Jay Bonansinga – DIe Eismumie (Frozen)

Das geschieht:

FBI-Profiler Ulysses Grove ist am Ende. Seit Monaten hält ihn der „Sun-City-Killer“ in Atem, der durch die USA geistert und anscheinend wahllos Menschen mit einem Pfeilschuss in den Nacken tötet. Anschließend bahrt er die Leichname sorgfältig auf und arrangiert ihre Arme in einer typischen Geste, die zu enträtseln dem Fachmann einfach nicht gelingt. Schließlich bricht Grove zusammen und wird in einen Arbeits- und Erholungsurlaub geschickt: Im fernen Alaska fanden zwei Touristen im Eis eines Gletschers die Mumie eines vor 6000 Jahren umgekommenen Mannes. Die Archäologen der University of Alaska sind in heller Aufregung, zumal der Tote einem Verbrechen zum Opfer fiel.

Mord in der Steinzeit! Die Presse horcht auf. Maura County vom „Discovery Magazine“ rät den Wissenschaftlern, sich der Hilfe eines Kriminologen zu sichern. Eher widerwillig fügt sich Groves in diese Rolle. Er fühlt sich abgeschoben und will zu ‚seinem‘ Fall zurück. Eine bizarre Laune des Schicksals eröffnet ihm diese Möglichkeit: Der Steinzeitmensch, „Keanu“ genannt, zeigt die gleichen Verletzungen wie die Opfer des „Sun-City-Killers“! Da Groves nicht an Geister glaubt, denkt er an einen Nachahmungstäter. Ermittlungen ergeben, dass es am Fundort der Mumie zu einem Zwischenfall kam: Richard Ackerman, einer der beiden Finder, zeigte Anzeichen einer geistigen Verwirrung und verschwand wenig später spurlos.

Er ist der Killer, da ist sich Groves sicher. Allerdings melden sich Archäologen aus aller Welt: An zahlreichen Stellen dieser Erde hat man in den letzten Jahrzehnten Mumien und Skelette mit den Malen des „Sun-City-Killers! gefunden. Es gibt offenbar einen noch unbekannten Faktor, der Vergangenheit und Gegenwart miteinander verknüpft. Ackerman weiß Bescheid, doch er spricht nicht, denn in seinem Kopf haust ein uraltes Wesen, das die Menschen seit Jahrtausenden jagt und gerade sein aktuelles Opfer ins Visier nimmt: Ulysses Groves …

Idee im Fleischwolf

Wenn das Ötzi, unser Eismann aus den Tiroler Alpen, gewusst hätte … Viele Jahre nach seinem traurigen Tod irgendwo auf einem öden Berg dient er einem fleißigen Unterhaltungsfabrikanten als Katalysator für einen schrillen Gruselthriller gerade aktuellen Strickmusters. Vor allem Dan Brown hat vorgeführt, wie effektiv und publikumswirksam sich das Räuber-und-Gendarm-Spiel des guten, alten Krimis mit der Phantastik mischen lässt.

Die Parallelen zum modernen Medienphänomen Brown reichen noch weiter: Auch Jay Bonansinga ist ein Möchtegern-Literat, der weder für das eine noch das andere Genre ein Gespür zeigt. Was ein Profiler macht, lässt sich recherchieren; es geht aber auch einfacher, indem man beispielsweise ein, zwei Folgen einer beliebigen „CSI”-Serie anschaut.

Bei weiterer Betätigung der Fernbedienung stößt man sicherlich auf einen Sender, der einen 08/15-Horrorstreifen ausstrahlt. So bringt man gleich noch in Erfahrung, was Dämonen im Allgemeinen treiben (Metzeln, Verfolgen hübscher Frauen, Anstreben der Weltherrschaft). Mr. Bonansinga hat darüber hinaus auch den „Discovery-Channel“ auf seiner Programmliste und ist vermutlich dort über besagten Ötzi gestolpert.

Das richtige Publikum finden

Stoff genug für einen erfahrenen Handwerker der Unterhaltungsindustrie – Bonansinga ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Produzent, Regisseur usw. -, um daraus einen Bestseller-Blockbuster zu zimmern. Das Betrübliche daran ist, dass die Rechnung mit einiger Sicherheit aufgehen wird: „Die Eismumie“ ist das Produkt einer gelungenen Suche nach dem größten gemeinsamen Nenner, d. h. ein Roman, der von möglichst vielen Menschen, die irgendwie ein paar Stunden totschlagen wollen, gelesen bzw. gekauft werden soll.

In dieser Hinsicht muss man dem Verfasser zugeben, solide Arbeit geleistet zu haben: Ist man abgelenkt – beispielsweise durch eine haltestellenreiche Bahnfahrt, einen holprigen Flug oder eine Blinddarmoperation – und möchte dennoch lesen, ist „Die Eismumie“ zweifellos die richtige Lektürewahl. Einen Handlungsfaden, wie man ihn aus tausend Büchern & Filmen kennt, wird man zweifellos nicht verlieren, und sollte man zwischen einigen Seiten einschlafen bzw. abstürzen bzw. ohnmächtig werden, fällt es nach dem eventuellen Aufwachen leicht, den Anschluss an das Buchgeschehen zu finden.

