Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Bruce Sterling – The Zenith Angle

Spannend, witzig und aktuell: Cyberwar-Thriller

Der engagierte Science-Fiction-Autor Bruce Sterling, ein alter Freund und Kampfgenosse von William Gibson, erzählt vom Amerika nach den Terrorangriffen des 11. September 2001 und dem nachfolgenden Börsen-Crash. Prof. Derek Vandeveer ist Experte für Computersicherheit und wechselt in eine Regierungsbehörde. Dort gehen ihm die Augen auf, doch ihm soll ein schwarzer Peter untergeschoben werden: die Fehlfunktion eines Spionagesatelliten. Rechtzeitig gewarnt, kann er der Falle zunächst entgehen, doch wer sind die eigentlichen Hintermänner? Sitzt der Feind irgendwo im Mittleren Osten – oder bereits mitten im eigenen Land?

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Tanith Lee – Vazkor (Birthgrave-Trilogie 2)

König Oedipus als Actionheld und Zauberer

Jahrtausende nach dem Ende der Zivilisation wird die Welt von wilden Stämmen beherrrscht, den Krarls. Unter ihren Kriegern tut sich Tuvek hervor, der als einziger im Stamm schwarzes Haar besitzt. Als seine Mutter gestorben ist, offenbart ihm die Heilerin, dass er keineswegs der Sohn des Häuptlings ist, sondern das untergeschobene Kind einer fremden Sklavin: Vazkor. Nun muss er nach seiner wahren Bestimmung suchen, nach seiner wirklichen Mutter.

Die Autorin
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J.R.R. Tolkien – Bauer Giles von Ham (Lesung)

Seit 2005 ist eine der besten Geschichten John R. R. Tolkiens auch auf CD als Hörbuch zu haben, und das zu einem günstigen Preis und in guter Qualität.

Die Geschichte ist voll Humor, wenn nicht sogar voll Ironie, und beschreibt den Einbruch des Fantastischen in die ländliche Gesellschaft des englischen Mittelalters – bei „Bauer Giles“ in Gestalt eines Drachen. Ungewöhnlich für Fantasygeschichten: In „Farmer Giles“ findet eine Revolution von unten statt! Gewöhnlich wird in Fantasy der Zustand der Harmonie wiederhergestellt, was sie häufig so schrecklich konservativ erscheinen lässt. Nicht so bei Tolkien!

Geeignet ab 7 Jahren.

Handlung
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John Moore – Hauen und Stechen

_Die erotischen Nöte des allzu edlen Prinzen_

Dornröschen, der edle Prinz, Wilhelm Tell, Aschenputtel und böse Drachen – sie alle geben sich ein humorvolles und überraschungsreiches Stelldichein in dieser netten, kurzweilig erzählten Fantasyparodie.

_Handlung_

Prinz Charming von Illyria hat eigentlich den geilsten Job, den man sich nur vorstellen kann: Er darf Jungfrauen aus der Not retten – sei es vor einem bösen Zauberer, einem ebensolchen Riesen oder einem Untier (Drachen sind diesbezüglich einschlägig vorbestraft). Auch Dank für die Rettung hagelt es regelmäßig: ein Küsschen hier, eine keusche Umarmung dort. Das Beste daran: Die ganze Plackerei mit dem Gepäck übernimmt sein Gehilfe Wendell. Doch im Gegensatz zu Charming steht der elfjährige Wendell überhaupt nicht auf hübsche Frauen und pralle Titten. Er will nur eines: gutes Essen! Was auch recht befriedigend sein kann.

Obwohl nun Prinz Charming genügend Anlass hätte, zufrieden den Ruf eines John Wayne in allen 20 Königreichen zu genießen, ist er nicht zufrieden. Etwas Wichtiges fehlt ihm. Natürlich liegt es an den Frauen. Sie sind einfach zu keusch, unschuldig, rein und jungfräulich. Daher ist er es zu seinem Leidwesen auch (das mit „unschuldig“ sollte man nicht zu genau nehmen). Aber er beugt sich dem Willen seines Vaters und des Geheimdienstministers: Was würden die Untertanen sagen, wenn Prinz Charming seine Rettungsdienste egoistisch ausnützen würde? Kein anderes Königreich würde ihn mehr zu Hilfe rufen – und, zack, schon bald wär’s mit Illyrias Glorie vorbei.

Der Prinz seufzt und macht sich zum nächsten Auftrag auf. Dieser jedoch hat es in sich und stürzt Illyria in die größte Krise seiner Existenz. Schuld daran ist Dornröschen. Diese unschuldige und wie üblich beinahe auch keusche Jungfrau rettet Charming unter größten Mühen aus ihrem Schloss, weil sich dort der Gral befinden soll, den eine böse Zauberin als Gegenleistung für die Freiheit ihrer Stieftochter Anne verlangt.

Die ganze Sache entwickelt sich nun extrem peinlich: Dornröschen, pardon: Prinzessin Aurora ist nämlich schwanger. Und das seit 20 Jahren. So lang lag sie unter dem Bann eben jener bösen Zauberin. Und von wem ist Aurora schwanger? Da war einst ein junger Prinz, ihr Verlobter, der jedoch in der Schicksalsnacht, als sie verzaubert wurde, gerade seine Bachelor-Party feierte. Als Aurora also am Hofe von Illyria auftaucht, erstarrt der König beim Anblick seiner früheren Verlobten.

Die Folgen für Charming sind fatal: Plötzlich ist er nicht mehr der Thronfolger, sondern nur noch ein hundsgewöhnlicher Nullachtfuffzehnprinz. Einzige Aushilfe verspricht der Gral. Eine Heldentat ohnegleichen muss her. Und koste es sein Leben …

_Mein Eindruck_

Dass man diesen Roman nicht allzu ernst nehmen sollte, macht schon das Titelbild klar: Es stammt von Josh Kirby und weist daher den gleichen Stil auf, den er für die Titelbilder der Scheibenwelt-Romane eines gewissen Terry Pratchett verwendete. Natürlich darf auf der Rückseite ein Verweis auf Pratchett nicht fehlen. Aber kann John Moore diesem Meister das Wasser reichen?

Moore schafft dies durchaus, allerdings ohne die zahlreichen Fussnoten des Briten und ohne großes Personal. Die Handlung ist dabei keineswegs vorhersehbar. Vielmehr überrascht Moore mit immer neuen reizenden – und völlig willkommenen! – Attacken auf Charmings Unschuld und Keuschheit. Die Frauenzimmer, die er aufbietet, sind zwar recht klischeehaft gezeichnet, erweisen sich aber als ernst zu nehmende Fallstricke auf Charmings verschlungenem Weg zum privaten Glück.

Viel witziger sind jedoch die Nebenfiguren. Da ist zum einen der fortschrittliche Magier Mandelbaum, der ziemlich kühne und verblüffende Einfälle hat. Auch wenn sie nicht immer auf Gegenliebe stoßen. Dann wäre da McAllister, der es wirklich auf Prinz Charming guten Ruf abgesehen hat. Schließlich wäre da noch Wendell zu erwähnen, der so jung, bodenständig und naiv ist, wie sein zartes Alter zulässt, aber doch weiß, worauf es ankommt: gutes Essen! Eine Krise des Staates ist schon daran zu erkennen, wenn ihm etwas den Appetit verschlägt.

_Unterm Strich_

John Moore ist ein parodistischer Fantasyroman gelungen, der ohne weiteres Drumherum seine klischeehaften Vorbilder der achtziger Jahre durch den Kakao zieht. Er belässt es zum Glück nicht dabei, sondern unterhält den Leser mit unerwarteten Wendungen, die mitunter sogar richtig verzwickt sein können – so etwa bei der Sache mit Auroras verzögerter Schwangerschaft und ihren unerwarteten Folgen für das illyrische Staatsgefüge. Die Frauen haben allesamt Erfolg, so oder so. Und die Männer müssen zusehen, wo sie bleiben. Fast wie im richtigen Leben.

|Originaltitel: Slay and rescue, 1993
256 Seiten
Aus dem US-Englischen übersetzt von Michael Siefener|

Anette Hinrichs – Nordlicht. Tod in den Fluten (Nordlicht-Krimi 05)

Frau über Bord!

Ein mörderischer Segeltörn auf der Flensburger Förde… Dauerregen und Starkwind über der Flensburger Außenförde, die direkt an Dänemark grenzt. Während eines Kundenevents auf einer Segelyacht geht die junge Bankerin Saskia Niekamp bei einem Wendemanöver über Bord. Wenige Tage später wird ihr Leichnam in Sønderby an der dänischen Küste angespült. Was zunächst wie ein tragischer Unfall aussieht, erweist sich als heimtückischer Mord.

Vibeke Boisen und Rasmus Nyborg ermitteln in der einflussreichen Welt von Vorstandsetagen und gut betuchten Kunden. Je tiefer sie graben, desto mehr belastende Erkenntnisse bringen sie über die Tote ans Tageslicht. Doch erst als sie auf die Verbindung zu einem alten, ungelösten Fall stoßen, kommen sie den wahren Hintergründen auf die Spur… (ergänzte Verlagsinfo)

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Becker, Rolf & Alexandra / Preissler, Peter M. – Gestatten, mein Name ist Cox: Eben war die Leiche noch da (Hörspiel)

Verbrecherjagd zum Takt der Discomusik

Moment – war da nicht eben noch eine Leiche? Na egal, denn wer Paul Cox kennt, wundert sich sowieso über gar nichts mehr. In diesem neuen verzwickten Fall liegt der Londoner Gelegenheitsdetektiv kaum in der Badewanne, als er auch schon unfreiwillig in einem Mordfall und Aktienraub verwickelt wird. Und wer ist wieder mal der Hauptverdächtige? Natürlich Cox himself.

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Wolfgang Jeschke (Hg.) – Fernes Licht. Die besten Erzählungen aus 40 Jahren Heyne Science Fiction

Preisgünstiger Auswahlband: klassische Science-Fiction-Erzählungen

Zum vierzigjährigen Jubiläum der Heyne-SF-Reihe gab Wolfgang Jeschke diesen Auswahlband zu einem besonders günstigen Preis heraus: über 1000 Seiten für nur 15 D-Mark. Allerdings fand sich darin kein einziger Beitrag außerhalb des anglo-amerikanischen Sprachraums. Das finde ich sehr schade.

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Malory, Thomas / Schalk, Gustav / Hackenberg, Stefan / Neuhaus, Volker – König Artus\‘ Tafelrunde: Parzival

_Tragikomisch: „Du sollst gerochen werden!“_

Obwohl Parzival abseits der königlichen Höfe aufgewachsen ist, kann seine Mutter nicht verhindern, dass es ihn an den Hof von König Artus zieht. Gekleidet wie ein Narr, macht er sich auf den Weg und beschwört durch sein unbedachtes Verhalten Unglück und Tod herauf …

_Der Autor_

Sir Thomas Malory wurde vielleicht 1416 geboren und starb eventuell 1471, aber beide Daten sind unsicher. Auch ist nicht völlig gesichert, ob es sich bei ihm um Sir Thomas Malory of Newbold Revel in der englischen Grafschaft Warwickshire handelt. Sein berühmtestes Werk, welches er im Gefängnis vor 1471 geschrieben haben muss, ist das Epos „Le morte d’Arthur“. Es wurde erst 1485 gesammelt und vom berühmten Buchdrucker William Caxton, dem Herausgeber der King-James-Bibel, veröffentlicht.

