John Barnes – Der Himmel, so weit und schwarz. SF-Roman

Marsroman aus der Oberliga, mit Schwächen

Man schreibt das Ende des 21. Jahrhunderts. Der Mars ist schon weit fortgeschritten in seiner Terraformung. Es gibt Oberflächengewässer und eine dünne Atmosphäre. Ökospektoren suchen immer weitere Quellen für Methan, Wasser und dergleichen. Schon gibt es die ersten für den Mars genetisch angepassten Menschen, die Froyks. Als Tel-Mel Murray und ihr Vater auf eine Methanquelle stoßen, sind sie schlagartig reich. Doch als sie ohne ihn vom Äquator nach Wells City zurückkehrt, ereignet sich eine Katastrophe, die ihr Leben ebenso umkrempeln wird: Eine gewaltige Sonneneruption legt sämtliche Technik lahm. Das Leben auf dem Mars ist akut bedroht – auch von der Erde …

Der Autor

John Barnes, geboren 1957 in Angola, Indiana, studierte Politik- und Theaterwissenschaft. Er verfasste viele Einträge für die „Oxford Encyclopedia of Theatre and Performance“. Er arbeitete mehrere Jahre als Systemanalytiker, bevor er 1985 seine erste SF-Erzählung veröffentlichte. Seitdem entstanden neben zahlreichen weiteren Storys und Essays mehr als zwanzig Romane, darunter zwei in Kooperation mit dem Astronauten Buzz Aldrin (der zweite Mensch auf dem Mond!). Dr. John Barnes lebt heute in Denver, Colorado.

Kurz gesagt: John Barnes gilt als einer der wichtigsten Science-Fiction-Autoren der neunziger Jahre. Sein Roman „Eine Million offener Tore“ hat mir sehr gut gefallen. Dessen Fortsetzung trägt den Titel „Earth Made of Glass“. Der dickleibige Schmöker „Die Mutter aller Stürme“ (1994) kommt als konventioneller Katastrophenroman daher, doch erweist er sich zunehmend als prophetisch: Im Jahr 2028 löst eine Atomexplosion am Nordpol die Freisetzung der ozeanischen Methanvorräte aus. Diese verändern das Weltklima und die Meeresströmungen dramatisch. Gigantische Wirbelstürme machen die Küsten platt, und nach dem Versiegen des Golfstroms erlebt Europa eine Eiszeit.

Handlung

Der rote Planet ist am Ende des 21. Jahrhunderts die Zufluchtstätte von rund drei Millionen Menschen. Sie sind in vier Wellen vor Kriegen und der Herrschaft OneTrues auf der Erde geflohen, einer Künstlichen Intelligenz, die jeden Menschen zu ihrem geistigen Sklaven machen kann. Auf dem Mars haben sich die Flüchtlinge, verwaltet von der allmächtigen Entwicklungsgesellschaft, eine zufrieden stellende Existenz aufgebaut. Mehr und mehr leben in den Städten wie Red Sands City, doch es gibt noch einen besonderen Menschenschlag, der die Freiheit draußen in der weitgehend unerschlossenen Marswildnis vorzieht: die Rounditachis.

Die meisten dieser Grenzbewohner sind Ökospektoren. Sie suchen wie früher die Gold- und Ölsucher (Prospektoren) nach Quellen und Lagerstätten von Stoffen, die die Atmosphäre und die Oberfläche dem Menschen zuträglicher machen. Zum Beispiel trägt Methan dazu bei, den Wärmehaushalt in der – immer noch dünnen – Atmosphäre zu regulieren. Die fünfzehnjährige Tel-Mel (die Kurzform von Terpsichore Melpomene) alias Teri Murray ist so eine Ökospektorin. Mit ihrem Vater zieht sie in unerschlossenes Gelände. Sie hofft, in wenigen Tagen ihre Erwachsenenprüfung ablegen zu dürfen und die Schule zu beenden. Dann will sie heiraten, eine Familie und eine Ökospektoren-Firma gründen. Ihr Vater hilft ihr dabei, indem er, wie er meint, gute Ratschläge gibt. Sie kommt sich bevormundet vor.

