Alle Beiträge von Maren Strauss

Camilla Läckberg – Der Prediger von Fjällbacka

Eigentlich müsste diese Besprechung mit ungefähr diesen Worten anfangen: Camilla Läckberg ist das next best thing aus Krimi-Schweden.

Aber da dieser Satz schon in Verbindung mit zu vielen Büchern gefallen ist und ich es beim besten Willen nicht einsehe, ein derartig gutes Buch in eine Schublade zu stecken, lassen wir das lieber und konzentrieren uns auf die eigentlich wichtigen Punkte.

„Der Prediger von Fjällbacka“ ist Läckbergs zweiter Roman nach „Die Eisprinzessin schläft“ und spielt am gleichen Ort und mit den gleichen Personen wie das Debüt.

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Shriver, Lionel – Wir müssen über Kevin reden

Auch wenn es dafür keinen aktuellen Anlass gibt, veröffentlichte der |List|-Verlag im Februar das Buch „Wir müssen über Kevin reden“, welches das Thema Schulmassaker aus einer ungewöhnlichen Perspektive behandelt.

Eva ist das, was man eine emanzipierte Frau nennt. Sie hat ihren eigenen Verlag für Reiseführer aufgemacht, der Marktführer ist, sie hat einen liebenden Mann und ein gutes Leben. Nur eins scheint ihr zu fehlen: ein Kind. Ihr gesamter Freundeskreis ist von der Krankheit Schwangerschaft befallen, und obwohl ihnen das kinderlose Leben sehr bekommt, bekniet sie Franklin, etwas daran zu ändern.

Schnitt. Sechzehn Jahre später setzt sich Eva am Anfang des Buches an den Schreibtisch und schreibt einen Brief an Franklin, in dem sie berichtet, wie ihr Leben jetzt aussieht. Dass sie als normale Angestellte in einem Reisebüro arbeitet, dass sie Angst hat, in den örtlichen Supermarkt zu gehen, dass Mary Woolford sie angezeigt hat.

Diesem Brief folgen viele weitere, in denen sie ihrem Mann die Missverständisse der letzten sechzehn Jahre gesteht und dem Leser Fragezeichen in die Augen zaubert. Immer wieder lässt sie durchschimmern, dass an einem „Donnerstag“ etwas Ungeheuerliches passiert ist, an dem ihr Sohn Kevin schuld war.

Kevin – wie der Titel des Buchs schon sagt, spielt der Junge die Hauptrolle. Kurz vor seinem sechzehnten Geburtstag hat er in seiner Schule in Gladstone mehrere Mitschüler erschossen und sitzt deshalb nun im Jugendgefängnis. Wie immer in solchen Fällen versucht man die Schuld bei den Eltern zu suchen – auch bei Eva, die sich daraufhin vor Gericht rechtfertigen muss.

Doch in ihren Briefen rechtfertigt sie sich letztlich vor sich selbst und offenbart Dinge, die sie vor Gericht nicht hat laut werden lassen dürfen. Dinge wie zum Beispiel Kevins sonderbares Verhalten, das schon bei seiner Geburt beginnt, als er sich weigert, von seiner Mutter gestillt zu werden. Die Abneigung gegen Eva nimmt nicht ab und entwickelt sich mit der Zeit zu Hass. Kevin stellt sich dümmer an, als er ist, doch Franklin übersieht diese Tatsache und nimmt ihn ständig in Schutz, wenn Eva sich darüber beschwert, dass er ihr Arbeitszimmer zerstört hat, oder ihn verdächtigt, Schuld daran zu sein, dass ihre Tochter Celia ein Auge verliert.

Mit der Zeit offenbart sie ein Familienleben, das auf den ersten Blick zwar ganz normal scheint, auf den zweiten aber höchst ungewöhnlich ist. Sie sucht nach Gründen, wie es zu diesem Massaker kommen konnte und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Aufrichtig gegenüber sich selbst und einer schmerzenden Wahrheit erzählt sie Franklin ihre Sicht der letzten sechzehn Jahre.

Evas Monolog geht über 560 Seiten und dafür schafft es die Autorin ausgesprochen gut, den Leser bei der Stange zu halten. Besonders später, wenn man sich dem Massaker nähert und Eva aufhört, jede Erinnerung doppelt und dreifach auszuwalzen, kommt sogar etwas Spannung auf. Die Länge ist das wohl größte Manko von „Wir müssen über Kevin reden“. Normalerweise freut sich ein Buchwurm natürlich über viele Seiten, doch wenn sie sich stellenweise derart in die Länge ziehen, kann er drauf verzichten.

Hierbei fällt außerdem noch Shrivers ausschmückender Schreibstil ins Gewicht. Sie schreibt sehr persönlich aus der Ich-Perspektive in einer guten, klaren Sprache, die jeder versteht und die ein flüssiges Lesen ermöglicht. Allerdings werden Längen noch länger, wenn sie mit viel Ausschweifung und Schmuck versehen sind. Unnötige Details und ein Übermaß an Metaphern, die nicht immer glatt eingebunden sind, trüben das Vergnügen.

Denn davon abgesehen, kann sich Lionel Shrivers Roman durchaus sehen lassen. Die Metaphern stören nicht immer, sondern unterstreichen die interessante Handlung an den meisten Stellen. Die häufige Benutzung der indirekten Rede bringt Vitalität und Farbe ins Geschehen.

Der einzige Kritikpunkt, den ich noch anzubringen habe, bezieht sich auf die Thematik des Buchs. Leider habe ich das Gefühl gehabt, dass die Autorin es sich mit den Schuldzuweisungen etwas zu leicht macht. Richtig gelesen. Wir reden hier über die Autorin, denn schließlich ist sie es, die die Charaktere kreiert, und mit der Darstellungsweise von Kevin bin ich nicht einverstanden. Die Behauptung, dass ein Kind von Geburt an nur Böses im Schilde führen kann, ist mir etwas zu plakativ, zu schwarzweiß gezeichnet. Böses Baby wird zu bösem Killer – das klingt etwas zu sehr nach der amerikanischen Feindbildmafia! Doch nun gut. Es liegt wohl bei jedem Leser selbst, was er darüber denkt. Mich hat diese simple Erklärung für ein Blutbad aber sehr enttäuscht und außerdem verärgert, weil sie es sich ein bisschen zu einfach macht.

Gerade bei einem derart sensiblen Thema kann ich deshalb bei der Bewertung nicht einfach darüber hinwegsehen. Zusammen mit den Längen und dem ab und an zu ausschmückenden Schreibstil ist „Wir müssen über Kevin reden“ trotz der ganzen Lobeshmynen nur ein durchschnittliches Buch in meinen Augen. Thematik und Perspektive sind durchaus interessant, aber der Umgang damit missfällt. Schade.

Curley, Marianne – Hüter der Zeit, Die

Die Australierin Marianne Curley verbindet auch in ihrem zweiten Buch der „Zeithüter“-Reihe Geschichtliches mit der Gegenwart, doch stellt sie dem jungen Ethan diesmal eine Mitstreiterin an die Seite.

