Alex Barclay – Blutbeichte (Lesung)

Thriller wider die Klischees des Genres

Die New Yorker Polizei findet die entstellte Leiche eines Mannes und glaubt zunächst an einen Einzelmord. Doch Detective Joe Lucchesi entdeckt in der Vergangenheit ähnliche Fälle. Der Mörder treibt schon lange sein Unwesen. Er tötet brutal und hinterlässt keine Spuren. Seinen Opfern ringt er eine Beichte ab, und per Telefon müssen sie ihren Liebsten die Lügen ihres Lebens gestehen. Dann richtet er sie regelrecht hin. Lucchesi hat keinen Anhaltspunkt auf die Identität des Killers, als er eines Tages einen Brief von diesem erhält …

_Die Autorin_

Alex Barclay wurde 1974 in Dublin geboren und arbeitete als Journalistin für britische Frauenmagazine. Ihren lang gehegten Wunsch, vor dem Erreichen des dreißigsten Lebensjahres einen Thriller zu schreiben, konnte sie mit dem Roman „Schattenturm“ (O-Titel: Darkhouse) verwirklichen. Alex Barclay ist verheiratet und lebt in der Nähe von Dublin.

_Der Sprecher_

Sascha Rotermund, geboren 1974 in Westfalen, studierte an der Hochschule für Musik und Theater Hannover Schauspiel und hatte sein erstes festes Engagement am Theater Magdeburg. Auch auf den Bühnen in Bremen, Lübeck und Hannover gastierte er. Sascha Rotermund hat sich als Synchronsprecher bereits einen Namen gemacht.

Die Romanfassung wurde von Frank Gustavus (|Ripper Records|) gekürzt. Regie führte Thomas Krüger; Dicky Hank und Dennis Kassel lieferten die Musik.

_Handlung_

Als Detective Joe Lucchesi mit Danny Marchi das Büro der Mordkommission von Manhattan Nord verlässt, weiß er noch nicht, dass der neueste Fall sie beide in Lebensgefahr bringen wird. Am Tatort sind schon Polizeibeamte vom Revier in der 20. Straße: Blascoe und Cullen. Das Mordopfer ist der Grafikdesigner Ethan Lowry, nackt und mit ausgebreiteten Armen liegt er hinter der Eingangstür zu seiner Wohnung. Er wurde erschossen, doch zuvor, so ergibt die Autopsie, hat ihm der Mörder das Gesicht mit einem Hammer zertrümmert. Neben ihm liegt sein Handy. Der letzte Anruf ging gegen elf Uhr nachts ein.

Es handelt sich nicht um einen Raubmord; die Brieftaschen sind noch da. Und ob es ein Sexualmord war, bezweifelt Lucchesi, obwohl da eine Lederpeitsche und entsprechende Nacktfotos herumliegen. Lowrys Frau ist mit ihrer Tochter verreist. Die Sache mit dem eingeschlagenen Gebiss erinnert Joe an den unaufgeklärten Mordfall William Anito, einen schwulen Schauspieler von der Upper Westside Manhattans. Das war vor etwa einem Jahr. Und neben der Leiche lag ebenfalls ein Handy. Anito hatte seine Mutter angerufen, angeblich um Gute Nacht zu sagen. Als Lucchesi und Marchi die alte Dame nochmals genauer befragen, gibt sie sie zu, dass ihr Sohn den Mord an seinem Bruder Pepe gestand, als er sie anrief.

Ein Geständnis in Todesangst? Und was gestand Ethan Lowry? Die Angerufene war Claire Oberly, mit der Lowry sechs Jahre am College liiert war. Sie habe ihn zuletzt vor anderthalb Jahren gesehen, sagt sie. Als er sie in der Nacht seines Todes anrief, gestand er ihr, dass er sie immer noch liebe. Und das, obwohl er verheiratet war? Das kommt Lucchesi etwas merkwürdig vor.

Joes Kollege Bobby Nicotero, der ihm in seiner schwierigen Zeit in Irland (siehe „Schattenturm“) half, stößt auf einen weiteren ähnlichen Fall. Der Börsenmakler Gary Ortiz wurde im letzten Dezember getötet. Er rief seinen ehemaligen Geschäftspartner an, um sich nach dessen Wohlbefinden zu erkundigen. Nicht sonderlich aufschlussreich, aber der gemeinsame Nenner sind die Anrufe, zwei davon Geständnisse.