Malory stützte sich in seiner Darstellung der Artuslegende auf die Geschichten des Vulgata-Zyklus aus dem 13. Jahrhundert, auf das mittelenglische Gedicht „Morte Arthure“, auf das französische „Perlesvaus“ (= Parzival) und das englischen Strophengedicht „Le morte Arthur“ aus dem 15. Jahrhundert. Bemerkenswert ist in dieser Aufzählung von Quellen das Fehlen von Chretien des Troyes‘ arthurischen Werken. Chretien vollendete sein Epos „Perceval, ou Le conte de Graal“ aus dem Jahr 1182 nicht. Der Percival- oder Perceval-Stoff wurde im Königreich Burgund Anfang des 13. Jahrhunderts und von Wolfram von Eschenbach weiterentwickelt (1200-1210). Eschenbachs Version lieferte die Vorlage für Richard Wagners Oper „Parsifal“ (1882).

In der Fantasyliteratur diente die Story vom weltfremden Bauernjungen, der es zum Ritter und transzendenten König bringt, vielfach als Vorlage, so etwa in Lloyd Alexanders [TARAN-Zyklus 2850 und in David Eddings „Belgariad“ und deren Fortsetzungen. Dies bietet sich an, weil es im walisisch-keltischen Epenzyklus „Mabinogion“ eine Story namens „Peredur“ gibt, die sich auf die gleiche keltische Quelle wie Chretien de Troyes bezog. Hier wie dort kommt stets der Fischerkönig vor, der erlöst werden muss und sich als Jesusgestalt verstehen lässt.

Über Gustav Schalk, der offenbar der Bearbeiter der Malory-Version ist: Lehrer, Schriftsteller („Dr. Biedermann und sein Zögling“, Roman, 1886; „Stacheldrahtzäune“, Roman, 1910; „Parzival“, 1914).“

Immerhin: Die ersten Zeilen stammen aus dem Mittelhochdeutschen und sind höchstwahrscheinlich Wolfram von Eschenbachs Epos entnommen.

_Der Sprecher_

Thomas Friebe wirkt als Sprecher seit vielen Jahren an Produktionen für Hörfunk, TV und Werbung mit. Seine Stimme kennt man laut Verlag aus den Programmen der großen privaten und öffentlich-rechtlichen Sender. Er arbeitet zudem als Synchronsprecher und war an zahlreichen Hörspiel- und Hörbuchproduktionen beteiligt. (Verlagsinfo)

Regie führte bei dieser Hörbuchproduktion Stefan Hackenberg.

_Handlung_

Es war einst ein Ritter namens Gamuret, der heiratete in Bagdad eine Mohrin, die gebar ihm einen Sohn namens Feirefiz. Das heißt so viel wie „bunter Sohn“. Rastlos ritt Gamuret jedoch wieder in die Lande, gewann ein Turnier und begehrte die Prinzessin Herzeleide zur Frau. Doch als ihn der Kalif von Bagdad zum Dienst rief, folgte er dem Ruf, die Frau zurücklassend. Er fiel und sah Herzeleides schönen Sohn Parzival niemals. Herzeleide entschied, dass Parzival fern der Welt im Wald Saltane aufwachsen solle.

Parzival wird ein guter Jäger und Bogenschütze. Angesichts einen geschossenen Singvogels trauert er und geht zu seiner Mutter. Sie erzählt ihm von einem mächtigen Mann namens Gott und dessen Widersacher namens Teufel, der ein Verderber der Menschen sei. Parzival nimmt sich dies, wie alles, was seine Mutter sagt, zu Herzen. Als dann vier Ritter in den einsamen Wald kommen, staunt der Prinz sie an: Bestimmt sind sie der liebe Gott und seine Diener, oder? Er wirft sich in den Sand und bittet um Gottes Segen. Der aber sagt, er sei nur ein Ritter. Da will auch Parzival ein Ritter werden. Der Ritter fordert ihn auf, zu König Artus zu kommen.

Trotz der entsetzten Proteste seiner Mutter, die ihn nicht wie seinen Vater verlieren möchte, will sich Parzival auf den Weg zu Artus machen. Doch listig macht sie ihm eine Rüstung, die wie ein Narrenkleid aussieht. Als Pferd bekommt er einen alten Klepper und als Helm eine Schellenkappe. Zum Abschied gibt sie ihm eine Menge guter Ratschläge mit auf den Weg, bevor sie an gebrochenem Herzen stirbt.

|Parzivals Weg zu König Artus|

In einem Lager von Zelten stößt er auf eine schöne Schlafende, die er ohne zu zögern küsst. Schließlich gehört dies zu den mütterlichen Ratschlägen, oder nicht? Die Dame erschrickt zwar, doch seine kindliche Art beschwichtigt sie. Er nimmt ihren Ring entgegen, obwohl sie droht, ihr Gatte werde ihn erschlagen. Als Parzival fort ist, kehrt Herzog Orilus zurück und bemerkt, dass seiner Braut der Ring fehlt. Er nennt ihre Entschuldigungen Lügen. Unterdessen gelangt Parzival mit der Hilfe eines Fischers, den er mit einer goldenen Spange bezahlt, nach Nantes, wo König Artus Hof hält.

Doch als er sich der Städt nähert, reitet der rotgekleidete Ritter Yter von Gahefis heran, der Artus beraubt hat. Er schickt den närrischen Parzival als seinen Boten in die Stadt, um Artus herauszufordern. Da Parzival den König offensichtlich nicht kennt, übergibt er Yters Botschaft einem Ritter, der sich als Artus ausgibt. Parzival will jedoch unbedingt Ritter werden und bietet Artus an, für ihn in den Kampf zu reiten. Artus‘ Seneschall Kai rät, dieses Angebot anzunehmen. Und wenn Parzival siegen sollte – was er für ziemlich unwahrscheinlich hält -, dann gehöre Yters Rüstung natürlich Parzival und er werde Ritter.

Wir wissen ja schon, dass Parzival ein guter Jäger ist. Er wirft seinen verlässlichen Speer und streckt Yter damit nieder. Mit der Hilfe des Knappen Iwanet gelingt es ihm, Yters Rüstung diesem aus- und sich anzuziehen. Über dem Narrenkleid. Fortan reitet er als Roter Ritter durch die Lande.

|Parzival bei Gurnemanz|

Als ersten Mann lernt er Gurnemanz von Graharz kennen, der zu seinem Lehrmeister wird. Als Parzival beim Gastmahl erzählt, erkennt der Kreis, dass diesem jungen Springinsfeld offenbar die inneren Werte eines Ritters fehlen, von Weisheit ganz zu schweigen. Zu den Tugenden zählen unter anderem Keuschheit, Sittsamkeit und Unschuld. Gewarnt sei er vor diversen Lastern, und er solle seine Ehre über sein Leben stellen. Als König solle er Milde und Gerechtigkeit üben. Zum Schluss gibt Gurnemanz dem frischgebackenen Ritter aber einen verhängnisvolle Rat: Frage nicht so viel! Auch dies nimmt sich Parzival zu Herzen und übt sich ansonsten in Kampf- und Minnedisziplinen. Hierbei lehrt ihn Gurnemanz‘ Tochter Liatza, die sich in den blonden, blauäugigen Jüngling verliebt, doch der merkt leider rein gar nichts von ihrer Liebesglut.

|Parzival bei Königin Condwiramur|

Bei Abschied erzählt ihm Gurnemanz von seinen drei Söhnen, die alle im Kampf gefallen seien, und von seiner Nichte, Königin Condwiramur von Brobarz, die in der Stadt Belriga seit Jahr und Tag belagert werde. Ohne Schwierigkeiten reitet Parzival in die Stadt ein, wo die Menschen bereits hungern, und betritt die Burg, wo er die Königin wunderschön findet und sich auf der Stelle in sie verliebt. Er überbringt Gurnemanz‘ Grüße und lernt Condwiramurs Onkel kennen, darunter Kiot. Dann fordert er den Feind heraus, besiegt den Seneschall Kungrun des feindlichen Königs Chlamides.

Doch nach einer Atempause, während der Parzival die Königin heiratet, beginnt Chalmides die Belagerung Belrigas erneut. Nach einigem Hin und Her fordert Chlamides Parzival zum Zweikampf heraus, den Parzival selbstredend gewinnt. Doch er verschont Chlamides‘ Leben unter der Bedingung, dass er sich in den Dienst einer Dame namens Kunevara in Nantes stelle. Chlamides wird dort Ritter, sehr zum Ärger von Seneschall Kai, der von den Heldentaten dieses närrischen Roten Ritters nicht sonderlich angetan ist.

|Parzival auf der Gralsburg, 1. Durchgang|

Damit er seine Mutter wiedersehen kann, verabschiedet sich Parzival von seiner Frau, die darob betrübt ist. Im Abendlicht erreicht der Rote Ritter müde einen See, wo er auf einen seltsamen Fischer stößt. Der Mann sieht verhärmt aus, trägt aber edle Kleider. Er schickt den Ritter zur Burg Montsalvasch von König Titurel, die unter dem Befehl des Ritters Amfortas steht. Als Parzival deren Tore erreicht, bewundert er den riesigen Karfunkel, der rot auf der höchste Turmspitze funkelt. Indem er sich auf den Fischer beruft, wird Parzival willkommen geheißen und bewirtet. In einem Saal voller Pracht sitzt zu seinem Erstaunen der Fischer selbst auf dem Thron. Doch der Mann sagt nichts und Parzival fragt eingedenk Gurnemanz‘ verhängnisvollem Rat „Frag nicht so viel!“ ebenfalls nichts.

Auch als ein Diener eine blutige Lanze bringt, entlockt dies Parzival noch keine Frage. Schließlich erscheinen auch noch Jungfrauen, die alle etwas hereintragen, die schönste von ihnen trägt eine hell strahlende Schale. Obwohl die Jungfer Parzival erwartungsvoll anschaut, macht er immer noch nicht den Mund auf. Amfortas seufzt auf seinem Thron, die Jungfern treten ab, die Ritter sind betrübt, doch Parzival sieht ein bedeutsames Bild: einen Greis mit tiefem Frieden im Gesicht. Was mag es nur bedeuten? Am Schluss bringt ein Knappe ein schönes Schwert als Geschenk des Königs.

|Der Fluch|

Am nächsten Morgen ist die Burg wie ausgestorben, und Parzival reitet mit vielen ungestellten Fragen von dannen, doch nachdem sich das Tor hinter ihm geschlossen hat, hört er eine Stimme: „Tor! Stein statt Herz! Parzival wird’s büßen!“ Der solchermaßen Verfluchte gelangt in den schönen Wald Plinizol, wo König Artus gerade sein Jagdlager aufgeschlagen hat. Schnee fällt, viel Schnee. Doch in seiner Umnachtung bemerkt Parzival nichts davon. Erst als Artus‘ Jagdfalke eine Gans im Fluge schlägt und drei Blutstropfen in den Schnee fallen, stoppt Parzival wie hypnotisiert, denn er erinnert sich an seine Königin. Condwiramur wartet auf ihn.

