Basma Hallak – Between My Worlds

Ein dunkelblauer Umschlag und eine Person, die in den Himmel schaut, dazu der farbige Schnitt im gleichen Farbton – Basma Hallaks Roman fällt optisch sofort ins Auge und wirkt interessant, auch wenn einem die Betitelung „Own-Voice“-Roman nicht unbedingt etwas sagt und der Titel „Between My Worlds“ zunächst einen englischsprachigen Roman vermuten lässt.

Der Leser trifft die deutsch-muslimische Ich-Erzählin Kalima Aziz auf dem neuen Berliner Flughafen, wo sie gerade versucht, noch rechtzeitig zu ihrem Flug zu gelangen, während sie an der Sicherheitskontrolle von pflichtbewussten, an individuellen Probleme völlig uninteressierten Sicherheitsmitarbeitern aufgehalten wird, weil ein Eis unter „Flüssigkeiten“ fällt. Wer schon mal eine Flugreise unternommen hat, wird die Situation wiedererkennen und sich vielleicht daran erinnern, wie man selbst versucht hat, seine Wasserflasche leerzutrinken. Aber warum plappert diese Ich-Erzählerin nur so viel, so halt- und scheinbar so belanglos. Warum hat man das Gefühl, dass sie nicht nur am Flughafen seitenlang um den heißen Brei ihrer „Reise nach Island“ oder „Flucht aus Berlin“ herumredet? Zehnmal zur Hand genommen und zehnmal wieder weggelegt. Dann doch erstmal gegoogelt und zu verstehen versucht, warum man diesen Roman lesen sollte. Basma Hallak macht es einem wirklich nicht leicht.

Aber, wenn man sich vom eigentümlichen Teenagergehabe einer Mitzwanzigjährigen mit jeder Menge obercooler Sprüche und dem ausschweifenden Nichtssagen nicht abschrecken lässt, versteht man als Leser nach und nach, dass Kalimas Fotoausstellung einen Shitstorm im Internet ausgelöst hat, dem sie zu viel Aufmerksamkeit beimisst, und sie wegen eines Bildbandes mit Fotos aus Island, der sie auf eine absurde Art mit ihrem zu früh verstorbenen Vater verbindet, auf diese kalte und unwirtliche Insel geflohen ist. Sie überredet den Einheimischen Noi, der zeitweise das Restaurant seiner Eltern führt und selbst ein Päckchen an Schuldgefühlen zu tragen hat, sie als Kellnerin einzustellen und mit ihr Ausflüge zu den Fotomotiven zu unternehmen. Und während sie wie ein aufgescheuchtes Huhn selbstironischen dahin plappert, stehlen sich immer wieder Erinnerungen an Momente ihres Lebens ins Geschehen, in denen sie wegen ihres Migrationshintergrundes und/ oder wegen ihrer Religionszugehörigkeit auf Unverständnis gestoßen ist, sowie ungerecht behandelt, ja sogar misshandelt wurde. Diese Momente sind genauso empörend wie sie die Leser traurig machen.

Schließlich beginnt man zu verstehen, dass Kalima eigentlich psychologische Begleitung nötig hätte und beispielhaft für das Versagen der Integration von Migranten in Deutschland steht. Welche ungelösten inneren Konflikte und Psychosen das Leben zwischen zwei so gegensätzlichen Kulturen bei den Betroffenen hinterlassen kann, fand ich persönlich neu und sehr interessant. Nicht nur, dass Kalima in der Schule Nachteile hatte, auch auf dem Weg ins Erwachsenenleben hat sie nie ihre eigene Identität finden können, weil ihr der Spagat zwischen der Anpassung an die Deutsche und dem Festhalten an ihrer muslimischen Identität nicht gelang. Stattdessen ist sie komplett in eine lähmende Opferrolle hineingewachsen, die ihr gegen Ende des Buches auch zum Verhängnis wird.

Dabei muss man das Hauptdrama gar nicht so sehr auf Kalimas Herkunft zurückführen. Jede Frau kann zum Objekt männlicher Fantasien werden – nicht nur die „nubische Prinzessin“. Auch viele deutsche Frauen, blonde Frauen, Frauen mit großer Oberweite oder einem üppigen Po können ein Lied von unangemessenem oder sogar übergriffigem Verhalten singen. Deshalb hat es mich nicht überzeugt, dass die häufige Sexualisierung Kalimas als „williges Weibchen“ nur auf ihr Kopftuch oder Klischeevorstellungen von muslimischen Frauen zurückgeführt werden. Denn eigentlich mangelt es ihr nur an Selbstbewusstsein und der Fähigkeit, sich nicht so viel daraus zu machen, was Andere über sie denken. Dass sie allerdings aus Angst vor männlicher Aufdringlichkeit lieber vor der Flughafentür zum Eisklumpen wird, als mit Männern in der Halle zu bleiben, das macht einen als Leser ebenso betroffen wie den sie abholenden Noi.

Bei Noi hätte man auch mehr Wert auf eine eigene Stimme legen können. Kalima oder Noi? Manchmal wird beim Kapitelwechsel nicht deutlich, wer spricht. Da muss man häufiger auf die Kapitelüberschrift zurückgreifen, um sich zu vergewissern. Außerdem ist er so hyperverständnisvoll, dass man gelegentlich ungläubig mit den Augen rollt. Oder möglicherweise ist man als fortgeschrittener Erwachsener zu alt für einen „New-Adult“-Roman. Was mich auch nicht überzeugt hat, ist die Tatsache, dass es in der kleinen isländischen Stadt ständig Betrunkene gibt, sowie Promiskuität und sexuelle Handlungen öffentlich zur Schau gestellt werden. Da bekommt man als Leser das Gefühl, dass hier ein Stereotyp mit dem anderen vergolten wird; so als gäbe es außerhalb der muslimischen Welt kein monogames Verhalten und keine Zurückhaltung.

Dennoch werden junge Leser der Zielgruppe, denen klebrig süße Liebesgeschichten noch ein geseufztes „Hach“ entlocken können, definitiv ihren Spaß an der Romantik des Romans haben. Mit großer Wahrscheinlich werden sich leider auch viele Migrantinnen der zweiten Generation oder deren Mütter in Kalimas Geschichte und den angesprochenen Problemen wiedererkennen. Aber, auch junge Erwachsene oder Teenager ohne Migrationshintergrund finden genügend Parallelen zur eigenen Suche nach der individuellen Identität, zum schwierigen Abnabeln von den Eltern und zum Wandeln zwischen den Welten, denn seien wir ehrlich, die meisten Menschen sind in irgendeinem Moment ihres Lebens mal „dazwischen“. Hoffen wir, dass es Kalima im zweiten Band „Between Your Memories“, der bereits erschienen ist, gelingt, ihre zwei Welten endlich miteinander zu versöhnen und ihren Platz in einer europäischen Gemeinschaft zu finden.

Taschenbuch: 464 Seiten
ISBN 13: 978-3426446591
hhttps://www.droemer-knaur.de/

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