Die beiden Murrays – Tel-Mels Mutter kam bei einem Sturz ums Leben – sind im Gegensatz zu manch anderem Prospektor methodisch vorgehende Sucher und so stoßen sie auf einer weiten Ebene auf eine Methanlagerstätte, die zwar dreizehn Kilometer unter der Oberfläche liegt, aber ein Vermögen wert ist. Mit einem relativ teuren Explosivgeschoss, das sie kaufen und in die Tiefe jagen, fördern sie das Methan an die Oberfläche – sie sind steinreich! Als sie auch noch eine Wasserquelle erschließen, erscheint die Zukunft so rosig, dass es fast zu schön ist.

Ist es auch. Teris Freund Perry entpuppt sich beim großen Jahrestreffen der Rounditos als bereits verheiratet. Die Dumpfbacke hätte ihr das auch früher sagen können. Sie heult sich an der Brust ihres Vaters erst einmal richtig aus – schließlich ist sie ja erst fünfzehn, oder? Auf seinen Rat hin sucht sie ihre alten Freundinnen auf, bekommt von allen bestätigt, was für ein Dummkopf dieser Perry doch sei und lauscht den alten Pioniergeschichten. Dabei gruselt es Teri ganz gehörig und sie wünscht sich, niemals das Opfer von OneTrue, der irdischen Zentral-KI, zu werden. Eine Geistessklavin – kann es etwas Schlimmeres geben?

EINSCHUB

Diese Erlebnisse gibt Teri zu Protokoll, bevor ihre Erinnerung von Amts wegen gelöscht wird. Der aufnehmende Polizeibeamte erzählt uns in der Ich-Form, wie er Teris Erlebnisse einschätzt und liefert ein paar willkommene Erklärungen. Auf den Seiten 170 bis 174 erklärt er beispielsweise die Sache mit den Memen und wie daraus OneTrue entstand, das dominante, intelligente Mem das einen Ableger in jedem infizierten Menschen erzeugt hat. Diesen Ableger (den man als Thin Client ansehen könnte, im Gegensatz zu einem Fat Client) nennt es Resuna (von lateinisch ‚res’ = Sache und ‚una’ = eine, einzige).

Ständig lebt der Mars in Angst, von OneTrues Memen infiziert und übernommen zu werden. Es gibt daher entsprechende Schutzmaßnahmen, und unser zweiter Erzähler, ein Polizeipsychologe, gehört zu den Leuten, die der Staatsanwaltschaft helfen, potenziell Infizierte ausfindig und unschädlich zu machen. Daher sein Interesse für Teri Murray. Teri nennt ihn „Doc“, denn sie hat zu ihm eine gute Beziehung aufgebaut. Die Frage ist natürlich: Wie sollte Teri als infiziert angesehen werden, wenn sie doch weit draußen in der Wildnis gelebt hat? …

EINSCHUB ENDE

2. September 2095 macht sich Teri als Gruppenführerin zusammen mit Paps auf den Weg, um eine Schar Kinder in die hunderte Kilometer entfernte Stadt Red Sands City zu bringen. Da sie nun zur Vollerwachsenen erklärt worden ist, bedeutet die neue Position als Captain ein großes Stück Verantwortung. Und bis zu jenem Unglückstag klappt auch alles ausgezeichnet. Sie schließt Freundschaft mit einem fast gleichaltrigen Jungen und einem Zehnjährigen namens Alik.

