Borsch, Frank – Sternenarche, Die (Perry Rhodan – Lemuria 1)

In den Ochent-Sektor verirren sich seit jeher nur galaktische Glücksritter der besonders hoffnungsvollen (oder verzweifelten) Art. Er bildet eine Pufferzone zwischen den Machtbereichen der tellerköpfigen Blues und der hominiden Akonen, droht jedoch diese Funktion zu verlieren: Seit einiger Zeit mehren sich die Zeichen dafür, dass sich etwas anbahnt in diesem Winkel des Weltraums.

Um Terras Interessen zu wahren, begibt sich Perry Rhodan, seit Jahrtausenden Terras Mann für kosmische Verwicklungen, auf eine diplomatische Mission. Er möchte mit den Akonen verhandeln und sie auf der Seite der Menschheit wissen, sollte um den Ochent-Sektor ein Konflikt ausbrechen. Mit dem Prospektorenraumer „Palenque“ reist er unauffällig an, kommt aber nicht weit: Unter dramatischen Umständen stößt man auf ein riesiges Raumschiff, das erkennbar seit Jahrtausenden unterwegs ist.

Die Überraschung ist komplett, als man im Inneren auf – Menschen stößt! Eigentlich sind es Lemurer, d. h. Angehörige der „Ersten Menschheit“, die vor 50.000 Jahren von der Erde aus ein riesiges Imperium errichteten, Siedlerschiffe in die Galaxis schickten und nach einer Invasion der sechsgliedrigen „Bestien“ die Erde fluchtartig verließen.

Seit Äonen ist die „Nethack Achton“ also unterwegs. Das Wissen um die Herkunft oder den Grund der Reise ist in Vergessenheit geraten. An Bord hat sich ein eigener Mikrokosmos herausgebildet. Das Leben steht im Zeichen der stets begrenzten Ressourcen. Ein strenges Kastensystem mit quasi religiösen Zügen hat sich entwickelt. An der Spitze der Gesellschaftspyramide steht der „Naahk“ – zur Zeit Lemal Netwar -, der mit Hilfe einer Wach- und Schutztruppe – den „Tenoy“ – ein strenges Regime über sein Volk – die „Metach“ – führt. Dabei unterstützt ihn das „Netz“, eine künstliche Intelligenz, deren unsichtbare Fühler fast jeden Winkel der „Nethack Achton“ kontrollieren.

Allerdings nagt der Zahn der Zeit an der Technik. Außerdem mehrt sich unter den Metach der Unwillen über die Beschränkungen, die ihnen Naahk und Netz auferlegen. Was geht jenseits der Schiffsmauern vor, das wollen junge Männer und Frauen erfahren, die solchen Fragen Taten folgen lassen. Die Schiffsführung schlägt hart zurück, fordert Gegenreaktionen heraus. Der Konflikt schaukelt sich stetig hoch. In dieser Situation tritt Perry Rhodan auf den Plan. Um die Lage endgültig eskalieren zu lassen, nähert sich außerdem ein nicht zu Verhandlungen aufgelegtes akonisches Kommando …

Mehr als vier reale Jahrzehnte bringt Perry Rhodan nun schon Zucht & Ordnung ins Universum. Mal glückt ihm das, meist nur halbwegs und oft gar nicht. Unverdrossen versucht es stets aufs Neue. Das ist der Stoff, aus dem „seine“ Serie gestrickt ist, die sich zur „größten Science-Fiction-Serie der Welt“ gemausert hat.