Ethan wirkt nach außen vielleicht wie ein ganz normaler Junge, doch auf seinen Schultern lastet eine schwere Aufgabe. Er ist ein Zeithüter, das bedeutet, er ist mit magischen Kräften ausgestattet, die es ihm erlauben, zurück in die Zeit zu reißen und dort einzugreifen. Die Gegenspieler der Zeithüter, die Göttin Chaos und ihr Gefolge, versuchen nämlich, Verderben in die Welt zu bringen, indem sie bestimmte historische Ereignisse ändern. Die Auswirkungen auf die Gegenwart wären in jedem Fall enorm, deshalb müssen Ethan und seine Wachen immer auf der Hut sein.

Dieses Jahr wird Ethan eine große Ehre zuteil. In seiner Karriere als Wächter erklimmt er die nächste Stufe und bekommt eine Schülerin an seine Seite gestellt. Erschrocken stellt er fest, dass es sich dabei um Isabel handelt, die Schwester seines einst besten Freundes Matt, der sie wie ein Augapfel hütet. Damals hat ein Mädchen die beiden Freunde auseinander gebracht und natürlich ist es Matt nicht besonders recht, als Ethan plötzlich jeden Tag mit Isabel an einem „Geschichtsprojekt“ arbeitet.

Trotzdem schafft er es, das kluge Mädchen zu einer Heilerin auszubilden und sie auf die Missionen, also die Zeitreisen, vorzubereiten. Am Anfang sind es harmlose, kleine Aufträge, doch plötzlich kommt der Riese Marduke ins Spiel, der vor über zehn Jahren Ethans große Schwester umgebracht hat. Er träumt, wie Marduke Isabel in seine Gewalt bringt, doch Marduke erweist sich als ausgesprochen reale Bedrohung und plötzlich ahnt Ethan, dass es mit dem veränderten Verhalten seines Vaters seit dem Tod seiner Tochter etwas ganz anderes auf sich haben könnte. Schließlich kommt es zur all entscheidenden Schlacht …

„Bildgewaltige Verquickung von Fantasy und Geschichte […]“, behaupten die Westfälischen Nachrichten auf dem Buchumschlag, doch davon ist nicht wirklich viel zu spüren. Aufgrund der spartanischen Beschreibungen von Situationen und Orten verkommt die Geschichte mehr als Mittel zum Zweck und ist zu wenig ausgebaut, um als eigenständige Komponente durchzugehen.

Möglicherweise ist das aber nicht zum Schaden des Buches, denn das Weglassen von Nebenhandlungen und großartigen Ausführungen lässt „Die Hüter der Zeit“ zu einem geradlinigen, spannenden Jugendfantasybuch ohne viel Handlungstiefe werden. Der Verzicht auf kompliziert aufgebaute und durchkomponierte Welten kann zur Abwechslung mal sehr entspannend sein. Abgesehen von einigen Längen am Anfang und dem Fehlen eines wirklichen Höhepunkts, der stattdessen durch nhaltende Spannung auf hohem Niveau ersetzt wird, lassen sich die knapp 400 Seiten flüssig lesen und erfreuen durch Kurzweil.

Ein kleines Manko ist jedoch die Uneigenständigkeit von Curleys Literatur. Sie schreibt zwar auf hohem Niveau, doch ein wirklich eigener Stil möchte sich nicht einstellen. Der fehlende Handlungstiefgang lässt das Buch stellenweise sehr an der Oberfläche schwimmen, obwohl die Autorin anhand der beiden Ich-Erzähler-Perspektiven das Gegenteil bewirken möchte. Der knappe, schön schildernde Erzählstil legt viel Wert auf Gedanken und Gefühle von Isabel und Ethan. Schülerin und Ausbilder für diese Perspektiven zu benutzen, ist sicherlich ein geschickter Schachzug, doch leider fehlt es den beiden an Individualität in Bezug auf Persönlichkeit und Stil. Das ist stellenweise sehr verwirrend und manchmal fällt der Übergang von einer zur anderen Ich-Perspektive schwer.

Die massenhaft benutzte rhetorische Frage zur Auflockerung und Darstellung von extremen Gefühlen nutzt sich schnell ab und stört das Lesevergnügen an einigen Stellen empfindlich. Gleiches gilt für die Dialoge, die seltsam hölzern, manchmal geradezu gekünstelt wirken. Das mag eventuell auch an der Übersetzung liegen, aber sie schwächen das eigentlich positive Gesamtbild.

Doch es gibt nicht nur Negatives zu sagen. In der Summe ist „Die Hüter der Zeit“ ein gutes, aber nicht herausragendes Buch, dessen Handlung sich sehen lassen kann. Die fehlende Eigenständigkeit ist ärgerlich, doch für ein leichtes Lesevergnügen ist das Buch durchaus geeignet. Und zwar nicht nur für Jugendliche.

http://www.dtv.de

Sarah Kuttner – Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens

Man kann sie lieben oder hassen, aber man kann ihr ihren Erfolg nicht absprechen. Sarah Kuttner hat es geschafft. 2001 begann sie ihre Fernsehlaufbahn als lausige |Viva|-Moderatorin zwischen lauter pseudowitzigen, jungen Menschen, doch konnte sie sich schon bald durch ihre freche Art von den anderen – und vom Image des Senders – absetzen. 2004 bekam sie schließlich ihre eigene Show, die nach der Fusion mit |MTV| dort ihren Platz fand und seit Herbst unter dem Titel „Kuttner.“ dienstags und donnerstags läuft. Außerdem moderierte die siebenundzwanzigjährige Ostberlinerin 2004 den deutschen Vorentscheid des „European Vision Song Contest“ und hat im letzten Jahr bereits zum zweiten Mal ihre eigene Revue „Kuttner on Ice“ zelebrieren dürfen.

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Blazon, Nina – Bund der Wölfe, Der

Nina Blazon war bisweilen nur als Fantasyautorin (und Wolfgang-Hohlbeinpreisträgerin) bekannt, doch mit „Der Bund der Wölfe“ gibt die Stuttgarterin ihr Thrillerdebüt.

