Berna González Harbour – Roter Sommer. Comisaria Ruiz ermittelt in Madrid

Gelungenes Krimi-Debüt aus Spanien

Der Sommer in Madrid ist rot: Von den Flaggen bis zu den Trikots, überall bekennt man Farbe für La Furia Roja, die spanische Nationalmannschaft. Auch Comisaria María Ruiz lässt sich von der Stimmung mitreißen. Doch ausgerechnet am Tag eines wichtigen Spiels wird eine Leiche gefunden und María wird zum Tatort gerufen.

Die eigenwillige Comisaria hat bislang jeden ihrer Fälle gelöst und ist bekannt dafür, mit allen Regeln zu brechen. Das rätselhafte Tattoo des Toten führt sie zu einer katholischen Schule, hinter deren Türen sie düstere Geheimnisse wittert. Kaum haben die Ermittlungen begonnen, wird eine zweite Leiche gefunden. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

»Roter Sommer« (»Verano en Rojo«) wurde 2023 in Spanien prominent verfilmt. Der Film kommt 2024 auch in die deutschen Kinos.. (Verlagsinfo)

2020 erhielt die Autorin den „Premio Dashiell Hammett de novela negra“ während der „Semana Negra de Gijón“ für ihren 2019 veröffentlichten Kriminalroman „El sueño de la razón“…

Die Autorin

Berna González Harbour, geboren 1965 in Santander, startete ihre Karriere als Journalistin bei der spanischen Zeitung El País, wo sie u. a. verschiedene Ressorts leitete. Zudem ist sie regelmäßiger Gast bei Sendungen des spanischen Senders Cadena Ser und ist in Spanien eine bekannte Literaturkritikerin. Ihre Liebe für Krimis ließ sie 2012 ihr erstes eigenes Werk schreiben,

Buchreihe mit Kommissarin Ruiz

• Verano en rojo, RBA, 2012 (dt. als „Roter Sommer“, 2024 bei Pendragon)
• Margen de error, RBA, 2014
• Las lágrimas de Claire Jones, Ediciones Destino, 2017
• El sueño de la razón, Ediciones Destino, 2019 (dt. “Goyas Ungeheuer: Comisaria Ruiz ermittelt in Madrid“ 2022 bei Pendragon)

Weitere
• Los ciervos llegan sin avisar, RBA, 2015

Handlung

Der Sommer in Madrid ist rot: Von den Flaggen bis zu den Trikots, überall bekennt man Farbe für La Furia Roja, die spanische Nationalmannschaft. Auch Comisaria María Ruiz lässt sich von der Stimmung mitreißen und freut sich auf einen Abend mit ihrer Großfamilie. Doch ausgerechnet am Tag eines wichtigen Spiels wird eine Leiche gefunden und María wird zum Tatort gerufen. Dies ist ein See in einem Park. Die Leiche ist von den Parkwächtern nur deshalb entdeckt worden, weil sich a) an ihr sämtliche Fische versammelt haben und b) weil eines der beine an der Oberfläche schwamm. Die Fische haben nur wenig vom Gesicht übriggelassen, doch es scheint sich um einen jungen Mann zu handeln. Er trägt Sneakersocken, aber seine Sneakers fehlen. Bei gründlicher Suche in einem gestrandeten Katamaran entdeckt Maria ein verstecktes Handy. Gehört es dem Toten? Parkdirektor Perales weiß von nix. Sie gibt das Handy Tomas von der KTU zur Untersuchung.

Die Ermittlung

Die Zentrale lässt auf Marias Geheiß nach vermissten jungen Männern suchen und stößt auf Alejandro Gandarillas aus Santander oben an der Biskaya. Es ist die Region, aus der auch Maria stammt, und jetzt kann sie ihren Madrider Mentor und ersten Chef Carlos Fuentes hier wiedersehen. Er hilft mit den Kontakten zu den Angehörigen. Diese werden einzeln verhört, wie es sich gehört. Wie es scheint, war Alex zwar arbeitslos, trieb sich aber die ganze Nacht mit seiner Clique herum. Seine Schwester Leticia ist die einzige in der Familie, die nicht gut auf ihn sprechen ist, während die Mutter, Carmen, in Tränen aufgelöst ist.

