Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Camilleri, Andrea – Stimme der Violine, Die

Mit Michela Licalzi wurde nahe Vigata eine schöne, reiche Frau ermordet. Leider verdächtigt der zuständige Mordkommissar Panzacchi den Falschen, der von der Polizei, obwohl unbewaffnet, erschossen wird. Dumm nur, dass die Mafia die ganze Sache auf Video aufgenommen hat. Und der richtige Mörder läuft frei herum. Dann verhilft Montalbano eine wertvolle Violine zu einem Hinweis auf den Täter.

_Der Autor_

Andrea Camilleri ist kein Autor, sondern eine Institution: das Gewissen Italiens. Der 1925 in dem sizilianischen Küstenstädtchen Porto Empedocle geborene Camilleri ist Autor von Kriminalromanen und -erzählungen, Essayist, Drehbuchautor und Regisseur.

Die Hauptfigur in vielen seiner Romane, Commissario Salvo Montalbano, gilt inzwischen als Inbegriff für sizialianische Lebensart, einfallsreiche Aufklärungsmethoden und südländischen Charme und Humor.

Allerdings ist der Commissario nicht der Liebling aller Frauen: Zu oft hindert ihn sein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein daran, dringende Termine mit seiner jeweiligen Freundin wahrzunehmen.

_Das Hörspiel_

Das 110 Minuten lange Hörspiel wurde beim Südwestdeutschen Rundfunk SWR produziert. Es treten neun Hauptsprecher auf sowie der Erzähler. Daneben hören wir noch dreizehn weitere Sprecher in Nebenrollen. Die Musik stammt von Henrik Albrecht, die Bearbeitung wie immer von Daniel Grünberg. Regie führte Leonhard Koppelmann – wie bei allen anderen Camilleri-Hörspielen:

– Die Form des Wassers
– Das Spiel des Patriarchen
– Der Hund aus Terrakotta
– Der Dieb der süßen Dinge

_Handlung_

Auf dem Weg zu einer Beerdigung rammt Gallo, der Fahrer Salvo Montalbanos, aus purer Selbstüberschätzung in einer Kurve einen flaschengrünen Twingo. Doch obwohl der Commissario seine Nummer hinterlässt, meldet sich niemand. Da ihm die Sache keinen ruhigen Schlaf erlaubt, bricht er kurzerhand in die kürzlich erbaute Villa hinter dem Twingo ein. Und stößt dort im Schlafzimmer auf die Leiche einer nackten schönen Frau. Sie würde erwürgt. Sofort macht sich Salvo aus dem Staub. Denn wie sollte erklären, auf welche Weise es ihm möglich gewesen war, die Tote aufzufinden?

Wie sich herausstellt, lebte Michela Licalzi in einer Scheinehe mit dem Arzt Dr. Emanuele Licalzi, 60, aus Bologna. Sie hatte offenbar Lover und Freundinnen. Eine der Letzteren, die ledige lehrerin Anna Tropeano, erzählt Salvo, der sich von ihrer Schönheit angezogen fühlt, dass Michela einen Bewunderer hatte: Maurizio di Blasi war allerdings geistig zurückgeblieben und war nur von Michelas Schönheit besessen. Er konnte sie nicht umgebracht haben, denn er spielte lieber den Voyeur.

Weil der neue Questore in Montelusa, Signore Bonetti-Alderighi, der aus dem Norden stammt und daher extrem unbeliebt ist, Montalbano den Fall entzieht, kommt nun Ernesto Panzacchivon von der Mordkommission zum Zuge. Ein schwerer Fehler, wie Salvo findet und sich bald herausstellt. Denn Panzacchi ist ein karrieregeiler Spieler. Seine ebenso begierigen Polizisten spüren Maurizio in einer Höhle auf, der ruft: „Bestraft mich!“ Sie erschießen ihn, weil sie den Schuh, den er hochhält, für eine Pistole halten.

Es kommt noch besser: In einer Pressekonferenz behauptet Panzacchi, dieser Schuh sei einer Handgranate aus dem 2. Weltkrieg gewesen. Tatsächlich haben seine Männer sogar Maurizios Fingerabdrücke drauf angebracht – stümperhaft allerdings.

Doch wie könnte es in Sizilien anders sein, schaltet sich nun die Mafia ein – in Gestalt von Avvocato Guttadauro, den wir bereits aus „Das Spiel des Patriarchen“ als aalglatten Mafiaanwalt kennen. Er habe beobachtet und sogar auf Video aufgenommen, wie Panzacchis Männer den unbewaffneten Maurizio erschossen und ihm die Handgranate untergeschoben hatten. Er werde gerne gegen Montalbanos Konkurrenten aussagen…

Nun hat Montalbano alle Trümpfe in der Hand. Soll er diese Bombe hochgehen lassen und all diejenigen, die Panzacchi gedeckt haben, aus ihren Ämtern fegen? Aber wer bringt dann den richtigen Mörder vor Gericht? Da kommt ihm Kommissar Zufall in Gestalt eines Geigenvirtuosen zu Hilfe.

_Mein Eindruck_

Wieder einmal ist Camilleri eine enorm spannende Geschichte gelungen, die den Zuhörer bis zur letzten Minute fesselt, wenn der Commissario dem wahren Täter eine recht seltsam klingende Geschichte auftischt und auch prompt eine heftige Reaktion erhält. Allerdings nicht ganz die erwartete.

Wieder einmal hat der weise, verschmitzte Autor die Kriminalstory mit Erotik und Witz gewürzt. Anna Tropeano ist für Salvo eine Verlockung, doch seine Treue zu seiner Genueser Freundin Livia ist stärker. Mit dieser will Salvo einen Jungen namens Francois adoptieren, doch diese Sache scheitert. Nun weiß Salvo, wo seine Pflichten liegen.

Der drastische Witz aus „Die Form des Wassers“ ist hier zurückgenommen, obwohl der Commissario jederzeit bereit ist, in einen Wutanfall auszubrechen – und angesichts von Gallos überschätzten Fahrkünsten hätte er allen Grund dazu.

_Das Hörspiel_

Wie stets ist die SWR-Produktion makellos; die Sprecher sind ebenso ausgezeichnet eingesetzt wie die zahllosen Geräusche. Wie immer jagen sich die Dialoge und Telefonate, so dass es kaum einmal eine Verschnaufpause gibt und die jeweils etwa 55 Minuten wie im Fluge vorüber sind.

Die Musik ist ja sonst ein heikler Punkt, doch diesmal wurde das Jazz-Gedudel durch sizilianische Caféhausmusik abgelöst – mit stimmungsvollen Geigen und Klavieren an den richtigen Stellen und drängenden Rhythmen, wenn’s spannend wird.

_Unterm Strich_

„Die Stimme der Violine“ ist mindestens so gut wie „Das Spiel des Patriarchen“. Allerdings mischen sich in die Spannung viele tragische, besinnliche wie auch sinnliche Töne. Eine Mischung, wie man sie sich von einem weisen alten Mann wie Camilleri nicht besser wünschen kann. Dabei bleibt der politische Biss keineswegs außen vor.

Fazit: 100 Punkte.

_Michael Matzer­_ © 2003ff

Gregory Benford – Foundation’s Fear (2. Foundation-Zyklus 1)

Fortführung eines SF-Klassikers

Da die ursprüngliche FOUNDATION-Trilogie von Altmeister Isaac Asimov nur 500 der 1.000 Jahre der Übergangszeit abdeckt, baten die Nachlassverwalter Asimovs Gregory Benford, einen weiteren Foundation-Roman zu schreiben. Hieraus wurde, zusammen mit je einem Roman von Greg Bear und David Brin, die zweite Trilogie, die chronologisch vor der ersten steht.

(Quelle: WIKIPEDIA)

Diese Trilogie umfasst die Romane:

6031 – Der Aufstieg der Foundation – 667 Seiten – ISBN: 3-453-17926-9
6302 – Der Fall der Foundation – 473 Seiten – ISBN: 3-453-17932-3
6303 – Der Sieg der Foundation – 441 Seiten – ISBN: 3-453-17938-2

Im letzten Band ist eine Zeittafel für das Roboter- und Foundation-Universum vorhanden.
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Bruce T. Holmes – Die letzte Generation

Das Erscheinen des Homo superior: Chance oder Desaster?

John Cunningham, ein Archivar, zieht das Resümee der Geschichte der alten Rasse. Dank genetischer Veränderungen sind Johns und alle anderen neuen Kinder mit größerem Intellekt und ruhigeren Emotionen gesegnet. John ist ein Fossil, das Überbleibsel der alten Rasse. Aber John ist unzufrieden mit seiner Nutzlosigkeit und fängt an, das Potenzial des Homo sapiens zu erkunden.

Seine Ausbildung veranlasst ihn, sich den Abtrünnigen anzuschließen, Menschen, die sich nicht an die neuen genetischen Richtlinien halten wollen. Das sind Leute, die Kinder haben wollen, die ihnen gleich sehen, nicht jene fremdartigen, lieblosen Kreaturen, von denen sie ersetzt werden. Aber das macht sie zu Verbrechern, die von der Polizei zur Strecke gebracht werden. Es sei denn, sie fangen an, sich zur Wehr zu setzen…
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Roger Zelazny – Die Insel der Toten (Francis Sandow 1)

Der Torso eines Buches: Kampf um eine Welten-Schöpfung

Francis Sandow gehört im 32. Jahrhundert zu den hundert reichsten Leuten der Galaxis, deren 1500 Welten von 17 intelligenten Rassen bewohnt werden. Eines Tages wird der Mann, der aus dem 20. Jahrhundert stammt, von drei Nachrichten aufgeschreckt. Ein Unbekannter hat einen Rachefeldzug gegen ihn begonnen, der Sandows Vernichtung zum Ziel hat. „Die Schatten der Vergangenheit werden real und drohen den Weltenbauer in einen apokalyptischen Strudel zu reißen“, tönt der uralte Klappentext vollmundig.
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Marion Zimmer Bradley – Die blutige Sonne (Darkover 3)

Der erste große Darkover-Roman

Nach Jahren im Dienst des terranischen Imperiums kehrt Jeff Kerwin auf den Planeten Darkover zurück, um nach seinen Wurzeln zu suchen und das Geheimnis seiner Herkunft zu entschlüsseln. Was er noch nicht ahnen kann: Er ist weit mehr als der Sohn eines terranischen Raumfahrers und einer Darkovanerin – er ist die Schlüsselfigur in einem seit langer Zeit tobenden Kampf zwischen denen, die um jeden Preis an den alten Werten festhalten wollen, und jenen, die Darkover in eine neue Ära führen wollen… (Verlagsinfo)

„Die blutige Sonne“ war bereits der dritte Roman, den MZB über ihre Welt Darkover (s.u.) geschrieben hat (nach „The Planet Savers“ von 1962 und „The Sword of Aldones“, ebenfalls 1962), aber der erste, in dem sie dieser Welt einen detaillierten Hintergrund mit Gesellschaft, Kultur und Vergangenheit gab. Dementsprechend groß war auch der Erfolg des Buches, der bis hin zur Gründung eines Clubs namens „Friends of Darkover“ führte, in dem weitere Darkover-Stories entstanden.
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Michael Connelly – The Black Box

Kein Märchen: Schneewittchen in der Hölle von L. A.

Vor 20 Jahren hatte Detective Harry Bosch den Mord an einer dänischen Fotoreporterin zu verarbeiten. Doch wegen der gerade tobenden Unruhen in South Los Angeles hatte er nicht mal eine halbe Stunde Zeit dafür. Jetzt bekommt er vom Labor die Untersuchungsergebnisse zu der Patronenhülse, die er damals sicherstellte: Sie gehört zu einer Beretta, die bereits dreimal für Morde verwendet wurde.

Als er die Waffe endlich sicherstellen und von der Bundespolizei ATF zuordnen lassen kann, erhält der Fall des „Schneewittchens“ von South L.A. eine völlig andere Dimension: Die Waffe stammt aus dem ersten Golfkrieg 1991 und wurde von einer ganz bestimmten US-Truppe verwendet …
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Andrea Camilleri – Das Spiel des Patriarchen (Lesung)

Der Commissario guckt sich Pornofilme an?! Nicht auszudenken, was aus seinem guten Ruf wird! — Aber alles ist halb so wild, und im Grunde geht es um ein brandheißes Thema: Organhandel. Da stellt sich die Frage: Was soll nur aus Sizilien werden? Und wer will überhaupt in Olivenöl eingelegte Organe?!

_Der Autor_

Andrea Camilleri ist kein Autor, sondern eine Institution: das Gewissen Italiens. Der 1925 in dem sizilianischen Küstenstädtchen Porto Empedocle geborene Camilleri ist Autor von Krimialromanen und -erzählungen, Essayist, Drehbuchautor und Regisseur.

Die Hauptfigur in vielen seiner Romane, Commissario Salvo Montalbano, gilt inzwischen als Inbegriff für sizilianische Lebensart, einfallsreiche Aufklärungsmethoden und südländischen Charme und Humor.

Allerdings ist der Commissario nicht der Liebling aller Frauen: Zu oft hindert ihn sein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein daran, dringende Termine mit seiner jeweiligen Freundin wahrzunehmen.