Auch dieses Mal schreibt sie für Jugendliche. Blanka, die sechzehnjährige Protagonistin, bekommt ein Stipendium für eine hochangesehene Europa-Schule, in der sich Schüler aus ganz Europa tummeln. Trotz der Modernität hat sich seit dem Mittelalter eine Verbindung namens „Die Wölfe“ gehalten, ältere Schüler, die Blanka von Anfang an nicht besonders zu mögen scheinen. Als sie Opfer einer Mutprobe wird, stößt sie auf eine Frau, die wegen eines Treppensturzes gestorben ist. So sagt es jedenfalls die Zeitung, denn Blanka ist fest davon überzeugt, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Im Internat trifft sie allerdings nur auf verschlossene Ohren. Dort möchte niemand etwas von einem Mord wissen. Nur Niklas, ein Student der nahen Universität, glaubt ihr, denn auch er hat seine Probleme mit den Wölfen. Genau wie bei Blanka verschwinden seine Arbeitsblätter, Noten werden gefälscht und er wird bedroht. Zusammen kommen sie einer Verschwörung auf die Spur, die ihre Wurzeln im Mittelalter hat und die, wie es scheint, mehr mit Blanka zu tun hat, als sie ahnt …

Mit der Erzählperspektive eines gewissen „Es“ schafft Blazon es gleich zu Anfang, eine gewisse Spannung aufzubauen, die im Laufe des Buches wieder etwas abflacht. Trotz einiger Actionelemente ist der Plot stellenweise sehr zäh, da er viel Zeit mit Blankas trockenen Recherchen zu den Hexenprozessen verliert. Zudem fehlt ein authentischer Auslöser, wieso Blanka überhaupt mit den Ermittlungen beginnt. Die bloße Ahnung, dass an diesem Fall etwas nicht stimmen kann, reicht nicht aus, wenn man bedenkt, dass Blanka sich auch sonst sehr von ihrer Umwelt abschottet. Hinzu kommen einige voreilige Entschlüsse und Ungereimtheiten, die nicht ganz in die sonst glatte Struktur der Handlung passen wollen. Denn allen Kritikpunkten zum Trotz ist „Der Bund der Wölfe“ ein richtiger Pageturner.

‚Schuld‘ daran ist Blazons fantastischer Schreibstil, der mich schon in ihren Fantasybüchern gefesselt hat. Man merkt, dass sie als Journalistin arbeitet, denn sie besitzt die großartige Fähigkeit, mit sehr wenigen Worten einen Sachverhalt punktgenau darzustellen. Das fällt vor allem immer wieder in Bezug auf ihre Beschreibungen von Schauplätzen und Zuständen auf.

|“An ihrem Leseplatz in der Bibliothek hatte Blanka ein Gebirge von Büchern aufgebaut. Zwischen den Seiten ragten gelbe Post-its hervor.“| (Seite 58)

|“Blanka kam es so vor, als würde ihre Mitbewohnerin den Geruch nach Magnesiumpulver und dem abgegriffenen Leder der Bälle aus dem Sportraum noch mit sich tragen.“| (Seite 31)

Die Autorin benutzt für derartige Schachzüge ab und an eine sehr bildreiche Sprache, die mich in ihren Fantasyromanen oft gestört hat, doch in „Der Bund der Wölfe“ trifft sie mit ihren Metaphern und Vergleichen zumeist zielsicher ins Schwarze.

|“Frau Lallemande runzelte die Stirn. Blanka hatte das Gefühl, dass sie ihre Worte analysierte, sie in Gedanken gegen das Licht hielt und hin und her wendete wie ein Arzt, der ein Röntgenbild betrachtet.“| (Seite 20)

Das Gleiche gilt für die Beschreibungen der Charaktere, die allesamt sehr gut und sehr tief ausgearbeitet sind. Sie wirken authentisch und nicht stereotyp und sind trotz ihrer Schwächen sympathisch. Blanka ist zum Beispiel eigentlich eine Streberin. Sie ist sehr zielstrebig, was ihren späteren Traumberuf Psychologin angeht, und geht dafür im übetragenen Sinne über Leichen. Aufgrund eines Geheimnisses in ihrer jüngsten Vergangenheit benimmt sie sich sehr schroff und abweisend gegenüber ihren Mitmenschen und schafft sich mit ihrer bissigen Schlagfertig nicht nur Freunde.

Doch ein hervorragender, nüchterner Schreibstil und gut ausgearbeitete Figuren machen noch lange kein gutes Buch. Zwar ist die Handlung eine geradlinige Angelegenheit, doch einige kleine Fehler wie die Ungereimtheiten und die zähen Längen, die durch Blankas Nachforschungen in Büchern entstehen, sorgen dafür, dass sie qualitätstechnisch nicht über den Durchschnitt hinauskommt. Trotz allem hat Nina Blazon allerdings gezeigt, dass sie nicht nur Fantasy, sondern auch Realitätsliteratur schreiben kann, ohne die beiden Genres dabei in irgendeiner Weise zu vermischen. Einziger gemeinsamer Nenner bleibt ihr hervorragender Schreibstil.

http://www.patmos.de

Nina Blazon – Im Reich des Glasvolks (Woran-Saga 3)

Band 1: [„Im Bann des Fluchträgers“ 2350
Band 2: [„Im Labyrinth der alten Könige“ 2365

Mit „Im Reich des Glasvolks“ beendet Nina Blazon ihre Worantriologie und geht dabei den Weg weiter, den sie bereits mit dem zweiten Band eingeschlagen hat. Auch dieses Mal halten wir keine direkte Fortsetzung in den Händen, sondern ein eigenständiges Buch, das zwar auf die anderen Bücher Bezug nimmt, aber einige Jahre später spielt.

Erneut hat ein Generationenwechsel stattgefunden. Die Hauptperson in diesem Buch ist zum ersten Mal weiblich und die Tochter von Julin und Haliz, die in „Im Labyrinth der alten Könige“ die Protagonisten waren. Jonnvinn, so der Name ihres ältesten Kindes, wird seit geraumer Zeit von Albträumen gequält, in denen wiederholt ihre kleine Schwester Nive, die eine Ausbildung als Glasmacherin im Nachbarland Fiorin macht, stirbt. Sie spürt, dass ihre Schwester in Gefahr ist und an dem Tag, an dem Ravin va Lagar und Amina, Jonns Großeltern, gekrönt werden, reitet sie spontan nach Ganarr. Zusammen mit Karis, dem Pferdeknecht, der unsterblich in Nive verliebt ist, wollen sie die Glasmacherin auftreiben, doch als sie ihre Werkstatt erreichen, erfahren sie, dass die junge Frau vor wenigen Tagen in die Wüste aufgebrochen ist. Sie versucht dort, das legendäre Volk im Glas zu befreien und will dabei auf Kräfte zurückgreifen, die seit Generationen in ihrem Blut schlummern. Dabei tritt sie einen Wüstenkrieg los und bugsiert ihre große Schwester zwischen die Fronten …

„Im Reich des Glasvolks“ beginnt eigentlich sehr spannend. Jonn erwacht schweißgebadet aus ihrem Albtraum und der Leser ahnt, dass hier etwas auf ihn zukommt. Er hofft es jedenfalls, denn schließlich hat Frau Blazon ihn in ihren anderen Büchern, was Spannung und geradlinige Handlungen angeht, sehr verwöhnt. Doch leider wird er dieses Mal enttäuscht. Die Handlung ist dieses Mal übereilt und scheint kein wirkliches Ziel zu haben. Ihr fehlen Hand und Fuß und sie weist einige Unebenheiten auf, die das Wohlbefinden stören. Durch ständige Orts- und Personenwechsel kommt unglaublich viel Unruhe in die Geschichte und es entsteht der Eindruck eines ziemlichen Durcheinanders. Das wundert, weil Blazon sonst immer ein sicheres Händchen für ihre Plots bewiesen hat, doch dieses Mal zittert sie deutlich. Auch die Längen in der Mitte passen so gar nicht zu den ersten beiden Bänden der Woransaga. Besonders auf den ersten, „Im Bann des Fluchträgers“, wird in diesem Buch Bezug genommen. Vor allem am Anfang werden immer wieder Geschichten von Ravins Abenteuer erzählt, so dass manchmal der Eindruck einer Nacherzählung aufkommt und die Eigenständigkeit verloren geht.

