Thomas A. Barron – Merlin – Wie alles begann (Hörbuch)

„Merlin – Wie alles begann“ ist der erste Teil einer erfolgreichen Saga um die Jugend des legendären Zauberers: Sie erzählt von jener Zeit, als Merlin noch nicht der berühmteste aller Magier war, noch nicht der weise Lehrmeister des jungen Königs Artus, sondern ein Kind, dessen Mutter seine Herkunft mit einem geheimnisvollen Schweigen umgibt. Klar, dass er seine Wurzeln erkunden muss. Denn das bedeutet, die Quelle seiner Fähigkeiten zu ergründen.

Der Autor

Thomas A. Barron wuchs in Massachusetts/USA auf. Er studierte an den Unis Princeton und Oxford Philosophie, Politik und Wirtschaftswissenschaften, war Manager in einer New Yorker Anlagefirma und anschließend selbständiger Unternehmer. Seit 1990 ist er freier Autor und lebt mit seiner Familie in Boulder, Colorado. (Verlagsinfo) Seine Homepage: http://www.tabarron.com.

Seine Saga um die Jugend des Zauberers Merlin umfasst fünf Bände:

1) Merlin – Wie alles begann
2) Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
3) Merlin und die Feuerprobe
4) Merlin und der Zauberspiegel
5) Merlin und die Flügel der Freiheit

Der Autor hat die vorliegende „Lesefassung“ autorisiert. Es handelt sich also wohl um eine gekürzte Version des Buches.

Die Sprecher

Stefan Wilkening ist als Emrys (später „Merlin“) zu hören, und Kai Taschner als Erzähler. Sie lassen die Geschichte lebendig werden.

Regie führte, wie schon bei Isabel Allendes Hörbuch „Im Reich des goldenen Drachen“, Caroline Neven Du Mont.

Handlung

Ein Junge und eine bewusstlose Frau werden an die felsige Küste von Wales gespült. Die Gestrandeten sind Emrys und seine Mutter, die sich Brangwen nennt. Emrys erinnert sich nicht, woher er kommt und wie er hierher gelangt ist. Als ein wilder Keiler auftaucht und Emrys angreift, werden die beiden schwachen Schiffbrüchigen von einem Hirsch verteidigt und gerettet. Dies ist einer der Zweikämpfe zwischen dem keltischen Gott Daghda und seinem Widersacher Ritagaur.

Fünf Jahre später lebt Brangwen mit ihrem Sohn als Heilerin in einem walisischen Dorf, das einst die Römer errichtet hatten und nun von den eingedrungenen Sachsen bewohnt wird. Emrys entwickelt die „Talente“ der Empathie, der Hellseherei und der Telekinese. Sein Widersacher ist der Raufbold Dinatius, der schließlich ihre Hütte überfällt. Nachdem er Emrys niedergeschlagen hat, will er mit seinen Kumpanen Brangwen als Hexe auf einem Scheiterhaufen verbrennen.

Emrys lässt einen schweren brennenden Ast auf Dinatius fallen, so dass der Junge verbrennt. Seine Todesschreie bewegen Emrys dazu, ihn aus dem Feuer zu retten. Dabei erblindet Emrys, wird in einem weit entfernten christlichen Kloster gesundgepflegt, in Caer Myrddin. Dafür, dass er sein zweites Gesicht wiedererlangt, verzichtet er für den Christengott auf seine anderen Gaben.

Nachdem er sein Zweites Gesicht bis zur Perfektion trainiert hat, verlässt er mit einem Zauberamulett seiner Mutter das Kloster, segelt übers Meer, strandet an einem fruchtbaren Gestade. Schon wieder wird er Zeuge eines Kampfes zwischen Tieren: Diesmal ist es sein Totemtier, der Merlinfalke, der es mit zwei Riesenratten aufnimmt. Durch sein Eingreifen rettet Emrys dem Falken das Leben, doch der revanchiert sich schlecht: Er reißt dem Jungen die Haut von der Hand.