Da man in Artus‘ Lager den seltsam träumenden Ritter bemerkt hat, reitet Ritter Segramors mit des Königs Erlaubnis zu ihm, um ihn herauszufordern. Segramors zu besiegen, ist für Parzival ein Kinderspiel, und Seneschall Kai sorgt für den Spott. Aber als er selbst den Roten Ritter aufs Korn nimmt, wird er schwer verletzt. Da ahnt Ritter Gawan, wer der Rote Ritter wohl sein könnte: Parzival! Als Gawan die Blutstropfen bedeckt, erwacht Parzival aus seiner Trance und wird in Artus‘ Lager gebracht. Lady Kunevare dankt ihrem Gönner und berichtet, dass sie König Clamides heiraten wolle.

|Cundrie|

Da reitet auf einem Maultier eine hässliche Alte ins Lager. „Wehe!“ krächzt sie, „Parzival ist verflucht!“ Cundrie, die Gralsbotin, zeigt auf ihn. „Du bist der Mann!“ Nachdem sie erklärt hat, worin seine Schuld gegenüber dem Gralskönig besteht, setzt sie hinzu, dass seine Mutter Herzeleide gestorben sei. Vor Gram weint Parzival bitterlich. Cundrie gebietet ihm, Buße zu tun, doch Parzival fragt in aller Unschuld erneut, worin seine Schuld bestehe. Cundrie bezichtigt ihn, mit Gott rechten zu wollen und ermahnt ihn erneut zu Buße, bevor sie davonreitet. Parzival irrt im Land umher, bis er Reue verspürt. Dann macht er sich erneut auf den Weg zum Gral, doch wie ihn finden?

|Parzival vor der Gralsburg, 2. Durchgang|

In einem verschneiten Wald an einem Karfreitag stößt der Rote Ritter auf einen Zug Pilger, einen Ritter und dessen Familie. Als Parzival nach der Gralsburg fragt, schickt der Ritter nach seinem Seelenarzt Trefrazent, der Parzival vermessen nennt. Als Parzival ihm von seinem schweren Los erzählt, berichtet ihm Trefrazent von seinem eigenen Abstieg im Leben. Nebenbei erwähnt er, dass dieser Wald schon zur Gralsburg gehöre. Er, Trefrazent, sei der Bruder von Parzivals Mutter Herzeleide, und auch der König Amfortas sei sein Onkel. Ach, was Parzival diesem nur angetan habe, als er ihn nicht von seinem Leid erlöste, das ihm ein heiliger Speer durch eine Wunde zufügte! Wie konnte er nur Amfortas‘ Leid so missachten? Parzivals Zeit der Prüfung sei noch nicht vorüber, und er werde noch viele Menschen erlösen müssen, bevor er Frieden finden könne.

|Feirefiz|

Geläutert verlässt Parzival Trefrazent und stößt zu König Artus, der ihn in seine Tafelrunde aufnimmt. Am Meer begegnet Parzival einem glanzvollen Ritter, der sofort angreift. Lanzen brechen, Schwerter klirren, doch die Kämpfer sind einander gleich an Kraft und Geschick, doch Parzivals Schwert bricht entzwei. Der Fremde gewährt Gnade und erzählt, er komme aus dem Orient, bewundere aber die Ritter der Franken. Er nennt sich Feirefiz von Anjou. Aber auch Aprzival beansprucht den Titel von Anjou, also müsse Feirefiz wohl sein Bruder sein. Als dieser endlich seinen Helm abnimmt, um sein Gesicht zu enthüllen, entdeckt Parzival, dass es schwarz und weiß gefleckt ist. Wahrhaftig, sein Halbbruder! Sie geloben einander Freundschaft.

Von Ritter Gamuret, ihrem gemeinsamen Vater, gibt es leider keine endgültige Nachricht. Doch als sie in Artus‘ Lager zurückgekehrt sind, wartet dort schon die Gralsbotin Cundrie auf Parzival: „Heil dir! Der Fluch ist von dir genommen. Dein Herz ist geläutert, die Schuld getilgt. Der Gral ruft dich, damit du sein Hüter und der König der Burg seiest.“ Dort werde er an Condwiramurs Seite mit seinen zwei Söhnen, darunter Lohengrin, herrschen. Feirefiz darf auf die dritte Fahrt zur Gralsburg mit.

|Parzival in der Gralsburg, 3. Durchgang|

Die Botin führt die zwei Ritter zur Burg, wo die Tempelritter sie begrüßen und hineingeleiten. Amfortas wartet auf seinem Thron. Als die Jungfrauen erneut in den Saal hereinschreiten, bringt die Schönste, Reponse de Joie, die Schale des Grals selbst. Da stellt Parzival endlich die ersehnte Frage an Amfortas: „Was fehlt dir?“ Amfortas seufzt auf und ist geheilt. Als er Parzival als einen Nachfolger einsetzt, leistet ihm der frischgebackene Gralsritter den Treueschwur.

|Wiedersehen|

Vor der Burg wartet schon Königin Condwiramur mit ihren Söhnen auf Parzivals Ankunft. Als Parzival zu ihrem Lager reitet, das ihr Onkel Kiot bewacht, stellt sich Parzival vor und wird hineingeleitet. Im Zelt sieht er drei rosige Gesichter der Schlafenden, die ihn an die drei Blutstropfen im Schnee gemahnen. Condwiramur erwacht und begrüßt ihren Gemahl mit Freude. Sie stellt ihn seinen Söhnen vor: Kardeis ist der ältere und soll über das Königreich Brobarz herrschen, doch Parzival bestimmt Lohengrin zu seinem Nachfolger auf der Gralsburg. Kiot soll Kardeis‘ Seneschall sein.

|Bekehrung|

Feirefiz begrüßt die Neuankömmlinge ebenfalls und schließt sich dem Fest auf der Burg an. Doch woher kommen all diese Speisen, fragt er. Vom Gral, antwortet Amfortas. Aber ich kann ihn nicht sehen, antwortet Feirefiz. Kein Wunder, denn Feirefiz ist ja schließlich ein Heide. Wie kann ich ein Christ werden, fragt Feirefiz. Na, so wie Reponse könne er sich taufen lassen, lautet die Antwort. Er lernt wie Reponse, ein guter Christ zu sein, lässt sich taufen. Endlich sieht auch er den Gral. Er freit um Reponse und nimmt sie nach ihrer Einwilligung zur Frau.

Nach der Hochzeit kehrt Feirefiz mit Reponse de Joie in seine Heimat zurück. Condwiramur wird auf der Gralsburg ihre Nachfolgerin. Eines Tages will auch der alte Greis Titurel Abschied von der Burg nehmen und sagt zu Amfortas‘ Nachfolger: „Gottes Segen auf dein und deiner Frau Haupt und für eure Herrschaft.“ Dann stirbt Titurel. Der Gralsritter Lohengrin, Parzivals Sohn, lässt sich als König am Rhein nieder und führt in seinem Wappen einen Schwan als Sinnbild.

_Zur Gralsgeschichte_

Das zentrale Motiv, um das es in der Story Parzivals geht, ist der Gral und die Zeremonie, in der er präsentiert wird. Denn Parzival lädt ja den Fluch auf sich, indem er es unterlässt, nach Sinn und Grund dieser Zeremonie zu fragen und so den siechen Fischerkönig Amfortas, den Gralshüter, zu erlösen.

Laut der „Encyclopedia of Fantasy“ bezeichnete das Wort „grail“ oder „graal“ in Altfranzösisch ein Serviertablett bei einem Diner. Chretien de Troyes übernahm diesen Begriff unverfälscht, begründet aber die Zeremonie nicht. Was hat es beispielsweise mit dem blutigen Speer und dem Schwert auf sich? Chretien verknüpft den Gral auch nicht mit Christus, sondern stützte sich vermutlich auf eine keltische Erzählung über Fruchtbarkeitsriten. Dort ist die blutende Lanze als phallisches Symbol für den Lebensspender bekannt und der Kessel Ceridwens als der Schoß, aus dem Leben entspringt.

In der keltische Artuslegende „Preiddeu Annwfyn“ aus dem Jahr 900 stehlen Artus und seine Mannen einen Kessel der Fülle aus der irischen Unterwelt Annwn. Dieser Kessel der Fülle, auch als Kessel der Wiedergeburt bezeichnet, war in der keltischen Mythologie einer der vier magischen Gegenstände der Macht und im Besitz der Göttin Ceridwen. Er stand für Wohlstand, Frieden und vor allem für Fruchtbarkeit, die angesichts der Plagen Mitte des 6. Jahrhunderts in England keineswegs selbstverständlich waren. Die anderen Objekte der Macht waren das Schwert Fragarach der Verteidiger, der Stein des Schicksals und der Speer des Lichtgottes Lugh. (Hier taucht der Speer wieder auf.)

All dies änderte sich, als der Burgunder Richard de Boron ca. 1212 den Gral mit Christus verknüpfte. Sein Gral-Epos „Joseph d’Arimathie“ (ca. 1200) scheint allerdings verschollen zu sein. Bei Boron ist der Gral jener KELCH, aus dem Jesus beim Letzten Abendmahl trank. Mehr noch: Der Kelch enthielt das Blut Christi, vielleicht weil darin Jesu Blut bei der Kreuzigung aufgefangen wurde. Daher auch Sangreal, Sangrail und Sangraal: heiliger Gral. Der Kelch steht als Symbol für das Leben, aber während der Zeit der Kreuzzüge auch als Symbol für ewiges Leben. Boron schrieb also christliche Propaganda.

Der anonyme Autor von „Perlesvaus“ gab dem Gral im frühen 13. Jahrhundert die Macht der Verjüngung. Im Vulgata-Zyklus der Artuslegende wurde aus dem einstigen Tablett endgültig ein Kelch. Sir Thomas Malory (s. o.) formulierte in „Le morte d’Arthur“ (1485) die einflussreichste Version der Gralslegende.

Artus‘ Königreich ist im Niedergang begriffen, denn Seuchen und Verfall greifen um sich. Manche sagen, dass der Grund darin lag, dass Sir Balin beim Töten von Sir Pelham die Lanze des Longinus verwendete, die eigentlich für das Spenden von Leben steht. Die Seuche erzeugt ein Ödland, und dessen Symbol ist der sieche Fischerkönig, der in der Gralsburg lebt. Artus betet um ein Zeichen, und in Camelot erhalten er und seine Ritter eine Vision des Heiligen Grals. Die Ritter machen sich auf, um den Gral zu finden und zu verstehen, nicht ihn zu besitzen.

