C. J. Box – Jagdopfer [Joe Pickett 1]

Ein idealistischer Wildhüter stolpert im waldigen Wyoming über einen Mord, an dessen Aufklärung seine Vorgesetzten wenig Interesse zeigen. Natürlich lässt er nicht locker und deckt ein anti-ökologisches Komplott auf, was ihn und seine Familie in Lebensgefahr bringt … – Kleiner, aber feiner Thriller, der grünen Kitsch und New-Age-Naturschwurbel meidet und routiniert die Geschichte vom einsamen Kämpfer gegen das scheinbar übermächtige Böse erzählt.

Das geschieht:

Saddlestring im US-Staat Wyoming wirkt auf den ersten Blick wie eine amerikanische Bilderbuchstadt. Doch die Rezession beutelt auch das Twelve Sleep County. Keine Arbeit, keine Zukunft, aber Waffen & Alkohol satt und ein schwer überschaubares Terrain: Das ist der Alltag, mit dem Thomas Joseph „Joe“ Pickett, Jagdaufseher im Dienst der Wild- und Fischbehörde von Wyoming, sich plagen muss. Wegen seines Feuereifers ist er unbeliebt in der eigenen Behörde, bei den Einheimischen, die gern außerhalb der Saison wildern, sowie bei den Jagdtouristen, die sich unter freiem Himmel mit Pulver und Blei austoben wollen. Mit Gattin Marybeth und zwei Kindern – ein drittes ist unterwegs – lebt Pickett mehr schlecht als recht in einem baufälligen Haus und fragt sich oft, wie die Familie finanziell über die Runden kommen soll.

Sein ehemaliger Chef und Vorgänger Vern Dunnegan arbeitet jetzt für den Energiekonzern InterWest Ressources, der eine Gaspipeline durch die Wälder bauen will. Geld und Jobs für die Bürger Saddlestrings verspricht dieses Projekt. Hindernisse, die es womöglich zum Scheitern bringen, sind deshalb nicht gern gesehen. Pickett hält sich heraus, bis ausgerechnet in seinem Hinterhof Jagdführer Ote Keeley sein Leben aushaucht. Von mehreren Kugeln durchbohrt, hatte er sich bis hierher geschleppt. Die Suche nach Keeleys Mörder führt Pickett und seinen Kollegen und Freund Wacey Hedeman tief in die Wälder und in das Jagdlager des Verblichenen. Dessen Kumpane liegen tot in ihren Zelten, ermordet offenbar vom verrückten Sonderling Clyde Lidgard, der sich ein Feuergefecht mit den Aufsehern liefert und schwer verletzt auf der Strecke bleibt.

Sheriff O. R. Barnum hält den Mordfall für geklärt, aber Pickett bleibt skeptisch. Zu viele Fragen bleiben für seinen Geschmack offen. Er macht sich im Alleingang an Ermittlungen und stößt in ein Wespennest. Seltsames geht vor hinter den Kulissen von Saddlestring. Viel Geld ist im Spiel, dazu kommt die Angst vor der Naturschutzbehörde, die man offensichtlich um jeden Preis fernhalten möchte. Jeder, den Pickett bisher schätzte und achtete, scheint in das Komplott verwickelt zu sein. Schlimmer noch: Als er trotzdem nicht locker lässt, beginnt eine tödliche Hetzjagd, die bald auch seine Familie bedroht …

Eigennutz als Tagespflicht

Höchste Zeit also für Mr. Pickett, als mustergültiger US-amerikanischer Joe die Samthandschuhe auszuziehen und eigenhändig für Gerechtigkeit zu sorgen, was – wie wir ja wissen – im Land der Freien und Tapferen den großkalibrigen Overkill gegen die Schurken bedeutet, die das schließlich selbst herausgefordert und es folglich nicht besser verdient haben!

Bis es so weit ist, rollt vor des Lesers Augen kein unbedingt origineller, aber solider, gut recherchierter und effektvoll inszenierter Krimi ab, der einer scheinbar totgeschriebenen Kulisse – Redneck County, USA, bevölkert von Flanellhemden tragenden, rauschebärtigen, bis an die fauligen Zähne bewaffneten, gewalttätigen Waldschraten auf der einen und wortkargen, edelmütigen, aber mindestens ebenso armierten Ordnungshütern auf der anderen Seite – neues Leben einhauchen kann. „Jagdopfer“ gefällt darüber hinaus durch seine gar nicht dezenten Seitenhiebe gegen eine nicht nur in Amerika aus den Fugen geratende Bürokratie, die den Bürger, dem sie angeblich dient, als seelenlose Maschine niederwalzt.

In diesem Punkt schreckt der Verfasser nicht davor zurück, einer heiligen Kuh ins Bein zu beißen. Ein ironischer Epilog schildert, wie die längst zur Großmacht mutierte Naturschutzbewegung über Twelve Sleep County kommt, im scheinbaren Namen von Mutter Erde dem Tourismus und damit dem Städtchen Saddlestring den Todesstoß versetzt und schließlich voller Übereifer auch noch auslöscht, was sie eigentlich bewahren sollte.

Solche Passagen stechen ab gegen die sonst doch recht simple Handlung; sie verraten viel Insiderwissen (und Zorn). In der Tat war Box einst selbst Jagdaufseher und hat seine Erfahrungen mit Befürwortern und Gegnern des Naturschutzes. Dass erstere nicht übers Wasser wandeln können, ist eine Wahrheit, die politisch weder korrekt ist noch von den Betroffenen gern gehört wird.

