David Baldacci – Das Versprechen (Lesung)

Nach einem schweren Autounfall verlieren die 12-jährige Lou und der siebenjährige Oz ihren Vater, während ihre Mutter für immer im Koma zu liegen scheint. Sie müssen von der Großstadt nach Virginia in die Berge ziehen, wo sie bei ihrer Urgroßmutter leben können. Doch auch dort ist das Leben keineswegs einfach und sicher. Die Bergbaugesellschaft will die Familie von ihrem angestammten Land vertreiben. Nur das Gewinnen eines Prozesses könnte die Rettung bringen.

_Der Autor_

David Baldacci ist der Verfasser u. a. von „Der Präsident“, das Clint Eastwood unter dem Titel „Absolute Power“ verfilmt hat. Der frühere Strafverteidiger und Wirtschaftsjurist lebt in Virginia, USA.

Weitere Baldacci-Hörfassungen bei Lübbe: „Das Labyrinth“, „Der Abgrund“, „Die Versuchung“, „Die Verschwörung“ und „Die Wahrheit“, „Im Bruchteil der Sekunde“ (September 2004).

_Die Sprecherin_

Franziska Pigulla, die deutsche Stimme von Akte-X-Star Gillian Anderson („Scully“), hat u. a. mit Joachim Kerzel Ken Folletts Hörbuch „Die Leopardin“ gesprochen. Ihre Tonaufnahme ist von erstaunlicher Präsenz und sehr klar. Sie verfügt über ein beeindruckendes Gespür für Dramatik: Ganz gleich, ob sie sanft und weich Liebeserklärungen haucht, mit knurrendem Grollen droht oder mit größter Lautstärke Befehle oder Flüche brüllt – stets kommt sie völlig glaubwürdig und lebendig herüber.

_Handlung_

Die junge Lou Cardinal glaubt nicht mehr an Wunder, seit sie ihren Vater Jack bei einem Autounfall verloren hat und ihre Mutter Amanda nach Wochen noch immer im Wachkoma liegt. Auf der Farm ihrer Urgroßmutter Louisa May Cardinal in den Bergen von Virginia finden sie und ihr jüngerer Bruder Oz ein neues Zuhause. Hier, in der Einsamkeit des Appalachen-Gebirges, lernen die Geschwister, was es heißt, um sein Glück zu kämpfen – und die Hoffnung nie aufzugeben.

Die beiden Stadtkinder aus New York City müssen erst einmal lernen, ohne Strom, Innenklo und fließendes Wasser im Haus auszukommen: Louisa Mays Bauernhof ist technisch auf dem Stand des 19. Jahrhunderts. Immerhin hilft ihn ein Farbiger namens Eugene, und mit dem Nachbarsjungen Jimmy „Diamond“ Skinner können sie spielen und die Gegend erforschen. Dies ist das Land, in dem ihr Vater aufwuchs, bevor er in die Stadt ging. Skinner zeigt ihnen den schönsten Wasserfall der Welt.

Cotton Longfellow ist Oma Louisas Anwalt, allerdings lebt er in Dickens, der Stadt unten im Tal. Während die beiden Kinder dort in die Einheitsschule gehen müssen, kümmert er sich um die geistig abwesende, aber sonst gesunde Mutter der Kinder, Amanda Cardinal: Er liest ihr Bücher vor. Als die Kinder der Einheimischen Oz verprügeln wollen, verhaut Lou deren Anführer, einen Jungen namens Billy Davis. Doch Davis kann nichts dafür, dass er so aggressiv ist, denn sein Vater George, Louisas Nachbar, lässt seine ganze Großfamilie lieber hungern als mal von seiner Arbeit abzulassen.

Eines Abends stoßen Lou, Oz und Diamond auf George Davis‘ Schwarzbrennerei. Sie folgen einem Schwarzbären, der die Destille zerstört. Davis schießt mit seinem Gewehr auf die Kinder, beschwert sich dann sogar noch bei Louisa May über die Lausebengel und verlangt eine Entschädigung. Nur Diamond zahlt: einen alten Silberdollar. Wie sich zeigt, wird Davis sich rächen, indem er Louisa von ihrem Land vertreibt.

Als ein Vertreter und ein Landvermesser von der Kohlenbergbaugesellschaft Southern Valley bei Louisa auftauchen und ihr dieser Mr. Hugh Miller eine Menge Geld für ihr Land bietet, lehnt Louisa May natürlich ab. Sie will ihr Land an die Kinder und Eugene vererben. Durch ihre Weigerung blockiert sie den Landverkauf anderer Bauern und handelt sich damit erhebliche Antipathie ein, die auch Longfellow zu spüren bekommt.

Doch die Minenleute haben sich heimlich in Louisas Mine geschlichen und sind dort auf ein Erdgasvorkommen gestoßen, das sie ausbeuten wollen. Als Tage später Eugene mit den drei Kindern Kohle für den Eigenbedarf holen will, kommt es zu einer Explosion, weil sich das austretende Gas entzündet: Diamond stirbt und Eugene kommt nur knapp mit dem leben davon. Ein klarer Fall von fahrlässiger Tötung, doch man hält es zunächst nur für einen tragischen Unfall.