Auch die Charaktere bleiben dieses Mal etwas hinter den Erwartungen zurück. Jonn und Karis, die einen Großteil des Buches bestreiten, wirken seltsam oberflächlich und eindimensional. Ihre Persönlichkeit kommt kaum zum Ausdruck und dementsprechend schwer fällt es dem Leser, sich mit ihnen zu identifizieren. Anders sieht es da mit Nive aus. Sie weist immerhin einige klar abtrennbare Wesenszüge auf, doch hinterlassen diese leider einen unauthentischen Eindruck. Ihre Fixierung auf das Glasvolk wirkt sehr unreal, wodurch der Eindruck von Schwarzweiß-Zeichnung bei den Schwestern entsteht.

Der Schreibstil ist dagegen der Gleiche geblieben. Immer noch schafft es Blazon, ein buntes, lebendiges Bild ihrer gut durchdachten Welt zu zeichnen, ohne dabei zu viele Worte zu verschwenden. Das zeigt sich besonders, wenn es darum geht, Spezialitäten ihrer Fantasywelt einzuführen. In den meisten Fällen geschieht dies so gut wie gar nicht. Der Leser erschließt sich die Tiere und Pflanzen durch den Kontext, was in diesem Buch reibungslos verläuft. Während in den ersten beiden Bänden an einigen Stellen die Erklärungen gefehlt haben, werden sie im dritten Woranbuch dadurch gegeben, dass Jonn ebenfalls fremd in Fiorin ist. Leider greift die Autorin aber auch dieses Mal sehr oft zu unkonventionellen Metaphern und Vergleiche, die stellenweise etwas krumm geraten. „In der Morgendämmerung erschien die Wüste schmucklos wie eine Tänzerin, die ihr glänzendes Kleid noch nicht angelegt hatte.“ (Seite 218) ist nur ein Beispiel der dezenten Störfaktoren.

Nachdem ihr Debüt „Im Bann des Fluchträgers“ ihr nicht nur viel Lob, sondern auch den Wolfgang-Hohlbeinpreis eingehandelt hat und der Folgeband „Im Labyrinth der alten Könige“ dem Erstling kaum nachstand, wundert es, dass sich „Im Reich des Glasvolks“ als mittelmäßiges Fantasybuch outet. Die Handlung ist für Blazon’sche Verhältnisse sehr ungeordnet und lässt nicht nur einen straffen Handlungsstrang, sondern auch die Spannung missen. Der Schreibstil überzeugt zwar nach wie vor und präsentiert sich lebendig und farbenfroh wie eh und je, die Personen dagegen sind sehr blass geraten. Ein müder Abschluss für die Woransaga.

Blazon, Nina – Im Labyrinth der alten Könige (Woran-Saga 2)

Nina Blazons Fantasydebüt [„Im Bann des Fluchträgers“ 2350 war nicht nur der Sieger des Wolfgang-Hohlbein-Preises 2002, sondern auch der Beginn der so genannten Worantriologie. „Im Labyrinth der alten Könige“ ist der Fortsetzungsband, allerdings spielt er viele Jahre nach Ravins und Darians gefährlicher Reise nach Skaris und hat auch eine ganz andere Hauptfigur.

Der rothaarige, musikliebende Zauberlehrling Julin darf Darian Danalonn, der mittlerweile ein legendärer Zauberer ist, auf seiner Reise nach Lom, das Land der Bergwerke, begleiten. Ihre Reise gestaltet sich weniger angenehm als erwartet, denn bereits vor den Stadtmauern werden sie von einer Horde Rebellen angegriffen, die sie, wie es scheint, fangen wollen, um ein Lösegeld zu erpressen. Die Stadtwachen von Lom können das jedoch verhindern und geleiten ihre Gäste sicher in die prächtige Stadt, wo Darian zusammen mit dem Magierzirkel von Lom einen Goldmacher kennen lernen soll, der behauptet, aus Steinen Gold machen zu können. Während dieser Vorführung kommt es zu einem tragischen Zwischenfall, bei dem Darian getötet wird, und obwohl ihn die Trauer fest im Griff hat, muss Julin bald feststellen, dass irgendjemand sein Spiel mit ihm zu treiben scheint. Der tote Darian ist nichts weiter als ein freigekaufter Minensklave, das heißt, dass sein Meister noch irgendwo in Lom sein muss. Zusammen mit der Jägerin Fenja und der Halbworan Haliz – der Tochter von Ravin und Amina – macht er sich auf die nicht ungefährliche Suche, denn in den Bergwerken Loms gelten andere Regeln als in der feinen, reichen Stadt. Kaum hat Julin sich versehen, wird er unschuldig in die Sklaverei verkauft und muss untertage schwer schuften. Das ist allerdings ein Glücksfall für ihn, denn sonst hätte er das Zeichen, das Darian in die Wand eines Stollens geritzt hatte, nie gesehen …

Was Nina Blazon mit „Der Bann des Fluchträgers“ begonnen hatte, wird in diesem Buch fortgesetzt. Auch dieses Mal erschafft die Autorin eine geradlinige Handlung mit viel Spannung, die sich nicht an nutzlosen Nebenhandlungen aufhält und trotzdem enorm viel Tiefe und Platz für das Gefühlsleben ihrer Protagonisten hat. Dieses positive Gesamtbild eines absoluten Pageturners wird eigentlich nur dadurch gestört, dass die Protagonisten in Bezug auf die Handlung an einigen wenigen Stellen zu voreiligen Schlüssen neigen, die nicht so ganz nachzuvollziehen sind.

Dem Leser des ersten Bandes wird die Welt, in der das Buch spielt, noch wohlbekannt sein, auch wenn es dieses Mal in ein anderes Land geht, aber der Quereinsteiger muss sich auch keine Sorgen machen. Durch den Generationenwechsel in der Besetzung lässt sich „Im Labyrinth der alten Könige“ unabhängig vom ersten Band der Triologie lesen. Man mag sich zwar zuerst wie ein unbeachteter Gast vorkommen, wenn man in diese zauberhafte, wunderbar durchdachte Welt mit Ecken und Kanten, Gebietsspezialitäten und kaum einem der unsrigen Welt ähnlichen Tiere oder Pflanzen betritt, da es sehr oft an direkten Beschreibungen von Ranjögs und Jalafrüchten mangelt, doch dies ist normal. Bereits im ersten Buch verzichtete Blazon weitgehend auf Erläuterungen zu den von ihr erdachten Tieren und Pflanzen, so dass der Leser sich diese selbst aus dem Kontext erschließen musste. Das ist auf der einen Seite ein geschickter Schachzug, weil dadurch die Fantasie des Lesers gefordert ist, auf der anderen Seite ist es aber auch bisschen schade, weil dadurch ab und zu Fragezeichen bleiben, wo eigentlich keine sein sollten.

