Macht eine Autobiographie im Falle einer Band wie GRAVE DIGGER wirklich Sinn, bzw. gibt es überhaupt einen Absatzmarkt hierfür? Eine Frage, die ich mir vor dem Lesen dieses Buches noch nicht eindeutig beantworten konnte. Doch allerspätestens zum Ende dieser ungewohnten Veröffentlichung wurde mir klar, dass die Geschichte von GRAVE DIGGER, so wie sie hier dargestellt wird, mit Sicherheit einige Käufer verdient hat, die nicht zum treuen Anhängerstamm der Band gehört.
Doch beginnen wir von vorne:
Die Erzählung beginnt kurz vor der Bandgründung 1980 und beschreibt die Einflüsse, die Mastermind Chris Boltendahl dazu bewegt haben, selber aktiv Musik zu machen. Ein wenig selbstironisch werden die ersten Gehversuche dargestellt, um anschließend über diversen Proberaumkrach in der Heimatstadt Gladbeck zu ersten Achtungserfolgen in Form der Teilnahme am „Rock For Hell“-Sampler zu führen.
Chris erzählt immer wieder von seinem Traum, ein Metal-Gott zu werden, nur wird dieses Wort im weiteren Verlauf der Geschichte stark überstrapaziert und ist der einzige harsche (weil nervige) Kritikpunkt. Dieser Traum scheint sich dann mit dem ersten Plattenvertrag bei Noise Records zu erfüllen, wo man dann 1984 das heute als Kultalbum geltende „Heavy Metal Breakdown“ veröffentlicht. Gerade der Aufnahmeprozess wird ausführlich belichtet und ein besonderes Augenmerk wurde den zahlreichen Alkoholexzessen gewidmet, die der Band und vor allem Chris selber so einige Probleme einhandelten.
GRAVE DIGGER steigern sich Mitte der Achtziger trotz stetiger Besetzungswechsel immer weiter zu einem der bekanntesten deutschen Szenevertreter, woran die Tourneen mit HELLOWEEN (damals noch als Vorband!) auch einen maßgeblichen Anteil hatten. Der anschließende Abstieg im Zuge des etwas kommerzieller ausgefallenen „War Games“ bis hin zum totalen Exitus bei der Namensänderung und dem damit verbundenenen „Stronger Than Ever“ wird ebenfalls angeschnitten und auch aus heutiger distanzierter Sicht als absoluten Fehler eingestanden. Besonders gut gefällt die Tatsache, dass Herr Boltendahl in den stets eingeworfenen Zitaten im Haupttext auch mit sich selbst des öfteren hart ins Gericht geht und sich nicht in pure Selbstdarstellung ergibt.
Im zweiten Teil beschreiben die Autoren dann das Comeback zu Beginn der Neunziger, welches der Band wesentlich größeren Erfolg einbringen konnte, aber auch weitere Probleme nicht außenvor ließ. Boltendahl geht dabei gerade bei den Querelen mit Tomi Göttlich und Uwe Lulis, die nach internen Meinungsverschiedenheiten die Band verlassen mussten, nicht zu sehr ins Detail und betont, er möchte „keine schmutzige Wäsche waschen“.
Für Fans viel wichtiger ist jedoch der langsam voranschreitende Aufstieg zurück an die Spitze, der über die Comeback-Platte „The Reaper“ sowie „Heart Of Darkness“ und die Mittelalter-Trilogie dahinführte, wo GRAVE DIGGER heute, meiner Meinung nach verdientermaßen, stehen.
Wichtig dafür war die professionelle Einstellung der Musiker, die im Falle Boltendahl sogar zur totalen Entsagung jeglicher bewusstseinsstimulierender Mittelchen führte, die zwar in der Vergangenheit den Party-Drang steigerten aber andererseits auch viel kaputt gemacht hatten.
Die Print-Form der GRAVE-DIGGER-Biographie ist ein absolut lesenswertes Buch, das durch einen recht simpel gehaltenen, leicht verständlichen Schreibstil einen direkten Einstieg erleichtert und so die wahre Geschichte einer Kapelle offenbart, die über den exzessiven Rock`n`Roll-Lifestyle mitsamt allen Fehlern zu einer Gruppe aus professionell agierenden Musikern herangereift ist. Der Wechsel zwischen erzählter Form und eingeworfenen Direktberichten von Sänger Chris Boltendahl stellt viele Situationen sehr klar dar. Der Humor bleibt auch nicht auf der Strecke, wovon zahlreiche Anekdoten (man stelle sich nur mal den Frontmann beim Betteln auf einem japanischen Flughafen vor) zeugen, die immer wieder den rein faktischen Teil auflockern, so dass es gar nicht erst zu langweiligen Passagen kommt. Ergänzt wird der Text zudem noch von CD-Kritiken aus dem Rock Hard zu der jeweiligen Zeit (und das, obwohl Andreas Schöwe vom Metal Hammer, der vermeintlichen Konkurrenz, dieses Buch lektoriert hat) und teilweise lustig dahergekommenen Photos aus älteren Dekaden.
Wer sich jetzt noch immer nix darunter vorstellen kann, dem möchte ich zum Schluss noch den Beipacktext auf dem Buchrücken nahebringen, in dem der „Reaper“ sehr gut erläutert, wovon diese Biographie handelt:
„Dieses Buch soll unseren Fans zeigen, was wir waren, woher wir gekommen sind, welchen Weg wir gegangen sind, wie wir auf- und abgestiegen, auf die Schnauze gefallen sind, verarscht und bejubelt, beschissen und hochgelobt wurden und wie wir dabei immer versucht haben, wie Metal-Götter zu leben, aber Menschen zu bleiben. Das Buch enthält lustige und traurige, träumerische und wirkliche Geschichten über die Band und mein Leben mit ihr.“
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.