charmanten Mann angetan und auch Mirandas Freunde finden ihn sympathisch. Immer freundlich, verständnisvoll und hilfsbereit präsentiert er sich seiner Umgebung, sodass ihn alle für den perfekten Traummann halten.

Doch hinter der Fassade lauert ein unberechenbarer Psychopath. Nach wie vor ist Brendan von Miranda besessen. Er spioniert ihr Leben aus, er verfolgt sie, er spinnt Intrigen gegen sie. Mit teuflischem Geschick gelingt es ihm sogar, sich und Kerry für einige Zeit in ihrer Wohnung einzunisten. Immer öfter fühlt sich Miranda von ihm belästigt und bedroht, kann es jedoch niemandem beweisen. Verzweifelt versucht Miranda, ihre Familie und Freunde vor ihm zu warnen, doch die anderen schlagen sich immer weiter auf Brendas Seite. Um Abstand zu gewinnen, zieht sie vorübergehend zu ihrer besten Freundin Laura, aber auch hier will man ihr langsam nicht mehr glauben; bald darauf zerbricht ihre neue Beziehung. Miranda gilt bei allen als hysterisch und krankhaft eifersüchtig. Hilflos muss sie mitansehen, wie Brendan und Kerry sich verloben und ihre Hochzeit planen. Als sich schließlich eine schreckliche Tragödie ereignet, glaubt sich Miranda endgültig am Ende – bis sie beschließt, zurückzuschlagen …

Spätestens seit dem Film „Eine verhängnisvolle Affäre“ ist das Thema Stalking abgewiesener Liebhaber ein immer wieder gern genommenes Thema für Kino und Literatur. Ob es sich bei dem Psychopathen um Mann oder Frau handelt, ist dabei relativ egal; in jedem Fall geht es um verletzten Stolz und unerwiderte Gefühle, die sich zu einer Hass-Liebe steigern und dem Liebesobjekt das Leben zur Hölle machen. Auch die Darstellung des Verfolgten, dem niemand aus seiner Umgebung Glauben schenkt, ist ein beliebtes Mittel, das hier seine hitchcockeske Wirkung nicht verfehlt.

|Fiebern mit Protagonistin|

Der Roman wird aus der Ich-Perspektive der Hauptfigur Miranda erzählt. Die Identifikation des Lesers und seine Sympathie sind daher ein wichtiges Kriterium, um sich in die Handlung vertiefen zu können. Tatsächlich gelingt es den Autoren gut, Miranda überzeugend darzustellen und den Leser mit ihr mitfiebern zu lassen. Miranda erscheint als durchschnittliche Frau mit mehr oder weniger liebenswerten Zügen; kein perfektes Barbiepüppchen, sondern eher eine handfeste Frau mit Charakter, die in ihrem Maler- und Tapezierberuf aufgeht, bescheiden wohnt und ihr Leben mit großer Selbstständigkeit meistert. Die Beziehung zu Brendan ist für sie kaum mehr als eine belanglose Affäre, der sie keine Sekunde lang hinterhertrauert. Miranda ist nicht oberflächlich, aber selbstbewusst genug, um zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen in ihrem Leben zu unterscheiden – und Brendan gehört dabei eindeutig zu den unwichtigen Dingen. Dazu kommt, dass sie den Schlussstrich aus sehr nahe liegenden Gründen zieht.

Auch den Leser beschleicht Empörung, als er liest, wie sich der neue Freund ungefragt in der Wohnung ausbreitet und in Seelenruhe in Mirandas Tagebuch blättert. Die Antipathie gegen Brendan ist damit unausweichlich, während man sich bereits um Mirandas Willen vor seiner Rache fürchtet. Hinzu kommt, dass uns sofort bewusst ist, dass Miranda sich nichts vorzuwerfen hat und ohne eigene Schuld die Zielscheibe von Brendans Aktionen wird. So wie sie ahnungslos in seine Fänge stolperte, könnte es auch jedem Leser ergehen, der genau wie sie nicht jeden Menschen auf Anhieb richtig einschätzen kann. Im Grunde könnte in jedem Menschen auf der Straße ein Charakter wie Brendan stecken – und das ist durchaus eine beunruhigende Vorstellung, der man sich nur schwer entzieht.

Einer weiterer gut gelungener Charakter ist Mirandas kleiner Bruder Troy. Der knapp Siebzehnjährige leidet seit Jahren unter schweren Depressionen, die ihn zum Sorgenkind der Familie Cotton machen. Gleichzeitig führen seine Intelligenz und seine kurzzeitigen Gute-Laune-Phasen bei allen Beteiligten zur besonderer Freude. Miranda liebt ihren kleinen Bruder mit aller Zärtlichkeit und kann ebenso wenig wie der Leser den Gedanken ertragen, dass Brendan ihm schaden könnte.

|Von Tatsachen und Beweisen|

Für Miranda liegt es auf der Hand, dass es sich bei Brendan um einen Psychopathen handelt. Dabei ist sie zunächst durchaus gewillt, sich für ihre Schwester zu freuen und hofft, sich mit Brendan auf einer oberflächlichen Basis – Kerry zuliebe – arrangierne zu können. Doch sein unbefugtes Eindringen in ihre Wohnung, der Einbruch in ihre Privatsphäre und obszöne Bemerkungen unter vier Augen reichen bereits aus, damit Miranda ihn von ganzen Herzen zu hassen beginnt. Vielleicht hätte ein mehrwöchiger Abstand ihre Antipathie gedämpft, doch stattdessen ziehen Kerry und Brendan vorübergehend in ihre kleine Zweizimmerwohnung.

Brendan benutzt ihr Badezimmer und tritt ungefragt ein, während sie in der Badewanne liegt; Brendan plaudert ihre Tagebuchgeständnisse auf Familienfeiern aus. Aber hat er auch nach seinem Auszug ihre Wohnung betreten, hat er tatsächlich ihr Badezimmer überflutet? Miranda ist dessen sicher, aber Beweise für diese Taten hat sie nicht. Während sie in ihrer Wut Brendan offen Beschuldigungen vorwirft, reagiert dieser so lammfromm, dass alle Freunde und Familienmitglieder ihm Glauben schenken. Auch der Leser darf hin und wieder zweifeln, ob er wirklich für alle schlimmen Taten verantwortlich ist, oder ob Mirandas Verstand wirklich beginnt, ihr Streiche zu spielen – denn schließlich kennt man nur ihre Sicht der Dinge.

Noch schlimmer kommt es, als Miranda beim Versuch, Beweise für Brendans Schuld zu finden, selber ertappt wird, wie sie seine Sachen durchwühlt. Die Detektivin wird zum Tatverdächtigen, und anstatt Brendan von ihren Lieben zu entzweien, treibt sie ihn immer weiter in deren Arme. Beinah schmerzhaft wird uns bewusst, wie schwer es ist, einen geschickten Lügner zu überführen. Für jedes Indiz, das Miranda auftreibt, hat Brendan eine Ausrede parat, die er gelassen und überzeugend den anderen erklärt. Bald hat Miranda niemanden mehr, dem sie vertrauen kann – aber sie schwört sich, nicht zu ruhen, bis sie ihre Rache bekommt …

|Kleine Konstruktionen und offene Fragen|

Auch wenn die Autoren bemüht sind, die Ereignisse subtil zu steigern, erscheint es doch ein wenig unglaubwürdig, wie viel Glück und Geschick Brendan bei seinem Vorgehen zufliegen. Es gelingt ihm, so gut wie jeden aus Mirandas Umgebung einzuwickeln und von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen und nicht zuletzt auch Kerry äußerst schnell zu einer Verlobung zu überreden. Der Zufall will es zudem, dass ein Unterkommen im Haus der zukünftigen Schwiegereltern unmöglich ist, sodass Miranda den beiden gezwungenermaßen Zuflucht in ihrer winzigen Wohnung bieten muss.

Auch muss man sagen, dass Mirandas Familie und Freunde ihr viel zu wenig vertrauen. Es scheint gar keine harte Arbeit von Brendans Seite nötig zu sein, um Miranda bei allen anderen Menschen zu diffamieren. Man möchte doch meinen, dass beste Freundinnen und engste Familienangehörige sich nicht so leicht von Fremden überzeugen lassen und zunächst einmal dem Menschen glauben, den sie ein Leben lang kennen. Unrealistisch wirkt in dem Zusammenhang ebenfalls, dass sich Brendan rasch mit dem ermittelnden Polizeibeamten, Rob Pryor, anfreundet, der natürlich im Gegenzug einer der härtesten Widersacher von Miranda wird.

Wer bis ins letzte Detail alle Hintergründe geklärt haben will, wird zum Schluss womöglich eine kleine Enttäuschung erleben. Obwohl Miranda hartnäckige Nachforschungen in Brandons früherem Leben anstellt, bleiben doch viele Fragen offen, wie er sich zu dem Menschen entwickeln konnte, der er ist. Hier bleibt Raum für Andeutungen und Spekulationen – aber manchmal ist genau das von Vorteil, denn im wahren Leben erfährt man auch nicht immer alle Beweggründe.

|Flüssiger Stil|

Nicht nur die sich immer weiter zuspitzende Handlung, sondern auch der flüssige Schreibstil sorgen dafür, dass man die knapp 400 Seiten locker in zwei Tagen herunterlesen kann. Schon ab den ersten Seiten ist man mitten im Geschehen und lebt sich in Mirandas Welt und ihre Sicht der Dinge ein. Die Autoren lassen keinen Platz für Abschweifungen oder überflüssige Nebenhandlungen; die Ereignisse werden teilweise in rascher Abfolge, aber immer überschaubar präsentiert.

Wer nicht in der glücklichen Lage ist, den Roman binnen kürzester Zeit zu verschlingen, der braucht sich nicht zu sorgen, dass ihm ein erneuter Einsteig nach einer Pause Schwierigkeiten bereitet. Die Handlung verläuft einsträngig und geradlinig, es gibt weder viele Schauplatzwechsel noch eine Masse an Namen zu merken. In der deutschen Übersetzung (und so wohl auch im Original) sind die Sätze überwiegend kurz und in einer einfachen Sprache gehalten, sodass keine hohen Konzentrationsanforderungen gestellt werden. Damit eignet sich der Thriller ideal als Urlaubszeitvertreib oder auch als Nebenherlektüre, wenn man Erholung von schwierigeren Werken sucht.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer Thriller, der sich zwar des altbekannten Themas über psychopathische Stalker bedient, die Handlung aber solide umzusetzen versteht. Dank des raschen Einstieges und des temporeichen Verlaufs der Handlung ist der Leser sofort drin im Geschehen. Die Ich-Erzählerin lädt zur Identifikation ein und die Spannung spitzt sich in höchstem Maße immer weiter zu. Dank des flüssigen Stils, der keinen Platz für Abschweifungen lässt, liest sich der Roman in kurzer Zeit herunter. Einige Schwächen, die aber nicht gravierend sind, liegen in der Vorhersehbarkeit der ersten Hälfte, ein paar konstruierten Ereignissen und kleine Unglaubwürdigkeiten.

_Hinter Nicci French_ verbergen sich in Wirklichkeit gleich zwei Autoren, nämlich das Journalistenehepaar Nicci Gerrard und Sean French. Nicci Gerrad wurde 1958 geboren, studierte Englische Literatur und lehrte später in Los Angeles. Ihr Partner Sean French ist ein Jahr jünger und studierte ebenfalls Englische Literatur. Weitere Werke sind u.a.: „Höhenangst“ (1999), „Der Sommermörder“ (2000), „Das rote Zimmer“ (2001) und „In seiner Hand“ (2002). Zuletzt erschien auf Deutsch „Der Feind in deiner Nähe“.

Kastenholz, Markus – Bleichgesicht

Frank Kroll führt im Rheingau das zurückgezogene Leben eines Außenseiters. Er ist ein Albino, lichtempfindlich und nachtaktiv. Mit seiner hellen Haut, den weißen Haaren, der obligatorischen Sonnenbrille und dem zusätzlichen Übergewicht bietet er einen befremdlichen Anblick. Dank finanzieller Unabhängigkeit arbeitet er sporadisch als Graphiker, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg.

Eines Tages trifft er in seiner eigenen Kneipe eine alte Freundin wieder, die er seit vielen Jahren nicht gesehen hat. Franziska war nicht nur seine Schulkameradin, und sondern auch seine damalige Liebe. Inzwischen ist sie mit dem schwerreichen Georg Fentz verheiratet, der seine Geschäfte über das Privatleben stellt. Doch der Grund für Franziskas Rückkehr an den Ort ihrer Jugend ist trauriger Natur: Ihre Tochter Eva wurde im hiesigen Internat Adlerhorst, das seinerzeit auch Franziska und Kroll besuchten, tot aufgefunden. Die Vierzehnjährige hat sich die Pulsadern aufgeschnitten und stürzte anschließend aus dem Fenster. Die Polizei vermutet Selbstmord oder einen Unfall im Drogenrausch, aber Franziska glaubt an Mord.

Kroll entschließt sich, seiner alten Freundin zu helfen, und verwickelt sich immer tiefer in den Fall und in die Erinnerungen an seine Schulzeit. Einer seiner Anknüpfungspunkte ist ein weiterer ehemaliger Freund, Thorwald Melchior, der als Lehrer im Internat arbeitet und Eva gut kannte. Unterstützung erhält Kroll von seinem Freund Ingo Schuster, dem ermittelnden Kriminalbeamten. Die Motive für Evas Selbstmord bleiben rätselhaft, und schon bald entdeckt Kroll Hinweise darauf, dass sich ein Verbrechen hinter ihrem Tod verbirgt. Eine Spur führt ihn auf den Weg zum Drogendealer Mühlberg, der kurz darauf auf bestialische Weise getötet wird. Es folgen weitere grausame Morde, die die Region erschüttern. Auf der Suche nach den Zusammenhängen verstrickt sich Kroll immer weiter in einen Strudel aus Gewalt, verwirrten Gefühlen und Rache …

Auch wenn dem Leser hier ein bodenständiger Krimi geboten wird – dass der Autor aus dem Phantastik-Bereich kommt, ist nicht zu übersehen. Zwar ist „Bleichgesicht“ frei von übernatürlichen Elementen, aber der Horror schmeckt deutlich durch die Handlung hindurch. Bei den geschilderten Morden wird kaum ein Blatt vor den Mund genommen und empfindliche Leser sollten ihre Magentabletten bereithalten. Die Beschreibungen der Tatorte und der Opfer werden zwar nicht extrem ausufernd, aber doch recht detailliert beschrieben. Nicht nur Kroll und sein Freund Ingo Schuster müssen bei den Anblicken schwer schlucken, auch dem Leser erscheinen vor dem geistigen Auge Bilder, wie man sie aus brutalen Horrorfilmen kennt. Die Themen kreisen um Kindesmissbrauch, Drogenhandel und Mord. Es ist kein sauberer britischer Krimi, in dem die Ermordeten mit Gifttabletten sanft entschlafen wurden, sondern harte Realität, die keine Rücksicht auf Würde oder Schonung nimmt. Und nicht nur die Ereignisse sind hart und kompromisslos, sondern auch die Worte der Charaktere, die auf vornehme Zurückhaltung verzichten. Hier wird beschmipft, geflucht und verteufelt, in Gedanken wie in offener Rede, glücklicherweise ohne dabei allzu vulgär zu werden. Mag man angesichts des deftigen Vokabulars mancher Personen anfangs noch etwas irritiert sein, gewöhnt man sich schnell an die ungeschönten Ausdrucksweisen, die den Dialogen obendrein den nötigen Realismus verleihen.

|Außergewöhnlicher Protagonist|

Gut gelungen ist die Darstellung des Protagonisten. Frank Kroll, der sich am liebsten nur mit dem Nachnamen anreden lässt, ist ein ungewöhnlicher Charakter, und das nicht nur, aber natürlich auch wegen seiner Albinokrankheit. Er lebt menschenscheu, ist Hänseleien und irritierte Blicke gewohnt und besitzt keine Aussicht auf eine erfüllte Partnerschaft. Da ist es kein Wunder, dass das unerwartete Auftauchen seiner alten Liebe Franziska für emotionale Verwirrung sorgt. Auch wenn man in seinem Alltag und seinen Problemen kaum das eigene Leben wiedererkennt, gelingt es doch recht bald, sich mit ihm zu identifizieren und diese eigenwillige Person zu mögen – obwohl oder gerade weil Kroll alles andere als ein Durchschnittsbürger ist. Erzählt wird überwiegend aus seiner personalen Perspektive. Einerseits merkt man, dass es sich bei ihm um einen schwierigen Menschen handelt, andererseits fühlt man mit ihm und interessiert sich zunehmend für sein Schicksal. Besonders deutlich wird das in der Mitte der Handlung, als er zum ersten Mal eine sehr persönliche Episode aus seiner Vergangenheit offenbart, die zwar recht klischeehaft ist, aber dennoch betroffen macht. Im übertragenen Sinne blasser als der Albino Kroll bleiben dagegen die anderen Charaktere, allen voran Franziska Fentz. Während in der ersten Hälfte noch eine gewisse Spannung besteht aufgrund ihrer früheren Verbindung zueinander, geht Franziska im weiteren Verlauf regelrecht unter und wird zur Statistin degradiert. An ihre Stelle tritt eine andere Frau, für die Kroll Empfindungen aufbaut. Anja Ahlers ist die Leibwächterin von Georg Fentz und mit ihrer Durchsetzungskraft und ihrer schlagfertigen Art kein uninteressanter Charakter, aber doch im Vergleich zur Hauptfigur nicht lebendig genug – vor allem angesichts der Rolle, die sie für den Roman spielt.

|Schwarzer Humor und straffe Handlung|

Trotz aller Härte und aller dargebotenen Grausamkeiten der Handlung besitzt der Roman eine ordentliche Portion Humor, die weitestgehend adäquat eingebunden wird. Vor allem Kroll ist es, der fast jedes Ereignis, entweder laut oder in Gedanken, mit einem zynischen Spruch kommentiert, der ein Schmunzeln beim Leser hervorruft, z. B. wenn Anja Skepsis empfindet „als melde sich beim Papst Saddam Hussein mit dem Anliegen zu konvertieren“ und sich Kroll beim Aufwachen fühlt „wie eine Henne in einer Legebatterie aussah“. Allerdings sind nicht alle Vergleiche gleich gut gelungen; störend wird es beispielsweise dann, wenn abgegriffene Formulierungen wie „fiel es ihm wie Schuppen aus den Haaren“ bemüht werden, die schon bei ihrer Erfindung nicht wirklich komisch waren.