Weder Sir Gawain noch Lancelot sind erfolgreich, da beide unrein sind (Lancelot treibt es ja mit Guinevere). In manchen Versionen sind Bors und Perceval (Parzival) erfolgreich, bei Sir Thomas Malory aber nur Sir Galahad. Was uns die Frage stellen lässt, wieso die vorgelesene Version die von Malory sein soll und nicht die von Eschenbach. Tatsächlich wird Malorys Name an keiner Stelle auf dem Hörbuch erwähnt!

Wie auch immer: Sir Galahad macht alles richtig: Er löst das Rätsel des Grals, verhilft dem Fischerkönig zur Genesung und bringt auf diese Weise dem Land wieder Wohlstand und Gesundheit zurück. Dadurch wurde die Gralsqueste ein Symbol für ein persönliches Leben, in dem der Lebende nach Vollendung strebt statt sich körperlich auf eine Reise zu begeben. Die Vollendung kann vielerlei Gestalt annehmen, so etwa moralisch, sittlich, ethisch, erotisch, besonders häufig aber in spiritueller Hinsicht. In der Literatur befindet sich der Protagonist häufig auf der Suche nach einem heiligen Gegenstand. Womit wir wieder bei den alten keltischen Objekten der Macht wären.

_Mein Eindruck_

Wie oben aus meinen Zwischenüberschriften zu ersehen, ist die ziemlich lange Geschichte Parzivals in etliche Abschnitte aufgeteilt und erreicht in diesen Stationen praktisch alle Standards, die wir heute von Fantasyabenteuern gewöhnt sind, in denen junge Männer oder Frauen sich so lange entwickeln, bis sie ihre volle Macht erreicht haben. Natürlich bleiben Rückschläge nicht aus, aber diese dienen einem Lernprozess, um eine höhere Ebene der Erkenntnis der Welt zu erreichen. So ergeht es ja Frodo und Sam bzw. Aragorn nicht anders.

So vertraut uns heute die Story anmutet, so fremd ist für uns allerdings die Sprache, in der sie präsentiert wird. In meinem Handlungsabriss habe ich die Alterümlichkeit der Formulierungen schon etwas anklingen lassen, aber im Original klingen sie noch um einiges seltsamer. Wenigstens ist es kein Mittelhochdeutsch, das uns Herr Schalk auftischt, aber eine Phrase wie „Du sollst gerochen werden!“ ist unfreiwillig komisch. Heute benutzen wir „gerochen“ für das Verb „riechen“ statt für „rächen“, wie der Autor es versteht. Das Partizip von „rächen“ lautet heute „gerächt“.

Ein weiterer V-Effekt tritt im Erscheinen eines veralteten Phänomens ein, das als „Minne“ bezeichnet wird. Die Minne ist die höfische Form der Liebe. Will heißen, ein Ritter bekundet zwar seine Liebe (ob er wirklich verliebt ist, steht auf einem anderen Blatt) zu einer edlen Dame (und nur zu einer solchen), die seiner Ehre und Minne würdig ist. Diese Dame wiederum wartet eine gewisse Zeit der Schicklichkeit, bis sie dem Ritter huldvoll ihre Gunst erweist – oder auch nicht. In Ritterfilmen wirft die entsprechende Dame ihr Handtüchlein dem Ritter zu Füßen, welches es selbstredend aufzuheben und an seine Lanze zu heften hat. Es gibt noch viele weitere Formen der Minne, die man aber alle bei Wikipedia nachschlagen kann.

_Der Sprecher_

Da das Hörbuch weder über Geräusche noch über Musik verfügt, ist es allein dem Sprecher überlassen, mit seinem Vortrag den Hörer zu bewegen und zu unterhalten. Nun ist aber Thomas Friebe zwar ein ausgewiesener Synchronsprecher, aber seine Kunst stellt er nur an wenigen Stellen eindrucksvoll unter Beweis. Er porträtiert den jungen Parzival mit einer etwas höheren Stimmlage, wie er sie auch für weiblichen Figuren wie etwa Condwiramur reserviert.

Sei es Jammern, Klagen oder Jubeln – hier tut sich Friebe keinen Zwang an. Er kann herausfordernd rufen wie ein angreifender Ritter, aber auch heiser krächzen wie die alte Gralsbotin Cundrie bzw. Kundry. Natürlich klingt auch der Greis Gurnemanz entsprechend ältlich und heiser. Mit zurückhaltenden Mitteln gelingt also dem Sprecher eine gewisse Charakterisierung der Figuren.

Aber das hat seine Grenzen: Nie wird eine individuelle Kennzeichnung erreicht, sondern stets nur eine Typisierung – der / die Alte krächzt, die Menge jubelt, der Ritter ruft und so weiter. Typen bereiten leider keine Überraschungen, weder in positiver noch in negativer Hinsicht. Man könnte also von einem „klassischen“ Vortrag sprechen, der keinerlei Ecken und Kanten aufweist. Das betrifft auch das Eingangszitat in Mittelhochdeutsch. Es klang für mich völlig fehlerlos.

_Unterm Strich_

Diese Prosa-Präsentation des „Parzival“-Epos stammt zwar von Gustav Schalk, geht aber entweder auf Sir Thomas Malory zurück, wie die einschlägigen Webseiten behaupten, oder auf Wolfram von Eschenbach, wie ich vermute (siehe den Abschnitt „Gralsgeschichte“). Auf dem Hörbuch selbst steht weder der eine noch der andere Name, sondern nur „Gustav Schalk“.

Der Prosatext ist wesentlich verständlicher als ein Erzählgedicht in Versen, wie es ein Epos wäre. Folglich fiel es mir leicht, der Story vom Aufstieg des Ritters Parzival zu folgen. Unfreiwillig komisch waren die veralteten Formulierungen wie „Du sollst gerochen werden!“ Am Schluss wird die Geschichte sehr fromm und ziemlich langweilig, weil alle heiraten oder bekehrt werden oder König, Prinz oder sonstwas werden.

Aber davor gibt es eine Menge Zweikämpfe. Dumm nur, dass wir vorher schon wissen, wie sie ausgehen, denn Parzival gewinnt immer. Das hätte man etwas spannender gestalten können. Schüler und Studenten finden aber jetzt immerhin einen leichten Zugang zu dem alten Epos aus dem 12. und 13. Jahrhundert; vielleicht haben sie sogar Spaß daran.

Das Hörbuch zeichnet sich durch nichts so sehr aus wie durch seinen klassischen Stil, der alle individuellen Ecken und Kanten vermeidet. Der Sprecher zeichnet keine Individuen, sondern Typen. Das ist zwar pädagogisch wertvoll, aber wenig unterhaltsam. Hier gibt es also keine Überraschungen.

|120 Minuten auf 2 CDs|
http://www.delta-music.com

Stroud, Jonathan – Bartimäus – Das Auge des Golem

_Dschinn trifft Golem: Die Fetzen fliegen!_

Der junge, ehrgeizige Nathanael strebt eine Karriere im von Zauberern beherrschten britischen Weltreich an. Seine dringlichste Aufgabe besteht darin, der immer dreisteren Widerstandsbewegung ein Ende zu setzen. Doch Kitty und ihre Freunde entkommen ihm immer wieder.

Dann wird London von einer neuen Serie Schrecken erregender Anschläge erschüttert. Steckt womöglich gar nicht der Widerstand dahinter, sondern etwas anderes, viel Gefährlicheres? Nathanael braucht dringend einen Verbündeten, der ihm hilft, Licht ins Dunkel zu bringen. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als erneut Bartimäus zu beschwören … (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Jonathan Stroud wurde im englischen Bedford geboren. Laut Verlag schreibt er bereits seit seinem siebenten Lebensjahr Geschichten. Während er als Lektor für Kindersachbücher arbeitete, verfasste er seine ersten eigenen Kinderbücher. Nach der Publikation seiner ersten beiden Jugendbücher widmete er sich ganz dem Schreiben. Er wohnt mit seiner Frau Gina, einer Grafikerin und Kinderbuchillustratorin, und der gemeinsamen Tochter Isabelle in St. Albans nördlich von London.

„Das Auge des Golem“ ist der zweite Band in der „Bartimäus“-Trilogie.

_Handlung_

Zwei Jahre sind vergangen, seit Zauberlehrling Nathanael sein großes Abenteuer mit dem Dämon Bartimäus hatte (in [„Das Amulett von Samarkand“). 353 Sie trennten sich voneinander, indem sie schworen, nie wieder etwas mit dem anderen zu tun haben zu wollen.

Doch die Zeiten ändern sich. Inzwischen ist Nathanael unter dem Zauberernamen John Mandrake in der Sicherheitsabteilung des Innenministeriums tätig. Sein Abteilungsleiter ist der unfähige Trottel Julius Tallow, doch Meisterin der Behörde ist die mächtige Jessica Whitwell. Und die untersteht direkt dem Premierminister Devereaux. Versteht sich von selbst, dass alle diese Beamten auch Zauberer sind. Auf die Gewöhnlichen blicken sie verächtlich oder bedauernd herab, je nach Naturell.

Diese Gewöhnlichen machen in letzter Zeit eine Menge Ärger. Nathanael ist damit beauftragt, deren Sabotageaktionen zu beenden und den „Widerstand“ auszurotten. Leichter gesagt als getan. Vor zwei Jahren hatte er schon einmal Kontakt zum Widerstand, und die Begegnung mit Kitty und ihren Gefährten war ihm nicht gut bekommen. Die Rebellin Kitty macht mit ihren Aktionen immer noch Schlagzeilen. Ihre Wege werden sich unweigerlich wieder mit denen Nathanaels kreuzen.

Doch der hat vorerst andere Sorgen. Ein unbekanntes Wesen, weder Dämon noch Dschinn, hat eine ganze Häuserzeile am Piccadilly in Schutt und Asche gelegt. Sogar kleinere Geister von Polizei und Innenministerium (= Agenten) wurden sofort eingeäschert. Während Julius Tallow den Widerstand dafür verantwortlich macht, hält Nathanael diese Idee insgeheim für absurd, doch auch er hat keine Erklärung. Leider stellen ihm seine Vorgesetzten ein Ultimatum: eine Woche, um die Sache aufzuklären.

Es gibt nur einen, der ihm jetzt noch schnell helfen kann: Bartimäus. Das hat aber einen gewaltigen Haken. Der alte Dämon kennt Nathanaels Geburtsnamen und kann ihn, wenn er will, mit diesem Wissen erpressen. Sie schließen einen Stillhaltepakt, der sechs Wochen gelten soll. Und keine Sekunde länger, denkt sich Bartimäus. Und was hat er von dem Pakt? Man wird ihn nicht für den Krieg in der Neuen Welt rekrutieren, solange er für Nathanael arbeitet. In Amerika soll’s ja wild zugehen, und so ist Bartimäus einverstanden …

Inzwischen rüstet sich der Widerstand zu einer neuen, spektakulären Aktion. Denn Kitty Jones, Nathanaels Widersacherin, findet heraus, dass sie eine natürliche Abwehrkraft gegen Magie besitzt. Deswegen blieb sie beispielsweise unversehrt, als ein magischer Flammenstrahl sie und ihren tschechischen Freund traf – er wurde völlig verbrannt ins Krankenhaus gebracht, sie hingegen hatte keinen Kratzer. Und als sie den Verursacher – es war unser Freund Julius Tallow – wegen der Attacke belangen wollte, glaubte ihr deshalb natürlich niemand.