Da bekommt Joe ein Päckchen anonym zugeschickt. Darin befindet sich ein 16 Seiten langer Brief, der voll wirrem Zeug ist. Auf Seite sechs steht jedoch etwas über den Mord an Lowry. Woher weiß der Autor davon? Als Joe mit Danny das Überwachungsvideo des Postamts, auf dem der Brief abgestempelt wurde, prüft, fällt ihm ein etwa vierzigjähriger Mann auf. Bei der Überwachung des Postamts nehmen sie ihn fest und verhören ihn.

Stanley Freight will den Brief – auch den zweiten – für Mary Burick eingeworfen haben. Denn die 29-Jährige sei Patientin im Cote-Embry-Reha-Heim für Hirngeschädigte. Sie sei eine Epileptikerin, die Teile ihres Gedächtnisses verloren habe. Und er sei im Heim der Hausmeister und Elektriker. Die Heimleiterin Julia Embry bekräftigt Freights Integrität. Mary Burick, die von ihrem Bruder David betreut werde, leide unter Schreibzwang (Hypergraphie) und kritzele alles Mögliche auf, was ihr in den Sinn komme. Ihre Hirnverletzung habe sie bei einem Überfall vor etwa einem Jahr erlitten, als ein Mann sie angriff. Die verwendete Waffe ist vom gleichen Kaliber .22 wie bei den anderen Opfern der Serie. Sie könnte Opfer Nummer drei sein.

Ein Mann namens Preston Blake ruft an und bezeichnet sich als Überlebender eines Angriffs des Serientäters, den die Medien inzwischen den „Besucher“ getauft haben. Joe und Danny besuchen ihn den Mann, dem sie Diskretion zugesichert haben, in seinem großen Haus. Er bezeichnet sich als Schmuckdesigner, sei vor einem halben Jahr überfallen worden und habe den Angreifer in die Flucht geschlagen, indem er ihn überlistete. Sie stufen ihn als Opfer Nummer vier ein.

Nachdem auch David Burick dem „Besucher“ zum Opfer gefallen, stoßen Joe und Danny endlich auf eine heiße Spur. Wieso machte der Täter von den Zähnen seines neuesten Opfers einen Abdruck? Neue Hinweise führen zu einem New Yorker Dentallabor, das Dean Waltry gehört. Die Techniker des Labors fertigen für die Zahnärzte der Stadt, von denen auch Joe einen frequentiert und befragt, entsprechende Objekte an, so etwa Kronen und Brücken.

David Burick rief vor seinem Tod als letzten Menschen Marjorie Ruling an. Doch wie sich zeigt, wollte er eigentlich deren Tochter Sonya Ruling sprechen, deren Freund er einmal war. Als sie von Dean Waltrys Tod erfährt, ist sie betroffen, denn sie lernte ihn durch ihren damaligen Freund Alan Moder kennen, der ein richtiger Mistkerl war – und obendrein Waltrys Partner. Alan konnte nie zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden und log daher bei jeder sich bietenden Gelegenheit, ohne mit der Wimper zu zucken.

Joe und Danny besuchen noch einmal Preston Blake, um sich zu entschuldigen, dass dessen Identität aufgeflogen und in den Zeitung breitgetreten worden ist. Bei dieser Gelegenheit wollen sie ihm auf den Zahn fühlen, ob er vielleicht Dean Waltry, Alan Moder oder David Burick kannte. Doch als Officer Cullen vom Revier in der 20. Straße die beiden Detectives wegen dieses Preston Blake anzurufen versucht, melden sie sich nicht auf ihren Mobiltelefonen. Ein unheilvolles Schweigen …

_Mein Eindruck_

Mit ihrem zweiten Thriller um Joe Lucchesi schreibt offensichtlich die Autorin gegen sämtliche Erwartungen an, die sich teils aus ihrem ersten Krimi „Schattenturm“ und zum andern aus dem Genre ergeben. Der Umstand, dass meine Erwartungen reihenweise unterlaufen wurden, machte mich zunächst unzufrieden, aber andererseits hat jeder Autor das Recht, eine Geschichte auf seine oder ihre eigene Weise zu erzählen.