Sehr positiv zu vermerken ist die Geradlinigkeit des Romans, die keinerleih Längen oder Abschweifungen zulässt. Die Handlung ist dicht gefasst, die Ereignisse geschehen innerhalb kurzer Zeiträume und der Leser hat keine Mühe, den Ermittlungen zu folgen. Sowohl die Örtlichkeiten als auch die Personen sind überschaubar gehalten, sodass keine Verwirrungsgefahr gegeben ist. Dabei bleibt dennoch Zeit für ruhige Momente, in denen vor allem Kroll in Nachdenklichkeit verfällt und Vergangenes Revue passieren lässt – allerdings stets in angemessener Kürze, sodass der Handlungsbogen die ganze Zeit über straff gespannt bleibt. Bis zum Ende bleibt Spannung erhalten, auch nach der Klärung der Täterfrage, da nicht nur die Verbrechen, sondern auch zwischenmenschliche Fragen geklärt werden wollen. Das Ende bietet einen perfekten Abschluss, der im passenden Maß Raum zum Reflektieren und Weiterdenken lässt und dabei zugleich den Leser zufrieden stellt. Schade ist jedoch, dass das eigentliche Motiv und seine Hintergründe sehr spät und wie aus heiterem Himmel eingeführt werden. Die Lösung wirkt eher aufgesetzt und hätte diverse subtile, frühere Andeutungen verdient, um beim Leser besser akzeptiert zu werden.

|Flüssiger, aber eigenwilliger Stil|

Das Schriftbild und der Stil überraschen hin und wieder durch Eigenwilligkeit. So fehlt grundsätzlich das Leerzeichen vor den Auslassungspunkten, was eine Eigenheit des Verlags zu sein scheint. Der Stil ist sicher, überzeugt durch kurze, übersichtliche Sätze ohne Verschachtelungen; allerdings stört der bisweilen exzessive Gebrauch von Ausrufezeichen. Auffallend ist zudem, dass scheinbar um jeden Preis das Wort „sagte“ vermieden wurde; stattdessen finden sich immer abenteuerlichere Umschreibungen, die teilweise nichts mit Reden zu tun haben. An manchen Stellen enden wörtliche Reden demzufolge mit „sah er betrübt auf die Tischplatte“ oder „machte er“, woran man sich zwar mit der Zeit gewöhnt, was sich aber eher unbeholfen liest. Ein weiteres Merkmals des Autors ist die ebenfalls übertrieben anmutende Vermeidung von mit „dass“ eingeleiteten Nebensätzen. Stattdessen herrscht ein parataktisch dominierter Stil vor, in dem Nebensätze umgangen und durch aneinandergereihte Hauptsätze ersetzt werden. Davon abgesehen liest sich der Roman flüssig, vor allem die zweite Hälfte läd dazu ein, in einem Rutsch verschlungen zu werden.

_Als Fazit_ bleibt ein solider Kriminalroman mit starken Horroreinflüssen, der vor allem Lesern, die nicht vor plastischen Schilderungen und brutalen Geschehnissen zurückschrecken, gefallen dürfte.

_Der Autor_ Markus Kastenholz, Jahrgang 1966, ist (gemeinsam mit Timo Kümmel) Herausgeber des phantastischen Magazins NOCTURNO und der EDITION NOCTURNO im Virpriv-Verlag. Er veröffentlichte mehrere Beiträge in Anthologien sowie diverse Einzeltitel, darunter die Serie „Tiamat – Im Auge des Drachen“ und die Horror-Anthologie „Dämonium“.

http://www.betzelverlag.de/

Stephen King – Puls

Clayton Riddell ist ein bislang erfolgloser Comiczeicher, der gerade in Boston seine erste Geschichte verkauft hat. Dadurch hofft er, dass sich das Blatt von nun an für ihn wenden wird und ihm eine sorgenfreie Zukunft bevorsteht. Zuhause in Maine wartet seine Familie auf ihn; seine Frau Sharon, von der er sich kürzlich getrennt hat, und sein zwölfjähriger Sohn Johnny. Kurz vor seiner Rückfahrt besorgt Clay noch Geschenke für die beiden und will sich ein Eis bei einem Straßenverkäufer genehmigen. In dem Moment, als er in der Warteschlange steht, bricht plötzlich auf der Straße die Hölle los. Mehrere Menschen beginnen völlig unkontrolliert übereinander herzufallen. Ein junges Mädchen tötet eine Frau mit Bissen in den Hals, ein Mann greift Passanten mit einem Fleischermesser an, ein anderer reißt einem Hund mit den Zähnen sein Ohr ab. Binnen Sekunden gerät die gesamte Stadt außer Kontrolle. Autos kollidieren auf den Straßen, Feuer brechen aus, Menschen springen aus den Hochhäusern; Feuerwehr, und Notdienste sind rettungslos überfordert, die Polizei erschießt gnadenlos jeden Angreifer.

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Rainer M. Schröder – Das geheime Wissen des Alchimisten

Köln im Oktober 1705: Die fünfzehnjährige Johanna hat ein hartes Leben. Nach dem Unfalltod ihres Vaters vor sieben Jahren hat ihre Mutter aus Angst vor Armut den Irrenhausbesitzer Heinrich Hackenbroich geheiratet. Der brutale Stiefvater führt dort ein strenges Regiment und behandelt Johanna nicht besser als eine Magd; ihre Mutter ertränkt ihren Kummer im Alkohol. Zudem muss Johanna sich vor den ständigen Übergriffen seines jungen Gehilfen Frieder erwehren.

Eines Abends geschieht etwas, das ihr bisheriges Leben auf den Kopf stellt: Ein schwer verletzter Mann auf der Flucht vor Verfolgern bittet sie um ihre Hilfe und verspricht ihr, sie dafür reichlich zu entlohnen. Zögernd versteckt Johanna den Fremden auf ihrem Wagen. Der Verfolger entpuppt sich als vornehmer Mann mit einer grässlichen Entstellung auf einer Gesichtsseite. Johanna lockt ihn und seine Begleiter auf eine falsche Fährte. Anschließend bringt sie den Fremden zu sich nach Hause.

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Heller, Jane – geliehene Mann, Der

Amy Sherman arbeitet in einem großen Verlagshaus, besitzt ein nettes Apartment in Manhatten und führt eigentlich ein glückliches Leben – bis sie auf der Straße zufällig ihrer Erzfeindin begegnet. Tara Messer war früher seit Schulzeiten ihre beste Freundin, bis Amy sie vor vier Jahren eines Tages mit ihrem damaligen Verlobten Stuart im Bett erwischte. Die Freundschaft zerbrach auf der Stelle, Stuart und Tara heirateten und Amy blieb verlassen zurück, betrogen von den zwei wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Tara moderiert inzwischen eine Radiosendung, während Stuart als Vorstand der familieneigenen Feinkostkette fungiert. Tara sieht nicht nur blendend aus, sondern schwelgt auch noch in Reichtum und offenbar in einer glücklichen Ehe. Um ihrer Rivalin keinen Triumph zu gönnen, erzählt Amy, sie sei mit ihrem Traummann verlobt und heirate demnächst. Da sie davon ausgeht, dass sie Tara nie wieder sehen wird, macht sie sich über ihre Lüge keine weiteren Gedanken.

Leider erfährt Amy kurz darauf, dass ihre Notlüge Folgen nach sich zieht. Ihre Chefin eröffnet ihr, dass ausgerechnet ihr Verlag Taras Lifestyle-Buch „Einfach schön“ mit Tipps zum schöneren Leben herausbringen wird. Amy soll die Promotion dafür übernehmen und alle weiteren Pläne mit Tara abklären. Um ihren Job nicht zu gefährden, lässt sich Amy widerwillig darauf ein. Dabei steht sie aber bald vor einem Problem, denn Tara will unbedingt Amys Verlobten kennen lernen und gleichzeitig die alte Freundschaft wiederbeleben. Für Amy steht fest: Ein Mann muss her und zwar am besten einer, der Tara schwer beeindruckt. Nach und nach scheiden alle Männer in Amys Bekanntenkreis dafür aus. Da erfährt sie per Zufall, dass Tara von Tony Stiles, einem Krimiautor aus Amys Verlag, schwärmt. Tatsächlich ist Tony Stiles sehr attraktiv, beruflich erfolgreich, hat oft mit Amy zu tun und wäre ideal für die Rolle ihres Alibi-Verlobten. Es gibt nur einen Haken – Amy und Tony können sich nicht leiden.

Doch Amy will sich diese Chance nicht entgehen lassen. Sie setzt alles ein, um Tony zu umgarnen und sein Vertrauen zu gewinnen, damit er sich auf das Spiel einlässt. Dabei stellt sich überraschend heraus, dass Tony gar nicht so unsympathisch ist, wie es den Anschein hatte …

Das Prinzip von Jane Hellers Romane funktioniert immer ähnlich: Im Mittelpunkt steht eine Frau zwischen dreißig und vierzig, beruflich erfolgreich, aber Langzeitsingle, die in humorvollem Tonfall von ihrem Leben erzählt und auf überraschenden Umwegen zu ihrem Traummann kommt. Ein Happy-End ist, trotz aller Wirrungen, unvermeidlich, weshalb Jane Hellers Romane sehr vorhersehbar sind. Dass sie trotzdem für gute Unterhaltung sorgen, liegt vor allem an der witzigen und lockeren Präsentation und der auf Sympathie getrimmten Hauptfigur.

|Durchschnittsfrau als Identifikationsfigur|

Wer bereits andere Romane der Autorin gelesen hat, wird bei der Ich-Erzählerin womöglich ein Déjà-vu verspüren. Ihr Hauptziel ist es, die Leserin zu ihrer Verbündeten zu machen und zur Identifikation einzuladen. Aus diesem Grund ist Amy Sherman eine sympathische Frau mit beruflichem Erfolg, aber keine überragende Schönheit und vor allem mit diversen Macken ausgestattet. Sie ist keine perfekte Barbiepuppe wie ihre einstige Freundin Tara, sondern eine natürliche Frau, die ihre Umwelt mit viel Ironie und sich selber mit ebenso viel Eigenhumor betrachtet und kommentiert. Der geneigten Leserin fällt es leicht, sich zu Amy hingezogen zu fühlen, vor allem im Kontrast zu Tara Messer, die geradezu dem Klischee einer Konkurrentin entspricht. Trotz des guten Ausgangs, an dem man nie wirklich Zweifel hat, muss sich Amy im Verlauf der Handlung durch einige Probleme quälen und brenzlige Situationen meistern, von denen man viele aus dem eigenen Leben erkennt. Umso erfrischender ist es, dass Amy mit ihrer trockenen Art diesen Widrigkeiten mit Sarkasmus begegnet, die alles halb so schlimm aussehen lassen. Ob es die aufgetakelte Erzfeindin, die stressige Chefin oder der Klatsch verbreitende Assistent ist, alles wird mit einer ordentlichen Portion Galgenhumor betrachtet, die man sich selber in solchen Lagen herbeizuwünschen pflegt. Dabei darf man nicht vergessen, dass das Thema des Romans den Stoff für ein Drama geboten hätte – Fremdgehen und Betrug von der besten Freundin, Liebeslügen und berufliche Strapazen sind hier auf dem Parkett vereint, allerdings wohlbemerkt immer mit einem Augenzwinkern und schwarzem Humor präsentiert.

|Vorhersehbare Lovestory|

Dennoch reicht dieser Roman in keiner Hinsicht an andere Werke von Jane Heller heran. Einer der Gründe dafür ist, dass die meisten der Vorgänger die altbekannte Lovestory mit Hindernissen mit einer kriminalistischen Handlung kombinierten. Stets gerät dabei die Protagonistin per Zufall in ein Mordkomplott hinein, ermittelt auf eigene Faust, lernt dabei den Mann ihrer Träume kennen und überführt am Ende, nach einem furiosen Showdown, den Mörder. Selten wurden Mörderjagden amüsanter beschrieben als bei Jane Heller, sodass es letztlich fast nebensächlich ist, wer der Täter war, weil man es bedauert, dass seine Festnahme die witzigen Ermittlungen der Ich-Erzählerin beenden. Die Romane aber, in denen Jane Heller diese soliden Pfade verlässt und sich auf die Lovestory allein konzentriert, fallen in ihrem Charme und ihrer Überzeugungskraft deutlich dagegen ab. Das gilt in eingeschränktem Maß für „Fahr zur Hölle, Liebling“ und offensichtlicher für „Wer zuletzt lacht“ und so auch hier. Zwar tangiert auch hier im letzten Drittel ein mögliches Verbrechen die Handlung, doch dieses kriminalistische Element wirkt aufgesetzt und kann keinem Vergleich mit den Killerjagden früherer Werke standhalten. Dieses Prinzip wirkt sich auch negativ auf die Vorhersehbarkeit aus. War es früher nicht so schlimm, dass man den guten Ausgang schon ahnte, weil man immerhin noch rätseln konnte, wer der Täter ist und wer ihm bis zu seiner Ergreifung noch zum Opfer fällt, so ist es hier schon schwerer, sich von der Handlung fesseln zu lassen. Gerade die anfängliche offenkundige Abneigung zwischen Amy und Tony ruft eher Langeweile hervor. Bereits bei der ersten Begegnung der beiden weiß man, dass es letztlich auf eine Beziehung zwischen ihnen hinauslaufen wird. Zunächst sorgen noch die bissigen Wortduelle der beiden für Unterhaltung, aber auch das hat ein Ende, als sich Tony viel zu rasch auf das Verlobungs-Spiel mit Amy einlässt. Dabei legt er auch noch, um die Übertreibung zu vervollständigen, eine solche Bereitwilligkeit an den Tag, dass man sich als Leser fast über diese Konstruktion ärgert. Selbst wenn sich die beiden plötzlich extrem sympathisch finden, ist das noch kein plausibler Grund, damit sich Tony ohne Zögern über Monate hinweg als Verlobter ausgibt – und das auch noch, wo er ihr zuvor erklärte, dass er eine entschiedene Abneigung gegen Lügen besitzt. Zwar treten gegen Ende des Buches noch einmal Schwierigkeiten und Vertrauensprobleme zwischen dem frischgebackenen Pärchen auf, aber auch hier ist klar, dass das Happy-End nur verzögert, nicht verhindert wird.

|Aus Feind wird Freund|

Zu geradlinig verläuft auch die Versöhnung zwischen Amy und Tara. Ein uneingeschränktes Happy-End gibt es hier zwar nicht, aber dafür, dass Amy sich einst zutiefst von ihr verraten fühlte, kommen sich die Frauen wieder sehr nah. Um diese Entwicklung zu unterstützen, findet etwa in der Mitte des Romans ein Perspektivenwechsel statt. Statt Amy erzählt nun Tara aus ihrer Sicht die Dinge, die zu ihrer Ehe mit Stuart geführt haben und wie sie die Wiederbegegnung mit ihrer einst besten Freundin empfunden hat. Der Clou dabei ist, dass Tara natürlich in mancherleih Hinsichten nicht ganz so schuldig ist wie von Amy gedacht und hinter ihrer Fassade so manches Problem lauert, das man angesichts des perfekt inszenierten Barbie-Lebens nicht vermuten würde. Allerdings erwartet man bei einem solchen Perspektivenwechsel beinah zwangsläufig, dass der Erzähler die Dinge anders sieht und man mit einer ganz neuen, gegensätzlichen Sicht konfrontiert wird. Eine echte Überraschung hat Taras Erzählung daher für den Leser kaum zu bieten. Spätestens nach den ersten Seiten hat man begriffen, worauf ihre Darstellung der Ereignisse hinausläuft, sodass der Unterhaltungswert in dieser Phase noch einmal gebremst wird. Die Handlung an sich ist natürlich extrem unrealistisch, was man sich auf jeden Fall schon vor dem Lesen klarmachen muss.

|Lockere Unterhaltung|

Ein Plus dagegen ist wiederum der Schreibstil, der keine weiteren Anforderungen an den Leser stellt. Die Ich-Erzählerin spricht mit lockerer Zunge und wendet sich hin und wieder mit einer rhetorischen Frage sogar direkt an die Leser, angenehmerweise aber ohne damit zu penetrant zu werden. Wenn einem dieser joviale Tonfall zusagt, wird man leicht dazu verführt, das Buch in einem Rutsch herunterzulesen

_Fazit_

Ein leicht zu lesener und mit lockerer Feder geschriebener Frauenroman, der sich mit viel Humor mit dramatischen Themen wie Fremdgehen, Betrug in Freundschaften und problematischen Liebesbeziehungen befasst. Der flüssige Stil sorgt dafür, dass man das Buch innherhalb kurzer Zeit ohne große Konzentration durchlesen kann. Abzüge gibt es allerdings für die Vorhersehbarkeit und die mangelnde Spannung. Alles in allem ein durchschnittlicher Roman der Autorin, die es in ihren Krimis sehr viel besser kann.

_Jane Heller_ wurde 1950 in New York geboren. Sie arbeitete mehrere Jahre lang im Verlagsgeschäft, ehe sie selber zu schreiben begann. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann in Florida. Weitere Werke sind u. a.: „Die Putzteufelin“, „Wie Feuer und Wasser“, „Willkommen im Club“ und „Liebe im Preis inbegriffen“.

