Earl Derr Biggers – Der chinesische Papagei

biggers-papagei-cover-kleinWo wertvolles Geschmeide zum Verkauf steht, sind Gangster niemals fern: Die Phillmore-Perlen erregen die Gier eines mysteriösen Einsiedler-Millionärs, der sich in einem einsamen Haus tief in der Wüste verborgen hält. Der chinesische Detektiv Charlie Chan verschafft sich verkleidet dort Einlass, wo nur ein Papagei ihm von Verrat und Mord erzählen könnte … – Krimi-Klassiker der aus heutiger Sicht eher zweifelhaften Art, da weder der Plot noch dessen Entwicklung überzeugen können.

Das geschieht:

Nach vielen Jahren trifft Alexander Eden, gut situierter Diamantenhändler in San Francisco, seine heimliche Jugendliebe Alice Phillmore-Jordan wieder. Die einst märchenhaft reiche Witwe steht vor dem finanziellen Ruin, weshalb sie die legendären Phillmore-Perlen zum Verkauf anbieten muss, die Eden zum Höchstpreis loszuschlagen gedenkt. P. J. Madden, Börsenhai und Multimillionär, kauft sie für sein Töchterlein. Nun gilt es, den Schatz vom Phillmoreschen Familiensitz auf der Hawaii-Insel Honolulu in Maddens Besitz zu überführen. Da die Perlen einen Wert von über 200.000 Dollar repräsentieren, sind die Beteiligten verständlicherweise nervös, zumal die Unterwelt inzwischen Wind von dem Handel bekommen hat.

Eden schickt Bob, seinen Sohn, einen Lebemann mit Mumm in den Knochen, auf die weite Reise zu Maddens einsamer Farm in der kalifornischen Wüste. Alice Jordan stellt ihm einen Vertrauten zur Seite: den Chinesen Charlie Chan, einst Dienstbote im Hause Phillmore, aber dank seiner Intelligenz und seines Ehrgeizes schon lange Beamter der Kriminalpolizei von Honolulu, wo er für seinen Spürsinn, seine orientalische Gelassenheit und sein drolliges Kauderwelsch-Amerikanisch berühmt ist.

Madden verhält sich merkwürdig, wirkt gar nicht wie der souveräne Geschäftstycoon, der Wall Street und die Finanzwelt in Schrecken hält, und dringt eigentümlich heftig auf die Herausgabe der Perlen. Wenig Vertrauen wecken auch die zwielichtigen Gestalten, mit denen er sich umgibt. Chan rät daher zur Vorsicht. Unter falschem Namen lässt er sich als Koch anstellen und entdeckt rasch weitere Hinweise darauf, dass ein Verbrechen im Gange ist.

Unterstützt von Jungmann Bob, einem kauzigen Hinterwäldler-Reporter und einer jungen, hübschen Dame vom Film kommt Chan einem abenteuerlichen Komplott auf die Schliche. Dieses Spiel ist gefährlich, und der unglückliche, weil allzu geschwätzige Papagei Tony wird nicht der einzige sein, der dabei sein Leben lassen muss …

Krimi-Klassik ohne Klasse

„Der chinesische Papagei“ gehört zu den Klassikern, nach deren Lektüre sich der Leser verwundert fragt, wie er zu seinem Status gelangen konnte. Nüchtern betrachtet ist dieser Roman nämlich ein ziemlich mittelmäßiger, und selbst dieses Urteil wurde zugunsten des Angeklagten gefällt.

Einem starken Auftakt folgt ein langer Mittelteil, der sich mehr oder weniger im Kreise falscher Alibis, unschuldig Verdächtigter und verdächtiger Unschuldiger dreht. „Der chinesische Papagei“ unterhält am besten in jenen Kapiteln, die in San Francisco spielen. In der Wüste beginnt die Story zu kümmern. Sie erholt sich nicht einmal im Finale, das keine echten Überraschungen bieten kann. Dazwischen gelingen Biggers zwar immer wieder pittoreske Szenen, die indes zur Handlung kaum beitragen. Von realistischer Detektiv- oder Polizeiarbeit kann übrigens auch keine Rede sein, und das angeblich so perfekt geplante Verbrechen, dem wir eher ungläubig beiwohnen, könnte nicht einmal Tony, den Papagei, täuschen.

Womöglich ist es auch die Enttäuschung, den literarischen Meisterdetektiv Charlie Chan im Vergleich mit seinen Hollywood-Inkarnationen zu sehen. Hier haben wir den seltenen Fall, dass die Filme zur Serie, die ab 1931 entstanden, das literarische Vorbild übertreffen. („Behind That Curtain“ wurde bereits 1929 und schon als Tonfilm inszeniert; E. L. Park spielte Charlie Chan.)

