Ben Benson – Alle haben Angst

benson-angst-cover-kleinIn einer amerikanischen Kleinstadt treibt eine jugendliche Autoknacker-Bande ihr Unwesen. Ein Polizist wird eingeschleust, doch misstrauische Ganovengenossen und unglückliche Zufälle lassen ihn auffliegen und in Lebensgefahr geraten … – Mittelmäßig spannende aber als Zeitdokument interessante Geschichte: Im US-Amerika der unmittelbaren Nachkriegszeit führt das Establishment Krieg gegen die aufmüpfige Jugend. Die eigentliche Kriminalhandlung dient als Aufhänger für moralinsaure Horrorvisionen, welche einen gravierenden Generationskonflikt höchst einseitig ‚erklären‘ und unverhohlen autoritäre ‚Hinweise‘ zur Beilegung liefern sollen.

Das geschieht:

Carlton ist ein Städtchen irgendwo im US-Staat Massachusetts. Seit einiger Zeit mehren sich hier dreiste Autodiebstähle. Der örtliche Sheriff ist faul und korrupt. Die Staatspolizei nimmt sich deshalb des Falles an. Der junge Beamte Ralph Lindsey wird nach Carlton beordert. Inkognito soll er sich in die Diebesbande einschleichen. Die besteht offenbar aus sehr jungen Strolchen wie dem großmäuligen Scott Cluett, der als Mechaniker in der Werkstatt von Tony Sanders arbeitet. Dieser Sanders scheint der Boss der Bande zu sein. Ein Auftragskiller ist er, der nach einem fehlgeschlagenen Anschlag die Großstadt vorerst meiden muss, so wird gemunkelt. Alle haben in Carlton jedenfalls Angst vor Sanders und seinen Handlangern, die in den Bars der Stadt gern für Aufruhr sorgen.

Lindsey gelingt es, Sanders’ Vertrauen zu gewinnen. Aber Cluett misstraut ihm und stellt ihn immer wieder auf die Probe. Großes Pech hat Lindsey, als sich unter den Automardern ausgerechnet einer findet, den er in seiner Eigenschaft als Polizist schon einmal festgenommen hat. Doch Vincent Pomeroy verspricht den Mund zu halten. Er hat die Nase voll von einem Dasein als Verbrecher und will gegen seinen Boss aussagen.

Als Lindsey am verabredeten Treffpunkt ankommt, findet er seinen Kronzeugen allerdings mit einer Kugel im Kopf. Jetzt schwebt er in größter Gefahr: Wissen Sanders und seine Leute, dass er ein doppeltes Spiel treibt? Noch reichen die Beweise nicht aus, die Bande auffliegen zu lassen. Lindsey muss also zurück in die Höhle des Löwen, obwohl er nicht weiß, wer und was ihn dort erwarten. Außerdem rühren sich seine ritterlichen Instinkte, denn es gilt die schöne Lena Bartok zu retten, die als Sanders’ Geliebte ein erbärmliches Dasein fristen muss …

Generationen im Krieg

Widmen wir der hier erzählten Geschichte als Krimi zunächst nur beiläufig unsere Aufmerksamkeit: Der Plot vom lukrativen Autoknacker-Ring in der US-Provinz funktioniert, so lange man ihn nicht gar zu genau unter die Lupe nimmt und sich vor Augen führt, dass er ein halbes Jahrhundert alt ist; damals mögen Verbrecher mit den beschriebenen Tricks zu Raubgeld gekommen sein und trotzdem als gewitzt gegolten haben …

Der Krimi-Aspekt ist aber nur Mittel zum Zweck; er transportiert ein Anliegen. Dies geschieht das so plump und offensichtlich, dass es heutzutage eher amüsiert als ärgert. Das war zum Zeitpunkt der Handlung allerdings anders. Bitterer Ernst trieb den Verfasser an den Schreibtisch, um dort seinen Teil zum Kampf gegen eine schleichende Bedrohung beizutragen.

In den 1950er Jahren schienen sich die USA in einem neuen Bürgerkrieg zu befinden. So empfand es jedenfalls die eine Partei: die „Erwachsenen“, die in zwei Weltkriegen und einer Wirtschaftskrise begriffen zu haben glaubten, was im Leben zählte: Disziplin, Fleiß, Anpassung, Obrigkeitsglaube, Gehorsam. Ihnen gegenüber stand scheinbar unversöhnlich „die Jugend“, aufgewachsen in einem Land, in dem die Wirtschaft brummte, nur Faulpelze und Dummköpfe arbeitslos waren und alles noch viel besser werden würde, wenn man nur die Kommunisten sowie Bürgerrechtler und sonstige Wirrköpfe in Schach halten könnte.

Naht der Untergang des Abendlandes?