Ein gewisser Mr. Pennyfeather holt sie in seinen Widerstandskreis. Nach einigen Monaten erfolgreicher Diebstähle beauftragt ein Unbekannter die Gruppe, aus der Gruft Gladstones, des zauberischen Staatsgründers, in der Westminster Abbey mehrere magische Gegenstände zu entwenden. Doch als die sechs Freunde dort eintreffen, stoßen sie in der geöffneten Gruft auf etwas, auf das sie in keinster Weise vorbereitet sind …

_Mein Eindruck_

Nach einem furiosen Prolog, der die Eroberung Prags durch britische Truppen im 19. Jahrhundert schildert – Bartimäus stand auf der Seite der Verteidiger – plätschert die auf Nathanael und Kitty verteilte Handlung so vor sich hin, bis endlich das unsichtbare Monster, das eine Londoner Häuserzeile zerlegt, auftaucht. Dann plätschert sie weitere hundert Seiten, bis schließlich Bartimäus auftaucht. Endlich!

Die freche Ausdrucksweise des 5000 Jahre alten Dschinns verleiht dem ansonsten kreuzbraven Stoff so etwas wie Pfeffer, und mit jeder Menge Ironie weiß Bartimäus die erfolglosen Bemühungen seines Meisters Nathanael – er nennt ihn auch mal „Natty“ – durch den Kakao zu ziehen. Da „Natty“ null Ahnung von Politik hat, peilt er auch nicht, wie ihm übel mitgespielt wird. Die vieltausendjährige Erfahrung des Dschinn kann ihm da nur eine willkommene Hilfe sein. Sollte man meinen, doch da kennt man die Zauberer nicht. Hochnäsige Burschen allesamt, die sich auf ihre Bildung und Macht wunder was einbilden. Und Nathanael, kaum 14, zieht sich auch noch an wie ein [Dandy. 716 Für Bartimäus grenzt es an ein Wunder, dass er überhaupt etwas auf die Reihe kriegt.

Der Dschinn sorgt jedoch für jede Menge Action in den Straßen und Gassen der britischen Hauptstadt, und da er über einige Macht verfügt, übernimmt er schon bald das Kommando über einige weniger mächtige Geisterwesen. Allerdings hat auch er nicht mit einem leibhaftigen Golem gerechnet, der sich durch einen Finsterniszauber unsichtbar machen kann. Daher ist das Rätsel, wer den Golem geschaffen hat und ihn lenkt, auch eher in Prag zu lösen als in London. Dort tappt Natty auch prompt in eine Falle. Bartimäus hatte ihn gewarnt, aber der blasierte Brite wollte nichts davon hören.

Wenigstens ist Nathanael wieder zurück, als das Desaster in der Westminster Abbey für alle offensichtlich wird. Und ein weiteres Monster ist ausgebrochen, um das sich Bartimäus kümmern muss. Ein ungewöhnlich humorvolles und respektloses Monster, darf ich verraten, ein Monster, das richtig gute Laune verbreitet (außer bei seinen Opfern). Nur wunderte ich mich dann doch etwas, wo denn der Golem, der zu Anfang für Furore gesorgt hatte, abgeblieben war.

Die restlichen 300 Seiten lesen sich praktisch von alleine, denn der Golem taucht dann doch wieder auf. So fiel es mir ziemlich schwer, das Buch aus der Hand zu legen. Wäre der schleppende Anfang nicht gewesen, würde ich dem Roman die volle Wertung nicht verweigern, aber so gibt’s einen leichten Abzug.

|Die Übersetzung|

Es ist sehr deutlich, dass die Bartimäus- und die Kitty-Kapitel von zwei verschiedenen Übersetzern übertragen wurden. Ich tippe mal, dass Katharina Orgaß sich Kittys angenommen hat, was für Gerald Jung den beträchtlichen Rest übrig lässt. Auf die Bartimäus-Kapitel habe ich mich stets besonders gefreut, denn die Sprache ist aktueller und schnoddriger als die der etwas betulichen Kitty-Kapitel.

_Unterm Strich_

Ich fand „Das Auge des Golem“ relativ konstruiert, denn in der Mitte wundert man sich doch, was denn nun aus dem titelgebenden Ungeheuer geworden ist. Stattdessen steuert die zweigeteilte Handlung in eine ganz andere Richtung, und erst ganz am Schluss taucht das Lehmmonster wieder auf, quasi im Showdown. Dabei erweisen sich die besonderen Eigenschaften des Geschöpfes als verhängnisvoll für seinen Meister. Die Aussage des Autors: Terror kann den Herrschenden recht nützlich sein, wenn er sich dazu benutzen lässt, die Bürger – in diesem Fall die „Gewöhnlichen“ – unter Kontrolle zu halten und so die Herrschaft der obersten Klasse zu zementieren.

Diese Botschaft hat man schon viele Male vernommen, doch noch selten in einem Fantasyroman. Und ob sie die jungen Leser überhaupt erreicht, bezweifle ich. Es sei denn, diese jungen Leser hätten bereits Unterricht in „Gemeinschafts“- oder „Sozialkunde“ oder „Geschichte“ erhalten. Das jeweilige Alter kann man sich ausrechnen.

Man muss aber kein Terrorismusexeperte sein, um „Das Auge des Golem“ trotzdem genießen zu können. Jungs wie Mädels werden gleichermaßen von der Handlung angesprochen, wobei die Mädels die rebellische und misstrauische Kitty sicherlich sehr sympathisch finden werden. Nathanael, obwohl lernfähig und zunehmend desillusioniert, ist weniger eine Identifikations- , sondern eher eine Schießbudenfigur; ein radikaler Unterschied zum ersten Band. Deshalb halte ich es mit dem ironischen und sehr aktiven Bartimäus.

In jeder Verfilmung wäre der 5000 Jahre alte Dschinn, der uns im Buch mit seinen unzähligen Fußnoten ergötzt, zweifellos der Star. Und eine Verfilmung ist keineswegs auszuschließen. Schließlich hat auch die Harry-Schotter(c)-Reihe nur sieben Bände, und dann ist Schluss.

|Originaltitel: The Golem’s Eye, 2004
Aus dem Englischen übersetzt von Katharina Orgaß und Gerald Jung|

Colin Kapp – Der Ionenkrieg

Lady Absolut und ihr Supersoldat

Science-Fiction-Romane über Rebellionen gegen ein repressives Kolonialsystem hat es schon früher gegeben, beispielsweise etwa Robert A. Heinleins „Revolte auf Luna“ und „Der Mond ist eine herbe Geliebte“. Sie haben wohl auch viel Ähnlichkeit mit der amerikanischen Geschichte.

Auch Romane über interstellare Kriegsführung gibt es in der SF nicht gerade wenige, sei es nun aus pazifistischer Sicht wie Joe Haldemans „Der ewige Krieg“ oder mehr aus militaristischer wie etwa Heinleins „Starship Troopers“. Colin Kapps „Der Ionen-Krieg“ bedeutet in diesem Rahmen kaum eine Neuerung: Es ist Supersoldaten-Military SF auf niedrigem Niveau, aber mit einem ironischen Twist.

Der Autor
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Philip José Farmer – Die Liebenden

Subversiver Fremdkontakt

Hal Yarrow lernt auf dem Planeten Ozagen das Mädchen einer fremden Rasse kennen. Er verliebt sich in die Außerirdische, was nach den Gesetzen der Erde ein schweres Verbrechen ist. Das Mädchen gerät in tödliche Gefahr, als es schwanger wird. Yarrow bemüht sich verzweifelt um ihre Rettung und versucht, der unerbittlichen irdischen Justiz zu entkommen. Der Roman löste bei seinem Erscheinen 1952 in Amerika heftige Reaktionen aus, weil er erstmalig eine erotische Beziehung zwischen einem Menschen und einem Alien thematisiert. (Verlagsinfo)

Mit der Novelle „The Lovers“ erwarb sich der junge P.J. Farmer den Ruf eines Rebellen, stieß er doch mit dem Thema der Novelle – Sex mit einem Alien – eine Menge Leute vor den Kopf, v. a. Lektoren und Herausgeber. In der Romanfassung kommt dieser Zündstoff erst ganz am Schluss zum Tragen. Zudem wird die Wahrheit in einem langen Monolog eines der Wogs so reizlos präsentiert, dass sich der Abschnitt so aufregend wie ein Universitätsvortrag liest. Wer also „die Stellen“ sucht, sollte sich gleich auf die letzten zehn Seiten konzentrieren. Der Sex im restlichen Buch ist langweiliger als die Lektüre des „Playboy“.
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Julian May – Der goldene Ring (Pliozän-Saga 2)

Mit der Laserlanze in den Freiheitskampf

Die ins Pliozän verschlagenen Menschen haben es gelernt, mit den telepathischen Aliens, die die Erde vor sechs Millionen Jahren beherrschten und die Zeitreisenden aus der Zukunft versklavten, einigermaßen zurechtzukommen.

Manchen von ihnen ist diese Sklaverei ganz und gar nicht unangenehm, denn mit dem Halsring, den die Menschen zu tragen gezwungen sind und der die telepathischen Kräfte verstärkt, werden nicht nur Strafen, sondern auch Belohnungen verteilt, und ein goldener Ring verleiht geradezu göttliche Fähigkeiten. Doch es gibt genug unter ihnen, die das Joch der Fremden abzuschütteln gewillt sind.

Nachdem eine Laserlanze der Aliens in ihre Hände gefallen ist und nachdem sie den tödlichen Schwachpunkt der Beherrscher herausgefunden haben – die toxische Wirkung von Eisen -, wagen sie den Frontalangriff. (Verlagsinfo)

Die „Pliozän-Saga“, die auf deutsch bei Heyne erschien, ist eine der wichtigsten literarischen Leistungen der Science Fantasy während der achtziger Jahre. Der Pliozän-Zyklus ist die vierbändige Saga um das Schicksal einer Handvoll Menschen, die im Jahr 2110 freiwillig ins Zeit-Exil des Pliozäns vor ca. sechs Millionen Jahren gehen, um der Verfolgung von Psi-Begabten zu entgehen. Gegen dort herrschende Aliens müssen sie zahlreiche Kämpfe bestehen, entwickeln aber auch ungeahnte Fähigkeiten.

Eine Zusammenfassung der Ereignisse des 1. Bandes folgt am Beginn dieses Bandes. Wenn man also den 1. Band nicht besitzt, hat man wenig verpasst.

Die Autorin
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Wolfgang Jeschke – Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan. Erzählungen und Hörspiele

Das Orakel aus dem Heyne-Verlag

Wolfgang Jeschke ist seit vielen Jahren einer der herausragenden deutschsprachigen SF-Autoren. Dabei ist er nicht nur mit Erzählungen hervorgetreten, sondern auch mit fiktionalen Dokumentationen und etlichen wichtigen Hörspielen. Sein Werk mag schmal sein, doch sein Aussagengehalt und Ideenreichtum wiegt umso schwerer.

