Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Friedel Wahren (Hg.) – Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin, 50. Folge

Prallvoller Jubiläumsband

„Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin“ erscheint nun schon in der 50. Folge, und dem Anlass gemäß erhielt der über 400 Seiten starke Band einen goldenen Umschlag. Mit der regelmäßigen Herausgabe des Magazins verhilft Friedel Wahren dem deutschen Publikum zu einem guten Einblick in die Trends in der US-amerikanischen SF-Szene. Sie ergänzt den Eindruck, den Wolfgang Jeschkes Storybände zum Teil vermitteln, denn diese sind ja nicht auf die USA beschränkt, sondern international ausgerichtet – eine der selten gewordenen Plattformen für deutsche Story-Autoren.

Wie es sich für die Jubiläumsausgabe geziemt, sind hier etliche bekannte Namen versammelt, so etwa Nancy Kress, Stephen Baxter und Mike Resnick. Aber auch Newcomer wie Sally McBride, William Barton und Malte Sembten aus Deutschland haben hier ein Forum. Mit William Tenn ist zu guter Letzt Asimovs Generation vertreten.
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Hardy Kettlitz – Die HUGO Awards 1985-2000

Die Geschichte eines SF-Preises: aktuell & kritisch

Der Hugo Award ist weltweit der wichtigste und bekannteste Preis für Science-Fiction-Werke. Er wird seit 1953 von den Mitgliedern der World Science Fiction Convention während einer feierlichen Zeremonie in zahlreichen, gelegentlich wechselnden Kategorien vergeben. Im Unterschied zum NEBULA Award vergeben ihn nicht Kritiker, sondern Fans.

In diesem Buch werden die ausgezeichneten Werke und die Preisträger aus dem Zeitraum 1985 bis 2000 gewürdigt und einzeln vorgestellt, und zwar nicht nur die bedeutenden Romane, TV-Serien oder Filme, sondern auch Illustratoren, Herausgeber und Fans. Ein großartiges Lesebuch wie auch ein äußerst nützliches Nachschlagewerk für alle, die sich für die Science Fiction interessieren. (erweiterte Verlagsinfo)
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Hohlbein, Wolfgang – Raven – Schattenreiter

_Gruselige Ritterspiele_

Privatdetektiv Raven wird vom Millionär Paul Pendrose beauftragt, ihn für drei Tage zu beschützen. Der Mann ist halb wahnsinnig vor Angst. Er erzählt Raven etwas von einem Pakt, den er und sein Freund Jeffrey Candley vor zwei Jahren mit einem dämonischen Reiter abgeschlossen haben – einen Pakt um Geld und Macht. Der Preis ist das Leben zweier Menschen. Doch Pendrose und Candley wollen die Morde nicht begehen, die der Schattenreiter von ihnen fordert, und nun steht ihr eigenes Leben auf dem Spiel. Raven nimmt den Auftrag trotz seiner Skepsis an. Doch bevor es losgeht, wird Pendrose ermordet aufgefunden …

_Der Autor_

Wolfgang Hohlbein ist seit seinem Mega-Erfolg „Märchenmond“ einer der erfolgreichsten und produktivsten Autoren in Deutschland. Er lebt in Neuss bei Köln zusammen mit seiner Frau und einem ganzen Haus voller Tiere.

http://www.hohlbein.net/

_Der Sprecher_

David Nathan, geboren 1971 in Berlin, gilt laut Verlag als einer der besten Synchronsprecher Deutschlands. Er leiht seine Stimme Darstellern wie Johnny Depp, Christian Bale und Leonardo Di Caprio. Er hat beispielsweise das Hörbuch „The Green Mile“ von Stephen King ausgezeichnet gestaltet.

Regie führte Kerstin Kaiser, die Aufnahme leitete Klaus Trapp, die musikalischen Motive trugen Horst-Günter Hank und Dennis Kassel bei.

_Handlung_

Im Weihnachtstrubel der Londoner Innenstadt irrt Jeffrey Candley ziellos umher. Er ist verstört über das, was sein Cousin Paul Pendrose ihm soeben am Telefon mitgeteilt hat: Er ist hier! Seit ihrem gemeinsamen Erlebnis am Schatt el-Arab, dem Grenzfluss zwischen Irak und Iran, ist ihr Leben überschattet von einer finsteren Macht.

Damals konnte man als Westler noch ungehindert durch den Orient trampen, ohne gleich aufgehängt zu werden. Sie übernachteten in einer Höhle, als ein alter Mann auftauchte und etwas von Schätzen faselte, die er ihnen zeigen wolle. Sie folgten ihm in eine andere Höhle. Durch ein wahres Labyrinth ging es hinunter in einen unterirdischen Tempelbezirk. Doch welche Gottheit wurde hier verehrt?

Der Alte verschwand und ließ sie allein im Labyrinth umherirren. Doch jeder Weg führte zurück zum Tempel. Dort erschien ein Reiter mit Krummsäbel aus den Schatten. Er klagt sie an, sie hätten seinen Tempel entweiht. Sie hätten einen Preis zu entrichten. Zunächst wolle er ihnen zwei Jahre lang Macht und Reichtum verschaffen, doch nach Ablauf der Frist hätten sie ihm an jedem Vollmond Menschenopfer dazubringen. Junge, gesunde Menschen, die mit einem bestimmten, mit Runen versehenen Opferdolch zu töten seien. Täten sie das nicht, so wolle er sie selbst töten.

Jeffrey weiß, dass die ihnen gesetzte Frist fast abgelaufen ist. Nur noch drei Tage bleiben ihnen, bis ihre Stunde schlägt. Da materialisiert aus den Schatten des Abends ein Reiter heraus, der einen Krummsäbel schwingt und auf Jeffrey eindringt. Es gibt für ihn kein Entkommen, und als ihn der Säbel durchbohrt, fühlt er einen namenlosen Schmerz. Der Reiter kann Jeffreys Gedanken lesen und findet den Verrat, den er und Paul vorhaben. Seine telepathisch übermittelte Warnung vor diesem Verrat ist buchstäblich eindringlich. Er zieht den Säbel aus dem geschockten Jeffrey und verschwindet, um Paul zu besuchen. Der Säbel ist nicht ganz massiv, aber auch nicht ganz substanzlos.

Jeffrey hat seine Lektion gelernt und sucht sich ein Opfer. Er findet es in der jungen Carol, die er mit nach Hause nimmt, wo schon der Dolch auf sie wartet …

_Mein Eindruck_

Aus der Einleitung habt ihr Pauls Sicht der Ereignisse erfahren, und die Inhaltsangabe ergänzt diesen Teil der Geschichte um Jeffreys Sichtweise. Diese finde ich übrigens sehr viel interessanter, obwohl darin Raven, der Detektiv, vorerst nicht vorkommt. Hier spielt die Psychologie eine bedeutendere Rolle, und als Zugabe gibt es eine Lovestory.

Doch sobald sein Klient Paul Pendrose, der ihm die ganze Geschichte erzählt hat, getötet worden ist, kümmert sich Raven auch um dessen Schicksalsgenossen Jeffrey. Mit einer recht interessanten Begründung: Er wolle den Mord an Paul – und dessen drei Wachmännern – nicht ungesühnt lassen. Zu diesem Zeitpunkt ahnt er noch nicht, dass Jeffrey Carol bei sich hat und sich überlegt, wann er sie opfern soll.

Dass Raven sich zwischen den Schattenreiter, der auf einem Polizeivideo als Säbel schwingender Schemen zu sehen ist, und sein Opfer Jeffrey stellt, entgeht dem Schattenreiter natürlich nicht. Dieser nimmt sich Raven entsprechend zur Brust – allerdings nur mit begrenztem Erfolg. Schließlich muss Raven noch bis zum Showdown überleben. Dieses Finale lässt an Spannung und Action nichts zu wünschen übrig. Natürlich geht es dabei indirekt auch um das Leben des Mädchens.

|Tricks und Kniffe|

Der Kenner wird sicher bemerkt haben, dass der Autor Hohlbein auch diesmal wieder seine Tricks aus dem Hut zaubert und alle Kniffe anwendet, die ihm eine so große Leserschaft eingebracht haben. Der Schattenreiter ist eine neue Erfindung, und etwas Vergleichbares habe ich noch nicht gelesen. Die Figur kommt eindeutig aus der Fantasy, denn dort spielen antiquierte Vehikel wie Pferde und Waffen wie Säbel eine Rolle. Die Telepathie der Geister ist ebenfalls sattsam bekannt. Schließlich ist es die Art der Bekämpfungsmöglichkeit, die den Reiter ins Reich von Horror und Fantasy verweist.

|Genrefiguren|

Die Nähe zu Hohlbeins Lovecraft-Geschichten um den Hexer Robert Craven ist unverkennbar. Darauf weist auch die Namenswahl für den neuen Serienhelden RAVEN hin. Dass er keinen Vornamen hat, muss uns nicht wundern, denn er teilt dieses Schicksal mit vielen Comicfiguren. (Dass es einen Comic geben dürfte, ist wohl ebenso unausweichlich.) Dass er aber mit Verlobter, seiner früheren Sekretärin Janice, und einem Maserati als Einsatzfahrzeug ausgestattet ist, widerspricht dem Fantasy-Genre und rückt die Figur in die Figur in die Nähe von James Bond, welcher ja bekanntlich die Marken Aston Martin und BMW bevorzugt.

|Ritterspiele|

Angesichts der Tatsache, dass es letzten Endes um das Leben eines Mädchens geht, kann man sich die Kontrahenten Raven und Schattenreiter auch als zwei gegensätzliche Ritter vorstellen. Jeffrey ist zu schwach, um eine gewichtige Rolle zu spielen. Für die Serie bedeutet dies wohl, dass noch eine ganze Reihe weiterer Ritterspiele zu erwarten sind.

_Der Sprecher_

David Nathan stellt wieder einmal seine Meisterschaft beim Vortragen unheimlicher Texte unter Beweis. Es ist nicht nur seine Flexibilität in Tonhöhe und Lautstärke: Er flüstert und krächzt, dass für Abwechslung gesorgt ist. Aber sein eigentlich effektvoller Kniff ist die winzige Verzögerungspause vor einem wichtigen Wort. Der Eindruck entsteht, als gebe es einen Zweifel an diesem Wort und als zöge dieser Zweifel ein gewisses Grauen nach sich oder leite sich daraus ab.

Es ist der Unglaube angesichts des Schreckens, der sich dem jeweiligen Betrachter bietet, der den Zuhörer in den Bann von Nathans Vortrag zieht. Es ist die hintergründig mitschwingende Frage: Kann das wirklich wahr sein? Und wenn es wahr ist, dann ist es grauenhaft! Es ist dieses Grauen, das die Figuren angesichts des Schattenreiters erfasst, das wir über Nathans Vermittlung mit ihnen spüren können. Tolle Leistung.

Es gibt zwar keine Geräusche, aber doch ein wenig Musik. Diese wird als Intro und Extro hörbar. Wie es sich gehört, stimmt sie den Hörer auf die unheimlich-angespannte Atmosphäre der Geschichte ein.

_Unterm Strich_

Zusammen mit Stephen Kings Hörbuch „Trucks“ und Camilleris „Von der Hand des Künstlers“ gefällt mir dieser Beitrag zu Lübbes Hörbuchreihe |Bastei Lübbe Stars| am besten. Die Story ist komplexer als der King-Beitrag, müsste aber gegenüber Camilleris verzwicktem Montalbano-Fall noch einiges aufholen.

Bei Hohlbeins Kombination aus Fantasyhorror und Agententhriller handelt es sich um die modernisierte Variante seiner Geschichten um den Hexer von Salem, die im Dunstkreis von H.P. Lovecrafts Universum spielen. Jetzt haben die Großen Alten als Götter abgedankt, doch in Gestalt ihrer Diener, den Schattenreitern, suchen sie wohl unvorsichtige Zeitgenossen immer noch heim. Der Schluss dieser Episode lässt das Erscheinen weiterer Säbelreiter erwarten.

David Nathan macht die unheimliche Geschichte zu einem besonders packenden Erlebnis. Die Musik von Horst-Günter Hank und Dennis Kassel stimmt den Zuhörer schon mal auf Grusel und Action ein. Sie sorgen auch für den guten Ton bei Stephen Kings „Trucks“, dort allerdings mit Hardrock-Musik. Bei „Schattenreiter“ reichen noch klassische Instrumente.

|70 Minuten auf 1 CD|

Meyer, Kai – Dschinnland (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)

_Orient-Fantasy: Kampf mit Dschinnen und Magiern_

Seit über 50 Jahren herrschen die Dschinne über die Wüste zwischen Samarkand und Bagdad. Nur todesmutige Schmuggler wie Tarik al-Jamal mit ihren fliegenden Teppichen wagen sich hinaus in die Einöde. Bis Tariks Geliebte Maryam ein Opfer der Dschinne wird. Seither besteht Feindschaft ihm und seinem Bruder Junis. Erst als die geheimnisvolle Sabatea Junis dazu bringt, sie durchs Dschinnland nach Bagdad zu bringen, beschließt Tarik, die beiden zu beschützen – auch gegen Junis‘ Willen. Eine mörderische Jagd durch die Wüste beginnt, mitten in den Krieg zwischen Dschinnen und Sturmkönigen. (Verlagsinfo) Dies ist der Auftakt zu einer Trilogie über die Sturmkönige.

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte unter anderem ein paar Jerry-Cotton-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen.

Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei |Loewe| erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis CORINE ausgezeichnet. 2007 verfilmte Dominik Graf („Treffer“, „Die Katze“) Meyers Roman „Das Gelübde“. Der Autor lebt am Rande der Eifel.

Mehr von Kai Meyer auf |Buchwurm.info|:

[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Dschinnland“ 5340 (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
|Die Alchimistin – Das Hörspiel:|
1) [„Der Stein der Weisen“ 5052
2) [„Das Erbe des Gilgamesch“ 5155
3) [„Die Katakomben von Wien“ 5220
4) [„Das Kloster im Kaukasus“ 5263
5) [„Die Unsterbliche“ 5379
6) [„Die Schwarze Isis“ 5406
7) [„Der Schatz der Templer“ 5427
8) [„Der Alte vom Berge“ 5448

_Sprecher & Produktion_

Andreas Fröhlich ist die deutsche Stimme von John Cusack und Edward Norton. Er wurde 1965 in Berlin geboren; bereits mit sieben Jahren begann er mit der Synchronarbeit, nachdem er im Kinderchor des „Sender Freies Berlin“ entdeckt wurde. 1978 stieg er in der Sprecherrolle des Bob Andrews bei einer der bis heute erfolgreichsten Hörspielreihen Deutschlands, „Die drei Fragezeichen“, ein.

Nach dem Abitur ging Fröhlich zunächst zum Theater, wo er unter anderem Rollen in Büchners „Woyzeck“ und in Shakespeares „Was ihr wollt“ spielte, bis er 1991 wieder zu seiner Arbeit als Synchronsprecher zurückkehrte. Außer als Sprecher arbeitet er als Synchronregisseur und Drehbuchautor, wo er unter anderem für die Synchronisierung von „Der Herr der Ringe“ verantwortlich war. In dieser Trilogie übernahm er auch die Synchronisation des Wesens Gollum. Doch auch die deutschen Dialoge in Filmen wie Disneys „Mulan“ und „The Beach“ stammen aus seiner Feder. (Verlagsinfo)

Fröhlich liest eine gekürzte Romanfassung, die von Aenne Glienke bearbeitet wurde. Regie führte Kathrin Weick, die Aufnahme steuerten Dicky Hank und Dennis Kassel in den |d.c. studios NRW-Berlin|.

_Handlung_

Die Provinz Khorassan im 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, aber im 52 Jahr des Dschinnkrieges. Wieder mal saust Tarik al-Jamal auf seinem magischen fliegenden Teppich durch die engen Gassen der Altstadt der einstigen Handelsstadt Samarkand. Hier herrscht zwar noch der Emir in seinem weitläufigen Palast, aber Handelskarawanen kommen über die Seidenstraße keine mehr: Die Dschinne und ihre Magier haben die Stadtregion abgeriegelt. Auch Tariks Vater war mal ein Schmuggler, der bis nach Bagdad jenseits der Wüste tätig war. Doch der Vater ist gestorben, ebenso wie wohl auch Tariks Freundin Maryam, die von den Dschinnen entführt wurde. Nun betäubt Tarik seit Jahren seinen Schmerz mit Wettflügen auf fliegenden Teppichen und natürlich mit Wein.

Kaum hat er seinen Bruder Junis überholt, gelangt er auch schon unter die Palastmauern und somit in Reichweite der Bogenschützen des Emirs. Ein Glück, dass es Nacht ist. Bei Tag hätte Tarik nicht den Hauch einer Chance, ihren Pfeilen zu entgehen, denn die Teppichrennen sind streng verboten. Und ein Loch in seinen kostbaren Teppich aus magischen Drachenhaar will er auch nicht riskieren, denn es gibt keinerlei Ersatz mehr für solches Gewebe.

Am Ende der Gasse unter den Palastmauern erscheinen menschliche Gestalten. Was haben die hier zu suchen? Tariks Teppich rammt eine der Gestalten; es muss ein Mädchen sein. Der Teppichs stürzt ab, es gibt einen harten Aufschlag. Das Mädchen ist in Bedrängnis, denn drei Kerle wollen sie entführen. Tarik hilft ihr, die Gegner zu vertreiben. Sie heißt Sabatea und stammt aus dem Palast des Emirs.

Wer mag diese Schönheit wohl sein, die unbedingt einen Weg sucht, Samarkand zu verlassen, fragt er sich. Sie wolle diesem Gefängnis entrinnen, das der Emir mit seinem Geheimdienst beherrsche. Sie versucht, Tarik mit Gold und ihrem jungen Körper zu bestechen. Bei einem Abstecher in das Vorland lernen sich die beiden näher kennen, und er nimmt das Angebot ihres Körpers an. Danach setzt er sie wieder in einem abgelegenen Palasthof ab.

Am nächsten Tag geht das Gerücht um, der Emir wolle seine Vorkosterin nach Bagdad schicken, um sie dem Kalifen Harun al-Raschid zum Geschenk zu machen. Eine sehr großzügige Geste, findet Tarik, denn die Vorkosterin hat den Herrscher bereits mehrmals vor Giftanschlägen bewahrt. Es heißt, sie sei selbst durch Schlangengift derartig abgehärtet worden, dass nur ein Tropfen ihres Blutes auf den Lippen eines Menschen zum sofortigen Tod führen würde.

Tarik hat Sabateas Bitte abgelehnt, denn es sei sinnlos, durch die Wüste nach Bagdad zu reisen: Die Dschinne würden einen garantiert erwischen. Und wenn nichts sie, dann ihre Kettenmagier. Als er seinen Bruder Junis besucht, ist er daher nicht allzu sehr überrascht, auch Sabatea hier vorzufinden. Angesichts des zerwühlten Bettes haben sie miteinander geschlafen. Und Junis hat ihr zugesagt, sie für ein großzügiges Entgelt als Führer durch die Wüste nach Bagdad zu bringen. Jeder Protest Tariks ist zwecklos.