_Das Hörspiel_

Das 110 Minuten lange Hörspiel wurde beim Südwestdeutschen Rundfunk SWR produziert. Es treten acht Hauptsprecher auf sowie der Erzähler. Daneben hören wir noch neun weitere Sprecher in Nebenrollen. Die Bearbeitung – die ich recht gut gelungen finde, denn sie arbeitet den roten Faden und humoristische Aspekte heraus – stammt von Daniel Grünberg. Regie führte Leonhard Koppelmann – wie bei allen anderen Camilleri-Hörspielen:

– Die Form des Wassers
– Der Hund aus Terrakotta
– Der Dieb der süßen Dinge
– Die Stimme der Violine

_Handlung_

Commissario Montalbano beobachtet mit Skepsis den Einzug von Computer und Internet im Kommissariat und fühlt sich allmählich etwas antiquiert. Da kommt ihm der neue Fall gerade recht, in dem er seine Spürhundqualitäten unter Beweis stellen kann.

In Vigata finden zwei Morde statt, zwischen denen auf den ersten Blick kein Zusammenhang zu bestehen scheint. Nene San Filippo war zu Lebzeiten ein lediger Nichtstuer, der als 21-Jähriger seinen Hormondrang an etlichen Freundinnen austobte. Signore Grifo hingegen, ein braver Beamter aus Messina, vermisst seine Eltern, die über Nenes Wohnung, also im gleichen Haus, lebten. Das Ehepaar war von einem Busausflug nach Tindari (vgl. O-Titel) nicht zurückgekehrt.

Montalbanos Mitarbeiter machen sich, ausgestattet mit hypermoderner Technik, sofort an die Arbeit, allen voran sein Assi, der rührige Fazio. Montalbano hingegen verlässt sich auf Bewährtes und kommt auch so weiter. Und stößt auf höchst Pikantes. Nene und seine Geliebte schrieben einander gepfefferte Liebesbriefe, in denen sie einander ihre Erfahrung des vorangegegangenen Liebesspiels schilderten. Wozu? Nene schrieb offenbar an einem erotischen Roman. Und deshalb wohl auch seine Vorliebe für scharfe Pornofilme, oder?

Doch Nenes Geliebte ist die Gattin des berühmten Transplantationsexperten Dottore Eugenio Ingrò. Vania Titulescu stammt aus Rumänien. Gab der Arzt den Mord an Nene aus Eifersucht in Auftrag? Aber warum mussten dann die unschuldigen Grifos sterben? Die ausnehmend hübsche Reisebegleiterin mit dem schönen Namen Beatrice weist dem hingerissenen Assistenten Fazio den Weg durch das Dickicht der Hinweise.

Da bekommt Montalbano einen wichtigen Anruf: Avvocato Guttadauro, allseits bestens bekannt als Mafia-Anwalt, lässt dem Commissario schöne Grüße ausrichten von Don Balduccio Sinagra, dem Mafiapaten. Ob er wohl einen kleinen Besuch einrichten könnte? Montalbano kann. Einen Paten lässt man nicht ungestraft links liegen. Nicht in Sizilien und schon gar nicht, wenn man einen so verzwickten Fall lösen möchte. Wie es scheint, war der verblichene Nene eine Art Enkel des alten Don…

Auf die richtige Spur bringen ihn schließlich ein sarazenischer Olivenbaum, ein Buch von Joseph Conrad und der verschlüsselte Hinweis des berüchtigten alten Mafiapaten, der bei einem gefährlichen Spiel im Hintergrund die Fäden in der Hand hält.

_Mein Eindruck: Die Handlung_

Die Schnitzeljagd, aus der Montalbanos Fälle oft bestehen, wird in „Patriarch“ fast schon bis zum Exzess getrieben – und ist umso spannender, je mehr retardierende Momente wie Beatrice und Nenes erotischer Roman die Auflösung des kniffligen Falls hinauszögern. Man fiebert regelrecht mit, bis sich zunehmend erschreckendere Abgründe auftun, in die uns der Autor nichts ahnend gelockt hat. Aber da ist es fürs Aufhören bereits zu spät.

Erotik, Busfahrten und schöne Frauen – darunter des Commissarios Freundin – gehören zu den angenehmen, mitunter komischen Nebenerscheinungen im Verlauf der Handlung. Doch keine Angst: Hier wird nicht „abgeschwiffen“, sondern jedes Details hat seine Funktion im größeren Gewebe der Handlung.

Der Commissario ist ein verschmitzt denkender Bursche, fast wie der selige Father Brown von G.K. Chesterton. Doch Montalbanos sizilianischer Humor ist durchzogen von einer Skepsis gegenüber der Güte des Schicksals (oder Gottes). Allerdings hilft ihm der Humor dabei, in einer Welt zu überleben, die, auch wenn sie eine erfundene Welt ist, sich nicht allzusehr von unserer Wirklichkeit unterscheidet. Vermutlich findet auch in Italien so etwas wie Organhandel statt, auch wenn diese Tatsache gerne unter den Teppich gekehrt wird. Zumindest im Roman passiert eben dies nicht: Die nationale Presse erfährt von der Schweinerei, die der Commissario da aufgedeckt hat.

_Mein Eindruck: Die Produktion_

Wie schon in den anderen Camilleri-Hörspielen machen alle SprecherInnen einen hervorragenden Job aus ihrer Aufgabe. Schließlich arbeitet man hier nicht in der Privatwirtschaft, sondern beim gebührenfinanzierten Rundfunk! Die Musik von Henrik Albrecht ist diesmal ein wahrer Hochgenuss: stilechte, original sizilianisch klingende Cafémusik! Und obendrein nicht aufdringlich, sondern meist schön dezent im Hintergrund.

_Unterm Strich_

„Das Spiel des Patriarchen“ ist ein rundum gelungenes Hörspiel. Es ist keineswegs ein gekürzter Bestseller aus Amiland, sondern stellt vielmehr Ansprüche an die Aufmerksamkeit des Zuhörers und – am Schluss – an dessen moralische Urteilsfähigkeit. Erst wenn der Zuhörer empört ist, hat der Autor sein Ziel erreicht.

Komische und romantische Szenen lockern die Nachforschungen Montalbanos auf und geben Gelegenheit, entweder mal eine Pause zu machen oder auch mal lauthals aufzulachen: Der untadelige Kommissar wird von seinem Assi beim Pornogucken vor einem Stapel Cassetten ertappt: ein Bild für Götter!

Ich hingegen ertappe mich gerade dabei, dass ich Camilleri-süchtig geworden bin. Öha: ein Junkie!

_Michael Matzer_ © 2003ff

Friedel Wahren (Hg.) – Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin 53. Folge

Classic SF: Denk wie ein Dino!

Dieser 53. IASFM-Auswahlband bietet drei Geschichten über Kinder im weitesten Sinne sowie über Kunst und Imagination. Den neun angloamerikanischen Erzählungen hat die Herausgeberin eine von einer deutschen Autorin beigefügt. Das ist Tradition in der deutschen Ausgabe von Asimov’s Science Fiction Magazin.

Hier findet man unter anderem:

– Die Story von Saurier-Aliens, die ihre menschlichen Mitarbeiter vor eine knallharte Wahl stellen.
– Die Story vom Training für den Mars, das in der Antarktis zu einer ungewöhnlichen Begegnung führt.
– Die Story von den Schauspielern, die als Tiere eine letzte Auftrittschance ergattern.
– Die Story des Mädchens vom Mond, das auf der Erde schwere Alpträume bekommt.
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Connelly, Michael – Dunkler als die Nacht (Harry Bosch 7)

Die bizarre Bilderwelt des Hieronymus Bosch gibt die entscheidenden Hinweise zur Aufklärung eines Mordes in Los Angeles. Diesmal arbeiten Michael Connellys zwei Oberschnüffler Harry Bosch und Terry McCaleb zusammen an einem Fall, der ihnen beiden das Genick brechen könnte.

_Der Autor_

Michael Connelly war jahrelang Polizeireporter in Los Angeles und lernte das Polizeigewerbe von außen kennen. Bekannt wurde er mit seinen Romanen um die Gesetzeshüter Harry Bosch und Terry McCaleb, zuletzt besonders aufgrund der Verfilmung von „Das zweite Herz / Bloodwork“ durch Clint Eastwood.

|Michael Connelly bei Buchwurm.info:|
[Kein Engel so rein 334
[Unbekannt verzogen 803
[Schwarzes Echo 958
[Schwarze Engel 1192

Offizielle Homepage: http://www.michaelconnelly.com.

_Handlung_

Harry Bosch, den Connelly-Leser schon aus mehreren Romanen kennen, soll diesmal als Hauptfigur der Anklage in einem Gerichtsverfahren gegen den allseits bekannten Hollywood-Regisseur David Storey aussagen, der sich für unantastbar hält. Das Medieninteresse ist entsprechend groß. Storey soll im Sexrausch eine junge Schauspielerin umgebracht und ihren Tod anschließend als Selbstmord inszeniert haben. Storeys wichtigster Helfer ist ein bulliger Ex-Polizist namens Rudy Tafero, der im Hintergrund gegen Bosch und McCaleb agiert.

Terry McCaleb, der Experte für Serienmorde und ehemaliger FBI-Angehöriger, lebt nun mit seiner Familie auf der friedlichen Insel Catalina vor L.A., als eines Tages die Polizistin Jaye Winston bei ihm auftaucht, um ihn um beratenden Beistand bei einem ganz anderen Mord zu bitten. Der saufende Tunichtgut Edward Gunn wurde in einem Ritualmord getötet, bei dem Symbole und Bildinschriften von Hieronymus Bosch eine entscheidende Rolle spielten. Doch warum musste Gunn überhaupt sterben?

Ganz einfach: Harry Bosch trägt den gleichen Namen wie der flämische Maler, der eigentlich Jerome (= Hieronymus) van Aiken hieß, sich aber nach seiner Heimatstadt t’Hertogenbosch Hieronymus Bosch nannte. Wie es der Täter geplant hat, fällt McCalebs Verdacht nach einer Weile auf Harry Bosch selbst, seinen Kollegen. Und sobald an die Medien durchsickern sollte, dass Bosch unter Mordverdacht steht, ist seine Aussage gegen David Storey keinen Pfifferling mehr wert.

Zum Glück kann Bosch McCaleb von seiner Unschuld überzeugen – was wäre auch das Motiv gewesen? Gemeinsam bemühen sie sich, die Verbindungen zwischen den zwei Mordfällen aufzudecken. Und als McCaleb jemandem bei seinen Ermittlungen zu heftig auf die Zehen tritt, ist Bosch gefragt, um ihm in letzter Sekunde das Leben zu retten.

_Beobachtungen_

Das wichtigste Bild von Bosch im Roman ist „Der Garten der Lüste“, das heute im Madrider Prado hängt – ein riesiges Triptychon, das den Garten Eden, die Welt und die Hölle zeigt. Darauf sind mehrere Symbole für das Böse zu sehen, Eulen beispielsweise. Connelly zieht eine deutliche Parallele zwischen den Zuständen im Moloch L.A. und der Darstellung der Welt durch Hieronymus Bosch.

Diese Korrespondenz mag zunächst etwas platt erscheinen, aber es ist für einen amerikanischen Thriller doch recht ungewöhnlich, Kunstwerke als Indiziengeber einzusetzen, zumal europäische. Übrigens heißt Connellys eigene Firma Hieronymus Incorporated.

Der Titel bezieht sich auf die Dunkelheit, mit der die Hölle gemalt ist: „a darkness more than night“, sagt einer der Restauratoren in L.A., der an einem Bosch arbeitet. Es ist die Dunkelheit der Verzweiflung und Verdammnis, darf man annehmen.

Übrigens ist von dem deutschen Autor Peter Dempf ein kunsthistorischer Krimi zu eben dem Bild „Garten der Lüste“ erschienen (bei |Goldmann|): [„Das Geheimnis des Hieronymus Bosch“.]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3442448700/powermetalde-21 Das Taschenbuch enthält eine gute Reproduktion des Gemäldes im Prado. Für Details allerdings benötigt man eine Lupe.

_Unterm Strich_

Man merkt es dem spannenden und kunstvoll konstruierten Thriller durchweg an, dass Connelly jahrelang als Polizeireporter in L.A. gearbeitet hat. Nicht nur vermag der Autor Schauplätze und Menschen genau zu charakterisieren, kennt die Methoden der Schnüffler wie auch der Verbrecher.

Er kann auch das zentrale Gerichtsverfahren, das den roten Faden liefert, minuziös nachzeichnen und als politischen Schauplatz verständlich machen. Allerdings vermittelt er in der Mitte des Buches dabei den Eindruck, ein Gerichtsdrama zu liefern. Das legt sich zum Glück wieder, so dass der Showdown den Leser wirklich fesseln kann.

Mit Bosch und McCaleb tauchen zwei Figuren Connellys auf, deren Innenleben laufend erklärt wird. Leser, die schon die vorzüglichen Romane „Schwarze Engel“, „Der Poet“ und „Das zweite Herz“ gelesen haben, werden die beiden Figuren, besonders McCaleb, weitaus besser verstehen, als es der Autor in „Dunkler als die Nacht“ ermöglicht. „Dunkler …“ kam mir auch ein wenig kürzer vor als etwa „Das zweite Herz“.

