James Graham Ballard – Die Dürre

Earth is the alien planet

Seitdem die Verdunstung der Meeresoberfläche durch künstliche Moleküle verhindert wird, regnet es nicht mehr. Die zunehmende Dürre sorgt für das Erscheinen von Rissen in der menschlichen Zivilisation. Schließlich sieht sich auch der Arzt Dr. Charles Ransom gezwungen, mit ein paar Schützlingen die zerstörte Stadt zu verlassen und an der Küste eine Zukunft zu suchen. Doch an der von Flüchtlingen überlaufenen Küste herrscht das pure Chaos …

Der Autor

James Graham Ballard wurde 1930 als Sohn eines englischen Geschäftsmannes in Schanghai geboren. Während des Zweites Weltkrieges, nach der japanischen Invasion, war seine Familie drei Jahre in japanischen Lagern interniert, ehe sie 1946 nach England zurückkehren konnte. Diese Erlebnisse hat Ballard in seinem von Spielberg verfilmten Roman „Das Reich der Sonne“ verarbeitet, einem höchst lesenswerten Buch.

In England ging Ballard zur Schule und begann in Cambridge Medizin zu studieren, was er aber nach zwei Jahren aufgab, um sich dem Schreiben zu widmen. Bevor er dies hauptberuflich tat, war er Pilot bei der Royal Air Force, Skriptschreiber für eine wissenschaftliche Filmgesellschaft und Copywriter (was auch immer das sein mag) an der Londoner Oper Covent Garden.

Erst als er Science-Fiction schrieb, konnte er seine Storys verkaufen. Ab 1956 wurde er zu einem der wichtigsten Beiträger für das Science Fiction-Magazin „New Worlds“. Unter der Herausgeberschaft von Autor Michael Moorcock wurde es zum Sprachrohr für die Avantgarde der „New Wave“, die nicht nur in GB, sondern auch in USA Anhänger fand.

Ballard und die New Wave propagierten im Gegensatz zu den traditionellen amerikanischen Science-Fiction-Autoren wie Heinlein oder Asimov, dass sich die Science-Fiction der modernen Stilmittel bedienen sollte, die die Hochliteratur des 20. Jahrhunderts inzwischen entwickelt hatte – zu Recht, sollte man meinen. Warum sollte ausgerechnet diejenige Literatur, die sich mit der Zukunft beschäftigt, den neuesten literarischen Entwicklungen verweigern?

Doch was Ballard ablieferte und was Moorcock dann drucken ließ, rief die Politiker auf den Plan. Seine Story „The Assassination of John Fitzgerald Kennedy Considered as a Downhill Motor Race“ (1966) rief den amerikanischen Botschafter in England auf den Plan. Ein weiterer Skandal bahnte sich an, als er Herausgeber von „Ambit“ wurde und seine Autoren aufrief, Texte einzureichen, die unter dem Einfluss halluzinogener Drogen verfasst worden waren. Seine härtesten Texte, sogenannte „condensed novels“, sind in dem Band „The Atrocity Exhibition“ (1970) zusammengefasst, dessen diverse Ausgaben in den seltensten Fällen sämtliche Storys enthalten…

Seither hat Ballard über 150 Kurzgeschichten und etwa zwei Dutzend Romane geschrieben. Die ersten Romane waren Katastrophen gewidmet, aber derartig bizarr und andersartig, dass sie mit TV-Klischees nicht zu erfassen sind. Bestes Beispiel dafür ist „Kristallwelt“ von 1966, das ich hier aber nicht darlegen möchte, sondern ich verweise auf meine entsprechende Rezension. Äußere Katastrophen (wie die Kristallisierung des Dschungels) wirken sich auf die Psyche von Ballards jeweiligem Helden aus und verändern sie.

Dabei stehen die vier Romane „The Wind from Nowhere (1962), „The Drowned World“ (1962), „The Drought“ (Die Dürre, 1964) und schließlich „The Crystal World“ sinnbildlich für Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart, ausgedrückt durch die Metaphern Wasser, Sand (Dürre) und Diamant (Kristall). Ballard starb 2009.

Handlung

Dr. Charles Ransom lebt irgendwo am Rande eines einst 50 km langen Sees auf seinem Hausboot. Doch von dem See ist wegen der seit Monaten anhaltenden Dürre nur noch wenig übriggeblieben: ein schmaler Kanal, der nur noch Boote mit geringem Tiefgang durchlässt. So etwa die Boote der proletarischen Quilters in der Nachbarschaft (eine keifende Zigeunerin und ihr schwachsinniger Sohn Quilter) oder das Boot seines zwölfjährigen Freundes Philip Jordan, der mit einem ölverschmierten, sterbenden Schwan vorbeikommt.

