Stephen Baxter / Arthur C. Clarke – Wächter (Zeit-Odyssee 3)

Spannender Showdown mit den Erstgeborenen

Einst haben die Erstgeborenen – mysteriöse Außerirdische – über eine Reihe schwarzer Monolithen mit uns Kontakt aufgenommen. Nun sind sie zurück. Ihr Ziel ist es, die menschliche Zivilisation in ihrer Entwicklung zu stoppen, und sie scheuen sich nicht, dafür eine furchtbare Waffe zum Einsatz zu bringen: die Q-Bombe. Die Tage der Menschheit scheinen im Jahr 2069 gezählt zu sein – doch irgendwo weit draußen im Weltall oder in den Tiefen der Zeit gibt es noch Hoffnung. (abgewandelte Verlagsinfo)

Die Autoren

1) Arthur C. Clarke, geboren 1917 in England, lebte seit den fünfziger Jahren in Sri Lanka, wo er im Jahr 2008 verstarb. Seine besten und bekanntesten Werke sind „Die letzte Generation “ (Childhood’s End) und „2001 – Odyssee im Weltraum“. Ebenfalls empfehlenswert ist der Startband des RAMA-Zyklus: [„Rendezvous mit Rama“, 4930 von dem Morgan Freemans Filmproduktionsfirma seit Jahren eine Verfilmung unter der Regie von David Fincher vorbereitet. Das Projekt wurde 2008 bis auf Weiteres gestoppt. Übrigens erfand der Ingenieur Clarke schon 1947 das Konzept eines künstlichen Satelliten und später das eines Fahrstuhls in die Erdumlaufbahn. Clarke starb im März 2008, also mit rund 90 Jahren.

2) Sein Landsmann Stephen Baxter, geboren 1957, wuchs in Liverpool auf, studierte Mathematik und Astronomie und widmete sich dann ganz dem Schreiben. Mittlerweile zählt er zu den bedeutendsten Autoren naturwissenschaftlich-technisch orientierter Sciencefiction. Baxter lebt und arbeitet in der englischen Grafschaft Buckinghamshire.

Seine Bücher werden häufig mit den Pionierwerken von Heinlein und Asimov verglichen. Das ist auch ganz in Ordnung, doch hat er keine Sympathien für Heinleins militaristische und libertäre Tendenzen und dessen Neigung zu dozieren. Ich sehe ihn daher vielmehr in der Nähe zu einem anderen Superstar des Genres: zu Arthur C. Clarke. Mit dem Autor von „2001 – Odyssee im Weltraum“ kooperierte Baxter schon mehrmals, so etwa in „Das Licht ferner Tage„. In dieser Tradition popularisiert Baxter Ideen der Sciencefiction und der Naturwissenschaft. Hierzu gehören wohl auch seine Roman-Trilogie über Mammuts und ein Roman mit dem selbsterklärenden Titel „Evolution“.

Aber Baxter war zu Beginn seiner Autorenlaufbahn auch richtig anspruchsvoll. Sein mehrbändiger |Xeelee|-Zyklus stellt eine eigene |Future History| dar, in der eine Galaxien umspannende Alienkultur, die Xeelee, mit den Menschen in Kontakt tritt. Sie treten in „Sternenkinder“ wieder auf, dem zweiten Band seiner Trilogie „Destiny’s Children“, der mit [„Transzendenz“ 3193 fortgesetzt wurde.

Der Odyssee-Zyklus

Im „Hinweis der Autoren“ zu „Die Zeit-Odyssee“ steht, das Buch solle weder als Nachfolger noch als Vorgänger der „Odyssee“-Reihe von Arthur C. Clarke verstanden werden. „Es steht vielmehr sozusagen ‚im rechten Winkel‘ zu ihnen – indem es ähnliche Vorgaben in einer anderen Richtung weiterführt.“

Dieser Hinweis ist durchaus notwendig, denn die Vorgaben sind verblüffend ähnlich. Wie in „2001 – Odyssee im Weltraum“ tauchen Alien-Artefakte auf, die sich wie die ominösen Monolithen in die Geschicke der Menschheit einmischen. Auch diesmal geht es wieder um die Intelligenz der Menschenwesen, doch wird sie offenbar nicht „geliftet“ wie beim Übergang vom Menschenaffen zum Affenmenschen (oder wie bei David Brin), sondern vielmehr analysiert und getestet wie in „Rama“.