In einem sehr lebendigen Wald lernt er ein wildes Mädchen kennen: Rhiannon, kurz ‚Rhia‘ genannt. Sie spricht mit den Bäumen und den Tieren, genau wie Tolkiens Baumbart: eine Hüterin, die natürlich in einem Baum wohnt. Dieses Land ist Fincaira, von dem seine Mutter immer sang. Doch das Land ist beschädigt, verheert, dem Tode nahe, und nur Rhias Wald ist die letzte Bastion des Lebens. Das Vordringen der Ratten und eines Wechselgeistes ist ein Alarmzeichen.

Die Bedrohung geht von König Stangmar aus, der Merlins altem Feind Ritagaur hörig geworden ist. Er gebietet über die Toten, die als Ghule seinen Willen erfüllen, und den Goblins, die Jagd auf freie Wesen machen. Vor allem aber ist König Stangmar hinter den Schätzen des sagenhaften Landes her, und Emrys vermutet, dass ihm nur noch sein Galathor fehlt, den er am Hals trägt, bis Stangmars Macht vollkommen ist.

Doch was ist zu tun? Die Prophezeiung der weisen Elusa, die als Spinne in einer Kristallhöhle lebt, verheißt, dass das Schloss des Königs zerstört werden wird, wenn die verschwundenen Riesen wieder tanzen und singen. Doch diese Riesen sind wenig vielversprechend, wenn sich Emrys ihren letzten Vertreter ansieht: Shim ist eher ein Zwerg von Statur und ziemlich vorsichtig. Singen kann er auch nicht. Soll also Emrys seine anderen Kräfte einsetzen? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, bevor er das mit seinem Gewissen vereinbaren kann? Zunächst muss er erst einmal wissen, wer er selbst ist.

Emrys wird von Goblins gefangengenommen, doch Rhia tauscht mit ihm, so dass sie es ist, die in das Schloss Stangmars verschleppt wird. Emrys, Shim und der Merlinfalke „Verdruss“ machen sich auf den Weg. Von dem unterirdisch lebenden Poeten Capre erfährt er mehr über die Herkunft seiner Mutter. Sie hieß ursprünglich Elaine und stammte aus Gwynnedd (Wales), ihr Vater war ein Zauberer im Dienste Daghdas, der aber in Stangmars Kreis geriet. Wieder zeigt sich hier der Widerstreit zwischen Daghda und Ritagaur: Während Ritagaur sowohl die Erde als auch die Anderswelt beherrschen will, lässt Daghda den Menschen ihren freien Willen. Sie müssen Fincaira selbst retten.

Elaine musste Fincaira verlassen, weil hier keine Menschen geboren werden dürfen. Doch ein Sturm trieb ihr Schiff zurück, und sie gebar Emrys an der Küste. Sechs Jahre später floh sie erneut – siehe oben.

Doch wer ist sein Vater? Vielleicht weiß die Hexe Domno im verhexten Moor Bescheid und den Weg, auf dem man ins Schloss gelangt. Bei der zwielichtigen Domno, die große Ähnlichkeit mit Gollum aufweist und deren Name „dunkles Schicksal“ bedeutet, müssen sie wetten, und als Einsatz akzeptiert Domno nur den Galathor. Domno ihrerseits gibt Emrys den eingefangenen Falken „Verdruss“, und das erweist sich als größeres Geschenk als beide ahnen.

Denn im Schloss kommt es zum Showdown zwischen König Stangmars Seite und Emrys und seinen Gefährten. Stangmar will Emrys dem Gott Ritagaur opfern, doch sowohl Shim als auch „Verdruss“ haben entschieden etwas dagegen. Und so geht der Kampf ganz anders aus, als es sich der König vorgestellt hat.

Mein Eindruck

Diese Fantasy-Geschichte ist für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren konzipiert. Dementsprechend einfach sind die Sprache und der Handlungsaufbau.

