Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Gaspard, Jan / Lueg, Lars Peter / Sieper, Marc – Sex and Crime (Offenbarung 23, Folge 25)

_Sex and Politics: eine explosive Mischung_

Was bisher bloße Verschwörungstheorie war, wird Realität: Die geheimnisvollsten Tragödien, die skrupellosesten Verbrechen werden entschlüsselt. Die Welt wird nicht mehr die gleiche sein, denn auch das letzte Rätsel wird gelöst.

Am 1. November 1957 wird in Frankfurt/Main die 24-jährige Edelhure Rosemarie Nitribitt tot in ihrer Wohnung aufgefunden – ermordet. Schnell geraten Personen aus Großindustrie und Politik in den Verdacht, für den Tod der Prostituierten verantwortlich zu sein. Doch eindeutig identifiziert werden konnte ihr Mörder bis heute nicht. Kann der Berliner Hacker und Student Georg Brand fast 50 Jahre nach dem Verbrechen – man schreibt das Jahr 2004 – noch Licht in den mysteriösen Mordfall bringen?

_Der Autor und die Macher_

Jan Gaspard ist ein Pseudonym. Der reale Mensch hat immerhin eine Mailadresse – das ist doch schon mal was. Laut Verlag soll der Rechercheur für Unternehmer wie Axel Springer, Ross Perot, Rupert Murdoch und sogar Dick Cheney gearbeitet haben. Wer’s glaubt, sollte ihn engagieren. Er zeichnet für „Idee, Konzeption, Recherche & Buch“ verantwortlich.

Für die praktische Umsetzung dieser Steilvorlage sorgte hinsichtlich Regie, Produktion & Dramaturgie Lars Peter Lueg, seines Zeichens Verlagsleiter von |LPL records|. Für den „heiligen Geist“ in Form von „Inspiration“ sorgte Koproduzent Marc Sieper. Schnitt, Musik und Tontechnik lagen in den kompetenten Händen von Andy Matern. Markus Wienstroer bearbeitete die Gitarren in der Titelmelodie – das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen. Die Aufnahmeleitung oblag Anno Storbeck.

|1. Staffel von „Offenbarung 23“:|
1) [„Wer erschoss Tupac?“ 1934
2) [„Tupacs Geheimnis“ 1948
3) [„Die ‚Titanic‘ darf nie ankommen“ 2012
4) [„Die Krebs-Macher“ 2015

Einschub: [„Offenbarung 23 – Machiavelli“ 2472

|2. Staffel:|
5) [„Das Handy-Komplott“ 2576
6) [„Der Fußball-Gott“ 2577
7) [„Stonehenge“ 2590
8) [„Macht!“ 2591

|3. Staffel:|
9) [„Gier!“ 3104
10) [„Die traurige Prinzessin“ 3113
11) [„Die Hindenburg“ 3131
12) [„Der Piratenschatz“ 3136

|4. Staffel:|
13) [Das Wissen der Menschheit 3885
14) [Das Bernsteinzimmer 3887
15) [Durst! 3900
16) [Krauts und Rüben 3934

|5. Staffel:|
17) [Die Waterkant-Affäre 4340
18) [Menschenopfer 4362
19) [Angst! 4537
20) [Die Pyramiden-Saga 4554

Einschub: 21) [Jack the Ripper 4875 (Live-Lesung)

|6. Staffel:|
22) [Der Fluch des Tutanchamun 5040
23) [Der Jungbrunnen 5171
24) [Ausgespäht und Ausgetrickst 5229
25) Sex and Crime

Mehr Infos: http://www.offenbarung-23.de sowie http://wiki.jan-gaspard.net/ und http://www.vertraue-niemandem.net.

_Die Sprecher_

In der Riege der Sprecher finden sich etliche einschlägig vorbelastete Herrschaften, die man schon aus dem Hause |LPL records| kennt:

„Stimme der Wahrheit“: Friedrich Schoenfelder (David Niven, Peter Cushing, Vincent Price)
Ian G.: Till Hagen (Kevin Spacey, Billy Bob Thornton)
Georg Brand alias T-Rex: David Nathan (Johnny Depp, Christian Bale)
Nitribitt: Marie Bierstedt (Kirsten Dunst, Kate Beckinsale)
Nat Mickler: Helmut Krauss (Marlon Brando, James Earl Jones)
Kai Sickmann: Detelf Bierstedt (George Clooney)
Archivarin: Maria Koschny (Lindsay Lohan)
Boris F. alias Tron: Jaron Löwenberg (Adrien Brody in „King Kong“)
Nachrichtensprecherin: Ulrike Hübschmann
Mörder: Rainer Fritzsche
Kellnerin: Suzanne Vogdt
Intro: Benjamin Völz (Keanu Reeves, James Spader) & Jaron Löwenberg

_Vorgeschichte_

Der Berliner Informatikstudent Georg Brand, in Hackerkreisen als „T-Rex“ bekannt, ist auf eine Verbindung zwischen dem besten deutschen Hacker Boris F. alias „Tron“ und dem Rapper Tupac Shakur gestoßen. Alle möglichen Leute, die Geheimnisse aufdecken oder vertuschen wollen, interessieren sich auf einmal für T-Rex. Während Georg mit Trons ehemaliger Freundin Tatjana Junk alias Nolo anbandelt, meldet sich Tron quasi aus dem Jenseits: Er ist seit 1998 offiziell tot. Ist er das wirklich? Jedenfalls gibt Nolo Georg eine „Chiffre“ nach der anderen in die Hand. Chiffren sind eine Umschreibung für Hinweise auf die Geheimnisse, die Tron vor seinem Tod aufgedeckt hat – brisanter Stoff sozusagen.

_Handlung_

Sie geht an die Tür und fragt den Besucher freundlich nach seinem Begehr. Doch er flüstert nur die ganze Zeit – wohl wegen ihres Tonbandgeräts Sie soll es sofort ausmachen. Und er fragt sie auch noch so seltsam nach ihrer Identität: Sind Sie Rosemarie Nitribitt, geboren 1933 in Düsseldorf? Natürlich ist sie das. Das weiß doch jeder ihrer Kunden … Da wird der Mann rabiat, und während Rosemaries Hund bellt, hören wir ihre Schreie und schließlich ein unheilvolles Poltern …

Die Nachrichten verkünden: Am 1. November 1957 wurde das Mannequin (!) Rosemarie Nitribitt ermordet in seiner Wohnung in der Frankfurter Stiftstraße 36 aufgefunden. Die Frau wurde erwürgt, und ihr Mercedes werde vermisst. – Offenbar sollen nur Eingeweihte wissen, dass die Nitribitt eine der teuersten Prostituierten in der Finanzmetropole am Main war.

Das Jahr 2004, Mittwoch, 9:30 Uhr. Ian G beobachtet Georg Brand, wie er vor Trons Super-Laptop hockt und die neueste Chiffre betrachtet, die Ian ihm zugespielt hat: Nitribitts erotisches Foto, überschrieben mit der Angabe „34,4°“. Wenige Stunden später trifft Georg seinen Freund, den Arzt Nathan Mickler, im Grillrestaurant des Marriott Hotels. Zu dumm, dass Ian Gs Mikrofone hier nichts auffangen können.

Georg hat schon mit dem Reporter Kai Sickmann telefoniert, der ihn über den Mordfall ins Bild gesetzt hat. Das entscheidende Detail, über das sich die Ermittler nicht einig werden konnten, war der Todeszeitpunkt. Und dessen Bestimmung war von der Temperatur abhängig, der der Körper der Toten ausgesetzt war. Die Pathologen damals legten den Todeszeitpunkt auf dem 30. Oktober fest, aber wenn die Raumtemperatur doch 34,4 °C betrug, wie die Chiffre andeutet, dann kann die Nitribitt auch über 24 Stunden später gestorben sein. Und dann sind alle Alibis, die damals angegeben wurden, wieder hinfällig: die Alibis der Sachs-Brüder, besonders aber das von Harald von Bohlen und Halbach, der in Rosemarie verliebt war. Der Fall müsste neu aufgerollt werden. Mickler, selbst Pathologe, bestätigt Georgs Überlegungen.

Nitribitts Tonbandaufnahmen bedeuteten eine große Gefahr für solche Playboys und Wirtschaftskapitäne, doch wo sind die Bänder? Offenbar sind ein paar davon im Polizeimuseum der Stadt, doch sind das auch alle? Mickler bezweifelt es. Ehebruch und Seitensprung waren damals, 1957, strafbare Handlungen, ebenso wie Homosexualität verboten war. Und nun kam eine Frau daher, die schon mit zehn Jahren (1943) von einem Nachbarsjungen vergewaltigt worden war und mit 14 Jahren (ab 1947) eine Professionelle wurde. Die Vergewaltigung wurde in ihrem Eifeldorf stillgeschwiegen, und enttäuscht zog Rosemarie fort, nach einer Abtreibung. Sie erpresste ihre Freier, z. B. den Rennfahrer Huschke von Hanstein, mit ihren Bändern. Aber wer war ihr Mörder?

Am Nachmitttag besucht Georg das Frankfurter Polizeimuseum. Die Archivarin erweist sich als sehr kenntnisreich. 1958 gab es ein Buch über die Nitribitt und eine Verfilmung unter dem Titel „Das Mädchen Rosemarie“. Man versuchte sogar, die Aufführung des Films zu unterdrücken. 1967 gab es eine gefälschte Gedenkbriefmarke zu Ehren der Nitribitt, die von der Post sogar befördert wurde. Das Museum bewahrt den Schädel der Toten immer noch auf, und Georg findet es ganz schön makaber, dass ihr auch noch die Schädeldecke aufgesägt wurde. Standardprozedur, meint die Archivarin. Es müssen mindestens zwei Täter gewesen sein: einer, der Rosemarie festhielt und verprügelte, und einer, der die Bänder suchte.

Am Freitag steht Georg mit Kai Sickmann vor dem Haus in der Stiftstraße. Als der Reporter ihm sagt, dass nur wenige Häuser weiter Harald von Bohlen und Halbach, der milliardenschwere Erbe des Krupp-Konzerns, gewohnt und gearbeitet habe, ist Georg von den Socken. Was, wenn der Konzernerbe eine Hure hätte heiraten wollen und die Chefetage seines Unternehmens diesen Skandal um jeden Preis verhindern wollte?

_Mein Eindruck_

Mit dieser Folge betreten wir das schlüpfrige Terrain von Sex und Politik. Zum Glück präsentieren die Figuren die Prostituierte Rosemarie Nitribitt nicht als falsche Schlange, die es auf die Mächtigen der Welt abgesehen hat, sondern als Opfer – vergewaltigt mit zehn -, das sich seiner Haut nach besten Kräften erwehrt. Und der Angreifer scheint es wahrlich viele zu geben. Die wahren Mörder bleiben allerdings seinerzeit, 1957, im Dunkeln. Selbst Nitribitts Freund Pohlmann, der als einziger Verdächtiger angeklagt wurde, wurde mit einem Persilschein nach Hause geschickt.

Georg Brand macht es sich nun, angestachelt ausgerechnet von Ian G, zur Aufgabe, die wahren Mörder und Drahtzieher herauszufinden. Dabei stolpert er über so manches makabere Detail wie aufgesägte Schädel und merkwürdige Zusammenhänge zwischen Politikern und Hundezüchtern. Am einleuchtendsten ist hingegen die heiße Spur zum Klan der – nein, nicht der Sizilianer, sondern derer von Kohlen und Reibach, pardon: Bohlen und Halbach. Es scheint eine der faszinierendsten Familien der neueren Wirtschaftsgeschichte Deutschlands zu sein, sie interessiert mich sehr.

Dass die Heirat eines Sprösslings dieses Geldadelshauses mit einer dahergelaufenen Nutte jemals in den Bereich des Möglichen gerückt ist, scheint kaum zu glauben. Doch zwei Wochen vor Nitribitts Tod (plus/minus ein Tag) starb die Matriarchin des Klans, und Nitribitts Galan Harald von Bohlen und Halbach sah offenbar den Weg zu einer Traumhochzeit frei. Die Konzernführung wusste dies offenbar mit Hilfe ihrer eigenen Sicherheitstruppe zu verhindern. Wer weiß: Die Nutte hätte den ganzen Konzern und damit die Führungsriege der jungen Republik mit Hilfe ihrer Tonbänder erpressen werden. Königin Rosemarie – soweit kommt’s noch! (Kaiserin Sissi war hingegen völlig okay, denn die regierte ja nicht, sondern war bloß Schaufensterdekoration.)

Details wie die Temperatur, die auf einen anderen Todeszeitpunkt hindeutet, sowie das von einem Geheimdienstler geschossene Foto einer Nitribitt am offenen Fenster (wie pikant!), fand ich eher nebensächlich. Was nämlich der Geheimdienst mit den Bohlen und Halbachs zu tun hat, wird nicht gesagt. Und dass der Sicherheitsdienst von Krupp ausgerechnet einen abgehalfterten Gestapochef (Rudolf Diehls) zur Exekution der Halbweltdame vorschickte, wirkt völlig grotesk. Aber die Welt des Jan Gaspard ist ja angefüllt mit Absurditäten.

Unterm Strich bleibt also die These: Um die Tonbänder zurückzubekommen und die Verbindung mit einem der Ihren zu verhindern, wurde die Nitribitt erst gefoltert, dann ermordet. Aber wo sind dann jene Bänder abgeblieben, deren Stenogramm noch einsehbar ist? Hat die Polizei sie weggeschafft? Und wenn ja, auf wessen Anweisung hin? Es gäbe noch viel aufzuklären, aber nach rund 50 Jahren dürfte das schwieriger denn je sein.

_Die Inszenierung_

In dieser Folge wurde die Dramaturgie auf ein Minimum reduziert, um der Fülle an Informationen Platz zu machen. Das Ergebnis ist ein Minimum an Handlung und ein Maximum an Informationsflut. Ich war hinterher völlig erschlagen von den Fakten und Theorien, die der Autor durch sein Sprachrohr Georg Brand übereinander stapelt, bis der ganze Turm einzustürzen droht. Doch am Schluss wird alles nochmals ordentlich zusammengefasst, als wär’s ein Schüleraufsatz für den Deutschunterricht in der 13. Klasse.

|Die Sprecher|

Es ist schon unterhaltsam, wenn man in einem Serienhörspiel all jene Schauspieler sprechen hört, die man sonst mit bildschirmfüllenden Actionkrachern oder großartigen Romanzen in Verbindung bringt. Das hebt die Handlung doch gleich eine Stufe höher, verleiht ihr den Glanz von Hollywood.

Besonders David Nathan als T-Rex hat mir gefallen, denn man hört immer einen leichten ironischen Zungenschlag bei ihm heraus. Zum Glück behält Georg Brand seinen Sinn für Humor, auch wenn dieser ab und zu in Richtung Sarkasmus tendiert. In dieser Folge blitzt der Humor allzu selten durch, denn Georg tritt als Eiferer gegen die Heuchelei der „besseren Kreise“ auf. Es riecht nach Schwefel und Weihrauch.

Kai Sickmann darf mal wieder auftreten. Er ist eine Parodie auf den Chefredakteur der |BILD|-Zeitung namens Dieckmann. Detlef Bierstedt spricht ihn mit seiner George-Clooney-Stimme, hat aber nicht viel zu sagen. Ihm kommt zugute, dass Clooney selbst in den letzten Jahren viele regierungskritische Rollen gespielt hat, nicht zuletzt in „Syriana“. Von daher passen die Stimme und das Image Clooneys zu Sickmann.

Nathan Mickler, Georgs neuer Mentor, enthüllt eine weitere Eigenschaft. Nun ist er auch noch Pathologe, beschäftigte sich also mit dem Sezieren von Leichen, etwa um deren Todeszeitpunkt zu bestimmen. Entsprechend hilfreich sind seine Hinweise. Die gute Nolo alias Marie Bierstedt ist diesmal überhaupt nicht von der Partie, wozu auch? Sie hätten den Männern, die über eine Nutte reden, wahrscheinlich eh bloß die Leviten gelesen. Das wäre vorhersehbar und somit langweilig gewesen.

|Geräusche und Musik|

Alle Geräusche sind natürlich aus der Realität entnommen und verleihen der Handlung den Anstrich von Filmqualität. Aber sie kommen nie den Dialogen in die Quere, sondern sind in dieser Hinsicht zurückhaltend. Durch die Handhabung der Lautstärke können zum Beispiel Bauarbeiten in den Hintergrund gerückt werden, während im Vordergrund die Figuren noch miteinander reden. Bauarbeiten sind ja generell nicht so wahnsinnig interessant, wenn man sie nicht sehen kann. Sehr heikel sind jedoch Szenen in Straßenzügen oder in einem Lokal; die Geräuschkulisse ist einerseits detailliert zu halten, um glaubwürdig zu bleiben, muss aber so dezent gehalten werden, dass sie den Dialog nicht stört. Knifflig, aber lösbar. Und in „Offenbarung 23“ fast immer optimal gelöst.

Die wenige Musik, die erklingt, fungiert meist als Pausenfüller: Fetzige Gitarren, für die Markus Wienstroer verantwortlich zeichnet, bestimmen das In- und Outro. Während der Szenen plätschert im Hintergrund hin und wieder etwas lokale Muzak (kommerzielle Musik für Cafés und Kaufhäuser) oder elektronische Musik und Tablas so vor sich hin. Mir gefielen mehr die Gitarren.

_Unterm Strich_

Diese Folge präsentiert eine Frankfurter Prostituierte als Mätresse der Mächtigen und Glamourösen in der frühen Bundesrepublik. Die letzten Kriegsgefangenen wie etwa Harald von Bohlen und Halbach kamen gerade aus russischer Gefangenschaft zurück, und die Bundeswehr war ein Jahr zuvor gegründet worden. Die Altlasten der Nazizeit wurden unter den Teppich gekehrt. Fast jeder bekam seinen „Persilschein“ bei der Entnazifizierung, so auch die Krupps.

Da drohten die Tonbänder der Nitribitt die neuen Machtstrukturen ins Wanken zu bringen. Doch die Theorien, die Georg Brand als Sprachrohr des Autors vorbringt, wollen nur zum Teil überzeugen. Das liegt unter anderem daran, dass er einen „verdienten Spitzenmann des Demokratie“ nicht beim Namen nennt und auch nicht dessen zwei Brüder, die er ins Zwielicht rückt.

Ich fragte mich nach den Gründen. Es kommt eigentlich nur der Schutz der Nachkommen dieses später so verdient gewordenen Mannes in Frage, der dafür sorgte, dass der Ehebruch- und der Homosexuellenparagraph (§175 des Strafgesetzbuches) abgeschafft wurde. Hier kann man sich als Hörer nur dazu aufgefordert fühlen, selbst investigativ tätig zu werden.

Das Hörspiel ist von |Lübbe| und |LPL records| gewohnt sorgfältig produziert worden und ich habe an der Technik nichts auszusetzen. Die Stimmen der Hollywoodschauspieler verleihen der ungewohnt handlungsarmen Inszenierung etwas Filmglamour. Die Story wartet wie zumeist mit Verschwörungstheorien, Kurzinfos, Hacker-Eskapaden und allerlei zwielichtigen Aktionen auf.

Diesmal wird jedoch die ganze Zeit palavert. Das fand ich wenig unterhaltsam. Vielmehr vermute ich, dass ein Essay des Autors mehr schlecht als recht in ein Handlungsgerüst gezwängt wurde. Viele Details müssen dabei zwangsläufig unter den Tisch gefallen sein, und deshalb muten versprengte Details wie der aus der Versenkung geholte Gestapo-Chef wie albernes Kasperletheater an.

|67 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3568-8|
http://www.offenbarung-23.de
http://wikibeta-offenbarung-23.de
http://www.lpl.de
http://www.luebbe-audio.de

Hohlbein, Wolfgang – Nemesis 2 – Geisterstunde

_Nemesis: Die Rache des Lebensborns_

Der exzentrische Multimillionär von Thum hat drei Männer und drei Frauen auf die Burg Crailsfelden eingeladen. Zwei von ihnen sollen sein Millionenerbe antreten. Nichts verbindet die Eingeladenen, außer dass ihre Eltern irgendwann gemeinsam mit von Thum ein Internat in Crailsfelden besucht haben.

In der Nacht ihrer Ankunft sind bereits drei von ihnen auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen. Kein Wunder, dass die Überlebenden einander misstrauen. Ihr Gastgeber ist verschwunden, und in den dunkelsten Nachtstunden sind sie allein mit ihren Ängsten und der Gewissheit, dass in den Mauern der Burg der Tod umgeht.

Der Gastgeber ist in einem Brunnenschacht verschwunden – ein tödlicher Unfall? Ein Entkommen wird vereitelt – Zufall? Angst und Argwohn machen sich breit, und selbst die eher Friedfertigen entdecken an sich plötzlich eine Tendenz zur Gewaltbereitschaft.

_Der Autor_

Wolfgang Hohlbein, geboren 1953 in Weimar, hat sich seit Anfang der achtziger Jahre einen wachsenden Leserkreis in Fantasy, Horror und Science-Fiction erobert und ist so zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren geworden (Auflage: acht Millionen Bücher). Zuweilen schreibt er zusammen mit seiner Frau Heike an einem Buch. Er lebt mit ihr und einem Heer von Katzen in seinem Haus in Neuss.

_Der Sprecher_

Johannes Steck, geboren 1966 in Würzburg, ist Absolvent der Schauspielschule Wien. Von 1990 bis 1996 hatte er Engagements an verschiedenen Theatern. Dem breiten Publikum ist er vor allem aus dem TV bekannt. Er spielte in zahlreichen TV-Serien. Steck arbeitet zudem als Radio-, Fernseh- und Synchronsprecher. Er hat schon diverse Hörbücher gelesen.

Regie führte Lutz Schäfer, der Tonmeister war Heiko Schlachter. Die Aufnahme fand im Juli 2006 bei Kino-im-Kopf-Produktion, Augsburg, statt (toller Name!).

Das Titelbild entspricht dem der Buchausgabe beim |Ullstein|-Verlag.

_Vorgeschichte_

Sechs potenzielle Erben werden auf Burg Crailsfelden eingeladen, doch die Umgebung ist der Gesundheit nicht sonderlich zuträglich. Erst haben alle sechs den gleichen üblen Albtraum, dann verschwindet der Gastgeber auf rätselhafte Weise in einem Brunnenschacht. Ein erster Fluchtversuch mit einem Auto scheitert auf spektakuläre Weise.

_Handlung_

Ellen, die Ärztin, flickt Frank, den Ich-Erzähler mit den Halluzinationen, in einer Notoperation zusammen. Dass auch Ed, der Fahrer, überlebt hat, grenzt an „göttliche Fügung“, wie Ellen sagt. Frank wundert sich, denn er hatte genau gesehen, wie Ed getötet wurde. Noch eine Halluzination? Wo ist er hier nur hineingeraten?

Da nun klar ist, dass die Burg eine Todesfalle ist, müssen sie dringend einen anderen Ausgang suchen. Wer wüsste besser über dieses Gemäuer Bescheid als Karl, der Wirt, der hier oben auch als Hausmeister arbeitet? Doch der alte Hippie lügt das Blaue vom Himmel, als er ihnen etwas darüber erzählen soll. Sie nehmen ihn mit in den Keller. Zu ihrem Erstaunen funktioniert die Elektrizität hier unten ausgezeichnet. Tatsächlich scheinen die Gänge kürzlich renoviert worden zu sein.