Am folgenden Tag brechen die beiden auf, ebenso wie die Karawane der Vorkosterin. Tarik geht mit sich zu Rate, was er tun soll. Er bringt es nicht übers Herz, seinen Bruder im Stich zu lassen. Und dann ist da ja immer noch die schöne, verlockende Sabatea aus dem Palast, die sowohl mit Dolchen als auch magischen Teppichen umgehen kann, ein bemerkenswertes Talent. Kurz und gut: Er fliegt den beiden nach, auch wenn es bedeutet, an die Stätten alten Schmerzes zurückzukehren. Vor ihnen liegen tausend Kilometer Dschinnland.

Wie alle Wüsten birgt auch diese sowohl Wunder als auch Schrecken. Zu den Wundern zählen die Elfenbeinpferde, scheue und geflügelte Wesen, die magischer Natur sind. Zu den Schrecken zählen neben den Dschinnen auch schwarze Fladen, die einem Menschen das Leben aussaugen wollen. Tarik bekämpft sie mit Salz, das er mitgenommen hat. Sie treten in der zerstörten alten Grenzfestung auf, wo er seinerzeit Maryam verlor. Er folgt dem Verlauf der alten Seidenstraße, die zum Gebirge Kopet Dag führt, und stößt auf die Spuren von Sabatea und Junis. Sie sind unvorsichtig, wie er findet.

Kaum hat er die beiden erreicht und von der Notwendigkeit seiner Hilfe überzeugt, als auch schon sechs schwebende Dschinne am Horizont erscheinen. Offenbar eine Vorhut für eine größere Gruppe, meint Tarik. Sie könnten die Vorhut besiegen und dann dem Haupttrupp entkommen. Indem sie sich aufteilen, formieren sich Tarik und Junis zu einem Zangenangriff. Na, wenn das mal gut geht!

_Mein Eindruck_

Geografisch liegt der Schauplatz Samarkand genau zwischen dem von Meyers Wolkenvolk-Trilogie und dem Schauplatz seines „Buches von Eden“, in dem die Blume des Paradieses unweit von Bagdad gesucht wird. Inzwischen kennt sich der Autor also schon sehr gut im Orient aus. Allerdings kommen bei ihm keine Religionskriege oder gar Kreuzzüge vor; sie werden höchstens am Rande erwähnt. In dieser Hinsicht hat sein Kollege Wolfgang Hohlbein jedoch keinerlei Skrupel, wie seine Abenteuer um Kevin von Locksley sowie diverse Templer-Abenteuer belegen.

|Tausendundeine Nacht|

Mich hat dieser erste Band der Sturmkönige-Trilogie stark an die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht erinnert. Da finden wir Dschinne, grausame Herrscher, schöne Jungfrauen und natürlich den obligatorischen Kalifen von Bagdad, Harun-al-Raschid. Zum Glück ist Meyer aber auch eine Menge Neues eingefallen, so etwa die erstaunlichen Kettenmagier, die deswegen so heißen, weil sie, wenn sie nicht angekettet wären, wie ein Heißluftballon in den Himmel entschweben würden.

Niedlich sind auch die zapfenförmigen, schwebenden Dschinne, es sei denn, man kommt ihnen zu nahe, und die geflügelten Elfenbeinpferde, die eine Kreuzung aus Einhorn und Pegasus darstellen. Daneben gibt es noch allerlei finsteres Ungeziefer, das aber stets fachgerecht entsorgt wird. Es ist eine recht eklektisches Sammelsurium, das vielfach einfach der Dekoration dient.

|Die Sturmkönige|

Die rätselhafteste Schöpfung dieser Trilogie sind die Sturmkönige selbst. Sie sind die Erzfeinde der grausamen Dschinne, die das Land zwischen Samarkand und Bagdad erobert haben. Die Sturmkönige bekämpfen sie, wo sie nur können, und setzen dabei ihre Fähigkeit ein, Tornados zu formen und zu lenken, so dass die Dschinne zerrissen werden. Dies passiert in einer groß angelegten Szene, die aus der Perspektive von Tarik und Sabatea die finale Attacke der Sturmkönige auf die Festung der Dschinne schildert. Da sich diese Festung in einem hohlen Vulkan befindet, gucken sich die beiden Helden das Geschehen aus der Froschperspektive an.

|Starke Figuren|

Nach dem Sieg der Sturmkönige ist für den Leser klar, dass diese Rebellenorganisation der optimale Verbündete für potenzielle Freiheitskämpfer wie Junis und Tarik wäre. Und wer weiß, vielleicht finden sie bei den Rebellen ja etwas, das sie schon lange vermisst haben.

Aber es ist auch deutlich, dass Sabatea neben den beiden Teppichreitern keine Neben-, sondern eine Hauptfigur darstellt, die ihre eigene Macht ausübt, um ihre Aufgabe zu erfüllen oder ihr eigenes Ziel zu erreichen. Worin dieser Zweck besteht, soll hier nicht verraten werden, um die zahlreichen Überraschungen nicht zu verderben, die mit Sabatea verbunden sind. Sie ist eine erfreulich starke und aktive Frauenfigur, wie man sie sich öfter in der deutschen Fantasy wünschen würde.

|Der Sprecher|

Andreas Fröhlich ist ein wahrer Stimmkünstler. Es hat mich immer wieder verblüfft, wie es ihm gelingt, seine Stimme so flexibel anzupassen, dass er die optimale Ausdruckskraft hervorbringen kann. Das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass es Fröhlich war, der in Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Verfilmung den Gollum spricht.

Auch hier setzt er seine Stimmkunst effektvoll ein. Eine „Silberschlange“ lässt er hinterlistig zischen, einen Byzantiner und einen Dschinnfürsten mit grollendem Akzent sprechen. Sabatea ist mit einer höheren Stimmlage ausgestattet und wickelt sowohl Tarik als auch Junis mit ihrer sanften verführerischen Stimme um den Finger. Tarik und Junis sprechen in einer normalen, tieferen Stimmlage, doch sie sind schwierig zu unterscheiden. Zum Glück gibt es nur wenige gemeinsame Szenen zwischen den beiden, so dass die Gefahr der Verwechslung minimal ist.

Am wichtigsten ist die Intonierung der Erzählerstimme. Senkt der Sprecher die Tonhöhe, klingt ein Satz bedrohlich oder geheimnisvoll raunend, je nach Satzmelodie. Diese Feinheiten hat Fröhlich routiniert im Griff. Ich bin mit dieser Sprachaufnahme rundum zufrieden.

|Musik|

Die Musik tritt sowohl in den Pausen zwischen den Kapiteln als auch im Hintergrund auf, das heißt, sie hat sowohl untermalende als auch entspannende oder vorbereitende Aufgaben. In jedem Fall sind ihre Instrumentierung, die Rhythmen und Melodien auf das orientalische Ambiente abgestellt. So hören wir vielfach Tablas und Trommeln, tiefe Flöten und andere Instrumente, die in arabischer Musik üblich sind.

Stets ist der Rhythmus der Stimmung der Szene angepasst, damit die Musik den Text emotional unterstützen kann. So erklingt beispielsweise romantische Musik, wenn sich Sabatea von Tarik nach der ersten Liebesnacht verabschiedet. In Actionszenen beschleunigt die Musik natürlich auf ein hohes Tempo, damit die Luftkämpfe der Teppichreiter mit den Dschinnen auch nachvollziehbar werden. An manchen dieser Stellen wird das Durcheinander durch eine arhythmische Kakophonie angedeutet, die aber zum Glück nur kurz anhält.

In jedem Fall ist diese Musikuntermalung professionell gehandhabt, nicht übertrieben und verdeckt nie den Dialog. Es ist eine erfrischende Abwechslung zu den üblichen Hollywood-Scores, die man bei Hörspielen findet.

|Geräusche|

Wunderbarerweise gibt es in dieser inszenierten Lesung auch Geräusche. Am Anfang ist dies einfach nur Wind, doch später kommt auch ein Grollen und Donnern hinzu. Im Zusammenhang mit den Sturmkönigen darf Wind natürlich auch nicht fehlen. Geheimnisvoll fand ich einen tiefen Sound, der stets Gefahr und Bedrohung signalisiert.

|Infomaterial|

In dem Einsteckkarton für die CDs sind Informationen abgedruckt. Hier erfährt der Hörer Näheres zu den Sturmkönigen, zu Tarik al-Jamal, über die Elfenbeinpferde und die Kettenmagier. Auf einer Seite sind auch die Überschriften der Kapitel aufgeführt.

Die gesamte Verpackung ist sehr schön illustriert. Auf dem Titelbild sieht man über den Türmen und Minaretten Samarkands (oder Bagdads) zwei Teppichreiter und links im Bild mehrere Vögel neben einem zapfenförmigen Umriss, bei den es sich um einen Dschinn handeln könnte. Über diese Details ist eine Sternenkette gelegt, die zu einem transparenten Gewebe führt, das möglicherweise einem Magier gehört. Das Sternenmotiv findet sich durchgehend und erinnert an die Magie, die allenthalben wirksam ist.

_Unterm Strich_

Wie von Kai Meyer gewohnt, ist auch dieser Auftakt zur „Sturmkönige“-Trilogie voller Romantik und Abenteuer. Sie sorgen für jede Menge Action und wechselnde Schicksale, aber auch für erotische Verwicklungen. Prinzipiell findet der Leser bzw. Hörer auch hier wieder eine Meyer-typische Ausgangslage vor: Ein unterdrücktes Volk, vertreten durch interessant gezeichnete junge Leute, strebt nach Freiheit, muss jede Menge Abenteuer gegen die Unterdrücker (hier: die Dschinne) bestehen und stößt auf Verbündete, mit deren Hilfe der Freiheitskampf vielleicht erfolgreich geführt werden kann. Die spannende Frage lautet natürlich, wie es Teppichreitern und Sturmkönigen gelingen soll, eine so zahlreiche und mächtige Organisation wie die Dschinne zu besiegen. Man darf auf die Fortsetzungen gespannt sein.

|Das Hörbuch|

Hier handelt es sich nicht um eine gewöhnliche Lesung. Stimmungsvolle Musik aus dem Orient und etliche Geräusche versetzen die Phantasie des Hörers an exotische Schauplätze, wo Liebe, Gefahr und Action das Geschehen bestimmen. Der Sprecher Andreas Fröhlich zeigt auch hier wieder sein ganzes Können. Ich hätte mir neben Spannung und Action noch etwas Humor gewünscht, aber dies ist ja nicht gerade ein Karl-May-Roman, in dem ein Hadschi Halef Omar für das humoristische Element sorgt.

HINWEIS: „Dschinnland“ wurde im März 2009 mit dem „Wunschkrieg“ fortgesetzt. Der Abschlussband „Glutsand“ soll im September 2009 erscheinen.

|438 Minuten auf 6 CDs
ISBN-13: 978-3-7857-3751-4|
http://www.sturmkoenige.de
http://www.kai-meyer.com
http://www.luebbe.de

Hohlbein, Wolfgang – Nemesis 3 – Alptraumzeit

_Nemesis: Geheimnisse im Funkraum_

Der exzentrische Multimillionär von Thum hat drei Männer und drei Frauen auf die Burg Crailsfelden eingeladen. Zwei von ihnen sollen sein Millionenerbe antreten. Nichts verbindet die Eingeladenen, außer dass ihre Eltern irgendwann gemeinsam mit von Thum ein Internat in Cralsfelden besucht haben.

In der Nacht ihrer Ankunft kommen bereits drei von ihnen auf mysteriöse Weise ums Leben. Kein Wunder, dass die Überlebenden einander misstrauen. Ihr Gastgeber ist verschwunden, und in den dunkelsten Nachtstunden sind sie allein mit ihren Ängsten und der Gewissheit, dass in den Mauern der Burg der Tod umgeht.

Dieses Internat war in den 1940er Jahren mehr: Es war eine Zuchtanstalt für arische Kinder, vom „Lebensborn“ betrieben. Aber auch Spuren zur Napola, der Nazi-Kaderschule, sind zu finden: Ein Napola-Dolch steckt im Leib des Hünen Stefan, der zu entkommen versuchte. Die Überlebenden entdecken in sich dunkle Abgründe, die sich im Tunnelgewirr unter der Burg auf unheilvolle Weise widerspiegeln …

_Der Autor_

Wolfgang Hohlbein, geboren 1953 in Weimar, hat sich seit Anfang der achtziger Jahre einen wachsenden Leserkreis in Fantasy, Horror und Science-Fiction erobert und ist so zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren geworden (Auflage: 35 Millionen Bücher laut |Focus| 40/2006). Zuweilen schreibt er zusammen mit seiner Frau Heike an einem Buch. Er lebt mit ihr und einem Heer von Katzen in seinem Haus in Neuss.

_Der Sprecher_

Johannes Steck, geboren 1966 in Würzburg, ist Absolvent der Schauspielschule Wien. Von 1990 bis 1996 hatte er Engagements an verschiedenen Theatern. Dem breiten Publikum ist er vor allem aus dem TV bekannt. Er spielte in zahlreichen TV-Serien. Steck arbeitet zudem als Radio-, Fernseh- und Synchronsprecher. Er hat schon diverse Hörbücher gelesen.

Regie führte Lutz Schäfer, der Tonmeister war Heiko Schlachter. Die Aufnahme fand im Juli 2006 bei Kino-im-Kopf-Produktion, Augsburg, statt (toller Name!).

Das Titelbild entspricht dem der Buchausgabe beim |Ullstein|-Verlag.

_Vorgeschichte_

Die Erben: Frank Gorresberg (der Erzähler), Stefan, Eduard Krause
Die Erbinnen: Maria Gärtner, Judith, Ellen
Der Hausmeister: Claus Zerberus
Der Rektor: Klaus Sänger (tot)
Der Burgbesitzer: von Thum (verschwunden)

Sechs potenzielle Erben werden auf Burg Crailsfelden eingeladen, doch die Umgebung ist der Gesundheit nicht sonderlich zuträglich. Erst haben alle sechs den gleichen üblen Albtraum, dann verschwindet der Gastgeber auf rätselhafte Weise in einem Brunnenschacht. Ein erster Fluchtversuch mit einem Auto scheitert auf spektakuläre Weise: Der Wagen wird von einem herunterrauschenden Fallgatter fast zweigeteilt.

In den mittelalterlichen Säulengängen unter der Burg sind nicht nur Kerkerzellen zu besichtigen. Hinter einem Kanisterstapel entdeckt der scharfsinnige Stefan auch einen geheimen Raum. Hier finden sich nicht nur ein Dolch der Napola (einer nationalsozialistischen politischen Anstalt), sondern auch Zeitungsartikel über Nazigold. War unser braver Hausmeister hinter diesem Zeug her? Er erzählt, im Dritten Reich seien in der Burg nicht nur Nazis untergebracht gewesen, sondern auch ein Kinderheim und eine Klinik, wo Frauen uneheliche Kinder zur Welt bringen konnten.

Frank, der Erzähler, fragt Maria Gärtner wegen der von ihm im Rektorzimmer gefundenen Fotos, denn sie stammt aus dem Dorf Crailsfelden. Nun, sagt sie, eines steht fest: Die sonderbaren Runen auf den Fahnen dieser Pfadfinder sind keine Hakenkreuze. Es sind die Runen, die für den Lebensborn reserviert waren. Der „Lebensborn“ war eine reichsweite Organisation, in der SS-Angehörige und andere „rassische Eliteangehörige“ mit ausgewählten Frauen Kinder zeugen konnten, um die arische Rasse zu verbessern und ihren Fortbestand zu sichern. Eine Zuchtanstalt. Aber eigentlich kann das nicht sein, denn das Auto, vor dem die Pfadfinder auf dem Foto stehen, wurde erst ab 1953 gebaut …

Als sich Stefan, der Hüne, über die Burgmauer abseilen will, wird er von gierigen Fledermäusen attackiert. Doch nicht an den Bissen stirbt Stefan, sondern an dem Nazi-Dolch, der in ihm steckt …

_Handlung_

Allmählich wird den in der Burg eingeschlossenen Besuchern klar, dass nicht nur dieser Ort, sondern auch sie selbst ein Geheimnis bergen, dessen Schleier früher oder später gelüftet werden muss. Als Einzige reflektiert die Ärztin Ellen halbwegs rational, um was es hier gehen könnte: eine Versuchsanordnung, so viel ist ihr klar. Mit den sechs Erben als Laborratten. Und zwar auch in sexueller Hinsicht: Frank hat mit Judith geschlafen und Ed mit Maria. Es ist bestimmt kein Zufall, dass die Damen gerade ihre fruchtbaren Tage haben …

Unter den Fotos, die Frank Gorresberg im Zimmer von Rektor Sänger entdeckt hat, ist auch eines, das Sänger mit SS-Sturmbannführer Richard Krause zeigt. Er ist, wie Ed gesteht, sein Großvater. Maria zitiert aus einem Buch, in dem Krause als eine Art Killer im Osten beschrieben wird, doch Ed protestiert: Sein Opa sei der einzige Mensch auf der Welt gewesen, der sich je um ihn, Ed, gekümmert habe. Seltsam: Auch die anderen vier Überlebenden haben eine Vergangenheit als Waisenkinder vorzuweisen.

Sie müssen hier raus! Auf den alten Bauplänen, die sie im Rektorzimmer finden, ist ein Gang eingezeichnet, der unter der Burgmauer durchführt – hoffentlich ins Freie. Doch unten in den Tunneln stellt Claus Zerberus, Hausmeister und Nazigoldjäger, konsterniert fest, dass alles umgebaut worden ist. Frank haut sich, trotz seiner rasenden Kopfschmerzen, mit dem Pickel einen Durchgang zu einem parallel verlaufenden Tunnel. Weiter geht’s bis zu einer Wand, die den Schriftzug „Funkraum“ in gotischer Schrift trägt. Dahinter liegt ein weiterer Tunnel, in dem Frank durch ein simples Drehen des altertümlichen Schalters eine wahre Lichtflut auslöst. Dieser Komplex muss also über eine eigene Stromversorgung verfügen.

In den zugemauerten Räumen finden sie Dokumente, die Ellen als Laborprotokolle identifiziert: Blutwerte, immer wieder Schädelmessungen. Doch der nächste Raum wurde gesprengt und ist völlig verwüstet. Was befand sich hier? Frank, der unter ständigen Kopfschmerzen leidet, reißt bei einem besonders heftigen Migräneanfall einen Stützbalken um und bringt die Decke zum Einsturz. Als er nach dem Sturz halb betäubt da liegt, suchen ihn Albträume und Kinderstimmen heim. Wieder erscheint ihm Miriam alias Maria, die von blonden Kindern verfolgt wird, bis sie auf der obersten Kante des Zentralturms der Burg steht …

Als er mit Judith wieder in die Küche zurückkehrt, findet er ein Blutbad vor. Nun sind sie nur noch zu viert …

_Mein Eindruck_

Der Erkenntniswert dieser dritten Episode hält sich in Grenzen: Dass sich in den Tunneln des alten Internats und vormaligen Müttergenesungsheims eine ganze Menge Nazikram befindet, hatten wir schon ab Episode 2 erwartet, als die Fotos aus Rektor Sängers Schreibtisch auftauchten. Nun wird jedoch die dafür nötige Infrastruktur sichtbar: ein medizinisches Forschungslabor, ein Funkraum, die Unterbringungsräume des SS-Personals. Aber was hat dies alles mit ihnen zu tun, und wozu hat der Millionär sie, ausgerechnet dieses Sextett, hierher bestellt?