Der Held als Sucher, Erlöser und Heiler

Es handelt sich im Grunde um eine Entdeckungsreise, die den Helden, der sein Gedächtnis verloren hat, zu seinem Ursprung zurückführt, ihn mit großem Unglück konfrontiert und von ihm größte Opfer abverlangt, um das Unglück aufzuheben: Er kann das Land Fincaira von dem Fluch, das auf ihm lastet, erlösen. Aber erst dann, als er die Wahrheit erkannt und dem entsprechend gehandelt hat. Dabei helfen ihm, wie in der Fantasy üblich, gute Gefährten, aber auch zwielichtige Wesen. Und eine rätselhafte Prophezeiung spielt natürlich ebenfalls eine Rolle. Erst dann, wenn sie sich erfüllt hat, weiß der Held – und mit ihm der Leser -, dass sozusagen alles wieder in Butter ist.

Der Zauberlehrling

Wieder einmal ist das eine Geschichte vom Zauberlehrling. Harry Potter lässt grüßen. Doch was bei Potter die viktorianische Umgebung darstellt, ist bei Emrys eine raue dörfliche, später eine natürliche Umgebung: Fincaira ist ein heiliges Land, eine Brücke zwischen Menschen- und Anderswelt. Demzufolge besitzen die Dinge, die Emrys hier antrifft, eine höhere und allgemeingültigere Bedeutung als sonst und spielen eine größere Rolle im Lauf der Welt.

Alle Wesen, die Emrys in Fincaira natrifft, sind Verkörperung von natürlichen Aspekten oder moralischen Prinzipien. Die Kunst liegt nun aber darin, dass der Autor sie nicht so platt aussehen lässt. Er muss ihnen mehrere Schichten von Bedeutung verleihen, eigene Motive, ein eigenes Leben. Rhia ist neben dem Falken die lebhaftetste Figur in Fincaira.

Rhias Rolle

Dass der Falke für Daghda steht, ist schon frühzeitig klar, doch wofür steht Rhia? Sie ist die Hüterin der letzten lebenden und sprechenden Bäume im zauberischen Druma-Wald. Sie sind ihre Gefährten, ihr Wohnbaum ist ihre Mutter und ihre Heimat. Rhia spielt eine wichtige Rolle dabei, Emrys zu etwas zu verwandeln, das es mit dem Bösen aufnehmen kann. Sie zeigt ihm den Sternenhimmel, aber nicht als Ansammlung von Sternbildern, sondern als etwas, das sich aus den Zwischenräumen formen lässt, sozusagen aus dem Negativ des Bildes. Und diese Wandlung in seiner Denkweise und Welt-Anschauung versetzt ihn in die lage, auch seine eigenen Kräfte, denen er abgeschworen hatte, wieder einzusetzen und so das Böse zu besiegen.

Barrons Quellen

Dass viele Handlungselemente sowie Figuren an Tolkiens Universum erinnern, liegt nicht etwa an Barrons möglicher Einfallslosigkeit, sondern an Tolkiens allgemein verfügbaren Quellen: Er hat sie walisisch-keltischen, altenglischen, altnordischen und finnischen Sagen und Epen entnommen. Aus dem gleichen Kessel kann legitimerweise auch Barron schöpfen. Und an walisischen Quellen bietet die Epensammlung des Mabinogion reichen Stoff. Der dunkle König entspricht beispielsweise Arawn, dem Herrn der Unterwelt. Beide besitzen einen schwarzen Kessel, aus dem neue Krieger verwandelt hervorgehen, die dem König, wiewohl untot, als Ghule gehorchen müssen. Natürlich ist es Stangmars Absicht, auch Emrys da hineinzuwerfen. (Mehr soll aber nicht verraten werden.)

Darth Vader

Beim Showdown fühlte ich mich doch sehr an Star Wars Episode V erinnert. Der dunkle König hat starke Ähnlichkeit mit Darth Vader. Was daraus folgt, muss ich der Intelligenz des aufmerksamen Lesers überlassen. Doch es zeigt, dass auch George Lucas und vor allem seine Drehbuchautorin Leigh Brackett ganz genau wussten, was sie taten: Sie verarbeiteten die klassischen Phasen der Entwicklung eines Helden so, wie die historischen Quellen, aus denen auch Tolkien schöpfte, es vorgaben.

