Peter V. Brett – Das Lied der Dunkelheit (Dämonen-Zyklus 1)

Der Dämonen-Zyklus:

Das Lied der Dunkelheit. Heyne, 2009, ISBN 978-3-453-52476-7 (engl. Original: The Painted Man. (US-Titel: The Warded Man.), 2009, ISBN 978-0-00-727613-4)
Das Flüstern der Nacht. Heyne, 2010, ISBN 978-3-453-52611-2 (engl. Original: The Desert Spear. 2010, ISBN 978-0-00-727616-5)
Die Flammen der Dämmerung. Heyne, 2013, ISBN 978-3-453-52474-3 (engl. Original: The Daylight War. 2013, ISBN 978-0-00-727621-9)
Der Thron der Finsternis. Heyne, September 2015, ISBN 978-3-453-31573-0 (engl. Original: The Skull Throne. März 2015, ISBN 978-0-345-53148-3)
Das Leuchten der Magie. Heyne, Dezember 2017, ISBN 978-3-453-31574-7 (engl. Original: The Core. September 2017, ISBN 978-0-007-42572-3)
Die Stimmen des Abgrunds. Heyne, April 2018, ISBN 978-3-453-31938-7 (zweite Hälfte der deutschen Übersetzung von The Core.)

Der Autor

Peter V. Brett (* 08.02.1973, New York) studierte English Literature und Art History an der Universität von Buffalo. Nach seinem Abschluss im Jahre 1995 schrieb er über zehn Jahre lang medizinische Fachliteratur. Doch wen würde das interessieren, wir würden ihn nicht kennen, wenn ihm sein bisher einziger Roman nicht so hervorragend gut gelungen wäre, dass viele begeisterte Leser schon wieder den überstrapazierten Vergleich mit Altmeister Tolkien bemühen.

Egal ob man diesem Vergleich zustimmt oder nicht, „Das Lied der Dunkelheit“, im englischen Original als 2008 bei Gollancz als „Painted Man“ in den USA unter dem Titel „The Warded Man“ erschienen, ist ein Bestseller. Dem kann ich nur zustimmen, kaufen Sie sich dieses Buch! Warum es aber so gut ist, wieso ich eine solch uneingeschränkte Kaufempfehlung ausspreche und welche Zielgruppen dieses Buch anspricht, das sage ich Ihnen jetzt.

Das Lied der Dunkelheit

Die Welt ist nicht mehr das, was sie einmal war. Die Wissenschaft und technologischer Fortschritt siegten über Aberglauben und Krankheiten, alte Legenden gerieten in Vergessenheit, die Furcht vor dem Bösen, der Dunkelheit und mythologischen Schreckensgestalten wurde nur noch belächelt. Bis zu dem Tag an dem die Dämonen zurückkamen und die Welt ins Chaos der Barbarei zurückstürzten, die Menschheit fast vollständig ausrotteten. Kein Heil und keine Rettung versprachen moderne Waffen und die Wissenschaft, aber uralte, längst vergessene Schutzrunen und -zeichen retteten den Rest der Menschheit vor der vollständigen Vernichtung. Mit den Dämonen der Hölle war auch die Magie wieder zurückgekehrt auf die Welt.

Seit diesem Tag lebt die Menschheit wieder im finstersten Mittelalter, voller Furcht vor der Dunkelheit und dem Nebel, denn mit ihnen kommen die Dämonen (Horclinge) aus dem Erdkern (Horc – vermutlich das Äquivalent zur Hölle) und holen sich Unvorsichtige, die bei Einbruch der Nacht noch nicht in Schutzräumen Zuflucht gefunden haben. In kleinen Siedlungen und kleinen Städten, weit voneinander entfernt, vegetiert die Menschheit in Furcht dahin. Handel ist mühsam und beschwerlich, denn weiter als eine Tagesreise ohne Herberge zu reisen heißt, nachts im Freien übernachten zu müssen – nur die Mutigsten trauen sich das zu, und ein kleiner Fehler, eine Lücke im Bannkreis, auch Siegel genannt, und die Dämonen dringen ein und töten erbarmungslos. Aber selbst wenn die Bannkreise halten, bei dem infernalischen Geheule und Drohungen der Horclinge zu schlafen, ist nicht jedem gegeben!