Diese Frage gibt den Anstoß zu einer Menge Spekulationen, wie schon zuvor. Doch nun gibt es zwei weitere Aspekte zu berücksichtigen: die Ermordung von Stefan mit einem Napola-Dolch und den Tod von Ed, ebenfalls mit einem Messer. Oder mit einem Skalpell? Der Verdacht fällt auf die Chirurgin Ellen, die sicherlich einen solchen Schnitt fachgerecht ausführen könnte. Doch was sollte ihr Motiv sein?

Ein weiterer, zunehmend wichtiger werdender Erzählstrang betrifft Franks geistige Abwesenheiten und Visionen, seine Kopfschmerzen und die Empfindung von tiefen Vibrationen im Untergrund der Burg. In einer chronologisch zusammenhängenden Parallelhandlung läuft der Junge Frank vor bösen Kindern weg, an der Hand seine Freundin Miriam. Doch Miriam hat im Gegensatz zu allen Kindern schwarzes Haar statt blondes. Diesmal führt Frank und Miriams Flucht sie auf die Spitze des zentralen Turms, und es sieht ganz so aus, als befände sich Miriam in Lebensgefahr. Aber warum nur? Diese Parallelhandlung konnte Aufschluss über die wahre, verdrängte Identität der sechs Erben geben.

Wie schon in Episode 1 und 2 sind also die Hinweise, mit denen der Autor Spannung erzeugt, fein dosiert und führen nicht nur in eine, sondern in mehrere Richtungen. Die Figurenentwicklung kann man jedoch vergessen: Wann immer der Ich-Erzähler Frank einer wichtigen Entdeckung auf die Spur kommt, ereilt ihn entweder ein Blackout oder ein Albtraum, der unweigerlich mit Kopfschmerzen verbunden ist.

Kein Wunder, dass er sich gewissermaßen selbst Scheuklappen anlegt, um nicht über die Bedeutung seiner Entdeckung nachdenken zu müssen. Das ist seitens des Autors ein fieser Trick, um die Spannung um die Rätsels des Ortes aufrechtzuerhalten. Oder ist es ein Kniff, um eine posthypnotische Konditionierung anzudeuten, die nun allmählich zusammenbricht, so dass die wahre Identität der sechs Erben zutage tritt?

|Der Sprecher|

Dem Sprecher gelingt es, die durch die Klischees vorgegebenen Figuren einigermaßen zum Leben zu erwecken. Stefan ist (bzw. war bis Episode 2) der verlässliche Hüne mit einem ebenso tiefen Organ wie der Wirt Carl, der etwas schleppend spricht. Ed nervt mit seiner meckernden Proletenstimme à la Martin Semmelrogge. Frank selbst, der Ich-Erzähler, erklingt mit einer ganz normalen männlichen Stimme – allerdings viel zu selten.

Interessanter sind die Frauen. Judith ist die schutzbedürftige junge Frau, kann aber durchaus auch zu einer Waffe greifen. Ellen, die kaltschnäuzige Ärztin, ist ihr genaues Gegenteil: eine kühle Managerin, aber zunehmend hart am Abgrund der Hysterie. Maria liegt irgendwo dazwischen und wirkt deshalb am glaubwürdigsten. (Das soll sich in Episode 4 radikal ändern.) Allerdings ist diese Tonhöhe durch die männlichen Stimmbänder des Sprechers etwas begrenzt. Rufus Beck könnte in dieser Hinsicht sehr viel mehr Eindruck hinterlassen.

Nicht zu vergessen die Kinder. Kinder, wird sich der Leser nun fragen. Kinder treten doch gar nicht auf. Doch, tun sie, und zwar in den Albträumen, die Frank und die anderen immer wieder erleiden. Das Traum-Ich Franks rennt mir Miriam durch die brennende Stadt, verfolgt von Kindern. Deren Rufen und Drohen drückt der Sprecher sehr gut aus. Es klingt aber nicht so richtig bedrohlich.

Das Hörbuch verfügt weder über Geräusche noch über Musik, aber dafür ist es recht preisgünstig.

_Unterm Strich_

Sechs kleine Negerlein – zwei gingen drauf dabei, nun sind es nur noch vier. Erben will sowohl gelernt als auch verdient sein. Doch was die sechs Erben auf der Burg durchmachen müssen, ist weit mehr als das übliche Spießrutenlaufen beim Nachlassverwalter. Hier wird mehr als Geld und Vermögen vererbt. Hier werden auch Altlasten weitergegeben: Erinnerungen, Konditionierungen, wohl auch Erbgut. Eine Versuchsanordnung, die einem bislang noch im Dunkeln liegenden Zweck dient.

Neben vielfältigen Spekulationsgrundlagen wie etwa dem Nazigold – eine falsche Fährte, wenn es je eine gab – sollten sich die Figuren (und wir natürlich mit ihnen) darüber Gedanken machen, wer sie sind, woher sie kommen und warum sie deshalb ausgerechnet auf Burg Crailsfelden einbestellt wurden. Wer war dieser Klaus Sänger, Leiter und Mäzen eines Internats – Internats für welche Art von Kindern? Haben der Lebensborn und das arische Aussehen der meisten der Erben etwas miteinander zu tun? Offenbar sind noch Rechnungen offen, aber mit wem?

Diese Fragen müssen in den verbleibenden Episoden beantwortet werden. Folglich bleibt die Serie spannend. Der Sprecher tut wie der Autor sein Bestes, die klischeehaften Figuren mit Leben zu erfüllen. Er unterstützt die Spannung und die Mystik ebenso wie den ironischen Humor, der hie und da durchblitzt. Fortsetzung folgt – hoffentlich zu einem ebenso günstigen Preis.

|141 Minuten auf 2 CDs
Buchveröffentlichung: Nemesis 3, 2004|
http://www.hoerbucHHamburg.de

Näter, Thorsten / Zahavi, Dror – Doppelter Einsatz: Mord auf dem Stundenplan

_Harter Realismus vs. romantische Finessen_

Eigentlich sollte sich Sabrina Nikolaidou auf ihren Undercover-Einsatz an einer Hamburger Gesamtschule konzentrieren. Hier wurde eine junge Lehrerin brutal ermordet. Doch einerseits muss sie versuchen, den plötzlichen Tod ihrer Partnerin Ellen zu verarbeiten und sich andererseits auch mit einer neuen Kollegin arrangieren: Caro kommt als Ellens Nachfolgerin ins Team. Für das Ermittlerteam werden Fall und Leben zu einer wahren Zerreißprobe. (abgewandelte Verlagsinfo)

Die TV-Reihe „Doppelter Einsatz“ wurde laut Verlag mehrfach mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Dass dies völlig gerechtfertigt ist, stellt auch diese Episode unter Beweis.

_Die Macher und Sprecher_

Es sprechen die Originalschauspieler der gleichnamigen RTL-Verfilmung, allerdings mit zusätzlichen Erzählertexten, gesprochen von Despina Pajanou, die im Film die Polizistin Sabrina Nikolaidou spielt. Es gibt noch einen zusätzlichen Erzähler, den Frank Gustavus (|Ripper Records|) spricht. Diese Texte stammen alle aus der Feder von Marc Sieper.

Die ziemlich wichtige Musik und die Hörbuch-Postproduction übernahmen Horst-Günter Hank und Dennis Kassel. Zusätzliche Aufnahmen, Schnitt und Mastering erfolgten durch die d.c. Tonstudios in Breckerfeld/Berlin.

Zu den zu hörenden Darstellern gehören: Despina Pajanou, Eva Herzig, Gerhard Garbers, Jürgen Janza, Jockel Tschiersch, Konstantin Graudus, Martin Goeres, Omar El-Saeidi, Sylta Fee Wegmann, Werner Daehn, Max Herbrechter u.v.a.

Das Drehbuch schrieb Thorsten Näter, Regie führte Dror Zahavi und Producer war Peter Otto.

_Handlung_

|PROLOG 1.|

Wieder einmal geht den Kripo-Fahndern der Drogendealer Frank Lipinski aus Hamburg durch die Lappen. Sabrina Nikolaidou (Pajanou) und ihre Kollegen haben das Nachsehen.

|PROLOG 2.|

An der Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule in Hamburg St. Georg übt die Theaterarbeitsgruppe Shakespeares gruseliges Stück „Macbeth“. Dafür haben sich alle verkleidet, mit Gewändern und Masken. Als die Leiterin der AG, Isa Gerke, zur Toilette geht, folgt ihr der 18-jährige Schüler Jens Wahlmann – und findet sie in ihrem Blut liegen. Ist sie tot? Offenbar schon. Zu blöd, irgendwie.

Neben ihr findet Jens einen kleinen silbernen Ohrring, den er sofort wiedererkennt und deshalb an sich nimmt: Er gehört der von ihm geliebten Schülerin Oana Domenikou. Wenig später entledigt sich Manfred Gerke, Isas Mann und Rektor der Schule, seiner Verkleidung …

|Haupthandlung.|

Auf dem Kriminalkommissariat KK 15 bekommt Sabrina eine neue Kollegin: Caroline Behrens, kurz Caro genannt. Sie ist die Urlaubsvertretung für Sabrinas Einsatzpartnerin und Freundin Ellen Ludwig. Sabrina ist nicht bereit, sie zu akzeptieren, aber Caro braucht diesen Job unbedingt, um als alleinstehende Mutter ihre Tochter durchzubringen. Als sich bei dem Mord in der Gesamtschule herausstellt, dass man dort unter Schülern und Lehrern ermitteln muss, bietet Caro an, undercover zu ermitteln, da niemand dort ihr Gesicht kenne.

Als die Nachricht eintrifft, dass Ellen Ludwig mit ihrem Urlaubsflieger abgestürzt und samt Familie ums Leben gekommen sei, erleidet Sabrina fast einen Nervenzusammenbruch. Sie giftet Caro noch schärfer an, aber zu trauern bringt nichts, und deshalb bittet sie ihren Chef Weber, ebenfalls undercover ermitteln zu dürfen. Gemeinsam bekommen sie sicher mehr heraus als alleine.

An der Schule geht es schlimmer zu als im alten Rom. Die Schüler, fein säuberlich in Gruppen von „Deutschen“ und „Ausländern“ getrennt, dealen mit Stoff, Software und teuren Computerspielen. Dreimal darf man raten, wer der Dealer / Hehler des harten Kerns ist: Frank Lipinski. Als Caro die verwaiste Theater-AG übernimmt und Sabrina die Fächer Sport und Politik, lernen sie diese harten Burschen von ihrer unangenehmsten Seite kennen. Aber Sabrina macht den Wortführer Ralf fertig, woraufhin seine Clique beschließt, ihr einen Denkzettel zu verpassen, um sie zu vertreiben. Noch wissen sie nicht, dass sie es mit einem Bullen zu tun haben – aber sie bleiben nicht mehr lange unwissend.

Caro Behrens rührt mit ihrer Taktik die weichherzigeren Schüler zu Tränen, insbesondere Oana Domenikou und Murat Güzmal. Wie sich herausstellt, hatte Murat mit Isa Gerke ein Verhältnis, und sie erwartete ein Kind von ihm. Aber warum weint auch Oana um die getötete Lehrerin?

Also hatte offenbar Rektor Gerke ein handfestes Motiv, Isa zu töten, oder? Hoffentlich hat er auch ein gutes Alibi. Leider ist er nicht der Einzige, der eines braucht.

_Mein Eindruck_

In St. Georg herrscht offenbar der soziale Notstand (das braucht man den Leuten vor Ort sicher nicht zu sagen). Nicht mal erwachsen, dealen, kiffen und klauen die Schüler – „Ausländer“ wie „Deutsche“ – ohne Scheu mitten auf dem Schulhof oder in der Stadt, ohne dass jemand einzuschreiten wagt. Die Lehrer an dieser Schule schon gleich gar nicht. Sie scheinen entweder eingeschüchtert zu sein (Isa Gerke war’s sicher nicht) oder sie lügen sich selbst in die Tasche, dass sie dafür nicht zuständig seien.

Sie fühlen sich wahrscheinlich auch nicht dafür zuständig, wenn eine ihrer Schülerinnen zur Prostitution gezwungen wird, um ihre Schulden abzuarbeiten. So passiert es Oana mit Frank Lipinski. Als Jens Wahrmann dies herausbekommt, wird es richtig spannend. Denn da er Oana liebt, hat er natürlich einen Hass auf einen Typen wie Lipinski, der jeden ausbeutet, wo und wie er nur kann. Es kommt zu einem dramatischen Showdown in der Wohnung, wo Oana versteckt gehalten wird.

Doch inzwischen haben Caro und Sabrina spitzgekriegt, wer hier die Fäden zieht. Nachdem Sabrina mit Caros Hilfe dem Anschlag der kriminellen Clique entgangen ist, heften sie sich an Murats und Jens Wahrmanns Fährte. Dabei müssen sie allerdings das Misstrauen von Murats Bruder Teflik überwinden. Offensichtlich herrschen nämlich seitens der „Ausländer“ ebenso große Vorbehalte gegenüber „Deutschen“, Behörden zumal, wie umgekehrt gegenüber „Ausländern“. Jeder will eben für sich bleiben. Dazu braucht es nicht einmal islamistische Hetzprediger (die hier nicht auftreten).

Auf diesem mühseligen Weg kommen jedenfalls Caro und Sabrina dem Hintermann doch noch auf die Spur. Und da sie gerade noch rechtzeitig kommen, als Jens und Oana in die Enge getrieben sind, können sie offenbar auch Leben retten. So ein Showdown hat etwas für sich, aber der Drehbuchautor macht es sich und seinen Polizistinnen einfach: Sie brauchen gar nicht auf Lipinski zu schießen. Den Rest erledigt eine morsche Regenrinne. Auf diese Weise braucht später niemand eine moralische Schuld an Lipinskis Tod mit sich sich herumzuschleppen.

Auch die Spannung vor dem Anschlag auf Sabrina ist an den Haaren herbeigezogen: Sabrina ist verliebt und hat ihr Handy abgeschaltet – oder vergessen, es einzuschalten. Man fasst es kaum! Dadurch kann Caro sie nicht vor der drohenden Gefahr warnen.

Auch die Tatsache, dass die beiden Kolleginnen eigenmächtig die Aussage des Mörders von Isa Gerke „verschwinden“ lassen, will so gar nicht in die Realität passen, deren Bild uns täglich in der Zeitung entgegenspringt. Sie haben zwar das moralische Recht auf ihrer Seite, um die Zukunft des Mörders zu schützen, doch das Gesetz ganz sicher nicht. Es ist eben doch Fernsehen, was wir hier vorgesetzt bekommen. Wer das mit der Wirklichkeit verwechselt, ist selber schuld.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Am besten wirken die Stimmen der Schauspielerinnen, die ja direkt vom TV-Band stammen, wenn sie sehr emotional sind. Das fällt Despina Pajanou, die zudem Ich-Erzählerin ist, nicht schwer. Sie trauert einerseits um Ellen Ludwig, bis die Niedergeschlagenheit der Wut weicht. Und diese Wut entlädt sich nicht zuletzt an der völlig unschuldigen Caro, die sie am liebsten zur Sau machen möchte. Dass Caro dann auch noch Ellens Nachfolgerin wird, gibt Sabrina den Rest.

Caro kommt in ihrer Rolle weniger gut weg als Sabrina, folglich muss Caros Darstellerin Eva Herzig (siehe Titelfoto) etwas härter daraufhin arbeiten, Eindruck zu machen. Dies gelingt ihr allerdings nur bedingt, ob als Mutter, Polizistin oder als engagierte Lehrerin: Sie bleibt eben immer nur die Nummer 2 hinter Sabrina / Pajanou. (Immerhin bietet die Rolle eine gewisse Vielfalt.)

Damit steht Eva Herzig fast auf einer Stufe mit allen männlichen Darstellern. Unter Letzteren ragt lediglich der Sprecher von Teflik Güzmal heraus. Teflik wird gemimt und gesprochen von Oktay Özdemir. Man könnte ihn ohne weiteres als Interpreten eines Lexikons von „Kanak-Sprak“ engagieren. Den Akzent hat er jedenfalls voll drauf.

|Musik und Geräusche|

Die Geräusche entsprechen denen im Film und der Zuhörer kann sich ohne weiteres die zugehörige Umgebung vorstellen. Nur an einer Stelle habe ich gerätselt, was das soll. Die Theater-AG übt wieder einmal „Macbeth“. Während im Vordergrund ein Dialog abläuft, ist im Hintergrund undeutlich ein skandierter Sprechgesang zu hören, der zu keiner mir bekannten Stelle in Shakespeares Stück gehört.

Dafür ist die Musik recht eindrucksvoll und passend. Jede Szene hat ja ihre eigene Stimmung und erfordert die entsprechende Instrumentierung. Nach dem rockigen Intro rückt die Musik in den Hintergrund, bis sie sich in Gestalt einer melancholischen Ballade wieder in den Vordergrund drängt. Die akustische Gitarre illustriert Sabrina Trauer überdeutlich. Als Caro bei ihrer Mutter und ihrer Tochter hereinschaut, deutet ein Piano zerbrechliche Emotionen an.

Gleich danach ein harter Kontrast: Auf dem Schulhof feiert das Verbrechen weitere Erfolge. Ein dynamischer Synthesizer sowie eine darauf folgende drum machine evozieren den Adrenalinschub, den das Rauben, Dealen und Zudröhnen den Jugendlichen verschafft. In den weiteren Szenen werden diese Hand voll Musikmotive variiert oder auch nur einfach wiederholt. Sie alle stammen aus dem Hause Horst-Günter Hank und Dennis Kassel, das neuerdings auch für die Produktion von Hohlbeins Hörbuch-Serie „Raven“ herangezogen wurde.

_Unterm Strich_

Diese Hörbuchproduktion hinterlässt bei mir einen zwiespältigen Eindruck. Das Hörbuch an sich ist ausgezeichnet produziert, wozu nicht zuletzt auch die Fernsehvorlage einen wesentlichen Anteil beträgt. Auch der ungeschminkte Realismus hinsichtlich der Darstellung der kriminellen Zustände an der Schule ist zu begrüßen und hat wohl auch die Preisjurys überzeugt.

Was mich jedoch stört, sind eben jene Aspekte an der Handlung, die auf die Genrekonventionen zurückgehen: Da schaltet die Polizistin ihr Handy ab, um sodann ahnungslos in die Falle zu tappen. Und dass das Geständnis des Mörders plötzlich „verschwindet“, ist der romantischen Ansicht geschuldet, Polizisten könnten vor Ort selber Richter spielen, wenn die moralische „Gerechtigkeit“ danach verlangt.

