Bill O’Reilly & Martin Dugard – Killing Kennedy. Das Ende des amerikanischen Traums

JFKs Ermordung, als Thriller erzählt

Dallas, 22. November 1963 – 12:30 Uhr: Lee Harvey Oswald späht durch das Zielfernrohr seines Gewehrs. John F. Kennedys Kopf erscheint kaum einen Meter entfernt. Oswald weiß, dass er kaum Zeit haben wird. Zwei Schüsse wird er sicher abgeben können – drei, wenn er wirklich schnell ist. Sein Ziel klar vor Augen, atmet er aus und drückt den Abzug. Der erste Schuss trifft den Präsidenten im Nacken. Kennedy sackt leicht zusammen, sein Rückenkorsett, das er wegen seiner Kriegsverletzung dauernd tragen muss, hält ihn aber aufrecht. Beunruhigt wendet Jackie sich ihrem Mann zu. Sie greift nach seiner Schulter und schaut ihm ins Gesicht, um zu sehen, was los ist. Kaum fünf Sekunden sind seit dem ersten Schuss vergangen, da schlägt die zweite Kugel in Kennedys Hinterkopf ein und reißt eine klaffende Wunde. Reflexartig fährt seine Hand hoch zur Stirn, doch ein großer Teil der Schädeldecke ist weggeschleudert worden. (Verlagsinfo)

Ich habe dieses Buch 2016 auf dem Flughafen von Atlanta, Georgia, gekauft. Diese Besprechung beruht auf der Originalausgabe.

Die Autoren

Bill O’Reilly ist ein politischer Kommentator und der Chefredakteur der Kabel-TV-Sendung „The O’Reilly Factor“, die Nachrichten analysiert. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher, darunter:

1) Killing Lincoln
2) Killing Jesus
3) Killing Patton
4) Killing Reagan
5) Killing the Rising Sun (2016)

Martin Dugard ist Autor mehrerer Geschichtsbücher, darunter „Into Africa: The Epic Adventures of Stanley and Livingstone“, das für den History Channel verfilmt wurde. Er lebt mit seiner Frau und drei Söhnen in Südkalifornien.

Inhalte

John Fitzgerald Kennedy, geboren 1917, ist der Spross einer irisch-katholischen Einwandererfamilie, die sich erst in Boston, dann an der Küste von Cape Cod niedergelassen hat. Wie seine Brüder Robert und Edward ist er von Haus aus Jurist, doch der Ausbruch des Krieges reißt ihn aus der vorgesehenen Laufbahn, die sein strenger Vater Joseph für ihn geplant hat.

Im Pazifik kommandiert Leutnant Kennedy im September 1943 das Patrouillenboot PT-109, als er in einer Meeresenge urplötzlich von einem japanischen Schiff beschossen wird. Das Boot geht unter, doch im Schutz der einbrechenden Nacht gelingt es den Männern, sich auf eine unbewohnte Insel zu retten. Kennedy kann trotz einer Verwundung zu einer Nachbarinsel schwimmen und von dort Hilfe holen. Es dauert einige Tage, bis er zurück in die Heimat gebracht werden, wo man seine Verwundung behandelt. Fortan muss er ein Korsett, ein Hilfsmittel, das sich im Augenblick seines Todes als unheilvoll erweisen wird: Es verhindert, dass er Kopf und Oberkörper nach beugen neigen kann. So aber wischt ihn die dritte Kugel am Kopf…

Zusammen mit der irischen Mafia um Dave Powers und Kenny O’Donnell steigt Kennedy auf, heiratet Jaqueline Bouvier und gewinnt schließlich die Präsidentschaftswahlen von 1960. Einen nicht unwesentlichen Anteil an diesem Erfolg haben sowohl Jaquelines fotogener Charme und Kennedys Rednertalent, aber auch Lyndon B. Johnson, Senator von Texas, der für Kennedy den Süden gewinnt. Doch statt einer Belohnung in Form eines einflussreichen Amtes sieht sich Johnson mit dem Posten des Vizepräsidenten abgespeist. Indem er die Welt bereist, übt er schon mal für den Fall der Fälle. Der kommt früher als erwartet.