Der Odyssee-Zyklus:

1) [2001 – Odyssee im Weltraum 1510 (1968)
2) 2010 – Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen (1985)
3) 2061 – Odyssee III (1988)
4) 3001 – Die letzte Odyssee (1997)

Fortsetzung „Zeit-Odyssee“, mit Stephen Baxter:

1) Die Zeit-Odyssee (Time’s Eye; 2004)
2) Sonnensturm (Sunstorm; 2005)
3) Wächter (Firstborn, 2008)

Vorgeschichte

Die Erstgeborenen haben sich zu einer Superzivilisation entwickelt, der in ihrer Ausbreitung das Auftreten von Bewusstsein auf anderen Welten wichtiger war als alles andere. Deshalb säten sie auf vielversprechenden Welten ihre Sender und Detektoren. Die Sender beeinflussten das aufkeimende Leben in Richtung auf die Entwicklung von Bewusstsein. Die Sender und Detektoren hatten die Gestalt schwarzer Monolithen.

Zweimal haben sie bereits versucht, die Erde zu vernichten: in „3001“ und in „Sonnensturm“. Der Sonnensturm wurde von den Erstgeborenen erzeugt. Beide Male gelang es der Menschheit, Gegenmittel zu erfinden und die Bedrohung abzuwehren. In „Zeit-Odyssee“ und „Sonnensturm“ stand die britische Polizistin Bisesa Dutt im Mittelpunkt der Ereignisse. Im Jahr 2050 begab sie sich in Kälteschlaf, doch nun, 19 Jahre später, herrscht Alarmzustand im Sonnensystem, und man weckt sie wieder auf …

Handlung

Das Jahr 2069. Die Erde hat die Prüfungen der „Zeit-Odyssee“ und des katastrophalen Sonnensturms überstanden, wenn auch unter Verlusten an Menschen und Material. Beide Katastrophen wurden von den mächtigen Erstgeborenen initiiert, die die Menschheit offensichtlich auf dem Kieker haben. Seit sich diese Wächter des Universums so unfreundlich gegen die aufstrebende Menschheit zeigen, säumen Unmengen von Sonden den Rand des Sonnensystems.

Eine dieser Sonden spürt einen ungewöhnlichen Eindringling auf. Die unbekannte Sonde kann jeden Angriff abwehren, nähert sich aber unaufhaltsam den Bahnen der Gasriesen: Uranus, Neptun, dann Saturn und schließlich sogar Jupiter. Was mag der Eindringling im Schilde führen? Wahrscheinlich nichts Gutes, sagen sich die Mitglieder des Weltraumrates auf der Erde. Einer der Wissenschaftler, Bill Carel, traut sich zu sagen, was andere verdrängen: Die sich nähernde Bombe verfügt über Quanteneffekte und Carel nennt sie kurz Q-Bombe: Sie dient der Vernichtung der Heimatwelt der Menschheit. Aber aus welchem Grund und zu welchem Zweck wollen die Erstgeborenen, die schon den Sonnensturm auslösten, die Menschen vernichten?

Im Asteroidengürtel haben die Menschen nicht nur erste Basen für den Erzabbau errichtet, sondern auch eine Werft für die Entwicklung und Erprobung neuartiger Raumschiffe, die wesentlich schneller als alle bisherigen sind. Eine kühne Frau und diverse Ingenieure und Piloten düsen los, um die Q-Bombe zu stoppen. Unterdessen rüsten sich auch die Spacer, die im Weltraum aufgewachsene Generation, um der Bedrohung entgegenzutreten. Sie haben nur etwa 18 Monate Zeit.

Zum Mars und weiter

Bisesa Dutt, die Heldin von „Zeit-Odyssee“ und „Sonnensturm“, hat sich im Kälteschlaf einlagern lassen. Jetzt, über ein Dutzend Jahre später, holt ihre Tochter Myra sie wieder aus der Hibernation. Bisesa wird dringend gebraucht, ist sie doch als einer der wenigen Menschen mit den Erscheinungsformen der Technik der Erstgeborenen vertraut. Gerade noch rechtzeitig, bevor auch der Weltraumrat, ausgesandt von der Vorsitzenden Bella Fingal, Bisesa in die Finger bekommt.

Mit dem „Fahrstuhl“ geht es zunächst in eine Erdumlaufbahn, doch die Liftkabine stoppt nicht am Ende des Fahrstuhl, sondern saust ungebremst in den Kurs eines winzigen Seglers, der von Bill Carels rebellischem Sohn Alexej gesteuert wird. Der Segler nimmt Bisesa und Myra auf und segelt, angetrieben vom Sonnenwind, bis zum Mars. Das dauert zwar Wochen (ohne Dusche), aber sie bleiben unentdeckt.