Teri wacht auf, weil ihr Raumanzug jede Menge Lärm von sich gibt. Ein Dutzend Alarme sind gleichzeitig ausgelöst worden. Bis sie diese durch geeignete Maßnahmen zum Schweigen gebracht hat, vergeht eine Minute. So merkt sie nicht, wie still ihr Vater und der fast gleichaltrige Junge daliegen. Sie sieht aber das Mädchen, das wie verrückt in seinem Raumanzug kreiselt. Es scheint einen Anfall zu haben, und so ist es auch. Wenige Sekunden später ist das Mädchen gestorben. Nur Teri und drei Kinder leben noch. Wie konnte dieser Horror nur passieren?

Es dauert eine Weile, bis sie herausfindet, dass eine Sonneneruption massive Strahlung auf den Mars losgelassen und alle unzureichend geschützte Elektrik und Elektronik zerstört hat. Teris Gruppe hatte noch Glück. Was sie nicht weiß: In den Städten auf der Tagseite brachen Brände aus, und es starben Hunderttausende. Von den Rounditos sind Zehntausende gestorben. Ebenso schlimm ist jedoch auch der Ausfall sämtlicher Satelliten für Peilung, Kommunikation und militärische Aufgaben, wie etwa die Abwehr von OneTrues Sonden …

Nun muss Teri Hilfe holen. Als Ziel nimmt sie sich die Strecke der Magnetschwebebahn, die nur 100 km entfernt vorbeiführt. Dort gibt es Vorräte und Kommunikationseinrichtungen. Mit Alik, dem Jungen, gelingt ihr der beschwerliche Marsch dorthin. Als sie einer weiteren Gruppen Hilfe bringen will, stürzt sie jedoch unter dem Zusatzgewicht des Proviants ab und wird schwer verletzt. Da hört sie eine freundliche Frauenstimme in ihrem Helm. Resuna, der Ableger von OneTrue, grüßt sie mit einem verlockenden Angebot. Sie bietet Teri Hilfe an. Sie muss nur vier magische Worte sagen.

Eine schöne Klemme. Teri hat die Wahl, entweder binnen Stunden einsam und allein im Dreck zu sterben oder Hilfe zu erhalten und damit Resuna in ihren Kopf und auf den Mars zu lassen …

Mein Eindruck

In Anbetracht der Tatsache, dass noch kein Mensch auf dem Mars gelandet ist, geschweige denn eine Siedlung errichtet hat, musste sich der Autor eine ganze Menge einfallen lassen, um dem Leser das Leben einer 15-jährigen Ökospektorin nahe zu bringen. Es war wohl dieser eine Punkt, der das Schreiben des Buches so schwierig gemacht hat, wie der Autor in seiner Danksagung schreibt. Denn es ist ja nicht damit getan, ein Mädchen in einen Raumanzug zu stecken und dann losmarschieren zu lassen. Nein, dieses Bild glaubwürdig zu machen, erforderte die Schaffung einer ganzen Kultur – die Kultur zweier Planeten.

Die Kulturgeschichte der Zukunft

Ich habe die Geschichte und die Kulturen von Mars und Erde im Jahr 2095 knapp skizziert und möchte mich hier nicht wiederholen. Hier bringt der Autor seine Kenntnisse als Systemanalytiker und Politologe zum Tragen. Was mich wirklich beeindruckt hat, ist die Plausibilität, mit der es ihm gelungen ist, die künftigen Bedingungen auf realistische Weise für jede Ebene der Kultur zu erfinden und zu begründen.

Es kommt immer wieder zum Ausdruck, dass der rote Planet Ende des schrecklichen 21. Jahrhunderts ein Refugium ist, das sich mit massiven – technischen! – Mitteln gegen den gierigen Zugriff der Erd-KI zur Wehr setzt. Als es zum Super-GAU kommt und diese Technik ausfällt, schlägt für OneTrue wie auch für die ungeschützten Ökospektoren die Stunde der Wahrheit. Das Aufeinandertreffen von Mensch und Maschine hat harsche Konsequenzen.