„Dunkler …“ bedient nicht so stark voyeuristische Instinkte wie etwa Thomas Harris mit seinen Hannibal-Romanen. Wir werfen dennoch einen Blick auf grausige Szenen, die aus dem Serienkillerfilm „Sieben“ stammen könnten – nichts für zarte Nerven. Vielmehr richtet Connelly aber unser Augenmerk auf ganz normale Schnüffelarbeit bei Dutzenden von Zeugen an zahlreichen Orten. Erst hierdurch wird die Stadt L.A. als Organismus lebendig und erlebbar, manchmal auch mit komischen Untertönen. Der Autor zeigt wie schon zuvor ein feines Gespür für Rhythmus: Solche heiteren Momente wechseln sich stets mit Hochspannung ab.

|Originaltitel: A Darkness more than Night, 2001
Aus dem US-Englischen übertragen von Sepp Leeb|

Michael Connelly – Schwarze Engel (Harry Bosch 06)

Ein schwarzer Staranwalt wird in L.A. ermordet, und der Verdacht fällt sofort auf einen Polizisten. In der Stadt, in der weiße Cops einen Schwarzen wie Rodney King zusammenschlugen, setzt dieses Verbrechen die Zündschnur in Brand, die das Pulverfass Los Angeles in die Luft fliegen lassen könnte. Detective Harry Bosch muss schnell arbeiten und vor allem fehlerfrei. Dumm nur, dass ihm zahlreiche Aufpasser die Arbeit schwer machen.

Der Autor
Michael Connelly – Schwarze Engel (Harry Bosch 06) weiterlesen

Jeffery Deaver – Die Saat des Bösen. Thriller

Früher Thriller des Meisters

Die siebzehnjährige Megan ist spurlos verschwunden. Ihr Vater Paul, ein ehemaliger Staatsanwalt, hat den furchtbaren Verdacht, dass seine Tochter entführt wurde. In seinem Beruf macht man sich viele Feinde, und nicht immer verurteilt die Justiz den wahren Schuldigen. Da die Polizei nicht an ein Verbrechen glaubt, sucht er Megan auf eigene Faust. Ein Wettlauf gegen das Böse beginnt. (Verlagsinfo)

„Die Saat des Bösen“ ist ein effektvoller psychologischer Thriller, der mich mit seiner kritischen Haltung gegenüber Erweckungs- und Fernsehpredigern wie auch Staatsanwälten überrascht hat. Ein früher Roman Deavers, des Meisters der raffinierten Psychologie und der akribischen Gerichtsmediziner.

Der Autor

Jeffery Deaver ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Thriller-Autoren. Seine wichtigste Figur ist der querschnittsgelähmte Ermittler Adrian Lyme, so etwa in dem verfilmten Krimi „Der Knochenjäger“ (mit Denzel Washington & Angelina Jolie).

Deaver hat aber auch Polit- und Technik-Thriller geschrieben sowie diverse Pseudonyme benutzt. Zuletzt erschienen von ihm der Thriller [„Der faule Henker“ 602 im August 2004, ein klassisches Locked-Room-Mystery, und „Todesreigen“ im Mai 2005.

Die Lincoln-Rhyme-Reihe

1997 The Bone Collector. – Die Assistentin. dt. von Hans-Peter Kraft: Goldmann, München 1999, ISBN 3-442-41644-2. – auch als: Der Knochenjäger. dt. von Hans-Peter Kraft: Goldmann, München 2000, ISBN 3-442-43459-9.

1998 The Coffin Dancer. – Letzter Tanz. dt. von Thomas Müller und Carmen Jakobs: Goldmann, München 2000, ISBN 3-442-41650-7.

2000 The Empty Chair. – Der Insektensammler. dt. von Hans-Peter Kraft: Blanvalet, München 2001, ISBN 3-7645-0128-6.

2002 The Stone Monkey. – Das Gesicht des Drachen. dt. von Thomas Haufschild: Blanvalet, München 2003, ISBN 3-7645-0160-X.

2003 The Vanished Man. – Der faule Henker. dt. von Thomas Haufschild: Blanvalet, München 2004, ISBN 3-7645-0179-0.

2005 The Twelfth Card. – Das Teufelsspiel. dt. von Thomas Haufschild: Blanvalet, München 2006, ISBN 3-7645-0201-0.

2006 The Cold Moon – Der gehetzte Uhrmacher. dt. von Thomas Haufschild: Blanvalet, München 2007, ISBN 3-7645-0202-9.

2008 The Broken Window – Der Täuscher. dt. von Thomas Haufschild: Blanvalet, München 2009, ISBN 978-3-7645-0296-6.

2010 The Burning Wire. – Opferlämmer. dt. von Thomas Haufschild: Blanvalet, München 2011, ISBN 978-3-7645-0335-2.
2014 The Kill Room. – Todeszimmer. dt. von Thomas Haufschild: Blanvalet, München 2014, ISBN 978-3-7645-0482-3.

2014 The Skin Collector. – Der Giftzeichner. dt. von Thomas Haufschild: Blanvalet, München 2015, ISBN 3-7645-0538-9.

2016 The Steel Kiss – Der talentierte Mörder dt. von Thomas Haufschild: Blanvalet, München 2017, ISBN 3-7645-0592-3.

2017 The Burial Hour – Der Komponist. dt. von Thomas Haufschild: Blanvalet, München 2018, ISBN 978-3-7645-0646-9.

2018 The Cutting Edge Hodder, ISBN 978-1-4736-1876-3 – Der Todbringer dt. von Thomas Haufschild: Blanvalet, 2019, ISBN 978-3-7645-0714-5.

Handlung

Eine Mordserie ereignet sich im ländlichen Virginia und versetzt eine ganz bestimmte Familie in Angst und Schrecken, die Familie von Tate Collier. Dass er von seiner Frau Bett McCall schon seit Jahren geschieden ist, stört den Killer nicht. Er fängt mit Tates Tochter an.

Die 17-jährige Megan wird immer die „verrückte Megan“ genannt. Sie kommt nämlich nach der Scheidung ihrer Eltern mit ihren Problemen nicht mehr zurecht und hat sich bereits mit mehreren ungewöhnlichen Männern eingelassen. Nach einer besonders turbulenten Nacht lässt sie sich von ihrer Mutter, Bett McCall, dazu überreden, den Psychotherapeuten Dr. James Peters aufzusuchen. Peters gelingt es in der Tat, Megans Vertrauen zu gewinnen. Immer tiefer in ihrer Psyche bohrend, stößt er auf sehr viel Zorn und Frustration und überredet Megan, ihre Wut rauszulassen und aufzuschreiben.

Das Mädchen ahnt nicht, dass Peters keine Approbation hat und ein Mörder ist. Am nächsten Morgen ist sie spurlos verschwunden. In Tate Colliers Haus tauchen nur die verhängnisvollen Gesprächsaufzeichnungen Megans auf. Sie lesen sich nun wie wütende Abschiedsbriefe. Darauf fällt auch die Polizei herein: Wer sucht schon nach einer Ausreißerin, die wahrscheinlich schon längst im Zug nach New York City sitzt?

Tate Collier, ein ehemaliger Staatsanwalt und seit fünf Jahren im Ruhestand, bittet seinen alten Freund Konnie von der Polizei, dennoch nach Hinweisen auf Megans Entführung zu suchen. Konnie ist ein hervorragender Schnüffler. Schon bald stößt er auf Ungereimtheiten. So etwa scheint der letzte Megan-Lover, der ältere Englischlehrer Carson, sich selbst verbrannt zu haben, weil er sich Vorwürfe machte, Megan und andere Mädchen verführt zu haben.

Ein weiterer Lover Megans ist der Farbige Joshua LeFevre, ein rebellischer Kunstmaler aus betuchtem Hause. Als er mit Colliers und Konnies Hilfe Megans Spur aufnimmt, stößt er in den Bergen Virginias, den höhlenreichen Appalachen, auf ein unheimliches und abgelegenes Anwesen. Zwei Erweckungsprediger hätten hier ihre Gottesdienste mit feurigen Reden abgehalten, erzählt ihm eine Anwohnerin. Doch hier stößt Joshua nur auf Aaron Matthews. Er ahnt nicht, dass Matthews mit Dr. James Peters identisch ist.

Peters/Matthews setzt wie schon bei Megan seine heimtückische Überredungskunst und seinen psychologischen Scharfblick ein, um Joshua aus dem Konzept zu bringen. Joshua ahnt ja, dass er Megan hier finden könnte. Doch als er sich ablenken lässt, unterliegt er.

Nun schweben nicht nur Megans Eltern in ernster Gefahr, sondern auch der alte Polizist Konnie, der sich auf die Spur des Dr. Peters gesetzt hat. Doch auch Konnie hat einen schwachen Punkt, wie jeder. Es erscheint schier unglaublich, aber auch diesen abgebrühten und zynischen Polizisten „schafft“ Dr. Peters mit seiner Beredsamkeit. Schließlich aber trifft er auf seinen eigentlichen Gegner: Tate Collier war einmal der brillanteste Staatsanwalt Virginias. Seine Beredsamkeit ist mindestens ebenso so groß wie die von Matthews/Peters. Und damit hatte er fünf Jahre zuvor dessen Sohn hinter Gitter gebracht …

In einer der vielen Höhlen findet der folgerichtige Showdown zwischen diesen beiden Meistern der Beredsamkeit statt. Und vielleicht gibt es für die entführte Megan noch eine Überlebenschance.

Mein Eindruck

Der Leser ist von Anfang im Bilde, was gespielt wird. Wir folgen den Machenschaften Matthews/Peters‘ ebenso wie den verzweifelten Befreungsversuchen, die Megan in den unheimlichen Kellern auf dessen Anwesen unternimmt. Getreu dem alten Hitchciock-Grundsatz sind wir den Vertretern des Guten stets weit voraus und bangen um ihr Überleben: So wird Suspense aufgebaut. Wir können dem Tod bei der Arbeit zusehen und fragen uns, wer das moralische Recht hat, zu überleben.

Als der Autor immer mehr Einzelheiten über die Geschehnisse fünf Jahre zuvor enthüllt, die zu Peters‘ Rachefeldzug und Colliers Amtsniederlegung führten, gerät Collier zunehmend ins Zwielicht. Der Vertreter von Gesetz und Ordnung scheint ja über Leichen gegangen zu sein, wenn es seiner Sache dienlich war. Vielleicht hat ja am Ende der Mörder Recht? Als es diesem auch noch gelingt, Bett McCall für sich einzunehmen und zwischen sie und ihren Ex-Mann einen Keil zu treiben, scheint Collier auf verlorenem Posten zu stehen. Die Chancen für Megans Überleben schmelzen dahin.

Und so hängt alles von der finalen Konfrontation der beiden männlichen Hauptfiguren ab. Diese Szene ist ebenso hervorragend ausgearbeitet wie jene, in der Konnies Fall und Vernichtung angebahnt wird. Hier spielt Deaver sein ganzes Wissen als Psychologe und sein Können als Rhetoriker aus. Und erst in dieser Szene, kurz vor Schluss, zieht Collier sein größtes Ass aus dem Ärmel (ich werde mich hüten, das hier zu verraten!). Und das haut nicht nur seine Zuhörer um.

Der Titel: Deavers kritische Haltung

Der Originaltitel lautet „Speaking in Tongues“, also „in Zungen sprechen“. Das taten bekanntlich die Leute und Jünger Jesu zu Pfingsten, als sie den Geist Gottes em-PFING-en. Davon leitet sich die Erweckungsbewegung ab, die Pentecost-Sekte. Ihr gehörte beispielsweise auch Jeannette Wintersons Mutter an, wie J.W. in ihrem Roman „Orangen sind nicht die einzige Frucht“ (als Taschenbuch bei BVT) erzählt.

Im Buch zog Aaron Matthews mit seinem Vater von Dorf zu Dorf, um flammende Erweckungsreden, angeblich göttlich inspiriert, abzuhalten und den zuhörenden Lämmern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Natürlich war das Ganze inszeniert.

Doch der Autor zieht von hier aus eine direkte Parallele zu Tate Colliers Tätigkeit als Staatsanwalt von Fairfax County in Virginia. (Die Polizei zählt nicht: Sie ist den Besitzenden hörig.) Und er rückt somit die Rechtssprechung auf eine Stufe mit Scharlatanen wie Matthews & Sohn. Das ist eine extrem kritische Haltung, die Deaver hier andeutet – mindestens so kritisch wie jene des frühen John Grisham, etwa in „Die Firma“.

Die Parallelen gehen noch weiter, wie der Titel des ersten Buchteils andeutet: Es geht um die jeweiligen Erstgeborenen von Matthews und Collier. Nach dem altbiblischen Gesetz von „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ vergilt Matthews den Tod seines Sohnes an Colliers Tochter, Megan. Aber hat dieses Gesetz heute noch Gültigkeit? Und somit auch die Worte zahlloser Fernsehprediger in den USA und anderswo?