Thompson, Carlene – Frag nicht nach ihr

Eines Nachts verschwindet die neunzehnjährige Dara Prince aus ihrem Elternhaus. Alle paar Monate erhält ihr Vater Ames eine Postkarte mit spärlichen Informationen und klammert sich an die Hoffnung, dass seine Tochter noch lebt.

Drei Jahre später spült der Fluss nach Überschwemmungen eine in einen Plastiksack gehüllte Frauenleiche ans Land. Alles deutet darauf hin, dass es sich um Dara handelt und dass sie bereits in der Nacht ihres Verschwindens ermordet wurde. Der junge Deputy Michael Winter stößt bei seinen Ermittlungen in ein Wespennest:

Zur Familie gehören auch die Geschwister Christine und Jeremy, die nach dem Tod ihrer Eltern von Ames Prince als Mündel aufgenommen wurden. Der gut aussehende Jeremy ist zwar bereits einundzwanzig Jahre alt, steht geistig jedoch auf dem Stand eines zwölfjährigen Kindes. Während er Dara vergötterte, kam die vernünftige Christine nur schwer mit ihr aus. Auch Daras Stiefmutter Patricia, die Ames nach dem Tod seiner ersten Frau Eve heiratete, stand mit Dara auf Kriegsfuß. Ganz zu schweigen von all den Dorfbewohnern, die Dara hinter ihrem Rücken als Flittchen bezeichneten.

Im Gegensatz zu Ames war Christine schon lange von Daras Tod überzeugt. Als sie durch Zufall ihr Tagebuch findet, stellt sich heraus, dass sich Dara offenbar mehrere Liebhaber gleichzeitig hielt. War einer von ihnen der Täter? Gemeinsam mit Deputy Winter versucht Christine herauszufinden, welche Männer aus Daras Umfeld sich hinter den Codenamen ihrer Liebhaber verbergen könnten:

Da ist zum Beispiel der Außenseiter Streak, der seit seinem Vietnam-Trauma zurückgezogen lebt und Dara manchmal auf seinen nächtlichen Joggingtouren begegnete. Da ist Christines Ex-Verlobter Sloane, mit dem Dara kurz vor ihrem Tod heftig flirtete. Und da ist Daras Exfreund Rey, der immer noch an ihr zu hängen scheint. Aber es gibt auch eifersüchtige Frauen, die ein Motiv gehabt hätten, Dara aus dem Weg zu räumen. Als der Sheriff schließlich Jeremy verdächtigt, stellt Christine eigene Nachforschungen an, um ihren Bruder zu entlasten. Dabei bringt sie sich selber in höchste Gefahr …

Es sind bewährte Zutaten, auf die Carlene Thompson in ihrem Thriller zurückgreift: Eine verschwundene Frau, eine Leiche, eine Schar Verdächtiger im engsten Umfeld, Ermittlungen eines Außenstehenden, der sein Leben damit in Gefahr bringt. Der Plot ist weder neu noch sonderlich spektakulär, doch die Präsentation dieser Elemente ergibt einen spannenden Thriller, der ordentliche Unterhaltung von der ersten bis zur letzten Seite bietet.

|Auftakt nach Maß|

Bereits der Prolog zieht den Leser durch seine geschickte Aufbereitung in den Bann. Er erzählt von Daras Begegnung mit ihrem Mörder, ohne einen Hinweis darauf zu geben, um wen es sich dabei handeln könnte. Offensichtlich ist lediglich, dass es eine vertraute Person aus ihrem Umfeld ist – und damit fällt der Startschuss zum munteren Spekulieren, denn eine ganze Reihe von Leuten besitzt ein Motiv.

|Anschauliche Charaktere|

Im Zentrum des Geschehens steht eindeutig Christine, die von Beginn an als Sympathie- und Identifikationsfigur fungiert. Der frühe Tod ihrer Eltern und die Verantwortung für ihren leicht zurückgebliebenen Bruder Jeremy lassen sie zunächst als gefestigten und vertrauenswürdigen Charakter erscheinen. Im Laufe der Ereignisse offenbart sich nach und nach auch ihre sensible Seite. Christine ist ehrlich genug, sich selbst und anderen gegenüber einzugestehen, dass sie Dara nicht leiden mochte. Angesichts ihres schrecklichen Todes ist sie jedoch zu fast allem bereit, um den Mörder ihrer Stiefschwester zu entlarven und gleichzeitig ihren Bruder zu entlasten.

Wenn Christine schon eine Sympathiefigur ist, wird man Jeremy sofort ins Herz schließen. Der junge Mann mit dem kindlichen Gemüt und der typischen Begeisterungsfähigkeit eines Halbwüchsigen versteht es, nicht nur sein Umfeld, sondern auch den Leser mit seiner erfrischend offenen Art für sich einzunehmen. Immer wieder lockert er angespannte Situationen durch seine kindlichen Bemerkungen auf, bringt seine Schwester aber durch seine Offenherzigkeit auch ein ums andere Mal in Verlegenheit.

|Die üblichen Verdächtigen|

An Verdächtigen mangelt es in diesem Roman wahrlich nicht. Die leichtlebige Dara vergnügte sich gerne mit mehreren Männern gleichzeitig und für den Leser wie auch für für Christine und Michael Winter beginnt ein Rätselraten, wer sich hinter den mysteriösen Pseudonymen aus dem Tagebuch verbergen könnte. Alte Bekannte aus Christines Umfeld werden plötzlich zu Mordverdächtigen, fast jeder scheint ein Geheimnis zu verbergen. Außer Christine und dem ermittelnden Deputy steht so gut wie jede Figur zu einem Zeitpunkt der Handlung unter Verdacht. Sie alle besitzen ihre dunklen Seiten, doch einen Mord traut man wiederum keinem von ihm zu. Die Autorin versteht es, ein verzwicktes Geflecht aus Beziehungsdramen und Eifersüchteleien zu entwerfen, das sich unter einer glatten Oberfläche zu einem brodelnden Vulkan entwickelt.

|Vorhersehbare Lovestory|

Leichte Abzüge gibt es für die scheinbar unvermeidliche und von Beginn an sehr offensichtliche Lovestory, die sich zwischen Christine und dem Polizisten Michael entwickelt. Wie in so vielen Thrillern, ergibt sich auch hier wieder einmal die Kombination aus einer mutigen Frau, die auf eigene Faust Nachforschungen betreibt, und dem Ermittler mit dem Beschützerinstinkt. Dabei stört nicht die Tatsache an sich, dass es tatsächlich so kommt, sondern die sehr vorhersehbare Aufbereitung – denn bereits bei der ersten Begegnung der beiden ahnt der Leser, dass sich hier eine Liebesgeschichte anbahnen wird.

Ein bisschen mehr Innovation hätte auch dem Schluss nicht geschadet, der allzu konventionell daherkommt. An dieser Stelle wird das alte Klischee vom kaltblütigen Killer, der seinem letzten Opfer seine Motive und Vorgehensweisen in aller Ausführlichkeit erläutert, leider bis zum Letzten ausgereizt und überstrapaziert. Der Showdown ist angenehm realistisch gehalten und verzichtet auf den Versuch, sich unnötig spektakulär zu präsentieren. Dafür fällt das Ende insgesamt sehr knapp aus und kommt für meinen Geschmack etwas zu abrupt.

Davon abgesehen, versteht es der Roman, den Leser zu packen und ihm ein paar Tage fesselndes Vergnügen zu bereiten. Die flüssige Sprache stellt keine hohen Anforderungen, sondern macht das Buch zu einem idealen Schmöker für lange Ferientage am Strand oder auf dem Balkon. Es mangelt weder an falschen Fährten noch an weiteren Morden. Für Schockmomente ist ebenso gesorgt wie für einige rührende und gefühlvolle Augenblicke sowie auch – vor allem Dank Jeremy – amüsante Stellen, die die Spannung auflockern und dem Leser ein Grinsen bescheren.

_Unterm Strich_ ergibt sich ein konventioneller, aber durchgehend spannender Thriller mit einer sympathischen Protagonistin, die ins Visier eines kaltblütigen Mörders gerät. Wechselnde Hauptverdächtige, eiskalte Morde und falsche Fährten rufen ein Wechselbad der Gefühle hervor. Kein unbedingt atemberaubender, aber sehr solider Roman für alle Krimifreunde.

_Carlene Thompson_ wurde 1952 in West Virginia geboren. Sie arbeitete zunächst als Dozentin für englische Literatur an der Universität in Ohio. 1990 erschien ihr erster Roman „Schwarz zur Erinnerung“. Weitere Werke von ihr sind unter anderem: „Kalt ist die Nacht“, „Sieh mich nicht an“, „Im Falle meines Todes“ und „Glaub nicht, es sei vorbei“.

Link, Charlotte – fremde Gast, Der

Auch ein Jahr nach dem plötzlichen Unfalltod ihres Mannes hat Rebecca Brandt den Verlust noch nicht überwunden. Einsam und zurückgezogen lebt die attraktive Frau Anfang vierzig in ihrem Ferienhaus in Südfrankreich. Während sie früher aktiv am Leben teilnahm und mit großem Einsatz eine Kinderschutzorganisation leitete, ergeht sie sich nun in Depressionen. An einem Julimorgen beschließt sie, sich das Leben zu nehmen. Doch genau an dem Tag treffen unerwartete Besucher ein. Maximilian Kemper, der beste Freund ihres verstorbenen Mannes, hat beschlossen, aus Deutschland vorbeizukommen. Dabei hat er zwei Tramper mitgenommen, deren Weg in die gleiche Richtung führte. Inga und Marius sind ein junges Ehepaar auf Abenteuerurlaub. Da Inga sich von den Strapazen erholen muss, gestattet Rebecca den beiden, für ein paar Tage zu bleiben. Auf Maximilians Vorschlag hin überlässt sie ihnen ihr Segelboot für einen Ausflug übers Mittelmeer.

Der Segeltörn endet jedoch in einer Katastrophe. Das Ehepaar gerät in einen Sturm, Marius verliert die Nerven, stößt unklare Drohungen gegen Rebecca aus, bedroht seine Frau und geht über Bord. Nur mit größter Mühe gelingt es der verletzten Inga, das Segelboot zurück in den Hafen zu steuern. Von Marius fehlt jede Spur. Genauso unklar ist, was ihn zu seiner plötzlichen Agressivität veranlasste und was er gegen Rebecca hat. Weder sie noch Inga haben eine Ahnung, warum Marius ihr feinselig gegenübersteht und ob er überhaupt noch lebt. Langsam ahnt Inga, dass das Geheimnis ihres Mannes mit seiner dunklen Vergangenheit zusammenhängen muss …

In Deutschland ereignet sich währenddessen ein brutales Verbrechen. Nachdem die junge Karen sich tagelang darüber wundert, dass ihre Nachbarn überraschend verreist zu sein scheinen, findet sie die beiden in ihrem Haus ermordet auf. Das ältere Ehepaar wurde tagelang gefangen gehalten und zu Tode gefoltert, vom Täter fehlt jede Spur. Parallel dazu erhalten drei junge Frauen anonyme Drohbriefe, die sich auf ihre frühere Arbeit bei Kinderschutzorganisationen beziehen. Irgendjemand fühlt sich offenbar unrecht behandelt. Die Polizei tappt im Dunkeln, während der Täter die Hauptfigur seiner Aktionen ins Visier nimmt: Rebecca …

Bereits die Inhaltsangabe des Romans lässt gewisse Parallelen zu ihren anderen Spannungsromanen, allen voran „Die Täuschung“ erkennen: Ein Ehepaar mit dunklen Geheimnissen, eine verschleierte Vergangenheit, verunsicherte junge Frauen, parallele Handlungen in Deutschland und Frankreich, ein abgelegenes Ferienhaus als Schauplatz. Aus diesen Zutaten würfelt Erfolgsautorin Charlotte Link einen soliden Thriller zusammen, der bis zum Schluss gut zu unterhalten weiß, wenn man von ein paar kleinen Unschönheiten absieht.

|Drei Frauen, drei Handlungsstränge|

Wie so oft in ihren Werken lässt Link auch hier verschiedene Handlungen parallel zueinander ablaufen, deren Wege sich am Ende überschneiden. Der Hauptaugenmerk liegt auf den Erlebnissen von Rebecca Brandt und dem Ehepaar Marius und Inga im südlichen Frankreich. Zunächst deutet nichts auf kriminelle Vorfälle hin; Rebecca ist eine depressive Frau, deren Leben durch das plötzliche Auftauchen des jungen Ehepaares eine unerwartete Wendung erfährt. Erst nach und nach kristallisiert sich heraus, dass es hier um mehr geht als den Aufschub ihres Selbstmordes und dass das Zusammentreffen nicht so zufällig ist, wie es den Anschein hat …

Sehr viel unheilvoller erscheinen die beiden anderen Handlungsstränge in Deutschland. Die schüchterne Hausfrau Karen ahnt bereits früh, dass ihre Nachbarn nicht einfach heimlich verreist sind. Ihr ansonsten gut erzogener Hund bellt das scheinbar verlassene Haus an, die heruntergezogenen Rollläden bewegen sich ab und zu, der Briefkasten quillt über, die Blumen vertrocknen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Karen die Leichen des Ehepaares findet und die Polizei ihre Ermittlungen aufnimmt. Ähnlich sieht es mit dem dritten Handlungsstrang aus, in dem die ehemaligen Mitarbeiterinnen einer Kinderschutzorganisation wochenlang mit Drohbriefen terrorisiert werden.

Charlotte Link erschafft keine makellosen Heldinnen, dafür aber Fauen, mit denen sich die Leserin leicht zu identifizieren weiß. Da ist zum einen Rebecca, die sympathische Frau, deren Verlust ihres Mannes sie in eine Depression getrieben hat. In kleinen Gesten des Alltags bekommt der Leser vorgeführt, wie diese einstmals so starke und aktive Frau ihr Leben nur noch an der Oberfläche führt und innerlich schon lange gestorben ist. Es braucht nicht vieler Worte, um den Leser die stille Trauer, in die Rebecca versunken ist, spüren zu lassen.

Noch stärker als der vermeintlichen Hauptperson Rebecca fühlt man sich jedoch Karen verbunden. Karen ist eine durchschnittliche Hausfrau mit zwei Kindern und einem berufstätigem Mann, deren Leben hinter der Oberfläche aus einem Scherbenhaufen besteht. Ihre wachsende Unsicherheit verwandelt sie regelmäßig in ein schüchternes Häuflein Elend, das sich vor jedem Konflikt fürchtet und bei einfachsten Anlässen den Tränen nah ist. Der Hauptanlass dafür ist ihr ständig gereizter Ehemann Wolf, der seine Frau als hysterisch bezeichnet und jeder ihrer vorsichtig geäußerten Kritik mit Zynismus begegnet.

Die bodenständigste Figur ist die junge Inga, mit der sich wohl jede Leserin identifizieren kann. Sie ist der ruhende Pol in der Ehe mit dem sprunghaften Marius, dessen spontaner Abenteuerurlaub nach Südfrankreich nur eine von vielen ungeplanten Aktivitäten ist, in die Inga notgedrungen mit hineingerissen wird. Diesmal jedoch muss Inga erkennen, dass die immer wieder aufblitzende Unzuverlässigkeit und Ungeduld ihres Mannes eine weit tiefere Bedeutung besitzt als angenommen. Seine dunkle Vergangenheit holt nicht nur ihn, sondern auch seine Frau ein, die gemeinsam mit Rebcca um ihr Leben kämpfen muss …

|Nicht nur Thriller, sondern auch Drama|

Der Fokus des Romans liegt unzweifelhaft auf seinem Thrillerwesen und der Frage nach dem Mörder und seinen Motiven. Dennoch ist die Wirkung dann am größten, wenn sich Charlotte Link auf die psychodramatischen Elemente konzentriert, was vor allem die Beziehungen zwischen Inga und Marius sowies Karen und Wolf betrifft. In beiden Fällen müssen zwei Ehefrauen realisieren, dass ihre Ehen gescheitert sind. Während für Inga die Vergangenheit ihres Mannes tödliche Gefahr bedeutet, geht es für Karen „nur“ darum, endlich wieder zu einem selbstbewussten Leben zurückzukehren. Sie ist ein Musterbeispiel für die unzähligen Frauen, deren Ehemännern jeden Widerstand im Keim ersticken und jeden berechtigten Vorwurf wie eine haltlose Nörgelei aussehen lassen. Für jede seiner Launen müssen seine Arbeit und sein Stress herhalten, so dass Karen nicht wagt, weiter vorzustoßen. Als Leser fühlt man schmerzlich, wie alles, was sie versucht, im Endeffekt gegen sie verwendet wird, so dass man nur zu gut versteht, dass sie sich immer mehr in ihr Schneckenhaus zurückzieht. Ironischerweise wird gerade der Mord an ihren Nachbarn zu dem notwendigen Schockerlebnis, das sie endlich aus ihrer Lethargie reißt und ihr den Mut gibt, sich ihrem Mann zu widersetzen.