Wie weit diese Folgen reichen, erweist sich erst an der Ich-Erzählung unseres namenlosen Psycho-Polizisten. Als er sein langes Memo aufnimmt, glaubt er, sich im Jahr 2095 zu befinden, aber das stellt sich beim Besuch seines Kollegen Cal als Illusion heraus: Es ist der 29. Juni 2097. Was ist passiert? Ganz einfach: Man hat mit ihm dasselbe wie mit Teri Murray gemacht und ihm Teile seines Gedächtnisses gelöscht. Jene Teile, in denen sich Resuna eingenistet hatte. Die Mars-Regierung konnte nicht riskieren, dieses Potenzial auf die restliche Marsbevölkerung loszulassen. Und möglicherweise war diese Löschung nicht die einzige – genau wie bei Teri. Der Preis für die Freiheit ist also sehr hoch. Doc und Teri können zwar noch frei herumlaufen, aber man ihnen Teile ihrer Persönlichkeit genommen, ohne sie zu ersetzen.

Gierige Meme

Was uns zu Resuna und OneTrue bringt. Kann ein Computervirus wirklich die Barriere zwischen Technik und Fleisch überspringen? Wir sollten uns ein solches Programm im Jahr 2095 nicht mehr als ein Stück Software vorstellen, denn sicherlich hat es bis dahin erheblich Weiterentwicklungen gegeben: Implantate, Biochips usw., so dass die Grenze zwischen Technik und Fleisch sowieso bis zur Nichtexistenz verwischt ist. Und dass solche Programme sich wie Sprachinhalte – so genannte Meme – verhalten und die Erinnerung wie eine Festplatte überschreiben können, rückt in die Nähe des Glaubhaften. Die Einwilligung des Opfers ist immer noch unabdingbar, damit Resuna eindringen kann: „Lass überbrücken, lass überschreiben“ – abgekürzt „lülü“, manchmal auch „lala“, nur um den Teufel nicht beim Namen nennen zu müssen. (Dieser Themenkomplex wird von Doc genau beschrieben: Man lese die Seiten 170 bis 174.)

Schwachpunkte

Was Leser wie mich sicherlich von Anfang stört, ist der Umstand, dass sich unser Psycho-Doc-Erzähler niemals beim Namen nennt. Das macht ihn anonym und verschleiert seine Individualität. Gerade dies jedoch könnte eine Folge seiner Übernahme durch Resuna sein! Er merkt es nicht einmal selbst. Er mag ja noch eine detaillierte Erinnerung an seine persönliche Geschichte haben, doch könnte es sich ebenso gut um ein Gedächtnisimplantat handelt. An dieser Stelle gerät der Autor bedenklich nahe an das Territorium in der SF, auf dem gemeinhin Philip K. Dick, der Meister der Wirklichkeitsdestruktion, seine Spielwiese hatte.

Dass das Buch mit diesem gesichtslosen Erzähler beginnt, erleichtert den Einstieg in die wirklich interessante Geschichte Teri Murrays nicht gerade. Andererseits: Würde der wahre Erzähler erst später auftauchen und dann die Wahrheit von Teris Geschichte relativieren, müsste sich der Leser erstens wundern und zweitens ein ganz klein wenig hintergangen fühlen – ein so schöne Marsgeschichte, und dann stellt sich die Hälfte als unwahr oder irrelevant heraus, quasi ein modernes Märchen? Das ist kein schönes Gefühl, und deshalb schenkt uns der Erzähler bzw. Autor von Anfang an reinen Wein ein. Leider ist das auch kein schönes Gefühl, und so wird aus einem wirklich guten Roman richtig harte Arbeit.

Eine sympathische Heldin

Wenn ich sage „wirklich guter Roman“, so bezieht sich dies auf Teris Geschichte. Diese ist wie gesagt nicht nur eine Coming-of-age-Story einer Fünfzehnjährigen, nicht nur eine tragische Familiengeschichte, sondern das Porträt einer Kultur: erst die der Ökospektoren, der „Rounditachi“, dann die des gesamten Mars, schließlich auch die der Erde. Teris Werdegang ist faszinierend zu verfolgen, aber leicht zu verstehen, denn sie unterscheidet sich nur wenig von einer irdischen 15-Jährigen. Ihr Gefühlsleben ist das gleiche, ihre Fähigkeiten jedoch weiter entwickelt.

