Artur Brauner / Harald Reinl / Susa Gülzow / Laduslaus Fodor / Marc Behm – Im Stahlnetz des Dr. Mabuse

Rasanter Thriller mit dem Nostalgie-Touch

Man schreibt das Jahr 1961. 29 Jahre nach dem Selbstmord des Verbrechergenies Dr. Mabuse scheint jemand dessen Vermächtnis anzutreten, um die Grundfesten der Staatsgewalt zu erschüttern. Eine Reihe mysteriöser Morde trägt die unverkennbare Handschrift des genialen Verbrechers Dr. Mabuse. Seine Spur führt Inspektor Lohmann, den FBI-Agenten Joe Como und die Journalistin Maria Sabrehm direkt in ein Gefängnis. Dort wird den Häftlingen in der Abteilung D ein Rauschgift verabreicht, das sie zu willenlosen Werkzeugen Mabuses macht. Um den Verbrecher zu entlarven, lässt sich Como selbst in die Haftanstalt einweisen.

Im Unterschied zu den meisten Hörspielen dient diesem nicht ein literarisches Werk als Vorlage, sondern ein Kinofilm. Das wirft die Frage auf, wie es gelingen kann, einen Thriller von 89 Minuten Länge auf 73 Minuten einzudampfen.

Die Mabuse-Reihe

Dr. Mabuse, der Spieler (1922, Regie: Fritz Lang, nach dem Roman von Norbert Jacques)
Das Testament des Dr. Mabuse (1932, Regie: Fritz Lang)
[Die 1000 Augen des Dr. Mabuse]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?idbook=945 (1960, Regie: Fritz Lang)
Im Stahlnetz des Dr. Mabuse (1961, Regie: Harald Reinl)
Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse (1961, Regie: Harald Reinl)
Das Testament des Dr. Mabuse (1962)
Scotland Yard jagt Dr. Mabuse (1963)
Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse (1964)

Die Macher des Films

Gesamtleitung: Artur Brauner
Drehbuch: Ladislaus Fodor/Marc Behm
Regie: Harald Reinl
Musik: Peter Sandloff

Die Darsteller (Sprechrollen)

Gert Fröbe als Inspektor Lohmann
Lex Barker als Joe Como
Wolfgang Preiss als Dr. Mabuse
Daliah Lavi als Maria Sabrehm
Rudolf Forster als Prof. Sabrehm
Werner Peters als Böhmler
Rudolf Fernau als Pfarrer Brietenstein
Laura Solari als Mrs. Pizzarro
u. v. a.

Regie beim Film führte Harald Reinl, der auch Karl-May-Romane verfilmte.

Der Erzähler

Wolf Frass spricht die Zwischentexte. Er erlernte die Schauspielkunst an der Folkwang-Hochschule in Essen. Er hat sich vor allem durch sein Engagement am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg sowie durch seine Mitwirkung in mehreren TV-Produktionen wie etwa „Großstadtrevier“ und „Tatort“ einen Namen gemacht. Darüber hinaus arbeitet er als Synchronsprecher. Seine markante Stimme ist in zahlreichen Hörspielen und auf Hörbüchern zu vernehmen. (Verlagsinfo)

Die Regisseurin

Susa Gülzow arbeitet seit 1988 als Autorin, Regisseurin und Sprecherin. Aus ihrer Feder stammen u. a. die Hörspielfassungen von „Happy Hippos“ und „Lucky Luke“ sowie zahlreiche Synchronbearbeitungen, u. a. für Pro7. Zudem verfasste sie den Text für das Kindermusical „Das Parlament der Tiere“. (Verlagsinfo)

Handlung

Inspektor Lohmann (Gert Fröbe) packt gerade für seinen Angelurlaub und ist guter Dinge. Er nennt seine Frau liebevoll „Heideröslein“. Da klingelt das Telefon und reißt ihn aus allen Anglerträumen.