Gleichzeitig wirft der Roman die Frage auf, wie viel Zivilcourage man in der heutigen Zeit aufbringen sollte. Mehrere Personen müssen sich im Verlauf der Handlung den bitteren Vorwurf machen, dass sie durch ihre Passivität einen Menschen ins Unglück getrieben haben. Handeln statt wegsehen, engagieren statt zurücklehnen, lautet die sanfte Mahnung zwischen den Zeilen, der sich wegen ihres Wahrheitscharakters weder die Romanfiguren noch der Leser ganz zu entziehen vermögen.

|Übertrieben konstruierter Schluss|

Die überraschenden Wendungen halten den Leser bis zum Schluss in Atem, doch leider sorgen übertriebene Zufälle dafür, dass dieser Spannungsgenuss geschmälert wird. Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen, ist es vor allem ärgerlich, wie leicht es einem designierten Opfer gelingt, sich aus der Gefangenschaft zu befreien. Ein anderes Mal sorgt ein gefundenes Handy dafür, dass in letzter Minute Rettung verständigt werden kann. Zu guter Letzt begeht der Mörder einen der klischeehaftesten Fehler überhaupt, indem er sein Opfer nicht direkt tötet, sondern sich erst noch reichlich Zeit für Erklärungen und Ausführungen nimmt. Da all diese Zufälle zusammengenommen sehr entscheidend für den Ausgang des Romans sind, bleibt am Ende ein fader Beigeschmack, dass es der Autorin nicht gelungen ist, einen realistischeren Ausgang zu kreieren, der nicht von Konstrukten, sondern von den Handlungen der Figuren lebt.

|Flüssiger Stil|

Umso erfreulicher präsentiert sich die einfache und ungekünstelte Sprache, die keine weiteren Anforderungen an den Leser stellt. Charlotte Link verwendet einen sehr flüssigen Stil, der es möglich macht, das Buch innerhalb weniger Tage herunterzulesen. Da keine großartige Konzentration gefordert ist und auch die Handlung keine weiteres Nachdenken braucht, eignet sich dieser Thriller wunderbar zum Nebenherschmökern im Urlaub, auf Zugfahrten oder in Wartezimmern. Es gelingt der Autorin mühelos, die drei Handlungsebenen so übersichtlich zu gestalten, dass der Leser trotz der verschiedenen Schauplätze nie durcheinander gerät. Bei einer etwaigen Lesepause findet man sofort wieder den Anschluss, obwohl das Buch eher dazu reizt, in einem Rutsch gelesen zu werden. Trotz der fast 500 Seiten Umfang lässt sich der Roman aufgrund seiner zügigen Schreibweise und der durchgehenden Spannung locker in zwei bis drei Tagen verschlingen.

_Insgesamt_ erwartet den Leser ein solider Psychothriller, der sich trotz seines Umfangs sehr rasch durchlesen lässt und keine besondere Konzentration erfordert. Während die Thrillerhandlung durch ein paar konstruierte Unglaubwürdigkeiten, vor allem gegen Ende, geschmälert wird, überzeugt vor allem der psychodramatische Teil, der sich mit der Frage nach der Unterlassungsschuld befasst. Kein herausragender, aber dennoch empfehlenswerter Unterhaltungsroman für alle Freunde der Spannungsliteratur.

_Charlotte Link_, Jahrgang 1963, gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autorinnen der Gegenwart. Fast alle ihre Bücher wurden zu Bestsellern. Ihre Spezialgebiete sind historische Romane sowie Psychothriller. Zu ihren bekanntesten Werken zählen: „Das Haus der Schwestern“, „Verbotene Wege“, „Die Sünde der Engel“ und die Sturmzeit-Trilogie („Sturmzeit“, „Wilde Lupinen“, „Die Stunde der Erben“). Mehrere ihrer Bücher wurden fürs Fernsehen verfilmt.

Hammesfahr, Petra – Lüge, Die

Susanne Lasko ist eine einsame Frau Mitte dreißig. Seit drei Jahren ist sie geschieden, ihre blinde Mutter lebt in einem Pflegeheim. Nach zwei miterlebten Überfällen ist Susanne für ihren Beruf als Bankangestellte nicht mehr geeignet, findet jedoch auch keine neue Arbeit und lebt in einer winzigen Ein-Zimmer-Wohnung. Um vor allem gegenüber ihrer Mutter den Schein zu wahren, verzichtet sie auf Sozialhilfe und bedient sich stattdessen heimlich an der anvertrauten Reserve ihrer Mutter, in der Hoffnung, das Geld eines Tages zurückzahlen zu können.

In dieser aussichtslosen Lage trifft sie eines Tages im Aufzug ihre Doppelgängerin. Nadia Trenkler ist von kleinen Abweichungen abgesehen ihr genaues Ebenbild. Ihr Leben könnte allerdings nicht verschiedener sein: Nadia ist finanziell unabhängig und seit sieben Jahren mit Michael verheiratet. Susannes Entbehrungen und Unsicherheiten kennt die selbstbewusste Frau nicht. Auf ihr Drängen hin lernen sich die beiden Frauen besser kennen. Nadia erkennt Susannes missliche Lage und bietet ihr Unterstützung an.

Bald stellt sich heraus, dass ihre Handlung nicht uneigennützig war, denn für Nadia ist dieser Zufall ein Glücksgriff. Sie macht Susanne ein atemberaubendes Angebot: Jedes zweite Wochenende soll Nadja in ihre Rolle schlüpfen und sie zuhause vertreten, damit sich Nadia ungestört mit ihrem Liebhaber treffen kann. Zunächst hält Susanne diesen Vorschlag für undurchführbar, doch kleine Tests mit Bekannten beweisen, dass die Täuschung perfekt ist. Die Versuchung ist groß und Susanne willigt ein. Das Geld kann sie gut gebrauchen und es reizt sie, wenigstens für kurze Zeit Nadias luxuriöses Leben zu führen.

Wider Erwarten geht der Plan auf. Von kleinen Pannen abgesehen, wird Susanne immer sicherer in ihrer neuen Rolle. Für Nadias Ehemann Michael empfindet sie sogar ehrliche Gefühle und wünscht sich manchmal, sie könnte für immer in dieser Rolle bleiben. Doch nach kurzer Zeit kommt Misstrauen auf. Es häufen sich die Anzeichen dafür, dass Nadia ein böses Spiel mit ihr treibt und Susannes Identität für dunkle Geschäfte missbraucht …

Petra Hammesfahr ist eine Autorin, die für zerrissene Frauencharaktere, das Spiel zwischen Schein und Sein sowie überraschende Wendungen bis hin zur Undurchsichtigkeit steht. Alle drei Komponenten finden sich auch in diesem Roman wieder, der sowohl Stärken als auch Schwächen ihrer vorangegangenen Werke in sich vereint.

|Altbewährtes Motiv|

Das Bild des Doppelgänger ist eines der ältesten Motive in der Literaturgeschichte überhaupt und taucht im Laufe der Jahrhunderte in den unterschiedlichsten Varianten auf. Sei es im gleichnamigen Werk von Dostojewski, bei „Prinz und Bettelknabe“ von Mark Twain, in E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ oder in seinen „Elixiere(n) des Teufels“, in Stevensons „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ oder in Poes „William Wilson“. Nicht umsonst ist es ein so beliebtes Motiv, denn bei seiner Verwendung sind Verwirrspiele und Spannung vorprogrammiert. Wie so häufig haben denn auch in diesem Fall die beiden Charaktere außer ihrem identischen Aussehen nichts miteinander gemeinsam und ihre Leben sind so verschieden wie Tag und Nacht. Das erhöht für beide Frauen den Reiz, die Rollen für kurze Zeit zu tauschen – und dem Leser ist klar, dass diese Aktion folgenschwere Konsequenzen nach sich ziehen wird. Deutlich wird das schon im Prolog, in dem ein Junge die Leiche einer Frau in einem Müllcontainer findet. Schon auf den ersten Seiten ist also offensichtlich, dass dieses perfide Spiel für mindestens eine der beiden Frauen tödlich endet …

|Identifikation mit Protagonistin|

Der Leser fühlt sich schnell zu Susanne Lasko hingezogen, obwohl oder gerade weil es sich bei ihr eher um eine Anti-Heldin handelt. Susanne Lasko ist eine gescheiterte Existenz, die sich mühevoll über Wasser hält. Ihrer Mutter fühlt sie sich moralisch verpflichtet und bringt es daher nicht über das Herz, ihr von ihrer Armut zu erzählen. Soziale Kontakte beschränken sich auf Gespräche mit der Nachbarin, ein neuer Job ist nicht in Sicht, der Ex-Ehemann neu verheiratet. Nadia Trenkler ist auf den ersten Blick ein Gewinnertyp. Finanziell unabhängig mit sicherem Job, Luxushaus und großem Freundeskreis. Ihr Leben besteht aus Börsengeschäften, Partys und Vergnügungen. Dennoch gehören nicht ihr, sondern der gebeutelten Susanne die Sympathien. Ihr Leben ist eine Verkettung von ungünstigen Umständen. Sogar für das heimliche Geldabheben bei ihrer Mutter hat der Leser Verständnis, denn Susanne leistet sich davon nur das Nötigste, verzichtet unter anderem auf eine Krankenversicherung und ernährt sich wochenlang nur von Nudeln, um die Kosten so gering wie möglich zu halten. Niemand kann es ihr verdenken, dass sie sich auf den gewagten Rollentausch, der ihr immerhin mehrere tausend Euro einbringt, einlässt. Und obwohl man nicht alle ihre Handlungsweisen gutheißen kann, fiebert man mit ihr und hofft, dass ihr Leben eine positive Wendung erhält.

|Abstriche durch Verwirrung und Unglaubwürdigkeit|

Leider gibt es gleich zwei Punkte, die den Lesegenuss schmälern. Der eine ist die offensichtliche Unglaubwürdigkeit, ausgelöst ausgerechnet durch den eigentlichen Aufhänger, durch das Doppelgängermotiv. So faszinierend der Gedanke auch ist, dass man seinen genauen Ebenbild gegenübersteht, so unrealistisch erscheint es auch. Sicher gibt es Menschen, die einander verblüffend ähneln, aber Susanne und Nadia sehen sich, ohne dass sie miteinander verwandt wären, offenbar so ähnlich wie ein eineiiges Zwillingspaar. Auf die Täuschung fallen nicht nur flüchtige Bekannte wie Nadias Hausarzt herein, sondern sogar die engsten Freunde und schließlich auch ihr Ehemann. Susanne verbringt ganze Tage mit Michael Trenkel, an denen die beiden letztlich auch miteinander schlafen. Es ist schwer vorzustellen, dass selbst in dieser Intimität Susanne ihre wahre Identität verbergen kann. Dazu kommt, dass Susanne nicht viel Zeit hat, sich auf ihre neue Rolle vorzubereiten und mit vielen Gesichtern, Namen und Anekdoten, die ihr als Nadia Trenkler präsentiert werden, nichts anfangen kann. Immer wieder tritt sie ins Fettnäpfchen, immer wieder kommt sie mit Mühe davon – so oft, dass man ins Zweifeln gerät, ob das noch wahrscheinlich oder ihr Umfeld einfach nur verblendet und begriffstutzig ist. Auf der anderen Seite muss man zugute halten, dass man wohl kaum zuverlässig einschätzen kann, wie man selbst auf einen Doppelgänger reagieren würde und ob man tatsächlich in der Lage wäre, ihn zu enttarnen.

Der andere Schwachpunkt des Romans ist die starke Zeitraffung im letzten Drittel und das rasch abgehandelte Ende. Immer mehr Personen treten auf, die Schauplätze scheinen auf jeder Seite zu wechseln und die Ereignisse überstürzen sich. Nicht nur Susanne Lasko, auch der Leser fühlt sich anhand der Entwicklung auf den letzten hundert Seiten hin und wieder überfordert. Fast automatisch baut sich angesichts der vielen undurchsichtigen Charaktere eine Distanz zum Roman auf, weil man nie sicher sein kann, wer auf welcher Seite steht und welche Enthüllungen als nächstes folgen mögen. Erschwerend kommt hinzu, dass die erste Hälfte des Romans deutlich ausführlicher erzählt wird, während man im zweiten Teil sich dahingehend umgewöhnen muss, dass alles mit erhöhter Geschwindigkeit und mit damit einhergehender Oberflächlichkeit geschildert wird. Zeitweise wirkt es so, als habe die Autorin einfach versucht, möglichst viele Ereignisse auf möglichst engem Raum abzuhandeln – was leider auf Lasten der Aufmerksamkeit des Lesers geht.

Unterm Strich fällt auf, dass die Autorin wieder einmal nicht darauf verzichten kann, es mit Doppelbödigkeiten und überraschenden Wendungen zu übertreiben. „Die Lüge“ liest sich dabei jedoch gefälliger als manch anderer ihrer Romane. Der Leser verfolgt nicht nur das Schicksal der Protagonistin, sondern stellt sich automatisch selbst die Frage, wie er angesichts eines Doppelgängers und eines Rollentausches reagieren würde. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, lässt sich das Werk flüssig lesen, ohne größere Ansprüche zu stellen. Hin und wieder fallen ein paar abgehackte Sätze, die auf Vollständigkeit verzichten oder unorthodoxen Satzbau mit sich bringen. Dabei gerät man aber nie aus dem Lesefluss, so dass der Stil insgesamt gut zu konsumieren ist.

„Die Lüge“ ist ein Psychothriller über Versuchungen und Intrigen mit einer interessanten Grundidee und einer angenehm unperfekten Protagonistin, die zur Identifizierung einlädt. Nach einer starken, spannenden ersten Hälfte sorgen die sich häufenden Unglaubwürdigkeiten und die sich überschlagenden Ereignisse für eine zunehmende Verflachung bis hin zum allzu abrupt endenden Schluss. Trotz dieser Mankos bleibt ein unterhaltsamer und über weite Strecken fesselnder Roman. Für Petra Hammesfahr-Fans ein Muss und eine Empfehlung für alle Krimifreunde mit Spaß an überraschenden Wendungen.

_Petra Hammesfahr_ wurde 1951 geboren. Bereits mit 17 Jahren begann sie zu schreiben, doch anstatt zu veröffentlichen, arbeitete sie zunächst als Einzelhandelskauffrau. 1991 erschien ihr erster Roman, weitere Kriminalromane folgten. Ab Mitte der Neunziger schrieb sie u.a. auch Drehbücher fürs Fernsehen. Weitere Werke sind u.a.: „Das Geheimnis der Puppe“ (1991), „Merkels Tochter“ (1993), „Die Sünderin“ (1999), „Der Puppengräber“ (1999), „Die Mutter“ (2000), „Lukkas Erbe“ (2000), „Meineid“ (2001) und „Das letzte Opfer“ (2002).

Adair, Gilbert – Blindband

Der einstmals gefeierte Schriftsteller Sir Paul verlor vor vier Jahren bei einem schweren Unfall seine Augen. Zusätzlich trug er am ganzen Körper Verbrennungen davon. Seitdem lebt der entstellte Mann zurückgezogen in der tiefsten Provinz Englands. Nach dem Tod seines treuen Freundes Charles bildet seine Haushälterin Mrs. Kilbride den nahezu einzigen Kontakt zur Außenwelt.

Sein finales Werk sollen seine Memoiren werden, philosophische Betrachtungen seiner eigenen Lage. Dafür braucht er einen Gehilfen. Er setzt eine Anzeige in die Zeitung und findet in dem jungen John Ryder einen geeigneten Kandidaten. Gegen eine großzügige Bezahlung soll John für ein Jahr – die Wochenenden ausgenommen – bei Paul einziehen, ihm optische Beschreibungen liefern und die diktierten Worte auf dem Computer tippen. Darüberhinaus ersetzt er Paul seinen verstorbenen Freund, macht Bersorgungen und begleitet ihn bei Spaziergängen.

Die Zusammenarbeit der beiden grundverschiedenen Männer gestaltet sich nicht einfach. Paul ist ein gnadenloser Zyniker, der einen verbalen Hieb nach dem anderen austeilt. John erscheint dafür umso unsicherer im Umgang mit einem Blinden und tappt von einem Fettnäpfchen ins nächste. Erst allmählich gewöhnen sich beide aneinander.

Doch je weiter sie mit dem Buch vorankommen, desto misstrauischer wird Paul. Die Indizien, dass etwas nicht stimmt, häufen sich. Treibt jemand ein böses Spiel mit ihm? Oder ist er nur bereits so sehr an Einsamkeit gewöhnt, dass er in Paranoia verfällt?

Bereits ein flüchtiger Blick in den Roman zeigt, was ihn von anderen unterscheidet: Das Buch besteht komplett aus Dialogen, hauptsächlich zwischen John und Paul. Es existiert kein Erzähler, der dem Leser Hintergrundinformationen liefert. Stattdessen entsteht durch diese komprimierte Erzähltechnik eine starke Identifizierung mit den Personen, noch unterstützt durch eine aufgrund der spärlichen Ortswechsel kammerspielartige Armosphäre. Der Großteil der Handlung spielt sich in Pauls Haus ab. Wie ein heimlicher Mithörer belauscht der Leser die Gespräche zweier grundverschiedener Männer, deren Verhältnis wechselhafter und uneindeutiger nicht sein könnte. Was als Arbeitsverhältnis eines Schriftstellers und seines Gehilfen begann, wächst sich zu einem perfiden Spiel um Machtverhältnisse und Abhängigkeiten aus. Der ahnungslose Leser wird mitgerissen in diesen Strudel aus Ränkeschmieden, Doppelbödigkeit und Verfolgungswahn …

|Bildhafte Charaktere und Verwirrspiel|

Trotz des auf die wörtliche Rede beschränkten Textes nehmen beide Hauptfiguren im Geist des Lesers rasch konkrete Gestalt an. Jeder der beiden besitzt einen ihm eigenen, unverwechselbaren Tonfall, der es einem selbst bei einer willkürlich ausgesuchten Textstelle möglich macht, den Sprecher jeweils sofort zuzuordnen. Paul ist dabei der Exzentriker mit der spitzen Zunge. Trotz oder gerade wegen seiner grausamen Entstellung und Erblindung präsentiert er sich als aggressive Persönlichkeit, die zielsicher in jede sich bietenden Wunde sticht, schonungslos offen mit seinem Gegenüber redet und keine Gelegenheit zur Beleidigung auslässt. John Ryder dagegen entschuldigt sich fast unentwegt, betont seine Unsicherheit und fällt immer wieder auf Pauls Frotzeleien herein. Wie in einem Theaterstück sieht man sie vor sich sitzen: Den alternden Schriftsteller mit seinen unwirschen Bewegungen und den knapp gebellten Befehlen und den ratlos dreinblickenden Gehilfen, der mit seinem neuen Partner überfordert ist.

