Bernard Cornwell – Das Fort


Das Pearl Harbor des 18. Jahrhunderts

Sie segelten unter der Flagge der Freiheit. Sommer 1779: Der Kampf um die Unabhängigkeit der USA von der britischen Krone hat sich in den Süden verlagert. Da nutzt eine britische Infanterieeinheit die Gunst der Stunde: Die Rotröcke segeln in drei Kriegsschaluppen zur nebligen Küste Neuenglands, um dort auf einer Landzunge ein Fort zu errichten – den weit über das Meer sichtbaren Machtanspruch der Krone. Eine Kriegserklärung an die junge Regierung der USA! Als Antwort schicken sie eine riesige Kriegsflotte und mehr als tausend Infanteristen, um die Eindringlinge zu vertreiben. Doch zum Sieg gehört mehr als nur ein großes Heer; zum Sieg gehören ein Plan und Männer, die das Handwerk des Krieges beherrschen …(Verlagsinfo)

Der Autor

Bernard Cornwell verdankt seinen enormen schriftstellerischen Erfolg neben seinem großen Talent auch zwei sehr konträren Phänomenen: der Liebe und der staatlichen Bürokratie. Als der 1944 in London geborene Autor mit seiner US-amerikanischen Ehefrau in die Staaten übersiedelte, verweigerten ihm die dortigen Behörden die Arbeitserlaubnis. Also machte sich Cornwell, der in England als Lehrer und Journalist gearbeitet hatte, daran, einen schon lange gehegten Traum umzusetzen. Er fing an zu schreiben.

Die Abenteuergeschichten um den britischen Soldaten Richard Sharpe zur Zeit der Napoleonischen Kriege bildeten den Grundstein seines Erfolgs und machten aus dem Immigranten fast im Handumdrehen einen Bestsellerautor – der Liebe und der Bürokratie sei Dank. (Amazon.de)

Handlung

Die Briten nutzen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg die Gunst der Stunde, um im Juni 1779 eine kleine Flotte in die Mündung des Flusses Penobscot zu segeln und dort eine Garnison zu errichten, die die Küste nördlich von Boston, Massachusetts, weder für die Krone einnehmen soll. Brigadegeneral McLean verpflichtet die einheimische Bevölkerung des ausgedehnten Mündungsgebietes zur Treue und lässt auf dem steilen Hügel oberhalb der Mündung ein Fort errichten, das von mehreren Geschützbatterien flankiert wird.

Während McLean jeden Tag um einen weiteren Tag betet, an dem er die Palisaden seines Forts erhöhen kann, kratzen die aufständischen Amerikaner ein paar und eine Flotte mehr schlecht als recht zusammen. General Solomon Lovell kann gerade mal 900 sehr junge und sehr alte Männer zwangsrekrutieren, hinzukommen noch 230 Marineinfanteristen aus Philadelphia. Die Flotte sieht noch merkwürdiger aus als dieses Expeditionskorps. Unter dem sturköpfigen Kommodore Saltonstall ist eine einzige Fregatte – die „Warren“ – der Kontinentalmarine umgeben von einem Dutzend Freibeuterschiffen, die es gewohnt sind, auf eigene Rechnung Briten zu jagen. Diese Kapitäne hoffen auf hübsche Beute.

Brigadegeneral Peleg Wadsworth, ein verheirateter Schullehrer und Familienvater, ist Lovell unterstellt und hat die undankbare Aufgabe, den Artilleriekommandeur Paul Revere*** als Artillerieoffizier der Flotte – oder doch der Miliz? – zu verpflichten. Revere lässt sich bitten, wird er doch verdächtigt, Proviant unterschlagen zu haben. Auch später noch, mitten in der Schlacht um das Fort, stellt er sich als besserwisserischer Querulant heraus, der am liebsten den ganzen Krieg allein befehligen würde.

***Revere ritt von Boston nach Lexington, um das Dorf der Aufständischen vor dem Anrücken der Britischen Armee zu warnen. Als er auch Concord warnen wollte, wurde er gefangengenommen. Der Dichter Henry Wadsworth Longfellow, der Enkel Peleg Wadsworths, machte ihn 1861 trotzdem in einem Gedicht unsterblich.

Seeschlacht oder nicht?

Ungefähr vier Wochen später trifft die Flotte der Amis endlich am Penobscot im heutigen Maine ein, das aber damals noch zu Massachusetts gehört. Die Einfahrt zum Hauptmündungsarm, dem „Hafen“, wird von drei britischen Schaluppen versperrt, hinter denen drei weitere Transporter ebenfalls aufgereiht sind. Als Kommodore Saltonstall sieht, dass auch noch links und rechts dieser Speere Geschützbatterien aufgebaut sind, weigert er sich, in den Hafen durchzubrechen und lässt die Freibeuter Attacken gegen die Feinde segeln. Außer einer Menge Pulverdampf wird dabei aber leider nichts produziert, so dass Frust aufkommt. Die Marineinfanteristen erstürmen die Batterie auf Cross Island und beginnen, auf die britischen Schiffe zu feuern.