Aus dem Madrider Kommissariat erfährt Maria von einem Liebhaber Gandarillas namens David, der um seinen verstorbenen Lover weint. War Alex also schwul und prostituierte sich womöglich, fragt sich Maria. Unterdessen bekommt sie das erste Ergebnis der Obduktion: Der junge Mann auf dem Seziertisch trägt eine auffällige Tätowierung an der Hand: eine Dornenkrone, die von fünf Fingern emporgehalten wird. Zwischen den Fingern sind drei Blutstropfen zu sehen. Höchst eigenwillig, findet Maria. Ein religiöser Bezug ist nicht von der Hand zu weisen.

Der Reporter

Inzwischen hat Parkdirektor Perales mit einem freien Journalisten namens Luna geplaudert, der die Neuigkeit der Leiche im Park hinausposaunt. Mit ein paar Tricks und „Vitamin B“ verschafft sich Luna Zutritt nicht nur zum Tatort, sondern auch zum Häuschen der Parkwächter: Sie haben die vermissten Sneakers des Toten in einem Gebüsch gefunden. Und nicht nur das: Auch eine katholische Zeitung liegt da auf dem Tisch. Die krallt sich Luna in einem unbewachten Augenblick. Eine rätselhafte Reihe von Zahlen gibt ihm eine harte Nuss zu knacken.

Unheilvolle Verbindungen

Tomás von der KTU identifiziert die SIM-Karte des im Park gefundenen Handys und kann endlich das Passwort knacken. Der Besitzer antwortet nicht, dafür aber „MAMA“: Es ist Teresa Pescador aus Madrid, die schon länger ihren Sohn Samuel vermisst. Tomas und sein Kollege Esteban machen sich auf, die Mutter zu befragen. Dabei stoßen sie auf unheilvolle Verbindungen, die alle auf eine kirchliche Einrichtung in Burgos weisen.

Unterdessen in Santander: Nach einer erfolgreichen Durchsuchung von Alejandros Zimmer, bei der sie auf Sexfotos von seinen Kunden gestoßen sind, gönnen sich Maria und Carlos ein feines Abendessen. Während das drittletzte WM-Spiel der spanischen Mannschaft seinen siegreichen Abschluss findet, erhält Carlos Fuentes einen Anruf aus dem Kommissariat: Am Strand ist eine weitere Leiche gefunden worden, wieder ein junger Mann…

Mein Eindruck

Wie schon viele Ermittler vor ihr, muss sich Comisaria Maria Ruiz erstmal in dem Labyrinth aus Leichen und Indizien zurechtfinden, bevor sie auf das Ziel Burgos verfällt. Dort lösen sich eine Reihe von Rätsel. Vor allem trifft sie auf die Spur des Haupttäters. Denn es gibt zwar einen Mörder für die Jungen, aber eine große Zahl von Komplizen und Mitwissern. Zu letzteren zählt mehr oder weniger die gesamte katholische Kirche Spaniens. Das macht das Befragen und Ermitteln nicht einfach: Nicht nur die Geistlichen mauern und tun unschuldig, sondern auch ihren „Schäfchen“ kommt es nicht in den Sinn, dass unter ihren spirituellen Führern auch schwarze Schafe sein könnten, ja, geradezu Wölfe.

Pikant wird die Ermittlung durch den Umstand, dass der Papst zu einem besuch der spanischen Landeskirche erwartet wird, also gleich nach Weltmeisterschaft, die gerade stattfindet – daher die vielen roten Fahnen, die für die „Roja“, die Nationalmannschaft, geschwenkt werden. Der Titel „Roter Sommer“ ist vollständig gerechtfertigt.

Glücklicherweise ist die Comisaria eine renitente Atheistin, die mit der Kirche guten Prozess macht. Wenn ihr so Pfaffe unschuldig, ahnungslos oder gar empört kommt, nimmt sie ihn erst recht in die Mangel. Die älteren Herrschaften, die ihr zuarbeiten, sind ebenso abgebrüht: Carlos, ihr Mentor in Santander, aber auch Esteban, der Cop in Madrid, und Luna, der abgehalfterte Journalist, der vor 40 Jahren einen Fall samt Artikel hatte, der dann „an höherer Stelle“ an der Veröffentlichung gehindert wurde. Lunas Archiv, gerade noch kurz vor der Entsorgung bewahrt, erweist sich nun als Goldgrube. Sein Tipp ist ebenso goldrichtig.