Ransom hat im Krankenhaus der Stadt Hamilton gearbeitet, doch seitdem fast alle Bewohner zur Küste gezogen sind, gibt es nichts mehr zu tun. Seine Ehe mit Judith ist in die Brüche gegangen. Vielleicht kann er mit Catherine Austen anbandeln, die ihn gerade um eine Kanne Wasser bittet? Ihre Eltern sind schon tot, sie ist eine einsame Frau. Er selbst will nur noch wenige Tage warten, bis er wegzieht.

Dass seine Frau Judith mit dem Sheriff wegzieht, ist in Ordnung. Er kann sie nicht halten. Er kann ihr auch nicht sagen, worauf er selbst wartet. Das Radio verkündet die Ursache für die Dürre: Durch Umweltverschmutzung haben sich überall spezielle Moleküle ausgebreitet, die nun die Ozean bedecken, sodass sie die Verdunstung an der Wasseroberfläche verhindern. Säuberungsversuche scheitern kläglich. Wenn es mal Regenwolken gibt, dann erreichen sie nie das Land.

Der Einzige, der noch über einen großen Wasservorrat zu verfügen scheint, ist der Architekt Richard Lomax, Ransoms Nachbar: Sein Pool ist gefüllt, sein Rasen nass. Einer der Flüchtlinge prophezeit, dass Lomax schon bald Schwierigkeiten bekommen werde. Bislang hat der Chef der Bürgerwehr, der energische Pastor Johnstone, aber noch nichts deswegen unternommen. Seine Bürgerwehr baut die Stadt lediglich zur Festung aus, während Mount Royal, die Nachbarstadt, niederbrennt.

Lomax erscheint wie ein hinterlistiger Kobold oder Nero, als er Ransom ein Angebot macht, bei einer speziellen Aktion mitzumachen. Ransom vermutet, dass es dabei ums Niederbrennen des Alten geht, damit etwas Neues sich wie Phönix aus der Asche erheben kann. Davon will er ebenso wenig wissen wie von Lomax‘ hexenhafter Schwester Miranda.

Lomax hat sein Pool-Wasser dem Zoo von Mount Royal gespendet, und Ransom wird dorthin mitgenommen. Im Zoo füttert Catherine Austen die Löwen und andere Tiere; spöttisch vermutet sie in Ransom einen potenziellen Sündenbock, eines „Jonas“. Im Aquarium sind bereits alle Fische tot, vergiftet von ihren Exkrementen. Doch der debile Quilter treibt sich hier ebenfalls herum, geschickt von Miranda – ist er etwa ein Brunnenvergifter?

Auf seinem Weg zurück nach Hamilton entdeckt der Arzt nicht nur das rätselhafte Fisch-Zeichen der frühen Christen, sondern zunehmend dunkel gewandete Burschen. Er bekommt den Eindruck, dass ihn die Fischer umzingeln wollen und beginnt zu laufen. Zu spät – er geht ihnen ins Netz. Was haben sie mit ihm vor?

Mein Eindruck

Ransom erscheint auf der symbolischen Ebene als der Seefahrer, der auf einer Insel gestrandet ist. Hier bekommt er es mit den Bewohnern der Insel von Shakespeares „Der Sturm“ zu tun. Quilter steht für den Naturgeist Caliban, Philip Jordan für den Luftgeist Ariel, Lomax für den Zauberer Prospero, Miranda für dessen naive Tochter Miranda, aber in ironischer Brechung als Hexe. Die einzige, die wider Erwarten keine Rolle spielt, ist Catherine Austen, die isolierte Frau – sie ist ein Spiegelbild Ransoms und wird zur Jagdgöttin Diana, begleitet von Wüstenlöwen.

Der Roman besteht aus drei Teilen: Nennen wir sie mal Paradies, Vorhölle und Inferno, wie bei Dante. Der erste Teil schildert den Zusammenbruch der Zivilisation, wie wir sie kennen, und den Aufbruch Ransoms mit einer Art Patchwork-Familie an die Küste. Es ist die Vertreibung aus dem Paradies inklusive Exodus und Sündenfall – Ransom, der Arzt, erschießt einen Mann.

Teil 2: Purgatorio

Der zweite Teil spielt zehn Jahre später. Die überlebenden Flüchtlinge ringen dem Meer das bisschen Leben an, das sie ergattern können: Fisch, Tang und destilliertes Meerwasser. Bei der Destillation entstehen Unmengen von Salz, das in wachsenden Dünen diese menschliche Vorhölle umgibt. Meerwasser wird eingefangen und wie eine Währung gehortet und gehandelt.