Ansonsten funktionieren einige Spannungseffekte und überraschende Wendungen ausgezeichnet. Dass sich Jens Wahlmann als Mörder outet, nehmen wir ihm natürlich keine Sekunde ab. Aber können wir wirklich sicher sein? Er ist zumindest der Strafvereitelung schuldig, aber auch dafür wird er nicht verknackt. Einen gespaltenen „Helden“ wie ihn muss man einfach lieb haben, gell?

Fortsetzung folgt:

– Doppelter Einsatz Nr. 2: Gefährliche Liebschaften;

– Doppelter Einsatz Nr. 3: Der Fluch des Feuers.

|92 Minuten auf 2 CDs|

Norbert Sternmut – Strahlensatz. Gedichte

Verwandlung, Sonne und womöglich Hoffnung

Die Vorgänge des Liebens und Sterbens bewegen sich ins Ungewisse und Unbekannte, mal hoffend, mal bangend. Diese beiden Grundthemen bilden die Basis für den ersten und dritten Teil von Sternmuts jüngstem Gedichtband „Strahlensatz“. Dazwischen befindet sich mit knapp 40 Seiten Umfang ein Zyklus, wie er sich als größere Form in fast allen Sternmut-Lyrikbänden findet. Die spannende Frage lautet, wie die drei Teile zusammengehören und einander ergänzen.
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Ian Rankin – Verborgene Muster (Inspector Rebus 1 )

Krimidebüt: John Rebus gegen den Edinburgher Würger

Zwei junge Mädchen wurden bereits in Edinburgh verschleppt und umgebracht, wenn auch ohne sexuellen Missbrauch. Als das dritte verschwindet, fühlt sich Inspektor John Rebus an seine eigene Tochter erinnert, die er mit seiner geschiedenen Frau Rhona hat. Rebus erhält als einziger Cop in Edinburgh rätselhafte Botschaften aus jeweils einer Phrase, aber stets mit einem Knoten oder einem kleinen Kreuz aus Zündhölzern versehen. Es ist klar, dass nur er diesen Fall lösen kann… (Verlagsinfo)
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Hans Christian Andersen – Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern (Titania Special 12)

Das seltsame Schicksal der Spielzeuge

An einem eiskalten Silvesterabend versucht ein kleines Mädchen verzweifelt, Schwefelhölzer zu verkaufen, aber niemand kauft ihm etwas ab. Um sich in der schneereichen Nacht etwas zu wärmen, entzündet es ein Schwefelholz nach dem anderen, denn dadurch erscheint ihm jedes Mal die verstorbene Großmutter und erzählt ihm Märchen vom Schneemann, dem standhaften Zinnsoldaten und dem Tannenbaum… (Verlagsinfo)

Der Autor

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Friedel Wahren (Hrsg.) – Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin 26. Folge

Classic SF: Vom Gottesexperiment zu Gottes abgesandtem Alien

Dieser Auswahlband aus dem Jahr 1985 enthält Erzählungen von Gene Wolfe, Lucius Shepard, Nancy Kress und Michael Bishop sowie von dem deutschen Autor Hans Bach.

Hier findet man unter anderem:

1) Die Story von dem Globetrotter, der sich absichtlich den lebensfeindlichsten Erdenwinkel zum Ruhesitz wählt;
2) Die Story von dem Mord anlässlich einer Raumkreuzfahrt, bei dem Mörder und Opfer im dunkeln bleiben;
3) Die Story von dem absurden Experiment, bei dem mittels Sex und Trance unerhörte Energien freigesetzt werden;
4) Die Story von dem rätselhaften Alien von Alpha Centauri: ein neuer Heiland, der Antichrist oder nur ein abgeschobener Revoluzzer;
5) Die Story von den Wanderern auf fremden Welten, die allen Widrigkeiten trotzen – und an sich selbst scheitern.
Friedel Wahren (Hrsg.) – Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin 26. Folge weiterlesen

Verne, Jules – Von der Erde zum Mond (Hörbuch, 2005)

_Mondschuss zwischen Drama und Technofetischismus_

Die Eroberung des Erdtrabanten war in der Literatur schon seit der Antike – etwa bei Lukian – ein gängiges Motiv. Die meisten Autoren ließen sich irgendwelche fantastischen Tricks einfallen, um von A nach B zu gelangen, was ihre Geschichte denn auch als Fabel auswies. Doch erst Verne strengte sich an, eine technische Lösung für das Problem der Personenbeförderung zum Erdmond zu suchen. Und er fand sie in Gestalt einer 300 Meter langen Superkanone. Sie funktioniert allerdings auch nur in seiner Geschichte …

_Der Autor_

Jules Verne wurde 1828 in Nantes geboren und starb 1905 in Amiens. Bereits während seines Jurastudiums schrieb er nebenher, manchmal mit einem Freund, Theaterstücke und Erzählungen. Sein erster Erfolgsroman „Fünf Wochen im Ballon“ erschien 1863. Seine großen Romane waren in der Folge Bestseller. Heute wird er neben H. G. Wells als einer der Begründer der modernen Science-Fiction-Literatur angesehen.

Mit „Die Eissphinx“ schrieb er eine Fortsetzung von E. A. Poes Horrorerzählung [„The Narrative of Arthur Gordon Pym“. 781 Sein erster Zukunftsroman „Paris im 20. Jahrhundert“ lag lange Zeit verschollen in einem Tresor und wurde erst vor ca. 20 Jahren veröffentlicht. Die Lektüre lohnt sich, auch wegen der erhellenden Erläuterungen der Herausgeberin.

_Das Hörbuch_

|Der Sprecher: Rufus Beck|

Rufus Beck, geboren 1957, ist Bühnen-, Film- und Fernsehschauspieler und hat als deutsche Stimme der „Harry Potter“-Hörbücher mit seiner vollendeten Sprechkunst die Herzen zahlreicher HP-Fans erobert. Er hat aber auch alle Bücher des Iren Eoin Colfer als Hörbücher aufgenommen, insbesondere die über „Artemis Fowl“.

|Der Komponist und Musiker: Parviz Mir-Ali|

Parviz Mir-Ali, geboren 1967, lebt in Frankfurt/M., wo er als Komponist arbeitet. Er hat unter anderem mit André Heller an „Yume“, mit Matthias Hartmann am Schauspielhaus Bochum und mit Gerhard Mortier an „Deutschland deine Lieder“ (Ruhrtriennale 2002) zusammengearbeitet.

_Handlung_

„Die Eroberung des Mondes“, das ist für den Baltimorer „Gun Club“ keineswegs eine leere Phrase, sondern eine ganz konkrete Zielsetzung. Luna soll amerikanisches Territorium werden und niemandem sonst gehören. Und falls es Mondbewohner, die so genannten „Seleniten“, geben sollte, so werden sie dann eben „zivilisiert“ und eingemeindet. Nur damit klar ist, worum es bei diesem Abenteuer geht.

|Krieg vs. Frieden|

Natürlich interessieren sich die amerikanischen Massenmedien des Jahres 1865 stark für das, was die „verrückten“ Kriegsveteranen des Clubs vorhaben. Das Vorhaben wird zunächst freudig begrüßt. Wir jedoch wissen ein wenig mehr über die Mitglieder des Klubs. James T. Maston, des Schriftführer des Klubs, ist wirklich kriegsbegeistert und sieht in jedem Affront einen „casus belli“. Dies steht in ironischem Gegensatz zu dem Haken, den er statt einer Hand hat, und zu der Tatsache, dass seine Schädeldecke zum Großteil aus Guttapercha (eine Art Kautschuk, also Gummi) besteht.

Die Mitglieder des Klubs sind allesamt von der Teilnahme am blutigen Sezessionskrieg mehr oder weniger leicht lädiert. Einzige Ausnahme scheint M. P. Barbicane zu sein, seines Zeichens der Präsident des Klubs, der Herr über mehr als 5000 Mitglieder. Der Mann hat einen Plan.

Ach, wie den Veteranen der Krieg fehlt! Will man sich als Waffennarr nicht in diverse europäische Kriege stürzen (1866: Preußen vs. Österreich-Ungarn), so bleibt dem Gun Club nur eines, verkündet M. P. Barbicane: Man brauche stattdessen eine große Forschungstat. Er schlägt die erwähnte Eroberung des Mondes vor, der quasi zum 37. Staat der Union gemacht werden soll. (Alaska wurde erst 1867 gekauft.) Tausende von Mitgliedern schreien „Hurra!“

Barbicane lässt sogleich Astronomen der Sternwarte Cambridge sowie amerikanische Ingenieure die technischen und geografischen Details klären. Mittendrin erklärt uns der Autor bzw. mehrere seiner Sprachrohre, wie die diversen Monde des Sonnensystems heißen und was die Astronomie aus historischer Sicht zu Luna zu sagen hatte. Von Poesie und Mystik keine Spur: Der Mond ist eine „nackerte Kugel“, wie der Bayer sagt. Ja, es gibt sogar die Theorie, dass der Mond ein Ei sei, auf dessen Spitze wir blicken, wohingegen sich seine Hauptmasse unserem Blick entziehe.

Sobald feststeht, dass eine 270 m lange Kanone eine 10 Tonnen schwere Aluminiumkugel zum Mond mit einer Geschwindigkeit von 11.000 m/s ins All schießen müsste, um Erfolg zu haben, werden auch die wirtschaftlichen Dimensionen deutlich. Die ganze Welt wird von Barbicane & Co. um Spenden gebeten, um das gigantische Unternehmen zu finanzieren. Seltsamerweise zahlen die Briten keinen roten Heller: Sie wollen sich nicht einmischen.

|Nicholl vs. Barbicane|

Das lässt sich ganz gut an, bis Barbicane schließlich von unerwarteter Seite einen Schuss vor den Bug erhält. Ein gewisser Captain Nicholl aus den USA wettet, dass die einzelnen Phasen des irren Vorhabens nicht gelingen werden. Nicholl ist Plattenschmied, wohingegen Barbicane ein Geschützgießer ist. Aus dem ewigen Wettlauf zwischen Geschoss und Panzerung hat sich eine persönliche Feindschaft entwickelt – bis sich nach dem Kriegsende Barbicane weigerte, eine von Nicholl geschmiedete Platte zu testen. Nicholl nannte ihn daraufhin einen Feigling. Nun fordert er ihn erneut heraus. Am 18.10. nimmt Barbicane diese Wette an: Es werde weder gelingen, das nötige Geld zusammenzukratzen noch den Schuss zu realisieren, geschweige denn ein Projektil weiter als 15 km zu schießen. Nicholl setzt nicht unbeträchtliche Summen. Er wird alles verlieren …

|Texas vs. Florida|

Doch wo soll der Abschuss erfolgen, wo ist die Riesenkanonen, die „Kolumbiade“, zu errichten? Fest steht, dass nur die südlichsten Bundesstaaten in Frage kommen. Bei der Auswahl bleiben Texas und Florida übrig. Diese Frage spaltet rasch die Nation, und die Gazetten in New York führen einen Kleinkrieg für und wider Texas vs. Florida. In Baltimore, der Heimat des Gun Clubs, müssen Texaner und Floridianer in Schutzhaft genommen werden.

Als sich Präsident Barbicane in seiner Weisheit für Florida entscheidet, müssen die wilden Texaner sogar in einen Zug verfachtet und nach Hause expediert werden. Sie hätten sonst wohl Baltimore in Brand gesteckt. Unweit der Stadt Tampa Town, auf dem Stones Hill, errichtet der Gun Club eine Arbeiterstadt namens Moon City, die von der Armee gegen allfällige Angriffe der Seminolen-Indianer geschützt werden muss. Die riesige Kanone namens „Kolumbiade“ wird nach langen Vorbereitungen in einem unteridischen Schacht gegossen, der 270 m tief und 18 m breit ist. Chefingenieur Murcheson rechnet mit acht Monaten bis zur Fertigstellung. Am 10.6. des folgenden Jahres meldet er Vollzug. Nicholl muss blechen.

|Barbicane vs. Ardan|

Nach dem langwierigen Abkühlen der Gussform der Riesenkanone trifft Barbicane ein erneuter Schicksalsschlag. Ein schlichtes, öffentliches Telegramm setzt ihn von der im Oktober zu erwartenden Ankunft eines Franzosen in Kenntnis, der in dem Projektil zum Mond fliegen will. Versucht der Franzmann, ihm den Ruhm streitig zu machen?

Michel Ardan besteht auf einer granatenförmigen Form des Geschosses (möglichst mit Verzierungen), obwohl ein Tierexperiment mit einer Kugelform, das James T. Maston mit einem seiner geliebten Mörser veranstaltete, erfolgreich verlaufen ist. Maston verwirrte lediglich, dass das Eichhörnchen verschwunden war, während der Kater überlebte …

Ardan bereitet es auch kein Kopfzerbrechen, dass Luna keine Atmosphäre besitzt und sein Luftgehalt gegen null tendiert. Ihm geht es um die Ehre. Seine Antworten gegenüber dem kritischen Nicholl sind von ausgesuchter Höflichkeit und zeichnen sich durch Sachkenntnis aus.

|Nicholl vs. Barbicane, die zweite|

Darum geht es auch Captain Nicholl und Club-Präsident Barbicane: Die ehrenwerten Gentlemen duellieren sich in einem dichten Gehölz vor den Toren Tampas. Bevor sie jedoch durch Unheil den Erfolg des Unternehmens gefährden können, versöhnt Michel Ardan, den Maston geholt hat, die beiden Kontrahenten. Damit auch sichergestellt ist, dass keiner schummelt, sollen beide mit zum Mond fliegen. Nicholl hat beim Verlust seiner Wetten schon mehrere tausend Dollar verloren und will wenigstens nicht das Ticket zahlen müssen.

Am Abend des Abschusses, dem 1. Dezember, hat sich eine riesige Menschenmenge um die „Kolumbiade“ versammelt, praktisch alle Einwohner der 5-Millionenstadt Moon City. Reden werden geschwungen, als ginge es darum, ein Schiff wie die „Titanic“ zu Wasser zu lassen.

Der Abschuss selbst gleicht dem gewaltigen Ausbruch eines Vulkans, das Erdbeben ist noch bis nach Westafrika zu spüren. Tausende von Menschen wurden am Abschussgelände getötet oder verletzt, viele sind erblindet oder ertaubt oder beides. Tagelang ist die Atmosphäre über Tampa bedeckt von Wolken, die sich nach der Explosion von Milliarden Liter Gas unter dem Projektil entwickelt haben. Bang warten die Observateure selbst im fernen Colorado, ob sie die Kapsel in den Lufträumen erspähen können – oder ob sie in tausend Stücke zersprengt wurde. Wird Captain Nicholl eine weitere Wette verlieren?

_Mein Eindruck_

Es waren Erzählungen wie diese, die Jules Verne, diesem Pionier der Zukunftsliteratur, den undankbaren Ruf eintrugen, allzu sehr auf die technische Machbarkeit von Visionen zu vertrauen, ohne zu hinterfragen, ob das Vorhaben denn auch so sinnvoll sei. Dieser Ruf hängt ihm heute noch an, man hat ihn so zum Gegenspieler des skeptischen H. G. Wells stilisieren können. Dass diese pauschale Verurteilung ungerechtfertigt ist, haben jüngere Untersuchungen nachgewiesen.

Dennoch stilisiert nicht nur das Hörspiel von 1967, sondern auch Rufus Becks Hörbuch von 2005 Vernes Vision des Mondschusses zu einer technischen Meisterleistung empor. (Die zahlreichen Fehler, die dabei unterliefen, werden erst in der Fortsetzung „Reise um den Mond“ deutlich.) Das damit verbundene Wirtschaftsunternehmen bei Tampa ist ja auch nicht von schlechten Eltern und verdeutlicht die globale Bedeutung des Unternehmens.

Allerdings habe ich mich gefragt, wie zurechnungsfähig diese Leutchen vom Baltimorer Gun Club denn sein können. Sie duellieren sich, wetten gegeneinander und würden nicht davor zurückschrecken, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, genau wie im Bürgerkrieg. Vermutlich gehörte dies zum ganz normalen Machismo und Nationalismus des 19. Jahrhunderts.

2005, zum 100. Todesjahr des Autors, kann man diese Erzählungen nicht ohne Weiteres unbedarften Jungs vorsetzen, die das noch vor 40 Jahren sicher total aufregend fanden. Auch ein Großliterat wie Arno Schmidt war damals begeistert: „Mehr als hundert Jahre vor dem ersten [bemannten] Mondflug [von 1969] hat Jules Verne seine Helden zum Mond geschossen, ganz aktuell raketisch.“ Ob „raketisch“ ein reguläres Wort ist, sei mal dahingestellt. Und es ist natürlich zutreffend, dass nur zwei Jahre später die Amis drei Leutchen auf die Mondoberfläche schafften (oder war’s ein Betrug, wie manche behaupten?).

|Boys just wann have fun!|

Dass die großen Jungs, die sich „Ingenieur“ nennen, auch mal Spaß haben wollen, versteht sich von selbst. Das bekommen zwei Tierchen bei einem wichtigen Experiment zu spüren. Leider haben die Jungs (Frauen kommen überhaupt nicht vor) nicht bedacht, dass sich eine Katze und ein Eichhörnchen, die man auf engstem Raum in einer Kanonenkugel einsperrt, nicht unbedingt bestens vertragen. Als Taucher das Geschoss wieder bergen, finden sie vom Eichhörnchen keine Spur mehr vor. Die Katze hingegen erfreut sich bester Gesundheit – kein Wunder! Dem Eichhörnchen errichtet man ein Denkmal als einem „Märtyrer der Wissenschaft“.

Dass auch die wilden, wilden Seminolen auftreten, als Barbicane den Abschussort in Florida auswählt, dürfte besonders Karl-May-Fans ansprechen. Man wünscht sich direkt den Frieden stiftenden Auftritt von Winnetous Blutsbruder Old Shatterhand.

_Das Hörbuch_

Eines der auffälligsten Merkmale der vorliegenden Hörbuchfassung, die ja ebenfalls gekürzt ist, besteht in den schier endlosen Debatten über die Bedingungen der technischen Realisierung des Mondschusses. Dabei lässt der Franzose Jules Verne, Angehöriger der Grande Nation, keine Gelegenheit aus, seinen französischen Lesern klarzumachen, wie energisch diese amerikanischen Ingenieure selbst die verrücktesten Ideen in Angriff nehmen, wenn man sie nur lässt. Eine Szene wie die im Sitzungssaal des Baltimorer Gun Club ist zugleich bizarr und ironisch: Der ganze Saal ist mit Waffen und Kanonenutensilien ausgeschmückt, ja, besteht eigentlich daraus. Außen ist innen, innen ist außen.

Geradezu wie ein Paradiesvogel kommt diesen nüchternen Ingenieuren und Waffennarren der Franzose Michel Ardant vor. Dieser Freigeist lässt seine Gedanken in Dimensionen schweifen, von denen sich die Kleingeister der USA noch keine Vorstellung gemacht haben. Er blickt nicht nur bis an die Grenzen der „Sonnenwelt“ (= Sonnensystem), sondern bis in die weitesten Galaxien.

