Nicholas Blake – Ein glühend Messer

Zwei Männer planen den perfekten Doppelmord, den jeder für den anderen begehen soll; die Umsetzung gelingt, aber die Polizei ist findiger als befürchtet, nachträgliche Vertuschungsversuche missglücken, und die Angelegenheit entgleitet den Tätern mit dramatischen Folgen … – Obwohl der Autor (unwissentlich) einen schon damals sehr bekannten Plot aufgreift, gelingt ihm ein höchst spannender Psycho-Thriller, in dem sich die Mörder mindestens so hart belauern wie ihnen die Polizei im Nacken sitzt.

Das geschieht:

Der skrupellose Lebemann Charles Hammer steckt in Schwierigkeiten: Sollte sein reicher Onkel und Arbeitgeber Herbert Beverley erfahren, dass er in allerlei dubiose Geschäfte verwickelt ist und ihm wieder einmal zahlreiche Gläubiger im Nacken sitzen, wird der sittenstrenge Ehrenmann ihn höchstwahrscheinlich aus seinem Testament streichen. Gern würde Hammer dies durch Mord verhindern. Auf diese Weise zu Geld gekommen, wäre ihm jedoch die ungeteilte Aufmerksamkeit der Polizei sicher, was Hammer zu vermeiden trachtet.

Der Zufall führt ihn mit Ned Stowe zusammen, der mäßig erfolgreich Drehbücher für das englische Fernsehen schreibt und privat unglücklich mit der neurotischen Miriam verheiratet ist. Auf ihre finanzielle Unterstützung ist Stowe angewiesen, und freigeben würde sie ihn sowieso nicht. Fatalerweise drängt Laura, Stowes Geliebte, auf Klärung der Situation, da sie die ständige Heimlichtuerei satt hat.

In Stowe wittert Hammer den idealen Verbündeten für einen Mordplan, der ihm seit einiger Zeit durch den Kopf geht: Er wird Miriam umbringen, während Stowe sich ermordend Onkel Herbert widmet! Da sowohl zwischen den Tätern als auch zwischen den Opfern keinerlei Verbindungen herrschen, dürfte die ratlose Polizei den Fall nach einiger Zeit ungeklärt zu den Akten legen.

Der verzweifelte Stowe schlägt ein, zumal Hammer in Vorleistung treten und Miriam zuerst umbringen will. Um sich abzusichern, lässt er Stowe einen Brief aufsetzen, dessen Lektüre Laura umgehend veranlassen würde, die Beziehung aufzukündigen. Diesen Brief nimmt Hammer an sich und wird ihn Laura schicken, sollte Stowe nicht spuren. Dann schreitet er zur Tat – und schon gerät das Komplott ins Wanken, denn Hammer findet Laura nicht allein in ihrem Bett, woraufhin die Ereignisse einen schweißtreibend außerplanmäßigen Verlauf zu nehmen beginnen …

Mord ohne Motiv ist auch keine Lösung

„Ein glühend Messer“ erzählt eine Geschichte voller Schrecken. Diese beschränken sich nicht auf die beiden Hauptfiguren, sondern schließen auch den Verfasser ein, der ausgerechnet vor der Drucklegung seines Romans mit großem Missfallen entdecken musste, dass schon vor ihm jemand auf die geniale Idee mit dem ‚Mord über Kreuz‘ gekommen war. Man möchte Nicholas Blake glauben und ihn für einen zerstreuten, weltfremden Dichter halten; das muss man auch, war ihm doch ausgerechnet Patricia Highsmiths Bestseller „Strangers on a Train“ (1950; dt. „Alibi für zwei“/„Zwei Fremde im Zug“) sowie deren gleichnamige Verfilmung durch Alfred Hitchcock (!) im folgenden Jahr entgangen.

Ärgerlich aber kein Beinbruch. Für Plot-Ideen existierte zumindest damals kein Copyright, Patricia Highsmith fühlte sich geistig nicht beraubt, und – der wichtigste Punkt – Blake setzte auf die Grundidee ein eigene Handlung auf, die sich weniger um den kriminalistischen Aspekt kümmerte, sondern mit den Elemente Schuld, Gewissen und Sühne balancierte. Auch „Zwei Fremde im Zug“ ist psychologisch ausgefeilt, doch „Ein glühend Messer“ kann gänzlich für sich bestehen.