Keine Fragezeichen bleiben bei den Personen, denn diese sind nicht nur wunderbar ausgearbeitet, sondern auch wunderbar authentisch. Wie auch im ersten Band schafft Blazon es erneut, einen Helden zu schaffen, der eigentlich keiner ist. Den Antihelden mimt Julin allerdings auch nicht. Er ist ein ganz normaler Junge (so weit man das bei einem angehenden Magier eben sagen kann), der sich selbst nicht besonders hübsch findet und manchmal ein bisschen arrogant ist, wenn er unter Druck steht. Er ist ziemlich mutig ohne dabei zu heldenhaft zu wirken. Julin ist auffallend menschlich, was im Fantasygenre leider nicht an der Tagesordnung steht. Auch die anderen Charaktere sind sehr authentisch gelungen.

Die bereits erwähnte Geradlinigkeit der Handlung setzt sich in Blazons Schreibstil fort, der es schafft, mit wenigen, einfachen Worten ein buntes Bild zu zaubern. Die Autorin verliert nur wenige unnötige Worte und schafft es, ohne Umwege auf den Punkt zu kommen. Sie verfällt dabei nicht in diese schwülstige Fantasysprache, sondern bleibt angenehm nüchtern. Allerdings benutzt Blazon neuerdings vermehrt unkonventionelle Metaphern, die nicht immer gelungen sind. „Als er sah, wie sie mit dem Eintreiber lachte, fühlte er plötzlich, wie in ihm ein kleines gelbäugiges Tier namens Eifersucht erwachte.“ (Seite 140) ist nur eine von ein paar eher missratenen Textstellen, die zwar selten, aber trotzdem störend sind.

„Im Labyrinth der alten Könige“ ist auf jeden Fall erneut ein überdurchschnittliches Buch aus der Feder der in Stuttgart lebenden Autorin. Allerdings kommt sie an den Esprit ihres Erstlings nicht ganz heran. Kleine Schwächen in Handlung und Schreibstil, die aber nicht wirklich ins Gewicht fallen, sind schuld daran, dass das Buch an einigen Stellen eher zum Stirnrunzeln als zum Weiterlesen einlädt.

Rainer M. Schröder – Die Bruderschaft vom Heiligen Gral (Der Fall von Akkon)

Um den Heiligen Gral, das Gefäß, das angeblich ewige Junge und Stärke verleiht, rankt sich eine Vielzahl von Legenden, die Künstler zu allen Zeiten beflügelt haben. Im Jahr 2004 sendete |Pro Sieben| zum Beispiel den aufwändigen Hohlbein-Zweiteiler „Das Blut der Templer“, der die Sage um den Kelch ins heutige Zeitalter versetzte.

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Blazon, Nina – Im Bann des Fluchträgers (Woran-Saga 1)

Nina Blazon gehört zu den vielversprechendsten Namen in der deutschen Fantasylandschaft. Kein Wunder also, dass sie bereits für ihr Debüt den Wolfgang-Hohlbein-Preis des |Ueberreuter|-Verlags abgesahnt hat. Und das zu Recht!

Blazon hat eine sehr schöne, nüchterne Art, ihre Geschichten in Worte zu fassen, ohne dabei in den weit verbreiteten, schwülstigen Fantasyslang zu verfallen oder bei den Charakteren zu dick aufzutragen. Letztere sind angenehm authentisch, auch wenn das auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen seltsam klingt; schließlich spielt das Buch in einer Fantasywelt, die sich so sehr von der unsrigen unterscheidet, dass die Autorin jedem Strauch, jedem Tier einen eigenen Namen gegeben hat. Da gibt es so genannte Jalafrüchte oder Tjärgpferde, die sich ihren Reiter selbst aussuchen und der Legende nach aus Schaumkronen geboren wurden. Blazon hat ihre Welt perfekt durchkomponiert und geht sehr selbstverständlich damit um. Sie erläutert zum Beispiel nicht, worum es sich bei den uns fremden Begriffen handelt, sondern lässt sie sich selbst durch ihre Handlungen und Eigenschaften erklären. Das hat natürlich manchmal den Nachteil, dass der Eindruck eines Ranjögs nur oberflächlich bleibt, doch in den meisten Fällen gelingt dieser Geniestreich.

Die Charaktere von „Im Bann des Fluchträgers“, dem ersten Band der Woran-Triologie, stehen der Welt im Bezug auf Tiefe in nichts nach. Die Hauptperson des Buches, der junge Waldmensch Ravin, ist weder ein Held noch ein Antiheld, sondern ein angenehm normaler Junge mit viel Mut. Als sein älterer Bruder Jolon, ein Shanjaar (Heiler), auf einmal in eine tiefe Bewusstlosigkeit fällt, nachdem er einen gefährlichen Kristall in die Hand genommen hat, versucht er alles, um den Älteren zu retten. Er reitet zu Gislans Burg, wo die Königin des Landes residiert, und bittet ihre Hofshanjaar um Hilfe. Doch diese können Jolon auch nicht helfen. Nur Laios, der Älteste, macht dem Jungen Hoffnung, indem er ihm von der magischen Quelle der Skaardja erzählt. Obwohl es sich dabei mehr oder weniger um ein Märchen handelt, bricht Ravin mit dem ungeschickten Zauberlehrling Darian an der Seite in das ferne und gefährliche Land Skaris auf. Auf dem Weg dorthin stoßen sie auf die Jerriks, ein Volk von Flüchtigen, das sich im Wald versteckt und vom herrschsüchtigen Badok gejagt wird. Obwohl die Jerriks ein dunkles Geheimnis vor ihnen zu verbergen scheinen, schließen sie sich deren Lager an. Wenig später werden sie von Badok und seinen Reitern überfallen und in dessen Burg verschleppt. Obwohl nur zu zweit, wollen Ravin und die junge Halbworan Amina (eine Woran ist eine düstere Kreatur, eher Tier als Mensch und im Besitz von dunklen Kräften), deren Verwandlung noch nicht komplett ist, ihre Freunde retten. Doch als sie Badoks Burg erreichen, müssen sie feststellen, dass nicht nur die Jerriks in Gefahr sind, sondern das ganze Land und dass sie auf dem schnellsten Weg die Königin warnen müssen …

Blazons größter Pluspunkt ist ihre Geradlinigkeit. Sie erzählt ohne viel schmückendes Beiwerk oder unnötige Einzelheiten ihre Geschichte, und gerade dadurch gelingt es ihr, ungeheuer viel Spannung aufzubauen. „Im Bann des Fluchträgers“ ist ein Pageturner erster Güte, der einen so schnell nicht mehr loslässt. Es macht aber auch einfach Spaß, dieses Buch zu lesen, schon alleine wegen des bereits gelobten Schreibstils, der kein Wort zu viel verliert und trotzdem ein sehr lebendiges, buntes Bild der gut durchdachten Fantasywelt abgibt.