Sein Kollege Voss ruft ihn an einen Tatort: In einem Zug wurde ein Interpolbeamter ermordet und seine Aktentasche entwendet. Darin befand sich Belastungsmaterial gegen diverse Verbrechersyndikate. Lohmann erhält ein Telegramm vom FBI, aus dem er erfährt, dass ein amerikanisches Verbrechersyndikat einen Partner in Europa sucht. Vermittlerin soll eine gewisse Mrs. Pizzarro sein. Um mehr über sie zu erfahren, besucht Lohmann das Zuchthaus. Hier ist Dr. Wolf (Fausto Tozzi) Direktor. Er lässt den Beamten mit Alberto Sandro sprechen, der aber ungewöhnlich lammfromm ist: Er steht unter einer Droge. Das findet Lohmann ziemlich seltsam.

Die Pizzarro wird beschattet, doch nicht lange: Plötzlich fährt ein LKW an sie heran, richtet einen Flammenwerfer auf sie und verbrennt sie. Auf der Straße bricht Panik aus. Lohmann entdeckt bei der Leiche ein Buch mit dem Titel „Anatomie des Teufels“, das ein Pfarrer Brietenstein geschrieben hat. Darin stößt er auch auf ein Porträt des Verbrechergenies Dr. Mabuse. Er sucht ihn auf.

Unterdessen hat die Journalistin Maria Sabrehm (Dalah Lavi) einen Augenzeugen gefunden. Er nennt sich Joe Como (Lex Barker). Weil er Lippen lesen kann, weiß er auch, wohin Lohmann unterwegs ist, und zusammen folgen sie ihm. Maria kennt Brietenstein sehr gut: Sie singt im Kirchenchor. In Brietensteins Kirche entgeht Lohmann nur um Haaresbreite einem Mordanschlag durch den Küster, der sofort verschwindet.

Como hilft dem Inspektor auf und gibt sich als Mann vom FBI aus. Doch es gibt einen Unbekannten in der Kirche, gegenüber dem sich Como als Abgesandter des Chicagoer Syndikats ausgibt. Auf welcher Seite steht er eigentlich? Dass die Kirche beileibe kein sicherer Ort ist, zeigt sich, als ein weiterer Augenzeuge einem Anschlag mit einem LKW zum Opfer fällt. Nachdem Como und Lohmann den Laster verfolgt haben, baut der Fahrer einen Unfall und entsteigt dem Schrotthaufen: Zu Lohmanns Verblüffung ist es Alberto Sandro, der Häftling. Wie kam der in Freiheit?

Nach hartnäckiger Untersuchung des Zuchthauses von Dr. Wolf stellt sich heraus, dass Maria Sabrehms Vater dort einsitzt, sie ihn aber seit zwei Jahren nicht sehen darf. Er glaubt, in einem Geheimlabor zu arbeiten und stellt synthetische Psychopharmaka her, solche wie jenes, das man dem armen Sandro gespritzt hat, um ihn gefügig zu machen.

Doch wer steckt hinter dieser ganzen Sache? Ist es Dr. Mabuse, der mit dem Syndikat zusammenarbeiten will? Joe Como lässt sich in den Knast einweisen, um die Wahrheit herauszufinden. Zur gleichen Zeit wird Maria Sabrehm von Unbekannten mit Gas betäubt und entführt. Kann irgendjemand noch Dr. Mabuse von seinem Plan, die Atommeiler Berlins anzugreifen, abhalten?

Mein Eindruck

Die fünf Fortsetzungen (s. o.) zu Fritz Langs Streifen „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ wurden nach dem gleichen Strickmuster und mit einem grundsätzlich gleichen Personal realisiert. Die Ähnlichkeit ist so groß, dass sie sie vorhersehbar macht. Die Vermutung liegt nahe, dass sie letztlich nicht fürs Kino-, sondern fürs Fernsehpublikum gedreht wurden. Das war ja auch bei den Edgar-Wallace-Filmen der Fall. Angesichts der wachsenden Macht des Fernsehens blieb den Produzenten nur eine Wahl: entweder superteure Cinemascope-Prachtschinken wie „Lawrence von Arabien“ oder sehr kostengünstig herzustellende Kinofilme, die sich auch noch im Fernsehen verkaufen lassen. Atze Brauner wählte offensichtlich Letzteres.