Zumal der Gedanke, jemanden aus dem Weg zu räumen, mit dem man nicht in Verbindung gebracht werden kann, kaum Highsmiths originäre Schöpfung gewesen sein dürfte: Er liegt eigentlich nahe. Interessanter ist die Frage, wie sich ein solches Konzept umsetzen lässt. Die Antwort fällt ebenfalls wenig überraschendaus: Es kann nicht klappen, weil ein derartiger Plan einerseits die Problematik der Ermittlungstäuschung verdoppelt und andererseits zwei einander fremde Menschen, die sich schwer einschätzen können, zur Zusammenarbeit zwingt.

Wenn zwei sich allzu sehr streiten

Mord ist ein Geschäft, das primär im Verborgenen blühen muss, wenn der Täter nicht hinter Gittern oder wie in unserem Fall – wir schreiben das Jahr 1958 – an den Galgen kommen möchte. Dies ist schon im Alleingang schwierig, aber die Probleme vervielfachen sich, wenn sich zwei Unbekannte auf Gedeih und Verderb ins selbe Boot setzen. Blake treibt es auf die Spitze, indem er zwei völlig unterschiedliche Charaktere zusammenbringt.

Initiator und Motor des Verbrechens ist Charles Hammer, der die nötige Nervenstärke mitbringt, was ihm andererseits zum Verhängnis wird: Er will oder kann nicht sehen, dass Stowe ein wackliger Kandidat für einen perfekten Doppelmord ist. Nur die nackte Verzweiflung lässt Stowe Hammers Partner werden. Sobald diese emotionale Krise überwunden ist, kommen bisher unterdrückte aber strenge Charakterzüge wieder zum Vorschein: Stowe ist ein Moralist, der den eigenen Ansprüchen nicht genügen konnte. Das Ergebnis sind immer stärker werdende Gewissensbisse, die ihm die Früchte der bösen Tat – die Hammer umgehend und ohne einen Gedanken an die mörderische Vorgeschichte genießt – verleiden.

Um diesen Druck zu steigern, führt Blake die Figur des jungen Brian Holmes ein, der unter dem Verdacht, ein Mörder zu sein, buchstäblich zerbricht. Als gehörnter Gatte sollte Holmes Stowe gänzlich gleichgültig oder rachsüchtig sein, aber im Unterschied zu Hammer ist er kein ‚böser‘, sondern ein fehlgeleiteter Mensch, der einer Versuchung nicht widerstand.

Eine Studie in Seelenpein

Erwartungsgemäß verlagert sich der Schwerpunkt der Handlung, die bis zum Mord an Miriam von beiden Hauptfiguren gleichwertig getragen wurde, unter dieser Prämisse auf Stowe. Hammer lebt zufrieden als reicher Erbe, aber Stowe wird von Schuldgefühlen gequält. Blake dokumentiert den daraus resultierenden Verfall präzise, unbarmherzig und spannend.

Das Ringen mit der Schuld wird zum eigentlichen Thema der Geschichte. Darüber gerät der kriminalistische Aspekt an den Rand. Zwar lernen wir Inspektor Bartley kennen, doch er bleibt eine Randfigur, die vor allem die bedrohliche Präsenz eines zwar getäuschten aber misstrauischen und in Stowes Augen allgegenwärtigen Gesetzes symbolisiert. Lange glaubt der Leser, dass Bartley das Rätsel lösen wird, zumal er den ‚Mord über Kreuz‘ an einer Stelle als Theorie sogar explizit formuliert: Er weiß also um die Möglichkeit, dass Stowe hinter dem Mord an seiner Ehefrau steckt, schafft es jedoch nie, die dafür erforderlichen Beweise zu finden.

Irgendwann verschwindet Bartley aus der Handlung, die ihn im letzten Drittel nicht mehr benötigt. Hammer und Stowe werden es unter sich auskämpfen. Stowe geht sogar einen Schritt weiter: Er wird sich und Hammer nicht dem Gesetz ausliefern, sonders es selbst in die Hand nehmen. Ein gefallener Ehrenmann kann immer noch Ehrenmann bleiben und in Erfüllung des eigenen Kodex überaus willens- und handlungsstark sein. Dies ist der gravierende Schwachpunkt in Hammers Komplizen-Wahl: Weil ihm entsprechende Werte gänzlich abgehen, erwartet er sie nicht vom ‚schwachen‘ Stowe.