Diese Collection versammelt einige seiner besten Arbeiten, vor allem aber auch drei Hörspiele, die man in den „Gesammelten Werken“ (Shayol-Verlag) nicht findet.

Der Autor
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Gil Ribeiro – Spur der Schatten (Lost in Fuseta 02)

„Nach dem fulminanten Start seiner Krimireihe um Leander Lost, den so ungewöhnlichen wie liebenswerten Hamburger Kommissar in Diensten der portugiesischen Polícia Judiciária, führt uns Gil Ribeiro mit »Lost in Fuseta – Spur der Schatten« in einen äußerst spannenden Fall, dessen Hintergründe um die koloniale Vergangenheit Portugals kreisen.

»Ich habe das Gefühl, ich bin jetzt angekommen«, hatte Leander Lost schwer verletzt, aber glücklich zu seinen neuen portugiesischen Kollegen gesagt, nachdem sie in ihrem ersten gemeinsamen Fall den schmutzigen Geschäften eines Wasserversorgers an der Algarve auf die Schliche gekommen waren – und nachdem Lost endlich verstanden hatte, wie man einen gelungenen Witz macht.

So stürzt sich der schlaksige Deutsche und Asperger-Autist gemeinsam mit den Sub-Inspektoren Graciana Rosado und Carlos Esteves in die Ermittlungen um eine verschwundene Kollegin – zumal er fasziniert ist von der Tochter der Verschwundenen, die ähnlich eigenwillig auf die Welt zu blicken scheint wie er…“ (Verlagsinfo)

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Sarah – Ich bin gekommen. Erotischer Roman

Auf der Suche nach dem großen O

Sarah ist 20 Jahre alt, sie ist Studentin. Sie ist hübsch, kontaktfreudig, hat viele Begegnungen. Sie glaubt nicht an den Mythos der Liebe, will eine erfüllte Sexualität leben, ihre Wünsche und ihre Weiblichkeit voll und ganz annehmen. Sie hat eine Suche im Dasein: Freude zu erfahren. Durch diese rohe und direkte Erzählung einer jungen Frau – die unter einem Pseudonym schreibt, um ihre Familie zu schützen -, sind alle aktuellen Probleme der Behauptung einer freien und gewählten weiblichen Sexualität sichtbar. Und die Spannung bleibt bestehen: Mit welchem ihrer Geliebten wird es ihr endlich gelingen, ihr Ziel zu erreichen, und wie wird sie sich fühlen? (Verlagsinfo, maschinell übersetzt von Reverso)

Die Autorin

Der Autorenname ist ein Pseudonym.
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Etchison, Dennis – Schockzone

_Brandgefährlich: Zombie aus der Vergangenheit_

Dan Markhams frühere Geliebte ist zurückgekehrt – doch wer ist sie wirklich? Ist sie tatsächlich Judy, die damals in den Flammen umkam, oder doch Susan, eine Wahnsinnige, die vermutlich zwei Morde auf dem Gewissen hat? Jedes Familienmitglied – Dan, seine Frau Evie und der 13-jährige Horrorfan Eddie – erlebt eine andere Seite ihrer Persönlichkeit. Doch das Puzzle will sich nicht zu einem vollständigen Bild zusammenfügen.

_Der Autor_

Dennis Etchison, geboren 1943, schrieb wie die meisten Horrorautoren zuerst Kurzgeschichten. Er hat vier wichtige Anthologien veröffentlicht – bei |Heyne| erschien 1996 „Metahorror“ – und sich an Drehbüchern im Horrorbereich beteiligt. Von ihm stammen auch die Romanfassungen von John Carpenters Film „The Fog“ (1979), „Halloween II“, „Halloween III“ (unter Pseudonym) sowie „Videodrome“ (1982).

Für seine Werke erhielt er den |British Fantasy| und den |World Fantasy Award|. „California Gothic“ („Schockzone“) ist sein vierter Roman. Er lebt mit seiner Frau in Los Angeles und unterrichtet an der Universität.

_Handlung_

|PROLOG.| Der Arealwächter Sam Carlisle fährt mal wieder in einem der kalifornischen Canyons nahe Los Angeles Patrouille bei den meist vermieteten Häusern, als er einen Schuss hört. Dann folgen weitere, bis die Tonlage wechselt – offenbar eine andere Schusswaffe. Sein Hund Jimbo springt in die Schlucht, kaum dass Sam die Wagentür geöffnet hat, und Sam muss ihm folgen.

Am Boden des Tales entdeckt er eine nackte Frau mit einem .45er Revolver, deren Blöße nur von ihrem üppigen schwarzen Haar bedeckt wird. Sie hat hier Schießübungen gemacht, wie er an den vielen Glasscherben und zerbeulten Blechbüchsen ablesen kann. Ohne ein Anzeichen von Schamhaftigkeit lädt sie ihn auf einen Schluck in ihre Hütte ein. Sams Hund leckt sich dort die verletzte Pfote, denn er ist in eine Scherbe getreten.

Die Frau, die sich zuerst Judy und dann Susan Jones nennt, besitzt ein 22er Gewehr und eine Maschinenpistole, eine beachtliches Arsenal, mit der sich eine nackte Frau wohl gut verteidigen kann, deshalb versucht Sam auch keine Dummheiten. Seltsam, dass sie weder Pferde (da liegen zwei Sättel) noch einen Wagen hat. Sie wolle ihren Mann, denn sie seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen habe, in L. A. besuchen, sagt sie. Da kratzt Sams Hund Jimbo an der einzigen Tür der Hütte, die zum Hinterzimmer führt. Die Neugier verleitet Sam dazu, diese Tür zu öffnen.

Seinem Entsetzen und Grauen kann er leider nur kurz Ausdruck geben, den Judy oder Susan Jones schneidet ihm die Kehle durch und erschießt seinen Hund. Dann steckte sie alles in Brand. Als die Feuerwehr eintrifft, sind bereits alle Spuren vernichtet.

|Haupthandlung.|

San Fernando Valley, Los Angeles, 1999. An diesem Morgen erhält Dan Markham einen anonymen Brief, in dem eine gewisse „Jude“ ankündigt, sie werde zurückkommen. Diese Nachricht ruft in Dan, einem Buchhändler und verhinderten Poeten, ungute Erinnerungen wach. Denn das Mädchen, das er vor 17 Jahren als Judy „Jude“ Rios kannte und liebte, war in eine Satanisten-Sekte eingetreten, die sich „Church of Satan the Redeemer“ nannte, kurz CSR. Er dachte, die CSR wäre nur ein weiterer Baustein in der Subkultur Kaliforniens gewesen, doch es war eine Sekte, die Judy den Tod brachte. Wie also kann sie nach 17 Jahren zurückkehren?

Gleich nach Erhalt dieses Briefes fährt Dan weg, um mit seinem Kumpel und Geschäftspartner Lennie darüber zu reden: Soll er er seiner Frau Evie davon erzählen? Evie ist eine Realistin, die wird doch ausflippen, oder? Lennie rät ihm trotzdem, nicht zu lügen. Doch als Dan zurückkehrt, ist alles im Haus still. Der Baum im Garten ist umgestürzt und sieht aus, als wäre von einem Blitz gespalten worden. Er würde ihn kleinhacken müssen. Und wo ist Evie?

Sie schläft angezogen auf ihrem Bett im Schlafzimmer, dabei wollte sie doch eigentlich ihre Freundin Jean besuchen, Lennies Frau. Dan weckt Evie auf, die ihn benebelt anschaut, als wäre er der Mann im Mond. Sie müsse wohl einen Traum gehabt haben. Eine junge Frau habe sie besucht, um nach dem Weg zu fragen. Doch etwas an der Frau war seltsam, beispielsweise dass sie eine klobige Männerarmbanduhr trug und barfuß ging. Und als sie beide den umgestürzten Baum betrachtet hatten, da ging die Frau wieder, aber sie war nun dick, als wäre sie schwanger, hatte stämmige Beine – und trug nun einen goldenen Ehering. Evies eigener Ehering ist verschwunden. Als Dan ihr nun von „Jude“ erzählt, wissen beide genau, wer gemeint ist …

Während sich Evie in panischer Eile auf den Weg macht, um ihrer beider Sohn Eddie, einen 13-jährigen Fan von Horrorfilmen, im Kinoplex der Stadt zu suchen, fährt Dan mit Lennie zu einem Einlagerungskomplex, wo Leute ihre Sachen gegen Miete einlagern lassen können. Es soll sich um die nachgelassene Bibliothek eines Kunden handeln, und sie sollen sie auf ihren Wert schätzen.

Doch als Dan und Lennie in dem bezeichneten Lagerraum ankommen, finden sie Katie McKenna, ihre Angestellte, nur noch tot vor. Man hat ihr die Kehle aufgeschlitzt. Dan wird ganz flau im Magen, denn er erkennt das mit Katies Blut an die Wand geschmierte Symbol mit den acht Strahlen wieder. Es ist das Symbol der „Church of Satan the Redeemer“. Das verrät er aber niemandem, denn allein schon die Verbindung zu einem solchen Mörder könnte sich leicht als sehr geschäftsschädigend herausstellen.

Unterdessen lernt Eddie mit seinem Freund Tommy, ebenfalls ein Horrorfan, auf dem Schrottplatz eine interessante junge Frau kennen. Sie hat offenbar mit dem Betreiber des Schrottplatzes Raul geschlafen, um hier übernachten zu dürfen. Aber anstatt sich zu schämen, zeigt sich die junge Frau an den beiden Filmfreunden sehr interessiert. Seltsam, dass sie Eddie kennt und ihn „Edward“ nennt. Das tut sonst nur seine Mutter. Und als sie verraten, dass sie mit Tommys Kamera einen Film drehen wollen, beispielsweise „American Zombie III“, will sie sofort mitspielen. Gebongt!

Tja, und dann fragt sie Eddie, ob er wohl ein Streichholz für sie habe …

_Mein Eindruck_

Was so oberflächlich nach einer Horrorstory über einen Besuch aus dem Totenreich aussieht, ist bei genauer Betrachtung etwas völlig anderes, nämlich eine Untersuchung der Überreste dessen, was einmal die revolutionären Untergrundkämpfer in Kalifornien waren. Dazu muss man wissen, dass besonders um die Universität von Berkeley bei San Francisco marxistische Gruppen nach Bespitzelung und Unterwanderung in den Untergrund gingen. Die bekannteste davon waren die Weathermen, die sich nach einem Bob-Dylan-Songzitat nannten. Alle Gruppen wurden vom FBI gejagt und zerschlagen, ihre Mitglieder eingelocht.