In diese Welt führt uns Brett aus der Sicht seiner drei Helden Arlen, Leesha und Rojer ein, wobei Arlen die Hauptfigur ist und der namensgebende „Painted Man“ werden wird. „Das Lied der Dunkelheit“ erschien dem Verlag wohl ein besserer deutscher Titel als „Der bemalte/runenverzierte/tätowierte Mann“, dem ich durchaus zustimmen möchte. Die Übersetzung von Ingrid Herrmann-Nytko ist übrigens von vorzüglicher Qualität. Bei der Lektüre des englischen Originals frage ich mich, wie man wohl „Coreling“ (dt. Horcling) und „Core“ (dt. Horc) übersetzen würde, denn Kernling und Kern hätten bei weitem nicht so bedrohlich wie das englische Coreling geklungen. „Core“ und „Gore“ liegen bei diesen dämonischen Kreaturen nicht weit voneinander … meine einzige Kritik wäre gewesen, dass viele Städte- und Ortsnamen gut eingedeutscht wurden, aber Baron Rhinebeck nicht zu Baron Rheinbeck wurde. Andererseits ist Rhinebeck Village ein Dorf im US-Bundesstaat New York, und die Geschichte spielt in den Trümmern unserer untergegangenen Welt. Frau Herrmann-Nytko recherchierte hier wirklich professionell, was sich auch in der wirklich außergewöhnlich gut gelungen Übersetzung zeigt.

Arlen ist genretypisch ein armer junger Mann, der sich zum Helden entwickeln wird. In einer Zeit der lähmenden Furcht nimmt er den Kampf auf und überwindet seine Angst. Zwei entscheidende Momente in seinem Leben verwandeln ihn im Laufe der Geschichte in den Tätowierten Mann, der altes Wissen sucht, um den Kampf gegen die Dämonen aufzunehmen. Doch wie Sartre einst sagte, „Hell is other people“ – was die Dämonen Arlen nehmen, ist nichts verglichen mit dem, was ihm vermeintliche Verbündete und Freunde antun.

Leesha ist eine starke junge Frau, die sich mit der schrulligen Kräuterhexe des Dorfes gut versteht und von ihr zur Heilerin ausgebildet wird. Was ihrer bildschönen, aber opportunistischen Mutter Elona nicht in den Kram passt. Elona ist das, was man gemeinhin unter einer Hure versteht, in seiner negativsten Ausprägung. Leesha hingegen wacht über ihre Jungfräulichkeit wie eine überzeugte Bewohnerin des amerikanischen Bible Belts. Sie ist eine sehr riskante Figur – ich mochte sie, obwohl so eine heilige Jungfrau in der Regel langweilt mit ihrer moralischen Überlegenheit. Hier besteht auch die Gefahr einer Schwarz-Weiß-Zeichnung; es spricht für Brett, dass er dennoch einen sympathischen und glaubhaften Charakter auf dieser Basis schaffen konnte. Dass sich Leesha in Arlen verliebt und sich ihre Beziehung aus einigen guten Gründen sehr problematisch gestaltet, kann man auch zu den 08/15-Standardkomponenten eines Fantasyromans rechnen. Doch wie sich diese Beziehung weiter entwickelt, das wird sich erst im zweiten Band der geplanten Trilogie, „Das Flüstern der Nacht“, zeigen.