Kennedys Amtsantritt erfolgt gleich nach der kubanischen Revolution von 1959. Er kann den angeberischen Bastard Fidel Castro nicht leiden, muss zudem den Kommunismus eindämmen, und die Exilkubaner erreichen, dass sie zusammen mit der CIA eine Invasion starten. Leider ist es genau Kennedys zaudernde Einmischung, die den Erfolg der Invasion in der Schweinebucht vereitelt und zu einem tödlichen Desaster werden lässt. Castro führt die Gefangenen vor und blamiert den Präsidenten. Der feuert den CIA-Chef Dulles.

Kuba bleibt ein weiteres Problem, und Sowjetchef Chruschtschow testet die Willenskraft des offenbar schwachen US-Präsidenten. Doch als im Oktober 1962 die Welt am Abgrund des Dritten Weltkriegs steht, behalten JFK und seine engsten Berater, wie etwa Bobby Kennedy, die Nerven und bieten Kubanern wie Sowjets mit einer Seeblockade die Stirn. Wer wird zuerst blinzeln und wegsehen? Es ist Chruschtschow, der sich mit einem Deal um die Türkei zufriedengeben muss.

Es ist Jacqueline, die nicht nur die amerikanische Nation, sondern auch Europa für Kennedy gewinnt und aus dem Weißen Haus ein neues Camelot macht. Dass der Präsident permanent fremdgeht, ist ihr bekannt – ebenso J. Edgar Hoover, dem mächtigen Chef des FBI, der auch kein Freund der Kennedys ist. In einer Nacht in Palm Springs gelingt es Kennedy, Marilyn Monroe ins Bett zu kriegen. Dass der Präsident nicht bei Frank Sinatra abstieg, sondern bei Schauspieler Peter Lawford, bringt Sinatra zur Weißglut. Doch seine Mafia-Verbindungen dürfen den Kennedy-Clan auf keinen Fall in Verlegenheit bringen. Sinatras Gönner Sam Giancana ist ebenfalls sauer auf Bobby Kennedy, denn der Generalstaatsanwalt lässt ihn und die Mafia von Chicago verfolgen.

Als im November 1963 in Dallas drei Schüssen auf die Limousine des Präsidenten abgegeben werden, gibt es mehr als genügend Feinde, die als Verschwörer, wie Hoover sie nennt, in Frage kommen. Ist der Kommunist Lee Harvey Oswald, der nach Kuba auswandern will, wirklich nur ein Sündenbock, wie er behauptet?

Mein Eindruck

Es war die Witwe, die nach dem Tod des Präsidenten, den Mythos von Camelot in die Welt hinaustrug und bestärkte. Und es war die Witwe, die die Parallelen zwischen JFK und Abraham Lincoln bis zum äußersten sichtbar machte. Beide wurden ermordet, beide kämpften für die Befreiung der Schwarzen, liebten die Ideale von Demokratie und Freiheit. Der Mythos funktioniert bis heute: Millionen von Touristen pilgern jährlich an Kennedys Grabmal auf dem Nationalfriedhof von Arlington.

Camelot scheint seit 1964 eine versunkene Periode der nationalen Hoffnung zu sein, die unwiederbringlich zerstört wurde. Die folgenden Morde an Bobby Kennedy, Dr. Martin Luther King und der Vietnamkrieg sowie die Vertreibung der Kennedy-Getreuen durch Präsident Johnson und FBI-Chef Hoover sorgten dafür, dass kein Schatten mehr von Camelot übrigblieb, sondern nur die Gloriole des Hätte-sein-können.

Verschwörung oder Einzeltäter?