Eine große Stärke des Buches liegt in den wechselnden Sympathien zu den beiden Figuren. Mal bemitleidet man Paul aufgrund seines schweren Schicksals, doch sein Zynismus stößt wiederum ab. John erscheint anfangs als zurückhaltender und hilfsbereiter Mann, aber gemeinsam mit Pauls Unsicherheit wächst auch das eigene Misstrauen. Immer wieder verschieben sich die Zu- und Abneigungen hinsichtlich der Charaktere, immer wieder muss der Leser aufs Neue seine Stellung zu ihnen überprüfen. Was ist Schein und was ist Sein? Verfolgt einer der beiden einen eigenen Plan?

Der Titel „Blindband“ ist hier Programm: Ist es vordergründig betrachtet eine Geschichte über einen Blinden, dreht es sich gleichzeitig um ein doppelbödiges Spiel, sowohl zwischen den Figuren als auch zwischen Autor und Leser. Blind ist nicht nur Sir Paul, blind ist auch der Leser, der erst nach und nach erfährt, was sich unter den Oberflächen verbirgt und welche Ereignisse aus der Vergangenheit plötzlich wieder hervorbrechen.

|Galgemhumor|

Auch wenn man es zunächst nicht vermutet, besticht der Roman darüberhinaus durch eine ordentliche Portion Galgenhumor. Vor allem Pauls sarkastische Äußerungen, mit denen er sich über sich selber ebenso wie über andere lustig macht, sorgen für amüsante Momente. Seine trockenen Bemerkungen sitzen so zielsicher, dass man hier wirklich keine zusätzlichen Erzählinformationen braucht, sondern sich Tonfall und Gesichtsausdruck beider Beteiligter perfekt vorstellen kann. Nur zu gut kann man sich mit John identifizieren, der ein ums andere Mal konsterniert mit Pauls Bissigkeit konfrontiert wird. So erwähnt Paul beispielsweise, dass er nicht gerade höflich zu John war. Dieser beeilt sich zu versichern, dass Paul sich nicht entschuldigen müsse, woraufhin der nur erwidert, dass das auch gar nicht seine Absicht war.

|Kleine Kritikpunkte|

Zu kritisieren gibt es in diesem außergewöhnlichen Roman wenig. Dennoch: Der in zweifacher Hinsicht überraschende Schluss sollte wohl die Krönung dieses spannungsgeladenen Psychodramas darstellen. Es wirkt, als habe der Autor eine möglichst wirkungsvolle und beeindruckende Pointe gesucht – dabei fällt das Ende leider einen Hauch zu unglaubwürdig aus. Insgesamt verhalten sich die Charaktere auf beiden Seiten zu unvorsichtig und zu wenig vorausschauend.

Die Dialoge lesen sich leicht und locker, da weder ellenlange Sätze noch komplizierte Formulierungen verwendet werden. Etwas langatmig sind jedoch die Passagen, die Paul seinem Adlatus in den Computer diktiert. Paul greift dabei vorwiegend auf metaphorisch-poetische Beschreibungen zurück, die auf Dauer ermüden, zum Glück aber nur einen kleinen Teil des Romans einnehmen. Etwas nervig ist zudem der Dialekt der Haushälterin Mrs. Kilbride, der in der deutschen Übersetzung bayrisch anmutet und lautmalerisch geschrieben ist.

_Insgesamt_ ist „Blindband“ ein spannendes und flott geschriebenes Psychodrama über Abhängigkeit und Paranoia. Bis zur letzten Seite bieten sich dem gefesselten Leser überraschende Wendungen. Nach kurzer Eingewöhnung liest sich die Dialogform flüssig herunter und man verfolgt gebannt das Wechselspiel zwischen den Protagonisten. „Blindband“ ist ein böser Roman in außergewöhnlicher Form, der den Leser auf eine emotionale Achterbahn führt. Eine unsichtbare Schlinge zieht sich um den Hals der Protagonisten immer enger, bis zum unerwarteten Schluss, der für alle Beteiligten anders ausfällt als erwartet …
Nur der allzu dramatische Schluss wirkt ein wenig aufgesetzt und schmälert den Gesamteindruck ein wenig.

_Gilbert Adair_, Jahrgang 1944, lebt in London. Neben seinen Romanen schreibt er als Kolumnist für die „Independent on Sunday“. Weitere Werke von ihm sind u. a.: „Der Schlüssel zum Turm“, „Träumer“, „Liebestod auf Long Island“ und „Wenn die Postmoderne zweimal klingelt“.

Finder, Joseph – Auf höchsten Befehl

Claire, eine erfolgreiche Anwältin, unterrichtet in Harvard, ist seit drei Jahren glücklich mit Tom Chapmann in zweiter Ehe verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter. Eines Tages bricht ihr idyllisches Leben jäh auseinander: Bei einem gemeinsamen Einkaufsbummel verhaften FBI-Agenten ihren Ehemann Tom. Nach kurzer, dramatischer Flucht wird er erneut gefasst und inhaftiert. Claire erfährt, dass sein richtiger Name Ronald Kubik lautet. Vor mehr als dreizehn Jahren soll er als Mitglied einer militärischen Spezialeinheit ohne Einsatzbefehl ein Massaker in einem mittelamerikanischen Dorf angerichtet haben. Dank einer neuen Identität und mehreren Gesichtsoperationen gelang ihm die Flucht, bis er jetzt durch einen Zufall überführt werden konnte.

Tom bestätigt Claire seine Vergangenheit als militärischer Undercover-Agent. Er beteuert jedoch, an dem Massaker unschuldig zu sein. Laut seiner Version nutzt ihn die Army als Sündenbock, um einen Schuldigen für das grausame Verbrechen zu haben und seinen damaligen Vorgesetzten zu schützen.

Claire weiß nicht, was sie glauben soll. Ist ihr Mann, der ihr sein früheres Leben bis eben verschwiegen hat, tatsächlich ein kaltblütiger Killer? Oder hat er Recht und Tom ist Opfer einer perfiden Intrige, in die höchste Militärkreise verwickelt sind? Trotz ihrer Zweifel übernimmt Claire Toms Verteidigung. Gemeinsam mit dem schwarzen Ex-Militäranwalt Grimes und dem unerfahrenen, aber engagierten Pflichtverteidiger der Army Terry Embry versucht sie alles, um die Unschuld ihres Mannes zu beweisen. Dabei scheint ein Sieg fast aussichtslos: Alle möglichen Zeugen für Toms Version sind untergetaucht oder verstorben, Claires Haus wird von Wanzen überwacht und sogar vor einem Mordanschlag schrecken ihre Gegner nicht zurück …

Unschuld oder Verschwörung, was steckt wirklich hinter Toms Vergangenheit? Nicht nur seine Ehefrau Claire wird auf eine rasante Jagd nach der Wahrheit geschickt, auch der Leser muss sich immer wieder fragen, wessen Seite er Glauben schenkt …

|Gefühlsmäßige Achterbahnfahrt|

Da ist zum einen der sympathische Tom, mit dem Claire bis vor kurzem eine unbeschwerte und glückliche Ehe führte und der sich rührend um seine Stieftochter Annie kümmerte. Und zum anderen gibt es die ungeheuerlichen Vorwürfe, die aus Tom einen abgebrühten Mörder machen. Claire scheint es unglaublich, dass der liebevolle Mann an ihrer Seite zu so einer Tat fähig sein sollte. Andererseits hat er jahrelang seine wahre Identität verschwiegen – warum sollte sie ihm jetzt glauben können? Es scheint keine Möglichkeit zu geben, sich entgültig Klarheit zu verschaffen. So wird beispielsweise ein Lügendetektortest zu Hilfe gezogen. Doch kaum ist das Ergebnis da, hat die Gegenseite einen Sachverständigen parat, der bestätigt, dass Tom alias Ronald im Verlauf seiner Ausbildung auf das Manipulieren eines solchen Testes trainiert wurde.

So hin- und hergerissen wie sich die Hauptfigur präsentiert, empfindet auch der Leser. Dadurch wird unweigerlich eine hohe Spannung aufgebaut, denn jedes Ende scheint denkbar. Der Autor geizt auch nicht mit überraschenden Wendungen, die den Prozess immer wieder in verschiedenen Richtungen kippen lassen.

Allerdings übertreibt Finder es vor allem gegen Ende ein wenig mit dieser Wechselhaftigkeit. Es hat den Anschein, als habe er sich immer wieder selber übertrumpfen wollen mit einer noch spektakuläreren Enthüllung. Mal sind es neue Details aus Toms Vergangenheit und mal schmutzige Lügen von der Gegnerseite. Unverhoffte Zeugen tauchen auf, andere ebenso unverhofft unter und auch das Gericht spart nicht an unberechenbaren Bestimmungen. Und natürlich fehlt auch nicht der unvermeidliche anonyme Informant, der Claire mit nächtlichen Anrufen aus dem Schlaf reißt. Auf den letzten Seiten überschlagen sich die Ereignisse dann wie erwartet mit einer derartigen Heftigkeit, dass hier die Geduld des Lesers arg auf die Probe gestellt wird. Versöhnlich ist dafür, dass der Schluss ins Gesamtkonzept passt und nicht mit einem ärgerlichen Deus ex machina, sprich einer völlig aus der Luft gegriffenen Lösung, aufwartet. Im Gegenteil: Trotz aller Wendungen tritt am Ende doch die Pointe ein, die dem Leser insgesamt am wahrscheinlichsten erscheint und immer schon erschien.

|Stärken und Schwächen in den Figuren|

Die Stärken in den Charakterisierungen der Hauptfiguren liegen eindeutig in der Sympathie, die der Leser für sie empfindet. Claire erscheint als starke Persönlichkeit, deren Leben von einer Sekunde auf die andere aus den Fugen gerissen wird. Verzweifelt muss sie mitansehen, wie ihrem Mann entweder eine lebenslange Haft oder sogar die Todesstrafe droht, wenn es ihr nicht gelingt, seine Unschuld zu beweisen. Allein ihr zuliebe wünscht man dem Roman einen guten Ausgang und einen Beweis für Toms Unschuld. Allerdings geht ihre Stärke auch mit mangelndem Realismus einher. Trotz dieser Katastrophe gestattet sich Claire keinen Zusammenbruch, wie es wohl bei so ziemlich jeder anderen Frau der Fall wäre. Das gilt vor allem für den Anfang der Geschichte, als Tom noch vor dem FBI auf der Flucht ist und Claire trotz ihrer Unsicherheit, ob er überhaupt noch lebt, ihr normales Leben so gut es geht aufrechterhält.

|Humor ist, wenn man trotzdem lacht|

Humorvolle Dialoge sind normalerweise ein Gewinn für jeden Roman. Angesichts der dramatischen Lage der Figuren ist es hier jedoch eher unangebracht, dass sie sich trotz allem immer wieder ironische Bemerkungen erlauben. Spitzenreiter in dieser Beziehung ist Claires Co-Anwalt Charles Grimes, der den Zynismus für sich gepachtet hat. Sein Gerechtigkeitssinn und sein Sarkasmus machen ihn zwar einerseits zu einem sympathischen Charakter. Andererseits erscheint es doch unrealistisch, wenn er sich sogar unmittelbar nach dem Lügendetektortest seines Mandanten zu einem witzig gemeinten „Nun? Ist er ein verlogener Schweinehund?“ gegenüber dem Gutachter hinreißen lässt. Egal wie ernst die Lage gerade ist, Grimes lässt keine Gelegenheit zu einem schlechten Scherz aus und stellt damit manchmal nicht nur die Geduld seiner Kollegen, sondern auch die des Lesers auf die Probe.

|Nicht nur für Experten|

Sehr angenehm bei diesem Roman ist, dass man keine besonderen Vorkenntnisse in Sachen Justiz oder Army benötigt, um der Handlung folgen zu können. Die nicht übermäßig zahlreichen Fachausdrücke werden erklärt. Claire ist zwar eine brillante Anwältin, aber kein Spezialist auf militärischem Gebiet, so dass ihr Co-Anwalt ihr mit Hinweisen und Erklärungen zur Seite stehen muss. Geschickterweise werden dadurch sowohl Claire als auch dem Leser die nötigen Informationen über das System vermittelt.

Auch die Sprache ist einfach zu lesen und stellt keine besonderen Anforderungen an den Leser. Trotz gewisser Mängel ergibt sich unterm Strich eine unterhaltsame Lektüre für Fans von Justiz- und Militärthrillern. Wer sich bei Filmen wie „Im Namen der Ehre“ und Autoren wie John Grisham und David Baldacci gut aufgehoben fühlt, der wird auch mit „Auf höchsten Befehl“ gut bedient sein.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer und vor allem im Mittelteil fesselnder Thriller über Wahrheit und Verschwörungen in der Army. Der Gesamteindruck wird durch ein paar übertriebene Wendungen, vor allem gegen Schluss, ein wenig getrübt. Dennoch empfiehlt sich dieser leicht zu lesende Roman vor allem für Freunde von Spannungsliteratur à la Grisham oder Baldacci.

_Joseph Finder_ wurde 1958 in Chicago geboren und lebte mehrere Jahre in Afghanistan und auf den Philippinen. Nach seinem Studium in Harvard und Yale dozierte er am Russian Research Center von Harvard. Als Journalist schrieb er für die großen amerikanischen Zeitungen. Seine Spezialgebiete sind russische und internationale Politik und Geheimdienste. Weitere Werke sind u. a.: „Goldjunge“, „Die Moskau-Connection“, „Jobkiller“ und „Die Stunde des Zorns“.

Andrews, Russel – Anonymus

Carl Granville, von seinen Freunden „Granny“ genannt, ist ein junger, ambitionierter, aber erfolgloser Schriftsteller. Überraschenderweise lädt ihn ausgerechnet Maggie Peterson, die bekannteste Verlegerin New Yorks, zu einer Besprechung ein. Dabei macht sie ihm ein unglaubliches Angebot: Statt seines verfassten Romans über einen Basketball-Trainer soll Carl für Maggie einen komplett neuen Roman nach ihren Anweisungen schreiben. Bei „Gideon“, so der Titel des geplanten Werkes, handelt es sich um ein hochbrisantes Projekt. Basierend auf Tagebuchaufzeichnungen und Briefen, hat Carl die Aufgabe, als Ghostwriter binnen drei Wochen einen Enthüllungsroman zu schreiben, der kurz darauf erscheinen soll. Die Geschichte handelt von einem damals elfjährigen Jungen, der unter schwierigen Bedingungen in den Fünfzigerjahren aufwuchs und eines Tages seinen zweijährigen, behinderten Bruder mit einem Kissen erstickte. Offenbar ist dieser Junge heute eine wichtige Persönlichkeit, die zu Fall gebracht werden soll. Maggie Peterson verspricht, dass der Roman die Bestsellerlisten stürmen und Carl für seine Aufgabe fürstlich entlohnt wird.

Carl willigt ein, ohne die Brisanz der Geschichte zunächst zu erahnen. Doch schon bald zeigt sich, dass hinter der Sache ein großes Geheimnis steckt – spätestens, als er sein Vorlagen-Material persönlich überreicht bekommt, von einem bewaffneten Mann, der nach Belieben in seine Wohnung eindringt und sein tägliches Schreibpensum akribisch überwacht. Harry, so sein Name, begegnet Carl friedlich, weigert sich jedoch, ihm weitere Informationen zu geben. Carl vertieft sich in die Geschichte und erhält den versprochenen Vorschuss von 50.000 Dollar. Kurz darauf wird Maggie Peterson ermordet. Carl wendet sich an ihren Verlag, doch dort muss er entsetzt feststellen, dass niemand von seinem Projekt weiß. Je mehr er seinen Geheimauftrag beteuert, desto mehr Misstrauen schlägt ihm entgegen, bis er plötzlich als Hauptverdächtiger für Maggies Mörder gilt.

Carl flieht zu der einzigen Person, der er noch vertraut: Seine Ex-Freundin Amanda, Journalistin in Washington. Gemeinsam versuchen sie, Licht in die Angelegenheit zu bringen. Wer ist die offenbar hochprominente Persönlichkeit aus dem Buch, die einst ihren Bruder ermordete? Wer steckt hinter den Enthüllungen und wer hat Maggie Peterson getötet? Schon bald geschehen weitere Morde. Carl und Amanda werden von allen Seiten gejagt – für das FBI sind sie Mörder, für die unbekannten Drahtzieher gefährliche Mitwisser, die ausgeschaltet werden müssen. Die Suche nach der Wahrheit führt die beiden quer durch die USA …

Wer temporeiche Hollywoodthriller mit politischen Verschwörungen mag, der wird an diesem Roman seine helle Freude haben. Das ist das Kurzfazit, das sich dem Leser nach Beendigung des Romans stellt. Damit reiht sich das Werk ein in die Riege jener unterhaltsamen Bücher, die allerdings bei näherer Betrachtung nicht ohne den einen oder anderen Makel daherkommen.

|Sympathie mit Hauptcharakter|

Einer der wichtigsten Punkte für einen guten Roman sind zweifelsfrei die Charaktere. Dem Autor gelingt es gleich zu Beginn, den Leser für seine Hauptfigur Carl Granville einzunehmen, was sich als großes Plus für das Werk erweist. Carl ist eine Sympathiefigur; kein strahlender Held, sondern ein sensibler Mann mit einem Hang zum Chaos, ein jungendlich gebliebener Dreißiger mit dem Charme eines Teenagers. „Granny“, wie sein humorvoller Spitzname schon beweist, erinnert Mitmenschen und Leser in seiner Harmlosigkeit an einen tapsigen Welpen, gepaart mit Intelligenz und Schlitzohrigkeit. Er ist der nette Junge von nebenan, dem man nicht lange böse sein kann und auf dessen Seite man sich fast automatisch stellt. Insofern eignet sich Carl erst recht perfekt für eine Verschwörungsgeschichte, in der man atemlos das Schicksal des Protagonisten verfolgt und eine Identifizierung mit ihm notwendig ist.