Wobei „größte“ nicht „beste“ bedeutet. Spannende Unterhaltung möchte man den Lesern bieten, nicht mehr, nicht weniger. So lange die Latte auf diesem Niveau liegt, klappt das hervorragend. Übel wird’s dann, wenn „kosmisches Gedankengut“ sich im Geschehen breit macht; es scheint sich stets aus der legendären Schwurbelschaum-Materiequelle zu speisen …

Die „Lemuria“-Miniserie – bereits die dritte, die nach „Andromeda“ und „Odyssee“ im |Heyne|-Verlag läuft – lässt die großen universalen Mysterien außen vor. Stattdessen beackert man ein Feld, das seine Fruchtbarkeit bereits mehrfach unter Beweis gestellt hat. Der Zyklus um die „Meister der Insel“ (PR-Bände 200-299) gehört zu den ganz großen Favoriten der Serie. Noch in deren Sturm-und-Drang-Phase entstanden, gelang die beinahe perfekte Mischung aus Science-Fiction und Abenteuer. Praktisch sämtliche Elemente des Genres kamen zum Einsatz, wurden unbekümmert mit Horror, Krimi, Krieg und allem, was die Welt der trivialen Unterhaltung sonst zu bieten hatte, verquickt. Gleichzeitig entstand zum ersten Mal in Vollendung jene „alternative“ Geschichte der Menschheit, für die PR mit Recht gerühmt wird.

Der „MdI-Zyklus“ hat – obwohl bejahrt – seine Faszination behalten. Hier war PR noch jung, bildete das Universum einen Spielplatz, auf dem sich die Autoren tummeln konnten. Sie sprudelten über vor Ideen, die nur zum Teil oder gar nicht bis zum Ende durchgespielt wurden und werden konnten. Viele rote Fäden fransten ins Leere aus – diese Lücken und angerissenen Episoden bildeten ein Futter, von dem die Saga vom „Erben des Universums“ bis heute zehren kann.

Immer wieder forderten die Fans die Rückkehr nach Andromeda. Mehrfach wurde ihnen dieser Wunsch erfüllt, denn PR mit MdI-Touch geht mit einem Bonus ins Rennen um die Gunst der Leser, was deren Griff um die Geldbörse lockert. Auf den Glanz der Vergangenheit setzt nun auch „Lemuria“ – oder möchte setzen, denn in „Die Sternenarche“ ist von dem alten, ins reale 21. Jahrhundert transponierten Zauber nur wenig zu spüren.

Sechs Bände sind zu wenig, um einen „richtigen“ Zyklus mit MdI-Patina zu schaffen. Für einen Episodenzyklus um die „Nethack Achton“ sind es möglicherweise zu viele. Grundsätzlich ist die Idee gut, an Bord eines Generationsraumschiffs zu reisen. Seit die Meister ihr Zepter schwangen, ist viel Zeit vergangen. „Neuigkeiten“ aus Andromeda können dosiert ins Geschehen eingebracht werden. Gleichzeitig kann man sich auf Bekanntes stützen – „Lemuria“ ist auch eine „Nacherzählung“ dessen, was das PR-Team um K. H. Scheer Anfang der 1960er Jahre schuf.

Leider ist so ein Generationsraumschiff auf der anderen Seite ein limitierter Ort für eine spannende, an überraschenden Wendungen reiche Story. In einem Anhang zur „Sternenarche“ gibt Hartmut Kaspar einen Überblick über das „Generationsraumschiff in der Science Fiction“, wo es eine eigene Nische besetzt – eine enge Nische, denn in solchen Dosenraumern geht es in der Regel recht ähnlich zu. Immer ist man schon so lange unterwegs, dass die ursprüngliche Mission in einem mythischen Nebel verschwunden ist. Religiöse Fanatiker und/oder der durchgedrehte Bordcomputer haben die Macht übernommen und knechten ihre „Untertanen“, die ihrerseits vergessen haben, dass sie in ihrer privaten Welt durchs All rasen. Im Schiff selbst gibt die Technik ihren Geist auf; allerlei Improvisationen müssen das ausgleichen.

Diese Melodie erklingt auch in der „Sternenarche“. Frank Borsch gelingt es nie, dem Thema etwas Neues abzugewinnen. Wenn man ihn für etwas rühmen kann, dann ist es u. a. die handwerklich saubere Umsetzung des Plots, die das Bekannte erzählerisch dicht und angenehm lesbar präsentiert. Die pseudodramatische Hast, die schlampig-saloppe, angeblich zeitgemäße und von der jugendlichen Leserschaft gewünschte Sprache (der sog. „Maddrax-Sprech“), welche beispielsweise die Lektüre der aktuellen „Atlan“-Miniserien (zu) oft zur Qual werden lassen, geht diesem ersten „Lemuria“-Band zu seinem Vorteil ab.