Spannung

Natürlich bringt es der Handlungsaufbau unweigerlich mit sich, dass er im Leser Spannung aufbaut. Es gilt, eine ganze Latte von Geheimnissen und Rätseln der Vergangenheit zu lösen. Die Unglücke, die Emrys und seinen Gefährten zustoßen, sind auch nicht von Pappe. Manche Gestalten wie der kratzbürstige Falke, die spinnenhafte Elusa (Prophezeiung) und die hinterlistige Hexe Domno (Wette, Schachspiel) flößen nicht gerade Vertrauen ein. Geradezu heimelig wirkt dagegen der einsame Poet und Leser Capre in seiner unterirdischen Bibliothek. Der spannende Höhepunkt ist natürlich der Showdown im Schloss des dunklen Königs.

Ausblick

Emrys hat nun seinen neuen Namen erlangt, seinen Wahren Namen: Merlin, nach dem Falken. Somit ist er nun als Diener Daghdas ausgewiesen, zumindest für Rhia & Co. Er mag zwar nun ein Kämpfer sein, doch noch lange kein Lehrer von Königen wie Artus. Zuvor muss er noch lernen, Weisheit zu erlangen. Aber das ist eine andere Geschichte. Und die wird im nächsten Buch erzählt – siehe oben.

Die Sprecher

Selten hört man so deutlich gestaltete Stimmen, die auch noch so ausgezeichnet passen. Stefan Wilkening kann es in dieser Beziehung fast mit Rufus Beck aufnehmen. Allerdings übertreibt Beck seine Kunst manchmal. Wilkening erweckt wichtige Figuren wie die alte Domno oder die weise Elusa direkt zum Leben, inklusive ihrer ambivalenten Natur: Beide Wesen haben ihre eigenen Motive – Hunger oder Gier -, um Emrys zu helfen. Die Stimme König Stangmars ist ebenfalls recht passend: autoritär, würdevoll, aber leider auch ohne Gande – ein vom Bösen verdorbener König.

Zwischendurch ist kurz mal der Erzähler zu hören. Seine Aufgabe ist es, weniger wichtige Handlungsvorgänge raffend zusammenzufassen, bis dann die nächste wichtige Szene eröffnet wird. Das kommt dem Tempo der Handlung sehr zugute. Es ist nicht seine Aufgabe, irgendwelche Figuren zu charakterisieren.

Stefan Wilkening ist noch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Er ist der erste Sprecher, den ich kenne, der walisisch-keltische Namen korrekt ausspricht. Und zwar nicht nur ein- oder zweimal, sondern durchgehend. Das wird bei seiner Aussprache von ‚Rhia‘ deutlich: [chría]. Die Aussprache von ‚Gwynnedd‘ kann ich nicht einmal darstellen, weil mir das Zeichen für das stimmhafte ‚th‘ am Schluss fehlt. Das Gleiche gilt für Caer Myrddin, deas Kloster, in dem Emrys aufwächst, bis er Zwölf ist.

Unterm Strich

Dieses „Merlin“-Hörbuch hat mir sehr gut gefallen. Die Geschichte ist sowohl spannend und geheimnisvoll als auch anrührend. Sie ist meilenweit entfernt von den Klischees, die in der Mini-Serie „Merlin“ fürs Fernsehen verarbeitet wurden. Eine böse Feenkönigin (Queen Mab) ist hier nicht zu finden. Wohl aber Wesen, die ihre eigenen Motive haben, ähnlich wie in Michael Endes „Unendliche Geschichte“. Und wie bei Ende gilt es, ein sagenhaftes Land vor dem Bösen zu retten.

Der Sprecher Stefan Wilkening macht seine Sache ausgezeichnet, und ich würde ihn gerne wieder als Sprecher der nächsten Bände hören. Ursprünglich war laut Verlagsvorschau Schauspieler Daniel Brühl vorgesehen, aber der hatte garantiert keine Zeit, seit „Goodbye Lenin“ internationale Filmpreise einheimst. Ich finde Wilkening sogar noch besser, zumindest als Sprecher. Wer weiß, ob Brühl das Walisische so schön in den Griff bekommen hätte.

4 CDs
Spielzeit: ca. 230 Min.
Sprecher: Stefan Wilkening, Kai Taschner
www.hoerverlag.de