Bernard Cornwell – Sharpes Flucht (Sharpe 10)

Das zehnte Sharpe-Abenteuer – „Sharpes Flucht“ – ist wieder neueren Datums, der Roman wurde 2004 in England erstveröffentlicht. Es ist mit 550 Seiten eines der umfangreicheren Abenteuer von Richard Sharpe und sein Erfinder, Bernard Cornwell, hat wie immer einiges für seinen Helden in petto.

Dabei sieht es für Sharpe im Moment gar nicht so rosig aus. Bisher hatten wir Sharpe immer als einen Hansdampf in allen Gassen erlebt, als einen Mann, der grundsätzlich jede Aufgabe für möglich hält und das Wort „scheitern“ nicht zu kennen scheint. Ein grundsoliger Optimist also, dessen Optimismus auch noch dadurch befeuert wurde, dass er ihn in der Regel vorwärtsbrachte. Rückschläge sind in Richard Sharpes Leben immer nur temporär und auch wenn er eine Schlacht verlieren mag, den Krieg gewinnt er immer!

 

Doch es legt sich Betrübnis über die ersten Seiten von „Sharpes Flucht“, denn Sharpe befürchtet, dass Lawford ihn durch Slingsby ersetzen will. Dieser Slingsby ist ein Schwippschwager Lawfords, genießt dadurch seine Gunst und macht Sharpe seine Kompanie abspenstig. Zu allem Überfluss scheint er nicht nur ein passabler Soldat zu sein, sondern er sieht auch immer aus wie aus dem Ei gepellt – ganz im Gegensatz zu Sharpe, über dessen abgerissene Gestalt und wenig vertrauenerweckendes Äußeres der geneigte Leser in den vergangenen Bänden ja schon einiges erfahren hat.

Es brodelt natürlich nicht nur in den eigenen Reihen. Die Engländer ziehen sich in Richtung Lissabon zurück und hinterlassen für die Franzosen nur verbrannte Erde: Brunnen werden vergiftet, Ernten vernichtet, Vieh geschlachtet. Die Franzosen sollen ausgehungert und endlich von der Iberischen Halbinsel vertrieben werden. Und als Sharpe einige Mehlsäcke vernichtet, handelt er sich die Feindschaft des Portugiesen Ferragus ein, der ihm fortan (fast erfolgreich) nach dem Leben trachtet. Bei Ferragus hat sich Cornwell wohl von Emily Brontës Heathcliff inspirieren lassen: Denn Ferragus kommt zwar aus gutem Elternhaus, doch war er wohl immer wild. Selbst eine Erziehung im Internat konnte die Gottlosigkeit nicht aus ihm herausprügeln. Stattdessen rannte er fort, machte in der Ferne sein Glück und kam dann wieder nach Portugal, um dort sein Geld zu mehren. Er ist Opportunist und versucht immer, mit der Seite anzubandeln, die bessere Chancen auf den Sieg hat. Als Sharpe von seiner Truppe abgeschnitten wird und ausgerechnet in Ferragus’ Lagerhaus landet, sperrt der Bösewicht ihn in ein Kellerloch. Womit er nicht gerechnet hat, ist das alte Abwassersystem der Römer, das zufällig genau unter seinem Lagerhaus verläuft. Und so müssen Sharpe und seine Getreuen buchstäblich durch Scheiße waten, bis sie wieder das Tageslicht sehen.

Natürlich wird sich Sharpe sich schließlich den Nahrungsmitteln in Ferragus’ Lagerhaus widmen und sie für die Franzosen unbrauchbar machen. Und natürlich wird er auch Ferragus den Garaus machen. Und Slingsby wird er schließlich auch ausstechen. Nur eine richtige Schlacht am Ende des Romans fehlt diesmal. Dafür entschuldigt sich Cornwell im Nachwort … Als Wiedergutmachung bietet er ein Scharmützel vor Wellingtons seinerzeit bahnbrechenden Verteidigungsanlagen, die erfolgreich Massenas Vorstoß auf Lissabon stoppen sollten. Und so beleuchtet Cornwell genüsslich sein Scharmützel von allen Seiten und gibt schließlich seinem Helden Gelegenheit, das zu tun, was er am besten kann: Nämlich seine Soldaten aus absolut ausweglosen Situationen zu befreien, während Slingsby sich selbst disqualifiziert und lieber tief in seinen Flachmann schaut. Und so ist auch in dieser Hinsicht wieder alles im Lot!

„Sharpes Flucht“ wartet mit einer neuen Übersetzerin auf. Irene Anders schlägt sich wacker, auch wenn schade (jedoch verständlich) ist, dass sie die vorangegangenen Bände offensichtlich nicht kennt und daher nicht auf bereits etablierte Eigenheiten oder Übertragungen eingehen konnte. So siezen sich Sharpe und Harper hier plötzlich, obwohl in früheren Bänden die Übersetzung dafür gesorgt hatte, dass das freundschaftlich-berufliche Verhältnis der beiden auch dadurch charakterisiert wurde, dass Harper seinen Vorgesetzten siezt, während dieser ihn duzt. Trotzdem ist die Übersetzung im Großen und Ganzen als gelungen zu bezeichnen und so wird das Lesevergnügen nicht dadurch geschmälert, dass man sich über die Übertragung aus dem Englischen ärgern müsste.

„Sharpes Flucht“ reicht nicht an den rasanten Vorgänger „Sharpes Gold“ heran, bietet aber trotzdem solide Unterhaltung auf gewohnt hohem Cornwell-Niveau. Wie immer lebt der Roman vom historisch genau recherchierten Setting genauso wie von den liebgewonnenen Figuren – allen voran natürlich Sharpe und sein getreuer Seargant Harper. Dass es nebenbei auch einiges über die Napoleonischen Kriege zu lernen gibt, ist nur das Sahnehäubchen.

Taschenbuch: 572 Seiten
Originaltitel: Sharpe’s Escape
ISBN-13:978-3-404-16737-1
www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 4,00 von 5)