Basma Abdel Aziz – Das Tor

Ein nicht näher benanntes Land im Nahen Osten: Seit der Niederschlagung der Revolution brauchen die Bürger für jede noch so kleine Kleinigkeit in ihrem Leben – sei es die Überweisung zum Arzt oder die Erlaubnis, Brot zu kaufen – die Genehmigung des Staates. Um die zu erhalten, müssen sie sich vor einem riesigen Tor anstellen, das angeblich jeden Tag nur einer gewissen Anzahl an Anträgen stattgibt. In Wirklichkeit aber öffnet sich das Tor niemals, und die Schlange der Menschen, die in der glühenden Hitze warten, wird länger und länger, ihre Verzweiflung immer größer. Und doch will keiner von ihnen die Hoffnung aufgeben, dass das Tor eines Tages aufgehen wird …(Verlagsinfo)


Basma Abdel Aziz wurde 1976 in Kairo, Ägypten, geboren. Sie arbeitet als Künstlerin, Schriftstellerin und Psychiaterin, wobei sie auf die Behandlung von Folteropfern spezialisiert ist. In ihrer Heimat setzt sie sich unermüdlich für den Kampf gegen Unterdrückung und Verletzung der Menschenrechte ein. Für ihr literarisches Schaffen wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet. Die Autorin lebt in Kairo.
(Über die Autorin)

Das Tor ist das materialisierte Sinnbild einer totalitären Bürokratie. Anträge und Bescheinigungen halten die Bürger in Trab und verschaffen der Exekutive die Rechtfertigung für Verweigerung und Demütigung der Bevölkerung, die als Ausweg versucht, an die Bescheinigungen zu gelangen und damit ihre Selbstbestimmung abgibt. Es sind wenige Worte, die Aziz für diese Skizze benötigt. Sie verschwendet auch keine Zeit damit, diese Restriktionen zu begründen, denn vorgeschobene Gründe waren schon immer nur vorgeschoben. In Zeiten wie diesen drängt sich der Vergleich zur Durchsetzung von Katastrophengesetzen auf, doch schwimmt bei Aziz stets die Bedrohlichkeit durch ein totalitäres Regime mit, fokussiert auf den verletzten Protagonisten, der in seiner Beharrlichkeit, sich rechtmäßig helfen zu lassen durch die Erlangung eines Erlaubnisscheins, dem unauffälligen Zugriff des Regimes entzieht und so schließlich als einziger lebender Beweis für die Gräueltaten zu gelten hat. Seine Existenz wird dadurch zur unhaltbaren Situation für „das Tor“; Maßnahmen verschärfen sich bis zur Absurdität. Das Ende, das Aziz mit wenigen Bildern noch knapper gestaltet als den Rest der Geschichte bis hierhin, offenbart die getriebene Sehnsucht nach Gerechtigkeit auf der einen Seite, die Blindheit der Massen für das Gefahrenpotenzial der Machthaber sowie die absolute Skrupellosigkeit jener aus der Anonymität heraus.

Die Erzählung baut sich nicht langsam auf, sondern hält ein gleichbleibendes Tempo von einem wenig definierten Punkt X im Geschehen bis zum Ende. Der Stil ist dabei dokumentarisch knapp und distanziert, wodurch die Absurdität der Erlässe und auch der Handlungen von Einzelpersonen scharf konturiert erscheinen und nicht zum Lachen anregen, sondern Fassungslosigkeit und die Befürchtung erzeugen, gerade in derlei Fallen ebenso leicht tappen zu können, wie das den Menschen in der Geschichte geschieht.

Die Figuren bleiben dem Lesenden dabei merkwürdig fern und ihre Beweggründe farblos, trotz des ständigen Springens zwischen den Gedanken der Handelnden. Denn auch hier überwiegt der dokumentarische Stil und bewirkte bei mir ein beklemmendes Gefühl, das den Sog der Geschichte ausmacht, aber wenig fassbar bleibt. Es ist, als ob es vor allem die Darstellung der Alltäglichkeit ist, die die Glaubwürdigkeit der Geschehnisse als Idee für die Entwicklung bürokratischer Unterdrückung herstellt. Und dabei bleibt Aziz natürlich nicht allein bei Bürokratie und Repression, sondern dokumentiert die wichtigen Säulen dieser Systeme wie Propaganda, Denunziation, religiöse Eiferer, Trittbrettfahrer, zufriedene Mittelbürger, Sonderkommandos der Staatsgewalt, Erpressung und Fälschung. Das Gemenge der Schlange vor dem Tor bietet auch zu jedem Aspekt Anschauungsmaterial, und trotz des theoretisch möglichen Umfangs einer solchen Ausarbeitung bleibt Aziz bewundernswert fokussiert, stilisiert.

Es ist keine trockene Abhandlung, auch wenn sich Teile meiner Darstellung so anhören mögen. Gefühle entstehen zu Hauf beim Publikum, die Richtung und Intensität wird schwanken, aber unberührt wird man das Buch nicht zur Seite legen. Der Umschlag wirbt mit Zitaten amerikanischer Zeitungen, die das Buch z.B. mit Orwells „1984“ vergleichen wollen. Einen literaturwissenschaftlichen Vergleich zu vollziehen liegt mir nicht bei Rezensionen von Romanen, und inwieweit solch ein Vergleich für Lesende als Konsumenten zu erkennen sein kann, ist natürlich subjektiv. Es sind heute andere Zeiten und es existieren andere Möglichkeiten, aber die visionäre Kraft Orwells in dieses Werk Aziz‘ hineinzulesen weigere ich mich, schon allein aus Selbstschutz. Denn die Möglichkeiten aus „1984“ sind erreicht und überholt …

Insgesamt kann man das Buch gewinnbringend lesen, obwohl das Wort „gewinnbringend“ leider vor allem für den Verlag zutrifft, denn bei recht großer Schriftart, Zeilen- und Randabstand und dickem Papier scheint das Buch doch deutlich zu aufgebläht für den Neupreis. Inhaltlich ist es jedenfalls kein Fehler, dieser arabischen Stimme Gehör zu schenken.

Paperback, 288 Seiten
ISBN-13: 9783453320468
Deutsche Erstausgabe
Originaltitel:
The Queue
Aus dem Arabischen von Larissa Bender

Heyne

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)