Bargen, Ascan von – Annwyn – Die Tore zur Anderwelt (Folge 1)

_Horrormäßige Mystik-Seifenoper_

Auf den Grundfesten eines Jahrtausende alten keltischen Heiligtums erbaut, erhebt sich am Rande der irischen Steilküste das trutzige Gemäuer von Ringwood Manor. Doch weder der neue Herr des düsteren Anwesens, der puritanische Lord Ethan Kilvert, noch seine Familie ahnen im Jahr 1782 etwas vom mörderischen Vermächtnis der heidnischen Druiden und der tödlichen Gefahr Annwyns, die im Höhlenlabyrinth unter der Burg lauert … und sich aus der Anderwelt unbeirrbar ihren Weg in die Welt der Lebenden bahnt. (abgewandelte Verlagsinfo)

_Die Sprecher & Macher_

Für dieses Originalhörspiel scheint es keine literarische Vorlage zu geben, sondern „lediglich“ ein Skript von einem gewissen Ascan von Bargen. Die filmische Musik steuerte Terry Devine-King bei, Regie führte offenbar das gesamte „Maritim-Studio“, das dem Medienvertrieb Carsten Hermann gehört. Die Titelillustration stammt von Timo Würz. Wer der Tonmeister war, wird ebensowenig angegeben wie der Urheber der Geräusche und Effekte.

Der Erzähler, der herzlich wenig zu tun hat, wird von einer der bekanntesten Synchronstimmen Deutschlands gesprochen: von Joachim Kerzel (Jack Nicholson, Dustin Hoffman). Die Sprecherrollen sind im Booklet angegeben. Darunter finden sich bekannte Sprecher wie Jens Wawrczeck, Norbert Langer und Christian Rode (die dt. Stimme von Sean Connery).

_Handlung_

|PROLOG.|

Es ist der 25. September 1782, also noch vor dem Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Ein Segelschiff unter dem Kommando von Kapitän Ferrow gerät vor der Steilküste Irlands in einen schweren Sturm. Dennoch will der wichtigste Passagier, ein gewisser Jonathan Meadows, an Land gerudert werden, weil er unbedingt noch in dieser Nacht eine Truhe abliefern soll. Was kann so Wichtiges in dieser Truhe enthalten sein?

Die fünf Seeleute, die ihn an Land bringen, erzählen von dem Labyrinth aus Schmuggler- und Piratenhöhlen, die das Kliff durchziehen, auf dessen Höhe Ringwood Manor wie eine stolze Burg thront. Meadows hat unglaubliches Glück: Sie gelangen wohlbehalten in eine Grotte und mit der Landkarte im Kopf, die ihm Lord Kilvert, der Besitzer der Burg, gezeigt hat, kann Meadows die Männer führen. Da hören sie ein unheimliches Geräusch. Ein Grollen wie von einer großen Bestie …

|Haupthandlung.|

Am nächsten Morgen macht sich Lady Eleanor Kilverts Schwester Cynthia große Sorgen um den Verbleib ihres Verlobten. Dabei handelt es sich um Jonathan Meadows. Am Nachmittag folgt die neurierige Tochter Lady Eleanors, die zehnjährige Julie, ihrem Vater und dessen Haushofmeister auf die Klippen der Steilküste. Sie suchen Spuren von Meadows. Julie stolpert über ein Gerippe in den Felsen und schreit auf. Kilvert und O’Shearer, die herbeieilen, bringen sie weg und identifizieren das abgenagte Skelett anhand von Tätowierungen als dasjenige des armen Meadows.

Als Cynthia trotz aller Warnungen die sterblichen Überreste ihres Verlobten in Augenschein nimmt, schreit sie vor Entsetzen auf. Das entstellte Gesicht ist jedoch nicht das von Meadows, sondern das eines anderen Mannes, den sie kennt. Trotzdem verschweigt sie dessen Identität. Aber von da an geht sie ihrem Schwager, Lord Kilvert, aus dem Weg. Was hat sie zu verbergen?