Viel geschieht also nicht – im Auftaktband zu einer Serie muss das Terrain halt erst vorbereitet werden für das, was noch folgt. Dies kann dem Verfasser leicht zum Korsett werden. Zudem muss der Nicht-PR-Insider bedacht werden, den man nicht durch die geballte Wucht der Serienfakten vom Buchkauf abschrecken will. Borsch versucht diese kaufmännische Intention wie gesagt nicht zu verschleiern, sondern erzählt ruhig und solide seine Story. PR-Interna streut er nebenbei ein. Der Hardcore-Fan wird sie registrieren.

Man kann folglich nicht Borsch vorwerfen, er ruhe sich auf den MdI/Lemuria-Lorbeeren aus. Er muss mit angezogener Bremse schreiben. Erst die folgenden Bände werden zeigen, ob die Verschmelzung der glorreichen PR-Vergangenheit mit der Gegenwart wirklich gelingt und womöglich etwas für die PR-Chronik Neues, Eigenständiges schafft.

Nichts Neues ebenfalls in Sachen Figurenzeichnung. Perry Rhodan ist ein schwieriger Charakter. Einerseits muss er als „normaler Mensch“ gezeigt werden, an dessen Denken und Handeln man Anteil nimmt. Andererseits ist er wahrlich steinalt und hat so viel Außergewöhnliches erlebt, dass er womöglich ein „kosmischer“ Mensch geworden ist, der in ganz anderen Sphären beheimatet ist als der Rest der Menschheit, deren Vertreter er durch seine bloße Ausstrahlung sprachlos werden lässt. Frank Borsch versucht dieses Problem zu thematisieren, indem er Rhodan quasi stellvertretend durch die Augen der „Palenque“-Besatzung beobachtet. Sie verkörpern den „Normalterraner“, der Rhodan mit einer Mischung aus (Ehr-)Furcht und betonter Kumpelhaftigkeit begegnet. Das funktioniert gut in dem begrenzten Rahmen, der in der PR-Serie die Grenze zwischen überzeugender Charakterdarstellung und hölzern-lächerlicher Gefühlsduselei markiert, denn Borsch bleibt klug innerhalb der Bildränder. (Die „Luftgitarren-Episode“ hätte er sich und uns freilich ersparen sollen.)

Natürlich kann die Rhodansche Dualität nie durchgehalten werden. Die ehernen Gesetze des auf Bewegung und Unterhaltung getrimmten Trivialromans (ein Begriff, der übrigens zunächst keinerlei negative Wertung beinhaltet) fordern ihren Tribut. Wieso ausgerechnet Perry Rhodan in das Geschehen verwickelt ist, darüber denke man lieber nicht nach. Was hat dieser Mann auf einer unwichtigen Mission in einem unwichtigen Sternensektor verloren? Für solchen diplomatischen Kleinkram dürfte Rhodan seine Leute haben. Aber wider alle Logik muss er immer wieder an einen Ort gebracht werden, wo es gefährlich und turbulent zugeht. Als weisen Ratgeber im Hintergrund mögen die Fans ihren Perry nicht sehen; er muss auch – bildhaft gesprochen – die Fäuste schwingen.

Warum hat man nicht einen seiner (Kampf-)Gefährten mit auf die Ochent-Mission geschickt? Fast durchweg agieren nur Rhodan oder Atlan an der Front. Es gibt durchaus andere, farbenfrohe, von der Leserschaft geliebte Figuren, von denen man viel zu wenig hört. Die Besatzung der „Palenque“ bietet da kein Ersatz. Allzu austauschbar wirken die Charaktere. Die Kommandantin soll eine starke Nebenfigur darstellen. Borsch fällt dazu nur ein, ihr cholerische Züge und ein exaltiertes Verhalten aufzuprägen. Immerhin übertreibt er es nicht wie so viele seiner PR-Teamkollegen und degeneriert sie zur peinlichen, eindimensionalen Karikatur einer Figur.