Ist das wirklich das Debüt?, wird man sich während der Lektüre fragen, denn so souverän wie die Autorin mit Inhalt, Personen und Sprache umgeht, will man das gar nicht glauben. Manche Schriftsteller müssen jahrelang schreiben, um so gut und vor allem so locker und selbstverständlich ihr Handwerk zu beherrschen. Eine Eins mit Stern, Frau Blazon!

http://www.ninablazon.de
[Fantasy bei Ueberreuter]http://www.ueberreuter.de/ueberreuter/index.php?usr=&phd=4&content=22

Grangé, Jean-Christophe – schwarze Blut, Das

|“Beginne nie eine Brieffreundschaft mit einem Serienkiller. Sobald er frei ist, wird er dich kennen lernen wollen…“|

Ein schlauer Ratschlag, den uns der |Ehrenwirth|-Verlag zum Roman des französischen Bestsellerautors Jean-Christophe Grangé mit auf den Weg gibt. Der Journalist Mark Dupeyrat hätte sich wohl auch besser an den Ratschlag gehalten, als ihm während seiner Recherchen in dem Fall Jacques Reverdi jemand den Tipp gab, dass nur eine Frau Reverdi sein Geheimnis entlocken könnte.

Reverdi, früher ein viel umjubelter Champion im Freitauchen, arbeitet seit seinem Rückzug aus dem Sport als Tauchlehrer in Asien. Eigentlich ist er unauffällig, doch die Fischer des kleinen Dörfchens Papan in Malaysia überraschen ihn eines Tages, als er gerade dabei ist, eine junge Touristin auf bestialische Art zu töten: Er lässt sie in einem luftleeren Raum ausbluten.

Nun wartet Reverdi in einem malaysischen Gefängnis darauf, zum Tode verurteilt zu werden, und Mark, der wittert, dass Reverdi seine Frage nach dem „Gesicht des Bösen“ beantworten kann, beginnt eine Brieffreundschaft mit dem eiskalten Mörder, indem er sich die Identität einer jungen Psychologiestudentin schafft. Sie schreibt an Reverdi, weil sie ihn zum Thema ihrer Diplomarbeit machen möchte, und trotz anfänglicher Skepsis gelingt es Mark, einen regen Kontakt zustande zu bringen. Er merkt dabei nicht, dass Reverdi ein perfides Spiel mit ihm spielt. Beinahe naiv folgt er seinen Anweisungen, als Reverdi ihn nach Asien dirigiert, damit er dort die Spur seiner blutigen Verbrechen nachvollziehen kann. Er füttert Mark mit kleinen Häppchen und es kommt zu einer Art Detektivspiel, das ein schlimmes Ende nimmt, als Reverdi sich eines Tages befreien kann. Denn nun ist nicht nur Mark in Gefahr, sondern auch das junge Model Khadidscha, dessen Foto er Reverdi geschickt hat, denn selbiger ist schon längst auf dem Weg nach Paris …

Was sich wie ein spannender Thriller anhört, ist auf weiten Strecken leider ziemlich vorhersehbar. Es ist klar, dass Mark mit dem Feuer spielt, doch anstatt sein Hauptaugenmerk darauf zu legen, erzählt der Autor Dreiviertel des Buches davon, wie der Kontakt zustande kommt und von Marks Reise entlang der „schwarzen Linie“. Dadurch geht eine Menge Spannung verloren, denn der Leser ahnt von Anfang an, worauf das Buch hinauslaufen wird.
Es geht also viel um das Motiv Reverdis, doch selbst dieses ist nicht besonders spannend und klingt wirklich sehr psychopathisch. Am Ende gelingt es Grangé durch eine überraschende Wendung für einen kurzen Moment Spannung aufzubauen, doch diese verflüchtigt sich zu schnell, denn auch über dieser Wendung liegt ein Hauch Irrealität, mit dem ich mich überhaupt nicht anfreunden konnte.

Dabei hatte alles sehr gut angefangen – nämlich in medias res. Der Leser wird anhand Reverdis Perspektive Zeuge, wie die Fischer ihn zusammen mit der halbtoten Frau in der luftleeren Bambushütte entdecken. Dadurch, dass der Mörder selbst nicht ganz bei Sinnen ist, wirkt dieses erste Kapitel sehr konfus, aber schmerzhaft authentisch. Es wird auf lange Erklärungen verzichtet, der Autor wirft nur ein paar Köder aus, die das Interesse wecken. Man möchte erfahren, was da los ist. Ist Reverdi Opfer oder Täter und was hat er überhaupt für eine Rolle in diesem Buch?

Im Gegensatz zu diesem kargen Anfang steht der Rest des Buches, der in einem dichten, flüssigen Stil geschrieben ist, der sehr viele ausschweifende Geschichtchen einwebt. Die beiden Protagonisten Mark und Khadidscha werden zum Beispiel gleich bei ihrem ersten Auftauchen zusammen mit ihrer Biografie vorgestellt. Wider Erwarten bekommt das Buch dadurch keine Längen, da Grangé seinen Charakteren viel Tiefe verleiht und einige ihrer Wesenszüge durch die Vergangenheit erklärt werden müssen.

Doch gut ausgearbeitete Charaktere alleine machen einen Roman, der sich Thriller nennt, leider nicht aus. Dazu gehören auch noch einige andere Dinge, vor allem Spannung, doch gerade das ist der Knackpunkt. Das Buch weist in dieser Hinsicht eine entscheidende Länge auf, und das ist die Suche nach dem Motiv Reverdis, die zwar interessant, aber nicht besonders spannend ist. Dadurch sind überraschende Wendungen stark nach hinten verlagert und zum großen Teil vorhersehbar. Das Ende weiß zwar noch einmal zu überzeugen, kann das Ruder aber natürlich nicht mehr herumreißen.

Deshalb ist „Das schwarze Blut“ in meinen Augen ein eher durchschnittlicher Thriller, dessen Stärken die Protagonisten und der Erzählstil sind.

Stine, R. L. – Kuss des Vampirs, Der

R. L. Stines Gruselreihe „Gänsehaut“ ist mittlerweile Kult und er damit einer der erfolgreichsten Kinderbuchautoren geworden. Sein neuester Roman „Der Kuss des Vampirs“ orientiert sich an einem etwas älteren Publikum, dem der Teenager.

Die Protagonistin des Buchs ist die sechzehnjährige Destiny Weller, ein ganz normales amerikanisches Mädchen, das zusammen mit seiner Zwillingsschwester Livvy in einem Sommerferiencamp als Betreuerin gearbeitet hat. Sie haben dort jede Menge Spaß gehabt und viele Leute kennen gelernt. Besonders Renz, der Oberbetreuer mit dem charmantem Schlafzimmerblick und dem leichten italienischen Akzent, hat es den beiden angetan. Was sie nicht wissen: Renz ist ein Vampir, der nach dem Tod seiner einzigen und großen Liebe Laura auf der Suche nach einem Ersatz ist. Was für einem Ersatz, ahnen die Weller-Zwillinge erst, als sie sich zu Hause plötzlich eigenartig benehmen. Eines Nachts saugen sie gemeinsam wie von Sinnen einem Kaninchen das Blut aus. Der Schreck sitzt tief, doch die beiden können nichts dagegen tun. Doch sie sind noch keine richtigen Vampire, sondern nur Neophyten, das heißt, beim nächsten Vollmond entscheidet sich ihr Schicksal. Wenn sie an diesem Tag das Blut eines echten Vampirs trinken, wird ihre Verwandlung komplett sein, sollte dies nicht geschehen, werden sie zu wahnsinnigen Untoten.

