Bernard Cornwell – Der Flammenträger (Uhtred-Saga 10)

Der lange Weg nach Bebbanburg

England im 10. Jahrhundert. Der große Krieger Uhtred ist dicht davor, seinen Stammsitz Bebbanburg zurückzuerobern, den ihm sein Onkel geraubt hat. Doch der Frieden in Northumbrien ist brüchig und Uhtred laviert sich zwischen den anrückenden Westsachsen und den einfallenden Schotten hindurch, um den fast schon christianisierten Dänen von York beizustehen – und doch sein Ziel nie aus den Augen zu verlieren. Da begegnet er dem „verrückten Bischof“ und erkennt eine einzigartige Gelegenheit…

Der Autor

Der 1944 geborene Brite Bernard Cornwell studierte Geschichte an der London University und arbeitete kurze Zeit als Lehrer, wechselte dann aber zur BBC, wo er lange Zeit als Reporter arbeitete. 1980 folgte er seiner amerikanische Frau in die USA. Da ihm eine Arbeitserlaubnis verweigert wurde, konnte er sich von nun an ganz der Schriftstellerei widmen. Mit Erfolg: Seine Werke sind mittlerweile in über 20 Sprachen übersetzt.

Cornwell teilt seine schriftstellerische Tätigkeit auf. Einerseits verfasst er erfolgreiche historische Romane aus der Zeit der Napoleonischen Kriege, in deren Mittelpunkt ein gewisser Sharpe steht, der als eine James-Bond-Figur der Epoche an allen möglichen Brennpunkten auftaucht, so etwa in der Seeschlacht von Trafalgar, aus der Admiral Nelson sowohl als Sieger als auch als Leiche hervorging.

Andererseits weiß Cornwell aber auch ziemlich gute Fantasy zu schreiben. Mit „Winterkönig“ begann er eine Trilogie über den legendären König Artus, die komplett bei Blanvalet vorliegt. Inzwischen hat er eine weitere Fantasy-Trilogie veröffentlicht. Die Uhtred-Saga ist mittlerweile fast so lang wie die um Sharpe.

Der Saxon-Zyklus (Uhtred-Zyklus)

1. The Last Kingdom, 2004 (dt. Das letzte Königreich, 2007)
2. The Pale Horseman, 2005 (dt. Der weiße Reiter, 2007)
3. The Lords of the North, 2006 (dt. Die Herren des Nordens, 2008)
4. Sword Song, 2007 (dt. Schwertgesang, 2008)
5. The Burning Land, 2009 (dt. Das brennende Land, 2010)
6. Death of Kings, 2011 (dt. Der sterbende König, 2012)
7. The Pagan Lord, 2013 (dt. Der Heidenfürst, 2014)
8. The Empty Throne, 2014 (dt. Der leere Thron, 2015)
9. Warriors of the Storm, 2015 (dt. Die dunklen Krieger, 2016)
10. The Flame Bearer, 2016 (dt. Der Flammenträger, 2017)
11. War of the Wolf, 2018 (dt. als „Wolfskrieg“, 2019, ISBN 9783499276521)

Handlung

Man schreibt mittlerweile das Jahr 917 und Uhtred, der „heidnische“ Krieger und Grenzgänger ist mittlerweile 60 Jahre alt – ein hohes Alter für seine Zeit. Er hat König Alfred von Wessex überlebt, der 899 starb, ohne seinen Traum von einem vereinten christlichen England verwirklicht zu sehen. Doch Alfreds Sohn Edward hat mittlerweile das Königreich Ost-Anglien erobert, das zuvor vom Dänenkönig Guthrum (Band 2) beherrscht worden war. Edward wird unterstützt von seinem ehrgeizigen Fürsten Aethelhelm, der selbst Ambitionen auf den Thron an den Tag legt – wie Uhtred schon bald erkennen muss.

Uhtred strebt immer noch nach der Rückerlangung seines Stammsitzes Bebbanburg, das an der Küste Northumbriens unweit des zerstörten Klosters Lindisfarena liegt, doch wie lange hält der Friede zwischen Dänen und Sachsen noch? Seine Tochter Stiorra und seine sein Schwiegersohn, der Däne Sigtryggr, herrschen zwar über den Bischofssitz York, doch wie lange noch? Von Süden rücken die Westsachsen unter König Edward und Lord Aethelhelm an, und von Norden fallen auf einmal die Schotten und König Constantin ein. Constantin beansprucht alles Land nördlich des Hadrianswalls – und das bedeutet: auch die Festung Bebbanburg.