Ein reiner Tor wird Realist

C. J. Box ist ein zielstrebiger Mann, der seine Schriftstellerkarriere sorgfältig plante. Joe Pickett wurde von Anfang an als Hauptfigur einer Krimi-Reihe geplant. Dazu bedurfte es einiger Vorüberlegungen. Ein mehr oder weniger gebrochener, d. h. an der Flasche hängender, einsam in der Welt stehender oder gar von psychischen Nöten heimgesuchter Ordnungshüter sollte Joe Pickett nicht sein, sondern ein redlicher Zeitgenosse mit intakter Familie und unverdienten Geldsorgen, darüber hinaus ein Vertreter altmodischer Pioniertugenden, die ihn in Konflikt mit einer eher ökonomisch als ökologisch denkenden Welt bringen. Dabei ist Joe Pickett nicht naiv, sondern ein Mann mit Prinzipien, dem es durchaus sauer aufstößt, dass auf dieser ungerechten Welt keine gute Tat unbestraft bleibt.

Box machte aus Pickett keinen typischen Kleinstadt-Polizisten, sondern einen Jagdaufseher: eine Mischung aus Sheriff, Förster und Überlebens-Spezialisten. Das eröffnet dem Verfasser die Möglichkeit, Pickett in der Wildnis und in der ‚Zivilisation‘ gleichermaßen einzusetzen; es ist eine kluge Voraussetzung für eine hoffentlich (und inzwischen tatsächlich) lang laufende Serie.

Ein wenig zu viel Autopilot

Die übrigen Figuren können da leider nicht mithalten. Marybeth Pickett ist primär aufopferungsvolle Gefährtin und Muttertier: Das Weltbild des C. J. Box ist konservativ. Deshalb muss Joes Schwiegermutter, die ein bisschen Luxus im Leben zu schätzen weiß, auch die unsympathische Rolle übernehmen.

Dass Vern Dunnegan und Wacey Hedeman Strolche sind, merkt auch der dümmste Leser schon nach wenigen Seiten. Sheriff Barnum bleibt zumindest in diesem ersten Band der Serie noch blass. Wenn Box einige Bürger von Saddlestring zu Wort kommen lässt, gelingen ihm Glanzlichter; auch Rednecks sind irgendwie Menschen, wenn auch keineswegs der pflegeleichten Art.

Ein wenig zu grob geschnitzt und kühl kalkuliert kommt dieser Auftakt der Pickett-Serie also daher. Dem Erfolg hat das nicht geschadet und möglicherweise geholfen, denn was leicht verdaulich ist, wird gern genossen. Hübsche Ansätze gelungener Ironie müssen sich mühsam neben allzu altbackenen Klischees behaupten. Das Potenzial ist freilich vorhanden und erkennbar. Es ist schön, dass sich nach einem Fehlstart wieder ein deutscher Verlag der Pickett-Serie nicht nur annahm, sondern auch einige Nachfolgebände erschienen ließ, bevor die hierzulande offenbar nur bedingt einträgliche Reihe eingestellt wurde.

Autor

Charles James (eigentlich „CJ“ – der Verfasser pflegt das Image des einfachen, aber ansonsten ganz im Hier & Jetzt beheimateten Jungen vom Land) Box wurde 1958 in Caspar, der zweitgrößten Stadt des US-Staates Wyoming, geboren. Er studierte Kommunikationswissenschaften an der University of Denver, hat auf einer Farm gearbeitet, war später Jagdführer, wurde dann Journalist und ging außerdem in die Tourismus-Branche, wo er in Cheyenne, der Hauptstadt seines Heimatstaates, eine eigene, weiterhin betriebene Marketing-Firma gründete.

Wie es sich gehört, lebt Box mit seiner Familie (Ehefrau und drei Töchter – wir wissen nun, wer als Vorbild für die Picketts dient) nicht in der sündhaften Großstadt, sondern auf dem Land, wo sie alles züchten, das sich reiten, essen oder an der Leine führen lässt.

Boxes Schriftsteller-Laufbahn wurde generalstabsmäßig vorbereitet. „Open Season“ war denn auch ein Senkrechtstarter und konnte sich sechs Wochen auf der Bestsellerliste der „L. A. Times“ halten. Die weiteren Erfolge, viele Preise und noch mehr Nominierungen – d. h. nicht gewonnene Preise, aber wer wird da schon kleinlich sein? – zählt Box auf seiner Website gewissenhaft auf; er hält nichts davon, Werbepotenzial ungenutzt zu lassen, was auch die zitierten Lobtiraden auf seine Werke erklärt.

Taschenbuch: 316 Seiten
Originaltitel: Open Season (New York : G. P. Putnam‘s Sons 2001/London : Robert Hale Ltd. 2002)
Übersetzung: Andreas Heckmann
http://www.cjbox.net
https://www.randomhouse.de/Verlag/Heyne

eBook: 767 KB (Kindle)
ISBN-13: 978-3-641-04623-1
https://www.randomhouse.de/Verlag/Heyne

Achtung: Es gibt eine frühere, inhaltsgleiche Ausgabe unter dem Titel „Keine Schonzeit“ (Blanvalet Verlag/TB Nr. 35759)!

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