Die Figuren

Was mich etwas nervte, war die reichlich naive Haltung von Bett McCall. Sie wird auch als Esoterikfanatikerin etwas lächerlich gemacht. Dennoch ist sie ebenso realistisch gezeichnet und plausibel gezeichnet wie der angeblich so gefühlskalte Tate Collier. So richtig sympathisch ist eigentlich nur der arme alte Polizist Konnie, der ein weitaus besseres Ende seines Lebens und seiner Laufbahn verdient hätte.

Unterm Strich

Dieser Thriller ist hundertmal spannender als irgendein Grisham, hat mehr Action und Intelligenz in den entscheidenden Szenen und lässt den Leser nicht mehr los bis zur letzten Seite. Von späteren Deaver-Romanen unterscheidet er sich lediglich dadurch, dass nicht so viele überraschende Wendungen enthalten sind und keine „Knochenjäger“ auftauchen.

Originaltitel: Speaking in Tongues, 1995
Taschenbuch: 416 Seiten
Aus dem US-Englischen übertragen von Hans-Joachim Maass

www.randomhouse.de

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Frank Herbert – Auge. SF-Erzählungen. Illustriert von Jim Burns

Sammlerstück: Einheit aus SF-Erzählungen und Bildern

„Auge“ ist eine Sammlung von illustrierten Kurzgeschichten des Erfinders des „Wüstenplaneten“ und bietet einen repräsentativen Querschnitt durch Herberts Werk eine Ehrung und Erinnerung an ihn: Denn am 11. Februar 1986 starb der Science Fiction-Autor an den unerwarteten Komplikationen nach einer vorsorglichen Krebsoperation. Es ist eine Ausgabe für das Auge des Betrachters.
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Damon Knight (Hrsg.) – Computer streiten nicht (NEBULA Award Stories 1)

Classic SF: Ausgezeichnete NEBULA-Erzählungen

Damon Knight, international bekannt und geschätzt als Autor der Genres der Fantasy und Science Fiction und als Anthologist, stellt hier vier seiner Autorenkollegen vor, deren Erzählungen den NEBULA-Preis erhielten – die begehrte Auszeichnung, die alljährlich vom Verband der Science Fiction Writers of America vergeben wird (dies sind die Preisträger des Jahres 1965):

1. Gordon R. Dickson mit der Story „Computer streiten nicht“: Das Schicksal eines Mannes, der sich im Recht fühlt.
2. James H. Schmitz mit der Story „Ausgeglichene Ökologie“: Die „Gleichgewichtsstörung“ eines Planeten wird behoben.
3. Harlan Ellison mit der Story „Bereue, Harlekin!“, sagte der Ticktackmann: Ein Nonkonformist im Kampf gegen den neuen großen Diktator.
4. Roger Zelazny mit der Story „Der Former“: Menschen im Grenzbereich zwischen Realität und Unwirklichem. (Verlagsinfo)

Dies ist der Auftaktband zu den Texten, die seit 1965 mit dem NEBULA Award ausgezeichnet wurden. Keineswegs alle dieser Jahresbände wurden ins Deutsche übertragen; viele erschienen beim Moewig-Verlag. Der Schwesterband mit den weiteren NEBULA-Preisträgern des Jahres 1965 trägt den Titel „Panne in der Hölle“ (siehe meinen Bericht).
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John Grisham – Die Bruderschaft (Lesung)

Drei verurteilte Richter brüten im Gefängnis einen genialen Plan aus und wollen sich damit ihre Zukunft für die Zeit nach ihrer Entlassung sichern. Mit ihrem Plan geraten sie eines Tages jedoch an den falschen Kandidaten…

_Der Autor_

Der studierte Jurist John Grisham, geboren 1955, ist nach Angaben des Heyne-Verlags der „meistgelesene Autor weltweit“. Zahlreiche seine Romane dienten als Vorlage zu Spielfilmen, darunter „Der Klient“, „Die Firma“, „Die Akte“ und „Die Jury“ sowie „Der Regenmacher“. Grisham war Abgeordneter im Parlament des Bundesstaates Mississippi und führte lange Jahre eine eigene Anwaltskanzlei, bis er sich Mitte der Achtzigerjahre ganz dem Schreiben widmete. Grisham lebt mit seiner Familie in Virginia und Mississippi.

_Der Sprecher_

Charles Brauer kennen wir aus Film und Fernsehen, v.a. als den Kommissar Brockmüller in den „Tatort“-Krimis an Manfred Krugs Seite. Darüber hinaus hatte Brauer Engagements an den großen Theaterbühnen in Hamburg und München. Er gehört zu den beliebtesten Hörbuchsprechern und hat für Heyne bereits „Der Verrat“, „Das Testament“ u.a. von John Grisham gelesen.

_Handlung_

Trumble gilt bei den Häftlingen als Geheimtipp unter den Gefängnissen der USA – vergleichbar eher mit einem Ferienlager als mit einem Knast. Hier sitzen vorwiegend Kleinkriminelle, Steuersünder und Wallstreet-Gauner ihre Strafe ab. Die drei Ex-Richter Finn Yarber, Hatlee Beech und Joe Roy Spicer sitzen hier auch ein. Einst waren sie erfolgreiche Streitschlichter, und nun treten sie in Trumble als „Die Bruderschaft“ auf: Die Bibliothek erklären sie zu ihrem Gerichtssaal, wo sie sich wöchentlich der Rechtsangelegenheiten ihrer Mithäftlinge annehmen – nicht ganz unentgeltlich, versteht sich.

Weniger harmlos als ihre „Richtersprüche“ sind allerdings die infamen Erpresserbriefe, die sie gemeinsam verfassen. Über Postfachadressen, einen abgehalfterten Anwalt als Kurier und ein geheimes Konto streichen sie somit beträchtliche Summen ein, die ihnen la dolce vita nach ihrer Entlassung gewährleisten sollen.

Eines Tages geraten sie aber an den falschen Kandidaten, den Bilderbuch-Politiker Aaron Lake, mit dem man höhere Pläne hat und dessen lupenreines Image auf keinen Fall beschmutzt werden darf. Von diesem Augenblick an sind die Tage der Bruderschaft gezählt, wie es scheint. Aaron Lake hat äußerst gefährliche Freunde, die sehr auf sein Image bedacht sind. Doch die Bruderschaft gibt nicht so leicht klein bei und nimmt den Kampf auf. Aber was können die Drei schon viel von ihrem Knast aus ausrichten, fragt man sich? Lesen und sich wundern!

_Die CD_

Die 6 CDs der gekürzten Hörbuchfassung reichen für 405 Minuten Vortrag, also für sechsdreiviertel Stunden. Brauer trägt prononciert und klar verständlich vor. Die Klangqualität auf meiner bescheidenen Anlage genügte meinen Ansprüchen.

_Mein Eindruck_

Grisham verarbeitet hier aktuelle politische Themen wie etwa Erpressung und Bestechung von Politikern, wobei auch die Grauzonen zwischen Justiz und Politik zu erkennen sind. Da wird gemauschelt, dass sich die Balken biegen.

Doch Grisham bleibt Grisham. Der Leser sollte nicht ein Übermaß an tiefer Charakterisierung verlangen oder erwarten. Eine spannende und unterhaltsame Lektüre sollte ihm genug sein. Dennoch fand ich die tiefe Ironie, die in manchen Szenen zum Tragen kam, sehr erfrischend.

Hinweis für Hörbuchneulinge: „Musik und Geräusche“ fehlen bei dieser Lesung, wie sonst auch. So etwas gibt es (in der Regel) nur in Hörspielen.

_Michael Matzer_ © 2003ff

Connelly, Michael – So wahr uns Gott helfe

_Packender Justizthriller: Mickey Hallers zweiter Fall_

Als der Anwalt Mickey Haller (siehe „The Lincoln Lawyer / Der Mandant“) ins Gericht von L.A. gerufen wird, ahnt er nicht, dass eine folgenschwere Entscheidung vor ihm liegt. Überraschend wird ihm der Klientenstamm seines ermordeten Kollegen Jerry Vincent übertragen – nicht gerade ein Grund zum Feiern. Eine der Akten ist verschwunden. Der Verdacht liegt daher nahe, dass der Mörder unter Vincents Mandanten zu finden ist.

Mickey fackelt nicht lange und übernimmt den aktuellen Fall: Der Filmmogul Walter Elliot ist des Mordes an seiner Frau und deren Lover angeklagt. Elliot beschwört seine Unschuld, und Mickey findet einen entlastenden Beweis. Doch Detective Harry Bosch hat seine Zweifel, und auch Mickey ist nicht vollends von Elliots Unschuld überzeugt. Etwas ist faul an dem Fall. Als er erkennt, worum es sich handelt, gerät er in tödliche Gefahr …

_Der Autor_

Michael Connelly war jahrelang Polizeireporter in Los Angeles und lernte das Polizeigewerbe von außen kennen. Bekannt wurde er mit seinen Romanen um die Gesetzeshüter Harry Bosch und Terry McCaleb, besonders aufgrund der Verfilmung von „Das zweite Herz / Bloodwork“ durch Clint Eastwood. Auch „Der Mandant“, der erste Mickey-Haller-Roman, soll hochkarätig verfilmt werden, doch es gibt „künstlerische Differenzen“, und so wurde der Regisseur gefeuert.

Zuletzt erschienen „The Overlook / Kalter Tod“, „The Scarecrow“ und „Nine Dragons“.

|Michael Connelly auf Buchwurm.info (in Veröffentlichungsreihenfolge):|

|Harry Bosch:|

[„Schwarzes Echo“ 958
[„Schwarzes Eis“ 2572
[„Die Frau im Beton“ 3950
[„Das Comeback“ 2637
[„Schwarze Engel“ 1192
[„Dunkler als die Nacht“ 4086
[„Kein Engel so rein“ 334
[„Die Rückkehr des Poeten“ 1703
[„Vergessene Stimmen“ 2897
[„Kalter Tod“ 5282 (Buchausgabe)
[„Kalter Tod“ 5362 (Hörbuch)

[„Das zweite Herz“ 5290
[„Der Poet“ 2642
[„Im Schatten des Mondes“ 1448
[„Unbekannt verzogen“ 803
[„Der Mandant“ 4068
[„L.A. Crime Report“ 4418

_Handlung_

Michael Haller ist auf den Hund gekommen. Etwa drei Jahre sind seit jenem üblen Bauchschuss im Fall Roulet vergangen, nach dem er operiert werden musste. Doch erst pfuschten die Ärzte, dann wurde er von ihren Schmerzmitteln abhängig – ein Junkie. Seine Ehe ging in die Brüche, und nun darf er seine Tochter Hayley nur noch mittwochs und jedes zweite Wochenende sehen. Was für ein Leben. Nur die Ersparnisse halten ihn noch über Wasser und in seinem hübsches Häuschen über dem Canyon.

|Glück?|

Da ereilt ihn ein Ruf von höchster Gerichtsebene. Oberrichterin Holder wolle ihn sprechen, sagt ihm seine Exfrau Lorna. Holder teilt ihm mit, dass Mikes Standeskollege Jerry Vincent tags zuvor erschossen worden sein – in der Parkgarage vor seinem Stadtbüro. In Jerrys Testament habe er verfügt, dass Mike seine Anwaltskanzlei erben solle. Somit soll Mike sämtliche Fälle übernehmen, inklusive eines sehr lukrativen Mordfalls, der mehrere hunderttausend Dollar abwerfen dürfte. Ein Himmelsgeschenk, oder? Haller sagt nicht nein, lässt sich aber alle Optionen offen. Holder verlangt regelmäßige Reports über den Stand seiner Fälle. Mike ist ratzfatz wieder gut im Geschäft.

Zusammen mit seiner Fall-Managerin Lorna und seinem Ermittler Cisco, einem Biker, versucht Mike, Jerrys Aktenstand herauszufinden: Der Laptop, auf dem alles gespeichert war, wurde ebenso gestohlen wie Jerrys Terminkalender. In einer Schnellaktion wird deutlich, dass einige Termine brenzlig sind, dass aber das Konto Jerrys, das nun Mike gehört, gut gefüllt ist. Vor allem durch die Vorauszahlungen eines einzigen Klienten.

|Der Klient|

Dieser Klient ist Walter Elliot, der Hollywood-Mogul von Archway Studios, der von der Staatsanwaltschaft angeklagt ist, seine Frau und deren Liebhaber, einen Deutschen, erschossen zu haben. Gegen eine Kaution von schlappen 20 Millionen Dollar ist Elliot auf freien Fuß gesetzt worden und bereitet ungerührt seine nächsten Filme vor. Über so viel Kaltschnäuzigkeit ist Mike schon ein wenig erstaunt, zeigt es aber nicht. Erst als ihm Elliot auf der Nase herumtanzt, muss er ihm zeigen, wer hier den Fall leitet. Natürlich beteuert Elliot seine Unschuld. Mike hat nichts anderes erwartet, obwohl ihn der Roulet-Fall warnen sollte, dass hier etwas faul sein könnte. Zum Beispiel der Grund, warum Elliot unbedingt in zwei Wochen vor Gericht stehen will, auf keinen Fall später …

|Unerwarteter Besuch|

Jerry Vincents eigenen Ermittler Bruce Carlin, einen schmierigen Ex-Cop, feuert Mike ebenso wie dessen Geliebte, die in Tränen zerfließende Sekretärin. Als nächster in der Reihe der Besucher im Büro kreuzt kein anderer als Detective Harry Bosch vom LAPD auf, von dem Mike nur weiß, dass er sein Halbbruder ist. (Mike hat NOCH einen Halbbruder und drei Halbschwestern – sein Vater, ein charismatischer Staranwalt, bestellte viele Felder).