Und Ardan ist unglaublich schlau. Er markiert zwar den Unwissenden, sticht aber den kritischen Frager Nicholl erstens durch Sachkenntnis und zweitens durch eine Gewandtheit des Geistes aus, als er die Frage, ob der Mond bewohnt sei, umgeht und daraus die Frage macht, ob der Mond bewohnBAR sei. Sorge bereitet lediglich seine Einstellung des Sehen-wir-mal und Sich-durchwurstelns, die den planenden Ingenieuren überhaupt nicht behagt. Dennoch wird er Barbicanes Freund.

|Der Sprecher|

Rufus Beck ist ja am bekanntesten dafür, über mindestens 125 Stimmen zu verfügen. (Wahrscheinlich eine Untertreibung.) Anders als in seinen Lesungen von Harry-Potter- und Artemis-Fowl-Büchern hält er sich bei Jules Verne etwas zurück. Das heißt aber natürlich nicht, dass alle Sprecher nicht mehr voneinander zu unterscheiden wären – im Gegenteil. Der pingelige Nicholl ist ebenso gut herauszuhören wie der beflissene Maston und der würdevolle Barbicane. Alle jedoch beherrscht die Stimme Michel Ardans. Er „schbrischd“ stets mit französischem Akzent, und zwar nicht nur in der Aussprache der Wörter, sondern auch im Tonfall. Da kann die Stimme schon mal ziemlich in die Höhe schnellen. Es ist ein Vergnügen, ihm zuzuhören. Wenn man kein Ingenieur ist.

|Die Musik|

Ich weiß ja nicht, auf welchem vielseitigen Instrument der Komponist Parviz Mir-Ali seine Musik produziert hat, aber sie passt genau in die damalige Zeit. Wir hören verschiedene Kombinationen aus Bläsern (viel Tuba), Marschtrommeln und Flöten. Laut Booklet handelt es sich dabei um Kompositionen des bekannten amerikanischen Musikers John Philip Sousa, der auch von einigen Autoren der Science-Fiction-Szene geschätzt wird.

Was hier aber so martialisch klingt, das tönt doch mitunter eher verspielt, so als befände sich der Hörer auf einem Jahrmarkt statt bei einem Truppendefilee. Aber in Amerika ist der Übergang fließend, wie man in vielen Hollywoodfilmen sehen kann. Diese Musik ist stets in den Pausen, aber auch als Auftakt und Ausklang zu hören. Überraschend war jedoch das Intermezzo mit einem Glockenspiel, das am Ende der ersten CD erklingt: recht besinnlich. Nach dem Abschuss am 1.12. übernimmt die Musik erstmals die Funktion der akustischen Untermalung, denn so etwas wie Sounds gibt es auf dem Hörbuch nicht.

_Unterm Strich_

Die bekannte Geschichte ist im Hörbuch von Rufus Beck recht ausführlich, wenn auch nicht ungekürzt erzählt. Das ist aber gut so, weil nämlich die ausführlichen Debatten über die technische Umsetzung des Mondschusses manchem Hörer etwas zu lang erscheinen können – besonders dann, wenn man selbst über nur geringe Kenntnisse über die erforderlichen technischen Voraussetzungen mitbringt. Dann klingt das ziemlich belanglos. Das war es aber für das technikbegeisterte 19. Jahrhundert keineswegs.

Fortschritt |war| Technik, auch wenn dabei die sozialen Errungenschaften keineswegs mithielten. Allenthalben tauchen deshalb bei Verne Geräte wie Telegraf, Eisenbahn, Teleskop und Fernrohr auf. Er breitet die Geschichte wichtiger Disziplinen wie Astronomie, Mondkartografie, Tiefenbohrungen, Kanonenballistik und vieles mehr detailliert aus. Das alles muss der Hörer ertragen. Becks Vortrag macht es erträglich.

Neben all der Begeisterung für die technische Meisterleistung und den ironisch dargestellten menschlichen Aspekten kommt auch die Komik nicht zu kurz: „Märtyrer der Wissenschaft“ – Eichhörnchen, du wirst verewigt! Diese und weitere Aspekte machen das Hörbuch zu einem netten Audio-Erlebnis, das man sich immer wieder gerne anhört, um neue Details zu entdecken. Spätestens 2067, zum 200. Geburtstag dieses Buches.

|Umfang: 282 Minuten auf 4 CDs|

Snicket, Lemony – unheimliche Mühle, Die (Eine Reihe betrüblicher Ereignisse 4)

_Der Waisen Not: Zwischen Orwell und „Metropolis“_

„Lieber Leser, ich kann nur hoffen, dass du dieses Buch nicht lesen willst, weil du gerade Lust auf angenehme Unterhaltung hast. Sollte das doch der Fall sein, rate ich dir, es sofort wieder dahin zurückzulegen, wo du es hergenommen hast.“ An diesen Rat des Autors sollte man sich unbedingt halten – selten war ein Buchserientitel treffender formuliert: „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“. Sie brechen nacheinander über drei Waisen herein, die Baudelaire-Kinder. In Band 4 werden Violet, Klaus und Sunny nach Jammerau im Finsterwald verschickt, wo sie wie die Sklaven in einer Sägemühle schuften müssen …

Der Verlag empfiehlt die Snicket-Reihe für Kinder ab 10 Jahren.

|Der Autor|

Verlagsinfo: „Lemony Snicket wurde in einem kleinen Ort geboren, in einem Landstrich, der heute unter Wasser steht. Mittlerweile lebt L. S. in der Stadt. In seiner Freizeit sucht er die Orte auf, an denen auch die Baudelaire-Kinder sich aufzuhalten gezwungen waren, um möglichst wahrheitsgetreu über ihr Schicksal berichten zu können. Wer will, kann L. S. im Internet unter http://www.lemonysnicket.de besuchen. Aber wir warnen dringend davor.“ So weit der Text im ersten Band. Nicht sonderlich aufschlussreich.

Der Zyklus „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“:

1) Der schreckliche Anfang
2) Das Haus der Schlangen
3) Der Seufzersee
4) Die unheimliche Mühle
5) Die Schule des Schreckens
6) Die dunkle Allee

|Der Illustrator|

„Brett Helquist wurde in Ganado, Arizona, geboren, wuchs im Orem, Utah [dem Mormonenstaat], auf und lebt heute New York City. Er studierte Kunst an der |Brigham Young University| [in Utah] und arbeitet seither als Illustrator für die |New York Times| und viele andere Publikationen.“ (Die Einfügungen in eckigen Klammern stammen von mir.)

_Vorgeschichte_

Zunächst führten die drei Baudelaire-Kinder eine sorgenfreie Existenz. Sie verbringen den Schicksalstag am Strand und freuen sich des Lebens, jedes nach seinen Vorlieben. Violet, mit 14 Jahren die älteste von ihnen, denkt an eine neue Erfindung, denn sie hat die Fähigkeiten eines Ingenieurs.

Klaus, mit zwölf Jahren der zweitälteste des Trios, ist ein Bücherwurm und Wissenssammler – ein wandelndes Lexikon, aber nicht unfehlbar oder gar allwissend. Und schließlich wäre da noch die kleine Sunny, die noch ein Kleinkind ist, in alles hineinbeißt und kaum ein vollständiges Wort zu sagen vermag, geschweige denn ein verständliches. Aber Sunnys markante Aussprüche werden jedes Mal vom Autor übersetzt.

Doch an besagtem Schicksalstag brennt das Haus ihrer Eltern, in dem sie behütet und geliebt aufwuchsen, vollständig nieder. Der Nachlassverwalter Mr. Poe, ein ewig kränkelnder Bankangestellter, weiß mit den Kindern nichts anzufangen und bringt sie zu einem Vormund nach dem anderen, zuerst zu Graf Olaf, der nur ihr Vermögen will, dann zu Onkel Monty, der vorzeitig das Zeitliche segnet, und schließlich zu Tante Josephine Anwhistle, die am Seufzersee wohnt.

Doch die Kinder fürchten, dass Graf Olaf, der bereits in mehreren Verkleidungen hinter ihnen her war, auch diesmal einen Weg finden wird, die Vormundschaft über sie zu erringen. Zwar soll Violet erst das Familienvermögen erben, wenn sie 18 und volljährig ist, doch Graf Olaf kennt einen Weg, dies zu umgehen: Er muss Violet nur heiraten und das Vermögen gehört ihm.

_Handlung_

Noch brutaler als in den vorhergehenden Abenteuern werden Violet, Klaus und Sunny Baudelaire an ihrem neuen Bestimmungsort von Mr. Poe abgeladen und einfach stehen gelassen. Sie befinden sich an einem düsteren Ort mit dem bezeichnenden Namen Jammerau. Und weil der umliegende Finsterwald so viel Holz liefert, befindet sich in Jammerau eine Sägemühle. Sie stehen genau davor. Und sehen – einen mit Kaugummi angeklebten Zettel, auf dem sie begrüßt werden und genaue Instruktionen erhalten, sich in ihren Schlafsaal zu begeben, damit sie am nächsten Morgen mit der Arbeit beginnen können.

Keine nette Begrüßung, finden die Baudelaire-Waisen. Finden wir auch nicht. Eigentlich sollte ihr neuer Vormund sie hier begrüßen und mit netten Speisen verwöhnen. Denn ihnen knurrt der Magen. Stattdessen ragt eine düstere Fabrik vor ihnen empor, aus deren Dach Schornsteine ragen wie Stachelschweinstacheln. Und noch zwielichtiger ist ein Haus am Ende der Straße, das aufrecht stehend einem Auge ähnelt. Und wenn es um zwielichtige Augen geht, dann geht es auch um Graf Olaf, ihren ständigen Verfolger.

Ein Mann namens Phil empfängt sie und weist ihnen ihr Stockbett zu. Sie müssen zusammen mit den anderen Arbeitern schlafen. Am Abend gibt es einen relativ ungenießbaren Eintopf. Am anderen Tag finden sie zu ihrem wachsenden Entsetzen heraus, dass es kein Frühstück gibt und zum Mittagessen nur ein Stück Kaugummi. Der Eintopf ist die einzige Mahlzeit.

Die harte Arbeit, zu denen sie der Vorarbeiter Flacutono antreibt, besteht natürlich im Entrinden und Zersägen von Baumstämmen. Sogar die kleine Sunny, die nicht mal richtig sprechen kann, wird zur Sklavenarbeit verdonnert. Doch dafür gibt es als Entlohnung nicht etwa Geld, sondern lediglich Gutscheine, also Rabatt auf etwas, das sie sich sowieso nicht leisten können.

Ihr Protest lässt nicht lange auf sich warten. Doch bei Flacutono geraten sie an den Falschen, Phil ist leider ein Optimist, der selbst im größten Unglück nur das Positive sieht – und so müssen sie zum Boss. Dieser hat keinen Namen – und auch kein Gesicht, wenn man’s genau nimmt: Es ist stets hinter dem Qualm aus seiner Zigarre verborgen. Er lässt sich mit „Sir“ anreden, auch von seinem „Partner“. Das soll ihr Vormund sein?!

Lieber Leser, lies nicht weiter! Denn es kommt alles nur noch schlimmer.

Weil der Vorarbeiter Flacutono ihm ein Bein gestellt hat, fällt Klaus in der Fabrik hin und zerbricht das Glas seiner Brille. Man schickt ihn zur Augenärztin Dr. Georgina Orwell, die – ratet mal, wo – im augenförmigen Haus am Ende der Straße wohnt und Klaus dort behandelt. Nehmen Violet und Sunny jedenfalls an.

Man stelle sich ihre Verwunderung vor, als Klaus zurückkehrt und sie gar nicht mehr wiedererkennt. Er geht und steht wie ein Zombie und antwortet mit „Jawohl, mein Herr“. Dann führt er den gehörten Befehl aus, aber ohne zu wissen, was das soll. Seine Schwestern machen sich allmählich Sorgen. Warum benimmt sich Klaus auf einmal wie ein Roboter? Warum erkennt er sie nicht mehr? Was hat man ihm befohlen? Und wer ist überhaupt „man“?

Ein finsterer Verdacht gegen Dr. Georgina Orwell beschleicht Violet und Sunny. Ihre (und unsere) schlimmsten Befürchtungen werden noch übertroffen von dem, was Klaus am nächsten Tag tut …

_Mein Eindruck_

Die Handlung erinnert nicht von ungefähr an gewisse Elemente aus Fritz Langs Klassiker „Metropolis“ von 1926. Darin gibt es eine Arbeiterführerin namens Maria, die mit dem Sohn des Industriellen Fredersen bekannt ist, der sich in sie verliebt hat. Das ist nicht wichtig. Wichtig ist vielmehr, dass Fredersen selbst etwas gegen Maria und ihre klassenkämpferische Arbeit unternimmt, indem er den Erfinder Rotwang einen Roboter erschaffen lässt, der genauso aussieht wie Maria, aber aufs Wort gehorcht. Seltsamerweise wiegelt diese falsche Maria die Arbeiter zum Aufstand auf, bei dem die Maschinen Fredersens zerstört werden.

Wie auch immer die Logik von „Metropolis“ aussehen mag, sie interessiert an dieser Stelle nicht. Wohl aber interessiert, dass in Snickets Roman Klaus von einem jungen Intellektuellen in einen doofen funktionierenden Roboter verwandelt wird, um die Befehle seines (vorerst unbekannten) Herrn auszuführen. Der echte Fabrikbesitzer, der sich „Sir“ nennen lässt, ist wie Fredersen eine autokratische Kapitalistengestalt, und es ist lange Zeit nicht klar, auf welcher Seite er steht. Bezeichnend dafür ist, dass man sein Gesicht nie zu sehen bekommt.

In dieser Umgebung lernen Violet und Sunny den Wert von Worten kennen. Die meisten Worte, die in der Fabrik verwendet werden, sind Lügen. Das heißt, sie werden von denen, die das Sagen haben, benutzt, um diejenigen, denen sie befehlen, hinters Licht zu führen, einzuschüchtern und zu betrügen. Violet selbst benutzt solche Wörter, um höflich zu sein. Obwohl sie genau weiß, dass die Wirklichkeit sich anders verhält, will sie dennoch höflich sein und lügt, um Repressalien zu entgehen. Tut sie dies nicht, sondern sagt ungeschminkt die Wahrheit, bekommt sie massive Drohungen zu hören. Dann schon lieber höflich sein.

Ein anderes Wort, das sich als eine Lüge herausstellt, ist „Glück“. Dieses Wort benutzt der „Optimist“ Phil am liebsten, selbst noch im größten Un-Glück: Er lügt sich damit selbst in die Tasche und ist dadurch in der Tat ein glück-licher Mensch. Bezeichnenderweise gehört die Sägemühle „Glück & Partner“. Wenn der „Partner“ der Diener des Bosses ist, dann muss der Boss Herr Glück sein, den man nie erkennen kann.

VORSICHT SPOILER!

Doch Violet ist weiß Gott nicht auf den Kopf gefallen. Sie liest in dem Fachbuch, das Dr. Georgina Orwell (welch ein hinterlistiger Name! George Orwell würde sich schämen) geschrieben hat, über Hypnose nach. Und obwohl die Fachausdrücke nur für den belesenen Klaus verständlich sind, findet sie einen Trick, um den schwierigen Text zu verstehen: Sie ersetzt alle Fachausdrücke durch „hmhm“. Genial! So gelingt es ihr herauszufinden, was die Autorin eigentlich ausdrücken will: Wer einen posthypnotischen Befehl auslösen will, braucht ein Codewort. Und wer den Befehl ausschalten will, muss ebenfalls ein Codewort rufen, um den Hypnotisierten zu erlösen.

Violet braucht weniger als zehn Sekunden, um zu erkennen, dass Klaus einen posthypnotischen Befehl erhalten hat, der ihn zum Roboter macht. Sie braucht wesentlich länger, um die beiden Codewörter herauszubekommen. Das erste kommt im Firmennamen vor …

SPOILER ENDE

Die Assoziationen mit „Metropolis“ und George Orwells „1984“ erinnern an Roboter, die dem „Big Brother“ gehorchen. Ihnen entspricht die Figur des umgewandelten Klaus. Klaus braucht dringend eine Maria, die ihn erlöst. Violet gelingt dies, indem sie seine Fähigkeiten bei sich selbst anwendet (siehe SPOILER). Aber im kritischen Moment muss sich Klaus selbst helfen. Dies gelingt ihm nur, indem er Violets Fähigkeit des erfinderischen Ingenieurdenkens anwendet. Beide wachsen über sich selbst hinaus, aber nur im Teamwork. Dadurch erlangen sie die Freiheit.

Es ist wirklich eine schöne Lektion, die der Autor hier erteilt und in anschauliche Szenen verpackt. Leider dauert es eine ganze Weile, bis er mit seinem Gejammer, Philosophieren und Dozieren aufhört und zum Erzählen kommt. Dass er ständig komplizierte Wörter wie „exzessiv“ erklärt, kennen wir schon aus den Vorgängerbänden. Das ist für Kinder lehrreich. Das Dozieren hingegen ist lästig. Bis die Action endlich anfängt, kann der Leser lange warten. Das Finale ist entsprechend kurz.

_Unterm Strich_

„Die unheimliche Mühle“ ist über weite Strecken eine Enttäuschung gewesen. Die betrüblichen Ereignisse, die den Waisen zustoßen, sind ja sattsam bekannt und entsprechend erwartet, doch die langen Kommentare dazu hätte sich der Autor sparen können. Es ist schlimmer als Charles Dickens.

Denn die Geschichte an sich funktioniert wirklich gut. Sie hat Anklänge an Fritz Langs „Metropolis“ von 1926 und an George Orwells „1984“ von 1948. (Die Details habe ich oben dargelegt.) Aus ihrer misslichen Lage können sich die Waisen nur gegenseitig erlösen, denn sonst hilft ihnen keiner. Der „Optimist“ (Phil) lügt sich resignativ in die Tasche, der „Partner“ kuscht vor dem Boss, und der Vorarbeiter Flacutono spielt den Sklaventreiber. Wie schon so oft müssen sich die Waisen selbst helfen.

Man könnte die geschilderten Verhältnisse als satirische Übertreibung frühkapitalistischer Arbeitszustände deuten, wie sie in manchen US-Konzernen (bitte Michael Moore fragen!) inzwischen wieder Gang und Gäbe sein sollen. (Im nächsten Band „Die schreckliche Schule“ werden auf ähnliche Weise die Zustände an einer „Akademie“ bzw. in einem Internat angeprangert.)