In den mittelalterlichen Säulengängen sind nicht nur Kerkerzellen zu besichtigen. Hinter einem Kanisterstapel entdeckt der scharfsinnige Stefan auch einen geheimen Raum. Hier finden sich nicht nur ein Dolch der Napola (einer nationalsozialistischen politischen Anstalt), sondern auch Zeitungsartikel über Nazigold. War unser braver Hausmeister hinter diesem Zeug her? Er erzählt, im Dritten Reich seien in der Burg nicht nur Nazis untergebracht gewesen, sondern auch ein Kinderheim und eine Klinik, wo Frauen uneheliche Kinder zur Welt bringen konnten.

Frank hat nicht nur seinen Albtraum mit der mysteriösen „Miriam“ wieder, sondern auch eine halbbewusste Erinnerung, der er nun folgt. Er fühlt sich, als sei er vor langer Zeit schon einmal in dieser Burg gewesen, vielleicht im Internat? Seine einsame Suche führt ihn ins Rektorzimmer, zum Schreibtisch und zu einem Geheimfach. Ein stechender Kopfschmerz streckt ihn nieder, und die Fotos, die er gefunden hat, sind bei seinem Erwachen verändert. Sie tragen nun Kringel, die bestimmte Köpfe bezeichnen.

Als Judith ihn findet, kehrt er zu den anderen zurück und fragt Maria Gärtner wegen der Fotos, denn sie stammt aus dem Dorf Crailsfelden. Nun, sagt sie, eines steht fest: Die sonderbaren Runen auf den Fahnen dieser Pfadfinder sind keine Hakenkreuze. Es sind die Runen, die für den Lebensborn reserviert waren. Der „Lebensborn“ war eine reichsweite Organisation, in der SS-Angehörige und andere „rassische Eliteangehörige“ mit ausgewählten Frauen Kinder zeugen konnten, um die arische Rasse zu verbessern und ihren Fortbestand zu sichern. Eine Zuchtanstalt. Mit allen möglichen Gerüchten, die sich darum ranken.

Aber eigentlich kann das nicht sein, denn das Auto, vor dem die Pfadfinder stehen, wurde erst ab 1953 gebaut …

_Mein Eindruck_

Allmählich wird den in der Burg eingeschlossenen Besuchern klar, dass nicht nur dieser Ort, sondern auch sie selbst ein Geheimnis bergen, dessen Schleier früher oder später gelüftet werden muss. Leider weigern sie sich, darüber zu reflektieren, was auf sie zukommt (oder diese Passagen wurden gekürzt), weshalb sie weiterhin blindlings in die nächste Kalamität taumeln.

Offenbar hindert eine dunkle Macht, die über Feldermäuse und / oder Vampire gebietet und im alten Turm haust, die Eindringlinge an der Flucht. Und zwar mit allen Mitteln. Es gibt kein Entrinnen. Also müssen sie in die Gewölbe vordringen, um einen verborgenen Ausgang zu finden. Das bedeutet mehr Entdeckungen: über die Geschichte des Ortes und seine antisemitische Schuldlast. Wie schon in der Rezension zu Episode 1 festgestellt, könnte es sich dabei nicht nur um mittelalterliche Pogrome handeln, sondern auch um neuzeitliche, unter den Nazis, die die Burg nutzten und ausbauten. Wen kümmert schon eventuell hier verstecktes Nazigold, wenn das Wissen um die Vorgänge in dieser Burg noch wesentlich wertvoller – und explosiver – sein kann?

Der Hinweis auf Menschenzüchtung in einer Ordensburg der SS, die in Crailsfelden einen Lebenborn-Hort einrichtete, deutet bereits in die richtige Richtung. Doch die unfreiwilligen Gäste haben – noch – nicht den Mut, diesem Hinweis bis zur letzten Konsequenz zu folgen. Sie weigern sich, in den Spiegel zu blicken. Stattdessen plagen sie sich mit einem weiteren fruchtlosen Fluchtversuch ab. Sie sollten sich ebenso darüber wundern, warum sie Gelüste verspüren, ihre Aggressionen an einem wehrlosen Opfer wie dem gefesselten Karl auszuleben.

Wie schon in Episode 1 sind die Hinweise, mit denen der Autor Spannung erzeugt, fein dosiert und führen nicht nur in eine, sondern in mehrere Richtungen. Die Figurenentwicklung kann man jedoch vergessen: Wann immer der Ich-Erzähler Frank einer wichtigen Entdeckung auf die Spur kommt, ereilt ihn entweder ein Blackout oder ein Albtraum. Kein Wunder, dass er sich gewissermaßen selbst Scheuklappen anlegt, um nicht über die Bedeutung seiner Entdeckung nachdenken zu müssen. Das ist seitens des Autors ein fieser Trick, um die Spannung und das Mysterium aufrechtzuerhalten. Man könnte es auch Seitenschinderei nennen.

_Der Sprecher_

Dem Sprecher gelingt es, die durch die Klischees vorgegebenen Figuren einigermaßen zum Leben zu erwecken. Stefan ist der verlässliche Hüne mit einem ebenso tiefen Organ wie der Wirt Karl. Ed nervt mit seiner meckernden Proletenstimme à la Martin Semmelrogge. Gero von Thun, der alte Bürohengst, hat eine gepresst klingende Stimme, die gut zu ihm passt. Frank selbst, der Ich-Erzähler, erklingt mit einer ganz normalen männlichen Stimme – allerdings allzu selten.

Interessanter sind die Frauen. Judith ist die schutzbedürftige junge Frau, kann aber durchaus auch zu einer Waffe greifen. Ellen, die kaltschnäuzige Ärztin, ist ihr genaues Gegenteil: eine kühle Managerin. Maria liegt irgendwo dazwischen und wirkt deshalb am glaubwürdigsten. Allerdings ist diese Tonhöhe durch die männlichen Stimmbänder des Sprechers etwas begrenzt. Rufus Beck könnte in dieser Hinsicht sehr viel mehr Eindruck hinterlassen.

Nicht zu vergessen die Kinder. Kinder?, wird sich der Leser nun fragen. Kinder treten doch gar nicht auf. Doch, tun sie, und zwar in den Albträumen, die Frank und die anderen immer wieder erleiden (geschickt bekommen?). Das Traum-Ich Franks rennt mit Miriam durch die brennende Stadt, verfolgt von Kindern. Deren Rufen und Drohen drückt der Sprecher sehr gut aus. Es klingt aber nicht so richtig bedrohlich.

Das Hörbuch verfügt weder über Geräusche noch über Musik, aber dafür ist es recht preisgünstig.

_Unterm Strich_

Neben vielfältigen Spekulationsgrundlagen wie etwa dem Nazigold – eine falsche Fährte, wenn es je eine gab – sollten sich die Figuren (und wir natürlich mit ihnen) darüber Gedanken machen, wer sie sind, woher sie kommen und warum sie deshalb ausgerechnet auf Burg Crailsfelden einbestellt wurden. Wer war dieser Klaus Sänger, Leiter und Mäzen eines Internats – Internats für welche Art von Kindern? Haben der Lebensborn und das arische Aussehen der Besucher (mit Ausnahme von Judith) etwas miteinander zu tun? Offenbar sind noch Rechnungen offen, aber mit wem?

Diese Fragen müssen in den verbleibenden Episoden beantwortet werden. Folglich bleibt die Serie spannend. Der Sprecher tut sein Bestes, die klischeehaften Figuren mit Leben zu erfüllen. Er unterstützt die Spannung und die Mystik ebenso wie den ironischen Humor, der hie und da durchblitzt. Fortsetzung folgt – hoffentlich zu einem ebenso günstigen Preis.

|Buchausgabe: Nemesis 2, 2004
155 Minuten auf 2 CDs|
http://www.HoerbucHHamburg.de

S.H.A. Parzzival – Gefühlsjäger (Sternenabenteuer TITAN 24)

Alles in Deckung: Sexbombe an Bord!

Shalyn Shan, geboren 2077, ist die Kommandantin des modernen Forschungsschiffes TITAN. Sie hat bereits einige gefährliche Abenteuer hinter sich, und bei einem davon verlor sie ihren Gatten Jörn Callaghan, der seitdem verschollen ist. Nach einem dieser Abenteuer tritt Shalyn den verdienten Urlaub an. An dessen letztem Tag lernt sie die hübsche Monja Anjetta kennen und verliebt sich Hals über Kopf in sie. Shalyns Begleiter, der extraterrestrische Ritter Sir Klakkarakk, wundert sich. Am Ende von Band 23 schien Shalyn das Zeitliche gesegnet zu haben!

Doch die Erde dreht sich weiter. Die Ökoterroristen spielen ein weiteres Ass aus: Mit einem monströsen Killerkraken greifen sie nun auch den Privatwohnsitz von Konzernchef Michael Moses an.

Zugleich und viele hundert Lichtjahre entfernt gerät ein Prospektorenschiff der Carter Rocket Corporation (CRC) in die Gewalt einer fremden Rasse. Diese Cadschiden jagen nach verlorenen Gefühlen und haben die Spur zur Erde bereits gefunden…
S.H.A. Parzzival – Gefühlsjäger (Sternenabenteuer TITAN 24) weiterlesen

Gaspard, Jan / Lueg, Lars Peter / Sieper, Marc – Ausgespäht und ausgetrickst (Offenbarung 23, Folge 24)

_Ironisch: Überwache deine Überwacher!_

Was bisher bloße Verschwörungstheorie war, wird Realität: Die geheimnisvollsten Tragödien, die skrupellosesten Verbrechen werden entschlüsselt. Die Welt wird nicht mehr die gleiche sein, denn auch das letzte Rätsel wird gelöst.

Kann das sein? Eine Leuchtreklame irgendwo an einer Hauswand, die plötzlich mit einem „redet“? Dem Berliner Studenten Georg Brand passiert genau dies. Und es scheint, dass der tote Hacker Tron alias Brois F. über diese Werbetafel mit ihm in Kontakt zu treten versucht. Oder wer treibt da sein makaberes Spiel – und nutzt dafür die Informationstechnologie einer ganzen Stadt? (Verlagsinfo)

_Der Autor und die Macher_

Jan Gaspard ist ein Pseudonym. Der reale Mensch hat immerhin eine Mailadresse – das ist doch schon mal was. Laut Verlag soll der Rechercheur für Unternehmer wie Axel Springer, Ross Perot, Rupert Murdoch und sogar Dick Cheney gearbeitet haben. Wer’s glaubt, sollte ihn engagieren. Er zeichnet für „Idee, Konzeption, Recherche & Buch“ verantwortlich.

Für die praktische Umsetzung dieser Steilvorlage sorgte hinsichtlich Regie, Produktion & Dramaturgie Lars Peter Lueg, seines Zeichens Verlagsleiter von |LPL records|. Für den „heiligen Geist“ in Form von „Inspiration“ sorgte Koproduzent Marc Sieper. Schnitt, Musik und Tontechnik lagen in den kompetenten Händen von Andy Matern. Markus Wienstroer bearbeitete die Gitarren in der Titelmelodie – das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen. Die Aufnahmeleitung oblag Anno Storbeck.

|1. Staffel von „Offenbarung 23“:|
1) [„Wer erschoss Tupac?“ 1934
2) [„Tupacs Geheimnis“ 1948
3) [„Die ‚Titanic‘ darf nie ankommen“ 2012
4) [„Die Krebs-Macher“ 2015

Einschub: [„Offenbarung 23 – Machiavelli“ 2472

|2. Staffel:|
5) [„Das Handy-Komplott“ 2576
6) [„Der Fußball-Gott“ 2577
7) [„Stonehenge“ 2590
8) [„Macht!“ 2591

|3. Staffel:|
9) [„Gier!“ 3104
10) [„Die traurige Prinzessin“ 3113
11) [„Die Hindenburg“ 3131
12) [„Der Piratenschatz“ 3136

|4. Staffel:|
13) [Das Wissen der Menschheit 3885
14) [Das Bernsteinzimmer 3887
15) [Durst! 3900
16) [Krauts und Rüben 3934

|5. Staffel:|
17) [Die Waterkant-Affäre 4340
18) [Menschenopfer 4362
19) [Angst! 4537
20) [Die Pyramiden-Saga 4554

Einschub: 21) [Jack the Ripper 4875 (Live-Lesung)

|6. Staffel:|
22) [Der Fluch des Tutanchamun 5040
23) [Der Jungbrunnen 5171
24) Ausgespäht und Ausgetrickst
25) Sex and Crime

Mehr Infos: http://www.offenbarung-23.de sowie http://wiki.jan-gaspard.net/ und http://www.vertraue-niemandem.net.

_Die Sprecher_

In der Riege der Sprecher finden sich etliche einschlägig vorbelastete Herrschaften, die man schon aus dem Hause |LPL records| kennt:

„Stimme der Wahrheit“: Friedrich Schoenfelder (David Niven, Peter Cushing, Vincent Price)
Ian G.: Till Hagen (Kevin Spacey, Billy Bob Thornton)
Georg Brand alias T-Rex: David Nathan (Johnny Depp, Christian Bale)
Tatjana Junk alias Nolo: Marie Bierstedt (Kirsten Dunst, Kate Beckinsale)
Nat Mickler: Helmut Krauss (Marlon Brando, James Earl Jones)
Boris F. alias Tron: (Adrien Brody in „King Kong“)
Nachrichtensprecherin: Ulrike Hübschmann
UPS-Bote: Rainer Fritzsche
Intro: Benjamin Völz (Keanu Reeves, James Spader) & Jaron Löwenberg

_Vorgeschichte_

Der Berliner Informatikstudent Georg Brand, in Hackerkreisen als „T-Rex“ bekannt, ist auf eine Verbindung zwischen dem besten deutschen Hacker Boris F. alias „Tron“ und dem Rapper Tupac Shakur gestoßen. Alle möglichen Leute, die Geheimnisse aufdecken oder vertuschen wollen, interessieren sich auf einmal für T-Rex. Während Georg mit Trons ehemaliger Freundin Tatjana Junk alias Nolo anbandelt, meldet sich Tron quasi aus dem Jenseits: Er ist seit 1998 offiziell tot. Ist er das wirklich? Jedenfalls gibt Nolo Georg eine „Chiffre“ nach der anderen in die Hand. Chiffren sind eine Umschreibung für Hinweise auf die Geheimnisse, die Tron vor seinem Tod aufgedeckt hat – brisanter Stoff sozusagen.

_Handlung_

Man schreibt das Jahr 2004. Es ist Samstag um 11:45 Uhr nahe Frankfurt/Main, als Georg Brand mit seiner Freundin Nolo in Nathan Micklers Wagen fährt. Mickler ist der Vater von Margo, die Georg schon oft gepiesackt hat. Nun haben sie ein aufregendes Abenteuer im Osterwald hinter sich und möchten sich eigentlich etwas erholen (vgl. „Der Jungbrunnen“).

Da sieht Georg auf einem Online-Werbedisplay an einer Hauswand den Satz: „Georg, ich rufe dich. Tron.“ Er wird ziemlich aufgeregt, ist sich seiner Beobachtung aber sicher. Mickler versichert ihm, dass diese lokal abgestimmte Botschaft technisch realisierbar sei. Er kannte Tron alias Brois F, der einer seiner Patienten gewesen sei. Auf einer anderen Werbetafel lesen sie: „Georg, zum Flughafen, schnell!“ Auf dem Parkleitsystem lesen sie weitere Anweisungen, die sie zum Ankunftsbereich des Terminals 1 führen. Mickler vermutet, dass eine „starke KI“ dahintersteckt, also eine Künstliche Intelligenz. Doch wohin führt sie diese?

In den Bereich, der dem Bundesgrenzschutz vorbehalten ist. Aber genau im richtigen Moment wird die Absperrung entriegelt und sie können in den Bereich der Gepäckbänder vordringen. Über einem davon zeigt eine Anzeigetafel den seltsamen Stadtnamen „Tel Avis“ an. Georg checkt es sofort: Hier gibt es etwas für ihn, das Tron geschickt hat.

Die Beobachter, die Georg mit den Überwachungskameras folgen, rätseln ebenfalls. Ian G macht heute Innendienst und fragt sich: Woher kommen diese Botschaften? Höchstens Tron könnte so schnell sein, um auf jede dieser Botschaften sofort zu reagieren. Aber Tron starb 1998.

Nolo entdeckt auf dem Tel-Avis-Gepäckband eine Laptoptasche, auf deren Anhänger „Boris F“ steht. Georg greift sich die Tasche, öffnet sie und staunt über das sieben Jahre alten |Apple|-Notebook mit WLAN-Antenne. Herrje, war das Ding so lange unterwegs? Er schließt es an, fährt es hoch und staunt: jede Menge Regierungsanwendungen – brisantes Zeug. Er hat hier sogar Zugriff auf Überwachungskameras, so etwa in Bagdad, bei der US-Luftwaffe. Oder hier im Flughafen auf – Ian G und seine Mannen. Die beobachteten Beobachter verduften schleunigst. Als schwarze Sheriffs nahen, machen auch Georg und Co. die Fliege.

Als er sich über WLAN in den DENIC-Knoten des deutschen Internets einhackt, lokalisiert er mit Trons Supermaschine sogar Ian G. In Mainz. Wie es scheint, hat Ian Gs Geheimorganisation ihr Überwachungszentrum im oder unter dem Mainzer Dom. Georg ist fassungslos. Er muss sofort hin. Ob er Ian G diesmal erwischt?

_Mein Eindruck_

In dieser Folge geht es einerseits um den Heiligen Gral für Georg: Trons Computer. Das ist der endgültige Ritterschlag, und fortan kann Georg wie der verheißene Erlöser auftreten. Wollen wir hoffen, dass ihm diese Rolle nicht zu Kopfe steigt. Der zweite Aspekt ist der gläserne Bürger. Mit Trons Notebook hat Georg nun einen derart umfassenden Zugriff auf alle möglichen Daten, dass dies jedem Datenschutzbeauftragten schlaflose Nächte voller Albträume bescheren würde.

Nicht nur die allseits bekannten Personenstandsdaten (Geburtstag, Wohnort usw.) stehen T-Rex nun auf ein Fingerschnippen und Mausklicken hin bereit, sondern auch so heikle Dinge wie Finanzdaten, Kreditwürdigkeit und natürlich Patientenakten, die begehrtesten Daten von allen. Denn wenn eine Versicherung wirklich wüsste, wie es der Person gesundheitlich geht, die sie gegen Risiken versichert, dann würde sie gleich die Tarife verdoppeln. Mindestens.

|Totale Überwachung|

Das Sahnehäubchen der totalen Erfassung durch Big Brother ist dann schon gar nicht mehr so spektakulär: die audiovisuelle Überwachung und Verfolgung (Tracking) mit Hilfe biometrischer Daten wie etwa Gesichtsmerkmalen, Haarfarbe und Kleidung. Videokamera-Überwachung erfolgt bereits in allen Städten Deutschlands, in England zusätzlich auch in Kleinstädten und sogar Dörfern. CCTV macht’s möglich: Closed-circuit Television. Seltsamerweise ist auf der britischen Insel die Verbrechens- und Aufklärungsrate nicht signifikant zurückgegangen, vielmehr hat die Todesrate durch Messerstechereien erheblich zugenommen. Irgendetwas läuft dort furchtbar falsch. Bei uns demnächst auch?

Was Tron mit seinem Nachfolger macht, um mit ihm auf Schritt und Tritt zu kommunizieren, ist ebenfalls schon ohne weiteres realisierbar. (Ob es auch sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt.) Mit Hilfe von öffentlichen Anzeige- und Werbetafeln weist er Georg den Weg. Diese Tafeln sind elektronisch gesteuert, so weit klar. Aber woher weiß Tron – der ja bekanntlich 1998 starb -, wo sich Georg gerade befindet?

|Spezielle Services|

Dies wird nur durch Ortung mit Hilfe von Mobilfunkzellen möglich. Jedes eingeschaltete Handy meldet sich in den Zellen eines Mobilfunkgebietes an und lässt sich auf seinem Weg von Zelle zu Zelle verfolgen. Momentan kann dies jeder ungestört tun und bekommt Mail- und SMS-Spam nur von seinem zentralen Provider.

Location-based Services, also ortsgebundene Dienste, sollen es künftig ermöglichen, dass auch lokale Dienstanbieter entsprechende Werbebotschaften schicken können. Peinlich: Wer früher mal das bekannte Drei-Farben-Haus, Stuttgarts größtes Bordell, besucht hat, könnte noch nach Jahren entsprechende Werbung für dessen spezielle „Services“ erhalten. Auch dann, wenn die werte Gattin das Handy benutzt … (Beim Verkauf des Handys wird stets die SIM-Karte entfernt, daher funktioniert der Trick nicht nach einem Veräußern des Mobiltelefons.)

|Der Geist in der Maschine|

Aber wie kommt es, dass Tron sechs Jahre nach seinem offiziellen Tod noch in den elektronischen Kreisen Frankfurts herumgeistert? Mickler erwähnt etwas von einer „starken KI“ und meint damit eine menschenähnlich denkende und agierende Künstliche Intelligenz. Meines Wissens existiert so etwas noch nicht, ist aber in der Entwicklung. Das Problem ist lediglich, dass das menschliche Gehirn so ungeheuer komplex ist, dass es sich nicht nachbilden lässt. Schließlich geht es um rund zehn Milliarden Nervenzellen. Die Robotik verspricht demgegenüber mehr Erfolge, und die Japaner arbeiten dabei an der vordersten Front.

|Unter dem Dom|

Dass sich ein Geheimdienst wie der von Ian G (vermutlich russischer GRU) unter einer Kathedrale wie dem Mainzer Dom einrichtet, ist schon ein starkes Stück, denn das kommt ja einer Entweihung dieses heiligmäßigen Ortes gleich. Nicht nur das: Ian G hat eine ganze Serverfarm mitsamt Antennen eingerichtet. Und darf nun beim Nahen des „Weißen Ritters“ Georg Brand umziehen. Dabei unterläuft seinen hirnamputierten Untergebenen ein folgenschwerer Fehler. Man muss eben alles selber machen *seufz*.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Es ist schon lustig, wenn man in einem Serienhörspiel all jene Schauspieler sprechen hört, die man sonst mit bildschirmfüllenden Actionkrachern oder großartigen Romanzen in Verbindung bringt. Das hebt die Handlung doch gleich eine Stufe höher, verleiht ihr den Glanz von Hollywood.

Besonders David Nathan als T-Rex hat mir gefallen, denn man hört immer einen leichten ironischen Zungenschlag bei ihm heraus, und häufig verfällt er in herrlichen Sarkasmus. Diesmal allerdings erleidet Georg Brand einen kleinen Tobsuchtsanfall angesichts der totalen Überwachung, die mit Trons Laptop möglich ist, und besonders dann, als er seine eigenen Überwacher ertappt.