Das Landungsunternehmen von Major Littlefield, dem Wadsworth viel Glück gewünscht hat, ist nicht so viel Erfolg beschieden: Sein Boot wird voll von einer Kanonenkugel getroffen, die die Schaluppe „Nautilus“ abgefeuert hat… Mittlerweile schreibt man den 29. Juli 1779, und General McLean freut sich, zwei weitere Kanonen in seinem Fort aufstellen zu können. Wie nett von den Aufständischen, ihm so viel Zeit zu geben. Doch er ahnt nicht, dass sich unter seinen „treuen“ Siedler einige Verräter befinden, die den Amerikanern helfen…

Mein Eindruck

Über „Helden“

Die Expedition an den Penobscot war die größte militärische Niederlage der USA vor Pearl Harbor, erklärt der Autor in seinem ausführlichen Nachwort. Und obwohl ein heutiger Nationalheld namens Paul Revere daran teilnahm, spielt sie im kollektiven Gedächtnis des Volkes keinerlei Rolle. Das liegt zum Teil an einem massiven Akt von Geschichtsfälschung, den der Bundesstaat Massachusetts betrieb (um Entschädigungen vom Bund zu bekommen), zum zweiten an dem Propaganda-Gedicht des oben erwähnten Henry Wadsworth Longfellow aus dem Jahr 1861.

Aber der Autor schrieb dieses Buch nicht nur, um die Geschichtsfälschung aufzudecken, sondern auch um zwei herausragenden Männern, die er als Helden bezeichnet, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dies sind Peleg Wadsworth aus Massachusetts und John Moore aus England. Ihre späteren Lebensläufe werden im Nachwort nachgezeichnet und das Gedicht aus Anlass von General John Moores Bestattung im Anhang zitiert.

Double Bind

Besonders Wadsworth hatte es als Stellvertreter General Lovells in der Hand, die Auseinandersetzung für die Aufständischen zu entscheiden. Es sollte nicht sein. Von Anfang bis Ende werden seine Initiativen durch drei Gegenspieler vereitelt. Der wichtigste ist Lovell selbst, ein Zauderer, wie er im Buch steht. Statt das unfertige Fort George zu stürmen, lässt er Schützengräben zur Verteidigung anlegen. Aus dem Angriff wird so eine Belagerung. Sie zieht sich drei Wochen hin – bis die britische Flotte Colliers eintrifft.

Lovell hat eine hanebüchene Ausrede: Er könne das Fort nicht stürmen lassen, solange die US-Flotte nicht gleichzeitig die Sperrschiffe der Briten angreife. Die US-Flotte indes wird von Kommodore Dudley Saltonstall befehligt, der nicht einsieht, warum er sein wertvolles Schiff für einen Angriff Lovells opfern soll. Schließlich gehört seine „Warren“ ja nicht dem Staat Massachusetts, sondern dem Kontinentalkongress. Weil Lovell und Saltonstall sich in einem klassischen „double bind“ gegenseitig behindern, kommt es zu keinen ernsthaften Aktionen – mit MacLean als lachendem Dritten.

Hoffnung

Erst als Saltonstall als verschollen gilt, kommt ein Funke Hoffnung auf, denn sein Stellvertreter ist ein entschlossener Freund des Angreifens. Doch als Saltonstalls Rückkehr gemeldet, zerschlagen sich alle Träume. Das gleiche Spiel wiederholt sich, als sich Lovell und Saltonstall endlich durch Wadsworths energisches Vermitteln dazu gebracht worden sind, eine abgestimmte Aktion zu unternehmen. Doch liegt es am Datum, einem Freitag, den 13. (August), oder an Saltonstalls gewohnter Vorsicht? Als fremde Segel vor dem Penobscot auftauchen, bläst Saltonstall den Angriff in letzter Sekunde ab, sehr zum ungläubigen Entsetzen der Infanterie unter Lovell.

Ende mit Schrecken

Der Rest ist, wie die Schreiber so gerne sagen, Geschichte, also ein Fiasko. Die amerikanische Flotte verbrennt sich lieber selbst, als sich den Briten unter Collier zu ergeben: 37 Schiffe kapitulieren (beinahe) kampflos vor sieben britischen. Nur die „Hampden“ kämpft solange, bis sie unterzugehen droht. Hut ab! Und als ob dies nicht genug Schande wäre, weigert sich der flüchtende Paul Revere auch noch, in Seenot geratene US-Matrosen an Bord seiner Barkasse zu nehmen. Wadsworth droht ihm mit Kriegsgericht, aber Revere dreht ihm eine Nase und verduftet.

Die Übersetzung

Da mein Exemplar eine Leihgabe von einem Freund ist, durfte ich keine Notizen machen, aber eine Stelle kam mir doch derart unwahrscheinlich vor, dass ich sie notierte.