Auch die fiktive „Church of Satan the Redeemer“, so erfahren wir aus Dan Markhams Äußerungen gegenüber Lennie, war wohl so eine revolutionäre Zelle, allerdings in L. A. Und er hatte sich mit Judy Rios eingelassen und sie wieder verlassen, bevor sie sich ihnen anschloss. Sagt er jedenfalls. Doch Dan Markham ist ein stilles Wasser, und die sind bekanntlich tief. Der Möchtegernpoet schrieb ihr Gedichte, die später im Rucksack von Judy/Susan auftauchen. Doch wer ist dann dieses Mädchen, das auf keinen Fall Judy Rios ist, selbst wenn diese durch einen Trick dem Feuertod entging?

Um dieses Rätsel zu lösen, ist es notwendig, den gesamten Text höchst aufmerksam zu lesen und alles, was über Dan und Judy/Susan gesagt wird, auf die Goldwaage zu legen. Der Autor hat eine clevere Erzählstrategie, die den nichtsahnenden Leser dazu bringt, nur die Oberfläche wahrnehmen zu wollen, weil die eben so spektakulär erscheint. Wow, ein Großbrand auf dem Schrottplatz – toll! Aber die wahren Sensationen liegen in dem, was nicht gesagt wird oder nur bei näherem Hinsehen auftaucht. Die Lücken muss der Leser selbst füllen.

Warum zum Beispiel behauptet das Mädchen, es werde bald in einem schönen Haus wohnen? Warum besucht sie Evie zuerst, dann Eddie, schließlich auch „Danny“? Sie betrachtet das Haus und dessen Bewohner bereits als ihr Heim und zwar nicht ohne guten Grund. Sie mag ziemlich psychopathisch sein und außerdem pyromanisch veranlagt. Sie hat ja nach Sam Carlisles Tod auch die Hütte abgefackelt. Scheint eine üble Angewohnheit zu sein. Sie ist eine Störung im sozialen Gefüge und will in Dans Familie aufgenommen werden – allerdings ohne Evie, ihre Rivalin, die sie zuerst verdrängen muss.

|SPOILER|

Es gibt nur einen einzigen Satz, in dem der Autor sagt, Judy/Susan sei Dans Tochter. Dies macht sie zu Eddies Halbschwester. Würde Eddie also mit ihr schlafen, wie sie es offenbar auf dem Schrottplatz vorhat, wäre das Inzest, ein Bruch des uralten Tabus. Mehr noch: Sie versucht auch Dan zu verführen.

|SPOILER ENDE|

In Judy/Susan ist die Vergangenheit, in deren Mittelpunkt Dans Kontakt mit den revolutionären Zellen stand, wieder lebendig geworden und droht Dans Leben zu zerstören. Da dies keiner in seiner Familie zulassen will, am allerwenigsten Dan selbst, muss das Mädchen sterben. Leichter gesagt als getan. Dans schwaches Herz, Symbol seiner Liebe zu Judy/Susans Mutter, gibt nach und lässt nicht zu, dass er sie tötet. Evie unterliegt im Nahkampf mit dem erstaunlich starken Mädchen. Bleibt also nur noch der Sohn übrig. Er muss sich von seinen Zombiefantasien freimachen, um es fertigzubringen, diese besitzergreifende Wiedergängerin, diese lebende Tote, zu töten. Er hebt den Revolver …

Ständig reden Eddie und Tommy und sein Vater von Horrorfilmen und Zombies, zumal sie alle das einschlägige Magazin „Schockzone“ lesen und lieben. Ja, Eddie geht sogar so weit, einen Filmdreh für „American Zombie III“ zu simulieren. Der Autor tut ihm den Gefallen, das entsprechende Drehbuch dazu zu liefern. War schon das ebenfalls abgedruckte Drehbuch zu Teil 2 von AZ ein Musterbeispiel für B-Movie-Horror, so ist AZ3 noch wesentlich schlimmer. Aber die Fortsetzung ist wenigstens konsequent weitergeführt. Wenn Judy/Susan auftaucht, so spielt sie optimal eine der beiden weiblichen Zombies Stacey oder Shannon. Hier wird der Übergang zur erzählten Realität fließend und als künstlerische Methode erkennbar.

Das florierende Zombiehorrorgenre (Eddie könnte schon mit 13 Jahren ganze Vorträge darüber halten) ist also eine künstlerische Aufarbeitung des mehr oder weniger unterbewussten Traumas Kaliforniens bzw. der USA, das seine revolutionären Bewegungen (in Montana und Oregon gibt es sie noch als rassistische Milizen) Ende der sechziger, Mitte der siebziger Jahre alle vom FBI zerschlagen ließ und somit eine Chance auf Besserung der Machtverhältnisse im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit vertat. Ob die Zombies nun das Schuldgefühl symbolisieren und es durch ihre Rückkehr wiedererwecken, darf jeder selbst so deuten.

Der Autor tut genau das, was jeder gute Horrorautor beabsichtigt: Er lässt die Vergangenheit wiederaufleben und in der Gegenwart auf mehr oder weniger übernatürliche Weise ihr Zerstörungswerk verrichten. Wenn die Gegenwart nicht stark genug ist, sich des Angriffs zu erwehren, dann ist sie nicht wert, gelebt zu werden. In den billigen Schundfilmen sind es immer die Korrupten, Scheinheiligen, allzu häufig auch die Schwachen und Ahnungslosen, die dem Angriff zum Opfer fallen. Im vorliegenden Roman sieht sich Dan Markhams Familie als Zielobjekt und gerät in Aufruhr.

Eines der ersten Opfer ist das Vertrauen, das Evie in ihrem Sohn zerstört, indem sie ihm nachschnüffelt. Wie genau es wiederhergestellt wird, erfahren wir nie. Das ist einer der Brüche. Vielleicht soll hier auch gar nichts gekittet werden. Wir sind vielmehr daran interessiert, wo in der Familie die Bruchlinien à la San Andreas Graben verlaufen. Dass auch Dan zu seinem Sohn kein besonders harmonisches Verhältnis hat, beweist wohl sein Faustschlag, den er ihm verpasst, eindeutig. Eine günstige Gelegenheit für Judy/Susan, Dan auf ihre Seite zu ziehen.

Doch dazu soll es nicht kommen. Am Schluss ist das Loch, das Dan am Anfang gegraben hat, wieder zugedeckt. Ein Hügel erhebt sich darüber. Wer weiß, was er alles bedeckt. Und wer weiß, wozu der Häcksler, der daneben steht, noch alles gut gewesen ist. Das Haus sieht gut aus, der Garten sieht gesund aus, die Markhams werden bleiben, ganz entgegen ihren ursprünglichen Plänen. Allein schon wegen dem, was unter dem Hügel liegt …

_Unterm Strich_

Bei näherer Untersuchung präsentiert der Autor, der ja selbst an einer Universität lehrt, eine Betrachtung des kalifornischen Albtraums. Die Hoffnungen der Spätsechziger und Siebziger wurden alle zerschlagen, was bleibt, sind Wiedergänger wie Judy/Susan Jones und Träumer wie Dan Markham und sein Kumpel Lennie. Das Zombiegenre ist die Personifizierung des Umgangs mit diesem Schuldtrauma, und Dans Sohn Eddie geht ganz kreativ damit um.

Natürlich gerät wie in jedem Horrorwerk, sei es Film oder Literatur, die Familie in Gefahr und muss mit der Bedrohung aus der Vergangenheit fertigwerden. Verwerfungen und Konflikte entstehen, vieles, das verborgen lag, wird sichtbar – und wird schließlich wieder mehr oder wenig geglückt zu Grabe getragen. Aber es gibt Kollateralschäden wie Raul, der Schrotthändler, oder Katie, die hübsche Buchhändler, die Lennie liebte. Wir erfahren nicht allzu viel über die Angreiferin – sie bleibt ein spannendes Mysterium. Was aus ihr wurde – der Rasen bedeckt ihr Geheimnis.

Etchison ist ein spannendes Stück Horror geglückt, das zunächst wie ganz normale Stephen-King-Durchschnittskost daherkommt. Doch mittendrin tauchen plötzlich Drehbuchseiten auf, die die normale Prosa überformen und einen Albtraum wecken. Die Grenze zwischen Film-Fiktion in der Fiktion und der fiktionalen „Realität“ – Markhams Familie – verschwimmt und wird schließlich aufgehoben. Das ist raffiniert, aber Etchison reicht das nicht. Der Leser ist gut beraten, jeden Satz genau zu lesen. Die Sätze sind einfach genug formuliert und sollten leicht zu verstehen sein. Das Problem besteht darin, die Lücken zwischen den Sätzen und Kapiteln aufzufüllen. Gut also, wenn man seine eigene Phantasie mitbringt.

|Originaltitel: California Gothic, 1995
219 Seiten
Aus dem US-Englischen von Ulrike Laszlo|

McGregor, Elizabeth – Eiskind, Das

Das Schicksal eines an einer Knochenmarkskrankheit leidenden Kindes ist auf vielschichtige Weise mit dem Schicksal der verhängnisvollen Expedition John Franklins verknüpft, der 1845 bis 1848 die Nordwestpassage durch die Arktis suchte. Ein spannender und sehr bewegender Roman, der Geschichtsdoku und Schicksalsdrama kombiniert.

_Die Autorin_

Elizabeth McGregor wurde in Warwickshire, Südwestengland, geboren und lebt heute mit ihrer Tochter in Dorchester. Für „Das Eiskind“ recherchierte sie u. a. am „Scott Polar Research Institute“ in Cambridge. Für ihre Kurzgeschichten und ihre psychologischen Krimis wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

_Handlung_

Der Roman besteht aus drei Erzählsträngen. In der Gegenwart stehen eine junge Journalistin, ein Archäologe und eine Eisbärin im Vordergrund. Dazwischengeschaltet sind längere Rückblenden auf die Jahre 1845 bis 1848, auf die verhängnisvolle Expedition John Franklins, die die Nordwestpassage erschließen sollte und im Eis spurlos verschwand.

Doch zunächst zur Gegenwart. Die englische Journalistin Jo Harper, 27 Jahre jung, hätte es beinahe abgelehnt, eine Reportage über einen der berühmtesten Archäologen, den Briten Douglas Marshall, zu schreiben. Er hat sich gerade in Grönland das Bein gebrochen. Auf einem Kriegsschiff, das ihn zurückbringt, begegnen sich Jo und Doug zum ersten Mal. Ihre Reportage macht ihn noch bekannter.

Er arbeitet seit Jahren an einem Forschungsprojekt über die legendäre Franklin-Expedition. In der Zeit seiner Genesung lernen sie sich näher kennen. Er steht kurz vor der Scheidung von seiner Frau Alicia, von der er schon fünf Jahre getrennt lebt. Nicht alles steht zum Besten in der Familie Marshall. Auch sein Sohn John, der sich ebenfalls für die Franklin-Expedition interessiert, lehnt Doug ab – er will ihn nämlich übertrumpfen und so dafür bestrafen, dass er ihn als Kind ständig vernächlässigte.

Als Jo von Doug ein Kind erwartet, wollen die beiden heiraten, doch bei dem Versuch, sich am Hochzeitstag auf Jos Bitte hin mit John zu versöhnen, geraten die beiden Männer auf die eisglatte Straße, auf der ein junger Autofahrer nicht mehr rechtzeitig bremsen kann.