Nat Mickler kann dabei noch halbwegs mithalten, und Helmut Krauss verleiht dieser Figur die nötige Autorität, aber auch Freundlichkeit. Nolo kommt diesmal schlecht weg, und Marie Bierstedt hat wenig zu tun. In der nächsten Folge „Sex and Crime“ ist ihre Rolle völlig gestrichen. Es ist an der Zeit, sie in den Mittelpunkt zu rücken. Denn diesmal entdeckt auch Georg, dass Nolo gar nicht Nolo ist. Folglich muss ein kleines Identitätsproblem abgearbeitet werden.

|Geräusche und Musik|

Alle Geräusche sind natürlich aus der Realität entnommen und verleihen der Handlung den Anstrich von Filmqualität. Aber sie kommen nie den Dialogen in die Quere, sondern sind in dieser Hinsicht zurückhaltend. Durch die Handhabung der Lautstärke können zum Beispiel Bauarbeiten in den Hintergrund gerückt werden, während im Vordergrund die Figuren noch miteinander reden. Bauarbeiten sind ja generell nicht so wahnsinnig interessant, wenn man sie nicht sehen kann. Sehr heikel sind jedoch Szenen in Straßenzügen oder in einem Lokal; die Geräuschkulisse ist einerseits detailliert zu halten, um glaubwürdig zu bleiben, muss aber so dezent gehalten werden, dass sie den Dialog nicht stört. Knifflig, aber lösbar. Und in „Offenbarung 23“ fast immer optimal gelöst.

Die wenige Musik, die erklingt, fungiert meist als Pausenfüller: Fetzige Gitarren, für die Markus Wienstroer verantwortlich zeichnet, bestimmen das In- und Outro. Während der Szenen plätschert im Hintergrund hin und wieder etwas lokale Muzak (kommerzielle Musik für Cafés und Kaufhäuser) oder elektronische Musik und Tablas so vor sich hin. Mir gefielen mehr die Gitarren.

_Unterm Strich_

Die Botschaft ist klar, Herr Kommissar: Überwacht die Überwacher! Georg Brand kommt seinem Schatten Ian G auf die Schliche und verfolgt ihn in dessen Fuchsbau. Gibt es einen Showdown? Das soll nicht verraten werden. Darum geht es auch nicht, sondern darum, dass der Autor ein Menetekel an die Wand schreibt: Wehret den Anfängen in der totalen Überwachung des gläsernen Bürgers.

Gerade habe ich meine Steuer-Identifikationsnummer zugeschickt bekommen, die mich noch 20 Jahre nach meinem Ableben wie ein treuer Floh im Pelz verfolgen wird. Und als Selbständiger werde ich sogar noch eine zweite Nummer bekommen: die Wirtschafts-Identifikationsnummer. Als ob eine nicht gereicht hätte. Der Bundesfinanzminister hat bereits den [Big Brother Award]http://www.bigbrotherawards.de/2007/.pol erhalten, aber man sollte auch einen Big Buddha Award stiften: denn die Überwachung geht ja nach dem Tod, wenn ich schon im Nirvana bin, munter weiter.

Diese Folge ist recht spannend und informativ geschrieben und auf dramatische und abwechslungsreiche Weise inszeniert. Das kann man von der nächsten Folge nicht gerade behaupten. Das Hörspiel ist von |Lübbe| und |LPL records| gewohnt sorgfältig produziert worden und ich habe an der Technik nichts auszusetzen. Die Stimmen der Hollywoodschauspieler verleihen der gewohnt abwechslungsreichen Handlung etwas Filmglamour.

Die Story wartet in der Regel mit Verschwörungstheorien, Kurzinfos, Hacker-Eskapaden und allerlei zwielichtigen Aktionen auf. Abzug gibt es für das erneute Aufwärmen der abgedroschenen Mithras-Theorien im Zusammenhang mit dem Mainzer Dom. Sie lenken bloß von der Action ab.

|72 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3567-1|
http://www.offenbarung-23.de
http://www.lpl.de
http://www.luebbe-audio.de

Hohlbein, Wolfgang – Nemesis 1 – Die Zeit vor Mitternacht

_Serienkost mit Mystery-Touch_

Der exzentrische Multimillionär von Thum hat drei Männer und drei Frauen auf die Burg Crailsfelden eingeladen. Zwei von ihnen sollen sein Millionenerbe antreten. Nichts verbindet die Eingeladenen, außer dass ihre Eltern irgendwann gemeinsam mit von Thum ein Internat in Crailsfelden besucht haben.

In der Nacht ihrer Ankunft sind bereits drei von ihnen auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen. Kein Wunder, dass die Überlebenden einander misstrauen. Ihr Gastgeber ist verschwunden, und in den dunkelsten Nachtstunden sind sie allein mit ihren Ängsten und der Gewissheit, dass in den Mauern der Burg der Tod umgeht.

_Der Autor_

Wolfgang Hohlbein, geboren 1953 in Weimar, hat sich seit Anfang der achtziger Jahre einen wachsenden Leserkreis in Fantasy, Horror und Science-Fiction erobert und ist so zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren geworden (Auflage: 8 Millionen Bücher). Zuweilen schreibt er zusammen mit seiner Frau Heike an einem Buch. Er lebt mit ihr und einem Heer von Katzen in seinem Haus in Neuss.

_Der Sprecher_

Johannes Steck, geboren 1966 in Würzburg, ist Absolvent der Schauspielschule Wien. Von 1990 bis 1996 hatte er Engagements an verschiedenen Theatern. Dem breiten Publikum ist er v.a. aus dem TV bekannt. Er spielte in zahlreichen TV-Serien. Steck arbeitet zudem als Radio-, Fernseh- und Synchronsprecher. Er hat schon diverse Hörbücher gelesen.

Regie führte Lutz Schäfer, der Tonmeister war Heiko Schlachter. Die Aufnahme fand im Juli 2006 bei Kino-im-Kopf-Produktion, Augsburg, statt (toller Name!).

Das Titelbild entspricht dem der Buchausgabe beim |Ullstein|-Verlag.

_Handlung_

Der Ich-Erzähler Frank Gorresberg hetzt mit ICE und Taxi in ein Provinzstädtchen namens Crailsfelden, als gelte es, einen Schatz zu heben. Tut es möglicherweise auch, denn ein Nachlassverwalter hat ihn angerufen, damit er und fünf weitere Personen sich im Ghasthof Taube einfinden. Er denkt, er ist bestimmt der Letzte, der eintrifft, aber das ist ein Irrtum: Nach ihm kommt noch eine Frau: Maria Gärtner. Die anderen Frauen heißen Ellen (schlank, rothaarig, kühl) und Judith (pummelig, lieb, schwarzhaarig), die Männer Ed (Cowboyhut, frech, Typ Martin Semmelrogge) und Stefan (Typ blonder Hüne). Alle außer Judith haben blaue Augen …

Der Wirt, ein Althippie namens Karl, zeigt ihnen den Weg in den Saal, wo der Anwalt Fleming junior sie bereits erwartet. Frank sieht, wie der Typ hinter seinem Laptop steht und sie beobachtet – auch durch seine Webcam. Da sieht Frank, wie Flemings Schädel plötzlich explodiert und sein Gesicht zerläuft. Doch nein, es ist nur Einbildung: Fleming liegt zwar am Boden, aber Ellen, die Ärztin, diagnostiziert nur ein Aneurysma, eine geplatzte Hirnader. Etwas scheint mit Franks Wahrnehmung nicht zu stimmen. Hängt dies mit den gestörten elektromagnetischen Schwingungen zusammen, die jeden Radio- und Mobilfunkempfang verhindern?

Bloß keine Bullen anrufen, warnt Ellen, die halten uns alle für verdächtig. Schließlich sollen wir alle was erben. Auch wieder wahr, muss Frank eingestehen. Karl, der Wirt, fährt alle in seinem klapprigen Landrover auf die Burg. Frank ist es keineswegs unangenehm, dass er bei der holprigen Fahrt mehrmals gegen die weiche Judith geworfen wird, die – wie schön für ihn! – keinen BH trägt.

Die Burg stammt aus dem 13. Jahrhundert und beherbergte offenbar nicht nur Ritter und Mönche, sondern auch ein Internat. Das Gemäuer wirkt düster und verfallen, unheilvoll auf Frank. Hier heißt sie ihr Gastgeber Gero von Thun willkommen, der sich als Bürovorsteher der Kanzlei Fleming vorstellt: noch ein Aktenreiter. Ganz informell eröffnet von Thun, dass der vor 15 Jahren verstorbene Erblasser Klaus Sänger jedem der zwei Erben, die in Frage kommen, eine siebenstellige Summe vermachen würde. Die Bedingungen: Sie müssen miteinander verheiratet sein und ein gesundes Kind bekommen. Nach drei Jahren wird dann das Vermögen überschrieben, mit Ausnahme der beträchtlichen Immobilienwerte. Außerdem müssen sich die beiden Erben in „Sänger“ umbenennen und ihre Ehe darf keine Scheinehe sein. Eds Sarkasmus kennt keine Grenzen mehr.

Jeder Erbe in spe bekommt ein schäbiges Einzelzimmer im Obergeschoss. Judith verführt Frank mit Cola und Wodka, woraufhin Frank gerne als ihr Beschützer fungiert. Und es wird eine Menge Dinge geben, bei denen er sich bewähren kann …

Beide haben wie die anderen den gleichen Albtraum: Frank findet sich in einer alten Stadt – Crailsfelden? – auf der Flucht. Die Stadt brennt, und er hat ein Mädchen namens Miriam an der Hand. Sie schaut ihn vorwurfsvoll an, als wäre er an allem schuld. Kinder verfolgen die beiden, schreiend vor Hass. Miriams Haar brennt. Wurfgeschosse treffen sie. Da geraten sie in eine Sackgasse: Feuer und Verfolger kommen näher. Da öffnen sich die Tore zum Internat, die aussehen wie Fledermausflügel. Miriam wimmert, und eine weiße Gestalt taucht auf. Da erwacht Frank.

Er geht hinunter, um Judith zu suchen. In der Küche wird Kriegsrat gehalten, denn alle sind durch den Albtraum aufgewühlt, haben Kopfschmerzen und ein sonderbares Déjà-vu-Gefühl. In seiner Einbildung sieht Frank, wie sich eine Vampirfledermaus in Judiths Haar krallt und zu saugen beginnt … Er nennt sie „Miriam“. Wieso das denn?

Dann fällt ihre wichtigste Informationsquelle auf dem Hof des Internats in einen Schacht und verschwindet. Seltsam, der Schacht – ein Brunnen? ein Geheimgang? – war doch vorhin noch abgedeckt. Da nirgendwo ein Telefon zu entdecken ist und Handys keinen Netzempfang bekommen, muss jemand ins Dorf fahren, um Hilfe zu holen. Doch als ob sich die Burg selbst gegen sie verschworen hätte, wird auf grausige Weise auch aus diesem Vorhaben nichts.

_Mein Eindruck_

Die Ausgangslage für den Plot erinnert schwer an Agatha Christies Krimi „Zehn kleine Negerlein“. Einer nach dem anderen wird das Häuflein von sechs potenziellen Erben dezimiert, und dann kommen noch zwei Nebenfiguren (von Thun und Karl, der Hausmeister) hinzu. Da nur zwei Leutchen erben dürfen, ist die Dezimierung sozusagen ein zwangsläufiger Vorgang. Allerdings tauchen manche der Verschwundenen wieder aus der Versenkung auf, und da der Ich-Erzähler ein unverlässlicher Chronist ist, der unter Halluzinationen leidet, können wir uns des Spielstandes nie sicher sein. Raffiniert.

Doch was ist es, das das Häuflein der Erben pro Episode verringert? Die dunkle Bedrohung scheint etwas mit den Fledermäusen im alten, verschlossenen Turm zu tun zu haben. Dies ist meist eine psychologische Beeinflussung, aber in Episode 2 werden die Fledermäuse selbst ganz schön zudringlich. Es gibt kein Entkommen.

Das alles reicht noch nicht für den Fortgang einer interessanten Handlung, denn noch fehlt das Rätsel der Vergangenheit. Und wenn man schon in einer alten Burg einquartiert ist, dann braucht man sich über das Auftauchen von jeder Menge Vergangenheit nicht zu wundern. Die Albträume über die brennende Stadt, die wohl Crailsfelden ist, liefern einen ersten Hinweis darauf, dass hier früher mal Gewalt herrschte. Frank erinnert sich, dass das Mädchen an seiner Seite Miriam heißt – und er nennt Judith ebenfalls Miriam. Miriam ist ein hebräischer Name, eine andere Form von „Maria“ („die von Gott Geliebte“). Wenn Miriam eine Jüdin war, handelt es sich vielleicht bei der Verfolgung um ein Pogrom im Mittelalter. Das muss sich noch erweisen. Dass es um Antisemitismus geht, wird die zweite Episode bestätigen.

Möglicherweise ist da noch eine Rechnung offen. Und die bekommen die Protagonisten, die alle aus ihrem Alltag gerissen wurden, nun vorgelegt. Sie stehen stellvertretend für uns, die wir durch unseren Alltag hetzen. Allerdings sind die Erben auch etwas Besonderes, das sie auszeichnet: Sie alle haben blondes Haar (Ellens rote Haare sind gefärbt) und himmelblaue Augen. Das heißt, alle außer Judith …

_Der Sprecher_

Dem Sprecher gelingt es, die durch die Klischees vorgegebenen Figuren einigermaßen zum Leben zu erwecken. Stefan ist der verlässliche Hüne mit einem ebenso tiefen Organ wie der Wirt Karl. Ed nervt mit seiner meckernden Proletenstimme à la Martin Semmelrogge. Gero von Thun, der alte Bürohengst, hat eine gepresst klingende Stimme, die gut zu ihm passt. Frank selbst, der Ich-Erzähler, erklingt mit einer ganz normalen männlichen Stimme – allerdings allzu selten.

Interessanter sind die Frauen. Judith ist die schutzbedürftige junge Frau, kann aber durchaus auch zu einer Waffe greifen. Ellen, die kaltschnäuzige Ärztin, ist ihr genaues Gegenteil: eine kühle Managerin. Maria liegt irgendwo dazwischen und wirkt deshalb am glaubwürdigsten. Allerdings ist diese Tonhöhe durch die männlichen Stimmbänder des Sprechers etwas begrenzt. Rufus Beck könnte in dieser Hinsicht sehr viel mehr Eindruck hinterlassen.

Nicht zu vergessen die Kinder. Kinder?, wird sich der Leser nun fragen. Kinder treten doch gar nicht auf. Doch, tun sie, und zwar in den Albträumen, die Frank und die Anderen immer wieder erleiden (geschickt bekommen?). Das Traum-Ich Franks rennt mir Miriam durch die brennende Stadt, verfolgt von Kindern. Deren Rufen und Drohen drückt der Sprecher sehr gut aus. Es klingt aber nicht so richtig bedrohlich.

Das Hörbuch verfügt weder über Geräusche noch über Musik, aber dafür ist es recht preisgünstig.

_Unterm Strich_

Wieder einmal legt Hohlbein eine durchdachte und routiniert inszenierte Mysteryserie vor, wie sie inzwischen zu seinem Markenzeichen geworden sind. Es gibt jede Menge Rätsel und eine unsichere Wahrnehmung der Realität, um das Interesse wach zu halten. Wichtiger scheint mir aber das sich herausschälende Motiv des Antisemitismus zu sein, das sich in Episode 2 noch deutlicher zeigen wird.

Die Figuren sind zwar klischeehaft gezeichnet, aber alle sind – und das ist in einer Serie die Hauptsache – deutlich unterscheidbar. Die kühle Ellen, der kecke Ed, die ängstliche Judith, der hünenhafte Stefan, die zwielichtigen Nebenfiguren, die einiges zu verbergen haben – all dies verrät saubere Routinearbeit eines erfahrenen Erzählers. Das heißt nicht, dass sein Plot so überragend einfallsreich wäre. Die erste Episode dient nur als Exposition für das eigentliche Geschehen, daher ja auch der Titel „Die Zeit VOR Mitternacht“. Wer weiß, was die „Geisterstunde“ alles bringen mag. Dass die erste Episode mit einem Unglück endet, lässt den Hörer angespannt zurück. Denn schließlich will man unbedingt die Lösung des Rätsels erfahren. Das ist das Gesetz der Serie: Cliffhanger-Schlüsse wie dieser sind ein Muss.

|Buchausgabe: Nemesis 1, 2004
147 Minuten auf 2 CDs|
http://www.HoerbucHHamburg.de

Hohlbein, Wolfgang – Der Seelenfresser

_Hexer vs. Hexe: Showdown in Innsmouth_

Auch dies ist wieder eine Geschichte um den Hexer: Robert Craven. Diesmal trifft er auf den sympathischen Shannon, mit dem er sich schnell anfreundet. Er ahnt nicht, dass Necron, der erbittertste Gegner seines Vaters Andara, ihn geschickt hat. Und Shannons Auftrag lautet natürlich: Töte den Hexer!

Das Hörbuch ist mit Rockmusik der Band |Andara Project| angereichert. Es handelt sich aber nicht um ein Hörspiel. Das würde verteilte Rollen und eine Theaterdramaturgie erfordern.

_Der Autor_

Wolfgang Hohlbein hat sich seit Anfang der achtziger Jahre einen wachsenden Leserkreis in Fantasy, Horror und Science-Fiction erobert und ist so zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren geworden. Zuweilen schreibt er zusammen mit seiner Frau Heike an einem Buch. Er lebt mit ihr und einem Heer von Katzen in seinem Haus in Neuss.

Die Hörbücher aus der HEXER-Reihe:

1) Als der Meister starb
2) Auf der Spur des Hexers
3) Das Haus am Ende der Zeit
4) Tage des Wahnsinns
5) Der Seelenfresser

_Der Sprecher etc._

Jürgen Hoppe, 1938 in Görlitz geboren, ist Rundfunk- und Fernsehjournalist sowie Sprecher, Autor, Moderator und Korrespondent verschiedener Sendeanstalten. Sein facettenreiches Talent stellte er bei der Interpretation unterschiedlichster Texte unter Beweis.

Der Text wurde von Albert Böhne bearbeitet, der auch als Regisseur, Tonmeister, Produzent, Komponist und Sänger fungierte.

Der Sprecher des Prologs ist Dirk Vogeley. Der Gesang stammt u. a. von Albert Böhne, Nicole Rau („Dark Fear“) und Steve Whalley („The Age of Damnation“). Die Band heißt |Andara Project|. Eine „Stimme“ stammt von Sabine Keller. Sie rezitiert „Touch my Heart“. Alle Angaben sind in der Jewel-Box auf den Einlegern zu finden.

Der Autor himself spricht Intro und Outro.

_Der Autor Howard Phillips Lovecraft und sein Cthulhu-Mythos_

Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) wird allgemein als Vater der modernen Horrorliteratur angesehen. Obwohl er nur etwa 55 Erzählungen schrieb, hat sein zentraler Mythos um die Großen Alten, eine außerirdische Rasse bösartiger Götter, weltweit viele Nachahmer und Fans gefunden, und zwar nicht nur auf Lovecrafts testamentarisch verfügten Wunsch hin.

Aber Lovecrafts Grauen reicht weit über die Vorstellung von Hölle hinaus: Das Universum selbst ist eine Hölle, die den Menschen, dessen Gott schon lange tot ist, zu verschlingen droht. Auch keine Liebe rettet ihn, denn Frauen kommen in Lovecrafts Geschichten praktisch nur in ihrer biologischen Funktion vor, nicht aber als liebespendende Wesen oder gar als Akteure. Daher ist der (männliche) Mensch völlig schutzlos dem Hass der Großen Alten ausgeliefert, die ihre Welt, die sie einst besaßen, wiederhaben wollen. Das versteht Lovecraft unter „kosmischem Grauen“. Die Welt ist kein gemütlicher Ort – und Einsteins Relativitätstheorie hat sie mit in diesen Zustand versetzt: Newtons Gott ist tot, die Evolution eine blinde Macht, und Erde und Sonne sind nur Staubkörnchen in einem schwarzen Ozean aus Unendlichkeit.

_PROLOG_

Eine ernste Stimme (Dirk Vogeley) klärt den Hörer darüber auf, was es mit den großen Alten auf sich hat und dass mit ihnen grundsätzlich nicht gut Kirschen essen ist. Vor Millionen von Jahren beherrschten sie die Erde, doch ihre Sklaven rebellierten. Die Großen Alten schlugen den Aufstand nieder, aber nur unter Opfern, denn sie weckten die Älteren Götter, die sie bekriegten. Die Älteren Götter verbannten die Großen Alten in die finstersten und ungemütlichsten Ecken des Universums, einer jedoch schlummert in der Tiefe der Ozeane, im vergessenen R’lyeh: Cthulhu!

Eine düstere Stimme prophezeit: „Doch das ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass der Tod die Zeit besiegt.“

_Handlung_

Der „Hexer“ Robert Craven trifft in Arkham ein, der Stadt am Miskatonic River, in der die berühmt-berüchtigte Miskatonic Universität liegt. In ihr existiert eine Abschrift des verfluchten Buches „Necronomicon“, das vom verrückten Araber Al-Hazred geschrieben wurde. Es wundert nicht, dass hier alle möglichen übernatürlichen Vorkommnisse auftreten. Das Buch wird von vielen Magiergruppen begehrt.

Das Hotel, in dem Craven eincheckt, ist nicht ganz das, was es scheint. Als Craven seine magischen Schutzsteine auch im Badezimmer aufstellen will, fällt er in ein Loch! Nur ein Balken bewahrt ihn vor dem Absturz in die Tiefe. Dort lauert ein grässliches Wesen, das seine Tentakel nach ihm ausstreckt. Wenn ihn nicht der Fremde herausgezogen hätte, so hätten die Fangarme Craven sicherlich erwischt. Der Retter, der sich als Shannon vorstellt, schleudert einen der Schutzsteine in die Tiefe und das Monster weicht unter heftiger Gestankentwicklung zurück.

Shannon, der für einen Magier recht jung wirkt, holt Craven aus dieser Bruchbude heraus, um ihn in der Uni einzuquartieren. Doch dazu müssen sie erst einmal den Fluss überqueren. Craven gibt sich nicht zu erkennen und nennt sich Jeff Williams. Das erweist sich als klug, denn Shannon behauptet, ein Freund von Robert Craven zu sein und ihn zu erwarten. Weder das eine noch das andere trifft für Craven selbst zu.

Auf dem Fluss folgt ein erneuter Angriff auf Craven. Am Ufer erscheint ihm sein Vater, Roderick Andara. Als dieser den Magier Shannon umbringen will, fällt ihm Craven in den Arm. Auch wenn Shannon gekommen sei, um Craven zu töten und mächtiger sei als er. In der Uni gesteht ihm Shannon, dass er diesen Craven töten soll – für das, was er dem Ort Innsmouth angetan habe. Davon weiß Craven, der sich immer noch als Jeff Williams ausgibt, nichts. Hält Shannon Craven etwa für Roderick Andara?

Die Lösung des Rätsels und das Ende von Shannons Hass kann nur ein Besuch in Innsmouth erbringen. Doch dort lauern bereits zwei Erzfeinde Andaras: die Hexe Lissa, die Craven Freundin Priscilla in ihren Bann geschlagen hat, und ihre Kreatur, der Seelenfresser, ein unsichtbares Gespinst, das – na, was wohl? – Seelen raubt. Offensichtlich ist jetzt ein Showdown fällig …

_Mein Eindruck_

Dies ist nur das erste der beiden Abenteuer, die in dem vorliegenden Hörbuch versammelt sind. Wieder einmal jagen sich die unvermittelt – und allzu häufig auch unmotiviert – auftretenden Anschläge auf das kostbare Leben des magisch begabten Helden Robert Craven. Nichts ist, was es scheint, und die so genannte Realität ist nur Lug und Trug. Sogar von seinem besten Freund Howard (Ph. Lovecraft) tritt ein Doppelgänger auf, und von Priscilla – wir ahnen es schon – ist auch nichts Gutes zu erwarten. So bleibt es fesselnd bis zum überraschenden Schluss.