Im Zwielicht der Intrige

Da Uhtred als freier Kriegsherr nur 200 Mann befehligt, kann er keinen der Könige in offener Feldschlacht besiegen, deshalb sucht er nach einer günstigen Gelegenheit, um einen Hebel anzusetzen, der politisch wirksam ist. Er findet ihn in einer unscheinbaren Festung im südlichen Northumbrien, die von Westsachsen besetzt worden ist, obwohl sie Sigtryggr gehört. (Sigtryggr ist in Lincoln, um die Stadt gegen Edward zu verteidigen.) Ihr Befehlshaber ist Brunulf, und der scheint ein vernünftiger Mann zu sein. Ganz im Gegensatz zu dem Mönch Herefrith, der unweit der Festung eine Abtei errichten will und dafür bereits Holz gelagert hat. Offenbar hat Herefrith den Plan gut und lange vorbereitet.

Die Begegnung mit Brunulf und Herefrith nimmt einen sonderbaren Verlauf. Erst spuckt der Mönch Gift und Galle, dann gibt er versöhnlich, so als ob er einen Plan in der Hinterhand hätte, von dem Uhtred nichts erfahren dürfe. Uhtred legt sich in einem Grenzwäldchen auf die Lauer und sendet Späher aus. In der Nacht hat er eine Erleuchtung: Er erkennt Herefriths finsteren Plan, denn der kann nur mit Lord Aethelhelm abgesprochen worden sein. Uhtred bereitet seine Männer auf eine sehr seltsames Schauspiel vor.

Kaum ist die Sonne aufgegangen, reiten rund 15 Mann aus Brunulfs Festung aus, um einem Befehl zu folgen. Dieser Befehl kam wohl von König Edward, möglicherweise aber auch von Lord Aethelhelm. Doch plötzlich brechen aus einem anderen Wäldchen 30 Reiter hervor, die es auf die Brunulf-Truppe abgesehen haben. Sie tragen Schilde mit dem Zeichen Sigtryggrs! Uhtred ist klar, dass Dänen, die Westsachsen angreifen, der Auslöser für den krieg wären, den Lord Aethelhelm sich wünscht, um Northumbrien anzugreifen zu können.

Nur dass die Angreifer falsche Fuffziger sind. Uhtred lässt zum Angriff blasen, um Brunulfs Leuten beizustehen und die Angreifer zu entlarven. Er freut sich schon auf die Gesichter der Kriegstreiber an König Edwards Hof…

Mein Eindruck

Der Triumph und die Schadenfreude sind denn auch Uhtred nicht zu nehmen. Aber nach diesem ersten Höhepunkt, der etwa in der Mitte des Buches liegt, fällt die Spannung stark ab. Uhtred hegt große Zweifel an seiner Fähigkeit, die „uneinnehmbare“ Festung Bebbanburg einzunehmen, zumal sie gerade von den Schotten belagert wird. Einzig eine ausgetüftelte Kriegslist könnte ihm Zugang zum am Hafen gelegenen See-Tor gewähren, denn die beiden anderen Tore sind schwer bewacht. Doch auch das See-Tor hat zwei Ebenen, so dass ein Frontalangriff nur unter größ0ten Verlusten zu realisieren wäre. Und überhaupt: Wo soll er die Schiffe dafür nehmen?

Damit der Angriff aufs See-Tor auch wirklich garantiert unmöglich erscheint, haben die Schotten unter Constantin einen dänischen Kapitän, der ursprünglich für die Bebbanburg arbeitete, angeworben. Einar der Glücklose patrouilliert die Gewässer südlich der Festung, über die nun Uhtreds Weg führen muss. Er kann ja nicht den schottischen Belagerungsring mit nur 200 Männern durchbrechen.

Zu allem Überfluss stößt er in Dumnoc an der Küste auf eine Invasionsflotte, die Aethelhelm zusammengestellt hat, um die Bebbanburg zu erreichen: Er will dem dortigen Fürsten, Uhtreds Cousin, seine Enkelin zur Frau geben und im Tausch dafür Männer bekommen, mit denen er Northumbrien unterwerfen kann. Denn Aethelhelms größter Ehrgeiz lautet nicht Landbesitz, sondern den Thron für seinen Enkelsohn zu sichern, der nicht ganz zufällig der Sohn König Edward ist.