Währenddessen müssen sie natürlich vor ihren Freunden und Familie verbergen, was mit ihnen los ist, was zu komplizierten Verwicklungen führt, denn ihr Bluthunger ist unkontrollierbar, und dann stellt sich auch noch heraus, dass einige ihrer Freunde Mitglieder der Vampirjäger sind. Destiny hört etwas von einem Restaurator, der sie vor ihrem Schicksal retten könnte. Doch wer ist dieser Restaurator? Ist es etwa der süße Berufsberater aus dem College, der mit den dunklen Locken und dem leichten italienischen Akzent?

In rasantem Tempo erzählt Stine die Geschichte zweier unterschiedlicher Mädchen, die plötzlich durch ihr grausames Schicksal verbunden werden. Spannung kommt vor allem dadurch in die Handlung, dass neben dem persönlichen Schicksal der Schwestern auch der Wohnort der beiden, Dark Springs, angesprochen wird. Hier treiben sich nämlich seit einiger Zeit Wesen herum, die Waldtiere töten und sie blutleer liegen lassen. In den Nachrichten geht man erst von einem Virus aus, dann von einem Geistesgestörten, der unter anderem Livvys Freundin Bree auf dem Gewissen habe. Trotz dieser Tatsachen in den Medien formieren sich im Ort die Vampirjäger, die den Schwestern im Nacken sitzen.

Die Spannungskurve dieses Buches ist enorm, ein richtiger Pageturner, denn neben der angenehmen Tatsache, dass nicht alles glatt läuft und nur auf wenige Klischees zurückgegriffen wird, ist es vor allem der extrem straffe Plot, der wenig Platz zum Atmen lässt und dadurch keinerlei Längen aufweist. Stine setzt auf wenig schmückendes Beiwerk und reduziert Gefühlsäußerungen und Gedanken sowie Beschreibungen auf ein Minimum, so dass die Geschichte an vielen Stellen von Dialogen getragen wird.

Der Schreibstil ist klar, leicht verständlich und ebenso knapp und prägnant wie der Aufbau der Geschichte. Er weist kaum wirkliche Eigenheiten auf, aber das ist nicht weiter schlimm, denn auch das kann ein geschickter Schachzug sein, wie „Der Kuss des Vampirs“ beweist. Zwar wird der Roman durch seine Schnelligkeit etwas oberflächlich, andererseits konzentriert er sich damit hauptsächlich auf die Handlung und verhindert Langatmigkeit.

R. L. Stines Roman ist ein rasantes Bündel Spannung, das mit wenig Worten auskommt, dafür aber auch keinerlei Längen aufweist. Sicherlich keine große Literatur, aber ein wirklich nettes und gruseliges Jugendbuch.

Marzi, Christoph – Lycidas

„Originell“ ist ein Wort, das man heutzutage nicht mehr so leicht in den Mund nehmen kann, wenn es um phantastische Literatur geht. Wenn wir ganz ehrlich sind, sind die meisten neuen Bücher, die wir lesen, in irgendeiner Weise irgendwo abgekupfert. Wie soll man allerdings bei den Zillionen Romanen auf dem Markt noch etwas Eigenes kreieren? Es ist schwierig geworden, aber es geht durchaus, auch wenn man sich dabei zugleich reichhaltig am Fundus großer Klassiker bedient. Das mag widersprüchlich klingen, doch Christoph Marzi hat es geschafft. In meinem Leseuniversum hat sein London-Dualsystem jedenfalls noch keine Entsprechung gefunden, die große Ideen der Weltliteratur und der vertrauten Mythenwelt in zugleich solch individueller Weise neu erschafft.

London-Dualsystem? Jawohl. Klingt komisch, ist aber so. Schauplatz der Geschichte ist also die englische Hauptstadt der Jetztzeit, in der das Waisenmädchen Emily Laing mit den roten Haaren und dem Glasauge lebt und viel Schmach und Schande sowohl von der Heimleitung als auch den anderen Heimkindern ertragen muss. Nur die ebenfalls zwölfjährige, dunkelhäutige Aurora Fitzrovia hält zu Emily, und mit der Zeit werden die beiden die besten Freundinnen, was das Leben in dem Heim etwas erträglicher macht. Eines Tages geschieht etwas sehr Eigenartiges, als Emily ihrer täglichen Arbeit in der Heimküche nachgeht. Plötzlich sitzt eine Ratte auf den Vorratssäcken – und sie kann reden!

Emily ist natürlich erschrocken und verwundert, als ihr die Ratte, die sich als Lord Brewster vorstellt, dann auch noch aufträgt, ein besonderes Auge auf einen der Neuzugänge im Heim zu werfen (der Kalauer sei an dieser Stelle gestattet). Dabei handelt es sich um die kleine Mara, doch bevor die beiden sich überhaupt haben kennen lernen können, wird Mara von einem Werwolf entführt. Emily nutzt den enstandenen Tumult, um zu türmen, und wird schließlich von dem Alchemisten Wittgenstein aufgegabelt. Der alte Herr, der Kinder nicht besonders gerne mag, nimmt sich des jungen Mädchens an, denn er merkt, dass sie nicht gewöhnlich ist. Sie ist ein Wechselbalg, in ihr fließt elfisches Blut, und sie ist eine Trickster, was bedeutet, dass sie die Fähigkeit besitzt, in anderer Leute Bewusstsein einzudringen.

Außerdem ist sie die Nachfahrin einer der beiden angesehenen Elfenfamilien in London, Manderley Manor, die mit Mushroom Manor in einem ewigen Wettstreit liegt. Diesen tragen sie aber nicht nur an der Oberfläche Londons aus, sondern auch darunter. Darunter? Allerdings, denn unter der „Stadt der Schornsteine“ erstreckt sich die so genannte Uralte Metropole, die Stadt unter der Stadt, die durch abgelegene und zumeist unbenutzte U-Bahn-Schächte erreichbar ist. Dort unten tickt die Uhr etwas anders, weshalb die subterrane Metropole von einem altertümlichen Zauber umgeben ist. Viele Kulturen aus verschiedenen Ländern fließen dort unten zusammen. Es gibt Grafschaften, Engelswesen, nicht ganz gewöhnliche Spinnentiere und einige gefährliche Spezies wie die Rattlinge, Ratten-Echsen-Hybriden, die sicherlich keine guten Absichten verfolgen.