Obwohl sie charakterlich fast das Gegenteil von Carl zu sein scheint, schließt man auch seine Ex-Freundin Amanda recht bald ins Herz. Die toughe Reporterin mit dem weichen Kern, der schnellen Auffassungsgabe und dem forschen Auftreten mag sich oft wie eine Kratzbürste verhalten, zögert aber nicht, sich für ihren ehemaligen Lebensgefährten in Gefahr zu begeben. Spätestesn auf der gemeinsamen Flucht der beiden ahnt der Leser natürlich, dass es nicht beim Zweckbündnis der Verfolgten bleibt, sondern dass alte Gefühle wieder auflodern. Dieser Handlungsverlauf ist mehr als offensichtlich, bleibt aber angenehmerweise im Hintergrund. Gerade in Verfolgungsromanen ist es oft ärgerlich zu beobachten, wie das Heldenpaar trotz aller Widrigkeiten noch Zeit für prickelnde Erotik findet. Hier dagegen ist das Szenario in dieser Hinsicht realistisch gestaltet. Es braucht fast zwei Drittel des Buches, bis sich Carl und Amanda romantische Anwandlungen erlauben und auch dann arrangiert sie der Autor in sorgfältiger Zurückhaltung, die ihrer Umgebung angemessen ist.

|Action ohne Längen|

Die Handlung verläuft in einem rasanten Tempo, das den Leser förmlich mitreißt und ihn dazu bringt, das Buch trotz seines nicht geringen Umfangs in kurzer Zeit durchzulesen. Dazu trägt auch der flüssige Stil bei, der keine weiteren Anforderungen an den Leser stellt. Die Wortwahl ist unkompliziert, die Sätze sind übersichtlich und eher kurz gehalten, so dass man keine nennenswerte Konzentration benötigt, um dem Geschriebenen zu folgen.

Spätestens wenn sich herausstellt, dass niemand außer der ermordeten Maggie Peterson von Carls Roman gewusst zu haben schien, niemand im Verlag seine Version glaubt und sogar die Polizei auf ihn als Tatverdächtigen aufmerksam wird, findet man sich in einer hitchcockesken Situation wieder, der man sich nicht entziehen kann. Für viele Menschen ist Carls Lage ein Horror-Szenario – allein auf sich gestellt mitten in einer Verschwörung, von der man weder Hintergründe noch Sinn oder Drahtzieher kennt, ohne einen Menschen, dem man vertrauen kann. Dieser Plot ist alles andere als neu, doch er hat nichts von seiner Wirksamkeit verloren. Der Protagonist steht vor dem Nichts und allein die Vorstellung, es könne einem ebenso ergehen, weckt Gänsehaut und unwohle Gefühle. Es ist ein dankbarer Ausgangspunkt, für den man nicht einmal eine besonders ausgefeilte Handlung braucht, damit der Leser gefesselt ist. Dieser will einfach wissen, wie es weitergeht und wie sich letztlich alles klärt. Genau nach diesem kathartischen Effekt, nach der erlösenden Klärung aller Ereignisse, sehnt sich der Leser, so dass es keiner großer schriftstellerischer Kunst bedarf, um ihn bei der Stange zu halten.

|Humor ist, wenn man trotzdem lacht|

Kleine Abzüge gibt es dagegen für den hin und wieder aufgesetzten Humor, der zwar den Unterhaltungseffekt verstärkt, aber in seiner Dosierung sparsamer und gezielter hätte verwendet werden sollen. So strotzen die Dialoge, vor allem zwischen Carl und Amanda, nur so vor Schlagfertigkeit und Esprit, was dem Ernst der Lage nicht immer angemessen ist. Als sich Carl beispielsweise in höchster Not in Amandas Wohnung vor einem FBI-Beamten verstecken muss, hat er unmittelbar darauf nichts Besseres zu tun, als Amanda bissig darauf hinzuweisen, dass sie „gottverdammte Mäuse“ in ihrer Wohnung hat, die ihm über die Beine gekrabbelt sind. Gleiches gilt für Amanda, die einen Vorwurf Carls sarkastisch kommentiert, dass es ihr an Übung fehle, Leute zu verstecken und sie „Bonnie und Clyde“ schon zu lange nicht mehr gesehen habe. Beinah nervig wird es beim virtuellen Austausch zwischen Amanda und einer befreundeten Kollegin, die den beiden als Hackerin wichtige Informationen verschafft. Zum einen erscheint es konstruiert, dass Amanda ausgerechnet ein journaliastisches Ziehkind kennt, dem sie hundertprozentig vertrauen kann und das in Minutenschnelle alle angeforderten Daten per Computerhack besorgt, so dass Amanda und Carl stets eine gute Chance haben, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Zum anderen sprühen auch die Computer-Dialoge zwischen Amanda und ihrer Freundin Shaneesa nur so vor Flapsigkeit und pseudo-witzigen Sprüchen, für die realistisch betrachtet definitiv kein Spielraum sein dürfte. Diese Dialoge im Stil einer Screwball-Komödie ziehen sich durch die gesamte Handlung und erinnern fatal an diverse Hollywood-Reißer, in denen der Held in jeder noch so brandgefährlichen Lage einen flotten Spruch auf den Lippen trägt.

Dadurch verliert der Roman allerdings zwangsläufig auch ein wenig von seiner Brisanz, denn ebensowenig, wie der coole, sprücheklopfende Held eines Hollywood-Reißers am Ende mit seiner Mission scheitert, fürchtet man ernsthaft um das Leben von Carl und Amanda. Dazu ist das Pärchen einfach zu sehr auf Sympathie ausgelegt, dazu verläuft die Geschichte nach zu konventionellem Muster. Der Leser soll sich mit den Protagonisten identifizieren, ihnen ihr Glück gönnen und sich auf das Happy-End freuen, ohne daran zu zweifeln, dass die Gerechtigkeit siegen wird. Dadurch erhält der Roman ein gewisses Fastfood-Flair. Man konsumiert ihn und fühlt sich dabei für den Moment befriedigt, ohne dass er eine nachhaltige Wirkung hinterließe.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer Thriller über Verschwörungen, Geheimnisse, Verfolgungsjagden und den Kampf gegen einen gesichtslosen Gegner, kombiniert mit einer zarten Liebesgeschichte. Mit viel Tempo und Humor jagen die sympathischen Protagonisten quer durch Amerika, wobei es die Autoren (s. u.) hin und wieder mit den witzig gemeinten Dialogen übertreiben. Die Handlung ist zwar nicht originell, aber solide inszeniert und bietet ein kurzweiliges Lesevergnügen ohne Längen.

_Russell Andrews_ ist das Pseudonym zweier US-Autoren, Peter Gethers und David Handler. Beide arbeiten auch als Drehbuchschreiber, Gethers ist seit 1980 Lektor bei |Random House|. Von „Russell Andrews“ erschienen desweiteren die Thriller „Midas“, „Icarus“ und „Das Aphrodite-Experiment“.

Taylor, Andrew – Schlaf der Toten, Der

London, 1819. Der mittelllose Lehrer Thomas Shield erhält eine Stelle in einem Internat außerhalb der Stadt. Für den jungen Mann, der immer noch unter den traumatischen Folgen seines Kriegseinsatzes leidet, ist diese Arbeit ein großer Glücksfall. Zu seinen Schülern gehören auch die beiden zehnjährigen Jungen Edgar Allan und Charlie Frant, die sich wie Brüder ähneln und vom ersten Tag an die besten Freunde sind. Edgar ist ein kleiner Amerikaner, der von den Allans adoptiert wurde. Charlie ist der Sohn von Henry Frant, einem wohlhabenen Bankier, dem Teilhaber der berühmten Wavenhoe-Bank.

Nachdem Thomas Shield die Jungen einmal auf der Straße vor den Nachstellungen eines verwahrlosten Mannes bewahrte, kommt er in Kontakt mit der Familie Frant. Vor allem zu Charlies Mutter, Sophie Frant, fühlt er sich auf unerklärliche Weise hingezogen, aber auch Charlies Cousine, die kokette Flora Carswell, verwirrt seine Sinne. Hin- und hergerissen zwischen seinen Gefühlen, nutzt er bald jede Gelegenheit, um den Frants einen Besuch abzustatten.

Nach dem Tod des Gründers George Wavenhoe gerät die Bank in den Ruin. Als sich herausstellt, dass Henry Frant seine Kunden betrogen hat, steht die Familie Frant vor dem Bankrott. Kurz darauf wird die bis ins Unkenntliche zugerichtete Leiche eines Mannes gefunden, der als Henry Frant identifiziert wird. Die Witwe und der kleine Charlie werden von ihren Verwandten, den Carswells, aufgenommen und ziehen auf ihren Landsitz. Thomas Shield befürchtet, die verehrte Sophie Frant nie wiederzusehen – doch stattdessen engagiert ihn die Familie als Hauslehrer. In der Zeit auf dem Anwesen der Carswells gerät Thomas in ein Netz aus Intrigen und weiß schon bald nicht mehr, wem er trauen darf. Was hat es mit dem geheimnisvollen David Poe auf sich, der behauptet, er sei Edgar Allans Vater? Handelt es sich bei dem Ermordeten wirklich um den verschwundenen Henry Frant? In einer verschneiten Winternacht kommt es schließlich zu einem weiteren mysteriösen Todesfall …

Neblige Nächte, dunkle Gassen, verwinkelte Herrenhäuser und weite Wälder – „Der Schlaf der Toten“ besitzt alle Elemente, die man von einem Schauerkrimi erwartet. In gekonnter Manier zieht Taylor seinen Leser hinein ins viktorianische England, lässt ihn teilhaben an den Aufzeichnungen des jungen Thomas Shield und konfrontiert ihn mit einer Reihe von seltsamen Vorgängen, die sich immer weiter zu einem undurchdringbaren Geflecht aus Lügen und Intrigen zu verstricken scheinen. Von kleinen Einschränkungen abgesehen, liegt hier ein überzeugender und fesselnder Historienkrimi vor, der nicht zu Unrecht mit dem „Historical Dagger“ ausgezeichnet wurde.

|Überzeugende Charaktere|

Ein großes Verdienst des Romans ist zweifelsohne die Identifizierung des Lesers mit der Hauptfigur, dem Ich-Erzähler Thomas Shield. Schon zu Beginn wird klar, dass es sich hier um keinen strahlenden Helden handelt, sondern um einen Charakter mit Hang zur Labilität. Aufgewachsen ohne Mutter, verstarb sein Vater vor Beendigung des Studiums, so dass Thomas aus Geldmangel die Universität vorzeitig verlassen musste. Die traumatische Kriegserfahrung erforderte ärztlichen Beistand und ein unbeherrschter Gefühlsausbruch ließ ihn seine Stelle verlieren. Trotz des unerwartet großzügigen Erbes seiner Tante ist Thomas Shield kein Gewinner, sondern ein einsamer und verletzlicher junger Mann, für den man sich gerne ein bisschen Glück erhofft, mit dem man leidet, mit dem man hofft und dessen Schicksal einen spätestens in der zweiten Hälfte des Buches vollends in den Bann zieht.

Längst nicht so intensiv, aber doch als lebendig und anschaulich empfindet man die restlichen Charaktere, allen voran die Mitglieder der Familie Frant und ihr Umfeld: die zarte Sophie, die ihre eigenen Gefühle hinter das Glück ihres Sohnes stellt und deren zurückhaltende, undurchschaubare Art auf den Leser ähnlich faszinierend wirkt wie auf Thomas Shield; der kleine Charlie mit dem sensiblen Gemüt, der sich im Internat zunächst so verloren fühlt und durch die Hilfe seines Freundes Edgar die schwere Zeit übersteht; der undurchsichtige Henry Frant, der noch nach seinem Tod seine Familie ins Verderben reißt; und die reizvolle Miss Carswell, die es liebt, Thomas Shield in Verlegenheit zu bringen und immer wieder neue Verwirrungen provoziert. In dieser Charakterfülle liegt womöglich auch eine kleine Schwäche des Romans, da viele Figuren Erwartungen wecken, die sie unterm Strich nicht unbedingt einhalten können. Von manch einer Person erhofft man sich während der Lektüre noch eine größere Beteiligung an der Handlung oder gar eine Schlüsselrolle, muss am Ende jedoch feststellen, dass es wirklich bei einem Nebencharakter geblieben ist, der für die Handlung keine überraschende Bedeutung mehr beiträgt.

|Hommage an Poe|

Versierte Leser werden bereits bei der Erwähnung des kleinen „Edgar Allan“ aufmerken, offensichtlich wird es spätestens dann, wenn ein gewisser David Poe ins Spiel kommt: Der zehnjährige Schüler von Thomas Shield, dessen Rolle einiges zu den Rätseln im Verlauf der Handlung beiträgt, ist niemand anderes als Edgar Allan Poe, der berühmte Schriftsteller, der später mit seinen detektivischen und unheimlichen Kurzgeschichten in die Weltliteratur eingehen sollte. Im Anhang an den Roman finden sich dementsprechende biographische Anmerkungen des Autors zu Poes Leben und Werk. In behutsamer Manier wird hier versucht, die dunklen Jahre von Poes Schulzeit in Einklang mit der Romanhandlung zu bringen. Hier ist die Ähnlichkeit mit Charlie Frant eine Inspiration für Poes beliebtes Doppelgängermotiv; hier erinnert der Rabe aus dem gleichnamigen Gedicht bewusst an den sprechenden Papagei; und hier galten die Worte auf dem Sterbebett dem ehemaligen Lehrer. – Andrew Taylor kombiniert mit viel Geschick eine fiktive Handlung um das düstere Leben des großen Schriftstellers, ohne dabei je zu weit zu gehen und den Namen Poe als bloßen Aufhänger für seine Geschichte zu benutzen. Erfreulicherweise ist genau das Gegenteil der Fall: Trotz seiner Bedeutung für den Verlauf der Handlung drängt sich Edgar Allans Gestalt nie in den Vordergrund. Die Hauptfigur ist und war, auch trotz des Originaltitels „The American Boy“, Thomas Shield, und dem kleinen Edgar bleibt die Rolle des ungezähmten Schülers, der wie nebenbei durch scheinbare Nebensächlichkeiten den Geschehnissen immer wieder neuen Auftrieb verleiht.

|Zwischen Schauerkrimi und Sittenbild|

Mit knapp 570 Seiten kommt der Roman recht umfassend daher, was vor allem im Vergleich mit der tatsächlich geschilderten Handlung auffällt. Oftmals muss der Leser seine Geduld unter Beweis stellen, wenn es wieder einmal an ausufernde Passagen geht, in denen nicht wirklich viel passiert, sondern das Geschehen ruhig vor sich hin plätschert. Kleidungen und Örtlichkeiten werden ebenso ausführlich beschrieben wie belanglose Gespräche und gesellschaftliche Etikette. Hin und wieder ertappt man sich dabei, dass man geradezu auf das nächste bemerkenswerte Ereignis lauert. Andrew Taylors Schilderungen geraten nie langweilig, so dass man etwa Gefahr liefe, das Buch vorzeitig aus der Hand zu legen – doch er bewegt sich unzweifelhaft hart an der Grenze und reizt die Ausdauer seiner Leser gehörig aus. „Der Schlaf der Toten“ ist kein Thriller im modernen Sinne, der dem Leser atemlose Spannung von der ersten bis zur letzten Seite verspricht und der alle seitenlang mit neuen Enthüllungen aufwartet.

Stattdessen lullen einen die atmosphärischen Beschreibungen ein, ziehen den Leser mit hinein die Welt des Thomas Shield, die nach außen hin so malerisch wirkt und hinter deren Fassade düstere Abgründe lauern. Das Werk ist nicht nur ein Historienkrimi mit Anleihen an den Schauerroman, sondern auch ein Sittengemälde der viktorianischen Zeit. An der Person des mittellosen Thomas Shield, der sich auf dem Parkett der gehobenen Kreise bewegt, wird die Zwiespältigkeit dieser Gesellschaft deutlich. Shield wird nie als ihresgleichen angesehen, obwohl er im Gegenzug über den gewöhnlichen Bediensteten steht. Dem modernen Leser mögen die häufigen Verbeugungen und Ehrerbietungen, die Gedanken über Schicklichkeit und Contenance zunächst befremdlich vorkommen, und doch versetzt man sich rasch hinein in diese Welt der großen Bälle, der Herrenhäuser, der Droschken und der knicksenden Dienstmädchen. Diese Welt, die sich par excellence als Folie für mysteriöse Vorkommnisse eignet, beispielsweise in einer verschneiten Winternacht, in der Thomas über den Landsitz der Carswells irrt und die verschwundenen Jungen sucht, während in der Ferne der Wälder eine tödliche Wilderer-Falle zuschnappt …

So ergibt sich ein faszinierender Schauerkrimi aus dem viktorianischen England, der geschickt eine fiktive Handlung um Todesfälle in der gehobenen Gesellschaft mit der Biographie des Schriftstellers Edgar Allan Poe verbindet. Die ausschmückende Sprache und die detailreichen Schilderungen von Nebensächlichkeiten sorgen für die eine oder andere Länge, doch insgesamt bietet sich ein spannender Roman voller Rätsel und lebensechter Charaktere – allen voran der Ich-Erzähler Thomas Shield -, die ein unterhaltsames und fesselndes Lese-Erlebnis vermitteln.

_Andrew Taylor_ wurde 1951 in England geboren und studierte in Cambridge, ehe er sich ganz dem Schreiben widmete. Sein Spezialgebiet sind Kriminalromane, darunter unter anderem die Lydmouth-Serie und die Roth-Trilogie.