Bosch ist ein todernster Mann auf einer Mission, merkt Mike. Und Bosch fragt, ob Mike etwas über eine Ermittlung des FBIs im Auftrag des Bundesgerichtshofes wegen Korruption der Gerichte wisse. Keine Ahnung, sagt Mike. Ob er etwas über ein Bestechungsgeld von 100.000 Dollar wisse, das Jerry Vincent gezahlt haben soll. Auch darüber weiß Mike nichts. Bosch zeigt ihm später das Foto einer Überwachungskamera vor dem Haus: Es zeigt einen finsteren Typen, aus dessen Hosenbund eine Pistole herausschaut. Vincents Mörder etwa? Bosch ist überzeugt, dass der Mörder zu Vincents Klienten gehört. Mike wird es etwas mulmig. Offenbar könnte auch er ins Visier der Hintermänner geraten. Aber wer sind die?

|Die magische Kugel|

Was wusste Vincent, dass man ihn zum Verstummen bringen musste? Auf einmal sieht Vincents Vermächtnis nicht wie ein Glücksfall aus, sondern wie ein vergifteter Kelch, den ihm Richterin Holder in die Hand gedrückt hat. Um sicherzugehen, dass nicht Walter Elliot dahintersteckt, fühlt er ihm auf den Zahn und studiert sämtliche Akten des Mordfalls. Der Grund, warum Vincent so sicher war, Elliot herauszuhauen, muss wohl auch der Grund sein, warum Elliot sicher ist, freigesprochen zu werden. Deshalb muss Vincent über eine Wunderwaffe verfügt haben, mit der er den Prozess auf jeden Fall gewinnen konnte.

Mike Haller ist ein Genie: Er findet die Wunderwaffe in den Akten und tut alles, um seine Verteidigungsstrategie seinerseits kugelsicher zu machen. Doch mit einem hat er nicht gerechnet: Dass er auf dem völlig falschen Dampfer fährt …

_Mein Eindruck_

„So wahr uns Gott helfe“ ist die Fortsetzung von „Der Mandant“, in dem uns der Autor seinen skeptischen, desillusionierten Strafverteidiger Mickey Haller erstmals vorstellte. Beide Romane habe ich in jeweils nur drei Tagen gelesen, so spannend sind sie geschrieben. Doch diesmal tritt Connellys Serien-Antiheld Harry Bosch regelmäßig auf, um mit Mickey, seinem Halbbruder, ein Stück des Weges zu gehen.

|Bosch|

Aber ob Bosch seine Hilfe ehrlich meint oder nur seine eigenen Ziele verfolgt, wird Mickey erst im dramatischen Finale herausfinden. Vorerst ist es ein Handel, Informationen und Erkenntnisse auszutauschen. Allerdings ist Mickey an die anwaltliche Schweigepflicht gebunden, und das schränkt seine „Lieferungen“ erheblich ein. Bosch, dessen Bild sich in den letzten Romanen wie „Kalter Tod“ genauer herauskristallisiert hat, ist dennoch erstaunlich kooperativ. Was an einem Typ wie ihm dann schon wieder verdächtig wirkt.

|Der Klient|

Es kann nicht ausbleiben, dass die übermächtige Figur des Klienten eine zweite Hauptrolle spielt. Offensichtlich spielt Walter Elliot nicht mit offenen Karten, als er sich überraschend bereitwillig bereiterklärt, Mickey zu seinem einzigen(!) Anwalt zu nehmen. Hat Elliot vielleicht eine Trumpfkarte im Ärmel, die ihn so aufs Tempo drücken lässt und siegessicher macht? So ganz werden wir den Verdacht nicht los, dass Elliot unseren Helden aufs Kreuz legen will.

|Die Wunderwaffe|

Aber der Autor lenkt unseren Blick geschickt auf den Prozess und weg von Elliot. Die Details der Gerichtsverhandlung werden minutiös ausgebreitet, bis auf eine kleine Raffung vor dem Höhepunkt, als nämlich Mickey Haller wie ein Zauberkünstler seine Starzeugin aufbietet und die „Wunderwaffe“ in Richtung auf die Staatsanwaltschaft abfeuert. Um ein Haar wird ihm seine grandiose Vorstellung, in der er seinen Gegner an die Wand spielt, vermasselt, als einer der Geschworenen spurlos verschwindet. Mehr darf nicht verraten werden.

|Showdown|

Das Finale ist, wie gesagt, dramatisch und ein wahrer Kraftakt. Doch bis zum Schluss bleiben auch wir im Dunkeln, wer der Drahtzieher hinter der ganzen Sache ist, in der Mickey Haller von allen nur benutzt wird. Er ist wirklich eine arme Sau. Am Ende kann man es ihm nicht verdenken, dass er diesen Job an den Nagel hängen will. Er will mit einem Gewerbe, das so korrupt ist, nichts mehr zu tun haben, um seiner kleinen Tochter Hayley, die an ihn glaubt, weiterhin in die Augen sehen zu können.

|Hieronymus|

Hier macht sich auch das moralische Erbe seines Vaters, des Staranwalts, bemerkbar. Der hatte in seinem Heimbüro das Gemälde „Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch hängen und erklärte es Klein-Mickey genau. Und er benannte Mikes Halbbruder nach dem holländischen Renaissancemaler, der die Sünden seiner Zeit in symbolischer Form anprangerte. Genau wie Connelly es zu tun versucht.

|Detailreichtum|

Was mir, abgesehen von dem spannenden Aufbau der Handlung, sehr gut gefallen hat, ist der kenntnisreiche Detailreichtum. Man merkt deutlich in allem, was Mickey tut, dass der Autor detaillierte Kenntnisse von allen Vorgehensweisen, Vorschriften, aber auch Tricks innerhalb des Gewerbes eines Strafverteidigers hat beziehungsweise geliefert bekam, bevor er zu schreiben anfing. Diese Quellen sind eindrucksvoll unter den Danksagungen berücksichtigt.

|Die Übersetzung|

Der alte Profi Sepp Leeb, der für Heyne schon seit mindestens 25 Jahren übersetzt, hat sich auch dieses Thrillers annehmen dürfen. Dabei hat er wie stets auf flüssigen und verständlichen Lesestil im Deutschen geachtet. So lesen wir urdeutsche Wörter wie „Wunderwaffe“ (Original: „magic bullet“), „Pipifax“ oder „bekackt“, die man im Original wohl nicht findet … Das Vokabular ist dem aktuellen Umfangsdeutsch angenähert statt großväterlich verstaubt zu sein. Vor 25 Jahren sah der |Heyne|-Standard nämlich noch ganz anders aus.

Im gesamten 500-Seiten-Text stieß ich nur auf vier Fehler, was doch eine vernachlässigbare Quote ist. Alle sind Fehler der Schreibweise, so etwa „Ihnen“ statt „ihnen“ und dergleichen. Nur auf Seite 409 kam mir ein Apostroph unangebracht vor. Einer der Ermordeten hieß Johann Rilz, nur sind seine deutschen Verwandten beim Prozess zugegen. „Alle drei Rilze‘ starrten mich [Mickey] mit harten, toten Augen an.“ Das Apostroph hätte der Übersetzer gut weglassen können.

_Unterm Strich_

Das eigentliche Thema des Romans besteht in der Aussage, dass alle lügen: Cops, Kriminelle, Juristen, Zeugen und natürlich auch die Opfer. Aber kann man auch Kindern, die noch den amerikanischen Traum träumen, in die Augen sehen und sie anlügen? Genau das muss Mickey Haller für sich selbst herausfinden: bei seiner Tochter Hayley.

Blut und Hirn kann jeder Nichtskönner auf seinen Buchseiten verspritzen, und die Filmentsprechungen ließen sich in einem Katalog auflisten. Deshalb bin ich Connelly auch gar nicht böse, wenn er vollständig auf Splattereffekte verzichtet. Es gibt wie in den Fällen von Harry Bosch die eine oder andere Schießerei – in L.A. scheint jeder eine Knarre zu brauchen – und Mickey wird selbst zum Opfer.

|Gesellschaftsporträt|

Der Thriller lässt sich zwar ruhiger an als die Harry-Bosch-Krimis, doch dafür schürft Connelly etwas tiefer und entwirft ein komplexeres Bild der Gesellschaft. Das war mir schon bei „The Closers“ aufgefallen: In den neueren Romanen spielt nicht mehr nur eine Gesellschaftsgruppe eine wichtige Rolle, sondern mindestens zwei oder drei: die Superreichen (Elliot & Co.), die Mittelklasse (Richter, Anwälte) und die armen Schweine und Kriminellen.

|Der O-Titel|

Das Ergebnis ist ein realistischeres Bild von Los Angeles und das Gefühl, dass alle miteinander irgendwie zu tun haben, selbst wenn sie das nicht glauben wollen. Diese Darstellung der Vernetzung und Kontingenz fördert Connellys immer wieder formuliertes Credo, dass es das Mitgefühl ist, das uns menschlich macht. Und wer den Tod austeilt, verdient den Tod. Diese Botschaft wird im Titel eingefangen: „The Brass Verdict“ ist das Urteil, das mit einer Kugel (brass = Messing) vollstreckt wird. Gleichgültig, ob im Gerichtssaal oder außerhalb davon.

|Der Overlook|

Am Schluss dreht Connelly alle Handlungsstränge zu einem Finale hin, das an den Schauplatz des Aussichtspunktes am berühmten Mulholland Drive anknüpft, wo die Stars und Promis wohnen. Wer also „Kalter Tod“ gelesen oder als Hörbuch gehört hat, der weiß sofort, wo sich der Aussichtspunkt befindet und wie gefährlich er ist. In dieser Szene findet Mickey Haller um ein Haar sein vorzeitiges Ende. Und das wäre wirklich schade gewesen.

|Originaltitel: The Brass Verdict, 2008
Aus dem US-Englischen von Sepp Leeb
512 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-453-26636-0|

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John Grisham – Der Verrat (Lesung)

Grisham als Hörbuch – ist das denn spannend? Nun ja: Das ist so spannend wie jeder Grisham, wenn man nur die Geduld aufbringt, richtig zuzuhören. Und so wahnsinnig schwierig ist ja Grisham nicht zu konsumieren…

„Der Verrat“ ist ein typischer Anwaltskrimi wie etwa „Die Firma“, nur dass diesmal weder Killer noch Mafia auftauchen, sondern vielmehr ein Anwalt sein soziales Gewissen entdeckt und dabei einen Skandal aufdeckt.

_Der Autor_

Der studierte Jurist John Grisham, geboren 1955, ist nach Angaben des Heyne-Verlags der „meistgelesene Autor weltweit“. Zahlreiche seine Romane dienten als Vorlage zu Spielfilmen, darunter „Der Klient“, „Die Firma“, „Die Akte“ und „Die Jury“ sowie „Der Regenmacher“. Grisham war Abgeordneter im Parlament des Bundesstaates Mississippi und führte lange Jahre eine eigene Anwaltskanzlei, bis er sich Mitte der Achtzigerjahre ganz dem Schreiben widmete. Grisham lebt mit seiner Familie in Virginia und Mississippi.

_Der Sprecher_

Charles Brauer, geboren 1935, ist am bekanntesten als Kommissar Brockmüller an der Seite von Manfred Krug im „Tatort“. Er gehört zu den beliebtesten Hörbuchsprechern und hat für Heyne bereits „Der Verrat“, „Das Testament“ und „Die Bruderschaft“ von John Grisham gelesen.

_Handlung_

Nichts kann Michael Brocks beruflichen Aufstieg bei einer großen, einflussreichen Anwaltskanzlei – 800 Mitarbeiter! – in Washington, D.C., aufhalten: Das Geld stimmt, und die Aussichten auf eine lukrative Teilhaberschaft in zwei Jahren sind für den jungen Anwalt mehr als gut. Bei diesem Leben auf der Überholspur bleibt keine Zeit, eine funktionierende Ehe zu führen, und ein Gewissen ist Luxus.

Bis Michael das Opfer einer Geiselnahme in seinem eigenen Bürohochhaus wird: Sein Leben bekommt nun eine unerwartete, neue Richtung. Der Geiselnehmer, ein heruntergekommener Obdachloser, wird erschossen – Michael selbst überlebt. Wer war dieser Mann, was trieb ihn zu dieser Wahnsinnstat?

Auf der Suche nach den Hintergründen gehen Michael die Bilder des Elends bald nicht mehr aus dem Kopf. Er lernt den Armenanwalt Mordecai Green kennen, der mit allen Wassern gewaschen ist und lässt sich zu einer Obdachlosenbetreuung überreden. Zunehmend schlägt er sich auf die Seite der Armen und Unterprivilegierten, besonders als eine junge Mutter von vier Kindern von ihm betreut wird, aber wenige Stunden später in ihrem Wagen erstickt – mit allen Kindern. Michael ist erschüttert.