Lord Kilvert wiederum ist überglücklich. Er hat es geschafft, Meadows Truhe, die für ihn bestimmt war, aus den Höhlen in Sicherheit zu bringen, bevor sein Erzrivale, der irische Lord Denborough, sie in die verbrecherischen Finger bekommt. In der Truhe befinden sich Schmuckstücke wie etwa Siegelringe und Halsketten, aber auch ein Lederhandschuh und vor allem ein Dokument. Kilvert hat Denboroughs Handschrift fälschen lassen und hofft nun, seinen Widersacher endgültig besiegen zu können. Doch eine Geisterstimme warnt ihn. Das wertvolle Dokument entzündet sich von selbst und verbrennt zu Asche.

Der 30. September bringt nichts Gutes. Denborough und Kilvert fahren sich vor der Kirche von Evanbaille fast an die Kehle: Engländer und Ire hassen sich bis aufs Blut. Nur die kleine Julie bemerkt den unbekannten Fremden, der dem Streit scheinbar unbeteiligt zuschaut.

In der Nacht dringen zwei von Denborough geschickte Einbrecher in Ringwood Manor ein, um Julie zu entführen. Sie ahnen nicht, dass in der Burg ein Dimensionstor existiert, dass die Welt der Lebenden mit der Anderwelt der Geister und Feen verbindet. Und es hat sich geöffnet. Eine Geisterstimme warnt Lord Kilvert: „Die Tore von Annwyn sind nicht länger verschlossen.“

Die zwei Einbrecher hören ein unheimliches Geräusch. Ein Grollen wie von einer großen Bestie …

_Mein Eindruck_

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Die vorliegende Hörspiel-Produktion gehört leider nicht zum Gold. Dies ist pure Horror-Mystery-Exploitation, die sich in den allzu großen Fußstapfen von Hohlbeins Hexer-Romanen und H. P. Lovecraft abmüht, ein Mischmasch aus keltischer und walisischer Mythologie dazu zu verwenden, um eine Horrorstory zu kolportieren, die auch zu Ende des 19. Jahrhunderts in einer der fantasievolleren Gazetten des British Empire hätte stehen können. Das Einzige, was das Hörspiel jenen Erzählungen voraus hat, sind die Spezialeffekte.

|Duell as Duell can|

Bemüht sich der Autor zu Anfang noch um etwas Atmosphäre und Psychologie, so werden solche Nebensächlichkeiten spätestens nach der ersten Hälfte über Bord geworfen, um dem eigentlichen Zweck der Geschichte Platz zu machen: ein sinnlos erscheinendes Hin und Her zwischen den beiden Erzrivalen Kilvert und Denborough, das in ein wildes Duellieren ausartet. Da die große Bestie im Hintergrund lauert, kann sich der Zuhörer an drei Fingern ausrechnen, wen sie wohl zum Frühstück verspeisen wird – den Schurken natürlich.

Ist das nun Kilvert oder Denborough? Die Antwort auf diese Frage ist zu Anfang keineswegs eindeutig zu geben, was eine gewisse Spannung erzeugt, denn Kilvert erscheint im Zwielicht, hat er doch quasi Meadows auf dem Gewissen. Aber nach zwei weiteren Hintergrundgeschichten ist der Fall klar: Schuldig im Sinne der Anklage ist – aber nein, ich werde hier nichts voreilig ausplaudern.

|Mischmasch|

Alles, was in der Horrofantasy gut (oder zumindest effektvoll) und teuer (zumindest in digitaler Form) ist, wurde vom Autor hineingepackt. So beispielsweise Hexen, die unschuldig verbrannt werden und den Übeltäter verfluchen. Deren Tochter versucht dann den Fluch in die Tat umzusetzen – am Richtigen? Wird sie geschändet oder nicht – nun, so deutlich will der Autor nun doch nicht werden und überlässt den Rest der Vorstellungskraft des Hörers.

Leider ist es angesichts des geballten Ansturms von völlig verschiedenartigen Elementen aus Mythologie und Mystik, Horror und Historie völlig unmöglich, den Überblick zu behalten. Es empfiehlt sich dringend, das Hörspiel mehrmals zu hören, um die actionreichen Plotte auf die Reihe zu bekommen. Ob es sich lohnt, steht auf einem anderen Blatt.

|Fortsetzung folgt|

Denn selbstverständlich wird solch reichhaltiger Stoff fortgesetzt. „Tore zur Anderwelt“ ist nur der Auftakt zu einer ganzen Seifenoper von Horror-Mystik. Die arme Julie: Ihr Körper mag verschwunden sein, doch ihr Geist muss – den Launen des Drehbuchautors schutzlos preisgegeben – ruhelos zwischen der Anderwelt und jener der Lebenden wandeln.

|Die Sprecher & Macher|

Weder über die Macher verrät das magere Booklet Näheres, noch über die beachtliche Riege der Sprecher und Sprecherinnen. Als Regie firmiert das „Maritim-Studio“, und das ist lediglich eine Maske, hinter der sich sonstwer verbergen könnte. Diese Informationspolitik flößt mir keinerlei Vertrauen ein. Haben die Macher ein düsteres Geheimnis zu verbergen, das für einen Exorzismus in Frage käme?