Das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein, aber man muss Abstriche bei der Qualität hinnehmen. Die Figuren sind holzschnittartig und verfügen über keinerlei Eigenleben oder Geschichte. Einzige Ausnahme wäre allenfalls noch Gert Fröbe als Inspektor Lohmann, der doch tatsächlich auch so etwas wie ein Privatleben hat. Doch statt in den verdienten Urlaub führt ihn die Pflicht wieder ins Polizeirevier.

Lex Barker als FBI-Agent Joe Como scheint in Deutschland jede Menge Befugnisse zu besitzen und sich wie ein einheimischer Kommissar aufführen zu dürfen. Abgesehen davon, ist er für die Verführung und den Schutz liebebedürftiger, attraktiver junger Damen zuständig, die regelmäßig entführt und bedroht werden.

Zuständig für diese Bedrohung sind a) Dr. Mabuse in tausend Verkleidungen (oder nur als Stimme) und b) zwielichtige Schergen, von denen meist nicht klar ist, auf welcher Seite sie stehen – sozusagen Leute wie du und ich. Doch früher oder später ereilt auch sie ihre „gerechte“ Strafe. Dass Mabuse es nicht auf schnöden Mammon abgesehen hat, wurde schon aus den Vorgängerfilmen deutlich: Er sabotiert den Staat und die Regierungschefs, um dann „das Verbrechen“ die Herrschaft antreten zu lassen. Wie er seine Handlanger bezahlt, wird nie erklärt. Aber die Frage ist überflüssig, wenn man berücksichtigt, dass er seine „ausführenden Organe“ durch Drogen und Indoktrination zu willenlosen Marionetten macht. Sie haben einen kleinen Knopf im Ohr, durch die er seine Befehle schicken kann.

Ein weiterer wichtiger Handlanger fehlt noch in diesem Puzzle: der Wissenschaftler. Er wird erst spät eingeführt, quasi als eine Art Monster, das Mabuse ausgeliefert ist. In „Stahlnetz“ ist es der Prof. Sabrehm, der mit einem Artikel in einer Fachzeitschrift die Entwicklung der Bewusstseinsdroge ermöglichte, die Mabuse den Weg zur Weltherrschaft ebnen soll. Er gilt als verschollen, lebt aber im Knast in einer Scheinwelt, so als ob er seine eigene Droge genommen hätte. (Ähnlich zu Prof. Erasmus in „Krallen“.)

Ist dieses Gefängnis das Sinnbild seiner Schuld oder entschuldigt es, was er – unter anderem für das Verbrechergenie – getan hat? Die Frage lässt sich dadurch beantworten, dass man betrachtet, wie die Unschuld(igen) auf ihn reagieren. Maria Sabrehm durfte ihn zwei Jahre lang nicht besuchen und ist dadurch sehr verletzt und besorgt. Offenbar liegt doch eine Schuld vor, nicht nur eine ethische, sondern auch eine allgemein menschliche: die Missachtung der Liebe.

Die Inszenierung

Von Anfang an setzt das Hörspiel auf Action, und schon nach wenigen Minuten geschieht ein ziemlich bizarrer Mord: Eine Frau wird auf offener Straße mit dem Flammenwerfer in Brand gesteckt. Die Serie der Morde setzt sich mit konventionelleren Mitteln fort, doch stets sind LKW an den Taten beteiligt. Da diese unheilvollen LKW nicht nur in „Stahlnetz“ auftauchen, sondern auch in „1000 Augen“ und „Krallen“, werden sie zu Mordmaschinen hochstilisiert. Das kommt uns heute reichlich überzogen vor, aber damals, im Jahr 1961, ließ sich das Publikum vielleicht noch davon erschrecken: Die meisten LKW gehörten den Truppen der allierten Eroberer … Vielleicht ist die Erklärung viel einfacher: Möglicherweise hatte der Produzent einen Spediteur mit einer LKW-Flotte an der Hand. Einige der LKW werden im Film geschrottet – Ausschussware?