Bei seinen heimlichen Nachforschungen in seiner Firma stößt er auf ein schmutziges Geheimnis, in das auch sein Arbeitgeber, die ehrwürdige Kanzlei Drake & Sweeney, verwickelt zu sein scheint: Die junge Frau gehörte ebenso wie der erschossene Geiselnehmer zu den Mietern eines Hauses, das von einem Mandanten von Brocks Firma betreut wird. Diese Mieter wurden auf die Straße geworfen, obwohl das natürlich illegal war. Die entsprechende Aktennotiz ist inzwischen verschwunden, wie Michael beim Diebstahl der entsprechenden Akte feststellt: Seine Firma hat ein eklatantes Verbrechen gedeckt, um einen lukrativen Hausverkauf an die US-Post an Land zu ziehen.

Doch nun steht Michael selbst am Pranger: Schwerer Diebstahl wird nicht gern gesehen. Doch als Michael kündigt und in Mordecais Anwaltsbüro eintritt, findet er bald Zeugen für die Zwangsräumung. Bald hat er auch die Presse Washingtons auf seiner Seite, für die der Skandal ein gefundenes Fressen ist.

Mit seinem Engagement für die Obdachlosen und die Rehabilitation der toten Mutter und des Geiselnehmers schafft er sich einen ernst zu nehmenden Feind: seine eigene Firma. Am Schluss kommt es zu einem handfesten Showdown – natürlich vor Gericht. Wird Michael seine Anwaltszulassung verlieren oder bekommt er Recht?

_Mein Eindruck_

„Der Verrat“ folgt quasi dem Strickmuster von Grishams Bestseller „Die Firma“: Junger, hoffnungsvoller Anwalt gerät auf Grund dessen, was entdeckt, in die Krise und wendet sich schließlich gegen seinen früheren Brotgeber. Doch diesmal ist nicht die Mafia Grund der Gewissensbisse unseres Helden, sondern die sozialen Verbrechen, die von einem Angestellten des Hauses begangen und vertuscht wurden.

Wer Grisham kennt, wird auch hier auf keine Überraschungen stoßen: geradlinie Handlung, mit wenigen Strichen skizzierte Figuren, einige anrührende bzw. kritische Situationen. Alles unterfüttert von Grishams profunder Kenntnis des US-amerikanischen Rechtswesens.

_Der Sprecher_

Der alte Profi Charles Brauer ist der ideale Sprecher für diese Art Roman: Durch treffsicher gesetzte Sprechpausen in den Sätzen pointiert er Beschreibungen, Aussagen, ja sogar einen charakteristischen Tonfall. Michael ist eher verbindlich, Mordecai ein wahrer Krieger oder Krämer (je nachdem, worum es ihm gerade geht) und die restlichen Anwälte sind meist irgendwelche gesichtslosen Handlanger.

Dabei wird er aber nie zum Schmierenkomödianten: Er bleibt immer zurückhaltend. Schwierigkeiten hat Brauer wegen seiner tiefen Stimme eher mit den Frauengestalten, etwa mit der cracksüchtigen Ruby oder der zupackenden Megan, in der Michael seine künftige Liebe findet.

_Der Titel_

Ein merkwürdig unpassender Titel, denn worin besteht er denn, der „Verrat“? Michael wollte die von ihm entliehene Akte ja nur kopieren, nicht stehlen. Niemand kann ihm nach geltenden Moralmaßstäben einen Strick draus drehen, dass er mit seinen daraus gewonnenen Erkenntnissen ein Verbrechen sühnen will.

Umfang: 350 Minuten auf 5 CDs

_Michael Matzer_ © 2003ff

John Grisham – Der Richter (Lesung)

Drei Millionen unehrlich verdiente Dollar: eine hübsche Summe als Erbschaft für zwei Brüder (keiner weiß, woher das Geld kommt). Doch wie es so oft passiert, gönnt der eine dem anderen nichts, und so entwickelt sich eine verhängnisvolle Geschichte, in der zwar niemand getötet wird, die aber einem der Brüder den letzten Nerv raubt. Das Ganze endet mit einer handfesten Überraschung.

_Das Hörbuch_

Der Sprecher: Charles Brauer ist am bekanntesten als Kommissar Brockmüller an der Seite von Manfred Krug im „Tatort“. Er gehört zu den beliebtesten Hörbuchsprechern und hat für Heyne bereits „Der Verrat“, „Das Testament“ und „Die Bruderschaft“ von John Grisham gelesen.

Der Autor: Der studierte Jurist John Grisham, geboren 1955, ist nach Angaben des Heyne-Verlags der „meistgelesene Autor weltweit“. Zahlreiche seine Romane dienten als Vorlage zu Spielfilmen, darunter „Der Klient“, „Die Firma“, „Die Akte“ und „Die Jury“ sowie „Der Regenmacher“. Grisham war Abgeordneter im Parlament des Bundesstaates Mississippi und führte lange Jahre eine eigene Anwaltskanzlei, bis er sich Mitte der Achtzigerjahre ganz dem Schreiben widmete. Grisham lebt mit seiner Familie in Virginia und Mississippi.

_Handlung_

Eigentlich hat Ray Atlee, Juraprofessor an der Uni von Virginia, mit seiner Vergangenheit in Clanton, Mississippi, längst abgeschlossen. Der 43-Jährige hegt keine guten Erinnerungen an seine Kindheit in dem kleinen Südstaatenstädtchen, wo er gemeinsam mit seinem Bruder Forrest unter der harten Hand seines Vaters aufwuchs, den auch die beiden Jungen nur „Judge“ nannten.

Ray versucht gerade seine überstürzte Scheidung zu verarbeiten, als die Erinnerung an Clanton auf einmal wiedererweckt wird: mit einer Vorladung – einer Vorladung zu seinem Vater. Ihm und seinem Bruder Forrest, dem schwarzen Schaf der Familie, der früh durch Drogen auf die schiefe Bahn geriet, steht eine unangenehme Reise in die Vergangenheit bevor: Auf Datum und Uhrzeit genau hat der Vater, bekannt als „Richter Atlee“, seine Söhne geladen, um mit ihnen sein Erbe zu regeln.

Vierzig Jahre lang hatte Judge Atlee als einflussreicher Staatsbeamter das Rechtswesen und die Politik der Gegend geprägt, und darüber hinaus Bedürftigen geholfen. Nun aber findet Ray seinen Vater tot auf, als er pünktlich zum Termin eintrifft.

Rays schlimmste Befürchtungen, dass sein Vater keines natürlichen Todes gestorben ist, werden wahr, als er in dessen Büroschränken drei Millionen Dollar entdeckt: Ordentlich sind die Hundert-Dollar-Scheine in Pappkartons verstaut. Dieses Geld, das er vor Forrest versteckt, bis er weitere Erkentnnisse über seine Herkunft hat, und für das sein Vater offensichtlich ums Leben gebracht wurde, wird nun auch für Ray eine Quelle der Angst, aber auch der Versuchung: Ray fängt an zu spielen und kauft sich ein Flugzeug.

Bei seinen Nachforschungen über die Herkunft der drei Millionen Dollar kommt er nach und nach hinter ein düsteres Geheimnis, das außer ihm offensichtlich noch jemand anderer kennt. Und dieser Andere will natürlich auch das Geld…

_Mein Eindruck_

Grishams Generation ist eine von Erben; beerbt werden jene Väter, die seit dem Zweiten Weltkrieg wohlhabend geworden sind. Und so eine Erbschaft kann durchaus eine Versuchung sein, wie sich an Ray Atlee zeigt: Er hätte das gefundene Geld im Nachlass angeben und mit seinem Bruder (und den Steuerbehörden) teilen müssen. Aber nein: Die Versuchung ist so groß, dass sie die Stimme moralischer Verantwortung übertönt.

Der Plot erinnert an die biblische Geschichte um Isaaks Söhne Jakob und Esau. Esau, der haarige, geistig und moralisch als minderwertig Angesehene, war der Erstgeborene. Jakob, der Gewitztere, betrog ihn für ein Linsengericht und erhielt so die Rechte eines Erstgeborenen (welche für nomadische Israeliten offenbar beträchtlich waren).

Aber für Ray Atlee endet mit dem Betrug an seinem Bruder die Geschichte nicht. Die gigantische Summe von drei Millionen Dollar lässt sich nicht aus den legalen Einkünften seines Vaters erklären. Und da noch jemand davon weiß und Ray droht, ihn umzubringen, falls er es nicht herausrücke, entwickelt das Geld ein Eigengewicht, das Ray bald wie ein Mühlstein am Hals hängt. Seine Aktionen werden von Panik gekennzeichnet: Er engagiert einen Privatdetektiv, der entdeckt einen Einbruch in Rays Wohnung, Ray flieht – ausgerechnet nach Clanton. Und von dort immer weiter bis zur Küste. Immerhin klärt sich dort einiges auf…

Wie man sieht, ist der Plot zwar halbwegs spannend, aber keineswegs von Gewaltanwendung gekennzeichnet. Schade, dass die Hörbuchfassung gekürzt ist, denn so kommt nicht richtig zum Tragen, worum es eigentlich geht: um den moralischen Konflikt eines Anwalts, der Gesetztestreue geschworen hat und diesen Schwur bricht.

Ist das nun irgendwie für den Rest der Welt wichtig, fragt man sich, wenn sich zwei Brüder ums liebe Geld balgen? Das nicht, aber man sollte die gesellschaftliche Relevanz nicht verkennen, die darin besteht, dass, sobald eine große Summe ins Spiel kommt, auch der beste Anwalt moralisch ins Schleudern gerät.

Es geht also um Bestechlichkeit. Und es gibt schmierige, skrupellose Leute – auch in diesem Buch – die dies wissen und schamlos ausnützen: Für sie sind Anwälte nur bessere Handlanger, um ihre Interessen zu vertreten.

Und als solcher wurde auch der rechtschaffene Richter Atlee benutzt, ohne es zu wollen. Eines seiner Urteile machte einen aufstrebenden Anwalt, der sich auf Sammelklagen von Pharmaopfern spezialisierte (der Bayer-Lipo-Skandal), auf einen Schlag reich.

Grisham schildert diesen schmierigen Typen namens Patton French (was für ein Name) in einer hervorragend ausgearbeiteten Dinnerszene mit Ray Atlee: ein dekadentes Abendessen auf einer Jacht, von der seine zu scheidende Frau nichts erfahren darf, damit ihr Anwalt das Boot nicht in die Finger kriegt. Das sind also die Sorgen der neureichen Staranwälte dieser Welt. Von Rechtsbewusstsein oder gar moralischer Verantwortung keine Spur. Ray schaudert es innerlich.

_Unterm Strich_

Grisham bleibt Grisham: nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein halbwegs spannender Plot, eine Verfolgungsjagd, eine mysteriöse Geldsumme, ein gegensätzliches Brüderpaar – viel mehr ist da nicht. Das mag gute Unterhaltung sein, aber mir reicht das nicht.

Der Sprecher, Charles Brauer, macht seine Sache wie stets ausgezeichnet. Er spricht pointiert und deutlich akzentuiert, besonders, wenn er höchst unterschiedliche Figuren zu charakterisieren hat. Ich kann mir keinen besseren Sprecher für die Grisham-Bücher vorstellen.

Umfang: 375 Minuten auf 5 CDs

_Michael Matzer_ © 2002ff

Pratchett, Terry – Pyramiden (Lesung)

Assassinen, Konkubinen und wandelnde Götter

Prinz Teppic von Djelibebi hat den erfolgreichen Abschluss seiner Ausbildung zum Assassinen in Ankh-Morpork gerade mit einem grandiosen Besäufnis begossen, als ihn der Ruf in die heimatliche Wüste ereilt. Er muss nach dem Tod seines Vaters Teppicymon XXVII. dessen Nachfolge antreten. Allerdings bekommt er es in der Heimat, einem engen Flusstal von 150 Meilen Länge, mit dem Hohepriester und Premierminister Dios zu tun, der seine eigenen Vorstellungen von einem funktionierenden Staatswesen hat. Nun soll Teppic zu Ehren seines Vaters die größte Pyramide errichten, die Djelibebi je gesehen hat – und damit den Staatshaushalt zugrunde richten …

Der Autor

Sir Terence David John Pratchett, OBE (* 28. April 1948 in Beaconsfield, Buckinghamshire; † 12. März 2015 in Broad Chalke, Wiltshire) war ein britischer Fantasy-Schriftsteller. Seine bekanntesten Werke sind seine Scheibenwelt-Romane, die in 37 Sprachen übersetzt wurden. Weltweit wurden rund 85 Millionen seiner Bücher verkauft (Quelle: Wikipedia.de).