Auf Seite 337 wird uns der Oberbefehlshaber der britischen Seestreitkräfte an der Westküste vorgestellt, Sir George Collier. Mit seinem Titel habe ich nur ein Problem: Warum „Westküste“, wenn die amerikanische Westküste doch den Spaniern gehörte und die Briten nur an der Ostküste operierten? Es wäre interessant zu erfahren, ob dieser Fehler auch im Original vorliegt.

Ansonsten unterliefen der Übersetzerin die üblichen Fehler: falsche Endungen, fehlende Buchstaben usw. Ansonsten lässt sich ihr Text sehr flüssig und verständlich lesen, was angesichts des Militärjargons eine sehr gute Leistung darstellt. Mir fiel auf, dass die Offiziere ständig „Schwerter“ tragen statt Degen, einer sogar ein Breitschwert. Ich kam mir wie ins Mittelalter versetzt vor.

Unterm Strich

Der Roman erzählt, wie man einen Krieg besser NICHT führen sollte. Der Starrsinn zweier Befehlshaber hebt sich gegenseitig auf, so dass es nur zu unbedeutenden Scharmützeln kommen kann, während der Feind, die Briten, immer stärker wird. Als der Vermittler endlich einen Kompromiss gefunden und durchgesetzt hat, ist der Durchbruch zum Greifen nahe – als fremde Segel auftauchen und alles von vorne beginnt, nach neuen Spielregeln.

Action

Doch keine Bange – der Actionfreund, der auf den Namen „Cornwell“ setzt, wird durchweg gut unterhalten. Immer wieder kommt es zu Kampfhandlungen an allen Ecken und Enden, und die Debatten der Befehlshaber werden auf ein Minimum beschränkt. Gegen Ende hat der Autor sogar ordentlich gekürzt, und so kommt es, dass diverse Figuren einfach verschwinden. Dazu gehören der salbungsvolle Pfarrer von Kommandeur Lovell, Hochwürden Murray, sowie der junge James Fletcher, der den Amis als Scout dient, sehr zum Missfallen seiner kranken Mutter. Auch James‘ Schwester Bethany, die mit ihren Augen dem jungen Lt. John Moore den Kopf verdreht, steigt irgendwie aus der Geschichte aus, und im Mittelpunkt steht nur noch der kluge Tatmensch Wadsworth. Wie übel ihm mitgespielt wird, habe ich bereits gesagt.

Information

Das Buch dient aber nicht nur der Unterhaltung durch Action, Romantik sowie ironischen Humor (zu dem besonders MacLean beiträgt). Zu den trockeneren Seiten gehört die Schilderung der verzwickten, um nicht zu sagen: verfahrenen Kampflage, in der sich Saltonstall, Lovell und Revere gegenseitig behindern. Trotz dieser auf offiziellen historischen Dokumenten beruhenden Tatsachen kam es zu einer eklatanten Geschichtsfälschung. Diese wollte der Autor hiermit korrigieren. In seinem Nachwort begründet er sein Motiv für die Korrektur und beschreibt, wie die Nachwelt Paul Revere so zwiespältig behandelte. Erst war er nur eine lokale Größe, doch Longfellows Gedicht machte ihn 1861 zu einem Mythos. Ich habe sein Reiterstandbild selbst in Boston auf dem historischen „Freedom Trail“ gesehen.

Zielgruppen

Für männliche Leser mit Interesse an Militaria bietet der Roman eine Fülle historischer Neuentdeckungen, aber auch Actionszenen. Für Frauen bietet das Buch herzlich wenig, denn es treten nur Bethany Fletcher und Elizabeth Wadsworth auf. Sie haben mit den Kampfhandlungen selbstredend nichts zu tun, sondern dienen nur als romantische Motivation für die Kämpfer im Vordergrund, also Wadsworth und Moore.

Für historisch interessierte Faktenhuber hält der Autor ein Schmankerl bereit: Zwischen wichtigen Kapiteln schiebt er Zitate aus der Korrespondenz der Kriegsparteien ein. Diese Briefe und Vermerke etc. stammen von Kapitänen, Befehlshabern, Regierungsbeamten auf beiden Seiten. Lustigerweise ist die Rechtschreibung in diesen kurzen Texten weit von der heute akzeptierten entfernt, so dass der Leser seine Phantasie spielen lassen muss.

Auch der Marine- und Militärjargon bildet eine gewisse Hürde. Man sollte gleich selbst nachschlagen, wo zum Geier sich die Bram-, Mars- und Großsegel einer Fregatte befinden, die Stagen, Klüver, Wanten und das Ankerspill. Ähnliches gilt für die Waffen der Infanterie und der Artillerie. Manchmal sind es ganz einfache Unstimmigkeiten, die die Amis ausbremsen: Wenn die Kanonenkugel zu klein für den Kanonenlauf ist, was macht man dann? Improvisieren, oder? Nicht mit Paul Revere!

Taschenbuch: 605 Seiten
Info: aus dem US-Englischen von Karolina Fell
www.rowohlt.de

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