Andreas Gruber – Der Judas-Schrein

Der Wiener Kripobeamte Alex Körner steckt in Schwierigkeiten. Sein erster Fall als Chefinspektor endete durch seine Fahrlässigkeit in einem Desaster mit mehreren Verletzten. Zur Rehabilitierung wird er auf den Mordfall eines Mädchens in einer Dorfdisko angesetzt. Beim abgelegenen Grein am Gebirge handelt es sich um Körners einstige Heimatstadt, in der er die ersten vierzehn Jahre seines Lebens verbrachte. Nach dem Tod seiner Eltern bei einem Hausbrand zog er nach Wien und brach jede Verbindung zu seinem alten Leben ab. Wider Willen muss Körner jetzt nach fast dreißig Jahren in seine Heimat zurückkehren. Als Unterstützung steht ihm die Polizeipsychologin Dr. Sonja Berger zur Seite. Den Rest des Ermittlerteams bilden seine Ex-Freundin Jana Sabriski als Gerichtsmedizinerin, der zurückhaltende Polizeifotograph Kralicz, von den anderen nur liebevoll „Basedov“ genannt, und der sarkastische Spurensicherer Rolf Philipp.

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Brigitte Blobel – Mörderherz

Daniel Panetta, 52 Jahre alt, verheiratet und Leiter der öffentlichen Bibliothek in Washington, leidet seit mehreren Jahren an immer stärker werdenden Herzbeschwerden. Eines Tages eröffnet ihm sein Arzt Professor Grady, dass seine einzige Chance in einer Herztransplantation liegt. Ohne ein neues Organ hat er vermutlich kein Jahr mehr zu leben. Panettas Name kommt auf die Empfängerliste und ein banges Warten beginnt. Sein Allgemeinzustand verschlechter sich immer weiter, seine Arbeit hat er bereits aufgeben müssen, die Ehe mit seiner attraktiven und erfolgreichen Frau Martha leidet.

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Clark, Mary Higgins – Mein ist die Stunde der Nacht

Dr. Jean Sheridan, eine erfolgreiche Historikerin Ende dreißig, kehrt zu ihrem zwanzigjährigen Abschlussjubiläum an der Stonecroft Academy in ihre Heimatstadt zurück. Bei einem groß angelegten Klassentreffen soll sie mit sechs anderen Absolventen für herausragende berufliche Leistungen geehrt werden. Doch das Treffen wird überschattet: Fünf ihrer Schulfreundinnen sind in den letzten Jahren ums Leben gekommen. Für Jean birgt das Treffen noch weitere düstere Erinnerungen: Kurz vor ihrem Abschluss starb ihr damaliger Freund bei einem Autounfall, Jean trug das gemeinsame Kind in aller Heimlichkeit aus und gab es zur Adoption frei. Auch heute noch trauert sie ihrer Tochter, die sie bei sich „Lily“ nennt, und ihrer verlorenen Liebe hinterher. Umso erschreckender sind die Faxmeldungen, die Jean in letzter Zeit erhält. Alle enthalten Drohungen gegen ihre Adoptivtochter. Jean hofft, dass es sich bloß um einen bösen Scherz handelt und versucht, sich auf dem Treffen abzulenken.

Sie ahnt nicht, dass die Todesfälle kein Zufall waren. Einer ihrer ehemaligen Mitschüler ist ein skrupelloser Mörder, der sich nach und nach an allen rächt, die ihn seinerzeit zurückgewiesen haben. Er nennt sich „die Eule“, nach seinem Spitznamen aus der Kindheit. Wie ein Raubvogel schlüpft er nachts in die Rolle des Jägers und überwältigt seine Opfer. Jean Sheridan, ihre Adoptivtochter und Jeans Freundin Laura sind die Letzten auf seiner Liste, an denen er seine Rache vollziehen will. Als Laura schließlich spurlos verschwindet, ahnt Jean, dass einer der ehemaligen Klassenkameraden dahinter steckt und die anderen Frauen ermordet wurden. Aber wer ist der Täter? Im Verdacht stehen vor allem der zynische Bühnenautor Carter Stewart, der schadenfrohe Komiker Robby Brent, der TV-Psychologe Mark Fleischerman, der unterkühlte TV-Manager Gordon Amory und der skrupellose Geschäftsmann Jack Emerson.

Verzweifelt versucht Jean, den Täter zu entlarven, bevor er sein Werk vollendet. Ihr zur Seite stehen Detective Deegan, ein älterer Polizeibeamter, sowie der vorwitzige Schülerzeitungsreporter Jake Perkins. Die Zeit drängt, denn es schwebt nicht nur Laura, sondern auch Jeans Tochter in höchster Gefahr …

*

Wen weder Titel noch Autorin reizen, der wird spätestens durch das Cover auf das Buch aufmerksam: Eine wunderschöne schneeweiße Eule in Großaufnahme, so dass nur mehr ihr Schnabel und ihr linkes Auge zu sehen sind, zieht den Betrachter in den Bann. Der Blick auf den Klappentext ist dann nur noch reine Formalität, denn der Name Mary Higgins Clark steht gewöhnlich für solide, wenn auch nicht außergewöhnliche Thrillerkost. Es sind auch hier wieder einmal bewährte Zutaten, auf die die Autorin zurückgreift und die sie in einen unterhaltsamen, allerdings nicht mehr als durchschnittlichen Roman umsetzt.

|Identifizierung durch Sympathiefiguren|

Wie so oft dreht sich die Handlung um eine junge, sympathische Frau, die ohne eigenes Verschulden in eine gefährliche Lage gerät. Auch Jean Sheridan hebt sich nicht weiter von dem Strickmuster anderer Higgins-Clark-Heldinnen ab. Die Protagonistin macht es dem Leser leicht, sich mit ihr zu identifizieren. Jean ist erfolgreich und ehrgeizig, dabei aber frei von Arroganz, sondern angenehm bodenständig. Obwohl zwanzig Jahre ins Land gegangen sind, trauert sie immer noch um ihre verstorbene Jugendliebe Reed, und die zur Adoption freigegebenen Tochter, die sie bei sich zärtlich „Lily“ nennt. Voller Zärtlichkeit denkt sie an ihre unbekannte Tochter, von der sie nicht einmal weiß, welchen Namen ihr ihre neuen Eltern gegeben haben. Der Roman ist somit nicht nur Thriller, sondern enthält auch einige melodramatische Komponenten und es kommt zumindest so viel Mitgefühl für die Hauptfigur auf, dass man ihr eine versöhnliche Begegnung mit ihrer verlorenen Tochter wünscht.

Die zweite Sympathiefigur ist der väterliche Detective Sam Deegan, zu dem Jean sofort Vertrauen fasst. Deegan ist mehr als ein unermüdlicher Ermittler; er steckt auch darüberhinaus viel persönliches Interesse in die mysteriöse Mordserie; nicht zuletzt deshalb, weil die Todesfälle offenbar in Zusammenhang mit einem ungeklärten Mord stehen, der ihm seit zwanzig Jahren keine Ruhe lässt …

Für Humor sorgt vor allem der junge Schülerzeitungsreporter Jake Perkins, der in seinen hartnäckigen Rechermethoden seinen älteren Kollegen in nichts nachsteht. Mit viel Witz und Genuss durchschaut er die arroganten Teilnehmer des Klassentreffens und bringt mit seinen forschen Fragen so manchen Interviewparter in Verlegenheit. Übertrieben wird dieses freche Auftreten nur am Schluss, als sich Jake selbst angesichts eines Wettlaufs auf Leben und Tod noch detailliert in seinen brisanten Informationen ergehen will.

|Jeder kann die Eule sein|

Um die Spannung zu erhöhen, greift Mary Higgins Clark tief in die Trickkiste: In fast jedem zweiten Kapitel wechselt der personale Erzähler von der Protagonistin Jean Sheridan zum Mörder hinüber, allerdings ohne dabei seine Identität preiszugeben. Der Killer ist nur „die Eule“, sein richtiger Name fällt nie. Dem Leser ist es kaum möglich, den Täter hinter diesem Decknamen vorzeitig zu erraten. Jeder aus dem engeren Kreis ist aus diversen Gründen gleich verdächtig. Weder der Leser noch Jean Sheridan können mit Gewissheit sagen, wem von ihnen zu trauen ist. Die Hinweise auf die Täterschaft sind dünn gesät und so allgemein gehalten, dass sie auf jeden Verdächtigen zutreffen könnten. Nahezu alle von ihnen haben sich im Erwachsenenleben um 180 Grad gewandelt, haben eine schwere Kindheit hinter sich und machen sich durch gewisse Bemerkungen oder Handlungen verdächtig. Leichte Gruselmomente kommen auf, wenn der Mörder sich seine Eulenmaske überzieht und jenen Spruch aufsagt, der ihm damals nach einer Theatervorstellung zu seinem Spitznamen verhalf: „Ich bin die Eule und ich lebe in einem Baum …“

Leider steckt in diesem Punkt auch ein erhebliches Manko des Buches: Die Autorin ist so sehr darauf bedacht, den Leser aufs Glatteis zu führen und den Täter geheim zu halten, dass sie zu betrügerischen Mitteln greift und es mit der Informationsverweigerung auf die Spitze treibt. Selbst als die entführte Laura ihren Peiniger erkennt und der Leser Einblick in ihre Gedanken bekommt, fällt nicht sein wahrer Name; selbst hier, bei sich, nennt ihn Laura nur „die Eule“. Und wenn sie denn mal trotz seines Verbots seinen wahren Namen ausspricht, so erfährt der Leser natürlich nur, dass sie „immer wieder seinen Namen flüsterte“. Das Bemühen der Autorin um Spannung in allen Ehren, aber dass selbst sein Opfer seinen Namen nicht in Gedanken nennt, lässt die Handlung an diesen Stellen zu unrealistisch und konstruiert erscheinen.

Konstruiert sind auch die zahlreichen Scheinbar-Hinweise und falschen Fährten, die allzu offensichtlich dazu dienen, jeden der Verdächtigen mal kurz ins Licht zu rücken. Im Laufe der Handlung fällt bei jedem von ihnen mindestens ein Satz oder ein Gedanke, der ihn mit dem Täter in Verbindung bringt, meist als Cliffhanger formuliert, um dem Leser besonders nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben. Gerade diese Ausgewogenheit der Verdachtsmomente sorgt dafür, dass die Auflösung, wer sich tatsächlich hinter der „Eule“ verbirgt, längst nicht so spektakulär ist wie die eigentliche Mörderjagd selbst. Keiner der in Frage Kommenden drängt sich dem Leser als Täter-Kandidat auf. Allenfalls einen von ihnen wünscht man sich nicht als Mörder, beim Rest spielt es keine große Rolle, ob er sich als Schuldiger entpuppt oder nicht. Zwar ergibt seine Identität letztlich Sinn, alle offenen Fragen werden zufrieden stellend geklärt, aber es fehlt ein letztes Aha-Erlebnis, eine finale Wendung oder Überraschung als abschließende Krönung.

|Leichtverdauliche Thrillerkost|

Unterm Strich bietet der Roman einem versierten Thrillerleser nichts Neues, verlässt sich auf vertraute Strickmuster von netten Charakteren bis hin zum versöhnlichen, beinah schon kitschigen Ende, ohne dabei nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben oder gar für echte Überraschungen zu sorgen. Durch den einfachen, glatten Schreibstil und die geradlinige Handlung ohne größere Abschweifungen lässt sich der Roman in wenigen Tagen verschlingen. Da er keine hohen Anforderungen stellt, ist er sowohl für Gelegenheitsleser als auch als Urlaubslektüre ideal geeignet.

_Fazit:_

Ein unterhaltsamer Thriller mit sympathischer Protagonistin, der bis zum Schluss die Spannung und die Frage nach dem Mörder bewahrt. Leichte Abzüge gibt es für die konstruierte Handlung und das konventionelle Strickmuster, das insbesondere an viele weitere Romane der Autorin erinnert. Als leichte Unterhaltung ein lesenswerter Roman, für versierte Thrillerfans jedoch insgesamt zu unspektakulär, um weiter im Gedächtnis zu bleiben.

Roberts, Nora – Dunkle Herzen

Die junge, erfolgreiche Bildhauerin Clare Kimball lebt in New York, wo sie gerade wieder eine erfolgreiche Ausstellung präsentiert hat. Seit ihrer Kindheit wird Clare von einem immer wiederkehrenden Albtraum gequält. In diesem düsteren Traum steht sie auf einem nächtlichen Friedhof und beobachtet, wie mit Tierköpfen und Kutten verkleidetete Männer satanische Rituale durchführen. In einem der Männer erkennt sie schließlich ihren geliebter Vater, der in ihrer Teenagerzeit durch einen Fenstersturz ums Leben kam. Sowohl der Albtraum als auch der ungeklärte Tod ihres Vaters lassen ihr keine Ruhe. Clare will Gewissheit haben und beschließt, in ihre Heimatstadt Emmitsboro zurückzukehren.

Emmistboro ist eine verschlafenen Kleinstadt in Maryland ohne spektakuläre Ereignisse, in denen sich alle Bürger untereinander gut kennen. Clares Rückkehr sorgt bei den Einwohnern für großes Interesse. Vor allem für den charmanten Sheriff Cam Rafferty, den sie noch aus ihren Jugendtagen kennt, entwickelt sie rasch Gefühle. Während sie viele ehemalige Freunde und Nachbran herzlich aufnehmen, machen sich einige der Bewohner über ihr Auftauchen Sorgen. Denn was Clare nicht weiß: Hinter der biederen Kleinstadt-Fassade verbirgt sich ein satanischer Zirkel, in den zahlreiche der scheinbar unbescholtenen Bürger verstrickt sind.

Kurze Zeit nach Clares Einzug in ihr Elternhaus geschieht ein grausamer Mord, der die Menschen jäh aus ihrer Idylle reißt. Grabschändungen, geschlachtete Tiere und ein entführtes Mädchen deuten darauf hin, dass Clares Träume der Wirklichkeit entsprechen. Je mehr sie sich an das Gesehene erinnert und je weiter sie in ihren Nachforschungen vordringt, desto gefährlicher wird sie für die Teufelssekte …

Schwarze Messen, brutale Morde und eine Gemeinschaft, die sich dem Bösen verschworen hat – die als Schnulzenautorin verschriene Nora Roberts geizt nicht mit allerleih grausigen Zutaten für ihren Horrococktail, der durchaus zu unterhalten weiß.

Dabei kann von Innovation an kaum einer Stelle des Romans die Rede sein. Die Charaktere sind teilweise klischeehaft und in keiner Weise wirklich spektakulär, jeder Figur ist man so oder so ähnlich schon in anderen Büchern begegnet. Die satanischen Rituale folgen exakt den landläufigen Vorstellungen der Leser und auch überraschende Wendungen sind im Grunde Mangelware. Dass der Roman trotzdem zu fesseln weiß, liegt an der souveränen Zusammenstellung all dieser Komponenten, die dem Leser zwar nichts Neues, aber Altbewährtes auf solide zubereitete Weise präsentieren.

|Altbewährter Schauplatz|

Die verschlafene Kleinstadt wird bekannterweise gerne als Schauplatz für ein Horrorszenario gewählt. Nirgends wirkt das Grauen so effektiv wie in einer scheinbar harmlosen Idylle, deren Friedlichkeit sich als trügerisch erweist. Je beschaulicher der Leser sein eigenes Leben führt, desto mehr wird er sich in diese Lage hineinversetzen und dementsprechend mitfiebern können. Auch Emmitsboro entspricht in jeder Hinsicht den gängigen Kleinstadt-Klischees. Die Menschen kennen sich untereinander gut, alles geht seit Jahrzehnten seinen gewohnten Gang, die Polizei kümmert sich größtensteils um Diebstähle und Ruhestörungen. Besonders prekär wird die Lage dadurch, dass Clare die meisten Bewohner seit ihrer Kindheit kennt und es besonders schmerzhaft ist, auf einmal befürchten zu müssen, dass einige unter ihnen schon damals ihre dunklen Machenschaften trieben und über all die Jahre eine Scheinwelt aufrecht gehalten haben. Das betrifft letztlich und vor allem ihren eigenen Vater. Je mehr Clare über den satanischen Zirkel und seine Anhänger herausfindet, desto offensichtlicher wird die quälende Tatsache, dass auch ihr Vater zumindest zeitweise darin verwickelt war. Für Clare, die immer seine Lieblingstochter war und die immer noch unter seinem frühen Tod leidet, bricht eine Welt zusammen. Doch als sie der Wahrheit zu nahe kommt, steht ihr der größte Kampf noch bevor …

In einem Psychothriller über Satanismus bleiben natürlich auch explizite Gewaltszenen nicht aus. Allerdings ist keine Schilderung so brutal, dass man als Leser Ekelgefühle befürchten müsste. Im Gegenteil existieren sogar Szenen, in denen die Gewalt nur angedeutet wird und hauptsächlich in der Vorstellung der Leser stattfinden muss. Beinahe schon etwas zu bieder geraten sind die Darstellungen der satanischen Rituale, die in keinem Punkt von den althergebrachten Vorstellungen abweichen, die der unbedarfte Leser vor der Lektüre besitzt. Die Jünger tragen schwarze Kutten und verbergen ihre Gesichter hinter Masken, frönen perversen Ausschweifungen, bringen Tier- und Menschenopfer und rufen in lithurgisch inszenierten Huldigungen Satan an. Sicher wären an der Stelle Abwandlungen der Klischees reizvoller gewesen, zumal gerade das Unbekannte und schwer Einschätzbare den Horroreffekt steigert.

|Schablonenartige Charaktere|

Das Hauptaugenmerk liegt natürlich auf Clare Kimball, die auf Anhieb sympathisch erscheint. Clare hat sich trotz ihrer knapp dreißig Jahre ein kindliches Gemüt bewahrt. Gleich zu Beginn erfährt man, dass Clare, wie es für eine Künstlerin typisch ist, stets im kreativen Chaos lebt. Die Haare werden achtlos zusammengebunden, ein ausgeleiertes Shirt erfüllt den Kleidungszweck, eine Großpackung Eis muss als Mittagessen vorhalten. So ergibt sich ein liebenswertes Bild: Auf der einen Seite die intelligente, erfolgreiche und selbstständige Künstlerin, auf der anderen Seite die chaotische und undisziplinierte Lebensart eines Kindes. Mit ihrer unverfälschten Art und ihrem ansteckenden Humor bezaubert sie nicht nur ihre Umwelt, sondern auch ihre Leserschaft. Sowohl Frauen als auch Männer werden diese gelungene Mischung aus Verletzlichkeit und Sensibilität mit Mut und scharfem Verstand zu schätzen wissen.