Terry Pratchett und seine Frau Lynn sind wahrscheinlich die produktivsten Schreiber humoristischer Romane in der englischen Sprache – und das ist mittlerweile ein großer, weltweiter Markt. Obwohl sie bereits Ende der siebziger Jahre Romane schrieben, die noch Science-Fiction-Motive verwendeten, gelang ihnen erst mit der Erfindung der Scheibenwelt (Disc World) allmählich der Durchbruch. Davon sind mittlerweile etwa drei Dutzend Bücher erschienen. Nachdem diese für Erwachsene – ha! – konzipiert wurden, erscheinen seit 2001 auch Discworld-Romane für Kinder. Den Anfang machte das wundervolle Buch “ The amazing Maurice and his educated rodents“, worauf „The Wee Free Men“ folgte.

Doch auch andere Welten wurden besucht: ein Kaufhaus, in dem die Wühler und Trucker lebten, und eine Welt, in der „Die Teppichvölker“ leben konnten. Die Wühler-Trilogie „The Bromeliad“ soll zu einem Zeichentrickfilm gemacht werden.

|Terry Pratchett bei Buchwurm.info| (Auswahl):

[„Gefährliche Possen und andere Erzählungen“ 3406 (Audio)
[„Lords und Ladies“ 3160 (Audio)
[„Trucker“ 2998 (Nomen 1, Audio)
[„Kleine Freie Männer“ 2310 (Audio)
[„Ab die Post“ 2122
[„A Hat full of Sky“ 1842
[„Wachen! Wachen!“ 787 (Audio)
[„Maurice, der Kater“ 219

Die Sprecher / Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Erzähler: Ludwig Schütze
Teppic: Matthias Albold
Dios: Helmut Schüschner
Ptraci: Sylvia Garatti
Teppicymon XXVII.: Klaus Knuth
Schelter: Pascal Holzer
Arthur, Alfons: Martin Ostermeier
Du Mistvieh; größtes Mathegenie der Scheibenwelt: Markus Signer
Sechster Priester: Marcel Reif (Sportkommentator)
Und viele andere.

Die Regie führte wie bei den Terry-Pratchett-Vertonungen Raphael Burri, der auch den Text bearbeitet hat. Aufnahmeleitung und Regieassistenz übernahm Ralf Grunwald. Booklet- und CD-Illustrationen stammen wie stets von Josh Kirby. Für den guten Ton sorgten Olifr Maurmann, Gavin Maitland und andere vom |StarTrack|-Tonstudio Schaffhausen. Das Hörspiel entstand im Jahr 2005.

Mehr Infos und Hörproben gibt es unter http://www.bookonear.com. (geprüft)

Die Musik

Zitat aus dem Booklet:

»Warnung! Auch in diesem Bookonear-Hörspiel wird Musik der Gruppe Tritonus verwendet! Wenn auch nicht in jenem Ausmaß wie in dem Hörspiel „Wachen! Wachen!“ und dann auch nur im Umfeld jener Szenen, welche in Ankh-Morpork spielen, also im ersten Viertel.

Das Königreich Djelibebi verlangt natürlich nach Musik, die zur Anlehnung ans alte Ägypten passt. Ali Jihad Racy ist Außerordentlicher Professor für Musikethnologie und hat altägyptische Musik rekonstruiert, die er selbst auf traditionellen Instrumenten spielt. Die Macher des Hörspiels haben sich „schamlos“, wie sie sagen, aus seiner CD „Ancient Egypt“ bedient – weil es eben passt.«

Handlung

Morgengrauen in Djelibebi. Wieder einmal entladen die großen Pyramiden, für die das Land am Djel berühmt ist, ihr blaues Feuer in die Nachtluft. Es heißt, die Pyramiden akkumulierten aufgrund ihrer besonderen Bauweise Zeit. Wer weiß, wozu das noch führen kann … Der Hohepriester Dios, der gerade erwacht, macht sich jedenfalls kein Kopfzerbrechen wegen der Pharaonengrabmäler, sondern vielmehr darüber, ob Pharao Teppicymon XXVII wie jeden Morgen die Sonnenkugel aufgehen lassen wird, wie es seine Pflicht ist.

Unterdessen ist es im mittewärts gelegenen Ankh-Morpork noch Mitternacht. Der Sohn des Pharaos, Prinz Teppic, hat etwas Vernünftiges gelernt und bereit sich nun auf seine Abschlussprüfung als ausgebildeter Assassine vor. Als er endlich alle seine Ausrüstungsgegenstände verstaut hat, kippt er um. Sie sind einfach zu schwer. Nachdem er sich wieder aufgerappelt hat, begibt er sich zu seinem Prüfer Meriset, der ihm eine Menge Fragen stellt, die Teppic, bis auf die letzte, einwandfrei beantworten kann. Dann geht’s auf zur praktischen Prüfung. Dabei stürzt Teppic ab.

Aber nicht weit. Mit den Fingerspitzen hängt er an einer Dachrinne. Wenig später dringt er vom Dach her in ein Haus ein. Es ist ihm völlig klar, dass dies eine Todesfalle ist. Nach dem Beseitigen der ersten Hindernisse zieht Teppic eiserne Überschuhe an und schreitet rasch ins Zimmer. Meriset, sein Prüfer, grüßt ihn fröhlich und fordert ihn auf, den im Bett Liegenden zu inhumieren. Damit hat Teppic wider Erwarten ein Problem.

Denn erstens bedeutet „inhumieren“ so viel wie „töten“ und zweitens könnte es sich bei dem Unbekannten, der im Bett liegt, um einen Klassenkameraden handeln, vielleicht um Schelter oder Käseweis oder Arthur, den Orniten. Sie alle sind ihm im Verlauf seiner jahrelangen Ausbildung in Ankh-Morpork gewissermaßen ans Herz gewachsen. Dennoch hebt er die Armbrust …

Unterdessen in Djelibebi

Während Teppic noch zögert, stellt sich sein Vater in Djelibebi auf die Terrasse seines Hauses, um die Sonne aufgehen zu lassen. Sie erscheint nicht, und der Pharao, entsetzt über diesen Anfall von Impotenz, erleidet eine Herzattacke. Das ist natürlich NICHT sein Ende, versteht sich. Die Seele unseres braven Teppicymon XXVII. begegnet dem TOD, der ihr einige tröstende Worte spendet, bevor er auf Binkie wieder davonreitet, dem nächsten Auftrag entgegen. Der Pharao hat viele Ideen, erlebt aber auch viele Desillusionen. So etwa jene, als zwei Einbalsamierer ihm die Gedärme und das Hirn herausreißen …

Durch die mystische Übertragung der göttlichen Kraft des Pharao gerät Teppic in Ankh-Morpork – er hat natürlich bestanden – bald in eine peinliche Lage: Gras sprießt unter seinen Füßen, Brotlaibe schwellen an und platzen auf, sogar der Fluss schwillt an und droht, über die Ufer zu treten. Die Anzeichen sind überdeutlich. Sein Vater ist tot und es ist höchste Zeit, seinen Platz einzunehmen.

Hohepriester und Premierminister Dios empfiehlt Teppic als Erstes, seine Tante zu heiraten, denn Schwestern habe er ja schließlich nicht. Als sich Teppic von diesem Schrecken wieder erholt hat, bekommt er eine goldene Maske verpasst, aus der seine Stimme nur noch hohl klingt. Dios, der vorgibt, seinen göttlichen Willen zu verkünden, befiehlt stets genau das Gegenteil dessen, was Teppic will. So behauptet er, der verstorbene Pharao habe befohlen, die größte jemals in Djelibebi gebaute Pyramide zu bauen. Teppic ist überzeugt, dass dieses Monstrum sein Reich zugrunde richten werde, von seinen unberechenbaren physikalischen Eigenschaften ganz zu schweigen.

Als Dios schließlich auch noch die Lieblingskonkubine seines Vaters, Ptraci, zum Tode verurteilt, läuft für Teppic das Fass über. Er beschließt zu rebellieren. Seine Taten haben jedoch unabsehbare Konsequenzen, die er sich nicht im mindesten hätte träumen lassen. Djelibebi verschwindet in einer Zeitspalte …

Mein Eindruck

Dieses Abenteuer auf der Scheibenwelt lässt sich losgelöst von den meisten anderen Episoden genießen. Der Autor ist nie wieder in die Welt der Pyramiden zurückgekehrt, das tun dafür andere, so etwa den fränkische Autor Georg Herm in [„Der Nomadengott“. 2638 Das Land am Nil bzw. Djel ist so vielbesucht, dass sich ein Autor schon eine Menge ungewöhnliche Dinge einfallen lassen muss, um das Aufsehen des Publikums zu wecken und aufrechtzuerhalten.

Die üblichen altägyptischen Bizarrerien wie etwa Mumifizierung, Pharaonengräber, Inzest und so weiter mal beiseite gelassen, entwickelt die Geschichte von „Pyramiden“ ihren eigenen Charme. Allerdings muss man den verschiedenen Handlungssträngen aufmerksam folgen, um durch die eigene Kombinationsgabe so etwas wie faszinierte Spannung zu erspüren.

Dios und der frühere Pharao sind Nebenfiguren im Spiel von Prinz Teppic, das sich nun entfaltet. Leider ist der Autor in der Mitte des Buches auf die Idee verfallen, Teppic mit Ptraci desertieren zu lassen und ihn nach Palästina und zu den Griechen zu schicken. Das ist nicht sonderlich originell. Unterdessen geht es in Djelibebi in der Zeitspalte mehr oder weniger drunter und drüber, als die Götter durch den Unfug, den Dios und die neue Riesenpyramide anrichten, auf die Erde geholt werden. In diesen Szenen gerät die Geschichte zur herrlichen Satire auf die Religion, nach dem Motto: Hüte dich davor, was du dir wünschst, denn es könnte Wirklichkeit werden!

Nette Einfälle

Wunderbar gefielen mir die drei Pyramidenbauer, Taklusp und seine beiden Söhne 2A und 2B. Sie müssen nicht nur den Bau der größten Pyramide aller Zeiten in knapp drei Monaten planen, organisieren und fertigstellen, sondern haben auch noch mit den Anomalien zu kämpfen, die durch die Zeitverschiebungen an der Riesenpyramide entstehen. So existieren plötzlich 38.000 Doppelgänger ihrer Arbeiter. Das klingt zwar billig bei der Lohnzahlung, aber es ist eher verwirrend bei der Arbeitszuweisung.

Ebenso nett fand ich den Einfall mit den beiden Einbalsamierern Gern und Dill, denen die Seele des toten Pharao so ungern bei der Arbeit zusieht. Allerdings spielen sie nur eine Nebenrolle, ebenso wie Ptraci, die sich ohne ihre klirrenden Armreife ganz nackt vorkommt – was sie in der Tat auch fast ist. Aber der Humor kann mitunter auch in Klamauk abrutschen, so etwa wenn ketzerische Priester ruckzuck im Rachen der Krokodile landen. Die Armeen der Nachbarländer Djelibebis stehen sich nun unvermittelt direkt gegenüber, nachdem der Pyramidenstaat verschwunden ist. Flugs verstecken sich alle Soldaten in Trojanischen Pferden, was ja auch nicht superintelligent ist.

Hintersinnig ist der Einfall, das Kamel „Du Mistvieh!“ zum größten mathematischen Genie der Scheibenwelt zu machen. Hoffentlich ist dies keine versteckte Anspielung auf Stephen Hawking oder gar eine Beleidigung der Kamele.

Die Sprecher / Die Inszenierung

Von dem Schweizer Studio „Bookonear“ habe ich bislang schon „Wachen! Wachen!“ und „Lords und Ladies“ gehört. Die Produktion, die es mit „Pyramiden“ vorgelegt hat, ist ebenfalls in vielerlei Hinsicht professionell zu nennen. Die Sprecher, die bei uns fast alle – bis auf Sportkommentator Marcel Reif – unbekannt sind, legen eine bühnenreife Darbietung hin. Ich könnte jedoch keinen besonders hervorheben, noch nicht einmal Du Mistvieh! Auf jeden Fall sind alle Sprecher kompetent und manche sogar als Könner ihres Faches zu bezeichnen. Besonders die Szene des griechischen Symposions ist mir im Gedächtnis geblieben, vermutlich deshalb, weil sie die witzigste Szene der gesamte Handlung ist.

Geräusche und Musik

Zur Musik sei noch einmal das Booklet zitiert: „Das Königreich Djelibebi verlangt natürlich nach Musik, die zur Anlehnung ans alte Ägypten passt. Ali Jihad Racy ist Außerordentlicher Professor für Musikethnologie und hat altägyptische Musik rekonstruiert, die er selbst auf traditionellen Instrumenten spielt. Die Macher des Hörspiels haben sich ’schamlos‘, wie sie sagen, aus seiner CD ‚Ancient Egypt‘ bedient.“

Die Musik ist also durchaus passend zu nennen und verleiht der Handlung die entsprechende Stimmung. Sie wird ausschließlich in den Pausen zwischen den Szenen sowie als In- und Outro eingesetzt. An keiner Stelle überlagert sie auf störende Weise den Dialog.

Die Geräusche sind für das Verständnis einer Szene wider Erwarten von höchster Wichtigkeit. Da der Humor des Autors auf Andeutungen setzt, wird keineswegs alles ausgesprochen, was witzig und außergewöhnlich sein könnte. So genügt beispielsweise, einfach nur ein klirrendes Scheppern ertönen zu lassen, um dem Hörer zu verstehen zu geben, dass Teppic wegen seiner schweren Ausrüstung umgefallen ist. Es ist nicht nötig, dies auch noch zu sagen.