Da in „Schattenturm“ Joes Frau Anna eines der Ziele des Killers war, dachte ich, sie müsse auch diesmal wieder auf der „Speisekarte“ des gesuchten Killers stehen. Die daraus entstehende Spannung wird jedoch nie eingelöst. Stattdessen tritt eine ominöse Miss Mary Burick auf, die sich nur teilweise an ihr Leben erinnern kann. Wie sich herausstellt, löst sie sogar den gesuchten Serienmörder an Bedeutung ab. Noch ein weiterer Trick, um die Erwartungen zu unterlaufen.

Daraus ergibt sich eine weitere Überraschung. Ein Showdown fällt völlig aus. Sorry, wenn ich jetzt zu viel verraten habe, aber ich halte es für meine Pflicht, den Interessenten davor zu warnen, wieder mehr vom Gleichen wie in „Schattenturm“ zu erwarten. „Blutbeichte“ ist, abgesehen von der Ermittlung, ziemlich verschieden von seinem Vorgänger.

|Pathologien|

Zwei oder sogar drei Pathologien bereichern diesen Plot. Da wäre zunächst die partielle und temporäre Amnesie der geheimnisvollen Miss Burick. Wir erhalten dazu eine kleine Vorlesung über teilweise Hirnschädigung und was sich hinsichtlich der Epilepsie daraus ergibt. Die Vorlesung ist aber so gut in Dialoge verpackt, dass sie zu keinem Zeitpunkt langweilig wird. Vielmehr ist sie eine gute Methode, um Spannung aufzubauen. Auch Mary kennt den Serienmörder, doch mehr darf nicht verraten werden, soll dessen Identität nicht vorzeitig bekannt werden.

Das zweite Thema, das stark vertieft wird und die Ermittler sehr nahe an den Mörder heranführt, ist die Dentaltechnik. Das ist ein ziemlich ungewöhnliches Thema, und ich kann mich nur an eine Stelle in „Das Schweigen der Lämmer“ (oder war’s in „Hannibal“?) erinnern, in der es um die Zähne des Killers ging und um einen Vergleich von Gebissabdrücken.

Nun könnte der Leser bzw. Hörer meinen, dass Dentaltechnik doch das denkbar drögeste Thema ist, das man sich vorstellen kann, aber man sollte auch bedenken, dass kein Gebiss (sofern nicht künstlich) dem anderen gleicht und insofern den Rang eines Fingerabdrucks einnimmt. Nicht nur machen uns die Zähne einzigartig, ihr Verlust führt auch zu einem nachhaltigen Trauma, wie der Zahnarzt von Joe Lucchesi, Dr. Peshwar, erläutert.

Wer schon einmal „Der Marathon-Mann“ mit Dustin Hoffman und Laurence Olivier gesehen hat, weiß, wie man ein Gebiss sehr leicht zur Folter benutzen kann. Und sollte ein Opfer mal verbrennen, so können Koryphäen wie Patricia Cornwells Rechtsmedizinerin Kay Scarpetta immer noch die Zähne des Opfers heranziehen, um an die Identität des oder der Unbekannten zu gelangen. Man sollte Zähne keinesfalls unterschätzen.

Dass der Serienmörder seinen Opfern jeweils ein Geständnis entlockt, dass sie ihren Liebsten gegenüber ablegen müssen, mag ja herzig sein. Aber dass er ihnen auch noch einen Gebissabdruck abnimmt, bevor er sie abmurkst, mutet denn doch schon ziemlich makaber und zynisch an. Makaber genug, um auch Joe Lucchesi zu erschüttern. So sehr, dass er seine Frau anschreit und seinen Sohn Sean zur Sau macht, der sich gerade wieder vom Tod seiner ersten Freundin Katie – sie wurde ein Jahr zuvor in Irland getötet – erholt. Diese Szenen haben mir am wenigsten gefallen, aber natürlich gehören sie dazu, um die Figur des Polizeibeamten menschlich zu beglaubigen. Außerdem hält sein Familie für ihn eine Überraschung bereit.