Wenige Tage später steht die Scheune, in der die Wintervorräte lagern, durch Brandstiftung in Flammen, und die 80-jährige Louisa erleidet einen Schlaganfall. Nun wird die Lage kritisch: Sollte sie sterben, stünden die Kinder ohne Vormund da, und da ihre Mutter keinen Anspruch auf das Land erheben kann, würden sie es verlieren. Diese Chance sehen auch Davis und die Bergbaugesellschaft haarscharf: Sie lassen die Cardinals auf Herausgabe des Landes verklagen.

Werden Lou und Oz ihre neue Heimat verlieren? Oder ist Longfellow wirklich ein so guter Anwalt, wie er immer behauptete? Und dann geschieht doch noch ein Wunder.

_Mein Eindruck_

David Baldacci kombiniert die Schilderung des ursprünglichen Landlebens mit einer juristischen Krise, die vor Gericht entschieden wird. Daher könnte dieses Buch als direkter Konkurrent zu John Grishams „Die Farm“ betrachtet werden.

In der gekürzten Fassung des Hörbuchs wird das Schwergewicht stark auf die Spannung im zentralen Handlungsverlauf gelegt, so dass das Zuhören praktisch nie langweilig wird. Ständig passiert etwas: Sei es ein Geburtstag oder die Weihnachtsfeier, seien es Naturerlebnisse oder eben die erwähnten Katastrophen: Scheunenbrand, Minenexplosion usw. Aber auch der deprimierende Besuch bei der Davis-Familie gehören dazu, bei der sich Oma Louisa erst als Geburtshelferin engagiert, nur um sodann von George Davis mit dem Gewehr bedroht zu werden.

All diese kleinen Dramen bettet Baldacci in die große Umwälzung während des 2. Weltkrieges ein, zu der ein Großteil der Handlung spielt. Virginia ist zwar ein reicher Staat, aber die Companies haben ihn systematisch ausgebeutet und nichts zurückgelassen außer Armut: Wild, Erz, Wald, Kohle, Gas – alles weg. Und die Companies haben die Regierung stets auf ihrer Seite. Immer gibt es einen korrupten Beamten im Apparat, der sich für deren Belange hergibt. Im Falle der Cardinals ist es deren Landenteignung.

Die verschwundene und verschwindende Kultur der Landbevölkerung bewahrt ausschließlich das Schreiben vor dem Vergessen. Erst schrieb Lous Vater Jack über seine Heimat, dann beginnt Lou selbst mit der Schriftstellerei. Wie wir am Schluss erfahren, verewigt sie das Land in 15 Romanen. In dieser Hinsicht hat Baldacci in ihrer Nachfolge geschrieben: einen Heimatroman im besten Sinne, wie ihn im 19. Jahrhundert auch deutsche Autoren wie Stifter, Raabe und Fontane schrieben.

_Die Sprecherin_

Franziska Pigulla spricht die verschiedenen Rollen mit großer Anteilnahme und emotionalem Einsatz. Kein Wunder, denn es ist eine sehr schöne und spannende Geschichte. Besondere Wärme lässt sie den Stimmen der Geschwister und der Urgroßmutter zukommen. Die meisten Männer außer Longfellow kommen weniger gut weg. Eugene Randall, der Farbige, hat eine besonders markante Stimme erhalten: Er spricht ziemlich langsam.

Die Spezialeffekte sind in dieser frühen Hörbuchproduktion von 2001 noch recht einfach. Des Öfteren ist die Stimme der Sprecherin mit Hall unterlegt. Dies soll signalisieren, dass man ihre Gedanken oder Erinnerungen hört. Nun ja: Der Effekt ist nicht sonderlich geglückt und wirkt aufgesetzt. Heute würde man bessere Filter einsetzen.

_Unterm Strich_

Mit Recht fragt sich der Leser, ob dieses Buch einen Thriller darstellt oder so eine Art Heimatschnulze ist. Eine Schnulze à la „Heidi“ von Johanna Spyri – Stadtkind kommt auf die Alm – ist „Das Versprechen“ schon mal gar nicht, obwohl auch die schönen Stunden nicht verschwiegen werden.

Einen Thriller könnte man das Buch durchaus nennen, selbst wenn die handelsüblichen Zutaten wie etwa Serienkiller und Privatdetektive fehlen. Dennoch entpuppt sich George Davis indirekt als Mörder, denn er hat mit seiner Brandstiftung das spätere Ableben Louisas in Kauf genommen. Und die Bergbaugesellschaft ist für Diamond Skinners Tod direkt durch fahrlässige Tötung verantwortlich. Dass all dies abgestritten und vertuscht werden soll, dürfte nicht überraschen. Aber auch die Landenteignung ist ein krimineller Plan, der möglicherweise erst durch eine Gerichtsverhandlung vereitelt werden kann.

Durch die verdichtete Handlung der Hörbuchfassung kommen diese Spannungselemente verstärkt zum Tragen und sorgen für kurzweiliges Hörvergnügen. Franziska Pigulla trägt die Sprechrollen ausgezeichnet vor, so dass ein Gefühl wie bei Filmszenen aufkommt. Beschreibender Text wird aus Lous Perspektive eingefügt, so dass der größere Zusammenhang alle Elemente zu einem Ganzen verbindet. Am Schluss hat man das Gefühl, eine komplette Lebens- und Landesgeschichte gehört zu haben. Ein Epilog bindet die Fäden der Story so ab, dass kaum Fragen offen bleiben.

Verschiedene Szenen des Buches sind nicht für Kinder unter 12 Jahren geeignet. Umfang: 335 Minuten auf 5 CDs

_Michael Matzer_ © 2003ff