Und jetzt fielen die eigenen Kinder den braven Bürgern in den Rücken! Sie wandten sich ab von ihren Eltern, von den Lehrern, der Kirche, dem Militär, bestanden partout darauf, eine eigene Kultur zu entwickeln, sträubten sich gegen die Kontrolle derer, die doch nur ihr Bestes wollten! Aber wie musste so etwas enden: “Alle diese Jugendlichen sahen gleich aus, beinahe uniformiert. … Sie rauchten Zigaretten in kurzen, heftigen Zügen. Ihre Gesichter waren voller Gier und Erregung. … Eine gewisse Härte, eine verdorbene, verdrossene, gefährliche Blasiertheit prägte ihr Wesen.” (S. 23)

Ganz anders geht es dagegen dort zu, wo die Kinder noch auf ihre Vorbilder hören: “An [der Milchbar] saßen drei Gymnasiastinnen und tranken durch lange Strohhalme ihre Eiscreme-Sodas. Zwei sechzehnjährige Jungens schwänzelten um sie herum. Die Nischen waren von Halbwüchsigen besetzt, die sich eifrig und gedämpft unterhielten und Eiscreme aßen. … Alle hatten sie frische, fröhliche, strahlende Gesichter.” (S. 20/21) So soll Amerikas Jugend funktionieren: platonisch und minnehaft liebend, sich mit Zuckerwerk vollstopfend, unauffällig. Nur solche Kids lassen sich lenken: Aus Mädchen werden Bräute, die die „Jungens“ lassen sich in diverse Kriege schicken, und die Überlebenden gründen Familien und arbeiten für Großkonzerne …

Was war bloß schiefgegangen? Diese Frage stellt Ben Benson stellvertretend für Millionen ratloser Erziehungsberechtigter und -williger. Aufschlussreich sind folgende Äußerungen, gesprochen von Lindseys Vorgesetzten, der die ältere Generation verkörpert: “Ich weiß nicht, was ich denken soll, mein Junge. Vielleicht greift im ganzen Land ein allgemeiner Sittenverfall um sich. Die Familie ist keine geschlossene Einheit mehr. Die Eltern verbringen nicht mehr so viel Zeit wie früher im eigenen Haus. Zu viele Autos, zu viele Scheidungen. Zu viele Vergnügungen, zu viele Kneipen und Bars. … Von allem zuviel – bis auf Disziplin und Anleitung. Also verwildert die Jugend.” (S. 137) Sein junger Untergebener ist da völlig einer Meinung mit ihm, denn Lindsey ist ein ‚guter‘ junger Mann, fleißig, strebsam, mit 23 Jahren kurz vor der Heirat mit einem blitzsauberen Mädel stehend, charakterlich im Kriegsfeuer von Korea gestählt …

Wem diese dreiste, agitatorische Form der Meinungsbildung aus zeitgenössischen Hollywood-Filmen bekannt vorkommt, liegt richtig: “Alle haben Angst” ist in der Tat das Buch zu einem Film. Abner Biberman, ein von der Kritik geschätzter Regisseur kostengünstig produzierter, rasant erzählter, gern aktuelle Themen aufgreifender B-Movies, inszenierte 1955 „Running Wild“ („The Stark Brutal Truth About Today’s Lost Generation!“). Die Rolle des William Campbell (nicht Ralph Lindsey) spielte Ralph Barcley, während Mamie van Doren, die man in unzähligen Autokino-Streifen als Rocker- und Gangsterbraut besetzte, als Irma Bean (Scotty Cluetts dummgeile Freundin) halbseidene Prominenz verstrahlte.

Reaktionäres Gruselkabinett

Aus dem bisher Gesagten geht sicherlich bereits hervor, dass sich der Zauber von “Alle haben Angst” wohl nur Steinzeit-Konservativen (die keineswegs ausgestorben sind bzw. wie Schimmelpilze immer wieder nachwachsen) oder Nostalgikern erschließen kann. Solche Kritik entzündet sich nicht daran, dass z. B. Ralph Lindsey ein geradliniger oder sogar unbedarfter Zeitgenosse ist. Solche Krimihelden gibt es, und sie tun ihren Job gut. Doch Lindsey ist wie gesagt keine Figur, sondern ein Marionette. Sie hängt an kurzen Fäden, die dem Betrachter (hier: dem Leser) vor einem halben Jahrhundert offensichtlich unsichtbar blieben: Wie sonst ließe sich erklären, dass solche Manipulation unerkannt blieb?

Allerdings ist es sehr gut möglich, dass „Alle haben Angst“ gezielt für jene geschrieben wurde, welche die Jugend nur noch verzerrt und als Feind zur Kenntnis nehmen konnten. In dem Fall müsste man den Verfasser zynisch nennen: Er bediente um des Geldes willen Klischees, an die er womöglich selbst nicht glaubte. (Was freilich schwer vorstellbar ist, wenn man andere Benson-Romane kennt …)

Auf jeden Fall ist die Mischung aus Niedertracht und Naivität, mit der Benson hier schwere Jungs & leichte Mädchen schildert, kaum erträglich. Wobei sich der Autor zeittypisch nicht einmal traut, dieser Jungend echte ‚Verbrechen‘ vorzuwerfen. „Negermusik“, Alkohol & verbale Unverschämtheiten sollen der Dekadenz ein Gesicht geben. Über freien Sex vor der Ehe wird kein Wort verloren, obwohl er zwischen den Zeilen buchstäblich dampft: Wie zu allen Zeiten zieht genau das, was sie verurteilen, die Tugendwächter an wie das Licht die Motten – sie sind geradezu besessen davon.