Dies hat jedoch mit echter Spannung herzlich wenig zu tun. Wie soll sich Spannung aufbauen, wenn der Held von einem Wechselfall in den anderen geworfen wird? Wir wissen ja, dass er wie ein Stehaufmännchen stets wieder auf die Beine kommen wird, damit die Abenteuerserie weitergehen kann.

Die Welt der Großen Alten, die Lovecraft so leidenschaftlich und mühevoll in seinen Erzählungen errichtet hat, dient lediglich als Folie für Cravens Abenteuer. Sogar der Ort Innsmouth, an dem sich eines von Lovecrafts gruseligsten Abenteuern abspielt [(„Der Schatten über Innsmouth“), 424 dient nur als Kulisse für den ersten Showdown. Dadurch gerät der Autor niemals in die Gefahrenzone des Plagiarismus, doch Lovecraft-Jünger werden nicht sonderlich entzückt sein, einen ihrer Lieblingsschauplätze so banal missbraucht zu sehen.

Na ja, dies ist nur eine Groschenheftserie, und auf diesem Niveau spielt sich die Handlung ab: Alle fünf Minuten ist ein „spannender“ Zwischenfall fällig, sonst würde der Hörer bzw. Leser ja die Leere unter den Figuren und Kulissen bemerken. Natürlich werden immer wieder Vorwände für die Überfälle angeführt – das „Necronomicon“ ist ein ebenso guter wie fiktiver Vorwand. Und damit alles schön geheimnisvoll und rätselhaft erscheint, bleiben am Schluss immer ein paar Phänomene unerklärt: Wieso taucht Andaras Geist ständig auf? Wie gelangte einer Attentäter durch die Kellerwand? Manchmal hat die Action auch etwas Komisches, so etwa dann, als der dem Attentäter folgende Craven hinter einer Tür nicht den Kellerraum, sondern die nächste Mauer vorfindet – und sich prompt eine dicke Beule einhandelt.

_Der Sprecher_

Der 68 Jahre alte Sprecher Jürgen Hoppe verfügt immer noch über eine durchaus kräftige Stimme, die er wirkungsvoll einzusetzen weiß. Zwar ist seine Modulationsfähigkeit nicht so ausgeprägt wie etwa bei Kerzel und Pigulla, doch die Kraft seines Ausdrucks trägt besonders bei dramatischen Stoffen zur Wirkung der Geschichte bei. Ein Horrorstoff wie „Der Seelenfresser“ mit seinen zahlreichen dramatischen Konfrontationen bietet sich hierfür geradezu an.

In eingeschränktem Maße kann er seine Stimme verstellen. Rowlf beispielsweise hat eine sehr tiefe Stimme, ganz im Gegensatz etwa zu der Hexe Lissa, die ihrem Klischee hundertprozentig entspricht, indem sie kreischt und krächzt. Den Vogel schießt der am Schluss auftretende Shoggothe auf, ein Protoplasmadämon, der Craven mit den hochgeistigen Worten „Du wirst sterben, Craven!“ anschnarrt. Hier klingt Hoppes Stimme, als wäre einer der höchst selten benutzten Klangfilter eingesetzt worden.

_Die Musik_

Das Hörbuch weist einen erstaunlich hohen Gehalt an Musik auf. Schon der Prolog weist Hintergrundmusik auf, dann folgt in der Pause ein längeres Stück professionell produzierten Mystic- oder Gothic Rocks. Später folgen auch Songs, gesungen von Steve Whalley und anderen (s.o.).

Über die Qualität von Songtexten auf Hörbüchern kann man sich streiten, so etwa über Kunzes Stück „Der weiße Rabe“ auf den Poe-Hörspielen |Lübbe|s. Bei Böhnes englischen Texten ist jedenfalls weitaus weniger zu verstehen, worum es geht. „Age of Damnation“ ist der lange Abspannsong (Outro), und der dürfte Gothic-Rock-Fans ansprechen. In der Mitte des Hörbuchs, zwischen erstem und zweitem Abenteuer, erklingt der Song „Dark Fear“, der mir Schauder über den Rücken jagte. Allerdings nicht wegen der Lyrics, sondern wegen des schauder- und stümperhaften Klangs und Gesangs. Ich würde der Sängerin empfehlen, noch viele Gesangsstunden zu nehmen. Leider ist auch der Sound der restlichen Musiker eher von einer Garagenband zu erwarten – ganz im Unterschied zu dem Stück „Age of Damnation“.

Ich empfand ansonsten die häufig in den dramatischen Szenen eingesetzte Hintergrundmusik nicht als aufdringlich oder gar störend, sondern vielmehr als passend. Allerdings fragt sich manchmal der Hörer, warum er die Musikstücke mitbezahlen soll, die doch einen nicht unbeträchtlichen Teil der Laufzeit ausmachen – geschätzt etwa 20 Minuten Pausenmusik und Abspann. Immerhin teilen die Songs den langen Text deutlich auf.

_Unterm Strich_

„Der Seelenfresser“ richtet sich – wie die gesamte HEXER-Reihe – von seiner begrenzten Originalität und seinem einfachen Stil her an ein junges Publikum, das wohl vor allem männlich sein dürfte. Frauen kommen kaum vor, und wenn, dann entweder als Engel, Dämon oder Hexe. Diese jugendfreie Version von Weiblichkeit ist sicherlich ebenso legal wie klischeebehaftet, aber das ist ja nichts Neues.

Auch deswegen fühlte ich mich in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhundert zurückversetzt, als ich Cravens Abenteuern lauschte. Damals schrieb nicht nur Lovecraft seine besten Storys, sondern auch Schriftsteller wie Edgar Rice Burroughs, der Erfinder Tarzans, und Robert E. Howard, der Erfinder des Barbaren Conan – allesamt Jungenabenteuer, die für die Serienproduktion wie geschaffen waren. Und deshalb auch heute noch aufgelegt und verfilmt werden. Heute wie damals bieten sie Ablenkung durch gefahrlos genießbare Illusionen aus einer pubertären Märchenwelt.

Innrhalb der Hexer-Hörbuch-Serie ragt „Der Seelenfresser“ in keiner Weise heraus. Doch der Song „Dark Fear“ in der Mitte ist eindeutig ein qualitativer Tiefpunkt. Er wurde hörbar schlecht produziert. Der Sprecher Jürgen Hoppe macht im Zusammenspiel mit der Band |ANDARA Project| das Hörbuch beinahe zu einem Hörspiel, so spannend und eindrucksvoll weiß Hoppe die Szenen darzustellen. Wer also keinen hohen Ansprüche an Horrorliteratur stellt, wird mit diesem Hörbuch letzten Endes gut unterhalten werden. Es bietet eben Horror Marke Hohlbein, nicht zu wenig Erzählkunst, aber eben auch keineswegs zu viel.

|Originalausgabe: Der Seelenfresser, 1984
216 Minuten auf 3 CDs|
http://www.luebbe-audio.de

Weinland, Manfred / Rost, Simon X. / Fickel, Florian – Vampira: Diener des Bösen (07)

_Magisch: Äpfel vom Baum der Erkenntnis_

Vampira ist eine hübsche junge Halbvampirin, doch die Freunde ihrer verstorbenen Mutter, die Vampire, machen ihr das Leben schwer. Gut, dass Mutter ihr eine Allzweckwaffe mit auf den Lebensweg gegeben hat: ein intelligentes Kleid, das die Gegner fertigmacht.

In Episode 7 erhält Vampira ein magisches Heilmittel, mit dem sie ihre bisherigen Gegner zu ihren Helfern umwandeln kann, droht aber in eine Falle ihres Erzfeindes Landrus zu tappen …

_Der Autor_

Manfred Weinland, Jahrgang 1960, ist Schöpfer und Chefautor der aktuellen |Bastei|-Science-Fiction-Heftserie „Bad Earth“, die am 29. April 2003 startete. Als Autor ist Manfred Weinland ein „alter Hase“. Schon 1977 verkaufte er seinen ersten Heftroman an den damaligen |Zauberkreis|-Verlag. Es folgten bis zum heutigen Tag rund zweihundert Romanveröffentlichungen, als Taschenbuch, Paperback und Hardcover, unter eigenem Namen oder
Pseudonym. Für die 1994 von ihm kreierte |Bastei|-Serie „Vampira“ war er nicht nur federführend für den durchgängigen roten Faden verantwortlich, sondern schrieb auch den Löwenanteil der Romane. (zitiert nach: http://www.ren-dhark.de, Stand: 2004) Mehr zur Serie findet man auf der Website http://forum.phantastische-hoerspiele.de/forum.pl?cat=Vampira.

|Die Serie:|

1) Das Erwachen
2) Der Moloch
3) Besessen
4) Landrus Ankunft
5) Niemandes Freund
6) Die Blutbibel
7) Diener des Bösen
8) Das Dorf der Toten

_Die Sprecher / Die Inszenierung_

Die Buchbearbeitung lag in den Händen von Simon X. Rost, Regie führte wie bisher Florian Fickel. Die Vertonung erfolgte durch Joschi Kauffmann, der auf eigene Musik und die seines Kollegen Rainer Scheithauer zurückgriff. Man kann annehmen, dass aus dieser Quelle auch die zahlreiche Geräusche und Soundeffekte stammen. Das Ganze wurde in verschiedenen Studio aufgenommen. In den Stuttgarter JK Studios wurde produziert, gemischt und gemastert.

Die Rollen und ihre Sprecher:

Intro: Klaus Höhne („Prof. Dumbledore“)
Erzähler: Christian Rode (Christopher Plummer; Michael Caine)
Vampira: Tina Haseney
Landru: Bela B. Felsenheimer (|Die Ärzte|)
Mc Beth, Reporterin: Ulrike Sturzbecher
Tanor: Dirk Müller (Peter „Colt“ Lamb in Matrix 2 & 3)
Trish Tough: Sabine Menne
Leroy Harps: Michael Habeck (Oliver Hardy, „Barney Geröllheimer“)
Virgil Codd: Volker Brandt (Michael Douglas)
Maud Edwards: Giuliana Jakobeit (Keira Knightley in „Fluch der Karibik 1-3“)
Warner: Norbert Langer (Burt Reynolds, Clark Gable, Tom Selleck)
Weinberg: Heiner Heusinger
Maryanne Rosehill: Dorette Hugo (Joey Lauren Adams, Jennifer Garner, Shirley Henderson)
Vater Rosehill: Thomas Danneberg (Dan Akroyd, John Travolta, Sylvester Stallone, Arnold Schwarzenegger, Nick Nolte, Dennis Quaid, John Cleese, Rutger Hauer, Christopher Lambert … die Liste ist beeindruckend!)
Carlotta: Kerstin Sanders-Dornseif (Susan Sarandon; Glenn Close)
u. v. a.

_Die Vorgeschichte_

Ab Episode 2 werden die vorhergehenden Ereignisse kurz zusammengefasst: „Was bisher geschah“. Ich tue das ein wenig ausführlicher.

Das junge Mädchen Lilith erwacht irgendwo, ohne eine Ahnung zu haben, wer und was sie ist. Nun, sie ist eine Halbvampirin. Bereits im ersten Teil der Serie erfahren wir durch Liliths Träume von der Prophezeiung, die Liliths Leben bestimmt. Von wem die Prophezeiung stammt, ist unklar, Hauptsache, Liliths Mutti weiß Bescheid. Das Töchterlein hat die hehre Aufgabe, die Vampire zu bekämpfen. Was etwas ironisch ist, wenn man bedenkt, dass Mutti auch eine aus dieser Rasse ist. Papi ist nicht so wichtig, aber er kommt in einer Rückblende ebenfalls vor.

Aber welchen Grund hat Lilith, ihre blutsaugenden Zeitgenossen zu hassen und zu vernichten? Dies werden wir hoffentlich noch in späteren Episoden erfahren. Ein gewisser Obervampir namens Landru scheint dabei eine Rolle zu spielen. Möglicherweise wollte Liliths Mutter verhindern, dass Landru & Co. wieder ihre Herrschaft über die Menschen errichten, nachdem ihnen diese vor Jahrtausenden verlorenging. Warum Mütterchen drei Tage nach Vampiras Geburt den Löffel abgeben muss, wird ebenfalls nicht erklärt. Schuld kann bloß die Prophezeiung sein.

Selbstredend hat das arme Mädel – sie ist ja Vollwaise – null Peilung, über welche Kräfte es verfügt. Deshalb dienen die ersten Episoden zu ihrer Orientierung, was ihre Fähigkeiten anbelangt. Das macht ihre Geschichte sympathisch und spannend. Außerdem sind diese Abenteuer aufgrund von Liliths Schönheit und erotischer Anziehungskräft höchst sinnlich geprägt – ein Markenzeichen der Serie. Da Lilith aber nur Halbvampirin ist, ist sie nicht wie ihre reinrassigen Vettern und Kusinen auf Vergewaltigung aus – so bleibt alles schön politisch korrekt.

Eine ganz wichtige Waffe ist Liliths rotes Kleid, ein Erbstück des lieben Mütterleins, welches offensichtlich über ein eigenes Leben und Bewusstsein verfügt. Was dieses Kleid mit seinen Opfern anrichtet, ist meist ungesund in seiner Wirkung, aber: Die Schurken haben es ausnahmslos verdient. Schutz kann Klein-Lilith gut gebrauchen: Die Vampire – hier „Götzen“ genannt – sind hinter ihr her. Und sie können sich jederzeit von einem Menschen in einen Wolf oder eine Fledermaus verwandeln.

|In Episode 3|

… geriet Lilith Eden unter den Holzpflock des besessenen Priesters Lorrimer, der ihr selbigen ins Herz treiben wollte, weil er sie für eine Vampirin hielt – nicht ganz zu Unrecht, wie hier angemerkt werden sollte. Zum Glück für Lilith kam ihm sein Novize Duncan Luther in die Quere, der auf hypnotischen Befehl zweier echter Vampire handelte. Doch Lilith befreite ihn von deren Bann und gemeinsam konnten sie in eine Absteige entkommen.

|In Episode 4|

… stellt Lilith erstmals ihre Fähigkeit zu liebevollem und solidarischem Handeln unter Beweis. Das macht sie umso sympathischer und akzeptabler, wenn sie andere Personen verletzt oder tötet. Als sie Duncan gegen die Vampire beisteht, entfaltet sie zudem beachtliche Kräfte, die belegen, dass sie auch ohne ihr magisches „Kleid“ den Gegnern Paroli bieten kann. Dass das Kleid schließlich wieder zu ihr zurückfindet und sie schützend umschließt, ist eher eine Fußnote. Doch Lilith, die eine Ahnung von ihrer Sterblichkeit hat, fühlt sich nun wieder vollständig. Allerdings rücken ihr ihre Feinde, die Vampire unter Führung von Landru, allmählich auf die Pelle.

|In Episode 5|

… lernt Vampira, auf den Traumpfaden der Geistreise zu wandeln und entdeckt das – leere – Grab ihrer Mutter Criana. Außerdem stößt sie im persönlichen Besitz ihres Widersachers Landru auf eine Landkarte aus Menschenhaut. Der Obervampir befindet sich auf der Suche nach einem heiligen Kelch, mit dessen Hilfe sich neue Vampire erzeugen lassen.

|In Episode 6|

… begegnet Vampira Landru in einem nepalesischen Bergdorf, wo beide die Bibel des Blutes an sich bringen wollen. Landru sucht hier auch den Kelch, doch wird er durch Vampira und die Wächter der Blutbibel erheblich gestört. In Neu-Delhi hat Vampira zuvor ihren Freund Duncan Luther verloren, durch ihre eigene Schuld.

_Handlung_

Zurück in Sydney, Australien. Die Pornodarstellerin Trish Tough findet in der Wohnung von Leroy Harps, den wir schon aus den ersten Episoden als Vampir kennen, ein vorzeitiges und unrühmliches Ende. Maryann Rosehill ist ihre Schwester und in die Stadt gekommen, um Trish zu identifizieren. In einer Hotellobby gibt sie der Reporterin McBeth ein Interview. Maryann zeigt sich sehr besorgt um ihren Vater. Als dieser sie in ihrem Zimmer besucht, zeigt sich, dass er Trishs Mörder mit der Hilfe der mitgebrachten Hellseherin Carlotta suchen und zur Rechenschaft ziehen will. Er dringt sogar an den von der Polizei versiegelten Tatort ein, damit Calotta ihrer Aufgabe nachgehen kann: Diese erkennt Leroy Harps als bluttrinkenden Vampir, der schon wieder ein Opfer gefunden hat – jetzt!

Der Vater begibt sich in das Industriegebiet, wo Carlotta Leroy Harps „gesehen“ hat, und stößt auf einen Wächter namens Armstrong. Als dieser sich aggressiv verhält, feuert Paul Rosehill auf ihn, doch Armstrong lacht bloß …

Maryann Rosehill wendet sich nach einer Warnung Carlottas besorgt an McBeth, und diese kontaktiert ihre Freundin, die inzwischen aus Nepal zurückgekehrte Lilith Eden. Alle vier Frauen fahren ins Industriegebiet, wo Paul Rosehill zuletzt „gesehen“ wurde. Lilith und McBeth betreten eines der Gebäude. Sie stoßen auf ein wahres Schlachthaus voller Leichen …

Unterdessen tritt der ehemalige Polizist Jeff Warner in Aktion. Er hat in einer der ersten Episoden das unheimliche Haus Paddington 333 (Liliths Elternhaus) betreten und dort ziemliche merkwürdige Dinge erlebt. Von einem mysteriösen Apfelbaum hat er mehrere Äpfel mitgebracht, die er nun auf nützliche Weise einsetzt: Wenn ein Vampir davon isst, verwandelt er oder sie sich zurück in einen Menschen. Und mehr noch. Die Geheilten werden automatisch zu Dienern Liliths.

Als Warner Lilith endlich nach langen Irrwegen trifft, um ihr dies zu verklickern, staunt sie nicht schlecht. Wem hat sie dieses Wunder nur zu verdanken? Einer SIE, deren Namen er nicht verraten will. Und da wäre noch etwas. Den heiligen Lilienkelch, den Landru und sein vampirisches Gesocks suchen, gebe es tatsächlich, und zwar in Wales, genauer in Llandrynwyth. Das dürfte wohl Liliths nächstes Ziel sein.

_Mein Eindruck_

Wie so viele andere Episode dieser Reihe besteht auch Episode 7 aus zwei Spannungsbögen, die einander intermittierend durchdringen. Die obige Handlungsskizze kann deshalb nur einen oder zwei durchgehende Handlungsfäden wiedergeben, nicht aber das Hörspiel als solches. Aber die Handlungsstränge stehen nicht nur parallel nebeneinander, sondern auch bedeutungsmäßig hintereinander.

Die vordergründige Spannung liefert die Story um die drei Rosehills: Maryann, Trish und ihren Vater Paul. Dieser Plot wird wie jeder normale Thriller ausgeführt und geizt nicht mit bekannten Horrorelementen und Schockeffekten. Natürlich fragt sich der Hörer, was das alles soll. Die Frage wird am Ende beantwortet: Leroy Harps ist lediglich ein Köder, den Landru ausgelegt hat, um Lilith in eine Falle zu locken.

Die im Hintergrund ablaufende Handlung um Jeff Warner ist so schwach und ohne den scheinbar nötigen Zusammenhang ausgeführt, dass sie für den Zuhörer ein Rätsel darstellt. Er ist gespannt auf die Lösung des Rätsels. Die Verbindung zwischen beiden Handlungsfäden ist natürlich Lilith. Erst als Warner sie trifft, wird das Geheimnis um die rätselhaften Verwandlungen von Vampiren gelüftet.

Während die Story um Paul Rosehill dem Horrorkenner nur allzu bekannt vorkommt – der Mann hat offenbar keine Ahnung, auf was er sich einlässt -, bereitet die Sache mit den Zauberäpfeln doch einiges Kopfzerbrechen. Die Äpfel der Heilung scheinen ein reines Fantasyelement zu sein. Sie erinnern an die goldenen Äpfel der Hesperiden, die Herakles auf einer seiner Heldenfahrten besorgen musste, und an den Apfel vom Baum der Erkenntnis, den Eva im Garten Eden aß.

In dieser Funktion ergibt das Symbol des Apfels einen Sinn. Nachdem ein Vampir davon gegessen hat, erkennt er seine Lage und wird wieder zu einem Menschen. Der Baum, an dem der Zauberapfel gewachsen ist und von dem Erdgeist Jeff Warner frei Haus geliefert wird, steht in einem verschwundenen Zauberhaus, das nunmehr unzugänglich ist – eine weitere Parallele zu Eden. Nicht zufällig lautet auch Liliths Familienname Eden. Da Horror und Vampire von jeher mit der Religion assoziiert sind – als Verkörperung des Un-Glaubens und des Widersachers – dürften wir in künftigen Episoden noch weitere biblische Anspielungen antreffen.

Dass der Obervampir Landru in dieser Episode nur am Anfang einen Kurzauftritt absolviert, finde ich schade. Mir haben seine düsteren Aktivitäten immer Spaß gemacht, weil sie so gruftig sind und ein Gegenbild lieferten zu dem, was Lilith unternahm. Das ist nun vorüber, und es ist höchste Zeit, dass Lilith wieder einen würdigen Gegenspieler findet.

_Die Sprecher / Die Inszenierung_

Ähnlich wie die bisherigen „Geisterjäger“-Hörspiele von Oliver Döring ist auch dieses Hörspiel aufgezogen, Musik und Geräusche sind professionell eingesetzt. Die Stimme der Heldin, die Tina Haseney gehört, hat mir wieder besser gefallen, denn sie muss nicht mehr die ahnungslose Landpomeranze spielen, sondern kann mitunter mal losbrüllen, wenn sie gegen die allfälligen Monstrositäten antritt. Im Verbund mit drei anderen Figuren kann sie sich diesmal als Fachfrau für die Bekämpfung von untotem Gelichter hervortun. Mit ihrem Superkleid, einem Symbionten, fällt ihr diese Rolle sicherlich leichter.

McBeth wird von Ulrike Sturzbecher als eine patente und ehrgeizige Reporterin gezeichnet, die es verdient hätte, mal auf einen grünen Zweig zu kommen und Anerkennung zu erhalten. Ich konnte diese Figur einigermaßen ernst nehmen, auch wenn sich in ihr einige Hollywoodklischees wiederfinden. Diesmal spielt McBeth eine wichtige Rolle als Anlaufstelle für Vampiropfer und Freundin der Heldin. Sollte McBeth allerdings noch aktiver werden, müsste man ihr eine eigene Show, pardon: Serie geben.

Felsenheimers Obervampir Landru ist zwar immer noch der Bösewicht, wie er im Buche steht, doch Bela B von den „Ärzten“ chargiert endlich weniger und hat sich mehr zurückgenommen. Das erlaubt ihm, nuancierter zu spielen und mehr Andeutungen in seine Dialogzeilen zu legen.

|Geräusche und Musik|

Recht interessant sind die Soundeffekte. Wie jedes Horrorhörspiel steht und fällt der Gesamteindruck mit dem Einsatz von Musik, Geräuschen und Effekten. Spielt alles sauber zusammen und gibt es keinen Sound-Brei, dann ist das schon die halbe Miete, was den Erfolg beim Hörer anbelangt. Durch den Einsatz von Effekten kann man den Soundtrack aufwerten, ihn aber auch überladen, deshalb ist die richtige Dosierung entscheidend.