Doch nun lautet die Preisfrage: Wo steckt Graf Olaf? Ich empfehle einen Arztbesuch bei Dr. Georgina Orwell und ihrer in jeder Hinsicht „reizenden“ Sprechstundenhilfe Shirley … Rette sich, wer kann.

|Originaltitel: A Series of unfortunate Events: The miserable Mill, 2000
Aus dem US-Englischen übersetzt von Birgitt Kollmann|

Pratchett, Terry – Gefährliche Possen und andere Erzählungen

_Hintergründiger Humor in schrägen Storys_

Diese vier Kurzgeschichten sind ziemlich schräg, um nicht zu sagen: abgefahren. Die Frage, warum und vor allem wie Hollywood-Hühner eine viel befahrene Straße überqueren, wird ebenso hintergründig beantwortet wie die Frage nach der künstlichen Wirklichkeit oder warum ein Mordopfer selbst als Täter verhaftet wird.

_Der Autor_

Terry Pratchett und seine Frau Lynn sind wahrscheinlich die produktivsten Schreiber humoristischer Romane in der englischen Sprache – und das ist mittlerweile ein großer, weltweiter Markt. Obwohl sie bereits Ende der siebziger Jahre Romane schrieben, die noch Science-Fiction-Motive verwendeten, gelang ihnen erst mit der Erfindung der Scheibenwelt (Disc World) allmählich der Durchbruch. Davon sind mittlerweile etwa drei Dutzend Bücher erschienen. Nachdem diese für Erwachsene – ha! – konzipiert wurden, erscheinen seit 2001 auch Discworld-Romane für Kinder. Den Anfang machte das wundervolle Buch [„The amazing Maurice and his educated rodents“, 219 worauf „Die kleinen freien Männer“ folgte.

Doch auch andere Welten wurden besucht: ein Kaufhaus, in dem die Wühler und Trucker (= Nomen) lebten, und eine Welt, in der „Die Teppichvölker“ leben konnten. Die Nomen-Trilogie „The Bromeliad“ soll zu einem Zeichentrickfilm gemacht werden.

_Der Sprecher_

Christian Tramitz, geboren 1955, studierte am Münchner Musikkonservatorium im Hauptfach Geige. Seine Interessen gingen jedoch über die Musik hinaus, und so folgte ein Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und der Theaterwissenschaften. Damit nicht genug, nahm er nach dem Studium Schauspielunterricht bei Ruth von Zerboni. Nach seinem ersten Engagement am Stadttheater Ingolstadt folgten Theatertourneen, bis er ans Ensemble der Düsseldorfer Kammerspiele aufgenommen wurde. 1997 begann Tramitz‘ enge Zusammenarbeit mit Michael „Bully“ Herbig in der „bullyparade“, die etliche Nominierungen und einige Auszeichnungen erhielt. Durch seine Rollen in „Der Schuh des Manitu“ und „(T)Raumschiff Surprise“ wurde Tramitz einem breiteren Publikum bekannt und bekam eine eigene Comedy-Serie. (Verlagsinfo)

Regie führte Angela Kübrich.

_Die Erzählungen_

|1) Gefährliche Possen|

Die Stadtwache hat in Ankh-Morpork, der Millionenstadt auf der Scheibenwelt, einen ungewöhnlichen Toten entdeckt. Corporal Nobbs und Feldwebel Colon grübeln, was die Todesursache gewesen sein mag: der Strang Würstchen um den Hals des Mannes? Colon entdeckt Geld in den Taschen des Toten sowie eine Visitenkarte: „Chaz Schlummer, Kinderunterhalter“. Eins steht fest: Dieser Tote ist sehr tatverdächtig und man sollte ihn verhören.

Hauptmann Mumm verdonnert den Obergefreiten Karotte zu dieser dankbaren Aufgabe. Karotte macht über der Leiche den TOD dingfest und quetscht ihn aus, denn schließlich war TOD ja Zeuge der Meucheltat, oder? TOD ist jedoch alles andere als kooperativ, denn er fürchtet, die Bullen könnten ihn als Spitzel einspannen, und das wäre ihm zuwider. Er weigert sich, den Toten zu verpfeifen.

Daher muss Karotte nach anderen Zeugen Ausschau halten. Unweit des Fundorts, wo Colon gerade den Umriss der Leiche hübsch ausmalt, entdeckt Karotte eine Familie von Gnomen. Sie geben zu, dass sie für Schlummer gearbeitet haben, aber der beutete sie aus und demütigte sie. Das Tatwerkzeug, das den Erstickungstod des Impresarios herbeiführte, ist eine Lederscheibe, die zur Veränderung der Stimme benutzt wird. Die Scheibe blieb ihm im Hals stecken – Exitus.

|Mein Eindruck|

Wieder einmal machen die Angehörigen der Stadtwache einen Narren aus sich. Und wie stets ist es ein Vergnügen, den Clowns dabei zuzusehen. Aber worum geht es eigentlich? Da ist also ein „Kinderunterhalter“ an einer Lederscheibe erstickt – na und? Offenbar hat er eine Art Straßentheater betrieben und dabei seine „Mitarbeiter“, die Gnomen, als Kinder ausgegeben und ausgebeutet. Hat er seinen Unfalltod verdient? Wie stets sind die Schlussfolgerungen, zu denen Karotte, Colon, Bobbs und Mumm (der Kommandant) kommen, von schöner und bewegender Abwegigkeit.

Der Sprecher verleiht den Figuren individuelle Charakteristiken, soweit es ihm im Rahmen seiner begrenzten Fähigkeiten möglich ist. Der TOD weist sogar ein kleines Echo auf, aber da muss man schon ganz genau hinhören. Ach, was hätte Rufus Beck daraus gemacht!

|2) # ifdefDEBUG + „world/enough“ b+ „time“|

Der Computertechniker Thompson wird zu einem Tatort gerufen. Ein User der Künstlichen Realität (CGEn: Computer Generated Environment) wurde tot inmitten seiner CGE-Anlage aufgefunden, und im Nebenzimmer liegt die verschrumpelte Leiche einer ehemals schwangeren Frau. Der Techniker soll für Polizei und CGE-Hersteller herausfinden, ob ein technischer Defekt zum Tode des Users geführt hat. Das war zwar nicht der Fall, aber angesichts der Einschüchterungsversuche von Polizei und CGE-Angestelltem erfindet er lieber etwas. Eigentlich war ein Virus daran schuld. Er nimmt folgendes an: Nun wandeln beide, die Frau und der männliche User, wohl zunächst im virtuellen Raum der K. R., doch hat Thompson die Frau bereits auch an verschiedenen anderen Orten der realen Realität gesehen …

|Mein Eindruck|

Diese lange Erzählung ist kompliziert – besonders dann, wenn man mit „Computerles“ absolut nichts anfangen kann. Und Künstliche Realität? Damals, in den seligen Neunzigern, schien sie eine Zukunft zu haben, doch die ist heute Vergangenheit, denn nach 9/11 haben wir ganz andere Sorgen mit der realen Realität und können auf die virtuelle verzichten. Außerdem haben wir ja das Internet, wo sich inzwischen 3,8 Mio. User in „Second Life“ tummeln. Dass es dort neuerdings Räume für Kindermissbrauch gibt, sollte uns zu bedenken geben, dass die VR auch immer zu Missbrauch genutzt wird.

Der CGEn-User in der Story hatte sich ein ganz harmloses Vergnügen gegönnt: Er schuf sich seine Familie – die Schwangere und ihr Baby – in der VR und gesellte sich am Schluss zu ihr.

Der Sprecher müht sich sehr, die vielen englischen und technischen Ausdrücke korrekt auszusprechen und in 99,9 % der Fälle gelingt ihm dies erstaunlicherweise auch. Dennoch entgeht dem Hörer das meiste der Geschichte, weil Tramitz viel zu schnell liest, und ich ertappte mich dabei, wie meine Gedanken nach zwei Dritteln der Story abschweiften …

|3) Hollywood-Hühner|

Als 1973 auf einer viel befahrenen Straße in Hollywood, Kalifornien, ein Laster verunglückt, stranden rund 50 Hühner auf dem Seitenstreifen, der von einer undurchdringlichen Mauer begrenzt wird. Das ist Fakt. Fakt ist aber auch, dass sie sich vermehren, manche aber auch versuchen, die Straße zu überqueren. Eine natürliche Auslese findet statt, als die Wagemutigen und Tollkühnen unter ihnen dem Verkehr zum Opfer fallen. (Eingestreut sind Beispiele für die Kommunikation unter Hühnern.)

Etwa ab 1981 begannen Polizisten seltsame Konstruktionen festzustellen, und im August 1984 knallte eine Art Käfig mit drei Hähnen darin voll gegen die Windschutzscheibe eines Lasters. Der Vorfall wurde nie aufgeklärt, aber die Hühner waren natürlich Matsch. Auch der Tunnel unter dem Straßenbelag wurde sicherlich nicht von Hühnern gebaut, oder? 1986 berichtet ein Polizist von weiteren absurden Überquerungsversuchen, darunter mit einer Mülltonne, die über einen Antrieb verfügt. (Man denke an „Chicken Run“.) Im Mai 1989 schließlich sind alle Hühner auf der Seite, wo sie gestrandet waren, verschwunden. 43 Hühner befinden sich auf der anderen Seite! Die Evolution hat gesiegt. Oder?

Das ist schön und gut, und das Warum für ihr Tun kann man sich auch zusammenreimen, aber das Wie würde die Wissenschaft zu gerne klären. Und wieso wurde erhöhte Radioaktivität festgestellt? Haben die Hühner etwa den Atomantrieb erfunden oder den Materietransmitter? Na, da lachen doch die … – Sie wissen schon.

|Mein Eindruck|

Was uns der Autor in dieser sehr gelungenen Satire vorführt, aber mit keinem Wort erwähnt, ist die Wiederholung der menschlichen Geistes- und Kulturgeschichte, angewendet auf eine winzige Hühnerpopulation, die den Überlebenskampf um jeden Preis gewinnen muss. Es gibt religiöse Führer, aufklärerische Denker („cogito ergo gluck!“), kühne Flieger à la „Chicken Run“ in ihren wackeligen Kisten (die an der Windschutzscheibe eines LKW zerschellen), Gräber wie in „Gesprengte Ketten“ (der das Vorbild für „Chicken Run“ lieferte), eine Rakete und schließlich sehr seltsame Vorrichtungen, die selbst der gegenwärtigen Wissenschaft noch nicht gelungen sind: Materietransmitter. Die Hühner „beamen“ sich auf die andere Straßenseite!

Dies ist die einzige Geschichte, die über Geräusche verfügt: Verkehrsrauschen, einmal auch eine Hupe mit Dopplereffekt – sehr passend. Der Sprecher macht allerdings nicht allzu viel aus dem wundervollen Text. Wie viel könnte man aus den kurzen Stücken Hühner-Monolog und -Dialog herausholen! Sicher, es mag dann lächerlich klingen, aber sind diese Geschichten nicht auch für Kinder gedacht? Kratz? Gluck!

|4) Die Weihnachtsfestplatte|

Am 25.12.1999 erscheint Santa Claus wie bestellt im Büro der Firma Trading Office Machines. Es herrscht Nacht und Stille im Büro, aber wo ist der Bengel TOM, der ihm seine Wunschliste geschickt hat? Santa aktiviert den PC, und ein elektronischer Brief erscheint auf dem Bildschirm. TOM ist genau dieser PC, und er wünscht sich eine neue Multifunktionsfestplatte mit schier unendlicher Speicherkapazität. TOM hat einen echten Minderwertigkeitskomplex, denn er fühlt sich missachtet und ausgebeutet.

Nun, Santa hat stets eine Eisenbahn in Reserve dabei und führt ihm diese vor. Doch dann bekommt er heraus, was dem zweijährigen PC wirklich fehlt …

Einen Monat später wird der Computertechniker zu TOM gerufen. Der Abteilungsleiter klagt, der PC fahre sofort herunter, wenn man das Spielzeug von ihm entferne, und dann sei nichts mehr mit ihm anzufangen. Der Techniker kratzt sich am Ohr, nachdem er festgestellt hat, dass der Rechner völlig in Ordnung ist. Er empfiehlt, den Teddybär einfach auf dem PC stehen zu lassen …

|Mein Eindruck|

Auch dies ist eine eindeutige Kindergeschichte, auch wenn das „Kind“ in diesem Fall der PC Tom ist. Er ist zwei Jahre alt und weist auch eine entsprechende Psyche auf. Damit kennt sich Santa Claus aus, und so hat er für den armen Kleinen das passende Geschenk dabei, da dieses ja sowieso keiner mehr will: einen Teddy. Merke: Es kommt nicht auf das Spielzeug an, sondern auf die Liebe, mit der es geschenkt wird. Und die gibt Tom natürlich nicht mehr her. – Ansonsten zeigt der Autor, was heute aus Weihnachten geworden: ein Upgrade-Fest.

Der Sprecher bemüht sich hier wirklich, Wärme und Humor in den Dialog zu legen und dies gelingt ihm auch bis zum Schluss. Von Charakterisierung ist durchaus ein wenig zu hören, denn Santa wird mit einer tiefen Stimme ausgestattet, und Tom unterscheidet sich davon mit einer höheren Stimmlage – er spielt ja in diesem Gespann das Kind.

_Unterm Strich_

Dass der Schöpfer der Scheibenwelt auch witzige Kurzgeschichten veröffentlicht hat, ist nur wenigen Lesern seiner Romane bekannt. Naturgemäß spielen viele seiner Storys in einem Fantasyumfeld, so etwa das herrliche Stück „Die Trollbrücke“ (Trolle leben bekanntlich unter Brücken – dort erheben sie bei Pratchett eine Straßenbenutzungsgebühr; das Ganze basiert auf dem Wortspiel „troll“ und „toll“ = Maut).

Dass sich Pratchett am Anfang seiner Schriftstellerkarriere auch mit Ideen aus dem Science-Fcition-Umfelkd herumgeschlagen hat, verrät er immer wieder in so Erzählungen wie etwa „ifdefDEBUG“ und „Die Weihnachtsfestplatte“. Doch bei „ifdefDEBUG“ handelt sich nicht um futuristische Vorkommnisse, sondern um Phänomene, die schon in den 1990ern publizistisch ausgeschlachtet wurden, etwa vom Magazin |WIRED|. Und dass heute selbst die jüngsten PC-Nutzer nach einer größeren Festplatte gieren, dürfte angesichts des Speicherhungers von |Win VISTA| durchaus verständlich erscheinen.

Es sind vielmehr die Gegensätze zu diesen Phänomenen. Was ist aus alten Werten wie Liebe geworden? Aus der Liebesbedürftigkeit eines Kindes, aus der Liebe eines VR-Nutzers zu seiner Familie? Diese Geschichten sollen ebenso zum Nachdenken anregen wie „Die Hollywood-Hühner“. Dieses fabelhafte und sehr hintergründige Stück Prosa schildert, wie eine kleine Hühnerpopulation unter extremem Überlebensdruck die Evolution des Menschen in nur 16 Jahren wiederholt – und übertrifft.

Die Ironie bei dieser Geschichte: Die moderne Verhaltenswissenschaft – die Story ist wie ein Report aufgebaut – ist ebenso wenig wie die unterbelichtete Polizei in der Lage, den technischen Fortschritt der Hühnerpopulation zu erkennen. So wie Schönheit stets im Auge des Betrachters liegt, so auch die Anerkennung für den Fortschritt unter einer anderen Spezies. Besonders dann, wenn es sich um eine Spezies handelt, auf die der gemeine Homo sapiens ständig hochmütig herabsieht. Dieser Dünkel könnte sein Verhängnis werden. Achtung: Der Autor testet die Intelligenz des Lesers bzw. Hörers! Dekodieren Sie die Äußerungen der Hühner. Was könnte beispielsweise „cogito ergo gluck!“ bedeuten?

|Das Hörbuch|

Die Auswahl ist gelungen und sollte eigentlich für den Erfolg des Hörbuchs garantieren. Doch die Ausführung durch Christian Tramitz lässt Wünsche offen – siehe oben. Er ist am besten, wenn er ein wenig Akzent in seine Stimme legen darf, was nicht oft geschieht, aber in „Manitu“ und „Surprise“ (s. o.) kommt er so am besten zur Geltung. Seine sonore Stimme hat viel Potenzial für das Vorlesen geeigneter Texte, doch was ist ein geeigneter Text? Vielleicht die Hörspielfassung einer Pratchett-Geschichte. Aber ob sich ein geeigneter Drehbuchautor dafür findet, bleibt abzuwarten. Im Hörspiel könnte Tramitz seine Fähigkeiten viel besser zum Einsatz bringen. Im Hörbuch jedoch muss er sich viel zu sehr zurückhalten, und so vermisst man sein komödiantisches Können.

|65 Minuten auf 1 CD
Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Brandhorst|
http://www.hoerverlag.de

Interview mit Norbert Sternmut

Buchwurm.info:
Wie geht es Ihnen?

Norbert Sternmut:
Es geht gut genug. Es geht mir so weit gut, wenn ich arbeiten kann, in meinen Projekten bin, wie ich es gerade bin, also geht es gut.

_Buchwurm.info:_
Wo sind Sie gerade und was machen Sie gerade? Schreiben Sie ein Gedicht?

_Norbert Sternmut:_
Ich arbeite stets an neuen Gedichten, so auch jetzt, nachdem ich den Gedichtband „Nachtlichter“ gerade abgeschlossen habe, der zur Leipziger Buchmesse 2010 im |Pop|-Verlag, Ludwigsburg erscheinen wird. |Die Lesung ist am 19. März in Leipzig.|

Des Weiteren arbeite ich am neuen Gedichtband, den wir als Veröffentlichung für das Jahr 2012 mit dem |Pop|-Verlag einplanen.

Für das Jahr 2011 ist mit dem |Wiesenburg|-Verlag das nächste Prosamanuskript unter dem Titel „Wildwechsel“ geplant, eine Art Tagebuch, in dem ich einmal die sogenannte fiktive Ebene verlasse und durchaus konkret über mein sogenanntes „wahres Dasein“ in Vergangenheit und Gegenwart berichte. Das ist für mich eine ganz neue Form, ganz ohne Metaphern und irgendwelche Verstellungen.

_Buchwurm.info:_
|Buchwurm.info| hat Sie bereits einmal [vorgestellt,]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=77 deshalb können wir diesen Part überspringen und gleich medias in res gehen. Inzwischen haben Sie zwei Gedichtbände und einen Roman vorgelegt. Ich würde mich freuen, wenn Sie „Seelenmaschine“, „Fadenwärme“ und „Norm@n“ jeweils kurz charakterisieren könnten; zum Beispiel, welche Bedeutung „Norm@n“ als Abschluss einer Trilogie zukommt.

_Norbert Sternmut:_
Insgesamt ist die Romantrilogie aus „Der Tote im Park“, „Marlies“ und „Norm@n“ für mich ein zentraler Bestandteil meines Werks. Ein Mittelstück und ein Hauptstück. Zumal ich kaum annehmen kann, noch mal eine entsprechende Trilogie zu schreiben, über die „Natur der Dinge“ hinaus.

Also bleibt für mich „Der Tote im Park“ ein zentrales Romanwerk, wie etwa „Sprachschatten“ im Bereich der Lyrik. Dass ich die Trilogie geschrieben habe, war für mich wichtig, auch wenn sie zunächst gar nicht als Trilogie geplant war.