In praktisch allen Szenen muss der Hörer daher auch auf die Geräusche achten. Wenn Teppic plötzlich hohl klingt, dann deswegen, weil Dios ihm eine Maske aufgesetzt hat – die trägt schließlich jeder Gottkönig. Ich glaube, das Prinzip ist hiermit deutlich geworden. Um alle Feinheiten mitzubekommen, bietet es sich an – will heißen: es ist ratsam, sich das Hörspiel zweimal anzuhören. Da steckt noch eine Menge Musik bzw. Überraschungen drin.

Geräusche tragen nicht nur Pointen bei, sie charakterisieren auch, wie es sich eben für eine realistische Darstellung gehört. Nur, dass dieses Hörspiel keinen Realismus will, sondern eine dramatische Überspitzung darstellt. Wie lässt man zum Beispiel einen Gott ertönen? Sagen wir mal, einen schakalköpfigen Anubis oder einen mit Krokodilskopf? Das ist etwas kniffliger als einen Detektivroman akustisch auszustatten und verlangt einen gewissen Einfallsreichtum. Langer Rede kurzer Sinn: Ich halte die Charakterisierungen durchaus für gelungen, aber ich erwarte auch keinen Realismus von einer Fantasy wie dieser. Hauptsache, die Geräusche klingen nicht abstrus und überzogen.

Das Booklet

Das Beiheft ist liebevoll gestaltet und einer so von Liebhabern der Scheibenwelt gestalteten Produktion angemessen. Da findet sich ein Lebenslauf des Autors ebenso wie Hintergrundinfos über die Musik, die Gestalter und sämtliche Sprecher. Am schönsten aber sind zwei weitere Elemente: die detaillierte Tracklist für jede einzelne CD, von denen jede einen eigenen Titel trägt. Und natürlich die knuddeligen Zeichnungen Josh Kirby, die allesamt der doppelseitigen Titelillustration entnommen sind. Auch die Cover der einzelnen CDs wie auch die Einsteckplätze der CDs im Karton sind damit geschmückt.

Abspann

Am Schluss der letzten CD werden alle Sprechrollen noch einmal mit Zitaten bzw. Klangproben vorgestellt und ihrem Sprecher oder ihrer Sprecherin zugewiesen. Von der Crew sind lediglich die Techniker und der Regisseur genannt.

Unterm Strich

„Pyramiden“ ist einer der wenigen Romane Pratchetts, die sich eigenständig lesen lassen, ohne dass der Leser irgendwelches Wissen über die phantastische Scheibenwelt mitbringen muss. Daher eignet sich das Buch ideal als Einstieg und Zugang zu Pratchetts Universum und seiner ganz speziellen Art des Humors. In literarischer Hinsicht ist das Buch sicherlich kein Glanzpunkt in der Karriere des Autors, aber herrje, wer mehr als 100 Millionen Exemplare seiner Bücher verkauft hat, ist eh schon jenseits von Gut und Böse.

Das Hörspiel setzt die Vorgabe nach seinen eigenen Gesetzen um. Das bedeutet, dass hier Szenen umgestellt und eventuell Personal gekürzt wurden. Das wird aber durch eine dramatisch geglücktere Präsentation ausgeglichen: Sprecher, Geräusche und Musik bilden eine harmonische Einheit, um den Hörer bestmöglich zu unterhalten. Sicher hätte die Geschichte noch straffer, spannender und actionreicher sein können, aber wenn die Vorlage nicht mehr hergibt, kann man nicht einfach etwas hinzuerfinden – das könnte sich Hollywood erlauben, aber nicht ein Tonstudio.

Man sollte also nicht den Fehler machen, das Hörspiel schon für das Buch zu halten. Aber es kann eine Menge Appetit auf den Roman, die Scheibenwelt und Pratchetts sonstiges Werk machen. Insbesondere haben mir die Jugendromane um Tiffany Weh und Kater Maurice gefallen.

Originaltitel: Pyramids, 1989
Aus dem Englischen übertragen von Andreas Brandhorst 1991
Mit von Josh Kirby illustriertem Booklet
307 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13: 978-3785731314

http://www.bookonear.com
http://www.luebbe-audio.de

Ken Follett – Der dritte Zwilling (Lesung)

Ein klassischer Thriller um das Thema Klonen von künstlich erzeugten Menschen – spannend und psychologisch halbwegs glaubwürdig erzählt. Allerdings kein Stoff, der sich für Minderjährige unter 16 Jahren eignet.

_Der Autor_

Ken Follett ist der Autor des Wissenschaftsthrillers „Der dritte Zwilling“, der verfilmt wurde, und von „Die Kinder von Eden“, das nicht mehr so gut ankam. „Die Säulen der Erde“ ist neben „Nacht über den Wassern“ sein bekanntester Roman. Seine neuesten übersetzten Werke heißen „Die Leopardin“ und „Mitternachtsfalken“.

_Die Sprecher_

Verlagsinfo: Mareike Carrière ging nach ihrer Schauspielausbildung nach Paris und begann dort 1977 ihre Arbeit für das Kino. Sie drehte u.a. mit Peter Fonda und Liv Ullmann. Popularität erlangte sie durch ihre Rolle als erste deutsche Streifenpolizistin in der TV-Serie „Großstadtrevier“. Zuletzt war die Schauspielerin in „Die Schule am See“ (ARD) zu sehen.

Jörg Schüttauf, Jahrgang 1961, absolvierte die Theaterhochschule zu Leipzig. Für die Titelrolle in Egon Günthers „Lenz“ (nach Büchner) erhielt er 1993 den Adolf-Grimme-Preis. Im Jahr 1995 wurde er mit dem Fernsehspielpreis der Akademie für Darstellende Künste ausgezeichnet. 1996 begeisterte er in der Titelrolle der ARD-Serie „Der Fahnder“. (Info Ende)

_Handlung_

An der Jones Falls Universität wird im Keller während eines Brandes eine junge Studentin, Lisa Hoxton, vergewaltigt. In dem Studienanwärter Steve Logan erkennt sie ihren Vergewaltiger wieder. Doch ihre Vorgesetzte, die Psychologie- und Biochemieprofessorin Jeannie Ferrami, widerspricht dem heftig. Gemäß den psychologischen Untersuchungen, die Ferrami im Rahmen ihres Zwillings-Forschungsprogramms an Logan vorgenommen habe, sei er psychisch nicht in der Lage, jemandem Gewalt anzutun. Logan wird dennoch verhaftet.

Lisa Hoxton ist völlig von den Socken, als sie Ferrami hilft, einen weiteren Probanden des Forschungsprogramms zu befragen: den Häftling Dennis Pinker. Er ist der eineiige Zwilling von Steve Logan. Doch die beiden kennen einander nicht und haben sich nie gesehen. Wie ist so etwas möglich?

Da es ausgeschlossen ist, dass Pinker ausbrach und Lisa vergewaltigte, muss Logan im Knast bleiben. Nun wittert Ferrami Unrat. Es muss in der jeweiligen Geburtsklinik der beiden etwas vorgefallen sein, das nicht in Ordnung war. Es stellt sich heraus, dass beide in Armeekliniken zur Welt kamen, mit denen die Genetico Corporation Geschäfte machte.

Genetico gehört Jeannies Arbeitgeber, Professor Barrington Jones, und seinen Partnern, darunter einem Senator, der Ambitionen auf die Präsidentschaft hat. Sie wollen ihr Unternehmen demnächst an einen deutschen Pharmakonzern verkaufen. Da käme ihnen ein Skandal höchst ungelegen. Sie schalten die Presse ein und verpassen Jeannie einen Maulkorb.

Doch wenn weder Steve noch Dennis Pinker Lisa vergewaltigt haben, wer kommt dann in Frage? Jeannies Entdeckung dessen, was hinter Geneticos Machenschaften steckt, ist ungeheuerlich und könnte sie das Leben kosten.

_Mein Eindruck_

Das Maß, um das der Roman gekürzt worden sein muss – ich habe ihn nicht gelesen -, muss schon recht beträchtlich gewesen sein: Übrig geblieben sind gerade mal die grundlegende Story sowie der eine oder andere intime Augenblick, den Jeannie und Steve genießen können. Jedenfalls bereitet es keine Schwierigkeiten, dem Verlauf der Handlung zu folgen, so einfach ist sie gestrickt.

Das Interessanteste an der Geschichte ist die Frage der Identität. Ähnlich wie in „Being John Malkovich“ haben es die Hauptfiguren zwar immer mit der gleichen körperlichen Ausstattung zu tun, doch das Innenleben ist vollkommen anders. Man könnte fast meinen, der Autor wolle demonstrieren, dass die Gene nicht unser Schicksal sind.

Wohin die Diskrepanz zwischen identischem Äußeren, aber unterschiedlichem Innenleben führt, erweist sich für die Professorin Jeannie Ferrami höchst hautnah, als sie von jenem Vergewaltiger Lisa Hoxtons ebenfalls angefallen wird. Dabei wollte sie sich doch Steve Logan intim nähern. Doch wo Worte sie täuschen können, so ermöglicht doch die Körpersprache eine eindeutigere Identifikation. Der Vergewaltiger ahmt die typische Geste seines Onkels nach, sich mit dem Zeigefinger über die Augenbraue zu fahren.

_Shibboleth_

Auf analoge Weise macht Steve Logan die gleiche Erfahrung, als er zwar wie der Vergewaltiger aussieht, aber nicht in der Lage ist, einen flapsigen Spruch, den die beiden gewohnheitsmäßig austauschen, korrekt zu ergänzen. Aufgeflogen!

Dieses wortbasierte Spiel erinnert an die Gewohnheit früher hebräischer Stämme, ihre Gegner, die sich bei ihnen als Spione einschleichen wollten, zum Aussprechen des Wortes „shibboleth“ zu verleiten. Die Spione konnten dieses Wort nie einwandfrei aussprechen und flogen daher auf. Seitdem ist „shibboleth“ zum geflügelten Wort geworden, das eine Erkennungsparole bezeichnet, bei einem Stamm, aber auch bei jeder Art von In-group oder Clique.

_Wissenschaftsthriller_

Ken Follett griff in diesem Buch ein von Ängsten besetztes Thema auf, das so alt ist wie Mary Shelleys „Frankenstein“, der 1818 erschien: Die künstliche Erschaffung des Menschen, zu dem nun auch noch die Optimierung und beliebige Vervielfältigung kommen. Daher auch die Befruchtung und Geburt in Armeekliniken…

„Der dritte Zwilling“ war 1997 Teil einer Flut von Thrillern, die sich u.a. um das Thema Klonen drehten, angeregt sicher auch vom Klonschaf Dolly (Friede seiner Asche). Auch Arnold Schwarzeneggers Film „The 6th Day“ haut in die gleiche Kerbe. Doch kein Autor hat wahrscheinlich das Thema künstlicher Mensch/Klon tiefgründiger behandelt als Philip K. Dick in „Blade Runner“. Follett kann diesem Vorgänger nicht das Wasser reichen.

_Die Sprecher_

Mareike Carrière, obwohl sicher schon über 45, klingt dennoch zu jung für ihre Rolle der Professorin Jeannie Ferrami. Das erscheint sicherlich merkwürdig. Doch es ist weniger ihre Stimmhöhe, als vielmehr ihre Intonation, die zu diesem Eindruck führt. Im Gegensatz zu souveränen SprecherInnen wie Franziska Pigulla, Joachim Kerzel oder Ulrich Pleitgen klingt ihre Intonation naiv wie die einer Anfängerin, die sich gerade an einen schwierigen Roman wagt, nachdem sie jahrelang „Hanni und Nanni“ gelesen hat. Sie hält ihre Pausen ein und liest nicht zu schnell, aber das ist schon alles, wofür man sie loben kann.

Jörg Schüttauf, der die Männer um den Schurken, Prof. Barrington Jones, spricht, klingt genau richtig. Er moduliert die Stimme, dass sie genau zu dem gewünschten Eindruck passt. Die Stimme als Instrument gehorcht ihm vollkommen. Es ist sehr schade, dass ein so ausgezeichneter Sprecher erstens so wenig Text zu lesen hat und zweitens auch noch die Nebenfiguren zum Leben zu erwecken hat. Dementsprechend bleiben Jones & Co. deutlicher im Gedächtnis als die Gutmenschen Logan und Ferrami. Verdrehte Welt.

_Unterm Strich_

„Der dritte Zwilling“ ist ein geradlinig erzählter Klon-Thriller, der schnörkellos auf ein Happy-End zusteuert. Die Spannung ist durchaus vorhanden und wird weniger durch Action, als vielmehr psychologisch erzeugt (Frage der Identität, s.o.).

Das Hörbuch würde ich erst ab 16 Jahren empfehlen. Der Grund dafür sind zwei oder sogar drei relativ brutale Vergewaltigungsszenen, die man einem unerfahrenen Zuhörer nicht zumuten sollte. Auch eine Reihe von erotischen Szenen zwischen Logan und Ferrami sind wohl eher für Erwachsene gedacht als für Kinder.

_Michael Matzer_ (c) 2003ff