Auf dem Mars nimmt eine Gruppe von Forschern sie in Empfang und führt sie unter die Polkappe aus Eis. Ganz unten im Schacht stößt Bisesa auf etwas, das sie nicht erwartet hätte: ein „Auge“ der Erstgeborenen. Sie weiß, es ist ein Dimensionstor, denn so eines hat sie schon in Babylon gesehen (in „Zeitodyssee“). Und auf der anderen Seite will sie jemand dringend an dem Telefon sprechen, das sie dort gelassen hat. Ist Alexander der Große an der Strippe? Dann sollte sie den Kaiser der von den Erstgeborenen geschaffenen Mir-Welt besser nicht warten lassen!

Mein Eindruck

Dieser Roman baut sehr stark auf den Geschehnissen in „Zeit-Odyssee“ und „Sonnensturm“ auf. Deshalb ist es für den Leser ratsam, beide Romane gelesen zu haben, bevor er sich an diesen Roman wagt. Zwei Generationen nach den Ereignissen in „Sonnensturm“ ist die Bedrohung durch die Erstgeborenen, jene Superzivilisation aus „2001“ bis „3001“, schon fast wieder vergessen, doch die stets erfinderische und hartnäckige Menschheit baut wieder auf und schickt bereits erste Generationenschiffe zum nächsten Sonnensystem, Proxima Centauri.

Die Schilderungen dieses Universums sind hochverdichtet, so als habe der Verlag vom Autor, Stephen Baxter, verlangt, mehr zu kürzen. Der mit diesem Clarke-Universum vertraute Leser wird sich schnell zurechtfinden. Jede Menge Inventar wie etwa Himmelsfahrstühle und Masseschleudern sind zu finden. In seinem Nachwort belegt Baxter alle diese Erfindungen anhand von wissenschaftlichen Veröffentlichungen der letzten Jahre und erweist sich dabei als würdiger Nachfolger seines Mentors und inzwischen verstorbenen Ko-Autors Clarke. Beide fühlen sich der internationalen Astronomischen Gesellschaft verpflichtet.

Die Q-Bombe

Doch wie steht es dann mit ihrer neuesten Erfindung, der Q-Bombe? Das ist ein haariges Thema, dessen Erörterung bei meinem Leser Kenntnisse der Quantenphysik voraussetzen würde, deshalb streife ich es nur kurz. Die Q-Bombe erzeugt also quantenmechanische Effekte, zunächst theoretisch, im kataklysmischen Finale des Romans jedoch auch sehr anschaulich und praktisch: Masse wird zersetzt und dann verschlungen. Wohin verschwindet sie, wenn doch der Masseerhaltungssatz universell gilt? Sie müsste in Energie umgewandelt werden. Das ist dann auch der Fall. Mit verheerenden Folgen für den betroffenen Himmelskörper. Ob es sich dabei um die Erde oder einen anderen Planeten handelt, soll hier aber nicht verraten werden.

Die Erstgeborenen

Die Erstgeborenen sind zwar nicht vor Ort, aber wie mediengeile Voyeure haben sie ihre „Augen“ massenhaft auf den Ort der Katastrophe geschickt, um alles ganz genau mitzubekommen. Die Erstgeborenen sind wirklich die größten Unsympathen der Milchstraße: Nicht nur haben sie Experimente mit einer Patchwork-Erde in „Zeit-Odyssee“ angestellt, sie haben auch zweimal die Erde angegriffen, in „3001“ und „Sonnensturm“. Nun erfahren wir, dass auch die Bewohner des Systems Proxima Centauri ihre Opfer geworden sind. Dorthin hat es eine Kopie der Künstlichen Intelligenz Athene verschlagen, als sie vor dem Sonnensturm in Sicherheit gebracht wurde. Athene meldet sich von diesem System aus: Die Centaurier haben sie per eng gebündeltem Laserstrahl wieder ins Sonnensystem zurückgeschickt.

Teil 2

Meine Verwirrung wuchs, als die Szene im zweiten Teil des Romans komplett wechselte. Wie in meiner Inhaltsangabe oben angedeutet, wechselt Bisesa durchs „Auge“ in eine andere Welt: Es handelt sich dabei um |Mir|, die Patchwork-Erde aus „Zeit-Odyssee“. Hier leben Kulturen und Zeitscheiben munter nebeneinander. Im Kaiserreich von Alexander dem Großen fahren Dampfloks neben Neanderthalern und Mammuts, während britische Kolonialsoldaten es sich in Troja gemütlich gemacht haben.