Zu den Geräuschen zählen alle, die das Ambiente verdeutlichen, so etwa in einem fahrenden Auto oder an der Waterkant oder auf einem Friedhof – so eine Totenglocke bei Nacht ist doch immer etwas Heimeliges. Richtig un-heimlich wird das Hörspiel eigentlich nur an dem blutigsten Schauplatz. Dort ertönt ein unerklärliches Summen, das einem den letzten Nerv raubt.

Am Schluss wird die Auseinandersetzung wieder mal sehr handfest. Als Maryann Rosehill gerade in höchster Gefahr schwebt und von einem knurrenden Leroy Harps attackiert wird, bringt ihm die Heldin mit einem schlagkräftigen Auftritt Mores bei – bevor sie ihn mit ihrem Apfel humanisiert. Die Faustschläge, die sie einsetzt, klingen wie aus der Mottenkiste der Soundeffekte.

Mehrere Male ist ein Klagelied zu hören, das von einer Frau sehr schön gesungen wird. Es erinnert an die elbische Klage über das Ableben Gandalfs in Moria. Das Intro mit der Titelmelodie wiederholt sich im Ausklang.

_Unterm Strich_

Diese Episode bietet sowohl für den Neueinsteiger als auch für den Sammler etwas. Der Neueinsteiger wird mit einer leicht verständlichen Thrillerhandlung um Paul Rosehill und seine zwei Töchter unterhalten. Der Sammler bekommt mehrere Elemente serviert, die schon vorher eingeführt und angefangen wurden und nun einer interessanten Bestimmung zugeführt werden. Dies betrifft nicht nur den Zauberapfel vom Baum der Erkenntnis, sondern auch den Kopf von Liliths Vater, den Landru, wie Dauerhörer der Serie wissen, in seinem Besitz hat. Daher ist diese Episode, obwohl sie wenig Neues zu bieten scheint, letzten Endes für Vampira-Sammler recht zufriedenstellend.

|Für wen sich die Serie eignet|

Diese Hörspielreihe, die im April 2006 begann, ist meines Erachtens für Mädchen und Jungen gleichermaßen interessant – ab 14 bis 16 Jahren etwa, denn der Gewalt- und Erotikgehalt ist beträchtlich. Mädchen können sich mit der Lage der jungen Lilith Eden identifiziert und sozusagen mit ihr als einer Superheldin wachsen und Abenteuer erleben. Ihr realistisches Gegenstück ist McBeth, die Reporterin.

Erbaulich ist auch der Umstand, dass Liliths Opfer stets Männer sind, und darunter sind meist recht verkommene oder geistig minderbemittelte Exemplare. Gegen weibliche Vampire oder Hybride vorzugehen, hat das Supermädel aber auch keine Skrupel. Vampira ist Sozialdarwinismus auf zwei sexy Beinen.

Für Erwachsene hält die Serie herzlich wenige Unterhaltungswerte bereit. Dafür sind die Figuren und die Dialoge zu unausgereift. Mit Lumleys „Necroscope“ können sie schon gleich gar nicht mithalten – wollen es aber auch wohl auch nicht. Alles in allem ist eben die Hörspielserie die akustische Entsprechung zu einem Heftchenroman, was sich schon am günstigen Preis von knapp acht Euro ablesen lässt. Die Produzenten können lediglich versuchen, diesem wenig anspruchsvollen Grundgerüst ein möglichst schönes Mäntelchen umzuhängen.

|70 Minuten auf 1 CD|
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C. J. Cherryh – The Dreaming Tree (Ealdwood 1+2)

Bewegende Elben-Fantasy: Kampf gegen den Dunkelelf

Der Fantasy-Roman „The Dreaming Tree“ stellt die zusammengefasste und geänderte Ealdwood-Duologie dar. In dieser Ausgabe wurden Unstimmigkeiten beseitigt und ein neuer Schluss angefügt. Bei uns erschien der Doppelroman in folgenden Ausgaben:

– „Der Stein der Träume“ (The Dreamstone, 1983, dt. 1985)
– „Der Baum der Schwerter und Juwelen“ (The Tree of Swords and Jewels, 1983, dt. 1988)
C. J. Cherryh – The Dreaming Tree (Ealdwood 1+2) weiterlesen

Bulwer-Lytton, Edward / Gruppe, Marc – verfluchte Haus, Das (Gruselkabinett 6)

_Schaurig-romantisches Geister-Hörspiel_

London, 1865: Daniel Douglas ist vom Wunsch besessen, einmal eine Nacht in einem Spukhaus zu verbringen. Durch seinen Freund Timothy Collins erfährt er von einem wohl mehr als geeigneten Objekt: In dem offenbar verfluchten Haus in der Oxford Street hat es Timothy nur wenige Tage ausgehalten.

Seit Jahren blieb dort kein Mieter länger als ein paar Tage. Doch der zynische Geisterjäger Daniel glaubt nicht an Gespenster und beschließt, dennoch die Nacht dort zu verbringen, begleitet nur von seinem unerschrockenen Diener Edward und seinem Terrier Mermaid.

Zusammen kommen sie einer Tragödie und einem doppelten Verbrechen auf die Spur, was ihr Nervenkostüm bis zum Äußersten strapaziert, wenn nicht sogar überfordert …

_Der Autor_

Edward George Bulwer-Lytton, 1803-73, war ein adliger Londoner, dessen politische Karriere ihn ins House of Lords brachte., das parlamentarische Oberhaus. Als Autor wurde er vor allem durch das verfilmte „Die letzten Tage von Pompeji“ (1834) bekannt. Aber er verfasste auch einige interessante SF-Romane, darunter die reaktionäre Utopie „The Coming Race“ (1879, dt. als „Geschlecht der Zukunft“, bei |dtv|) und „The Haunted and the Haunters“ (1905).

_Die Sprecher & Macher_

Der besondere Reiz der Schauerromantikreihe bei [Titania Medien]http://www.titania-medien.de/ liegt darin, dass hier vor allem Sprecher zum Einsatz kommen, die wir mit bekannten Hollywoodstimmen verbinden. So tritt beispielsweise Claus Wilcke auf, dessen Stimme bei uns Alain Delon und Omar Sharif synchronisiert. Er selbst trat in der 70er-Detektiv-Reihe „Percy Stuart“ auf, die ich immer recht witzig fand, weil die Sprüche der Hauptfigur so cool waren.

William Jacobs, Vermieter: Claus Wilcke (s. o.)
Daniel Douglas: Patrick Winczewski (Hugh Grant)
Timothy Collins: Torsten Michaelis (diverse Stimmen, darunter Wesley Snipes)
Marian Wilcox: Dagmar Altrichter (Elizabeth Taylor)
Florence: Evelyn Maron (Ornella Muti)
Und sechs weitere Sprecher.

Das Skript für das Hörspiel stammt wie in der ganzen Reihe von Marc Gruppe. Zusammen mit Stephan Bosenius führte er auch Regie und produzierte das Hörbuch. Der gute Sound stammt von AudioCue & Kazuya und wurde von Kazuya c/o Bionic Beats abgemischt.

_Handlung_

Als der Ich-Erzähler Daniel Douglas seinen Freund Timothy Collins im Klub besucht, erschrickt er über dessen abgezehrtes Aussehen. Der Gute ist offenbar völlig mit den Nerven fertig. Die Rede kommt auf das Londoner Modethema Esoterik und Spuk. Oh, Tim weiß ganz genau, dass es Häuser gibt, in denen es spukt: Er war selbst in einem und sieht deshalb so fertig aus. Er hatte es vor sechs Wochen mit seiner Frau gemietet und hielt es dort nur drei Tage aus. Daniel, der Geisterjäger, ist trotz Timothys ernster Warnung sofort interessiert, in dem „verfluchten Haus“ in der Oxford Street seine Standfestigkeit auf die Probe zu stellen.

Er bietet dem derzeitigen Verwalter William Jacobs an, das Haus zu „untersuchen“. Dafür verlangt Jacobs kein Geld, denn Daniel täte ihm einen Gefallen, könnte er den Spuk dort aufklären, wenn nicht sogar vertreiben. Die vorherige Hausverwalterin Mrs. Wilcox ist leider keine Hilfe, denn sie verstarb drei Wochen zuvor. Schon 35 Jahre besteht der Spuk, Jacobs selbst hielt es dort nur drei Stunden aus.

Das wird ja immer besser! Tatendurstig zieht Daniel mit seinem unerschrockenen Diener Edward und seinem Terrierweibchen Mermaid ein. Es dauert nicht lange, und trotz des prasselnden Kaminfeuers laufen den Besuchern kalte Schauer über den Rücken. Ein Luftzug, Schritte, ein kindliches Flehen: „Helft mir!“ Der Hund führt zur richtigen Tür im Keller. Sie öffnet sich zu einem rundum von hohen Mauern umgebenen Hinterhof. Daniel sieht, wie Fußabdrücke auf ihn zukommen, ihn passieren und im Nichts verschwinden. Im Wohnzimmer huscht ein Gespenst vorbei, das mit Frauenstimme „Elliott!“ ruft.

Soso: ein Junge namens Elliott und eine Frau – vielleicht Mrs. Wilcox selig? Hinauf geht’s in jenes ominöse Zimmer, von dem ihm Timothy erzählt hat. Und in der Tat ist es dort am grausigsten. Der Raum ist eiskalt, mal verschlossen, mal nicht, das Zimmer liegt direkt über dem Hinterhof, und die Stimmen von Elliott und Mrs. Wilcox sind zu hören. Etwas Schreckliches hat sich hier zugetragen. Unterm Dachboden entdeckt er endlich Mrs. Wilcox’ Mansardenzimmer und findet dort zwei alte Briefe.

Das hätte er aber bleiben lassen sollen, denn ein dritter Unsichtbarer von gewalttätiger Natur will die Briefe unbedingt zurückhaben und versetzt Daniel mit seiner eiskalten Hand in Angst und Schrecken. Doch er widersteht dem ersten Angriff und gelangt so in den Besitz der Kenntnis über eines der grausamen Verbrechen, deren Geheimnis im verfluchten Haus gehütet wird.

Dies ist erst der Anfang, und bevor der Spuk vorüber ist, muss Daniel mit Edward noch so manche Probe bestehen. Denn auf dem Haus lastet seit seiner Erbauung vor 80 Jahren ein Fluch – und somit auf allen seinen Bewohnern, ob lebendig oder tot …

_Mein Eindruck_

Die Erzählung ist spannend wie eine Detektivgeschichte, in der die Wahrheit ebenfalls erst durch hartnäckige Ermittlungen ans Tageslicht befördert werden muss. Und doch folgt sie auch den Gesetzen der Horrorgeschichte, in der in der Regel ein uralter Fluch aufgehoben werden muss, um die Welt von einem alten Übel zu befreien, das immer neue Opfer fordert.

Am interessantesten ist dabei stets die Figur des Geisterjägers, der die Aufgabe hat oder übernimmt, die Welt zu erlösen. Mit welchen Überzeugungen und Mitteln wird er (oder seltener sie) ans Werk gehen? Wird er auf die höheren Mächte des Guten vertrauen? Oder vermag er ganz aus eigener Rationalität heraus den Kampf mit dem Bösen aufzunehmen? Braucht er dazu nicht ebenfalls irgendeine Art von Glauben, an den er sich klammern kann? Genauso wie sich die Zeiten ändern, so auch die Geisterjäger. Durch sie als Stellvertreter stellt der Autor die eigene Zeit auf den Prüfstand: Wird sie dem Bösen standhalten und es vielleicht sogar beseitigen?

Zweifel sind von vornherein bei Daniel Douglas angebracht. Zu selbstsicher erscheint uns seine zynische Manier. Und da er die Geschichte seiner Heldentaten selbst erzählt, können wir seinem Bericht vielleicht nicht einmal trauen. Wenigstens heißt der Autor nicht Henry James, denn sonst hätten wir es von vornherein mit einem „unzuverlässigen Chronisten“ zu tun.

Doch Daniel können wir trauen, selbst wenn er in seinem Bericht schließlich doch gesteht, tatsächlich Angst gehabt zu haben. Schließlich besteht er ja auch nicht aus Eis, wenn er auch ein hartgesottener Zyniker zu sein scheint. Seine Neugier und das Mitgefühl mit dem Jungen Elliott bringt ihn dazu, nach dem Schlüssel zu suchen, wie er den Geist des armen Jungen erlösen kann. Das ist aber nur die erste Phase. Wie Dante, so muss auch Daniel in den untersten Kreis der Hölle, um den Fluch aufzuheben. Solch einen Geisterjäger loben wir uns, auch wenn wir mit Indiana Jones viel mehr Spaß hätten.

Immer wieder gelingt es dem Autor, eine konkrete Szene aufzubauen und wie einen Film ablaufen zu lassen. Das mutet uns recht modern an und ist vielleicht auf den Einfluss des immens erfolgreichen Charles Dickens zurückzuführen, dem es ja auch immer gelang, in seinen Zeitungsromanen den Leser durch emotionale Szenen zu fesseln. (Vielleicht liegt es aber am dramaturgischen Geschick von Marc Gruppe.) Die Kette der Szenen dient dazu, die Geheimnisse des verfluchten Hauses zu lüften, bis in einem packenden Finale der Urheber des Fluches, den wir aus dem Prolog kennen, dorthin zurückgeschickt wird, wo er hingehört.

|Die Sprecher|

Die Macher dieser Hörspiele suchen ihren Vorteil im zunehmend schärfer werdenden Wettbewerb der Hörbuchproduktionen offensichtlich darin, dass sie dem Zuhörer nicht nur spannende Gruselunterhaltung bieten, sondern ihm dabei auch noch das Gefühl geben, in einem Film voller Hollywoodstars zu sitzen. Allerdings darf sich niemand auf vergangenen Lorbeeren ausruhen: bloßes Namedropping zieht nicht, und So-tun-als-ob ebenfalls nicht.

Die Sprecher, die vom Starruhm der synchronisierten Vorbilder zehren, müssen selbst ebenfalls ihre erworbenen Sprechfähigkeiten in die Waagschale werfen. Zum Glück machen sie dies in hervorragender und glaubwürdiger Weise. Statt gewisse Anfänger zu engagieren, die mangels Erfahrung bei den zahlreichen emotionalen Szenen unter- oder übertreiben könnten, beruht der Erfolg dieser Hörspielreihe ganz wesentlich darauf, dass hier zumeist langjährige Profis mit schlafwandlerischer Sicherheit ihre Sätze vorzutragen wissen. (Wir wissen allerdings nicht, welche Pannen ihnen dabei unterlaufen sind. Fest steht aber, dass keine Pannen oder Fehler zu hören sind.)

|Musik und Geräusche|

Schauerromantik lebt von den entsprechenden Emotionen, die von ausgefallenen Szenen, die über die übliche Realität hinausweisen, hervorgerufen werden. Es ist die Qualität dieser Emotionen, die unser Erleben, unsere „Unterhaltung“ ausmacht. Während die Geräusche für einen gewissen Realismus in der Präsentation der Handlung sorgen, ist es hingegen die filmische Musik, die die Emotionen direkt steuert.

Das Hörspiel hebt sich von der Konkurrenz darin ab, dass sich die Musik ziemlich zurückhält. Das bedeutet, dass es keine längeren Pausenfüller gibt, in denen bombastische Klänge so tun, als gäbe es etwas Aufregendes zu bewundern. Fehlanzeige. Gut so. Aber auch bei hochdramatischen Szenen wie etwa dem Angriff des Unsichtbaren auf unseren Helden, tritt die Musik nicht unbedingt in den Vordergrund, denn das würde auch stören. Wie man sieht, ist auch der Einsatz von Musik eine Frage der Dosierung. Dieses Hörspiel bietet genau die richtige Dosis.

_Unterm Strich_

„Das verfluchte Haus“ bietet eine Geschichte, die sich ausgezeichnet für diese Hörspiel-Reihe eignet – zumindest in der von Marc Gruppe redigierten Fassung. Die Originalerzählung, die mir leider nicht bekannt ist, könnte ganz anders aussehen. Der Geisterjäger jedenfalls mutet uns ziemlich modern an: unerschrocken, rational, zynisch, dann aber wieder mit einem sympathischen Eifer, wenn es um das Seelenheil des Geisterjungen geht. Dabei hat er aber wenig mit dem jugendlichen Übermut eines (jungen!) Indiana Jones gemeinsam, sondern wandelt vielmehr in den Fußstapfen eines Sherlock Holmes – obwohl dieser, als die Story entstand, noch gar nicht erfunden worden war.

Das Hörspiel bietet wie ein Gruselfilm eine sich steigernde Abfolge horrormäßiger Szenen. Dabei kann es mitunter recht handgreiflich zugehen, was die Action angeht. Daher ist die Produktion von ihren Machern erst ab 14 Jahren empfohlen. Für die Game-Junkies dürfte das wenig abschreckend erscheinen. Sie sind meist schon an eine härtere Dosis Gewalt gewöhnt.

|1 CD, ca. 63 Minuten|

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)

Interview – Andreas Eschbach über seine Romane „NSA“ und „Perry Rhodan“


Buchwurm.org: In deinem Roman „NSA – Nationales Sicherheits-Amt“ geht es um die Bedingungen, unter denen Liebe in einem totalitären System der computerisierten Überwachung existieren kann; a) Helene: Liebe vs. Kontrolle; b) Lettke: Rache und Kontrolle. Sind das zwei Varianten, wie sich NSA-Kontrolle auswirken kann?

Andreas Eschbach : Totalitarismus ist eine Herrschaftsform, die dich in eine mechanische Gesellschaftsform einzwängt. Dagegen steht Liebe als Ausdruck des Menschseins an sich: das nicht Mechanisierbare, das nur existiert, wenn es echt ist. Man kann Liebe nicht synthetisieren und auf Flaschen ziehen, auch nicht vortäuschen. Dann ist es keine Liebe. Insofern hat der Totalitarismus nicht speziell mit Digitalisierung zu tun; die Digitalisierung erleichtert ihn nur, erweitert die Möglichkeiten, die dieser hat, um den Lebensimpuls abzutöten, prädiktiv, mit Gesichtserkennung und Vorauswissen, was der Beobachtete vorhaben könnte.
Interview – Andreas Eschbach über seine Romane „NSA“ und „Perry Rhodan“ weiterlesen

Robert Holdstock – Tallis im Mythenwald / Lavondyss (Ryhope Wood Zyklus 2)

Ins Vogelgeistland: die Verwandlung der Seele

Holdstock hatte mit seinem Roman „Mythenwald“ 1984 den World Fantasy Award gewonnen. Offensichtlich versuchte er mit „Lavondyss“, an diesen Erfolg anzuknüpfen, wie uns der deutsche Verlag Bastei-Lübbe durch den deutschen Buchtitel „Tallis im Mythenwald“ suggerieren will. Dies ist der zweite Band in seiner Reihe über den geheimnisvollen Ryhope-Forst.

Wenn man berücksichtigt, dass fast alle nachfolgenden Romane in einem Mythago-Wald spielen, dann erkennt man, dass „Mythenwald“ einen konzeptionellen Durchbruch für Holdstock bedeutete. Es wäre ein Wunder, wenn der Erzähler dieses Neuland nicht weiter erkundet hätte. Später folgten daher noch „The Hollowing“ (Band 3), „Gate of Horn, Gate of Ivory“ (Band 4), „The Bone Forest“ (das Prequel) – siehe auch das Werksverzeichnis unten.

Der Autor

Robert Paul Holdstock, geboren 1948, begann mit dem Schreiben schon 1968, machte sich aber erst 1976 als Schriftsteller selbständig und schrieb daraufhin eine ganze Menge Genre-Fantasy. Dabei entstanden wenig interessante Trilogien und Kollaborationen an Sword and Sorcery-Romanen, u. a. mit Angus Wells.

Erst 1983 und 1984 taucht das für die Ryhope-Sequenz wichtige Motiv des Vater-Sohn-Konflikts im Roman „Mythago Wood“ auf, für den der Autor den |World Fantasy Award| erhielt. Beide Seiten werden getrennt und müssen wieder vereinigt werden. Das Besondere an dieser emotional aufgeladenen Konstellationen ist jedoch, dass die Bewegung, die dafür nötig ist, in einer Geisterwelt stattfindet: dem Ryhope-Forst.

In Holdstocks keltischer Fantasy befindet sich in diesem Urwald, der dem kollektiven Unbewussten C. G. Jungs entspricht, erstens ein Schacht, der mit weiterem Vordringen ins Innere immer weiter zurück in der Zeit führt. Eines der wichtigsten und furchtbarsten Ungeheuer, Urscumug, stammt beispielsweise aus der Steinzeit. Und zweitens finden bei diesen seelischen Nachtreisen durch die Epochen permanent Verwandlungen, Metamorphosen statt. So verwandelt sich die Hauptfigur Tallis in „Lavondyss“ schließlich in eine Dryade, einen Baumgeist. Das ist äußerst faszinierend geschildert.

Am Ende der Nachtreisen warten harte Kämpfe, die auch in psychologischer Hinsicht alles abverlangen, was die Kontrahenten aufbieten können. Und es ist niemals gewährleistet, dass die Hauptfiguren sicher und heil nach Hause zurückkehren können. Denn im keltischen Zwielicht, das noch nicht durch das christliche Heilsversprechen erleuchtet ist, scheint am Ende des Weges keine spirituelle Sonne, sondern dort wartet nur ewige Nacht. Es ist also die Aufgabe des Autors darzulegen, wie dieses schreckliche Ende vermieden werden kann.

Der MYTHAGO-Zyklus bis dato:

1. Mythago Wood (1984; [Mythenwald, 4139 World Fantasy Award!)
2. Lavondyss (1988; Tallis im Mythenwald)
3. [The Bone Forest 4088 (1991; Sammlung)
4. [The Hollowing 4161 (1993)
5. Merlin’s Wood (1994, Sammlung inkl. Roman)
6. Ancient Echoes (1996)
7. [Gate of Ivory 1422 (2000)
8. Avilion (2008)

Der MERLIN CODEX-Zyklus:

1. Celtika (2001)
2. The Iron Grail (2002)
3. The Broken Kings (2007)

Handlung

Als Tallis Keeton vier Jahre alt war, weckte sie ihr Stiefbruder Harry und küsste sie. „Ich muss gehen“, sagte er, „doch irgendwann werden wir uns wiedersehen.“ Dann verschwand er. Er ging in den Ryhope-Forst, einen beinahe undurchdringlichen Wald, den Forscher wie George Huxley Mythago Wood nannten. Hier nehmen die alten Archetypen und Legenden aller Zeiten (bis zu 10.000 Jahre v. Chr.!) Gestalt an und führen dort ein für Menschen fremdartiges Leben.

Nach Harrys Fortgang und vermutlichem Tod 1948 sind die Keetons eine zerrissene Familie. Diese Zerrissenheit wird von jedem ihrer Mitglieder anders bewältigt. Tallis geht ihren ganz eigenen, sehr gewagten Weg, wie schon ihr Bruder Harry und ihr Großvater Owen. Owen hat ihr ein kommentiertes Märchenbuch geschenkt und ihr einen langen Brief hinterlassen. Außerdem ist er für ihren Namen verantwortlich: Tallis sei die weibliche Form von Taliessin, und der war neben Merlin bekanntlich der größte Magier Englands. Er kommt im Legendenkreis des walisischen „Mabinogion“ vor. Tallis‘ Weg als Zauberin ist vorgezeichnet.