Die Musik begleitet die Action mit Originaltönen. Das klingt also für uns ziemlich schräg. Aber für die Übergänge wurde neue Musik geschrieben, die ein Synthesizer-Motiv enthält, das wesentlich angenehmer und zeitgemäßer klingt. Dessen Sound entspricht heutigem Standard, während dies für das Filmoriginal nicht gilt.

Wolfgang Frass liefert als Erzähler weitere Übergänge zwischen den wichtigsten Szenen (Verführungsszenen fallen eindeutig nicht in diese Kategorie!) und stellt so einen für die Logik des Films wichtigen Zusammenhang her. Alles in allem kann man daher der rasant voranschreitenden Handlung ohne Schwierigkeiten folgen.

Das Booklet

Das Booklet umfasst zwölf Seiten, die sich sehen lassen können. Neben den historischen Hintergründen der Mabuse-Filme sind hier nicht nur die Macher des Film detailliert vorgestellt, sondern auch die Verantwortlichen des Hörbuchs. Natürlich fehlt auch Produzent Sven Michael Schreivogel nicht. Er dankt mehreren Quellen, ohne deren Unterstützung das Produkt wesentlich magerer ausgefallen wäre.

Im Booklet sind zahlreiche Filmfotos in ausgezeichneter Qualität abgedruckt. Auch Gert Fröbe ist hier mehrmals in voller Action zu sehen. Meistens sieht man ihn – etwa in „Goldfinger“ – ja nur mit vorgestreckter Wampe herumstehen.

Unterm Strich

Das Hörspiel weiß auf spannende Weise zu unterhalten, ohne dass weder die Intelligenz noch die Romantik zu kurz kommen. Allerdings heißt es angesichts der Fülle der Dialogtexte aufpassen. Ich musste das Hörspiel in aller Ruhe zweimal anhören, um die zahlreichen versteckten Hinweise, falschen Fährten und Identitäten zu verstehen und auf die Reihe zu bekommen.

Das Drehbuch des zweiten Mabuse-Films ist nicht mehr so ausgetüftelt wie das des Vorgängers, und die Qualität des Films hat sich merklich dem Niveau der Edgar-Wallace-Filme angenähert (siehe meine Erklärung unter „Mein Eindruck“). Die Essenz der Mabuse-Filme ist leicht zu kapieren: Grusel, Spannung, Romantik und Terrorismus gehen hier eine bemerkenswerte Verbindung in Thrillern ein, die heute leider schon wieder vergessen sind.

Das Booklet zu der qualitativ hoch stehenden Hörbuchproduktion wartet mit wertvollen Hintergrundinformationen zu der Dr.-Mabuse-Filmreihe auf und lässt uns verstehen, warum die Reihe eigentlich Kult ist, aber zu ernst in ihrer Thematik ist, um sie parodieren zu können – wie das ja inzwischen für Edgar-Wallace-Streifen mit „Der Wixxer“ gelungen ist. Seltene Filmfotos ergänzen die Informationen zu zahlreichen Mitwirkenden damals und heute.

Wenn der Rest der Reihe ebenso gut produziert wird, könnte das Thema „Dr. Mabuse, der Staatsfeind Nr. 1“ eine Wiederauferstehung mit Langzeitwirkung feiern. Der Käufer erhält für sein Geld einen reellen Gegenwert. Und es wäre zu wünschen, dass die DVD-Ausgaben eines Tages ebenso sorgfältig ediert würden.

73 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 9783821853826

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