Bill O’Reilly ermittelte 1977 als Journalist selbst hinsichtlich den Hintergründen der Kennedy-Ermordung. Er kam genau rechtzeitig, um den Schuss zu hören, mit dem sich George de Mohrenschildt, ein Helfer von Oswalds Frau Marina, selbst richtete. War Mohrenschildt ein CIA-Agent oder -Informant? Diese Quelle kann keine Auskunft mehr geben, was jene „Verschwörung“ betrifft, deren Existenz J. Edgar Hoover stets behauptet hat.

Sein Motiv für diese Behauptung ist sehr einfach: Es ist (zumindest 1963) kein Verstoß gegen ein Bundesgesetz, den Präsidenten der USA zu ermorden, wohl aber ein Verbrechen gegen die Gesetze eines Bundesstaates (Texas) oder einer Stadt (Dallas). Ein Bundesverbrechen wäre allerdings die Verschwörung (!) zu einem Anschlag auf den Präsidenten. Dann hätte Hoover diesen Fall bekommen. Doch er kam mit diesem Ansinnen nicht durch. Die Einzeltäter-Theorie wurde von der Warren Commission des Senats bestätigt, obwohl es daran Zweifel gibt.

Es wurde nie eine Autopsie an Kennedys Leichnam vorgenommen. Das ist ein klarer Verstoß gegen die Gesetze des Staates Texas, wo das Verbrechen begangen wurde. Der zuständige Leichenbeschauer wurde von den Agenten des Secret Service brüsk und mit Gewalt aus dem Weg geschoben, damit sie den Sarg an Bord des Präsidenten-Flugzeugs Air Force One bringen konnten. Deshalb sind die Witwe und der Leichenbestatter die letzten Menschen, die Kennedys sterbliche Überreste zu Gesicht bekommen haben.

Die Autoren rechnen es Lyndon B. Johnson hoch an, dass er sich nicht schon zwei Minuten nachdem er die Todesnachricht erhalten hatten, zum neuen Präsidenten erklärte und eine Säuberung veranlasste. Das hätte Chruschtschow gemacht. Stattdessen wartete er, bis der Sarg ebenso wie die Witwe an Bord der Maschine waren, bis er sich von einer Richterin vereidigen ließ.

Die Agenten des Secret Service hätten ihn am liebsten schon längst in Washington, D.C. gewusst. Denn hundert Jahre zuvor sollten nicht nur der Präsident Lincoln, sondern auch sein Vizepräsident (und sein Außenminister) ermordet werden. Vorsichtshalber hat Bobby Kennedy bereits die wichtigsten Geheimakten fortschaffen und die Aktenschränke mit neuen Schlössern versehen lassen. Die Autoren lassen alles in allem kein gutes Haar an Johnson. Das Beste, was er wohl zustande brachte, war die Parlamentsmehrheit für den Civil Rights Act anno 1964, in dem die Ziele der Bürgerrechtsbewegung zementiert wurden.

Spannung

Die Autoren sind erfahrene Journalisten, die wissen, wie man eine gute Story erzählt: Man baut Spannung bis zum Gehtnichtmehr auf und lässt sie dann im richtigen Moment „explodieren“. Dieses Kunststück gelingt ihnen dreimal: Beim Schildern der Invasion in der Schweinebucht 1961, im Nacherzählen der Kuba-Krise 1962 und schließlich direkt vor der Ermordung im November 1963.

Vor dem ausgiebig gemalten Hintergrund der rassistischen Gewaltakte gegen Afroamerikaner (1955 bis 1963) wird Dallas als eines der Zentren der Rassisten gezeichnet, das besonders auf den Präsidenten nicht gut zu sprechen ist. Die Bürger würden ihn am liebsten tot sehen, entsteht der Eindruck. Umso erstaunlicher dann der begeisterte Empfang auf dem Flughafen von Dallas und die bejubelte Parade durch die Straßen bis zur Dealey Plaza, wo die tödlichen Schüsse alle Menschen schockieren.