Doch Edward hat noch einen zweiten, außerehelichen Sohn. Aethelstan schließt sich Uhtreds erfahrenen Wölfen an, von denen er quasi auf vielen Feldzügen aufgezogen und ausgebildet worden ist. Er ist quasi der Überraschungsgast beim Endkampf, der dann doch noch in der riesigen Burganlage stattfindet. Der Endspurt zwischen Uhtred, Einar und Aethelhelm mit ihren jeweiligen Flotten sieht mehr als nur einen Sieger, und das macht das Finale umso spannender. Es dauert nicht weniger als 50 Seiten lang – Seiten, die den nach Action lechzenden Cornwell-Fan für den Durchhänger in der Mitte, wo es etwas zu lachen gibt, vollauf entschädigen.

Zum Titel

Der zehnte Band der Uhtred-Saga trägt den Titel „Der Flammenträger / The Flame Bearer“. In der zweiten Hälfte wird die zugehörige Legende erzählt, deren Lied die Seeleute Uhtreds beim Rudern singen. Im sechsten Jahrhundert hat demnach ein Sachse namens Ida seine Schiffe nahe der Bebbanburg, deren erste Form schon damals bestand, auf den Strand gesetzt, wo wilde Brecher an die Klippen schlugen. Doch die Verteidiger der Burg erwiesen sich als ebenso tödliche Gefahr. Zwischen Speeren und Brechern sehen Idas Männer das Ende nahe. Da ermannt sich der Sachse, verbrennt sein Schiff und formt aus dessen Holz eine große Fackel – mit der er sich selbst in Brand setzt. Wie das gehen soll, wird nicht erklärt und gehört zur Hegende. Wie auch immer: Er versetzt die Verteidiger in Furcht und Schrecken, so dass der Weg für den Rest seiner Truppe frei ist, um die Burg einzunehmen.

Diese Legende ist der poetische Gegenpol zu all den hanebüchenen Heiligenlegenden, mit denen es Uhtred zu tun bekommt, wenn er mit Christen spricht. Das Tüpfelchen auf dem i bilden die heißen Stories, die der „verrückte Bischof“ von sich gibt. Die Ida-Legende von der Eroberung der Bebbanburg macht Uhtred offensichtlich zum Nachfolger des Sachsen. Das Ironische daran ist natürlich, dass Uhtred zwar als Sachse geboren, aber als Däne aufgezogen und ausgebildet wurde – das macht ja seine Einzigartigkeit aus.

Stammvater Uhtred

Im Nachwort zum englischen Taschenbuch lässt der Autor einfließen, dass er den Ursprung seiner eigenen Sippe auf die Bebbanburg zurückführt. Für ihn ist Uhtred quasi der fiktive Stammvater, der die besten und schlechtesten der Nordengländer in sich vereint. Ida war ein Eroberer, der englisches Land wollte, wie schon viele vor ihm, seit die Römer im 5. Jahrhundert (um AD 440) abgezogen waren. Doch Uhtred beendet diese Eroberung mit einer Wiedergewinnung dessen, was ihm geraubt wurde. Damit endet der große Spannungsbogen, der seit dem ersten Band über den Zyklus gespannt wurde.

Doch ein Ziel ist im Jahr 917 immer noch unerfüllt geblieben, nämlich die Erfüllung von König Alfreds Traum von einem vereinigten Königreich unter einem gemeinsamen Herrscher. Folglich ist diese Mission von Uhtred immer noch weiterzuführen.

Die Übersetzung

Die englischsprachige Taschenbuchausgabe enthält keine Landkarte. Dieses bedauerliche Manko gleicht die deutsche Übersetzung aus, weil der Künstler Peter Palm eine historisch plausible Landkarte von Britannien im 10. Jahrhundert beigesteuert hat. Sie stützt sich möglicherweise auf eine Karte von John Gilkes, die in „War of the Wolf“ zu finden ist. Diese Ausgabe enthält auch eine Liste der im Text erwähnten Ortsnamen, seien diese nun zutreffend oder nicht. Was davon zu halten, erläutert der Autor selbst in seiner ausführlichen Vorbemerkung.