Ransom lebt wieder mit seiner Frau Judith zusammen, will aber in die Siedlung des Reverend Johnstone ziehen. Dafür nimmt er einen Vorrat Meerwasser als Anzahlung oder Eintrittsgeld mit. Doch die Siedlung des mittlerweile fast blinden und senilen Lear-ähnlichen Reverend, einem gefallenen Neptun gleich, wird von dessen zwei älteren Töchtern beherrscht, während die dritte, Vanessa, als Ransoms Geliebte abgesondert lebt. Ransoms Bitte um Aufnahme wird abgelehnt.

Teil 3: Inferno

Im dritten Teil kehrt Ransom mit Quilters Mutter, Philip Jordan und Catherine Austen nach Hamilton zurück. Nirgendwo gibt es Wasser, doch jede Menge Feuer begleiten ihren Weg. Doch von wem werden sie gelegt? Es sind Signale obskurer Botschaft. In Hamilton herrscht mittlerweile Quilter über Leben und Tod, denn er ist Herr über ein überraschend großes Reservoir Wasser – in dem er Ransom um ein Haar ersäuft. In der Wüste zu ertrinken ist jedoch Ransom nicht beschieden, denn Mrs. Quilter setzt sich für ihn ein.

Miranda ist mittlerweile fett wie eine Robbe geworden und hat einen ganzen Wurf von Quilters Kindern geworfen. Obwohl sie verrät, dass sie dem Kannibalismus nicht abgeneigt ist, bietet sie ihre Gunst auch Ransom an. Doch da ist ihr Bruder Lomax vor. Der einstige Hausherr hat sich eine Art Kristallpalast errichtet und ist zu einem Hermaphroditen geworden. Er lebt nur noch, weil er für Quilter, den wahren Herrscher, Wasserreservoire finden soll. Als er sich endgültig weigert, dies zu tun, kommt es zur Katastrophe, die sich in Gewalt entlädt.

Kaum hat sich Ransom auf den Weg gemacht, die Wüste zu durchwandern, beginnt es zu regnen. Doch das merkt er schon gar nicht mehr …

Man sieht also eine deutliche und faszinierende Entwicklung der Zivilisation. Sie durchläuft einen Zyklus, der vorgezeichnet erscheint. Die äußere Evolution entspricht der der inneren Landschaft, denn bei Ballard ist alles symbolisch: Sündenfall, Vorhölle, Buße, Erlösung, Transzendenz, Gnade. Ransom ist der Sucher, der sich, wie die Helden in „Drowned World“ und „Crystal World“, in der Krise seinen Weg sucht, irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ransom denkt kaum an das, was war, und er imaginiert selten, was sein sollte. Er hält sich offen für das Mögliche, um es dann zu seiner Gegenwart zu machen. Manche folgen ihm darin, andere nicht.

Dies ist der erste Ballard-Roman, der die symbolische Sprache in aller Konsequenz einsetzt. Das macht ihn so wunderschön, trotz der vielleicht depressiv wirkenden Handlung. Deren Logik folgt einer inneren Zwangsläufigkeit, die zu poetischer Gerechtigkeit führt. Die Dummen werden sterben, die Sucher vielleicht erlöst – und die dazwischen leben weiter in der Vorhölle.

Die Übersetzung

Die Übersetzung durch Maria Gridling bietet den kompletten Text mit sämtlichen Teilen und Kapitelüberschriften. Ihre Formulierungen folgen dem eleganten Stil der britischen Vorlage, ohne sie ins deutschsprachige Korsett zu zwängen. So erhalten wir einen guten Eindruck von Ballards Sprachkunst.

Unterm Strich

Anders als „Der Sturm aus dem Nichts“ ist dieser Roman ein vollwertiger Ballard, komplett mit brillantem Sprachstil, unzähligen Symbolen und einer stringenten inneren Entwicklung der Figuren und ihrer Beziehungen. Wie bei Dante ließe sich der Roman in Paradies (und Exodus), Purgatorio (Vorhölle/Fegefeuer) und Inferno unterteilen.

Im Finale kommt es nach einer zirkulären Entwicklung zu einer Krise, deren gewalttätige Folgen den Ausschlag für Ransoms Entschluss geben, in die Wüste zu gehen (und dabei ahnte sein Schöpfer noch nichts von einer anderen Figur namens Paul Muad’dib).

Taschenbuch: 188 Seiten
Originaltitel: The Drought / The Burning World (1964)
Aus dem Englischen von Maria Gridling
ISBN-13: 978-3518374757

http://www.suhrkamp.de
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