Der Täter

Die Autoren schaffen es in meinen Augen nicht, ein stimmiges psychologisches Profil Lee Harvey Oswalds zu zeichnen. Ist er lediglich ein Loser, glühender Kommunist und gescheiterter Familienvater, der endlich in die Geschichtsbücher eingehen will, um überhaupt irgendetwas zu hinterlassen? Das ist eine fast zu einfache Erklärung für die Schreckenstat.

Dass er ein kaltblütiger, kompetenter Schütze ist, der bei den Marinesoldaten zum Scharfschützen ausgebildet wurde, wird hingegen als Befähigung zur Tat herangezogen. Zahlreiche Zeugenaussagen werden angeführt, um ihn wenigstens äußerlich zu charakterisieren. Er soll einen General im Ruhestand beschossen, aber verfehlt haben, behaupten sie. Weder Oswald noch Ermittlungsbeamte können das noch bestätigen. Aber spannende Lektüre ist das allemal.

Anhänge etc.

Das Buch wird durch zahlreiche Abbildungen optisch aufgewertet. Die meisten Fotos stammen aus der Präsidentenbibliothek in Boston, die die Witwe einrichten ließ. Auch Faksimiles von Dokumenten wie einem Brief anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Erklärung zur Sklavenbefreiung (Emancipation Declaration) werten die Glaubwürdigkeit auf.

Die Action-Höhepunkte wie die Invasion in der Schweinebucht, die Kuba-Krise und der Ablauf von Kennedys Todestag werden von Landkarten dokumentiert. Das erleichtert dem Leser das Verständnis der komplexen Geschehnisse. So manchem Leser ist beispielsweise nicht bewusst, dass Oswald ein zweifacher Mörder ist: Auf der Flucht erschoss er den Dallas-Polizeibeamten J.D. Tippett.

Unterm Strich

Ich habe diese Geschichtsreportage in nur wenigen Tagen im Original gelesen. Sie ist für den Englischkenner einfach zu verstehen, flüssig und übersichtlich geschrieben und liest sich streckenweise wie ein Thriller. Das liegt auch am durchgehend verwendeten Präsens, das die Geschehnisse so nahe rückt, als würden sie unmittelbar vor den Augen des Lesers passieren. Diese Unmittelbarkeit trägt stark zur emotionalen Wirkung des Buches bei.

Das könnte den Leser auf die Idee bringen, dass der nötige emotionale Abstand fehle. Das stimmt streckenweise. Aber das ist in den Augen des amerikanischen Lesepublikums kein Fehler, sondern eine Tugend. Es ist offenbar eines der Anliegen des Autorenpaars gewesen, den Leser nicht nur aufzuklären und faktengetreu zu informieren, sondern ihn auch zu unterhalten UND anzurühren.

Das ist der Grund, warum „Killing Kennedy“ nicht nur das Protokoll eines Verbrechens ist, sondern auch die Schilderung einer menschlichen und nationalen Tragödie. Im Kontrast dazu wirken die Schilderungen von Oswalds Handlungen geradezu pedantisch und kühl, sie wirken wie Protokolle über die Schachzüge des Bösen. Die Tatsache, dass auch Oswald ein emotionaler, unglücklicher Mensch war, wird dadurch heruntergespielt.

Die Frage, ob er ein Einzeltäter oder Teil einer Verschwörung war, erwähnen die Autoren, doch sie lassen sich auf keine Spekulationen ein. Für sie gilt der Abschlussbericht der Warren Commission des US-Senats als unantastbar. Das muss der Leser nicht unbedingt als der Weisheit letzten Schluss akzeptieren. Vielmehr sollte dieses Buch dazu anregen, andere Standpunkte zu untersuchen. Es ist Komponente einer andauernden Diskussion. Rezensionen auf Amazon und anderswo liefern Hinweise auf solche anderen Bücher.

Taschenbuch: 326 Seioen
Originaltitel: Killing Kennedy, 2012; St. Martin’s Griffin, New York City
ISBN 9781250092335
www.droemer-knaur.de

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