Und es gibt dort unten etwas, das Kinder entführt. Jedenfalls wird London schon seit längerem von mysteriösen Kindsentführungen heimgesucht, und nun obliegt es Wittgenstein, Emily, Aurora und dem Elfen Maurice Micklewhite, diese Geschichte aufzuklären. Auffällig ist vor allem, dass diese Kindsentführungen in der Historie der Menschheit immer wieder auftauchten, und sie erkennen schnell, dass es dort eine Verbindung geben muss. Weitere Recherchen führen sie immer tiefer in ein Labyrinth von Legenden und Geschichten, die bis ins alte Ägypten zurückgehen und in denen gewisse Personen immer wieder auftauchen. Kann es sein, dass der gefallene Engel Lucifer etwas damit zu tun hat? Oder Madame Snowhitepink, die Emily und Aurora aus dem Waisenhaus kennen, wo sie immer wieder Kinder hat „entleihen“ dürfen? Oder sind die beiden vielleicht doch nur Handlanger in einer viel größeren, schrecklichen Machenschaft, die das Fortleben der Stadt zu bedrohen scheint? Und was haben Mara und Emily mit diesen Ereignissen zu tun?

Aus der Inhaltsbeschreibung wird hoffentlich schon ersichtlich, dass wir es hier mit einer sehr eigenständigen und originellen Welt zu tun haben, die gekonnt Realität und Fantasy verbindet, ohne dabei übertriebene Komik zu verwenden, die aus den Missverständnissen und Konflikten dieser beiden Pole erwächst. Allein das ist schon viel wert, denn es lässt die Geschichte sofort deutlich seriöser erscheinen. Auch der Rückgriff auf Stoff aus der Geschichte, wie zum Beispiel die Legende von Jack the Ripper, die Marzi anhand der Uralten Metropole zu erklären weiß, oder die Vielzahl der morgenländischen Einflüsse sowie weitere Rückgriffe auf das alte Rom oder die englische Geschichte zeugen nicht nur von einem großen Wissen, sondern auch von einer großen Kreativität des Autors. Es spricht für ihn, dass er es zudem noch schafft, diese verschiedenen Elemente konsequent zu einer in sich schlüssigen und gut durchdachten Welt zu verbinden.

Die Handlung, die sich über 860 Seiten erstreckt, kann von Marzis Hang zur Komplexität nur profitieren, auch wenn es dem einen oder anderen vielleicht an einigen Stellen etwas zu viel des Guten werden könnte. Bei „Lycidas“ haben wir es auf jeden Fall nicht mit Kinderliteratur zu tun, denn dazu ist der Aufbau des Buchs viel zu komplex. Die Arbeit mit Vor- und Rückgriffen lässt das Erzählte zwar sehr lebendig werden, schafft aber ab und an Verwirrung, besonders wenn man sich noch nicht intensiv eingelesen hat. Allerdings wird dadurch natürlich auch ein zusätzliches Maß an Spannung aufgebaut, was einer der Gründe dafür ist, diesem Buch das Attribut „Pageturner“ zu verleihen. Ich habe jedenfalls schon lange keinen Roman mehr gelesen, der mich so gefangen hat! In diesem Punkt können selbst die letzten beiden Harry-Potter-Bände nicht mithalten.

Allerdings will ich des Lobes auch nicht gar zu voll sein, denn bei solch einer Schwarte wäre es beinahe unnatürlich, wenn es nicht ab und zu ein paar Längen gäbe. Das hängt hauptsächlich damit zusammen, dass der Autor nicht nur auf die Schilderung von Erlebnissen setzt, sondern auch auf Recherchearbeit der Hauptpersonen in Büchern. Irgendwie müssen die jungen Mädchen ja an das Wissen über die alten Geschichten herankommen. Das ist zwar interessant, aber dadurch, dass in diesen Passagen fast nur geredet wird und in einem fort Hintergrundgeschichten und Theorien konstruiert werden, die später wieder verworfen werden, hängt der werte Leser immer wieder in der Warteschleife.

Ein weiterer deutlicher Pluspunkt für diesen Roman sind die gut ausgearbeiteten Hauptpersonen, bei denen der Ich-Erzähler dem Leser natürlich am nächsten steht. Und wer ist dieser Ich-Erzähler? Emily, die ja wohl eindeutig die Hauptperson ist? Nein, meine Freunde, ihr irrt. Es ist der Alchemist Mortimer Wittgenstein. Wie kann das gehen? Ganz einfach. Der Autor erteilt ihm göttliche Vollmachten, so dass er stellvertretend für Emily erzählt, was sie sieht, erlebt und fühlt. Auch anstelle anderer Personen erzählt er deren Erlebnisse, was ungewohnt, bei genauerem Hinschauen aber ein wirklich geschickter Schachzug ist. Dadurch bekommt das Buch einen gewissen Märchenonkelcharakter, der immer unterbrochen wird, wenn Wittgenstein selbst in die Ereignisse verwickelt ist, was nicht zu selten geschieht.

Hand in Hand damit geht der herausragende Schreibstil einher, der sehr persönlich gefärbt ist und sich dem Charakter des Alchemisten anpasst. Seine Art von trockenem Humor wird immer wieder aufgegriffen und bestimmte Sätze werden ständig wiederholt (wie zum Beispiel der Ausruf „Dieses Kind!“, wenn Emily mal wieder eine Frage stellt, was sie in Wittgensteins Augen viel zu oft tut), was nicht störend wirkt, sondern Persönlichkeit verleiht. Hinzu kommt eine an den Alltag angelehnte Sprache, es werden also viele Stilmittel wie Auslassungen, rhetorische Fragen, abgehackte, sehr kurze Sätze eingesetzt, die ihre Wirkung nicht verfehlen und das Buch ungemein beleben.

Das Buch des im Übrigen deutschen Autors wurde mit dem Deutschen Phantastikpreis ausgezeichnet und dazu kann ich nur sagen: Mit Recht! „Lycidas“ ist ein Pageturner erster Güte, bei dem fast alles stimmt. Dichte Handlung, eine wunderbar entworfene Fantasywelt, ein herrlicher Schreibstil und sympathische Hauptfiguren. Ich habe in den letzten Monaten nur selten Bücher in der Hand gehabt, die mich so fesselten, auch wenn es die eine oder andere Länge gibt, die für einen Punktabzug in der B-Note verantwortlich ist. Trotzdem kann ich das Buch mehr als empfehlen, und besonders denjenigen, die im Phantastiksektor vorerst genug haben von pubertierenden Helden, die für Kinder geschaffen wurden und in einem kunterbunten Land der Frohsinn-Magie verweilen, sei dieser Roman ans Herz und in die Pfötchen gelegt.

_Der Autor_ wurde 1970 geboren und verbrachte seine Kindheit in der Eifel. Er studierte in Mainz und wohnt jetzt zusammen mit seiner kleinen Familie im Saarland.

Die Geschichte um Emily und die uralte Metropole ist im Übrigen noch nicht zu Ende. Der Folgeband [„Lilith“ 2070 ist bereits erschienen und wird derzeit von mir verschlungen.

Weitere Informationen gibt es unter http://www.christophmarzi.de.