Als sie fünf ist, bemerkt sie die ersten Geistwesen aus dem Augenwinkel, doch wie ihr Owen geraten hat, fürchtet sie sich nicht vor ihnen. Es sind nur Mythagos, und sie geben ihr Geschichten, Wissen und Visionen. Schon bald fallen ihr die geheimen Namen fast aller Orte ein, beispielsweise Morndun-Hügel statt Barrow Hill. Nach einem Besuch im verfallenden Haus von George Huxley (er starb 1946, seine Söhne verschwanden 1947 und 1948) versucht sie, das Gesicht auf dem Totempfahl vor dem Haus nachzuschnitzen. Aber es kommt nur eine bemalte Rindenmaske heraus. Sie nennt sie The Hollower, denn damit könne man alle Hollowings (Hohlwege) zwischen unserer und den anderen Welten sehen. The Hollower ist eines der Geistwesen, die sie aus dem Augenwinkel zu sehen pflegt.

Im Laufe der Jahre schnitzt und bemalt Tallis zehn Masken und gibt ihnen ihre wahren Namen:

1) The Hollower – Der Hohlweger: erleichtert Visionen durch Hollowings, Abkürzungen zu anderen Orten und Zeiten; Tallis hat mehrere Hollowings entdeckt.
2) Gaberlungi: eine ganz weiße Maske: Erinnerung an das Land
3) Sinisalo: Das Kind im Lande sehen
4) Morndun: die erste Reise eines Geistes in ein unbekanntes Land
5) The Silvering – Der Silberling: Der Zug eines Salms in den Flüssen eines unbekannten Lands
6) Falkenna – Das Falkengesicht: Der Flug eines Vogels in ein unbekanntes Land
7) Moondream – Mondtraum: …um die Frau im Land zu sehen
8) Skogen: Schatten des Waldes
9) Cunhaval: Das Rennen eines Jagdhundes durch die Wege eines unbekannten Landes
10) Lament – Wehklage

Die 13-jährigen Tallis ist zu einem phantasievollen Mädchen herangewachsen und hört immer häufiger Stimmen und Gesänge aus dem Ryhope-Wald – den sie den „Alten Verbotenen Ort“ nennt, kurz AVO bzw. OFP (Old Forbidden Place). In einer wunderbar fröhlich-ironischen Szene berichtet sie einem befreundeten Komponisten, dem 84-jährigen Mr. Williams, davon und erzählt ihm die Geschichte von den drei Brüdern Arthur, Mordred und Scathach: „Das Tal der Träume“. Das Lied, das sie danach hört, identifiziert der alte Musiker als das Volkslied „Der reiche Mann und Lazarus“.

Als sie Mr. Williams kennenlernt, hat sie bereits eine einschneidende Erfahrung hinter sich, in der sie das Vogelgeistland begründet hat. Als sie in der alten Eiche Stark-gegen-den-Sturm ein Hollowing entdeckt, erblickt sie einen schönen jungen Krieger, in den sie sich sofort verliebt. Allerdings liegt er schwer verletzt auf einem großen Schlachtfeld. Sie nennt ihren Namen, Tallis, und er nennt sich Scathach. Auf keinen Fall will sie ihn sterben lassen, wirft ihm durch das Hollowing hindurch Verbandszeug hinunter.

Da sieht sie zu ihrem Schrecken, wie mehrere Gefahren ihren Geliebten bedrohen: ein dunkler Sturm, eine Schar Aasvögel und zu guter Letzt vier schwarz gekleidete alte Frauen, die die Gefallenen ausplündern und zerstückeln. Das darf ihrem Scathach nicht passieren! Und so versucht sie die drei Gefahren abzuwehren. Mit diversen magischen Objekten wehrt sie die Aasvögel ab und schafft so Vogelgeistland. Fortan meiden alle Vögel diese Eiche, die in zwei Dimensionen steht. Die vier Leichenfledderer kann sie nur aufhalten, doch nicht vertreiben. Ein Schamane und eine fünfte Frau kommen und tricksen Tallis aus: Sie bewegen die Zeit. Als Tallis das nächste Mal zum Hollowing zurückkehrt, liegt Scathach bereits auf dem Scheiterhaufen und brennt. Eine junge Kriegerin erweist ihm die letzte Ehre. Tallis sieht ein, dass sie alles missverstanden hat. Die Leichenfledderer haben nur Scathach gesucht, um ihn zu bestatten.

Fortan beschließt Tallis, bedachtsamer zu sein. Und sie gibt Scathach (ähnlich wie ihrem Bruder Harry) ein Versprechen, das sie in einem Lied zusammenfasst:

„Ein Feuer brennt im Vogelgeistland,
Im Vogelgeistland liegt mein junger Liebster.
Ein Sturm tobt im Vogelgeistland,
Ich werde die schwarzen Aasvögel verjagen,
Ich werde über meinen Liebsten wachen,
Ich werde bei ihm sein im Vogelgeistland.
Ein Feuer brennt im Vogelgeistland,
Mein Körper glüht.
Ich muss dorthin reisen.“

(S. 116 der Übersetzung)

Mr. Williams – es handelt sich um den Komponisten Ralph Vaughan Williams (1874-1958) – hat ihr als Lohn für dieses schöne, eigenartige Lied den wahren Namen des letzten Stücks Land verraten, das sie vom Betreten Ryhope Woods abgehalten hat: Find-mich-wieder-Feld. Nun kann sie erneut Oak Lodge, das vom Wald zurückeroberte Haus von George Huxley, besuchen. Es gelingt ihr, sich vor bronzezeitlichen Eindringlingen zu verstecken und Huxleys geheimes Tagebuch zu stibitzen. Ihr Großvater Owen hat ihr davon erzählt, denn er kannte Huxley. Dieses Buch liest sie nun – ein echter Augenöffner. Sie erfährt von Mythagos, Geistzonen und Edward Wynne-Jones, Huxleys verschollenem Freund und Kollegen.

Abschied

Eines Abends, als ihre Eltern Freunde besuchen, begibt sich Tallis mit ihrem Schulkameraden Simon auf einen Hügel. Dort begegnet ihr eine der drei Mythagofrauen, die sie unterwiesen haben: Weiße Maske. Diese nennt Tallis „Oolerinnen“, eine Frau, die Hollowings formen kann. Simon macht sich vor Angst aus dem Staub. Hier erweist sich, dass ihre beschwörenden Kräfte enorm gewachsen sind. Aus der Erde erheben sich riesige stehende Steine. Vor Angst verduftet nun auch Tallis, doch auch in ihrem Zimmer ist sie vor den Reitern, die sie aus dem Wald hat kommen sehen, nicht sicher.

In ihrem Zimmer besucht sie der junge Scathach aus ihrer Vision. Sie hat ihn jagen und auf dem Schlachtfeld liegen gesehen – ist er ihr Mythago oder ein eigenständiges Wesen? Von beidem etwas, denn sein Vater ist Wynne-Jones, ein mächtiger Schamane tief im Herzen des Waldes, erzählt er. Scathach drängt sie, mit ihm in den Wald zu kommen. Sie soll einen furchtbaren Fehler korrigieren, den sie mit der Schaffung von Vogelgeistland begangen hat. Von dort kommen böse Wesen in den Rest des Waldes, ganz besonders nach Lavondyss. Und was könnte dort deshalb auch Harry zugestoßen sein? Sie muss ihre eigene Schöpfung, die sie aus Liebe bewirkt hat, wieder rückgängig machen. Doch um welchen Preis?

Nun gelingt Tallis der Durchbruch in Gebiete jenseits der Waldgrenzen. Als sie den Grenzbach überschreitet, verliert sie allerdings ihre Maske Moondream, und das ist alles, was ihrem Vater von ihr bleiben wird. Auch wenn sie ihm verspricht, in einer Woche zurückzukehren. (In „The Hollowing“ kehrt James Keeton von seiner vergeblichen Suche wieder zurück und läuft Richard Bradley direkt vors Auto. Die Maske wird noch viel Unheil anrichten.) Tallis aber macht sich auf den Weg, um im Mythenwald ihren verschollenen Bruder zu suchen.

Mein Eindruck

Tallis folgt einer Vision. Diese hatte sie in dem Märchen vom Tal der Träume beschrieben. Darin kommen sie selbst, Scathach und Harry vor, doch sie muss herausfinden, wie alles zusammenhängt. Ryhope Wood ist eine Landschaft der Seele, und die Reise führt in Tallis‘ tiefstes Unterbewusstsein, dorthin, wo älteste Erinnerungen der Menschheit schlummern. Diese Erinnerungen sind dazu geeignet, den heutigen, unvorbereiteten Zeitgenossen gehörig in Schrecken zu versetzen. Es kommen mehrere Morde vor …

Eine kleine Ahnung davon, was auf Tallis zukommt, hat uns ihre Vision vom auf dem Schlachtfeld von Mount Badon sterbenden Scathach vermittelt. Überall Leichen und ihre Überreste. Hier verliert sie Scathach erneut, aber da sie dieses Ereignis vorausgeahnt hat, ist sie nicht allzu sehr erschüttert, wenn auch ihre Trauer um den Geliebten groß ist. Was sie jedoch überrascht, ist das wütende Auftreten von Scathachs Halbschwester Morthen, die von Wynne-Jones zur Schamanin ausgebildet wurde. Morthen liebt ihren Bruder und verletzt die Rivalin Tallis derart, dass Tallis eine Zeitlang genesen muss.

Verwandlungen

Ihre Weiterreise führt sie in die Festung im Alten Verbotenen Ort, die sie aus ihrem Märchen vom Tal der Träume kennt, und lässt sie auf ein Zeichen von Harry stoßen, seinen Revolver. Doch um weiterzukommen, ist es erforderlich, dass sie sich verwandelt: zunächst in einen Baum, dann in eine Maske, schließlich in ein Stechpalmenwesen (einen Daurog), das ein Naturgeist ist, dann wieder in einen Menschen. Diese Verwandlung kann nur in Lavondyss vonstatten gehen, an einem Ort also, wo Menschenseelen jenseits der Zeit überdauern können. Der Sinn und Zweck ihrer Verwandlungen ist die Befreiung von Harrys Geist, der durch Tallis‘ Eingreifen im Vogelgeistland gefangen war. Damit ist ihre große Aufgabe eigentlich erfüllt.

Taliesin

Dieser Zyklus der Verwandlungen erinnert mich an Tallis‘ berühmten Namensvetter, den Zauberer Taliesin, der sich in viele Lebewesen verwandeln konnte, wie uns die Quellen berichten, so etwa das „Mabinogion“ und das Buch „Die weiße Göttin“ von Robert Ranke-Graves. Was daraus zu lernen ist? Dass die Seele (spirit) dazu in der Lage ist, ihr eigenes Unbewusstes zu erforschen und dort auf uralte Wahrheiten zu stoßen. Wenn von Geistern die Rede ist, dann nie im Sinne von „ghost“, sondern immer im Sinne von „spirit“.

Der unvorbereitete Leser mag denken, dass all diese Verwandlungen ziemlich seltsam sind, aber das ist nur der Fall, wenn man vergisst, dass ganz Ryhope Wood und besonders Lavondyss Landschaften der Seele sind. Hier kann die Seele andere Gestalten als „Bekleidungsformen“ annehmen und auf diese Weise auf ihre Umgebung einwirken. So verändert beispielsweise Tallis‘ Auftauchen den Wald um sie herum, und sie selbst wird stets in allen möglichen Formen von den zur Erkenntnis fähigen Wesen erkannt.

Darstellung und Vermittlung

In Lavondyss herrschen andere Gesetzmäßigkeiten, aber sie gehorchen nicht dem Zufall, sondern haben stets einen Sinn und einen Zweck, den uns der Autor zu vermitteln versteht. Die Art und Weise dieser Vermittlung gelingt ihm in der ersten Romanhälfte – ich habe sie oben skizziert – ausgezeichnet. Auch das zweite Drittel, aus der Perspektive von Wynne-Jones erzählt, stellt kein Problem dar. Doch alles, was im Lavondyss-Zyklus der Verwandlungen geschieht, stößt an die Grenzen des Erzählbaren. Man merkt es an den kurzen, stakkatohaften Sätzen, zu denen der Autor Zuflucht nehmen muss. Noch schwieriger wird es selbst für den Autor, all die Zeitschleifen unter Kontrolle zu bringen und zu erklären, die sich gegen Schluss ereignen. Da war ich häufig nicht sicher, mit welchen Geistern ich bzw. Tallis es gerade zu tun hat: Ist dies nun Scathach oder Harry oder sonstwer?

Eine runde Sache?

Tallis durchläuft offensichtlich mehrere Zyklen, als sie zu Wynne-Jones‘ Volk zurückkehrt, wo Scathach und Morthen zuerst auftraten. Natürlich muss sie auch den befreiten und zurückgekehrten Harry, ihren Bruder, wiedertreffen. So wird aus ihren Abenteuern in Lavondyss in zeitlicher Hinsicht „eine runde Sache“. Aber dies alles grenzt an das Wundersame, und wenn der Leser nicht schon vorher ziemlich misstrauisch war, so wird er es spätestens jetzt, wenn sich alles so wunderbar fügt.

Schön ist hingegen wieder die Coda, in der sich ein kleiner Junge namens Kyrdu fragt, auf welche Weise man wohl aus dem Wald hinaus in jene westliche Welt gelangen könnte, von der Großmutter Tallis, das Orakel, so oft erzählt hatte.

Die Übersetzung

Die deutsche Übersetzung durch Barbara Heidkamp ist zum Abgewöhnen und dazu angetan, nie wieder eine Übersetzung lesen zu wollen. Nicht nur, dass ich noch nie zuvor und nie danach derart viele Druckfehler vorgefunden habe, nein, auch der Text wurde gegenüber dem Original entscheidend gekürzt!

Ich war regelrecht geschockt, als ich auf folgenden Seiten auf Lücken stieß: 105 (Tallis‘ Gedicht), 112, 383, 386, 389 und 390. Offensichtlich sollte der Umfang des Buches so getrimmt werden, dass 400 Seiten nicht überschritten würden. Das ist der Übersetzerin vollauf „gelungen“, doch der deutsche Leser schaut in die Röhre. Er bekommt kein Produkt, das dem Original entspräche. Bis heute liegt keine verbesserte oder vollständige Ausgabe vor.

Was mich dann vollends von der Unfähigkeit der Übersetzerin überzeugte, war ihre Verwendung des Verbs „stieben“, was so viel wie „dahinfegen“ bedeutet. Die Vergangenheitsform (Präteritum) des Verbs lautet nicht „stieb“, wie auf den Seiten 331 und 364 nachzulesen ist, sondern „stob“. Viele Male wird statt „sie“ auch „sich“ geschrieben. Und „holly“ übersetzt sie uneinheitlich mal (korrekt) mit „Stechpalme“, mal mit „Eibisch“, was nur Spezialisten kennen.

Angesichts all dieser Unzulänglichkeiten rate ich daher dringend zur Lektüre des Originals „Lavondyss“. Einige der Originalausgaben sind mit faszinierenden Abbildungen der eingesetzten Masken, die ich oben aufgelistet habe, illustriert.

Unterm Strich

Unter allen fünf Ryhope-Wood-Romanen ist „Lavondyss“ sicherlich für den Uneingeweihten am schwersten zu lesen. Deshalb rate ich dazu, erst Band 1 und Band 3 zu lesen, bevor man sich an „Lavondyss“ wagt. Wer mit C. G. Jungs Theorie der Archetypen im kollektiven Unbewussten und der Sprache der Symbole nicht vertraut ist, wird das Buch sowieso als unverständlich in die Ecke feuern. Die Persönlichkeitsentwicklung von Tallis entspricht nicht dem gewohnten Muster des westeuropäischen „Bildungsromans“, in dem sich der Held bzw. die Heldin mit der Gesellschaft arrangiert oder nicht.

Metamorph

Denn was hier an Gesellschaft vorhanden ist, sind jungsteinzeitliche Jäger, Sammler und Schamanen mit nicht besonders appetitlichen Angewohnheiten, sowie seltsame Zwitterwesen, die sowohl Stechpalme und Winterwolf als auch Vogel sein können. Diese Daurogs sind die Vorläufer des Waldgeistes namens The Green Man, den man heute nur noch aus dem Märchen „Jack and the Beanstalk“ bzw. „Hans der Riesentöter und die Bohnenranke“ kennt. Eine solche sekundäre Welt ist der Leser von traditioneller Fantasykost nicht gewöhnt. Der englische Literaturkritiker John Clute erfand deshalb für Holdstocks Schreibweise die Bezeichnung „metamorphic fiction“, also „Dichtung der Verwandlungen“.

Wanderlust

Ich hingegen liebte den Roman, als ich ihn im Original las, und wollte mir gleich als Erstes eine Maske schnitzen. Wie wäre es, wenn man durch eine solche Maske seinen Geist auf Reisen schicken und Dinge erblicken könnte, die man mit normalen Augen nie erblicken würde? Da könnte Supermans Röntgenblick glatt einpacken.

Die deutsche Ausgabe

Von der Lektüre der deutschen Fassung, die sich Übersetzung schimpft, ist hingegen dringend abzuraten. Nicht nur ist die Sprache malträtiert worden, sondern zudem wurde der Text im Vergleich zum Original um mehrere Seiten gekürzt.

Originaltitel: Lavondyss, 1988
399 Seiten
Aus dem Englischen übertragen von Barbara Heidkamp

https://www.luebbe.de

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Action satt: Firmenzentrale im Klimaschock

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Edgar Allan Poe – Faszination des Grauens. Erzählungen

Dieser voluminöse Sammelband enthält die bekanntesten Erzählungen von Edgar Allan Poe, wenn auch nicht alle guten. Am bemerkenswertesten und umfangreichsten sind die drei Detektivgeschichten um Poes Meisterschnüffler Auguste Dupin sowie eine Science-Fiction-Novelle über einen abenteuerlichen Besuch auf dem Erdtrabanten.

Der Autor

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

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C. J. Cherryh – Das Unternehmen der Chanur (Chanur 2)


Auftaktband mit Cliffhanger

Kapitänin Pyanfar Chanur sieht auf der neutralen Treffpunkt-Station einen alten Bekannten wieder: Ismehanan Goldzahn, einen durchtriebenen Mahendo’sat-Kapitän. Sein Geschenk diesmal: Tully, der Mensch, ein Botschafter von einer neuen Rasse. Pyanfar hat Tully schon einmal (in Band 1) das Leben gerettet, nun nimmt sie ihn erneut an Bord der „Chanurs Stolz“. Er verheißt Handel, und Handel bedeutet Reichtum.

Doch auch andere Rassen sind hinter Tully her, besonders die gefürchteten, heimlichtuerischen Kif, denen er einst entwischt ist. Tully hat eine dringende Botschaft für seine Freundin Pyanfar: „Viele Menschen kommen – kämpfen Kif!“ Das kann ja heiter werden. Pyanfar startet so schnell wie möglich, um Tullys Botschaft an die richtige Adresse zu bringen…

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Interview mit der Inklings-Gesellschaft

|Prof. Dr. Dieter Petzold ist wissenschaftlicher Oberassistent des Instituts für Anglistik und Amerikanistik der Uni Erlangen und seit 1993 Herausgeber des Jahrbuchs der deutschen Inklings-Gesellschaft. Michael Matzer hat sich für |Buchwurm.info| mit Dieter Petzold über diese Gesellschaft und ihre Projekte unterhalten.|

_Buchwurm.info:_
Es gibt eine ganze Reihe von literarischen Gesellschaften in Deutschland, die sich mit der Phantastik befassen, die u. a. die Inklings in Oxford verfassten. In welcher Hinsicht unterscheidet sich die Inklings-Gesellschaft von solchen Gruppen?

_Prof. Dr. Dieter Petzold:_
Sie ist meines Wissens die älteste und damit traditionsreichste, denn sie wurde bereits 1982 gegründet. Sie verstand sich von Anfang an – und versteht sich noch immer – als eine Vereinigung, deren Mitglieder ein an wissenschaftlichen Standards orientiertes, weitgespanntes Interesse nicht nur an den [Inklings-Autoren,]http://de.wikipedia.org/wiki/Inklings sondern an Literatur und Kultur generell haben, wobei allerdings der Schwerpunkt auf Phantastik im weitesten Sinne liegt.

_Buchwurm.info:_
Sie veranstalten jährliche Mitgliederversammlungen und Tagungen. Welche Bedeutung haben diese Konferenzen?

_Petzold:_
Die jährlichen Symposien sehe ich als das Rückgrat der Aktivitäten der Inklings-Gesellschaft an. Sie stehen jeweils unter einem Thema, das zuvor von der Mitgliederversammlung (die in der Regel im Rahmen des jährlich stattfindenden Symposiums abgehalten wird) beschlossen wird. Daneben gibt es lokale Veranstaltungen (Lesungen, Diskussionsgruppen), die mehrmals jährlich auf lokaler Basis stattfinden.

_Buchwurm.info:_
Sie veröffentlichen jährlich ein Jahrbuch und ein oder zwei Rundbriefe. Welche Bedeutung haben diese Publikationen? Sind sie für Mitglieder kostenlos?

_Petzold:_
Die Rundbriefe informieren über aktuelle Ereignisse und Tätigkeiten der Gesellschaft und auch befreundeter Gesellschaften. Das Jahrbuch dokumentiert zum einen die jeweiligen Jahrestagungen, indem es die (überarbeiteten) Vorträge veröffentlicht. Hinzu kommen regelmäßig weitere wissenschaftliche Beiträge (Varia), sowie, seit einigen Jahren, eine Interpretation eines Gedichts phantastischen Inhalts (die Rubrik heißt „The Poet’s Eye“) und ein Essay, in dem ein weniger bekannter Autor (oder eine Autorin) phantastischer Texte vorgestellt wird („Favourite Authors“). Des Weiteren enthält das meist deutlich über 300 Seiten dicke Jahrbuch einen umfänglichen Rezensionsteil, in dem wissenschaftliche Bücher und Zeitschriften vorwiegend (aber nicht ausschließlich) über phantastische Literatur besprochen werden. Die Beiträge sind zum größeren Teil auf Deutsch, doch enthalten alle Jahrbücher auch englischsprachige Beiträge, die meist von ausländischen AutorInnen stammen, aus Großbritannien und anderen europäischen Ländern, aber auch aus Amerika, Russland, ja sogar Ostasien.

Der Preis für das Jahrbuch und die Rundbriefe ist in dem (übrigens sehr günstigen) Mitgliedsbeitrag eingeschlossen.

_Buchwurm.info:_
Die Universen, die die zwei bedeutendsten Inklings, Tolkien und Lewis, schufen, expandieren in der globalen Mediensphäre immer weiter: Bücher, Games, Rollenspiele, Filme, Hörspiele und so weiter. Trägt die Inklings-Gesellschaft dieser erstaunlichen Entwicklung Rechnung?

_Petzold:_
In einzelnen Beiträgen ist dies immer wieder mal geschehen; ausgiebig wird sich die bevorstehende Tagung „Multimediale Metamorphosen: Die produktive Rezeption der Inklings im 21. Jahrhundert“ diesem Phänomen widmen. Wie ein Blick auf das [Programm]http://www.inklings-gesellschaft.de/programmheft__mail.pdf zeigt, geht es dort um Tolkien-Verfilmungen, um Superman im Lichte von C. S. Lewis‘ Theorie der Populärkultur, um das Tolkien-Fanwesen allgemein und die Fanfiction im Besonderen, um Computer- und Kartenspiele, um Hörspiele und -bücher, um Comics und um Bücher, die auf den Ideen und Geschichten Tolkiens aufbauen. Für diejenigen, die nicht nach Nürnberg kommen können: All dies wird auch im neuen Jahrbuch (Band 28 der Reihe), nachzulesen sein, das im Frühjahr 2011 im Verlag |Peter Lang| erscheinen wird.