Bisesa, die auch von ihrer eigenen Welt dringend gesucht wird, hat auf Mir eine Aufgabe: Sie muss den wichtigsten Astronomen der Welt im alten Chicago des Jahres 1890 besuchen. Denn er hat eine sehr wichtige Entdeckung gemacht: Erstens wird das Mir-Universum nur noch 500 Jahre bestehen und zweitens hat er auf dem Mars Spuren einer echten Zivilisation gefunden, die nicht vernichtet wurde. Und dort gibt es immer noch Leben, wie es scheint. Doch wie können sie den Wesen dort eine Botschaft zukommen lassen, in einem Zeitalter, das zwar Elektrik, aber keinen Funk kennt? Bisesa kommt auf eine geniale Idee …

Teil 3

Wie sich herausstellt, ist Bisesas Handeln von ebenso großer Bedeutung wie das von Myra, Bella und den Spacern. Über diesen Befund war ich sehr erleichtert. Und auch die Befürchtung, nun 200 Seiten nur über Bisesa lesen zu müssen, bewahrheitete sich nicht. Die Handlung wechselt laufend zwischen Bisesas Mir, Bellas Erde und Myras Mars hin und her, mit einen paar Abstechern zu Bellas Tochter Edna, die es mit der Q-Bombe aufnehmen will. Heldenhaft, aber leider relativ fruchtlos. Im dritten Teil folgen dann „Entscheidungen“ en gros und en masse, so dass sich alles, was bislang aufgebaut wurde, auf spannende Weise wieder in Showdowns löst.

Teil 4

Der vierte und letzte Teil ist der seltsamste und zugleich schönste. Hier endlich kann sich der Prosaerzähler Baxter austoben, ohne dass ihm der Verlag die Zügel anzieht oder Scheuklappen anlegt. Wie in „Die Triffids“ oder „Wenn der Krake erwacht“ von John Wyndham lesen wir hier das Fragment eines klassischen englischen Weltuntergangsromans. Dabei berührte mich besonders die Kluft zwischen der Gewissheit sowie dem Wissen der Figuren Myra Dutt und Juri O’Rourke um ihren nahen Tod einerseits und ihrem planenden Handeln voll Hoffnung andererseits, so als hätten sie noch alle Zeit der Welt für ihr Vorhaben. Und sie sind noch nicht mal miteinander im Bett gewesen.

Sehr elegisch, sehr zärtlich. Und ein prima Vorakkord für das absolute Finale, das erst die Lösung vieler Fragen bringt – und einen Ausblick auf die Fortsetzung. Denn irgendwann muss jemand den Erstgeborenen kräftig in den Hintern treten.

Die Übersetzung

Martin Gilbert, der Übersetzer von „Zeit-Odyssee“ und „Sonnensturm“, ist auch hier eine sehr gut lesbare Übertragung des Originals gelungen. Er schreckt vor umgangssprachlichen Ausdrücken („doof“, „Umptata“ usw.) nicht zurück, was auf ein ausgeprägtes Sprachgefühl schließen lässt.

Allerdings haben sich auch ein paar Druck- und Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen. So muss es auf Seite 81 einmal „Bella“ statt „Bisesa“ heißen, und die Übersetzung von „hangups“ ist auf Seite 99 wohl kaum „Durchhänger“, sondern „Marotte“. Und unter der „konzeptionellen Barriere“ auf Seite 308 kann man sich auch nichts Genaues vorstellen. Gemeint ist ein Durchbruch in der Vorstellungskraft („concept“).

Unterm Strich

Ich empfehle dringend die Kenntniss der zwei Vorgängerbände „Zeit-Odyssee“ und „Sonnensturm“, bevor man diesen Roman in Angriff nimmt. Außerdem fand ich heraus, dass es sehr angeraten ist, das Buch zügig durchzuackern, denn die ständig wechselnden Schauplätze erleichtern es nicht gerade, sich nach längerer Pause wieder an den Stand der auf drei Stränge verteilten Handlung zu erinnern – es sei denn, man macht sich Notizen, und wer tut das schon?

Vom Plot her ist der Roman nur passables Mittelmaß, aber es gibt ein paar nette Einfälle. Besonders die Spannung im ersten Finale überzeugte mich von den Qualitäten des Autors Baxter. Der lange Epilog, der vierte Teil, zeigte ihn dann noch von einer traditionsreicheren Warte aus als Könner. Er kann genauso gut und anrührend schreiben wie John Wyndham und andere Liebhaber des Weltuntergangs.

Taschenbuch: 463 Seiten
Originaltitel: Firstborn, 2008
Aus dem US-Englischen von Martin Gilbert
ISBN-13: 9783453524965

www.heyne.de

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