Alles wird gut, denn alle Schurken sind tot

Der fixen Idee vom Verhängnis des freien Denkens opfert Benson bedenkenlos die Logik. Lena Bartok, das „Mädchen im Käfig“ des Originaltitels, wurde vom moralisch verkommenen Tony Sanders zur … ja, wozu eigentlich gemacht? Wir wissen es natürlich alle bzw. können uns genüsslich alle Perversionen ausmalen, die uns in den Sinn kommen. Es muss aber wirklich schlimm sein, denn Lena hat sich in eine Art Zombie verwandelt, den erst der Tod ihres Meisters aus dem bösen Bann löst. Und siehe! Im Finale lernt Lena einen braven Handwerker kennen und erblüht zu neuem Leben! “Er ist etwas älter, sehr vernünftig und großzügig.” – S. 177)

Überhaupt ist das Ende happy im Sinne des Systems: Die Bande wurde ausgehoben, ihr Chef wie ein toller Hund niedergeschossen. Auch seinen Stellvertreter traf das Gesetz (= die Hand Gottes) mit bleierner Wucht. So liegen sie als heillos verwöhnte Zuchthäusler der Gesellschaft nicht auf der Tasche. Polizist Lindsey ist jedenfalls mit sich selbst im Reinen: “Ich hatte Tony Sanders erschossen, aber er war ein Mörder, und sein Tod hatte sich nicht vermeiden lassen. Ich hatte Scott Cluett erschossen, und das fand ich weniger gut. Er war noch zu jung, um unter den Kugeln aus einem Polizeirevolver zu enden. Vor langer, langer Zeit hätte man etwas unternehmen müssen, um ihn zu retten.” (S. 178) So aber hat ihn die gerechte Strafe ereilt. Zieht eure Lehre daraus, junge Leser/innen, und seid auf der Hut, auf dass es euch nicht ebenso ergeht, denn das Gesetz lässt nicht mit sich spaßen!

Autor

Benjamin Benson gehört zum Heer der Kriminalschriftsteller, die kompetent und vor allem schnell Unterhaltung produzierten. Wirklich berühmt ist er nie gewesen, dafür aber beliebt; so wurden beispielsweise in Deutschland seine sämtlichen Werke veröffentlicht und lange Zeit neu aufgelegt; diese Gunst erfuhr längst nicht jeder klassische Könner seines Genres.

Über den Privatmann Ben Benson ist wenig bekannt. 1915 ist er geboren. Am II. Weltkrieg hat er teilgenommen. Dabei wurde er hoch dekoriert und so schwer verwundet, dass er sich nie wieder richtig erholte. So kam Benson (nach einem Zwischenspiel als Teehändler) zum Schreiben. Der militärische Hintergrund beeinflusst deutlich sein Werk. Zwei Serienhelden schuf Benson: den jungen State Trooper Ralph Lindsey sowie den älteren, schon erfahrenen Detective Inspector Wade Paris, der ebenfalls für diese Behörde (aber an anderem Ort) arbeitet. (In Deutschland wurde Paris aus unerfindlich bleibenden Gründen in „William Parr“ umgetauft – es sollte wohl ‚amerikanischer‘ klingen …)

Benson schätzt klare Hierarchien und Disziplin. Seine Polizeibeamten sind Männer ohne Fehl oder Tadel. („Old Icewater“ nennt man Wade Paris hinter seinem Rücken.) Zweifel mögen sie manchmal beschleichen, hin und wieder begehen sie sogar Fehler, aber letztlich bekommen sie solche Anwandlungen in den Griff, reifen an derartigen Konflikten und stehen dem System umso bedingungsloser zur Verfügung. Das mag Bensons Beliebtheit in Deutschland erklären. Allerdings sind seine Romane durchaus unterhaltsam. Inhaltlich mögen sie veraltet sein. Ihr sachlicher, fast dokumentarischer Stil hat sie andererseits günstig altern lassen. Sie müssen als frühe Beispiele des „police procedural“ gelten, dessen vielleicht berühmtester Repräsentant Ed McBain (ein Zeitgenosse Bensons) mit seiner Serie um das 87. Polizeirevier ist.

Ben Bensons Schriftstellerkarriere währte gerade zehn Jahre, in denen er neben zahlreichen Kurzgeschichten 18 Romane veröffentlichte. Am 29. April 1959 ist Benson im Alter von nur 44 Jahren während einer Versammlung der „Mystery Writers of America“ in New York City den Spätfolgen seiner Kriegsverletzungen erlegen.

Taschenbuch: 178 Seiten
Originaltitel: The Girl in the Cage (New York : Bantam 1955)
Übersetzung: Paul Baudisch
http://www.randomhouse.de/goldmann

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