Ein Ende mit Schrecken

Das Finale ist deshalb ebenso melodramatisch wie überzeugend. Eines hat sich zum anderen gefügt, die Ereignisse wurden zu Gliedern einer Kette, an der die Geschichte ebenso unausweichlich zum verhängnisvollen Ende hingezogen wurde, wie es jenem Kinderreim aus dem späten 19. Jahrhundert geschieht, dem Blake den Titel dieses Romans entnahm:

„When the door began to crack, ‚twas like a stick upon my back;
When my back began to smart, ‚twas like a penknife in my heart;
And when my heart began to bleed, then I was dead and dead indeed.“

Dem kleinen, im Münsterland ansässigen Elsinor-Verlag verdankt es der Leser, dass „Ein glühend Messer“ erstmals in Deutschland veröffentlicht wurde. Kriminalgeschichten dieses Jahrgangs erscheinen hierzulande und heutzutage nicht einmal in Neuauflage häufig, weshalb man umso dankbarer sein sollte, dass dieser interessante, eindringliche und gar nicht ‚gemütliche‘ Roman zwar bieder layoutet aber gut übersetzt sowie mit einem Nachwort und einer Zeittafel ausgestattet mit über fünfzigjähriger Verspätung den Weg in die deutsche Krimiklassik-Diaspora gefunden hat.

Autor

Nicholas Blake wurde als Cecil Day-Lewis am 27. April 1904 in dem westirischen Dorf Ballintubber als Sohn eines protestantischen Geistlichen geboren. Nach dem frühen Tod der Mutter zogen Vater und Sohn nach London. Day-Lewis besuchte bis 1927 Wadham College in Oxford. Hier lernte er u. a. den Poeten W. H. Auden (1907-1973) kennen, mit dem er diverse Gedichtsammlung herausgab. Selbst veröffentlichte Day-Lewis schon 1925 einen ersten Band mit Gedichten.

1928 heiratete er und leitete in den nächsten Jahren drei Schulen. Um sein Einkommen aufzubessern, beschloss sich Day-Lewis wie viele andere britische Gelehrte als Verfasser von Kriminalromanen zu versuchen. 1935 erschien „The Proof“ (dt. „Was zu beweisen war“), ein klassischer „Whodunit“, der im dem Verfasser gut bekannten Schulmilieu spielte und bereits den typisch unkonventionellen Detektiv in den Mittelpunkt stellte, den der Verfasser Nigel Strangeways nannte und charakterlich an seinen verehrten Freund Auden anlehnte.

Auf seinen Ruf als ernsthafter Dichter bedacht, schrieb Day-Lewis Krimis vorsichtshalber unter dem Pseudonym „Nicholas Blake“. Schon bald sorgte Nicholas Blake für den Unterhalt des Ehepaares Day-Lewis. Noch 15 Fälle löste Nigel Strangeways in den nächsten drei Jahrzehnten. Der II. Weltkrieg unterbrach das beschauliche Schriftstellerleben. Day-Lewis wurde für das „Ministry of Information“ tätig. Nach dem Krieg wechselte er ins Verlagshaus Chatto & Windus; das hier Erlebte floss in den Roman „End of Chapter“ (1957; dt. „Schluss des Kapitels“) ein.

In dieser Zeit zerbrach seine Ehe, und 1951 heiratete Day-Lewis die Schauspielerin Jill Balcon; dieser Verbindung entsprang u. a. der Schauspieler Daniel Day-Lewis. 1951 wurde er zum „Oxford Professor of Poetry“ gewählt, 1968 übertrug man ihm das Amt des „Poet Laureate“ und ernannte ihn damit zum Dichter des britischen Königshofes. Diese ehrenvolle Stellung (sowie viele andere hohe Ämter) hatte er bis zu seinem Tod aufgrund einer Krebserkrankung am 22. Mai 1972 inne.

Paperback: 200 Seiten
Originaltitel: A Penknife in My Heart (London : Collins 1958)
Übersetzung: Jakob Vandenberg
https://www.elsinor.de

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