|Der Sprecher|

Sascha Rotermund ist kein Sprachkünstler wie Rufus Beck, aber er weiß seine Stimmbänder flexibel nuancierend und einfühlsam einzusetzen. Während die Stimme Joe Lucchesis den Standard des Normalen darstellt, heben sich viele andere Stimmen dagegen ab. Da ist beispielsweise John Rufo, sein übergewichtiger Chef, mit einer ziemlich tiefen Stimme. Der Mörder weist eine sanfte, langsame Sprechweise auf, die angesichts dessen, was er seinem jeweiligen Opfer antut, umso perverser klingt. Nämlich so ähnlich wie der Killer Duke Rawlins, der Lucchesi in Irland das Leben zur Hölle gemacht hat. Als er Joe anruft, klingt er süffisant, als wolle er für eine Heldentat den Ruhm einstreichen. Echt fies.

Die Stimmen der Frauen klingen nicht so sehr höher als die der männlichen Figuren, vielmehr sanfter und weicher, so etwa Anna, Joes schwangere Frau, oder Mary Burick. Die Spurenspezialistin Kendra hingegen klingt besonders munter und redet wie ein Maschinengewehr, so dass Joe sie erst einmal stoppen muss. Lustig ist die muntere Tara, die neue, klapperdürre Freundin von Joes Sohn Sean. Sie plappert enthusiastisch vom Einkaufen eines neuen Bikinis.

Doch der Sprecher intoniert auch situationsabhängig, und dann kann er ganz schön laut werden. Wenn Joe emotionale Probleme mit seiner Frau hat, die immer noch mit dem in Irland erlittenen Trauma ringt, dann kann er ganz schön laut werden, genauso bei seinem Sohn Sean. Im letzten Drittel wird ziemlich viel gerufen, aber das liegt nicht am Streit, sondern an den Verständigungsschwierigkeiten. Wenn jemand nicht an sein Handy rankommt oder nicht aufzufinden ist, dann muss eben die menschliche Stimme kräftiger eingesetzt werden, und der Sprecher zögert nie, genau dies zu tun. Zum Glück ist die Tonregie in der Lage, die Lautstärke stets herabzudrosseln, so dass die Boxen nie in Gefahr geraten, sich in ihre Bestandteile aufzulösen.

Die Musik, die aus Intro und Extro besteht, ist relativ belanglos, denn sie wird in letzter Zeit ständig von |Lübbe Audio| für spannende Hörbücher eingesetzt. Sie erinnerte mich an den Soundtrack von „Die purpurnen Flüsse“.

_Unterm Strich_

Die Story von „Blutbeichte“ wird von der Werbung auf „Das Schweigen der Lämmer“ getrimmt, jenen Thriller, der anscheinend einem ganzen Genre seinen Stempel aufgedrückt hat. Doch die Autorin unterläuft die Erwartungen eines blutigen Endes in mehrfacher Hinsicht, wie oben schon erläutert. So gibt es etwa keinen Showdown und dass der Serienkiller sein verdientes Ende findet, hat eher den Stellenwert einer Fußnote.

Denn inzwischen hat die Geschichte ihren Schwerpunkt auf eine ganz andere Figur verlagert. Mary Burick ist mindestens ebenso interessant wie der Killer – und mindestens ebenso geheimnisvoll. Obwohl meine enttäuschten Erwartungen mich unzufrieden machten, so lieferte die Story dennoch genügend Spannung, um mich bei der Stange zu halten. Die Autorin wagt ein riskantes Spiel mit dem Leser bzw. Hörer. Ob sie es gewinnt, hängt vom jeweiligen Geschmack des Lesers oder Hörers ab.

Das Hörbuch jedenfalls wird von Sascha Rotermund kompetent gestaltet, so dass die Figuren zum Leben erwachen und die Szenen lebhaft gestaltet sind. Sein Vortrag hat mir sehr gut gefallen und ich könnte mir nur wenige geeignetere Sprecher an seiner Stelle vorstellen.

370 Minuten auf 5 CDs
Originalausgabe 2007
http://www.luebbe-audio.de