Teri ist ein Individuum, mit dem man gerne längere Zeit verbringt, denn sie hat nur wenig Flausen im Kopf, aber eine Menge Anlässe, das Herz gebrochen zu bekommen: Mutter tot, Verlobter schon verheiratet, Vater von Technik gekillt, Unfall bricht ihr die Beine – wie viel schlimmer kann es noch werden? Man kann nicht anders, als mit Teri zu fühlen und ihr wie dem Mars alles Gute zu wünschen – und tappt damit in die Falle, die der Autor so clever gestellt hat: siehe oben. Man muss sich fragen, welchen Preis man für dieses Glück, diese Freiheit zu zahlen bereit wäre.

Die Übersetzung

… hat Gerald Jung angefertigt und dabei einen meist sehr guten Job gemacht. Seine Handhabung von Umgangssprache ist sicher und plausibel. Doch es gibt ein paar Ungereimtheiten, die dem Leser Kopfzerbrechen bereiten dürften. Vor allem sind es die fehlenden Sacherklärungen für folgende Phänomene, die im Buch auftauchen:

– Taji: ein kuppelförmiges Zelt, das sich nach Belieben weiter ausbauen lässt;
– Satcell: Satelliten-Handy;
– Protolyzer: vollautomatisches Analyse- und Produktionsgerät für jegliche Art von Materie, sehr praktisch;
– Wickies: Stiefel, passend zum Raumanzug;
– Werp: PDA, entweder als Hardware oder als virtuelle Webseite als persönliche, digitale Repräsentanz, mit „Fernbedienung“ und GPS-Peilsender usw., lebenswichtig!
– Kokani: die Marsform eines Lachses;
– Spermwale (68) : = Pottwale
– Sebkhet: eine Landschaftsformation, hier eine weitläufige Sickerebene, matschig, zuweilen gefroren
– Chondreore: gesteuert auf die Pole niedergehende Felsbrocken
– Erg: die tiefste Sandwüste, meist mit Wanderdünen;
– Ein „skoshi“: ein wenig;
– Lisport: Teil des Raumanzugs;
– Mem: ein Computervirus, der auf Menschen anwendbar ist; OneTrue ist das allbeherrschende Mem auf der Erde; Krieg der Meme ab 2049.
Seite 69: „Präsident Bush infizierte sich 1993 mit mutAIDS“
Seite 153: „ein knielanger und ärmelloser Unterrock“. Wie sich herausstellt, handelt es sich um einen richtigen Rock, der nicht geteilt, mithin also beinlos ist.

Das Titelbild

Die Umschlaggestaltung vom Künstler „BabbaRammDass“ setzt im Grunde die Aussage des Titels ins Bild und kann diesbezüglich nicht kritisiert werden. Ein gelbes und rotes Cover hätte in krassem Widerspruch zum Titel gestanden und Verwunderung ausgelöst – dennoch hätte die Farbe Rot zum roten Planeten sehr gut gepasst.

Das Cover zeigt einen möglicherweise weiblichen Menschen, der von einem hellen Schein umgeben ist, vor einem schwarzen Himmel, der sich über einem nicht-irdischen Planeten erhebt. Der Planet – vermutlich der Mars – verfügt im Gegensatz zur Erde nur über eine hauchdünne Atmosphäre. Was diesem Bild fehlt, sind die im Text erwähnten, ständig niedergehenden Chondreoren (s.o.), die man sich als Sternschnuppen vorstellen kann. Sie hätten das Bild geheimnisvoller gemacht und es auch ein wenig aufgehellt. Mich hat die düstere Farbgestaltung davon abgehalten, ein derart unattraktives Buch in die Hand zu nehmen.