Rojer ist die jüngste der drei Hauptfiguren, er ist noch ein Kind, hat aber bereits seine Familie in der Flammenhölle eines Dämonenangriffs verloren. Der trunksüchtige Jongleur Arrick, der in gewisser Weise eine Teilschuld an dem tragischen Tod seiner Familie trägt, nimmt ihn bei sich auf und unterweist ihn in seiner Kunst. Jongleure sind der Ersatz für Internet, Zeitung und Fernsehen in dieser Welt, sie sind Entertainer und bringen Nachrichten aus fernen Landen. Die tapfersten begleiten die hochgeschätzten Kuriere, die Post und Waren zwischen den Siedlungen transportieren und im Freien in winzigen provisorischen Bannkreisen übernachten. Ein gefährlicher Beruf, den nicht jeder ausüben kann, der aber hohes gesellschaftliches Ansehen und Reichtum verspricht.

Die drei Hauptcharaktere werden nacheinander eingeführt; so lernt man die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln kennen. Ihre Wege überschneiden sich erst relativ spät, und dabei ist es besonders interessant zu lesen, wie sich die drei Charaktere anfangs gegenseitig wahrnehmen. Wichtiger als die Hauptcharaktere erscheinen mir jedoch die zentralen Gedanken des Buchs darüber, wie lähmend Furcht sein kann, und wie selbstsüchtig und kleingeistig Menschen auf ihren persönlichen Vorteil bedacht sein können, selbst wenn die Welt daran zugrunde geht. So hüten Kräuterweiber und Siegelmaler ihre persönlichen Zeichen, was Arlen zum ersten Mal auffällt, als er in Fort Miln in die Lehre bei einem Siegelmalers geht. Aus seinem Dorf kennt er einige nützliche Siegel, die selbst dem Meister in Fort Miln noch nicht bekannt waren. Doch dieser hegt kein Interesse daran, seine persönliche Stellung zu verschlechtern, indem er diese Siegel mit den anderen Siegelmalern teilt. Ähnliches gilt auch für Leeshas Ziehmeisterin Bruna, die auch nicht jedem ihre Geheimnisse anvertrauen will, obwohl sie durchaus anerkennt, wie wichtig Informationsaustausch für das Überleben der gesamten Menschheit ist.

Unterm Strich

Peter V. Brett hat eine gelungene Mischung aus klassischer Fantasy und Survival-Horror geschaffen, die nicht nur die dunkle Seite der Dämonen, sondern auch der Menschen beleuchtet. Ein packender und sehr überzeugender Erzählstil machen „Das Lied der Dunkelheit“ zu einer intensiven und kurzweiligen Leseerfahrung. Brett zeigt in dynamischen Entwicklungen, was andere Autoren erzählen. Er zeigt dem Leser, was Arlen, Leesha und Rojer erleben, man ist sehr direkt von der Handlung betroffen, und er erzeugt so eine beispielhafte Immersion in seine dunkle Welt. Dabei spielt er mit klassischen Szenarien des Bösen und der Furcht, Nebel und Dunkelheit, in der Dämonen aus der Erde aufsteigen, während Menschen sich in Kellern hinter unzuverlässigen Schutzzeichen verbergen und vor Furcht schlottern, die hilflos zuhören müssen, wie Dämonen unglückliche Familien, deren Siegel durchbrochen wurde, sei es durch einen schlampigen Strich oder einen heruntergefallenen Ast, verbrennen oder bei lebendigem Leib auffressen. Trotz dieser trostlosen Situation ist immer noch Platz für Egoismus und Ränkespiele unter den Überlebenden.

Ich bin gespannt, wohin die Reise noch gehen wird. Der Tätowierte Mann, der gegen die Dämonen kämpft, könnte den Funken der Revolution entfachen, der die Menschheit aus der lähmenden Furcht vor den Dämonen erweckt. Seinen ersten kleinen Sieg erringt er am Ende dieses ersten Bandes, und ich kann es kaum erwarten, die Fortsetzung der Geschichte zu lesen.

797 Seiten, kartoniert
Originaltitel: The Painted Man
Deutsche Übersetzung von Ingrid Herrmann-Nytko
ISBN-13: 978-3-453-52476-7
http://www.heyne.de
http://www.petervbrett.com


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