John überlebt, doch sein Vater nicht. Jos Kind Sam wächst als Halbwaise auf. Er ist ihr Trost in ihrem Unglück, bis sich herausstellt, dass Sam unheilbar krank ist (es gab schon früh im Buch Verweise auf Leukämie). Und dass sein Halbbruder John seine einzige Rettung sein könnte.

Doch John weilt im ewigen Eis: auf den Spuren der Franklin-Expedition, denn er will um jeden Preis die ehrgeizige Mission seines Vaters erfüllen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem nicht nur Sam, sondern auch John sein Leben verlieren könnte …

Kurze Einschübe erzählen vom Leben einer bemerkenswerten Eisbärin, die von den Fotografen und Biologin schlicht „Die Schwimmerin“ genannt wird: Sie schwimmt eben gut. Aber nicht blindlings kreuz und quer durch die Arktis. Sie folgt den Spuren der Franklin-Expedition.

Und so wird die Bärin zum Bindeglied zu der dritten Erzählebene: die Schilderung des verhängnisvollen Verlaufs jener zunächst stolzen viktorianischen Expedition, die die Nordwestpassage nach Indien finden sollte, mit zwei modernen dampfgetriebenen Schiffen und 129 Männern an Bord. Wir verfolgen die Fahrt ins Ungewisse mit den Augen des jungen Matrosen Augustus Peterman und Käptn Croziers von der „Terror“.

Doch als sich im ersten Winter zu spät herausstellt, dass die Dosennahrung verdorben ist und die Männer sowohl an Tuberkulose wie auch an Bleivergiftung sterben, kommt noch eine schwere Fehlentscheidung John Franklins hinzu: Er steuert seine zwei Schiffe „Terror“ (= Schrecken) und „Erebus“ (= Dunkelheit) mitten ins dickste Packeis. Die zweite Überwinterung im ewigen Eis fordert schwere Opfer.

Nachdem Franklin an Bleivergiftung und Botulismus gestorben ist, machen sich die Überlebenden unter Käptn Crozier auf in Richtung Süden, um zu den Forts der Hudson Bay Company zu gelangen. Es wird ein Todesmarsch, von dem keiner mehr zurückkehrt.

_Mein Eindruck_

In diesem vielschichtigen Roman kombiniert die Autorin auf gewagte Weise gut recherchierte Geschichtsdokumentation mit tränenschwangerer Seifenoper. In der Ausführung dieser heftigen Mischung schrammt sie ganz knapp am Schiffbruch vorbei (ein recht passendes Bild, wie mir scheint). Ob man das menschliche Drama um Jo Harper akzeptiert und nacherlebt, hängt ganz davon ab, ob der Leser oder die Leserin selbst schon Kinder hat oder nicht.

|Ein Geflecht von Parallelen|

Es geht um nichts Geringeres, als zu zeigen, wozu Menschen – und Eisbären – in ihrem Kampf ums Überleben imstande und bereit sind. Alle Figuren sind in diesem thematischen Bezugsrahmen durch ein dichtes Geflecht von Parallelen, Querverweisen und symbolischen Analogien miteinander verbunden.

Jo Harper kämpft um ihren kleinen Sohn Sam, der an aplastischer Anämie, einer Knochenmarkskrankheit, leidet. Zehntausende Menschen teilen sein Schicksal, und die Autorin hat zwei entsprechende Familien besucht und mit ihnen gesprochen. Wie verträglich transplantiertes Knochenmark ist, hängt davon, wie eng verwandt die DNS von Spender und Empfänger ist. Sams idealer Spender ist John Marshall, der ist auf eine Selbstmordmission in die Arktis aufgebrochen. Die Erzählung schildert detailliert, kenntnisreich und sehr anrührend, wie Jos Kampf in der Realität aussieht und was John dazu getrieben hat, in die „weiße Wüste“ zu ziehen.

Jo findet ihre Entsprechung in der Eisbärin. Die Schwimmerin zieht zwei Junge auf und verteidigt sie gegen hungrige Männchen und zudringliche Menschen mit ihrem Leben. Ihr Lebens-Lauf führt sie direkt mit John Marshall zusammen, wobei er fast unter ihrer Attacke stirbt.

Der Überlebenskampf und Lebens-Lauf der Bärin findet seine Entsprechung in der unglücklichen Expedition John Franklins und dem anschließenden Todesmarsch der Überlebenden. Dabei ähnelt die geistig-moralische Haltung von Männern wie Peterman und Crozier, die gegen innere Krankheiten ebenso ankämpfen wie äußere Gefahren (Kälte, Eis, Wind), der Haltung Jo Harpers: Es ist unter anderem auch der Kampf gegen die Versuchung, einfach aufzugeben.

Das Einzige, was die Menschen von diesem Schritt abhält, ist der winzige Funke Hoffnung, der „letzte Strohhalm“, dass es noch Rettung geben könnte. Für Jo besteht dieser Strohhalm darin, den verschwundenen John Marshall zu finden, für die Männer der „Terror“ darin, überhaupt Menschen zu finden. Sie finden durchaus zweimal „Esquimaux“, doch beim ersten Mal vertreibt ein Gewehrschuss die Inuit, und beim zweiten Mal verschreckt der Anblick der unter Skorbut leidenden Überlebenden die zur Hilfe bereiten Eingeborenen.

|Anteilnahme oder lieber doch nicht?|

In dieser ungewönlichen Kombination aus Geschichtsdoku und Schicksalsdrama hat mir als Nicht-Elter eindeutig die fiktionale Dokumentation weitaus besser gefallen. Denn angesichts der herzzerreißenden Szenen, die in Sams Krankenzimmer etc. stattfinden, kann man sich nicht auf einen Beobachterposten zurückziehen. Entweder nimmt man an diesem Schicksalsdrama voll teil – und das können Eltern wohl nachvollziehen – oder man zieht sich voll Unbehagen davon zurück. Das ist natürlich leichter gesagt als getan.

In jedem Fall aber will man gegen Schluss wissen, wie die Geschichte ausgeht, und hier macht die Erzählerin ihre Sache einigermaßen gut. Lediglich das Hinundherspringen zwischen allen drei Handlungsebenen könnte etwas nerven.

|Die Karte|

Im Buch eine Landkarte abgedruckt: Sie zeigt das polare Gebiet, in dem die Franklin-Expedition strandete und wo auch fast John Marshall gestorben wäre. Der dokumentierte Weg ist ebenso eingezeichnet wie auch der von der Autorin vermutete und fiktional untermauerte Weg.

Leider weist die Karte weder einen Maßstab noch ein Längenmaß auf, noch ist eine Himmelsrichtung eingezeichnet. Wir müssen einfach mal annehmen, dass „oben“ Norden ist. Welche Ausmaße die Landmassen und Strecken haben, kann man hingegen nur aus dem Text ableiten. Eine recht amateurhafte Arbeit, diese Karte.

_Unterm Strich_

Es ist nicht einfach, einem Buch, das in der Rezeption in so hohem Maße auf die individuelle Lesererfahrung angewiesen ist, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wer für Schicksalsdramen à la „Das Lazaruskind“ oder „Lorenzos Öl“ etwas übrig hat, wird von den entsprechenden Szenen, die zuhauf vorkommen, zu Recht bewegt sein.

Wer sich lieber an historisch verbürgte Tatsachen hält, die von der Autorin fiktional weiterentwickelt wurden, der wird in der Geschichtsdoku über die Franklin-Expedition größere Befriedigung seiner Leserneugier finden. Als Bindeglied hat die Autorin einen Schuss Mystik, man könnte auch sagen: Metaphysik, eingefügt.

|Zum Titel|

Es gibt eine ganze Reihe von „Eiskindern“ in diesem Buch. Da wäre natürlich einmal Sam, der Sohn eines Grönlandforschers. Und da wäre sein Halbbruder John, der im Eis fast umkommt, als er die Mission seines Vaters zu erfüllen sucht. Und da ist Gus Peterman, der junge Matrose von der „Terror“, der – vermutlich – im Eis umkam (Peterman ist eine erfundene Gestalt). Und da gibt es die Jungen der Eisbärin. Allesamt machen sie die Bedeutung dieser polaren Region für den Rest der Welt deutlich.

Zum Abschluss des Buches kann man sich zwecks Entspannung eine deutsche New-Wave-Platte gönnen: „Ich möchte ein Eisbär sein … am kalten Polar …“

|Originaltitel: The Ice Child, 2001
Aus dem Englischen übersetzt von Gloria Ernst|

Conn Iggulden – Imperator: Das Feld der Schwerter (Imperator 3)

Julius Caesar in Gallien: Actionreiche Abenteuer

Rom im ersten Jahrhundert vor Christus: Nach seinen Siegen über Mithridates und Spartacus gilt Cäsar als der mächtigste Mann im römischen Reich! Nun beginnt der junge Heerführer von ruhmreichen Eroberungsfeldzügen zu träumen – Gallien soll dabei nicht mehr als eine erste Etappe sein.

Doch leider hat Cäsar nicht mit dem Widerstand und der Gerissenheit des Gallierkönigs Vercingetorix gerechnet. Und dann erreicht ihn auch noch eine erschreckende Nachricht aus Rom: Sein Widersacher Pompeius hat die Tyrannei ausgerufen! Wenn Cäsar die Macht wieder an sich reißen will, muss er gegen eines der ältesten Gesetze Roms verstoßen – und mit seinen Legionen den Rubikon überschreiten … (Verlagsinfo)

Dieser Bericht beruht auf der Originalausgabe in der Taschenbuch-Edition.

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Sonia Rossi – Fucking Berlin (Lesung)

Kein Schamdreieck: Zwischen Uni, Heim und Bordell

Sonia, die Mathematikstudentin, verkauft im Nebenjob ihren Körper im Bordell. Sie redet darüber, wie sie in das Rotlichtmilieu geriet, wie es dort zugeht und mit welchen Männern sie es zu tun bekommt. Und wie kommt sie mit ihrem Privatleben klar? Die freimütige Schilderung ihres Doppellebens ist ein autobiografisches Bekenntnis zur Ware Liebe.

Die Autorin

Sonia Rossi wurde 1982 in Italien geboren. Sie lebt in Berlin, arbeitet in der IT-Branche und hat einen Sohn. Ihr zweites Buch, „Dating Berlin. Auf der Suche nach Mr. Right“, ist von 2010. Von 2014: „Kinderwunsch-Tage“. epubli (E-Book).
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Georges Simenon – Maigret – Die besten Fälle

Der Mann mit der Pfeife: Nostalgisches Krimivergnügen

Diese Sonderedition enthält fünf klassische Maigret-Hörspiele, die in den Jahren 1958 und 1961 von deutschen Rundfunksendern produziert wurden. Auffällig ist die aufwändige Produktionsweise des Bayerischen Rundfunks. Der Zuhörer kann fünf Fälle des Kommissars mit der Pfeife miterleben, als säße er im Kino.

Der Autor
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