Figuren zwischen flach und platt

Wer einen mordlüsternen Geist aus einem Mumieschädel springen lässt, muss offensichtlich keine Zeit damit verlieren, originelle Protagonisten auftreten zu lassen: Mit diesem Gedanken ist Autor Bonansinga vermutlich an die Figurenzeichnung herangegangen. Hinzu kommt eine Menge Hollywood-Erfahrung, die ihn lehrte, Mehrschichtigkeit zu Gunsten von Geschwindigkeit unter den Tisch fallen zu lassen. Das Ergebnis ist ein Reißbrett-Thriller wie aus einer Fernschule für Nachwuchsautoren. („Beachten Sie folgende drei Regeln und werden Sie Bestsellerautor!“)

Hier finden wir versammelt:

– als Helden den redlichen FBI-Mann, der sich in seinem Job aufreibt, der früh verstorbenen Gattin trauervoll die Treue hält und mit den Windmühlen skeptischer Vorgesetzter und Kollegen sowie einer lästig liebevollen Mutter zu kämpfen hat;
– die tüchtige, hübsche Wissenschaftlerin als Heldin, die insgeheim Frau geblieben ist und sich nach Mr. Right verzehrt, der – wer hätte es gedacht – wie der redliche FBI-Mann aussieht;
– den weniger redlichen FBI-Kollegen, der mehr an seine Karriere als daran denkt, was seinen Job ausmachen sollte – die Suche nach bösen Wichten, um brave Mitbürger zu schützen – und der dafür die Quittung erhält, was dem Helden die Gelegenheit gibt Racheschwüre zu äußern und sein für die Handlung jetzt lästiges Festhalten an Recht & Gesetz abzulegen.

Daneben gibt es allerlei austauschbare Polizisten und FBI-Agenten, verschrobene Wissenschaftler, einen Ex-Exorzisten aus dem Vatikan (kein Gruselpulp geht ohne ihn) sowie ahnungslose Joes & Janes aus US-Amerikas Unter- und Mittelschicht, die als Geisterfutter herzuhalten haben.

Gibt es eigentlich auch kluge Dämonen?

Bleibt noch der „Sun-City-Killer“ selbst, das personifizierte Böse aus dem Urschleim, seit Jahrtausenden von Kopf zu Kopf springend und eifrig Menschen schlachtend. Dafür gibt es sogar ein Motiv, das hier jedoch verschwiegen wird; schließlich ist das der vermutlich einzige Grund, die Lektüre nicht lange (sehr lange!) vor Seite 400 mit dieser verzweifelten Frage einzustellen: Worum dreht sich der ganze faule Zauber eigentlich?

Die Geduld des Lesers wird indes auch nach Lüftung des Geheimnisses auf eine harte Probe gestellt, denn der Killer bleibt ein uninteressantes Es, das sich weiterhin nur in Gewalt- und Blutorgien manifestiert. Das ist seine Aufgabe, denn Autor Bonansinga plante nie die Schöpfung eines Bösewichts, der für sich einnehmen kann, sondern ein Mumienmonster, das schlicht morden und schließlich das Ende der Handlungskette – die hier von Punkt A bis B reicht – erreichen soll: den Finalkampf mit dem Helden, der selbstverständlich nicht grundlos von eigentümlichen Visionen geplagt wurde und sich dem Killer unsichtbar verbunden fühlte, und das alles selbstverständlich über dem gefesselten Körper der zuvor von der Mumie verschleppten Heldin …

Autor

Jay R. Bonansinga (geb. 1959) wringt sich Thriller meist phantastischen Inhalts aus dem Hirn. Hinzu kommen Drehbücher, die noch „in der Entwicklungsphase“ stecken, wie es in Hollywood so schön heißt. Der selbst ernannte Tausendsassa – seine ‚Biografie‘ auf dieser Website muss man gelesen haben, wenn man eine Lektion in Sachen Selbstbeweihräucherung wünscht – lebt mit Familie in Evanston, US-Staat Illinois, wo er – man staune – als Gastprofessor für Kreatives Schreiben an der Northwestern University lehrt.

In Deutschland wurde Bonansinga Mitte der 1990er Jahre mit seinen frühen Thrillern „Black Mariah“ („The Black Mariah“, 1994) und „Sick“ („Sick“, 1995) schon einmal veröffentlicht. Später versuchte es ein anderer Verlag mit den Bonansinga-Krimis „Killer-Parade“ („The Killer’s Game“, 1997) und „Kopf an Kopf“ („Head Case“, 1998), wobei sich der Erfolg in Grenzen hielt. Aktuell leiht Bonansinga dem Comic-Star Robert Kirkman seine Feder, um dessen Erfolgsserie „The Walking Dead“ in Buchromane zu verwandeln; geblieben ist die triviale, grobe Machart.

Taschenbuch: 413 Seiten
Originaltitel: Frozen (New York : Pinnacle Books 2005)
Übersetzung: Teja Schwaner
http://www.piper.de

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