_Buchwurm.info:_
Und worauf führen Sie diese anhaltende Entwicklung zurück?

_Petzold:_
Die multimediale produktive Rezeption von Erfolgsromanen ist ein Phänomen unserer Zeit, über dessen Ursachen man lange soziologische Spekulationen anstellen könnte. Ganz gewiss hängt es mit der technischen Machbarkeit zusammen, insbesondere mit der explosionsartigen Entwicklung der elektronischen Medien, sowie mit der Industrialisierung und Kommerzialisierung des Kulturwesens.

Weshalb gerade Tolkien mit seinem Herrn der Ringe zu einer solchen Flut von Sekundärprodukten angeregt hat? Es hängt wohl damit zusammen, dass er am Anfang der ganzen Fantasy-Bewegung steht, dass er – völlig überraschend und unbeabsichtigt – einen Nerv der Zeit getroffen hat, ein Bedürfnis nach ‚Romantik‘ als Ausgleich für die Nüchternheit unseres Alltags befriedigt. Und nicht zuletzt mit der schieren Qualität seiner Schriften. Tolkiens Meisterwerke kann man immer wieder mit Gewinn lesen, im Gegensatz zu den meisten Produkten der modernen Fantasy-Industrie.

_Buchwurm.info:_
Sicher gibt es noch mehr Inklings. Nennen Sie uns doch bitte die bekanntesten und warum Sie diese Mitglieder bedeutsam finden.

_Petzold:_
„Inklings“ nannte sich eine lose Gruppe von Akademikern, Autoren und literarisch Interessierten, die sich in den 1930er und 1940er Jahren in unregelmäßigen Abständen in Oxford trafen, um aus ihren im Entstehen begriffenen Werken vorzulesen und allgemeine literarische, philosophische und religiöse Themen zu diskutieren. Ihre heute berühmtesten Mitglieder sind _J. R. R. Tolkien_ und _C. S. Lewis_, aber auch der Verfasser „metaphysischer Thriller“ _Charles Williams_, die Krimi-Autorin und Verfasserin religionsgeschichtlicher und –philosophischer Texte _Dorothy Sayers_ und der Philosoph _Owen Barfield_ verdienen nach wie vor Beachtung. Ihre Leistungen zu würdigen, würde hier wohl zu weit führen. Wer sich dafür interessiert, könnte unter anderem in früheren Inklings-Jahrbüchern fündig werden, wo diese Autoren wiederholt behandelt wurden, so wie übrigens auch _George MacDonald_ und _G. K. Chesterton_ – Autoren des 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts, die zwar nicht zu den Inklings gehörten, diese aber in ihrem Denken und Schreiben maßgeblich beeinflusst haben.

_Buchwurm.info:_
Organisiert die Inklings-Gesellschaft „Pilgerreisen“ zu den „Wallfahrtsorten“ der Inklings, so etwa in Oxford? Oder gibt es wenigstens einen Online-Guide dafür?

_Petzold:_
Da es im Internet fast nichts gibt, das es nicht gibt, würde es mich wundern, wenn da nicht auch ein Guide zu den Heiligtümern Tolkiens und Lewis‘ zu finden wäre. Von der deutschen Inklings-Gesellschaft wurde dergleichen aber nicht produziert, und auch keine „Pilgerreisen“ veranstaltet. Wir sind halt kein Fanclub (for better or worse). Aber Fahrradtouren einzelner Mitglieder zu den „Inklings-Stätten“ hat es schon gegeben.

_Buchwurm.info:_
Welche Leistungsmerkmale kann die Homepage der Inklings-Gesellschaft vorweisen? Sind soziale Netzwerke wie |Facebook| berücksichtigt?

_Petzold:_
Die Inklings-Gesellschaft hat das Internet als Medium der Selbstdarstellung erst relativ spät für sich entdeckt. (27 Jahre sind für eine literarische Gesellschaft ein gesetztes Alter, da kann schon mal Tradition schwerer wiegen als die Jagd nach den neuesten Trends.) Unsere [Homepage]http://www.inklings-gesellschaft.de erfüllt, denke ich, ihren Zweck: Sie informiert aktuell und übersichtlich über die Tätigkeiten der Gesellschaft, ohne Schnörkel und modischen Schnickschnack.

_Buchwurm.info:_
Legt die Gesellschaft größeren Wert auf die Anerkennung und Analyse der Inklings in der akademischen Welt oder auf die Popularisierung der Inklings? Gibt es diesbezüglich Interessenskonflikte, z. B. wenn eine Verfilmung ansteht und Werbung geschaltet wird?

_Petzold:_
Die deutsche Inklings-Gesellschaft hatte schon immer einen gewissen Hang zur wissenschaftlichen Respektabilität. Man kann das belächeln, aber ich persönlich sehe keinen Anlass, dies grundlegend zu ändern: Schließlich müssen die Inklings-Autoren nicht erst popularisiert werden (siehe Fragen 4 und 5). Das heißt aber nicht, dass wir vor neuen Entwicklungen die Augen verschließen dürften. Dass wir das nicht tun, zeigt die kommende Tagung, aber auch ein Blick in unsere Jahrbücher, wo immer wieder auch Autoren, die im Trend liegen, z. B. _Terry Pratchett_, _Neil Gaiman_, _Matt Ruff_ oder auch _Stephenie Meyer_, behandelt werden.

Interessenskonflikte entstehen dabei nicht, denn auch die neuen Trends betrachten wir aus einem distanzierten, ‚wissenschaftlichen‘ Blickwinkel, und Werbung betreiben wir weder direkt noch indirekt. Im Übrigen tragen wir auch ganz moderne Fragen an unsere „klassischen“ Autoren heran, z. B. solche der Bioethik beim Symposium des Jahres 2008.

_Buchwurm.info:_
Stehen Mitglieder der Gesellschaft auf Tagungen und Symposien für Gespräche und Interviews zur Verfügung?

_Petzold:_
Aber ja doch, selbstverständlich. Je mehr, je lieber!

_Buchwurm.info:_
Wie entwickelt sich die Mitgliederzahl der Gesellschaft, international wie lokal?

_Petzold:_
Die Mitgliederzahl ist über viele Jahre recht stabil geblieben, sie liegt derzeit bei rund 250. Davon wohnen etwa 60 im Ausland, nicht nur im europäischen. Sogar in Neuseeland, Kanada, Taiwan und Japan hat die Inklings-Gesellschaft Mitglieder.

_Buchwurm.info:_
Wagen wir einen Ausblick. Mit welchen Themen können Mitglieder und solche, die sich für die Gesellschaft interessieren, auf kommenden Jahreskonferenzen rechnen? Gibt es eine gewisse Kontinuität im Rückblick?

_Petzold:_
Nach dem populärkultur-orientierten Symposium 2010 steht 2011 wieder ein eher spezielles Thema an, und zwar soll es bei der Tagung in Leipzig um den „unbekannten _Conan Doyle_“ gehen, der eben nicht nur die berühmten Sherlock-Holmes-Geschichten schrieb, sondern auch eine Menge phantastischer Texte.

Wie’s danach weitergeht, wird die nächste Mitgliederversammlung im Oktober zeigen. Viel hängt auch immer vom ehrenamtlichen Einsatz einzelner Mitglieder ab.

Bei der Themenwahl war bisher Abwechslung wichtiger als Kontinuität. Das kann man an den Themen der letzten zehn Jahre ablesen, die im Übrigen zeigen, dass wir auch vor der Sciencefiction und der Gothic-Fiction nicht die Augen verschließen:

2009: Der Vampir: Von der Dämmerung der Gothic Novel bis zum Morgen-Grauen des Teenieromans
2008: Hybris und Heil: (Bio)ethische Fragen in phantastischer Literatur
2007: Entfesselte Kräfte: Technikkatastrophen und ihre Vermittlung
2006: Owen Barfield: Visions and Revisions
2005: George MacDonald
2004: Religion in der Fantasy und Science Fiction
2003: Technik – Mythos – Medien
2002: Phantastische Tierwelten
2001: Fremde Welten in Texten und Bildern
2000: Zukunft des Phantastischen – Phantastik des Zukünftigen

http://www.inklings-gesellschaft.de

Helmut Newton – Autobiographie

Nude Photographer: Das Abenteuer Leben

Wer ist der Mann hinter der Linse der kamera? Wer ist der Mann, der uns auf dem Titelbild über den gestreckten Zeigefinger anvisiert? Man kennt Newtons Bilder, seine Nuditäten, seine teuren Bücher. Aber nur wenig ist über den Menschen Helmut Newton bekannt, der als Jude Neustaedter geboren wurde. Schlicht erzählt er von einem aufregenden Leben in einem unruhigen Jahrhundert. Darum ist wohl auch seine Autobiographie einfach nur so genannt: „Autobiographie“.
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Meirose, Astrid / Pruß, Volker / Bertling, Simon / Hagitte, Christian / Sieper, Marc / Ihrens, O. – Schattenreich 8: Das blinde Auge des Horus

_Nachtspuk: Schneewittchen im Glassarg_

Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt – er war fünf Jahre im Ausland – wird der junge Kulturwissenschaftler Christian Wagner in mysteriöse Todesfälle verwickelt. Als ihn eine unsichtbare Macht ins Schattenreich entführt, enthüllen sich ihm die Nachtseiten der menschlichen Natur. Hinter den Masken bürgerlicher Wohlanständigkeit treibt ein skrupelloses Netzwerk ein größenwahnsinniges Spiel.

Der Äygptologe Prof. Jan Erik Walberg, der Christian anrief und treffen wollte, ist unauffindbar: Wurde er entführt? Oder hat er sich absetzen müssen, weil seine Forschungen an Mumien alle moralischen Grenzen überschritten haben? Ein grausiger Fund, den Christian Wagner in Walbergs Labor macht, lässt Schreckliches erahnen.

In einem unterirdischen Archiv entdeckt Wagner eine alte Inventarliste über die Öffnung eines Pharaonengrabs, signiert mit dem Zeichen der Nephilim, dem Auge des Horus. Wagner erkennt, dass die Vergangenheit die Gegenwart auf grausame Weise einholen wird. Oder ist er selbst Akteur in einem Spiel, welches das Leben nur simuliert? Eine Sternenkarte könnte ihm den Weg weisen.

Die Karte zeigt eine Planeten- und Mondkonstellation, die nur an einem bestimmten Tag stattfindet und auf eine Kultstätte verweist, die er finden muss – auf einer Nordseeeinsel. Dort findet ein ungeheuerliches Ritual statt, vorgenommen von seinem Mentor Dr. Bruno Schwab. Doch plötzlich tritt eine feindliche Gruppe auf. Ist die finale Auseinandersetzung der Nephilim mit den Titanen gekommen?

Was geschah vor fast 100 Jahren, das zwei befreundete Familien zu Feinden werden ließ? Des Rätsels Lösung scheint in den Tiefen der Villa Scholl zu ruhen. Wagner bemerkt zu spät, dass er selbst der Hüter des Geheimnisses ist. Er gerät unter den Einfluss einer Geheimgesellschaft. Deren Mitglieder sind Anhänger eines genialen Herrscherpaares, dessen Wirken die Kultur fast für immer aus dem Gedächtnis gelöscht hätte. Nun scheint ihre Zeit des Handelns gekommen zu sein. Doch wohin wird ihr Weg sie führen?

_Die Autoren_

Als Autoren zeichnen Astrid Meirose und Volker Pruß verantwortlich. Mehr über die Serie findet man unter http://www.schattenreich.net.

Folge 1: Die Nephilim
Folge 2: Finstere Fluten
Folge 3: Spur in die Tiefe
Folge 4: Nachthauch
Folge 5: Das Grab des Ketzers
Folge 6: Echnatons Vermächtnis
Folge 7: Hinter schwarzen Spiegeln
Folge 8: Das blinde Auge des Horus

_Die Inszenierung_

|Die Rollen und ihre Sprecher:|

Christian Wagner: Alexander Scheer
Tina Müller: Anna Thalbach
Alexa Voss: Anne Moll
Dr. Bruno Schwab: Volker Brandt (dt. Stimme von Michael Douglas)
Adrian Bloch: Norman Matt (Cillian Murphy, Jonathan Rhys-Meyers)
Jan-Erik Walberg: Lutz Riedel (dt. Stimme von Timothy Dalton)
Walther Zürn: Stefan Krause (Billy ‚Pippin‘ Boyd)
Geheimnisvolle Frau/Billie Scholl: Daniela Hoffmann (dt. Stimme von Julia Roberts)
Gruftie / Gerold Gruber: Dero (|Oomph!|)

sowie Natalie Spinell und Hasso Zorn u. a.

ANNA THALBACH steht seit ihrem sechsten Lebensjahr vor der Kamera, dabei war der Weg zur Schauspielerei nicht so gerade, wie man es bei der Tochter von Katharina Thalbach annehmen könnte. Sie beginnt nach dem Abschluss der Mittleren Reife zunächst eine Hospitanz als Kostümbildnerin am Schillertheater. Doch der Hang zum Schauspiel überwiegt, und bald schon feierte sie selbst große Bühnenerfolge, so auch an der Seite ihrer Mutter in „Mutter Courage“.

DERO wurde am 16. April 1970 in Wolfsburg geboren. In der Band Oomph!, die 1989 gegründet wurde, ist er der Mann für den Gesang, die Texte, Drums, und Kompositionen. Der Weg zur Musik sah laut eigener Aussage für Dero so aus: „Auf diversen Familienfeiern in den 70ern wurde ich ‚gezwungen‘, mit meinem Vater (Gitarrist, Sänger) alle nur erdenklichen Elvis-Songs in grauenhaftem Englisch rauf und runter zu schmettern.“

|Die Musik:|

Secret Discovery: „Follow Me“
b.o.s.c.h – Mehr
Nik Page – Herzschlag
Lola Angst – Am I dead?
Suicide Commando – Second death
Diva Destruction – Rewriting history
Berliner Filmorchester und Kammerchor

Regisseur Simon Bertling und Tonmeister Christian Hagitte von STIL sorgten für die gute Produktion, die Musik und die Sounds; ihnen half Cornelia Schilling. Die Produzenten sind Marc Sieper von Lübbe Audio sowie Oliver Ihrens von Radar Media, Bochum. Das interessante Booklet-Design stammt von Kai Hoffmann.

_Vorgeschichte_

Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt – er war fünf Jahre im Ausland – wird der junge Kulturwissenschaftler Christian Wagner in mysteriöse Todesfälle verwickelt. Christian ist einer von neun Spezialschülern, den „Titanen“. So nannten sich vor 15 Jahren die Mitglieder einer Gruppe von jungen Hochbegabten, die von der Scholl-Stiftung gefördert und von ihrem Lehrmeister Dr. Volker Brandt ausgebildet wurden. Die Titanen, so Bruno, waren in der antiken Sage die Kinder von Göttern und Menschenfrauen. Die Nephilim hingegen waren die Kinder von Dämonen, die sich mit Menschenfrauen paarten: negative Titanen. Treibt hier jemand ein fieses Spiel mit den letzten Titanen?

Auf der rechten Ferse jeder Leiche findet er das gleiche Tattoo, das er selbst auch trägt: das ägyptische Ankh-Symbol, ein Henkelkreuz, das „Leben“ bedeutet. Es ist kombiniert mit dem „Auge des Horus“, das, wenn geöffnet, einen Schutzzauber darstellt. [Beide Symbole sind auf der CD selbst aufgedruckt.] Ist dieses Horus-Augen-Tattoo jedoch pupillenlos, also blind, dann handelt es sich um einen Nephilim, ein früheres, aber abtrünnig gewordenes Mitglied der „Titanen“.

Da Christian ein Waisenkind ist, das von der Industriellenfamilie Scholl aufgezogen wurde, bildet Bruno Schwab seinen Vaterersatz. Bei den Scholls lernte er Sibylle Scholl als seine Schwester kennen und machte sie zu seiner ersten Geliebten. Adrian Bloch, den er nun in seiner Heimatstadt wiedertrifft, war ebenfalls einer der „Titanen“. Die Familie Bloch ist mit den Scholls seit jeher befreundet.

Seit seiner Rückkehr sind bereits zwei der „Titanen“ umgekommen. Beide Leichen weisen eine Tätowierung an der rechten Ferse auf: das blinde Auge des ägyptischen Sonnengottes Horus, das Zeichen der Nephilim, eines Geheimordens. In den Rollenspielen der „Titanen“ war Christian stets der Gott Osiris, Sibylle die Göttin Isis und Adrian der eifersüchtige Gott Seth, der Osiris tötete. Doch wer war Horus, der Sohn des Osiris? Adrian treibt sich immer noch in der Stadt herum, als neuer Besitzer der Villa Scholl, dem Sitz der Titanen.

Dieser ägyptisch-mythologische Hintergrund könnte etwas mit dem Schicksal des Ägyptologen Prof. Jan Erik Walberg zu tun haben, der Christian anrief und treffen wollte, aber unauffindbar ist: Wurde er entführt? Als Christian mit der Journalistin Tina Müller zu Walbergs Labor fährt, findet er dort zwar eine Botschaft, wird jedoch auch mit dem Tod bedroht: durch eine Flutwelle aus dem nahen Stausee. Hat ihn jemand im Visier? Christian fühlt sich zunehmend verfolgt.

_Handlung_

Nachts schleicht Christian durch den finsteren und ausgedehnten Sibyllenwald, der sich unweit der Villa Scholl erstreckt. Dort hat Christian die Stelle des Leiters der Scholl-Stiftung angetreten, die ihm Adrian Bloch vermittelt hat. Er ist jetzt de facto nicht nur der Hausmeisters, sondern auch zuständig für die Betreuung von psychisch labilen Menschen. Aber was führt ihn dann nächtens mitten in den Wald?

Er folgt dem Mann, der sich als der mysteriöse und scheinbar allgegenwärtige Walter Zürn herausstellt. Walter trifft sich mit dem hageren Typ, der Chris ständig über den Weg läuft und ihn regelmäßig mit „mein Freund“ anspricht. Als ob das etwas zu bedeuten hätte. Die beiden stapfen durchs Unterholz, und Chris muss leise mitschleichen. Plötzlich sind die beiden wie vom Erdboden verschluckt.

Zwischen dornigem Brombeergesträuch stößt Chris auf den Eingang zu einem alten Mausoleum aus der Zeit um 1900. Hier, so weiß er, war einst Nathanael Bloch bestattet, nachdem er im I. Weltkrieg gefallen war, doch seine Leiche ist schon längst woanders bestattet worden. Um wen also handelt es sich bei der Leiche, die Chris in einem Glassarg liegen sieht?

Der Typ sieht genauso aus wie Otto Bloch, jener auf mysteriöse Weise im Casino Monte d’Oro verschwundene Sohn Nathanaels. Es muss sich um Odoakar handeln, den von Madame Margaretes Mutter geretteten und vor seinem Vater versteckten Zwillingsbruder Ottos. Doch was sollen all die Schläuche, die in den Sarg führen? Und was ist das für ein betäubender Gestank in dieser Gruft?

Indem er vor Walter Zürn und dem Grufti flüchtet, torkelt Chris aus dem unterirdischen Bau. Nicht weit entfernt befindet sich eine Höhle, die er ebenfalls aus seiner Kindheit kennt, als er in der Villa Scholl aufwuchs. Doch diese Höhle ist nicht leer, wie er bald feststellt. An einem kleinen See steht Billie, seine Jugendfreundin: nackt, schwarzhaarig und nass. Hat sie gebadet? „Endlich bist du gekommen!“ begrüßt sie ihn, doch er, peinlich berührt, kapiert nicht, was sie von ihm will. Faselt sie doch von Osiris – das ist er selbst -, Seth und Isis. Letztere ist offenbar Billie.

Als er sich immer noch dumm stellt, wirft sie ihm ihr Handtuch an den Kopf und verschwindet. Als er draußen auf dem Waldboden erwacht, weckt ihn Tina Müller oder vielmehr ihr Hund Adenauer. Wieso ist Tina eigentlich immer genau dann zur Stelle, wenn er sie braucht?

_Mein Eindruck_

Diese Folge setzt chronologisch zwei Wochen nach Folge sieben ein. Dort stieg Chris am Schluss in Brunos Wagen ein, doch was dann passierte, wird uns verschwiegen. Also kann es nicht wichtig gewesen sein, und wir brauchen es nicht zu wissen. Aber solche Lücken machen dennoch keinen guten Eindruck: Der Hörer fühlt sich irgendwie manipuliert (was er natürlich ist).

Christian erfährt endlich, wo Otto Blochs Zwillingsbruder abgeblieben ist, aber was das männliche Schneewittchen in dem Glassarg soll, gibt ihm noch Rätsel auf. Weitere Nachforschungen verkneift er sich jedoch, denn nach seiner Begegnung mit der nackten Billie, die angeblich ebenfalls verschwunden sein soll, gibt es in der Villa Scholl, wo er hausmeistert, einiges zu entdecken. Christian taugt also als Detektiv à la Sherlock Holmes denkbar schlecht. Und von einem John Watson ist weit und breit nichts zu sehen, es sei denn, man will Tina Müller so bezeichnen. Sie entspricht eher einem Schutzengel.

So wie der Wald von mystischen Reminiszenzen überlagert wird – mit Schneewittchen und Isis / Billie Scholl -, ist dies auch mit der Villa Scholl der Fall. Sie ist ein eigenes Universum, das Christian erst zum Teil erforscht hat, denn schließlich ist er ein Teil davon. Er muss nur noch herausfinden, wo hier sein Platz ist. Einstweilen ist er der lokale Institutsleiter, aber was besagt das schon? Fremde stehen in seinem Büro und telefonieren, sein Vorgänger Adrian Bloch hat all seinen Krempel hier hinterlassen (auch ganz interessant), und der geheimnisvolle Walter Zürn erscheint immer dann, wenn man ihn nicht braucht.

Zürn immerhin gibt so viel preis: Christian sei der „Gesalbte“, der alle Dinge in Ordnung bringen werde. Na, toll, und wie soll er das machen? Kaum fasst er eine scharfe Braut wie seine Ex Alexa an, schon verduftet sie, und Tina Müller knutscht mit Adrian Bloch rum – vor Christians Nase. Da kann es mit dem Ordnen wohl nicht so weit her sein, oder?

Aber wie sich zeigt, hat Christian einen Vertrag zu erfüllen bzw. zu erneuern. Es ist der Ägyptologe Walberg, der wieder mal unmotiviert auftaucht, um Chris zu bedrängen. Christian sei sowohl ein Experiment als auch der Gegenstand und Einsatz einer Wette. Na, da fühlt sich Chris gleich viel besser: Er ist bloß eine Schachfigur in einem Senetspiel, das Unbekannte für ihn aufgestellt haben. Wieder mal flüchtet er sich in einen seiner zahlreichen Blackouts, und diesmal kann man es ihm nicht verdenken.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Alexander Scheers raue Raucherstimme passt zum Möchtegerndetektiv à la Philip Marlowe, der nur per Zufall zum Kulturwissenschaftler geworden zu sein scheint. Sein Gegenteil, ein Ausbund an Disziplin und Pflichtbewusstsein, bildet die Rolle der Alexa Voss, gesprochen von Anne Moll (zuvor Sandra Speichert). Sie tritt in dieser Episode gleichberechtigt neben der kindlich-eifrigen Tina Müller, gesprochen von Anna Thalbach, auf. Tina Müller hat die Funktion des Schutzengels und darf folglich überall auftreten, wo Chris in Not ist.