Sheriff Cam Rafferty präsentiert sich als der ideale Mann für Clare. Genau wie sie schätzt er Ehrlichkeit und Gerechtigkeit, hält nichts von überflüssigen Etiketten, folgt seinem Gefühl und verstößt bereitwillig gegen den guten Ton der Gesellschaft. In jungen Jahren ein wilder Rebell, hat er sich auch als Polizeibeamter seine Polarität bewahrt. Während die einen Bewohner seine Aufrichtigkeit schätzen, ist er vor allem der biederen Gesellschaft ein Dorn im Auge.

Die meisten anderen Bewohner der Stadt erscheinen als bestenfalls einfache und schlimmstenfalls kleinkarierte Bürger mit beschränktem Horizont, von denen ein nicht unerheblicher Teil im Geheimen dem satanischen Zirkel angehört. Es sind typische Kleinstadt-Charaktere, wie man sie schon aus vielen anderen Romanen kennt: der langweilige Oberlehrer; die hübsche, handfeste Kellnerin; die Edelnutte, die vom Ausstieg und der weiten Welt träumt; die geistig zurückgebliebene Pennerin mit dem kindlichen Herzen; die hemdsärmeligen Farmer; die spitzzüngigen Damen der Kaffeeklatschgesellschaft.

Für diese Vorhersehbarkeit der Charaktere gibt es kleine Abzüge. Fast bei jedem neuen Charakter wird der Leser rasch über dessen Eigenschaften informiert, so dass man jede Figur sofort auf die „gute“ oder die „böse“ Seite stellen kann. Dabei fühlt man sich ein wenig bevormundet, als ob es uns der Autor nicht zutraute, ohne explizite Beschreibung den Charakter einzuschätzen. Und zum anderen hätte es die Spannung noch zusätzlich gesteigert, wenn man bei einigen Figuren zunächst im Ungewissen gelassen worden wäre. Stattdessen weiß man bei den meisten Personen sofort, ob Clare ihnen vertrauen darf oder nicht. Vor allem bei Sheriff Rafferty existiert bereits nach der ersten Begegnung mit Clare kein Zweifel mehr, dass sich zwischen beiden eine Beziehung entwickeln wird; erst recht nicht, als man erfährt, dass Clare ihn bereits in ihrer Jugend heimlich umschwärmte. Bei manchen der Satansjünger erfährt der Leser erst spät von ihrem Doppelleben, doch echte Überraschungen bleiben dabei vollends auf der Strecke. Das gilt auch für den Epilog des Romans, der beim Leser nicht den angestrebten Aha-Effekt erzielt, sondern wie eine nachträglich angefügte Pointe wirkt.

Die einzige Ausnahme bildet der rebellische Teenager Ernie, von dem man lange Zeit nicht mit Sicherheit sagen kann, ob er sich unwiderruflich der dunklen Seite verschreibt oder nicht. Davon abgesehen wäre es besonders bei Cam Rafferty der Spannung zuträglich gewesen, wenn man hin und wieder an seiner Solidarität an Claire hätte zweifeln können.

|Flotter Schreibstil|

Das Stilniveau geht zwar über den des Groschenromans hinaus, stellt aber dennoch keinerlei weitere Anforderungen an den Leser. Die klare Sprache und die übersichtlichen Sätze machen es zu einer Leichtigkeit, den mehr als 600 Seiten des Buches mühelos zu folgen. Wegen der weiblichen Hauptfigur und des Images der Autorin als Liebesromanschreiberin zieht das Buch vornehmlich Frauen als Leserinnen an, eignet sich aber grundsätzlich auch für Männer, ebenso wie für Jugendliche. Die Handlung verzichtet auf detaillierte Nebenstränge, so dass keine große Konzentration von Nöten ist. Als Urlaubslektüre oder als unterhaltsamer Zwischendurch-Roman ist das Buch daher definitiv zu empfehlen.

_Unterm Strich:_ Unterhaltsamer und sehr flüssig geschriebener Psychothriller über satanische Morde hinter der biederen Fassade einer Kleinstadt. Der Roman kombiniert altbewährte Zutaten zu einem angenehm lesbaren und über weite Strecken fesselnden Lesevergnügen für alle Freunde der Spannungsliteratur. Leichte Abzüge gibt es für die Vorhersehbarkeit und die klischeehaften Charaktere, denen etwas mehr Innovation nicht geschadet hätte.

_Nora Roberts_ ist eine der meistgelesenen Autorinnen der USA. Seit sie 1981 ihren ersten Roman veröffentlicht hat, sind mehr als hundert Bücher von ihr erschienen. Ihre Domäne sind vor allem romantische Liebesromane und Thriller.

Clark, Mary Higgins – Nimm dich in acht

Die New Yorker Psychologin Dr. Susan Chandler moderiert eine beliebte Radiosendung. Als aktuelles Thema hat sie sich das Buch „Verschwundene Frauen“ des Psychiaters Dr. Donald Richards ausgesucht, den sie in ihrer Sendung dazu befragt. Auf eigene Faust hat sie den Fall der vermissten Regina Clausen aufgetan, die vor drei Jahren nach einer Kreuzfahrt nicht mehr zurückkehrte. Während der Sendung meldet sich eine anonyme Anruferin, die von einem Verdacht berichtet. Vor zwei Jahren lernte sie auf einer Schiffreise einen Mann kennen, der ihr einen Ring mit der Gravur „Du gehörst mir“ schenkte. Genau so ein Ring befand sich auch in Regina Clausens Gepäck. Susan wittert eine heiße Spur und bittet die Anruferin zu einem Treffen. Doch am nächsten Tag wird die Frau vor ein Auto gestoßen und liegt im Koma.

Es folgen weitere Anschläge auf Personen, die Hinweise zu Regina Clausens Verschwinden liefern können. Während die Polizei im Umfeld der Betroffenen ermittelt, vermutet Susan, dass sie einem Serienkiller auf der Spur ist, der sich seine Opfer unter alleinreisenden Frauen auf Kreuzfahrten sucht. Spätestens nachdem sie Regina Clausens Mutter, die schwerkranke Jane Clausen, kennen lernt, fühlt sie sich verpflichtet, die Wahrheit über das Verschwinden dieser Frau herauszufinden.

Dabei stößt Susan auch in ihrem eigenen Umfeld auf Unstimmigkeiten: Was hat den Autor Don Richards bewogen, ein Buch über diese Fälle zu schreiben? Welches falsche Spiel treibt Jane Clausens Anwalt Douglas Layton mit seiner Klientin? Etwas Entspannung erhofft sich Susan von der Bekanntschaft mit dem reichen und attraktiven Alex Wright, bis sich herausstellt, dass sich auch ihre Schwester Dee für ihn interessiert. Bei ihren Nachforschungen kommt Susan dem Kreuzfahrt-Mörder immer näher, ohne zu ahnen, dass er schon längst seine Jagd auf sie begonnen hat …

Unterhaltsame Dutzendware ist das passende Prädikat, um diesen Thriller einzuordnen. Wie in so vielen anderen ihrer Romane verlässt sich Mary Higgins Clark auf bewährte Zutaten, die zu einem unspektakulären, aber doch über weite Strecken spannenden Katz-und-Maus-Spiel gemixt werden.

_Sympathie für den Hauptcharakter_

Das Schema des Romans ähnelt dem Rest ihrer Werke: Eine junge, sympathische und attraktive Frau wird in einen mysteriösen Mordfall verwickelt und startet auf eigene Faust Ermittlungen, bei denen sie ins Visier des Täters gerät. Von diesem Grundriss weicht die Autorin auch in dieser Geschichte nicht ab. Dr. Susan Chandler präsentiert sich somit als austauschbare Protagonistin, die sich kaum von den Hauptfiguren der anderen Werke abhebt. Sie ist relativ jung, attraktiv und sehr erfolgreich, ohne dabei eingebildet zu sein. Im Gegenteil, Susan stammt aus einer reichen Familie, hält selbst aber nichts von Standesdünkel. Besonders deutlich wird ihr netter Charakter in der direkten Gegenüberstellung mit ihrer Schwester Dee. Dee ist die oberflächlichere der beiden Frauen, die ihren inzwischen tödlich verunglückten Mann seinerzeit Susan ausgespannt hat und auch an Alex, der Susan den Hof macht, verdächtig viel Interesse äußert. In diesem Vergleich ist es nicht schwer, sich solidarisch mit Susan zu zeigen und ihr Glück und Erfolg auf ihrer Mörderjagd zu wünschen, zumal ihre Familiensituation grundsätzlich einige Komplikationen und Probleme beinhaltet. In Susans leserfreundlichem Charakter liegt eine der Stärken des Romans, da man zwangsläufig mit der netten Psychologin mitfiebert. Das Fehlen von auffälligen Ecken und Kanten verhindert zwar, dass sich ihre Figur nachhaltig einprägt, sorgt aber bei der geneigten Durchschnittsleserin für ein hohes Maß an Identifikation.

Die weiteren Personen sind allesamt lebendig genug, um dem Leser einigermaßen klar vor Augen zu stehen, doch auch hier sind markante Figuren Mangelware. Da wäre die nette Jane Clausen, die so dringend den Wunsch verspürt, noch vor ihrem Tod die Wahrheit über das Schicksal ihrer Tochter Regina zu erfahren. Nicht nur Susan, auch der Leser fühlt mit der älteren Dame, die sich nach einem erlösenden Lebensabend sehnt. Da wäre der zurückhaltende Psychiater Don Richards, der durch Susans Sendung in den Fall verwickelt wird und ein starkes persönlichen Interesse an der Aufklärung zu haben scheint und immer wieder seine Mithilfe anbietet. Der zweite Mann, der in Susans Leben tritt, ist der gutaussehende und charmante Alex Wright, der die Gefühle der Psychologin mehr beeinflusst, als ihr lieb ist. Eine wichtige Rolle spielt auch der schmierige Anwalt Douglas Layton, dem Susan nicht über den Weg traut.

_Konstruierte Tätersuche_

Wie in jedem Mary-Higgins-Clark-Roman ist die Autorin bemüht, den Täter so lange wie möglich geheim zu halten und den Verdacht parallel auf mehrere Personen zu schwenken. Für diese Taktik bedient sie sich gerne Cliffhangern, die sie am Ende eines Kapitels einsetzt. Meist fallen diese Cliffhanger in Form von doppeldeutigen Äußerungen einer Figur, die man sowohl als harmlose Bemerkung als auch als Täterschaft deuten kann. Dieses Prinzip verliert leider nach mehrmaliger Anwendung seine Wirkung, weil allzu offensichtlich ist, dass bestimmte Sätze nur fallen, um eine Person in verdächtiges Licht zu setzen. Auch der Rest der Handlung leidet unter auffälligen Konstruktionen, die das gesunde Maß zuweilen übersteigen. Das zeigt sich vor allen an den vielen Zufällen, die in Susan Chandlers Mörderjagd mit hineinspielen. Dabei sticht vor allem heraus, wie leicht es zu sein scheint, Zeugen und Hinweise für den Mörder von Regina Clausen zu finden.

Den Anfang macht die hellseherische Begabung einer Freundin des Beinah-Opfers Carolyn Wells, die sich als anonyme Anruferin in Susans Sendung mit einbringt. Eine kurze Berührung des Rings verrät ihrer Freundin, dass eine tödliche Bedrohung dahinter lauert. Darüberhinaus spielt diese Begabung keine weitere Rolle. Somit bleibt sie billige Effekthascherei, um die Beteiligten für das drohende Unheil zu sensibilisieren. Ein weiterer Griff in die Zufallskiste ist auch die spätere Meldung einer junge Frau, die den Täter damals im Laden beim Ringekauf beobachtet hat. Anschließend kommt noch der Ladenbesitzer selbst ins Spiel, der sich über die Jahre hinweg Aussehen und Namen des Kunden gemerkt hat. Das ist wenig plausibel, wenn man bedenkt, dass die gekauften Ringe weder wert-, noch schmuckvoll sind und der Käufer nur alle paar Monate in den Laden kam. Noch unglaubwürdiger wird es dann, als der Besitzer des Sexshops gegenüber den Kunden als verdächtig einstuft, obwohl er selbst nie etwas mit ihm zu tun hatte. Den Höhepunkt der Konstruktionen erreicht die Handlung aber an der Stelle, an der Susan entdeckt, dass der Mörder bei seinen wechselnden Identitäten stets den gleichen Vornamen an erster oder zweiter Stelle einbaut. Allein die Tatsache, dass der Täter dadurch mutwillig seine Entdeckung riskiert, macht sein Vorgehen unwahrscheinlich und die Entlarvung für den Leser unerfreulich einfach.

Ein weiteres Manko des Romans ist die fast hundertprozentige Gewissheit, dass den Leser am Ende ein mehr oder weniger glücklicher Ausgang erwartet. In keinem der etwa fünfzehn Mary-Higgins-Clark-Romane, die ich bislang gelesen habe, wird auf ein Happyend verzichtet, wenn der Schluss auch nicht zwangsläufig unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ steht. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Protagonistin bei ihren Ermittlungen selbst ums Leben kommt, ist dementsprechend gering. Umso wichtiger wäre es in dem Fall, die Zwischenhandlung vom üblichen Einheitsbrei abzuheben, wenn schon die Frage, ob der Täter letztlich gefasst wird, nicht mehr aufgeworfen wird. Die ganz große Spannung bleibt somit aus, da man nicht wirklich um den guten Ausgang der Geschichte bangt, sondern sich in der Gewissheit sonnt, dass alles sein gerechtes Ende nimmt.

Nicht weiter tragisch, aber etwas unglücklich ist der deutsche Titel, der viel zu belanglos daherkommt und kaum dafür geschaffen ist, sich dem Leser einzuprägen. „Nimm dich in acht“ ist eine Plattitüde, die auf so ziemlich jeden Psychothriller passt und als Titelwahl ausgesprochen lieblos und nichts sagend daherkommt. Passend ist dagegen der Originaltiel „You belong to me“, der zwar auf den ersten Blick ebenfalls belanglos zu sein scheint, aber wenigstens Bezug auf den Roman nimmt, indem er die Gravur des mörderischen Ringes aufgreift. Eine unveränderte Übersetzung nach „Du gehörst (zu) mir“ ins Deutsche wäre an dieser Stelle angebracht gewesen.

_Lockere Unterhaltung_

Trotz dieser Schwachpunkte bleibt unterm Strich ein solider Thriller, der dank seiner lockeren und flüssigen Sprache zwei bis drei Tage unterhaltsames Lesevergnügen bietet. Der Stil der Autorin gleitet munter dahin, ohne an den Leser besondere Anforderungen zu stellen. Es ist das ideale Buch, das man sich abends im Bett genehmigt, wenn man für anspruchsvollere Lektüre bereits zu müde ist. Es ist das ideale Buch, das man auf eine lange Zugfahrt oder mit ins Wartezimmer nimmt. Es ist das ideale Buch, das man trotz glühender Hitze am Strand aufschlägt. Die Sätze sind weder kompliziert noch übermäßig lang, es fallen keine Fremdwörter. Aufgrund der weiblichen Hauptfigur werden sich vor allem Frauen zur Zielgruppe zählen. Aber auch Jugendliche, die erste Thrillererfahrung sammeln wollen, sind mit diesem Roman gut bedient. Sogar zartbesaitete Leser mit empfindlichen Mägen dürfen sich ruhig an die Lektüre wagen, denn obwohl Mrs. Clark im Thrillermilieu zuhause ist, finden sich hier wie in den meisten anderen Werken nur wenige blutige Szenen.

_Fazit:_ Ein leicht verdaulicher Thriller, der vor allem von seiner sympathischen Protagonistin und dem Rätselraten um den Täter lebt. Der solide Gesamteindruck wird leider durch die übertrieben konstruiert verlaufende Mördersuche und die vielen Zufälle, die der Ermittlerin in die Hände spielen, geschmälert. Dank des einfachen und unkomplizierten Stils bleibt ein relativ spannender Roman ohne blutige oder schockierende Szenen, der sich leicht und locker in wenigen Tagen herunterliest.

_Mary Higgins Clark_, geboren 1929, zählt zu den erfolgreichsten Thrillerautorinnen der Welt. 1975 erschien ihr erster Thriller „Wintersturm“, der zum Bestseller avancierte. Seitdem verfasste sie Dutzende von Krimi- und Thrillerromanen, die regelmäßig die Spitzenplätze der Bestsellerlisten belegen.

Charlotte Link – Am Ende des Schweigens

Stanbury ist ein kleines Dorf im Westen von Yorkshire, eine romantische Gegend, in der einst die Bronte-Schwestern zuhause waren. In dem Anwesen Stanbury House verbringen jedes Jahr drei deutsche Ehepaare die Ferien, die Männer sind seit Schulzeiten miteinander befreundet. Patricia Roth ist die Eigentümerin des Anwesens, ihr Mann Leon ist Anwalt, die verwöhnten Töchter Diane und Sophie sind zwölf und zehn Jahre alt. Das zweite Paar bilden der Psychologe Tim und seine depressive Frau Evelin. Relativ neu im Kreis ist Jessica, die erst seit einem Jahr mit Alexander verheiratet ist. Obwohl sie ihn erst nach der Scheidung kennen lernte, steht seine fünfzehnjährige Stieftochter Ricarda ihr rigoros ablehnend gegenüber.

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