Der Text ist zu meinem Erstaunen und Entzücken völlig frei von Druckfehlern. Die Übersetzerin hat den ironischen Unterton mancher Szenen voll erfasst und ins Deutsche übertragen. So klingt auch der grimmige Humor durch, der ein Markenzeichen des Helden Uhtred ist. Inzwischen ist die dritte Staffel seiner Abenteuer verfilmt worden und an der nächsten wird bestimmt bereits gearbeitet.

Unterm Strich

Ich habe die englische Taschenbuchausgabe in nur wenigen Tagen gelesen, denn wie jeder Cornwell-Fan weiß, bietet der Autor in jedem seiner Romane (er hat auch ein Sachbuch veröffentlicht, über die Schlacht von Waterloo) Unterhaltung pur. Meist gibt es mindestens zwei Action-Höhepunkte, und das ist auch hier der Fall. Dazwischen präsentiert sich die Hauptfigur Uhtred auf der politischen Bühne, bei Königen und Fürsten. Aber auch in Hurenhäusern sammelt er seine Informationen, denn die Mädels, die dort ihrer horizontalen Arbeit nachgehen, bekommen so einiges von ihren Freiern ins Ohr geflüstert.

Der unerschrockene Leser ab 16 Jahren, der sich schon von „Vikings“ und „Game of Thrones“ hat abhärten lassen, sieht sich zwischen höchsten und niedersten gesellschaftlichen Ebenen hin und her wechseln, ganz wie es Uhtred (oder seinem Schöpfer) gefällt. Der Autor fällt ebensowenig Werturteile über Huren wie über Könige – beide haben einen Job zu erledigen. Worauf es ankommt, ist seinen Verstand zu behalten – und sein Herz erst zur rechten Zeit zu verlieren, dann nämlich, wenn es in die Schlacht geht.

Uhtred hat bekanntlich einen messerscharfen Verstand. Er ist ein Trickser und Meister der Täuschung. So gibt er etwa vor, nach Friesenland (= Niederlande) auswandern zu wollen, um zu rechtfertigen, dass er sich ein paar Schiffe zulegt. In Wahrheit hat er immer nur die Bebbanburg im Visier. Die List klappt, denn die Lüge verbreitet sich in Windeseile und wiegt so seine Widersacher in Sicherheit. Danach folgt der obligatorische Identitätswechsel, der ihm endgültig Zutritt zur Burg verschafft. Man sieht also: Der historische Roman ist zugleich auch ein verschmitzter Thriller.

Die Leistung des Autors

Bernard Cornwell gelingt es, durch Detailreichtum das versunkene Zeitalter zwischen dem Abzug der Römer (ca. 440) und der normannischen Invasion (1066), die ja beide dokumentiert sind, zum Leben zu erwecken, als sei er selbst dort gewesen und zurückgekehrt, um uns davon zu berichten. Viele Funde aus Ausgrabungen und Forschungen haben ihm sicherlich unzählige Indizien geliefert, wie das Leben damals ausgesehen haben könnte. (Im Nachwort erklärt zu „Flammenträger“ er, was Fiktion und was Fakt ist.) Prof. JRR Tolkien lieferte ihm den sprachlichen Schlüssel, wie jeder Leser des „Herrn der Ringe“ bezeugen kann: Die Reiter von Rohan stammen genau aus jener Epoche, in der der junge Uhtred um 870 herum aufwuchs.

Seit 793 kamen die Wikinger (Dänen, Jüten, Friesen usw.) und stellten alles auf den Kopf, bevor sie im Danelag siedelten, den von Alfred geduldeten Königreichen an der Ostküste. Uhtred gerät also in jene turbulente Epoche, als die politische und soziale Struktur der britischen Inseln komplett umgekrempelt wurde. Im Nachwort zeigt der Autor die Erfolgsstrategien der diversen Herrscher auf, mit denen sie dem Chaos Einhalt gebieten konnten. Denn nicht nur Alfred musste England einigen – auch die Waliser und Schotten waren zersplittert und mussten sich vereinen, wollten sie gegen die Wikingerinvasoren bestehen.

Taschenbuch: 476 Seiten
Originaltitel: The Flame Bearer, 2016;
Aus dem Englischen von Karolina Fell.
ISBN-13: 9783499291104

www.rowohlt.de

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