Wichtig, ich muss meine Bücher schreiben, kann mich meinem Dasein nur schreibend nähern. Die geschriebenen Bücher bleiben dann alleine zurück, ungelesen meist, aber es kommt mir scheinbar auch nicht unbedingt darauf an, dass sie jetzt und hier gelesen werden. Ich denke, irgendwann werden sie gelesen, und da bin ich mir auch einigermaßen sicher, auch wenn jetzt noch nicht unbedingt ihre Zeit gekommen ist.

Weiterhin will ich meinen „Charakter“ eher nach vorne beschreiben. Die Trilogie, das sind drei Bücher, die ich entlassen habe, wie die anderen auch. Jetzt versuche ich mir neue Ziele zu setzen, neue Erkenntnisse und innere Wahrheiten zu finden. So überlebe ich, so lange es geht, verfolge durchaus hartnäckig einen Weg, den ich als meinen Weg sehe, versuche nicht vollständig „verrückt“ zu werden.

Aber meine Trilogie ist mir wichtig.

Wie auch „Seelenmaschine“ oder der Band „Fadenwürde“, der aus bestimmten Gründen nicht „Fadenwärme“ heißt. „Fadenwürde“ erinnert an den Band „Fadensonnen“ von Celan und wurde von einem Bob-Dylan-Song „Dignity“ inspiriert. Hier geht es um die „Würde des Menschen am Faden“, auch um meine eigene Seelenanalyse, wie oft in den letzten Büchern.

Dass ich aus dem psychoanalytischen Unbewussten schöpfe, wird gerade in „Fadenwürde“ deutlich. Auch, dass ich Themen aufgreife, die gerne verdrängt werden. Dass all diese Zusammenhänge in den Gedichten eher über das Gefühl als über den Verstand zu erschließen sind, wenn überhaupt, sage ich hier und dort.

_Buchwurm.info:_
„Seelenmaschine“ und „Fadenwürde“ greifen aktuelle Befindlichkeiten und sogar Ereignisse der öffentlichen Welt auf. Worauf ist dieses Interesse zurückzuführen?

_Norbert Sternmut:_
Ich bin Teil der „öffentlichen Welt“! Auch ich bin ein Mensch, der sich den Eindrücken der aktuellen Wirklichkeit unterworfen sieht. Und als Schriftsteller will auch ich durchaus Stellung zu aktuellen Fragen beziehen, auch wenn ich kein Kommentator einer Tagespolitik bin, auch kein regionaler Schreiber; dass ich kein Schriftsteller bin, der aus einer örtlichen Heimat schöpft, einer nationalen Zuordnung.

Wie ich in „Seelenmaschine“ beschrieb, komme ich alleine auf die Sprache als Heimat zurück, schöpfe weniger aus Wurzeln, eher aus Entwurzelungen und fehlenden Haltbarkeiten.

Aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass auch ich das Wort „Klima“ in den Mund nehme. Ob es etwas hilft, ist eine andere Frage. Immerhin arbeite ich in meinen Projekten mit Jugendlichen und Arbeitslosen künstlerisch und sozialarbeiterisch in der Jetztzeit, befinde mich nicht in einem „Elfenbeinturm“.

Und das Interesse daran? Ich bin Sozialpädagoge! Und Schriftsteller! Künstler und Maler! Alles aus der Zeit heraus, aber nicht alleine daraus. Gerade auch aus dem Verlust der Zeit heraus, die seit meiner Krebserkrankung in der Jugend in meinem Bewusstsein liegt. Also lebe ich heute, weil ich nicht anders kann, weil ich also in diese Formel „geworfen“ wurde, bin ich mir dessen bewusst, so weit wie möglich, dass es womöglich nichts bedeutet, bei allem Interesse.

Also starte ich dieses und jenes Projekt und bin sozialarbeiterisch tätig, weil ich mir aus philosophischen Gründen keine Kugel durch den Kopf schießen will. Also versuche ich mich anderweitig zu beschäftigen.

_Buchwurm.info:_
Sie haben die Literaturgruppe „Sternmut-Literatur-Bunt“ (SMLB) gegründet, die mit anderen Literaturgruppen zusammenarbeitet. Was tun die Teilnehmer dieser Gruppe, wer sind diese und wie sieht die Kooperation mit anderen Gruppen aus?

_Norbert Sternmut:_
Nein, ich arbeite hier nicht grundsätzlich mit anderen Literaturgruppen zusammen! Wir sind eine nette Gruppe und ich lade mir interessante Menschen ein, und es finden bewegende Diskussionen statt, aber es ist „mein Ding“. Es ist mir auch durchaus wichtig, dass ich die Entscheidungen trage und entscheide, wen ich einlade, wichtig, dass es mir Freude macht, in der Hoffnung, dass sich die Freude auf andere bei SMLB überträgt.

Ich will Menschen einladen, die etwas anderes als das sagen, was üblich ist und von außen konditioniert ist. Marionettentheater soll es bei SMLB eher nicht geben. Das haben wir bereits an jeder Ecke.

Es hat sich schon eine kleine, eingeschworene Gemeinde gefunden, die sich mit der Gruppe identifiziert. Es ist bereits eine durchaus dynamische Gruppe entstanden. Junge Künstler kommen, Rapper, Drogenselbsthilfegruppen, Bildhauer. Wir sind bis ins Jahr 2011 mit Veranstaltungen ausgebucht. Es gibt keinen Mangel an Menschen, die sich präsentieren wollen. Also bedient SMLB ein öffentliches Bedürfnis. Es bietet eine Auftrittsmöglichkeit für interessante Menschen, Künstler, Gruppen. Und daher funktioniert SMLB sehr gut.

_Buchwurm.info:_
Sie nahmen an einem österreichischen Lyrikwettbewerb teil. Waren Sie zufrieden mit Ihrem Abschneiden und der Organisation dieses Wettbewerbs?

_Norbert Sternmut:_
Ja, ich war zufrieden mit meinem Abschneiden, zumal ich den Lyrikwettbewerb gewonnen habe. Und als Sieger hatte ich auch an der Organisation keine Einwände, zumal sie, nach meinem Verständnis, zum richtigen Ergebnis gekommen ist.

Insgesamt habe ich keine rechte Beziehung zu Schreibwettbewerben und Preislisten. Ich will „mein Werk“ schreiben und neben dem anderen bleibt im Allgemeinen keine Zeit mehr zur Bewerbung für irgendwelche Preise. Ich denke auch, dass ich ein gespaltenes Verhältnis dazu habe. Ich habe bisher nicht viele Preise bekommen, was verständlich ist, ich denke manchmal, irgendwie könnten es mehr sein, aber ich bewege mich selbst nicht dahin, bewerbe mich nicht. Also kann ich auch nicht erwarten, dass ich Preise für mein Werk bekomme, weil fast jeder Preis es verlangt, dass der Autor bzw. der Verlag des Autors sich selbst bewirbt.

Manchmal denke ich, ich sollte mich mehr für literarische Preise bewerben, doch dann schreibe ich wieder an irgendwelchen Gedichten, für die es wissentlich keinen Markt gibt, für die ich keinen Preis bekommen werde. Immerhin, denke ich mir, schau an, was du machst, kann sich auch nicht jeder leisten. Nein, zu dieser Preisvergabegeschichte habe ich sicherlich ein gespaltenes Verhältnis.

_Buchwurm.info:_
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft, so etwa in Lyrik, Prosa Buchmessen, Zeitschriften, Wettbewerben oder privat?

_Norbert Sternmut:_
Im März 2010 bin ich auf der Buchmesse Leipzig, um mein neues Buch „Nachtlichter“ zu präsentieren. „Sternmut-Literatur-Bunt“ läuft erfolgreich und ist für einige Jahre geplant. Im Jahr 2011 wird ein neuer Prosaband im |Wiesenburg|-Verlag unter dem Titel „Wildwechsel“ erscheinen. Für 2012 ist der neue Lyrikband „Spiegelschrift“ im |Pop|-Verlag geplant.

|Das schriftliche Interview führte Michael Matzer im Februar 2010.|

Der Autor

Norbert Sternmut
Norbert Sternmut

Norbert Sternmut (= Norbert Schmid), geboren 1958, lebt in Ludwigsburg und arbeitet als Sozialpädagoge. Der Theaterautor, Rezensent, Maler, Lyriker und Romanschreiber erhielt Stipendien vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Gerlingen. Er veröffentlichte zwanzig Einzeltitel seit 1980 und ist in über 50 Anthologien vertreten. Als Maler trat er mit 75 Ausstellungen an die Öffentlichkeit. Der gelernte Werkzeugmacher wurde nach einem Studium zwischen 1982 und 87 Sozialpädagoge und ist seit 1993 in der Bildungsarbeit im Bildungszentrum Stuttgart tätig. Mehr Infos gibt’s auf seiner Website www.sternmut.de.

Seit 1980 hat Sternmut eine ganze Reihe von Lyrikbänden veröffentlicht, darunter die von mir vorgestellten Bücher „Photofinish“, „Triebwerk“ und „Absolut, du“. In dem Band „88 Rätsel zur Unendlichkeit“ arbeitete er mit dem Grafiker Volker Funke zusammen: Die Rebus-artigen Rätselgrafiken harmonierten mit den frei assoziierenden Gedichttexten Sternmuts. Eine Webseite ergänzte das multimediale Werk auf der Zeit angemessene Weise.

Auf der Prosaseite ist seine Romantrilogie hervorzuheben, zu der „Der Tote im Park“ (1999), „Marlies“ (2003) und sein Roman mit dem Titel „Norm@n“ gehören. Eine Reihe von z.T. phantastischen Erzählungen erschienen in dem Band „Das Zeitmesser“ (Rainar Nitzsche Verlag, Kaiserslautern, 1997).

_Norbert Sternmut auf |Buchwurm.info|:_

[„Triebwerk. Gedichte“ 3752
[„Marlies“ 1935
[„Der Tote im Park“ 3751

Oscar Wilde – Lord Arthur Saviles Verbrechen

Aufgespießt: die Verblendung der höheren Stände

In Lord Arthur Saviles Hand steht ein Verbrechen geschrieben: Mord! Dieser Auffassung ist zumindest Mr. Pdgers, ein Wahrsager, der mit seiner Kunst die Gäste von Lady Windermere unterhält. Wenig unterhaltsam ist seine Prophezeiung allerdings für Sir Arthur, der sich nun unentwegt die Frage stellt, an wem er dieses Verbrechen begehen wird, das ihm so offensichtlich vorherbestimmt ist.

Der Autor

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Donald Wollheim & Arthur Saha (Hg.) – World’s Best SF 2. Die besten SF-Geschichten des Jahres 1982

Classic SF: Solide US-Auswahl der Jahresbesten 1982

Diese Jahresbesten-Auswahl aus dem Jahr 1983 versammelt Erzählungen aus den Jahren 1981 und 1982. Unter den AutorInnen, die hier vertreten sind, finden sich Veteranen wie Frederik Pohl und James White ebenso wie Newcomer wie Bruce Sterling, Rudy Rucker und Jack Dann. Besonders erfreulich ist die Tatsache, dass nicht weniger als drei Frauen vertreten sind: Connie Willis, die inzwischen verstorbene Tanith Lee und die Feministin Joanna Russ.
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Terry Carr (Hrsg.) – Die schönsten Science Fiction Stories des Jahres #3

Von SF-Veteranen bis zum Cyberpunk: Classic SF

In dieser Anthologie sind 13 SF-Erzählungen amerikanischer und englischer AutorInnen vereinigt:

– die Novelle „Chrom brennt“ von William Gibson, einer der wichtigsten Erzählungen des Cyberpunk-Genres;
– Sowie „Schwarm“ von Bruce Sterling, einem weiteren Vater des Cyberpunk.
– Aber auch traditionsreiche Autoren wie Robert Silverberg (geboren 1936), Frederik Pohl (geboren 1919) und Ursula K. Le Guin (geboren 1929) sind unter den Ausgewählten.
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Hearn, Lian – Pfad im Schnee, Der (Der Clan der Otori – Band 2)

Japan, Ende des 15. Jahrhunderts: Eines Morgens wird Takeos Dorf überfallen, und er überlebt als Einziger. Lord Shigeru vom Clan der Otori rettet ihn und nimmt ihn in seine Familie auf. Von ihm, einem Helden wie aus versunkenen Zeiten, lernt Takeo die Bräuche des Clans. Er lehrt ihn Schwertkampf und Etikette. Die Liebe zu Kaede entdeckt Takeo allein.

Als er herausfindet, dass er dunkle Kräfte besitzt – die Fähigkeit, an zwei Orten gleichzeitig zu sein und sich unsichtbar zu machen, und dass er so gut „hören kann wie ein Hund“ -, gerät er immer tiefer in die Wirrungen der Lügen und Geheimnisse, aus denen die Welt der Clan-Auseinandersetzungen besteht. Trotz seines Widerwillens ist es ihm bestimmt zu rächen. Takeo verbindet sein Schicksal mit dem der Otori. (Verlagsinfo, modifiziert)

_Die Autorin_

Lian Hearn, die eigentlich Gillian Rubinstein heißt und vor etwa 60 Jahren geboren wurde, lebte als Journalistin in London, bevor sie sich 1973 mit ihrer Familie in Australien niederließ. Ihr Leben lang interessierte sie sich für Japan, lernte dessen Sprache und bereiste das Land.

[„Das Schwert in der Stille“ 950 ist der erste Band der Trilogie „Der Clan der Otori“. Der zweite Band „Der Pfad im Schnee“ ist im Herbst 2004 im |Carlsen|-Verlag erschienen und wurde im Februar 2005 bei |Hörbuch Hamburg| veröffentlicht. Der dritte Band „Der Glanz des Mondes“ soll im Mai 2005 erscheinen.

„Das Schwert in der Stille“, der mittlerweile in 26 Sprachen übersetzt wurde, ist für den |Deutschen Jugendbuchpreis| nominiert. Gillian Rubinstein wurde in Göteborg mit dem „Peter Pan Award“ geehrt, denn die Trilogie „Der Clan der Otori“ ist beileibe nicht ihr erstes Werk, sondern sie hat bereits zahlreiche Kinder- und Jugendbücher verfasst. Mehr Infos unter http://www.otori.de.

_Handlung_

Die Vorgeschichte habe ich bereits in der Einleitung wiedergegeben. Es wäre überflüssig, sie zu wiederholen. Meine Inhaltszusammenfassung erwähnt natürlich einige Ergebnisse der Ereignisse von Band 1, „Das Schwert in der Stille“. Wer das Buch noch nicht gelesen hat, sollte daher diesen Abschnitt überspringen.

Am Schluss von Band 1 ließ Lord Shigeru sein Leben, nachdem auch Lord Iida getötet worden war. Als Folge dieser beiden einschneidenden Ereignisse kam es in der Hauptstadt Inuyama zu einem Aufstand, den sich die Armee unter Lord Arai zunutze machte, um die Macht zu übernehmen und die Tohan zu stürzen.

|Takeo|

Im Strudel dieser Gewalt werden Takeo und seine Geliebte Kaede getrennt. Während Kaede zu ihrem Elternhaus in Shirakawa zurückkehrt, will sich Takeo eigentlich für die Otori entscheiden, um sein Erbe anzutreten und Lord Shigeru, seinen Adoptivvater, zu rächen. Doch der „Stamm“, mit dessen Hilfe er Iida besiegt und Shigeru erlöst hat, besteht darauf, dass Takeo als einer der Ihren gehorcht und sich in eine Ausbildung begibt.

Takeos Vater war ein Angehöriger des Stammes, der abtrünnig wurde. Da er als Attentäter um zu viele Geheimnisse wusste, musste er sterben. Wenige Jahre, nachdem Takeo und seine Schwestern gezeugt wurden, töteten ihn Stammesangehörige. Doch selbst als Takeo herausfindet, wer dafür verantwortlich war, kann er nichts deswegen unternehmen. Nun haben sich seine Ausbilder als ebensolche Heuchler herausgestellt wie Shigerus Onkel, die immer so wohlwollend taten.

Als sie ihn losschicken, um Shirgerus geheime Aufzeichnungen über den „Stamm“ zu stehlen, weiß er, dass ihn sein begleitender Ausbilder Akio Kikuta nach der Ausführung töten soll. Daher flieht er mit Unterstützung von Shigerus Haushofmeister Ichiro so schnell er kann zum Kloster Terayama. Erstens ist dort Lord Shigeru begraben, und zweitens befinden sich dort, gut versteckt, die Dokumente mit den Geheimnissen des Stammes.

Doch der Weg über die Berge ist weit und beschwerlich. Zweimal wird Takeo von Stammensleuten angegriffen. Zweimal erhält er unerwartete Hilfe. Ein totgeglaubter Gerber, der zu den ausgestoßenen Verborgenen gehört, begleitet ihn zu einem Orakel, das Takeo prophezeit, er werde das Land einen, aber zu einem hohen Preis. Der zweite Helfer ist der Mönch Makoto, und er berichtet schreckliche Dinge, die Takeos Geliebter Kaede zugestoßen seien. Und er Unglückseliger sei schuld daran.

|Kaede|

Lady Shirakawa Kaede sieht den Gutshof ihres Elternhauses verwüstet und heruntergekommen. Ihr Vater, der zu Iida gehalten hatte, ist von Arai geächtet worden und sollte sich eigentlich selbst töten, um seine Ehre zu bewahren. Da er dies nicht getan hat, haben die Schuldgefühle zunehmend seinen Verstand verwirrt. Um ihn nicht zu schocken, sagt ihm seine Tochter Kaede, dass sie die Witwe von Lord Otori Shigeru sei und dessen ungeborenes Kind trage.

Dass dies deftig geflunkert ist, fliegt erst auf, als sie bei einem ihrer Besuche des Nachbars, des Edelmanns Fujiwara, den Mönch Makoto aus Terayama antrifft. Diesem rutscht leider die Wahrheit heraus, die für Kaedes Vater noch mehr Schande bedeutet: Sie ist weder Shigerus Witwe noch ist Shigeru Vater ihres ungeborenen Kindes (das ist vielmehr Takeo). Ihr Vater will sie töten, bevor sie noch mehr Männern als ohnehin schon den Tod bringt. Allerdings hat er die Rechnung ohne die Stammesangehörigen gemacht, die Kaede schützen.

Nach dem Tod ihres Vaters und dem Verlust ihres Ungeborenen ist Kaede dem Tode nahe, doch Fujiwaras erfahrener Arzt kümmert sich um die Todkranke (wie auch um deren ziemlich lebendige Zofe Shizuka).

Und diesen Stand der Dinge erzählt Makoto seinem Freund Takeo. Zusammen machen sie sich eiligst auf ins Kloster, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Doch der Winter ist mit Schneesturm und Eis übers Land hereingebrochen, und an Fußreisen ist nicht zu denken. Das bietet Takeo viel Gelegenheit, die Geheimnisse des Stammes zu erforschen und seine Schwertkampfkunst zu vervollkommnen. Denn wenn der Frühling kommt, naht die Zeit des Krieges und des Wiedersehens mit Kaede.