Diesmal sprechen mehrere Stimmen aus dem Off, befinden sich also nicht auf der „Bühne“, sondern nur in Christians Erinnerung. Dazu gehören Bruno, Christians Mentor, sowie Sigmund Scholl, sein Ziehvater, bei dem er aufwuchs. Dass immer mal wieder Isis alias Billie Scholl etwas zitiert, sollte man ebenfalls festhalten.

|Die Geräusche|

Die Geräuschkulisse des Hörspiels ist nicht allzu realistisch. Man hört nicht jede Tasse klappern, nicht jedes Auto vorbeirauschen. Vielmehr stehen die Kommunikationsmittel im Vordergrund: Handys, Telefone, Türklingeln, fehlen nur noch Türklopfer und Megafone. Im tiefen Nachtwald ruft natürlich das Käuzchen „Schuhu!“, doch wenn Chris morgens aufwacht, zwitschern Vögel, bellen Hunde und dröhnen Motoren, von klingelnden Telefonen ganz zu schweigen. Es gibt also eine deutliche Trennung zwischen Nacht- und Tagwelt sowie zwischen Außen- und Innenwelt, etwa durch die Off-Stimmen.

Häufig sind die Stimmen durch Hall verstärkt oder durch Effekte verzerrt, so etwa, um eine Nachrichtensprecherstimme aus dem Lautsprecher nachzubilden. (Die Lautsprecher sind in Hörspielen grundsätzlich auf dem Stand der siebziger Jahre und klingen entsprechend kratzig.)

Darf man sehr tiefe Bässe noch zu den Geräuschen und Effekten zählen, oder sind sie bereits zur Musik zu rechnen? Egal, sie seien an dieser Stelle mal hervorgehoben. Sie werden in den Schattenreich-Hörspielen nämlich regelmäßig eingesetzt, um Angst zu erzeugen, nicht etwa bei der jeweiligen Figur, sondern im Zuhörer. Sie sind deshalb so tief, damit dieser Vorgang unbemerkt bleibt und unterschwellig wirken kann.

|Die Musik|

Spätestens nach einer halben Stunde des Anhörens verhärtet sich im Zuhörer der Verdacht, dass die ganze Handlung eigentlich nur ein Vorwand ist. Nämlich der Vorwand, um möglichst viel deutsche Neo-Gothic-Musik abspielen zu können. Die oben aufgeführte Interpretenliste ist nur die Spitze des Eisbergs dessen, was den Zuhörer erwartet. Es verwundert nicht, dass in die Produktion des Hörspiels Firmen wie |Radar Media|, |STIL| (für die professionelle Soundproduktion) und ein Musikmagazin namens |Sonic Seducer| eingebunden sind.

Letzteres hat sich mit einem Aufkleber auf der Hülle verewigt. |Radar Media| ist im Booklet mit einer ganzen Seite Werbung vertreten. |Radar| hat das Copyright und die Markenrechte für „Schattenreich“ inne, folglich war die Firma auch an der Produktion beteiligt. Und da es in ihrem Interesse liegt, die Bands wie |Rammstein|, |Oomph!| usw. zu vermarkten, packte sie natürlich so viel Musik wie möglich auf die Silberscheibe.

Diese Dinge sollte man wissen, wenn man die Musikeinlagen des Hörspiels bewertet. Plötzlich wird aus der Handlung nicht das Hauptgericht, sondern lediglich die Beilage. Deshalb dröhnt unvermittelt der Leadsong „Follow me“ durch die Boxen, nachdem bereits ein Donnerschlag den Zuhörer aus seiner Bürgerruhe aufgescheucht hat. Es gibt anschließend kaum eine ruhige Minute, in der keine Musik erklingt. Hier hat |Radar Media| ganze Arbeit geleistet.

Immerhin ist es nicht mehr ganz so schlimm wie auf den ersten beiden CDs, denn jetzt wird der Hauptfigur mehr musiklose Zeit zum Nachdenken gegönnt. Die Lauscher stellten sich mir auf, als ein deutscher Text von einer Sängerin zu einem Piano gesungen wurde, so dass ich endlich einmal den Text verstehen konnte. (Die Neo-Gothic-Sänger scheinen einen Horror davor zu haben, ihre Stimme unverzerrt und verständlich einzusetzen, wahrscheinlich, weil ihre Texte zu schlecht sind.)

|Webseite|

Hinweis: Auf www.schattenreich.net findet man das Tagebuch einer Figur, um die es immer wieder im Hörspiel geht. Ich tippe als Autorin auf Sibylle Scholl, die angeblich beim Brand ihrer Klinik umgekommene Billie, Christians Geliebte. Das Tagebuch bietet zusätzliche Hintergrundinformationen.

_Unterm Strich_

Bislang hat die Handlung von Schattenreich-Folgen noch nicht durch Logik geglänzt. Die Anwendung von Logik würde auch der mystifizierenden Absicht der Autoren widersprechen, die überall Rätsel aufstellen und Geheimnisse aufzeigen. Wenn ich Christian wäre, hätte ich schon längst den Verstand verloren und hätte mich von den Männern in den weißen Kitteln abholen lassen. Aber wie Paul Atreides ist auch Christian Wagner etwas genetisch Besonderes, eine Art Übermensch, der über besondere Fähigkeiten verfügt. Leider gehört das Berechnen des kleinen Einmaleins nicht dazu.

Die Reihe „Schattenreich“ wendet sich an die gleiche Zielgruppe wie die Musik-CDs, die DVDs und die TV-Produktionen (von denen ich bislang nichts gesehen habe): Gothic-Rock-Freunde, für die Musik nicht nur Unterhaltung, sondern eine Lebenshaltung und eine modische Aussage darstellt. Anstelle von Vampiren und anderem blutigem Gesocks treten aber in „Schattenreich“ nur jede Menge mystisch gestimmte Typen auf, die sich irgendwie zwielichtig aufführen. Ford Prefect würde sagen: „Weitgehend harmlos“.

Wie bei allem, was das Studio |STIL| produziert, ist das Produkt hinsichtlich Sound und Optik vom Feinsten. Immerhin erreichen das Studio und der |Lübbe|-Verlag eine neue Zielgruppe, die mit „Offenbarung 23“ nur unzureichend angesprochen wird: die Gothic-Rockfans, die auf Bands wie |Rammstein| und |Oomph!| stehen. Diesbezüglich kann „Offenbarung 23“ glatt einpacken. Wer die Songs runterladen will, findet auf www.schattenreich.net den Link dorthin.

|57 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3466-7|
http://www.schattenreich.net
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name
http://www.sonic-seducer.de
http://www.radar-net.de

David Lagercrantz – Verschwörung. Millennium 4

Millennium 4: Fortsetzung oder Neuanfang?

Mikael Blomkvist steht vor einer Entscheidung. Böse Zungen behaupten, er sei nicht länger der Journalist, der er einst war. Lisbeth Salander hingegen ist aktiv wie eh und je. Die Wege kreuzen sich, als Frans Balder, einer der weltweit führenden Experten für Künstliche Intelligenz (KI), ermordet wird. Kurz vor seinem Tod hatte er Mikael Blomkvist brisante Informationen versprochen.

Als Blomkvist erfährt, dass Balder auch in Kontakt zu Lisbeth Salander stand, nimmt er die Recherche auf. Die Spur führt zu einem US-amerikanischen Softwarekonzern, der mit der NSA verknüpft ist. Mikael Blomkvist wittert seine Chance die Enthüllungsstory zu schreiben, die er so dringend braucht. Doch wie immer verfolgt Lisbeth Salander ihre ganz eigene Agenda. (Verlagsinfo)

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Hohlbein, Wolfgang – Anubis

_Auf Cthulhu-Jagd in Kaliforniens Untergrund_

Mogens VanAndt ist Professor für Archäologie an einer kleinen Provinzuniversität an der amerikanischen Ostküste. Ihm stand einmal eine glänzende Karriere bevor. Doch es gibt einen dunklen Fleck in seiner Vergangenheit, der ihm anhaftet. Da erhält er eine neue Chance – aber ausgerechnet von dem Mann, den er für sein Unglück verantwortlich macht und den er hasst wie sonst keinen. Es geht um die größte archäologische Entdeckung auf amerikanischem Boden: einen unterirdischen Tempel in Kalifornien. Einen Tempel, wie es ihn dort gar nicht geben dürfte. Und das Tor, welches die stummen Tempelhüter bewachen, öffnet den Weg in ein Reich, dessen Schrecken jede Vorstellung übersteigt … (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Wolfgang Hohlbein ist seit seinem Mega-Erfolg „Märchenmond“ einer der erfolgreichsten und produktivsten Autoren in Deutschland. Er lebt in Neuss bei Köln zusammen mit seiner Frau und einem ganzen Haus voller Tiere.

_Hintergrund: Der Autor Howard Phillips Lovecraft und sein Cthulhu-Mythos_

Hohlbein schrieb in den achtziger Jahren mit seiner Serie über den [„Hexer von Salem“ 249 eine Reihe von Romanen in der Tradition H.P. Lovecrafts und griff dabei eine Reihe von dessen Motiven auf. Dazu gehörte vor allem der Cthulhu-Mythos.

Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) wird allgemein als Vater der modernen Horrorliteratur angesehen. Obwohl er nur etwa 55 Erzählungen schrieb, hat sein zentraler Mythos um die Großen Alten, eine außerirdische Rasse bösartiger Götter, weltweit viele Nachahmer und Fans gefunden, und zwar nicht nur auf Lovecrafts testamentarisch verfügten Wunsch hin.

Aber Lovecrafts Grauen reicht weit über die Vorstellung von Hölle hinaus: Das Universum selbst ist eine Hölle, die den Menschen, dessen Gott schon lange tot ist, zu verschlingen droht. Auch keine Liebe rettet ihn, denn Frauen kommen in Lovecrafts Geschichten praktisch nur in ihrer biologischen Funktion vor, nicht aber als liebespendende Wesen oder gar als Akteure. Daher ist der (v. a. der männliche) Mensch völlig schutzlos dem Hass der Großen Alten ausgeliefert, die ihre Welt, die sie einst besaßen, wiederhaben wollen. Das versteht Lovecraft unter „kosmischem Grauen“.

Die Welt ist kein gemütlicher Ort, und Einsteins Relativitätstheorie hat sie mit in diesen Zustand versetzt: Newtons Gott ist tot, die Evolution eine blinde Macht, und Erde und Sonne sind nur Staubkörnchen in einem schwarzen Ozean aus Unendlichkeit. Unter den Großen Alten bildet Cthulhu eine Ausnahme: Er befindet sich immer noch auf der Erde. Am Grunde der tiefen blauen See träumt er von seiner Rückkehr an die Macht, die er einst besaß, und er ruft seine Diener …

_Handlung_

Wie hat es nur dazu kommen können, dass Mogens VanAndt, Professor der Archäologe und immerhin Harvard-Absolvent, an der kleinen Uni des Provinstädtchens Thomson versauert? Das fragt ihn auch sein früherer Kommilitone Jonathan Graves, der ihn eines Tages in seiner Matratzengruft besucht. Gerade hat Mogens von seiner langjährigen Vermieterin Miss Preussler (sie hat keinen Vornamen – im ganzen Buch nicht) quasi einen freundlich verschlüsselten Heiratsantrag erhalten, den er ebenso freundlich abzulehnen gedachte – als Graves hereinplatzt. Und Graves zu ignorieren ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Denn Graves verbreitet eine Aura des Unwohlseins, hat schlechte Manieren und trägt ständig und überall Handschuhe – die sich von selbst bewegen … Miss Preusslers Katze Cleopatra merkt gleich, was das für ein Typ ist – und kackt ihm auf die Schuhe, bevor sie wie ein geölter Blitz abdüst. Wie auch immer: Graves macht seinem alten Studienkollegen unverdrossen ein lukratives Angebot. Er soll mit ihm in Kalifornien ein Höhlensystem erforschen, unter größter Geheimhaltung, versteht sich. Kaum ist Graves weg, muss Miss Preussler angeekelt feststellen, dass alle ihre Zimtplätzchen verdorben sind.

VanAndt fährt mit dem Zug nach San Francisco, mit 500 Dollar Vorschuss in der Tasche. Am Bahnhof holt ihn ein junger Mann namens Tom ab, der sich als Graves‘ Faktotum herausstellt. Er berichtet, dass bislang drei Archäologen an der Grabungsstätte tätig seien, dass man aber ständig durch die feindseligen Geologen gestört werde, die an der nahen San-Andreas-Verwerfung Messungen durchführen. Und Mogens wundert sich, dass es nahebei einen Friedhof mit schiefen Grabsteinen gibt, die im Morast eines Sumpfes versinken. Ein Schauder überläuft ihn kalt.

Tom bringt ihn schon nach wenigen Stunden in die erste Kammer der Grabungsstätte und von dort in einen Geheimgang. Die Reliefs an den Wänden schockieren Mogens: So etwas kennt er nur aus altägyptischen Pharaonengräbern. Überall sind der schakalköpfige Totengott Anubis und andere Mischwesen abgebildet, aber doch irgendwie nicht richtig. Und die Hieroglyphen stimmen bei näherem Hinsehen auch nicht – eine unbekannte Sprache.

In einer düsteren Grabkammer, in der eine ägyptische Totenbarke steht, begrüßt ihn Graves freundlich und führt ihn zu einer geheimen Tempelkammer, die einen weiteren Schock bereithält: Zwei grässlich anzusehende Wächterstatuen (mit dem Kopf von Cthulhu) stehen vor einer Metalltür, hinter dem etwas Böses darauf lauert, herausgelassen zu werden. Graves phantasiert etwas von alten Göttern, die von den Sternen – genauer vom Sirius, dem Hundsstern – kamen und unter anderem die Pyramiden bauten. Mogens ist versucht, ihn auszulachen, kann aber an sich halten.

|Rückblende|

Als Mogens bei einem nächtlichen Ausflug auf dem Friedhof auf ein Ungeheuer mit Schakalkopf, spitzen Ohren und Reißzähnen stößt, erinnert er sich an seinen schlimmsten Alptraum – daran, wie alles Unheil vor neun Jahren begann. Am Vorabend seines Studienabschlusses in Harvard haben sich Mogens, seine Freundin Janice, Jonathan Graves und ein weiteres Paar auf dem nahen Friedhof in einem Mausoleum verabredet. Die ersten drei wollen dem Pärchen Mark und Ellen einen Streich spielen.

Der 28-jährige Mogens begibt sich in den aufgesperrten Keller des Mausoleums. Zu seiner Überraschung findet er dort einen Sarkophag vor, aber zum Glück auch Janice. Leider kommt Mogens eine Sekunde zu spät, um seine Freundin vor dem zu retten, was aus dem Sarkophag steigt: zuerst eine Pranke, dann ein zähnestarrendes Maul, denn der spitzohrige Kopf – ein Ungeheuer, das aussieht wie der altägyptische Totengott Anubis.

Das Monster schnappt sich Janice und verschwindet in einen Geheimgang im Hintergrund der Gruft. Als Jonathan auftaucht und Mogens sich von seinem Entsetzen erholt, ist schon alles vorüber. Ewig wird sich Mogens Vorwürfe machen. Die Strafe, die ihm die Uni-Leitung aufbrummt, ist schwer genug. Er verliert seine Stelle in New Orleans an Jonathan und kann noch froh sein, dass man ihn nicht einbuchtet.

|Gegenwart |

Das war vor neun Jahren. Doch nun präsentiert Jonathan, der gewiefte Versucher, Mogens eine ideale Gelegenheit, sich zu rehabilitieren – sowohl als Archäologe als auch als Mann, der seine Geliebte im Stich gelassen hat, wie er glaubt.

Und in der Tat kann Mogens beweisen, was in ihm steckt, denn die Schrecken, die jenseits der Metalltür Cthulhus lauern, werden ihm alles abverlangen. Aber er erhält Hilfe von völlig unerwarteter Seite.

_Mein Eindruck_

Fällt Hohlbein nichts Neues mehr ein? Die Hälfte des Plots könnte direkt aus H.P. Lovecrafts Erzählungen stammen, besonders aus „Pickmans Modell“, wo es ja um Ghule geht: Leichenfresser. Die andere Hälfte stammt direkt aus „Indiana Jones: Jäger des verlorenen Schatzes“. Die Untersuchung geheimnisvoller Pharaonengräber, die mit unheimlichen Anubisstatuen geschmückt sind, ist ja Indys Spezialität.

Eine dritte Komponente des Plots – direkt aus den 1930er Jahren (man denke an „King Kong und die weiße Frau“) importiert – hat konkret mit Frauen zu tun. Hier wird es dann recht unappetitlich, denn die Menschenfrauen werden entführt und für die Fortpflanzung der Ghule genutzt, was dann recht absonderliche Ergebnisse hervorbringt. Bestimmt, da ist sich Mogens VanAndt sicher, ist auch seine Janice von einem solchen Monster entführt und missbraucht worden. Wiederholt taucht die Gestalt von Janice vor seinen Augen auf, doch das ist sicher nur eine Halluzination, oder? Überhaupt hat Mogens die regste Phantasie von allen Figuren, was uns bezweifeln lässt, dass irgendetwas von dem, was er erlebt, wirklich sein kann.

Immerhin verfügt Mogens überhaupt über eine Charakterisierung. Selbst wenn sie nicht allzu tief geht und sich vor allem in der Konfrontation mit seinem Gegenspieler Jonathan Graves zeigt, so erlaubt sie es doch dem Leser, sich halbwegs mit dieser Figur zu identifizieren, mit Mogens zu bangen und zu staunen. Als auch noch Miss Preussler auftaucht, ist eine weitere Identifikationsfigur gegeben: für weibliche Leser natürlich. Dem männlichen Leser schwant bereits bei ihrer überraschenden Ankunft, dass sie ein leichtes Opfer für die umherstreifenden Ghule sein dürfte. Warum sie aus der Tiefe wieder zurückkehrt, hat einen triftigen Grund … Wahrscheinlich hat sie auch die Ghule mit ihren strenggläubigen Ansichten über Frevel und das Alter der Erde – genau 4000 Jahre – geärgert. Das ist ein netter ironischer Effekt.

Jonathan Graves ist, das muss ich wiederwillig zugeben, der faszinierendste Charakter in dieser Gruppe. Er ist eine Figur à la Goethes Doktor Faust, die sich mit Leib und Seele einem Ziel verschrieb: die Landung der Götter von den Sternen mitzuerleben. Dafür hat er bereits einen hohen Eintrittspreis bezahlt: seine Hände. Er trifft auch rechtzeitig am Landeplatz weit unter der Erdoberfläche ein, nur um dann von der Wirklichkeit bitter enttäuscht zu werden.

Nach den Gesetzen des Genres müsste er für seinen Frevel eigentlich mit dem Leben bezahlen, doch leider sind dies – Miss Preussler weiß es nur zu genau – unchristliche Zeiten, und so darf auch er das Ende erleben. Es fällt aber auf, dass er sich jedes Mal entschuldigt, wenn er mal wieder ausfällig geworden ist. Man sollte meinen, dass die anderen seinen wiederholten Entschuldigungen nicht mehr glauben würden. Sie sind dumm genug, es dennoch zu tun.

Dass Miss Preussler die ganze Zeit nur mit ihrem Nachnamen angeredet wird, passt nicht zu den Gepflogenheiten der Amerikaner. Dort begegnet man sich recht schnell auf einer Vornamens-Basis. Das bedeutet aber nicht, dass man sich wie hierzulande gleich intime Vertraulichkeiten mitteilt. Den deutlichen Unterschied zwischen Sie und Du kennt man dort ja nicht so wie hier. In Amerika hätte die Miss den Männern ziemlich schnell ihren Vornamen angeboten. So klingt es, als gehöre die Miss einer anderen Spezies an. Das macht den Roman noch frauenfeindlicher, als er eh schon ist.

Dass es in den Ghulen eine Spezies von Wesen geben soll, die sich ohne eigene Weibchen fortpflanzt, ließe sich in den Termini des Autors nur so erklären, dass die Götter, allen voran der Meeresbewohner Cthulhu, die Ghule eben so geschaffen haben, dass sie für diesen Zweck auf menschliche Frauen angewiesen sind. Ohne diese Erklärung wäre dies nur Blödsinn. Und natürlich auch die Entführung von Janice, die ja zu Mogens‘ Trauma geführt hat. Und von diesem Punkt ausgehend der ganze Rest des Plots.

An einer Stelle ist sich der Autor seiner eigenen Genrevorgaben so bewusst, dass er dies ironisch zur Sprache bringt. Auf einem unterirdischen Kanal schippert die Gruppe auf einer Totenbarke Richtung Ausgang. Doch was befindet sich im Sarg? Etwa „so eine Art Kastenteufelchen, das die Gefährten kurz vor der sicheren Freiheit noch aufhält“? Es ist die fiese Pflicht des Autors, genau dieses Kastenteufelchen aus dem Sarkophag springen zu lassen (wie schon damals im Mausoleum den Ghul), um genau diese ungläubige Erwartung zu erfüllen. Zeit für den Showdown mit Cthulhu.

_Unterm Strich_

H.P. Lovecrafts Jünger sind offenbar produktiver denn je zuvor. Hohlbeins „Anubis“ gehört, entgegen seinem Titel, ebenfalls zu dieser neuen Welle an Cthulhu-Pastiches, ohne dabei allerdings die Kunstfertigkeit und den Einfallsreichtum des Meisters aus Providence erreichen zu können. Wer also seinen Lovecraft in- und auswendig kennt, kann sich „Anubis“ sparen, denn er findet nur Altbekanntes wieder.

Durch die bekannten Lovecraft-Versatzstücke ist der Roman nur halb so spannend, wie er sein könnte, und ich ertappte mich mehrmals dabei, einfach aufzuhören und etwas Aufregenderes zu lesen. Nur das letzte Drittel mit der Reise in die Unterwelt entschädigt für die ansonsten großteils fehlende Action in vollem Umfang. Hohlbein liefert mal wieder genau das ab, was man von ihm erwartet: solide Unterhaltung für Grusel- und Mystikliebhaber.

Ich finde es seltsam und bemerkenswert, dass die moderne Phantastik wieder an demjenigen Punkt angekommen ist, an dem sie sich bereits vor siebzig Jahren befunden hat. Autoren wie H. P. Lovecraft, Robert E. Howard (der Erfinder von „Conan“), Clark Ashton Smith und vor allem Abraham Merritt lieferten ihrer amerikanischen Leserschaft in Zeiten der wirtschaftlichen Depression bunt zusammengemixtes Fantasy- und Gruselgarn, das diese von ihrer Misere ablenkte und in wolkigste Fantasiewelten entführte.

In diesen Wolkenkuckucksheimen erfüllten sich verruchte sexuelle Wunschfantasien (gerne mit schönen Priesterinnen „verlorener“ Völkerschaften) ebenso wie uneingestandene Ängste, die in schier übermenschlichen Heldentaten bewältigt werden konnten. Cthulhu, Verkörperung höchster Furcht, wurde dabei immer wieder in seine Unterwelt verbannt. Offenbar ist der Bedarf an solchen Geschichten durch den Erfolg von Filmen wie „Indiana Jones 1-3“ geschürt worden, aber sie erfüllen auch ein menschliches Bedürfnis, jetzt ebenso wie damals, in der Großen Depression.