Ähnlich ergeht es dem Tenoy der „Nethack Achton“. Schon wieder einer dieser absolutistischen Fundamentalisten, die sich im Besitz der „einzigen Wahrheit“ wähnen, ihre Schäflein für die „gute Sache“ unterdrücken und Abweichler unbarmherzig jagen lassen! Allerdings arbeitet Borsch auch hier mit Licht und Schatten. Tenoy ist kein tumber Bösewicht, sondern ein Mensch, der unter seinem Amt leidet, sein Tun hinterfragt und neuem Gedankengut gegenüber aufgeschlossen ist.

Selbstverständlich spielen die Gegner des Tenoy ebenfalls ihre bekannten Rollen. Jung und idealistisch sind sie, neugierig und nicht gewillt, sich länger dem System frag- und klaglos zu beugen. (Seltsam, dass Rhodan stets pünktlich dort auftaucht, wo’s gerade kritisch wird …) Dazu kommen eine zarte Liebesgeschichte plus viel persönliche Tragik, denn Helden und Heldinnen müssen schließlich leiden.

Solina Tormas schließlich fällt die Aufgabe zu, die in der PR-Chronik seit langer Zeit aus dem Blickfeld geratenen Akonen wieder in die Handlung zu führen. Als Historikerin und Spezialistin für lemurische Geschichte steht sie zwischen Akonen und Terranern – eine gut gewählte Figur, um die Differenzen und Ähnlichkeiten zwischen den Völkern (die ja beide von den Lemurern abstammen) plastisch zu machen. Man bemerkt hier die Fortschritte, die PR in mehr als vier Jahrzehnten gelungen sind: Die einst eindimensionalen, arroganten und hinterlistigen Akonen gliedern sich in Gruppen und Individuen mit eigenen, durchaus nicht chronisch unredlichen Zielen, ohne gleichzeitig jene Züge zu verlieren, die sie „akonisch“ wirken lassen.

Frank Borsch (geb. 1966 in Pforzheim) studierte bis 1996 Englisch und Geschichte in Freiburg. Um sich zu finanzieren, nahm er eine lange Reihe von Jobs an, arbeitete aber auch an einem Umwelthandbuch für Osteuropa mit und war Webmeister seiner Universität. 1996 saß er unter den Teilnehmern eines Science-Fiction-Seminars, das die Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel ausrichtete. Hier wurde er „entdeckt“: Wolfgang Jeschke, der langjährige Chefredakteur von Heynes SF-Reihe, heuerte ihn als Übersetzer an; ausgedehnte Auslandsaufenthalte und ein Intermezzo als Deutschlehrer im irischen Belfast hatten ihn mit der englischen Sprache vertraut werden lassen.

Zusätzlich übersetzte Borsch Comics für |Marvel Deutschland|. Gleichzeitig begann er zu schreiben, verfasste Romane und Kurzgeschichten, aber auch Artikel vor allem zum Thema Internet. 1998 stieg er mit „Der Preis der Freiheit“, seinem Beitrag zur „Atlan“-Miniserie „Traversan“ ins PR-Universum ein. Ab 2001 gehörte er als Redakteur dem PR-Team in Rastatt an. Seit 2004 ist er Stammautor der „Perry Rhodan“-Heftserie.

Frank Borsch lebt und arbeitet in Freiburg.

Der „Lemuria“-Zyklus …
erscheint im |Heyne|-Verlag:

1. Frank Borsch: Die Sternenarche
2. Hans Kneifel: Der Schläfer der Zeiten
3. Andreas Brandhorst: Exodus der Generationen
4. Leo Lukas: Der erste Unsterbliche
5. Thomas Ziegler: Die letzten Tage Lemurias
6. Hubert Haensel: Die längste Nacht