In Burgos gerät die Comisaria, ohne es zu ahnen, in das Revier des Mörders. Erst gibt es eine Explosion, dann einen Hausbrand im Kinderkonvent. Die Comisaria kommt noch mit heiler Haut davon, doch schon ihre nächste Station führt sie direkt in die Höhle des Löwen. Sie blickt in die Mündung einer Pistole…

Schwächen

Dass dies der Debütroman der Autorin ist, merkt man dem Buch auf weite Strecken nicht an. Mitunter aber wirken die vielen rührseligen Szenen, die im Laufe der Ermittlung und später in den Krankenhauszimmern zustandekommen, doch etwas zu viel des Guten. Die Wertung dieser Emotionalität ist aber dem Leser überlassen. Es kann gut sein, dass die einheimischen Leser der Autor gerade von dieser Emotionalität angetan waren.

Was die Comisaria an Solidarität erfährt, steht nämlich in krassem Gegensatz zu den Verbrechen, von denen zunehmend die Rede ist. Denn es geht ja nicht nur um Homosexualität, sondern um den Missbrauch von Kindern, die erst zu Homosexuellen und dann zu Strichjungen gemacht werden – von ihren geistlichen „Betreuern“. Der Leser hat die Aufgabe, dieses Hintergrundbild zusammen mit der Comisaria zusammenzusetzen. Zwar gibt es hier und da ein Resümee des Ermittlungsstandes, das hilft, den Überblick zu bewahren. Doch die meiste Zeit muss sich der Leser selbst behelfen, denn eine Figurenliste sucht man vergebens. Am besten liest man den Roman sehr schnell und zügig, um alle Zusammenhänge zu verstehen.

Die Übersetzung

S. 366: „Hoffentlich kamen sie nicht zu spät.
„Ich habe es ihm beigebracht…“ Zwischen diesen beiden Sätzen fehlt eine Leerzeile, die anzeigt, dass es sich um einen neuen Erzählabschnitt mit Szenenwechsel handelt.

S. 381: „Maria legte das Päckchen auf dem Boden…“: Korrekt sollte es „den Boden“ heißen. Mehrfach wird der Dativ verwendet, wo der Akkusativ stehen sollte.

S. 381: „Ich würde sagen, es war[en] mehrere.“ Die Endung für den Plural fehlt.

S. 383: “Sie schalte[te] ihn ein.“ Die Endung für das Präteritum fehlt.

Auf S. 384 steht im Impressum der falsche Originaltitel. Statt „Verano en rojo“ steht da noch „El sueno de la razon”, wobei es sich um den Titel von Harbours zweitem Krimi mit Maria Ruiz handelt.

Auf S. 290 wird auf den Originaltitel verwiesen, aber mit einem unheilverkündenden Unterton. „Roter Sommer“ ist nämlich der Name für das Tattoo, das der Tätowierer Martin den ermordeten Jungen gestochen hat.

Unterm Strich

Als dieser Kriminalroman anno 2012 im erzkatholischen Spanien veröffentlicht wurde, dürfte er eine Menge Staub aufgewirbelt haben. Geht es doch um Kindesmissbrauch in kirchlichen Sommerlagern (ein weiterer Verweis auf das Sommer-Leitmotiv), die Rekrutierung junger Männer und ihre Prostitution, die von der Kirch gedeckt wird. Doch zwei dieser Männer mussten sterben, weil sie sie den Spieß umdrehten und ihre Peiniger mit intimen Fotos erpressten.

Comisaria Ruiz schreckt als Atheistin nicht davor zurück, es mit den verschwiegenen Kreisen der Kirche aufzunehmen. Sie hat zudem eine motivierte junge und eine desillusionierte Generation von Männern auf ihrer Seite, die entweder noch alte Rechnungen offen haben oder endlich Gerechtigkeit für die Ermordeten erlangen wollen. Das ist ja als Cops schließlich ihr Job.

Ob die Comisaria Erfolg hat, darf hier nicht verraten werden, aber der Leser kann einen Blick in die spanische Gesellschaft des Jahres 2012 werfen: Die Fußball-Nation verfolgt jedes Tor der Nationalmannschaft mit begeisterten Fan-Augen, doch von den Leichen junger Männer will man lieber nichts wissen. Ein Glück, dass die Comisaria kein Vollblut-Fußballfan ist, sonst hätte sie den neuen Fall gar nicht angenommen! Dennoch wird ihr sicher nicht langweilig: Sie gerät zweimal in Lebensgefahr. Dies macht den Debüt-Krimi der Autorin trotz mancher Ecken und Kanten doch sehr lesenswert.

Taschenbuch: 384 Seiten
O-Titel: Verano en Rojo, 2012
Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt.
ISBN 9783865328816
ISBN-10: 3865328814
www.Pendragon.de

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