Missing pieces

Ich fand es sehr schade, dass dieses Buch, das in der Oberliga der Marsromane spielt, keine einzige Marskarte enthält. Sicher: Diese Karte würde auf der Gegenwart basieren und wäre im Jahr 2095 des Buches überholt. Aber die großen Strukturen wie die Valles Marineris und die drei großen Vulkane sowie das Hellas-Becken werden erwähnt und lassen sich nicht ohne weiteres ausradieren. Es wäre schön, könnte sich der Leser an einer solchen Karte orientieren. Herrje, sogar „Weißer Mars“ von Aldiss/Penrose enthält eine, von Robinsons Mars-Trilogie ganz zu schweigen! Dann könnte der Leser Namen wie Marinerburg und Tharsisitos verstehen.

Wie man schon an meiner Liste unter dem Abschnitt „Übersetzung“ ablesen kann, wären ein Glossar oder wenigstens Fußnoten sehr hilfreich gewesen. Dass der Autor sie nicht bereitstellt, muss ja nicht heißen, dass sie nicht vom Übersetzer geliefert werden könnten. Übersetzer wie Usch Kiausch müssen diesen Job dauernd übernehmen, um so anspruchsvolle Werke wie „Accelerando“ oder „Singularität“ von Charles Stross verständlich zu machen. Warum also nicht auch Gerald Jung?

Und warum unterscheiden sich die beiden Klappentexte (auf der Rückseite und auf den Vorsatzblättern) so radikal voneinander? Das verwirrt ebenfalls.

Unterm Strich

Stellt man diesen Roman in die Reihe bekannter oder wichtiger Marsromane der letzten Jahre – und das Buch ist ja schon vier Jahre alt –, so kann es sich zu meinem Erstaunen doch gegenüber monumentalen Werken wie Robinsons Mars-Trilogie behaupten. Denn Barnes hat den Pluspunkt einer tief sitzenden Technikskepsis , die seine akribische Realitätsbeschreibung durchdringt. Man könnte fast meinen, dass er ein europäischer Autor sein. Denn die Protagonistin, der wir wirklich alles Gute wünschen, könnte zwar eine strahlende Heldin sein, doch bevor es dazu kommt, wird sie Opfer eines technischen GAUs und einer feindlichen Übernahme. Das ist nicht schön, nicht nett, aber so ist das Leben vermutlich für viele Menschen auch nicht.

Auf einem Messestand, der im Pavillon des Roundito-Jahrestreffens aufgestellt ist, entfaltet sich für Teri und uns die strahlende Zukunft des Mars: idyllische Flussläufe, die von genverändertem Schilf und Bambus gesäumt und von Marsform-Bibern belebt werden. Dazu soll es allerdings nach dem Sunburst, der zum GAU führt, nicht mehr kommen – oder zumindest erst nach einer Verzögerung von mehr als einem Jahrhundert.

Das Buch fordert Geduld von seinem Leser. 200 Seiten lang herrscht Friede, Freude, Eierkuchen, doch ein Gefühl des Unbehagens vermittelt Doc, der Erzähler, dennoch. Dann aber kommt es knüppeldick für unsere Heldin und den Doc. Da heißt es aufpassen, um alles richtig auf die Reihe zu bekommen. Unzuverlässige Chronisten sind in amerikanischer Science-Fiction sehr selten zu finden, und der nichts Böses ahnende Leser könnte auf ihn hereinfallen. Er sei hiermit gewarnt.

Kurzum: ein Marsroman für entsprechend vorgebildete, denkende Menschen. Innerhalb der Riege der Marsromane eindeutig in der Oberliga angesiedelt. Der Verlag und sein Übersetzer hätten aber wesentlich mehr daraus machen können.

Originaltitel: The sky so big and black, 2002
319 Seiten
Aus dem US-Englischen von Gerald Jung
ISBN-13: 9783865520074

https://www.festa-verlag.de

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