Wie bereits gesagt, hat der Star der Produktion, Joachim Kerzel, ziemlich wenig zu tun. Im Verlaufe der Handlung ergibt sich eine Szene aus der vorhergehenden, und so ist immer weniger Hintergrund nachzuliefern. Das macht den Erzähler leider nur scheinbar überflüssig. Vielmehr hatte ich den bestimmten Eindruck, dass aus Platzgründen zunehmend die Erklärungen herausgeschnitten wurden. Als Folge davon geht zunehmend der Zusammenhang verloren und die Szenen ergeben sich beliebig auseinander. Ob Lady Eleanor oder ihre Tochter nun draufgehen – wen kümmert’s? Und vor allem: Wer kapiert’s? Mag ja sein, dass Julie in der Fortsetzung wieder auftaucht, doch wie kam sie überhaupt in das Zwischenreich?

Das ist aber noch nicht das Schlimmste. Wie in einer beliebigen Schmierenkomödie beginnen die beiden Hauptfiguren Kilvert und Denborough nämlich aufs Übelste zu chargieren. Besonders der Sprecher des Denborough – laut Booklet also ein gewisser Reent Reins – trägt reichlich dick auf, wenn es um den Ausdruck von Hass und Bosheit geht. Schon bald sehnt sich der Zuhörer danach, diesen Schurken (oder seinen Sprecher?) eliminiert zu sehen, auf welche Weise auch immer. Hieße ich Hannibal Lecter, Doktor der Psychologie, hätte ich da schon eine Idee …

|Musik & Geräusche|

Die Musik von Terry Devine-King genügt filmischen Ansprüchen, allerdings wiederholt sie ihre Standardmotive allzu häufig. Da lobe ich mir schon die Geräuschkulisse: Vom Sturm über Bestien bis zu Flammen und Explosionen – der Tonmeister bietet alles auf, was das Arsenal an Soundsamples hergibt, um seiner horrormäßigen Mystikshow das nötige Flair zu verleihen. Eigentlich fehlt nur noch eine saftige Romanze, um den Rest an gefühlvollen Szenen, Musikmotiven und Toneffekten aus dem Arsenal zu kitzeln. Aber das kommt bestimmt noch. Eine Seifenoper wie diese braucht das einfach.

_Unterm Strich_

Was man mit einem niedrigen Budget, einem halbgaren Drehbuch, einer Riege von Sprechern und einigen Gigabyte an Soundsamples heute doch alles erreichen kann! Der Zuhörer fühlt sich prächtig von der horrormäßigen Seifenoper mit dem Mystik-Touch unterhalten. Doch der Kenner wird bemerken, dass so manche Figur im Nirgendwo verschwindet, und sich die Action als Selbstzweck entpuppt. Und Totgeglaubte leben natürlich auch länger, als man gedacht hat.

Aufgrund der allenthalben inszenierten Gewalt empfiehlt der Verlag sein Produkt erst Jugendlichen ab 16 Jahren. Dem kann ich nur beipflichten. Aber echte Horrorfreunde wird dies keinesfalls abschrecken. Und wer mit der walisischen Mythologie vertraut ist, den zieht das Wort „Annwyn“, ursprünglich der Name für den Herrscher über das Totenreich bzw. die Geisterwelt, natürlich wie magisch an. Allerdings lautet der Name im Walisischen korrekt „Annwn“, wobei das W wie ein U ausgesprochen wird. Macht nix: Im Hörspiel ist trotzdem von „Ännwin“ die Rede. Hauptsache, die Figuren glauben wenigstens daran.

Auf die Fortsetzung kann ich also gut verzichten.

|2 CDs, 93 Minuten|