_Mein Eindruck_

„Der Pfad im Schnee“ ist der typische Mittelband einer Trilogie. Der wirkliche Action findet in Band 1 und 3 statt, weil dort Auftakt und Finale erfolgen. Doch in Band 2 werden die Folgen der ersten Auseinandersetzungen und der ersten Begegnung der Liebenden geschildert. Natürlich finden auch hier einige dramatische Szenen statt und wichtige Entscheidungen werden gefällt, so dass man durchaus von einer Wende im Verlauf der Gesamthandlung reden kann. Doch Zweikämpfe findet man hier nur am Rande und eine Schlacht schon gleich gar nicht.

|Entscheidungen|

Vielleicht liegt es auch an der Jahreszeit. Der Herbst geht seinem Ende zu, und alle Bewohner des Landes wissen, dass die Ernte nicht einmal halb so gut ausgefallen ist, wie sie es sein müsste, um alle durch den langen Winter zu bringen, der gut und gerne ein Vierteljahr dauert. Diese bedrückende Aussicht zwingt zu harten Entscheidungen, so etwa die, dass Kaede im Gegenzug für Lebensmittel dem Edelmann Fujiwara ihre wahre Geschichte erzählt. Natürlich unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit, aber wer weiß, ob sich der verschlagene Edelmann und Sammler, der sich bei Hofe auskennt, an dieses Versprechen halten wird?

|Takeo|

Takeo wiederum wählt das Erbe der Otori statt einer Zukunft als Ninja im „Stamm“. Als Folge sieht er sich ständiger Verfolgung und Angriffen ausgesetzt. Er kann froh sein, lebendig in Terayama anzukommen. Und ohne die Hilfe der einfachen Leuten und der Christen, den „Verborgenen“, hätte er es nie geschafft.

Takeo ist deshalb etwas Besonderes, weil er als dritten Anteil an seinem Charakter auch ein Christ ist und das sinnlose Töten, das die Lords praktizieren, ablehnt. Er, der als Einziger Frieden statt Gewaltherrschaft anstrebt, ist daher die große Hoffnung der Bauern, Ausgestoßenen und aller Kastenlosen. Da sein Adoptivvater Shigeru bereits als Gott verehrt wird und Takeo sich den Beinamen „Engel von Yamagata“ erworben hat, ist er für sie bereits zu Lebzeiten eine Legende, ein höheres Wesen. Obwohl er an ihren Kampffähigkeiten zweifelt, weiß Takeo auch, dass er mit den herrenlosen Söldnern und abtrünnigen Otori-Leuten, die sich ihm in Terayama anschließen, noch nicht gegen Lord Arai und das Haus Otori antreten kann. Vielleicht ist es eine Frage der Ausbildung.

|Psychologie und Lyrik|

Als Mittelband legt „Der Pfad im Schnee“ großes Gewicht auf psychologische Charakterisierung. Denn wie schon angedeutet, sind es vor allem Motive und Entscheidungen, die zu weiteren Aktionen führen – und diese Entscheidungen werden in diesem Band gefällt. Die Befindlichkeit der Figuren spiegelt sich oft in der sie umgebenden Natur wieder. Dieser literarische Kunstgriff, der an Poesie gemahnt, ist der Autorin sehr gut gelungen.

|Übermensch|

Wieder einmal konnte ich nicht umhin, Takeo wegen seiner übermenschlichen Fähigkeiten zu bewundern. Er hört und sieht schärfer als selbst seine Stammesgenossen, kann sich unsichtbar und ein zweites Ich erschaffen, während er sich selbst weiterbewegt. Auf diese Weise gewinnt er einige der Zweikämpfe, so etwa gegen seinen Ausbilder Akio.

Durch sein scharfes Gehör erfährt er auch, dass er einen Sohn gezeugt hat. Und er hatte geglaubt, die Stammesangehörige hätte ihn um seiner selbst willen geliebt. Ein weiterer Beweis für die Skrupellosigkeit, mit der der Meister des Stamms seine Untergebenen missbraucht.

|Die Übersetzung|

Irmela Brender ist eine der profiliertesten Übersetzerinnen von Kinder- und Jugendbüchern hierzulande. Auch diesmal gelingt ihr ein makelloses Kunst-Werk bei der Übertragung aus dem Englischen ins Deutsche. Die Sprachebene, die sie verwendet, ist natürlich nicht die des modernen Alltags, sondern die der klassischen Erzählung, also ein überhöhender Tonfall. Er passt ausgezeichnet zu dem Sujet der Liebe, der Ehre und des Kampfes.

Leider fehlt ein Glossar ebenso wie ein Personenverzeichnis, aber immerhin gewährt eine Landkarte Aufschluss und Orientierung. Ich habe darauf zwar nicht gefunden, wo die dargestellte Gegend liegt – im Westen der japanischen Hauptinsel, 100 km westlich von Hiroshima -, aber wenigstens kenne ich nun die Schreibweise der Namen. Und wenn im Text vom „Festland“ die Rede ist, kann es sich ja wohl nur um die Mandschurei oder das Reich der Mitte handeln.

_Unterm Strich_

Ich habe das Buch in weniger als zwölf Stunden gelesen, was doch für den flüssigen Stil und eine spannende, bewegende Geschichte spricht. Allerdings kannte ich bereits den Vorgängerband „Das Schwert in der Stille“, ohne den man nur wenig von der Handlung verstehen dürfte. Das Schicksal Takeos und Kaedes ist bewegend und auch für westliche Leser interessant.

Wer ein wenig über die altjapanische Kultur und ihre Werte – so etwa den Begriff der Ehre – weiß, wird mehr Gewinn aus vielen Szenen ziehen können. Sonst könnte es vielleicht doch ein wenig verwundern, warum zum Geier sich die Leute ständig selber umbringen wollen. Andererseits versteht man als heutiger Wessi Lady Kaede sehr gut, wenn sie selbst herrschen will und dies auch durchsetzt. Dadurch wirkt sie für traditonsbewusste – männliche – Japaner unnatürlich und sogar dämonisch. Diese Powerfrau erscheint als Killerfrau, denn in ihrer Umgebung sterben die Männer wie die Fliegen (siehe Band 1). Das wiederum lässt uns – vor allem die Frauen – lächeln. Das Buch bietet also beiden Geschlechtern etwas.

Im nächsten Band, der den Titel „Der Glanz des Mondes“ (eine Gedichtzeile) trägt, geht’s dann richtig zur Sache, und das Schicksal von Takeo und Kaede entscheidet sich ebenso wie das West-Japans.

|Originaltitel: Tales of the Otori: Book two: Grass for his Pillow, 2003
Aus dem Englischen übersetzt von Irmela Brender
Empfohlen ab 14 Jahren|

Black, Holly / DiTerlizzi, Tony – eiserne Baum, Der (Die Spiderwick-Geheimnisse 4)

In diesem Buch werden die spannenden und kuriosen Abenteuer dreier Geschwister fortgesetzt. Sie kommen aus der Stadt, müssen sich aber mit den Wundern und Gefahren des Landlebens herumschlagen. Und natürlich mit Elfen und Kobolden, nicht zu vergessen!

Diesmal verschlägt es das Trio in die Höhlen der Zwerge, gar nicht weit von ihrer Schule.

_Die Autoren_

Tony DiTerlizzi ist ein mehrfach ausgezeichneter amerikanischer Illustrator von Kinder- und Jugendbüchern sowie Rollenspielbänden. Zu seinen Werken gehören Arbeiten für Bücher von Tolkien, Anne McCaffrey, Peter S. Beagle sowie für das Kartenspiel „Magic the Gathering“ und „Dungeons & Dragons“. Er lebt mit seiner Frau Angela und seinem Mops Goblin (= Kobold!) in Amherst, Massachusetts, einem recht malerischen Städtchen in Neuengland. Lebte nicht auch die Dichterin Emily Dickinson dort? Mehr Infos: http://www.diterlizzi.com.

Holly Black wuchs laut Verlag in einem „alten viktorianischen Haus auf, wo ihre Mutter dafür sorgte, dass ihr die Geister- und Elfengeschichten nie ausgingen“. Ihr erster Jugendroman „Die Zehnte“ (2002) entwirft ein „schauriges Porträt der Elfenwelt“. Es wird von der American Library Association als „Best Book for Young Adults“ bezeichnet, eine gute Empfehlung für politisch korrekte Fantasy.

Holly lebt mit ihrem Mann Theo und einem „beeindruckenden Zoo“ in New Jersey. Mehr Infos: http://www.blackholly.com.

Die bisherigen Bände heißen:

1) Eine unglaubliche Entdeckung
2) Gefährliche Suche
3) Im Bann der Elfen
4) Der eiserne Baum

_Die Vorgeschichte_

Die Zwillinge Simon und Jared ziehen mit ihrer älteren Schwester Mallory von New York City aufs Land, nachdem sich ihre Eltern haben scheiden lassen. Sie leben jetzt bei ihrer Mutter, die sich nun keine New Yorker Wohnung mehr leisten kann, aber zum Glück noch ein Domizil von ihrer Großtante Lucinda überlassen bekommt: Haus Spiderwick. Es sieht wie eine Ansammlung übereinander gestapelter Hütten aus, findet Jared. Und ist mindestens hundert Jahre alt.

Als Jared erkundet, wohin der Speisenaufzug führt, landet er in einem geheimnisvollen Zimmer, aus dem keine Tür hinausführt. An der Wand hängt ein Porträt seines ehrwürdigen Ahnen Arthur Spiderwick, und auf dem Sekretär liegt ein altes, vergilbtes Blatt Papier. Darauf steht ein Rätsel, und obwohl Jared eigentlich nicht der Bücherwurm der Familie ist, muss er sofort das Rätsel lösen.

Hoch oben im obersten Kämmerchen des Hauses landet er endlich vor einer großen Truhe. Er strengt seinen Grips an und findet darin ein Buch. Es ist das allerseltsamste Buch, das er jemals gesehen hat. Es handelt von Elfen: „Arthur Spiderwicks Handbuch für die fantastische Welt um dich herum“. Das Wichtelmännchen Thimbletack, quasi der Hausgeist von Spiderwick, hat Jared ermahnt, das Buch schnellstens loszuwerden, doch der wollte nicht hören. Nun müssen alle die Folgen tragen.

_Handlung_

Mallory, die 13-jährige Tochter der Rumpffamilie Grace, hat einen großen Tag: Sie feiert beim Schulturnier im Florettfechten einen Sieg und erringt eine Medaille. Ihre Brüder Jared und Simon beobachten das Geschehen und bemerken erstaunt, wie sich ein anderes Mädchen an Mallorys Sporttasche zu schaffen macht. Und gleich darauf auch noch ein Junge.

Jared war noch nie ein Grübler und ergreift die Initiative. Er will die beiden zur Rede stellen, doch das gelingt ihm nur mit dem Jungen. Draußen auf dem Gang scheint sich dieser zu verwandeln und Jared zückt vorsichtshalber sein Messer. Da ergreift sein Gegner die Flucht, und es klingt, als lache er. Leider sind die Zeugen, darunter Jareds betrübte Mutter, keineswegs erbaut von Jareds geschickter Handhabung einer illegalen Stichwaffe auf dem Schulgelände und erteilen ihm einen zehntägigen Verweis. Das Messer kann er natürlich vergessen.

Vergeblich suchen Jared und Simon nach ihrer Schwester auf dem Schulgelände. Mallory erscheint wie vom Erdboden verschluckt. Nur ihre Medaille finden sie, in einem Kreis von Steinen. Auf einem der Steine steht „HANDEL“.

Hm, in der Nähe befindet sich ein Steinbruch, fällt ihnen ein. Mit einer Taschenlampe ausgerüstet, explorieren sie das Gelände und landen vor einem Steintor mit der rätselhaften Inschrift: „RÜDE ALM TOPF NUR ELF KAI“. Die Inschrift besteht aus selbst leuchtenden Pilzen. Ulkig, und was bedeutet das?

Nachdem es Simon, dem Schlaukopf, gelungen ist, das Rätsel zu lösen, werden sie am Tor von drei Zwergen mit langen Bärten begrüßt – und sogleich gefangen genommen! Eingesperrt in einen Käfig auf Rädern, stehen sie bald dem Zwergenkönig, dem Korting, gegenüber. Es geht – wie könnte es anders sein – um einen HANDEL: Mallory gegen das „Handbuch für die fantastische Welt um dich herum“.

Damit hat Jared gerechnet und ein Buch mitgebracht, natürlich nicht das „Handbuch“. Womit er hingegen ganz und gar nicht gerechnet hat, ist, seine Schwester in einem gläsernen Sarg wiederzufinden. Sie ist gekleidet in ein weißes Gewand, hält ein Schwert und ist scheinbar – kann es sein? – tot! Schneewittchen lässt grüßen.

_Mein Eindruck_

Anders als der Vorgängerband ist „Der eiserne Baum“ geradezu prallvoll mit Action und unerwarteten Wendungen. Schon im ersten Drittel der Geschichte kommt es zu einer ersten Auseinandersetzung, doch der Gegner verhält sich anders als erwartet, und Jared hat keine Chance herauszufinden, um wen es sich handelt. Es würde ihm sowieso keiner glauben, was er gesehen hat.

Im zweiten Drittel stehen die Zwerge im Vordergrund. Es ist eine recht interessante Kultur, auf die Jared und Simon treffen. Da Zwerge bekanntlich Meister im Verarbeiten von Metallen und Edelsteinen sind, glänzen und funkeln ihre unterirdischen Hallen nur so davon. Aber sie können noch mehr: Sie sind auch unübertroffen im Herstellen von künstlichen Organismen. Ihre Wachhunde bestehen komplett aus Metall und erscheinen beinahe lebendig. (Wie lebendig sie sind, erfahren die Geschwister auf ihrer Flucht.)

Höchst interessant ist die Überzeugung der Zwerge, den Tod durch ihren Erfindungsreichtum besiegt zu haben. Von Blumen über Vögeln bis hin zu einem ganzen (titelgebenden) Baum besteht alles aus Metall. In merkwürdigem Gegensatz zu dieser Überzeugung steht hingegen, dass die Gesichter aller Zwerge runzlig vor Alter sind. Nichtsdestotrotz glauben sie, dass sie Mallory, ihrem Schneewittchen, einen Gefallen getan haben: Sie sei nun nicht mehr sterblich wie ihre beiden bedauernswerten Brüder.

Allerdings sehen diese die Angelegenheit ganz anders und denken fortan nur noch an Flucht – mit ihrer Schwester, versteht sich …

Mulgarath – ein Name, den man sich merken sollte. Der Name fiel bereits am Rande der Handlung in Band 3, doch hier hat das Wesen mit dem düsteren Namen einen eindrucksvollen und – besonders für die Zwerge – verhängnisvollen Auftritt. Ich fürchte, die Geschwister werden noch enge Bekanntschaft mit ihm schließen müssen.

|Illustrationen und Übersetzung|

Diese Abenteuer erstrecken sich über mindestens sechs Bände, alle davon sehr schön illustriert und buchbinderisch wertvoll gestaltet (Fadenbindung – wo gibt’s das heute noch?). Der Illustrator Tony DiTerlizzi bedankt sich für die Inspiration dazu bei Arthur Rackham, einem der berühmtesten Zeichner für Kinderbücher aus der viktorianischen Ära. Rackham illustrierte beide Bücher über „Alice im Wunderland“ und natürlich auch „Grimms Märchen“ (sehr schön in der |Heyne|-Ausgabe).

Das klingt nach einem netten Bilderbuch, und das ist es auch. Es eignet sich wohl ab acht bis zehn Jahren – leider fehlt hier ein Hinweis vom Verlag. Mallory ist jedenfalls schon 13 und kann immer noch etwas mit dem Elfenbuch anfangen. Ältere Leser finden die Bilder vielleicht hübsch, aber die Handlung ist für sie wohl nicht so der Hit. Kinderkram, oder?

Schade nur, dass die Abenteuer jeweils nur 128 Seiten lang sind. Davon entfallen rund 20 Seiten auf Vor- und Abspann, und vom Rest wiederum etwa die Hälfte auf Illustrationen. Kein Wunder also, dass ein Erwachsener solch ein Buch binnen einer Stunde gelesen hat. Die Sprache ist relativ einfach gehalten (aber nicht mehr so einfach wie am Anfang), und die Übersetzerin Anne Brauner hat das Original angemessen übertragen.

_Unterm Strich_

Der vierte Band der „Spiderwick-Geheimnisse“ führt zu einem dramatischen Höhepunkt im Leben der Geschwister. Nicht nur, dass ihre Mutter Jared nun zu seinem Vater Richard weggeben will, nein, da wird auch noch Mallory entführt und muss unter Lebensgefahr befreit (wiederbelebt?) werden. Am Schluss stehen sie ihrem größten Widersacher gegenüber. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht.

Ich fand Band 4 daher zufrieden stellender als das etwas handlungsarme „Im Bann der Elfen“. Wieder einmal gilt es, die solide und schöne Gestaltung des Buches hervorzuheben. Erstaunlich ist die detailgetreue Wiedergabe des Dokumentes, auf dem die Schulrektorin Jared der Schule verweist. Diese Wiedergabe erfolgt nicht auf dem normalen Buchpapier, sondern auf Hochglanzpapier, so dass man bestmögliche Qualität genießen kann. Gut fürs Kleingedruckte.

Der nächste Band trägt den nicht ganz unerwarteten Titel „Der Zorn des Mulgarath“.

|Originaltitel: The Spiderwick Chronicles 4: The Ironwood Tree, 2003
Aus dem US-Englischen übersetzt von Anne Brauner|
Englische Webseite der Serie: http://www.spiderwick.com

http://www.spiderwick.de

Joe Haldeman – Der Herr der Zeit

Intelligente Wells-Parodie: Zeitreise per Zufall

Hochschulabbrecher Matt Fuller schlägt sich als einfacher Forschungsassistent am Massachusetts Institute of Technology durch. Als er sich gerade mit den Quantenbeziehungen zwischen Gravitation und Licht beschäftigt, verschwindet plötzlich sein Kalibrator – und taucht eine Sekunde später wieder auf. Und jedes Mal, wenn Matt den Reset-Knopf drückt, verschwindet die Maschine zwölfmal länger. Nachdem er mit dem Kalibrator herumexperimentiert hat, kommt Matt zu dem Schluss, dass er nun in Besitz einer Zeitmaschine ist, mit der er Dinge in die Zukunft schicken kann…

Nichts scheint dagegen zu sprechen, dass Matt selbst eine kleine Zeitreise unternimmt. Also landet er in der nahen Zukunft – wo er wegen Mordes am Besitzer des Autos verhaftet wird, welcher tot umgefallen ist, als Matt direkt vor seinen Augen verschwunden ist. Die einzige Möglichkeit, der Mordanklage zu entgehen, besteht darin, weiter in die Zukunft zu reisen, bis er einen Ort in der Zeit findet, an dem er sich in Ruhe niederlassen kann. Doch was ist, wenn solch ein Ort gar nicht existiert? (gekürzte Verlagsinfo)
Joe Haldeman – Der Herr der Zeit weiterlesen