Kluger Mann mit Hang zum Blumigen

Egal ob Buch oder Film: Vieles, was damals selbstverständlich war, wenn der ‚typische Chinese‘ dargestellt werden sollte, gilt heute zu Recht als Klischee und Unterstellung. Noch im Verständnisrahmen bleibt die übliche Liebesgeschichte, die nicht nur Biggers eher schlecht als recht ins Geschehen montiert. Zwischen Krimi-Plot und seifigem Geflüster klafft selbst in diesem Roman eine breite Qualitätskluft.

Was uns auch zur unschönen Frage trägt, ob denn die Charlie Chan-Romane aus politisch korrekter Sicht nicht als bodenloser Sumpf rassistischer Stereotypen zu verdammen sind? Hier muss man abermals zwischen Film und Buch unterscheiden; den Schwarzen Peter behält dieses Mal Hollywood. Biggers hat sich im Rahmen des zeitgenössischen Weltbilds durchaus weit aus dem Fenster gelehnt. Auch im „Chinesischen Papagei“ gibt es Szenen, die sehr deutlich machen, dass der Verfasser Charlie Chan ungeachtet aller skurrilen Züge nicht als Menschen zweiter Klasse oder Vorzeige-Exoten abgewertet wissen wollte.

Stattdessen streut Biggers immer wieder Momente ein, in denen er dünkelhafte Bleichgesichter gar nicht gut dastehen lässt. Chan ist bei aller Zurückhaltung sehr wohl ein selbstbewusster, von seinen Fähigkeiten eingenommener Charakter, der als solcher von seinen denkenden Mitmenschen auch wahrgenommen und respektiert wird. Obwohl dieser zweite Roman der Chan-Serie den Detektiv nicht in Hochform zeigt, sollte der Leser klassischer Rätselkrimi den Verfasser deshalb keineswegs aufgeben. Biggers präsentiert in späteren Bänden Krimi-Handwerk der Güteklasse A.

Autor

Geboren wurde Earl Derr Biggers 1884 in Warren, US-Staat Ohio. Einem Studium in Harvard folgte eine erfolgreiche Karriere als Humorist und Kritiker für den „Boston Traveler“. 1911 veröffentlichte Biggers seinen ersten Roman, heiratete, zog nach New York City, verfasste eine erste Theaterkomödie, setzte seine Karriere als Humorist fort und begann eine neue als gefeierter, überaus produktiver Bühnenautor. 1919 brach er auf zu neuen Ufern: Mr. Biggers ging nach Hollywood.

Biggers wurde auf das Genre Kriminalroman aufmerksam und beschloss, auch hier sein Glück zu versuchen. 1919 hatte er während eines Urlaub in Honolulu über einen hier tätigen chinesischen Kriminalbeamten namens Chang Apana gelesen. Trotzdem dauerte es noch sechs Jahre, bis Biggers, durchaus direkt auf den Zeitgeist zielend, der exotische Helden schätzte, die Figur des Charlie Chan schuf, eines trügerisch sanften aber klugen bzw. mit der sprichwörtlichen Weisheit des Orients gesegneten Polizisten. Der Humorist Biggers scheint in den zahllosen Aphorismen durch, die dieser seinem Helden in den Mund legt; heute erscheinen sie freilich oft albern und abgeschmackt.

Zu Lebzeiten Earl Derr Biggers war den sechs Charlie Chan-Romanen, die zwischen 1925 und 1932 entstanden, nur bescheidener Erfolg beschieden. Der Verfasser 1933 starb an einem Herzinfarkt – tragisch, denn gerade biss Hollywood richtig an. Zwischen 1931 und 1948 entstanden 47 Kinofilme mit Chan-Darstellern wie Warner Oland, Sidney Toler und Roland Winters, die sich noch heute trotz der billigen Machart (sowie hässlicher Rassismen) mit großem Vergnügen anschauen lassen. Mit dem ‚echten‘ Charlie Chan haben diese Streifen freilich nur wenig zu tun.

Der chinesische Meisterdetektiv ist Objekt der Verehrung auf zahlreichen Websites. Zu den informationsreichsten und schönsten gehört diese.

Taschenbuch: 315 Seiten
Originaltitel: The Chinese Parrot (New York : Grosset & Dunlap 1926)
Übersetzung: Monika Schurr
http://www.dumont-buchverlag.de

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